Storkebaum - Evangelische Akademie Tutzing

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Dipl.Psych. Sibylle Storkebaum
Kommunikation am Krankenbett – Bedürfnisse
und Erwartungen der Kranken
20.11.2004 in Rothenburg ob der Tauber
Mein Damen und Herren,
Herr Dr. Meier und ich haben als Untertitel für meine Ausführungen
eine Trias gewählt: Wünsche - Ambivalenzen – Realitäten. Und ich
habe mich sehr gefreut, dass er mich zu diesem Seminar eingeladen hat. Denn ich schlage mich tagtäglich mit Wünschen,
Ambivalenzen und Realitäten herum. Auch mit meinen eigenen
diesbezüglichen übrigens – heute wird ja mal Zeit sein, dieses
Thema kommunikativ zu bearbeiten. Ich hoffe, Sie missverstehen
meine streckenweise recht kritischen und skeptischen Anmerkungen nicht als Lamento noch als Jammern – ich liebe meinen
Beruf im aufregenden Universum einer großen Klinik und hoffe,
dass wieder bessere Zeiten kommen. Aber wir leben jetzt und
immer mal wieder Zwischenbilanz gehört dazu.
Ich habe mit Kranken zu tun, weil ich seit 11 Jahren vornehmlich im
Münchner Universitäts-Klinikum rechts der Isar, als Psychologin im
Psychosomatischen Institut vor allem Transplantationspatienten betreue, also sehr schwer kranke Menschen.
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Deshalb werde ich überproportional viel von sehr schwer Kranken
sprechen. Vielleicht ist das auch gut so, denn bei ihnen haben wir
das Brennglas auf die Probleme.
Ich arbeite im Bereich der Transplantationsmedizin arbeite. In der
langen Geschichte der Medizin ist diese Sparte noch ziemlich jung.
Dennoch bewegt sie die Menschen innerhalb und außerhalb der
Kliniken in hohem Maße. Ich zum Beispiel und einige unter Ihnen
vielleicht auch, wir können uns noch sehr gut an den Tag erinnern,
an dem Christian Barnaard das erste Herz transplantierte . Ein
Medienereignis der besonderen Art war das. Ich arbeitete damals
als
junge
Redakteurin
in
der
Nachrichtenredaktion
einer
Tageszeitung und war zutiefst erschüttert und erregt bei der
Vorstellung, dass man einem Menschen ein Stück seines Körpers
herausschneiden
und
in
eines
anderen
Menschen
Körper
einsetzen kann! Und dass das dann auch noch funktioniert! Wir
waren alle sehr fasziniert und ich gestehe, ich bin es immer noch,
wenn ich bei einer Transplantation zuschaue, in den leeren
Bauchraum gucke, Zeuge werde
all dieser unbeschreiblichen
Kunststücke, die Chirurgen und Anästhesisten so meisterlich
beherrschen, und dann mitbekomme, wie die neue Leber an
den für die Leber vorgesehenen Platz gebracht wird,
weich,
schimmernd, an die Blutgefässe angeschlossen wird, und dann
das Wunder erlebe. Das Blut schießt in die Gefäße ein und es
entsteht dieser unvergleichlich magische Moment, in dem die
Leber von lauter Sternen übersät ist. Diese Beobachtung erzähle
ich Patienten immer dann, wenn sie mir sehr ängstlich vorkommen;
dann stockt ihr Atem und sie schauen mich mit aufgerissenen
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Augen an und so etwas wie Trost, Erleichterung scheint ihre Seelen
zu entlasten.
Natürlich sind seit Barnaard mehr als 30 Jahre vergangen, und ich
weiß nicht, wie viele Lebern und Herzen , ganz zu schweigen von
den Nieren,
durch die Hände von Transplanteuren gegangen
sind. Die Transplantation ist zur Routinebehandlung geworden, und
es gibt Zentren, in denen die Patienten wie Stückgut auf dem Förderband
behandelt
werden.
Aber
trotz
ihres
Willens
zur
Unterwerfung unter die Vorschriften der Ärzte, zu Folgsamkeit und
Compliance – sie sind kein Stückgut auf dem Fließband und ihr
unterwürfiges Verhalten maskiert nur ihre Angst, ihre Schuld- und
Schamgefühle. Natürlich wissen sie heute viel mehr über die
Transplantation, als Barnaards Patienten wussten, aber sie wissen
auch mehr über die Risiken, über Outcomes, die nicht so glücklich
waren, wie gehofft; sie verfolgen die Diskussionen über Hirntod und
Organhandel, die widerlichen Dramatisierungen ihres Schicksal in
manchen Fernsehprogrammen, denen die Folie Transplantation für
keine noch so abwegige Geschichte entbehrlich scheint.
Bedürfnis eines jeden Patienten sollte die Information sein, die
Aufklärung, das Wissen um das, was da in Körper und auch Seele
abläuft, was ihn krank macht.
Vor jeder Transplantation gibt es einen Menschen, der krank wird ,
terminal krank. Wer auf der Transplantations-Warteliste auftaucht,
weiß, dass dies die letzte Chance auf ein bisschen mehr Leben ist.
Und auch die Information, dass schon Tausende erfolgreicher
Transplantationen durchgeführt worden sind,davon Hunderte vom
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behandelnden Chirurgen, kann kaum den individuellen Aufruhr in
der Seele des Patienten minimieren, innere Ruhe und unerschütterliche Zuversicht garantieren.
Was man heute so hört und liest über die Ärzte, ist ja auch nicht
immer angetan, das Vertrauen in sie zu stärken. Vorgestern lief im
Scheibenwischer eine fulminante Nummer über das Arzt-PatientBündnis – der grandiose Kabarettist Georg Schramm schlug vor,
dass Patienten doch künftig ihre Ärzte fragen sollten „Mit welcher
Krankheit kann ich Ihnen helfen?“ Er zitierte das Ärzteblatt, das die
Befriedigung der ärztlichen Bedürfnisse vor die Befriedigung der
Krankenansprüche placiert. Mein Zahnarzt berichtet mit Grauen,
dass die Zahnärztekammer jetzt einen Korruptionsbeauftragten
installiert. Selbst wenn all dies nur wenige unter den vielen, vielen
Ärzten betrifft, weil es glücklicherweise viel mehr anständige Ärzte
gibt, die sich aufarbeiten zum Wohl ihrer Patienten - wie soll man
heute ruhig krank sein, sich einem Arzt anvertrauen, der oft jung ist
und unerfahren wirkt, das nicht zugeben mag und auf alle Fälle
unter Zeitdruck steht?
Was wünschen sich denn heute Patienten? Gesundheit. Oder
doch zumindest Beschwerdefreiheit. Oder doch wenigstens gute
Betreuung. Von Ärzten und Pflegepersonal. Oder fachliche Aufklärung. Oder doch mindestens ein schönes Krankenzimmer, ja ?
Das sind die drei vorne placierten Items einer aktuellen Befragung
von Peter Herschbach zur Patientenzufriedenheit. Man sollte
meinen, im Zeitalter der globalen Kommunikation sei wenigstens
der Wunsch nach Aufklärung und Betreuung selbstverständlich zu
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erfüllen. Aber gerade dies bleibt oft ein Wunsch. Denn die
Entwicklung im Gesundheitswesen scheint einiges zu bringen, bloß
nicht die Wunscherfüllung für Patienten – und medizinisches
Personal.
Die meisten kranken Menschen wollen natürlich nicht krank sein,
sie wollen keine Angst haben vor Schmerzen, Spritzen, Sterben. Sie
wünschen sich, dass ihre Angehörigen nicht zu sehr belastet sind
von all dem, was sie durchmachen, sie hoffen, dass ihre Krankheit
nicht zu viele Umwälzungen und Umstrukturierungen mit sich bringt.
Sie wollen ihre Freunde nicht verlieren. und sie wollen auch an
ihren Arbeitsplatz zurückkehren.
Sie haben den doch durchaus berechtigten Wunsch, eben nicht
auf einem Fließband durch den Heilprozess geschickt zu werden,
sondern als leidende Menschen, denen andere helfen, die das
gelernt haben und das Glück haben, selbst gesund zu sein. Kranke
wollen mündige Bürger bleiben, auch im Krankenstand. Mich
wundert immer, dass sie nicht spätestens bei Entlassung auf die
Barrikaden
gehen
und
protestieren
–
gegen
Arroganz,
Nachlässigkeit und Unmenschlichkeit mancher aus dem Kliniknetz.
Warum wehren sie sich nicht? Ist es so anstrengend? Ist die Angst
der Rache eines gerade angegriffenen Halbgott in Weiß, dem
man erneut hilflos und krank begegnen könnte, so viel stärker als
die Überzeugung, dass doch vieles in punkto Menschenwürde
verbessert werden könnte?
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Und
schon
sind
wir
bei
den
Realitäten.
Oder
bei
den
Ambivalenzen? Wir alle, die wir in den Kliniken oder im
Gesundheitswesen arbeiten, würden ihnen das ja sehr gerne
bieten. Alle Schwestern, alle Pfleger, die ich kenne, die Ärzte ,
Krankengymnasten, Sozialpädagogen und Psychologen sind mal
ausgezogen, den Kranken das zu bieten – sie wollten helfen! Wir
alle haben gelernt, was man wissen muss, um auf unserem
jeweiligen Gebiet einen Beitrag zu dem großen Netz der Fürsorge
für kranke Menschen beizutragen. Und was machen wir den
ganzen langen Tag? Wir stecken unsere Zeit nicht in die Betreuung
der Kranken, wir haben nicht die Zeit, einem vorübergehend sehr
verlangsamt
sprechenden
Patienten
zuzuhören,
ihn
beim
Sprechen zu ermutigen – wird schon! -, nein. Wir stecken unsere
Zeit in die Dokumentation dessen, was wir gearbeitet haben. Das
wächst sich aus zu mindestens einem Drittel unserer Arbeitszeit,
manche Untersuchungen sprechen von 60% berufsfremder Arbeit.
Kliniken sind heute riesige Archivierungsanstalten. Controller,
Verwalter und andere Hilfskräfte, die alles im Blick haben, was mit
Kranksein zu tun hat, sitzen in den hellen Büros, die wir so dringend
für Gespräche mit den Kranken brauchten. Sie entwickeln Computerprogramme, in die wir alles eingeben müssen, was wir tun – mir
fehlt nur noch der Schrittzähler am Bein, die Telefonate zählen wir
bereits. Jeder Husten hat seine eigene Codierungsnummer, jede
Handreichung auch. Statt wie früher Stationsbesprechungen zu
machen, versuche ich, die Schwestern beim konzentrierten
Schreiben nicht zu stören. Statt mit
Ärzten und Schwestern
Strategien zur Hilfe für unsere Kranken zu entwickeln, renne ich
ihnen hinterher, um wenigsten etwas über den aktuellen Stand zu
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erfahren, 12 Minuten, hat kürzlich ein sehr engagierter Chirurg
ausgerechnet hat er, die OP ausgeschlossen, Zeit für seine
Patienten – Diagnose besprechen, Behandlungsplan, Therapie,
Entlassung. Zwölf Minuten! Seitdem verzeihe ich den Ärzten vieles,
was ich mal als Sorglosigkeit oder mangelndes Interesse an
Menschen gewertet habe.
Wir alle verbringen unsere Zeit – häufig übrigens die Abende und
Wochenenden- nicht mit unseren Familien und Freunden, nicht
mit Freizeit, nicht mit Forschung, die ja auch weitestgehend
außerhalb der Dienstzeiten stattfindet, sondern damit, die DRGs
und die ICD oder DSM-Codierungen ins SAP unserer Computer
einzugeben, Arztbriefe zu schreiben, in denen möglichst wenig
über den Menschen steht, denn das könnte ihm ja schaden. Dies
gilt besonders für den Bereich, in dem ich arbeite – psychische
Diagnosen müssen mit äußerster Vorsicht veröffentlicht werden,
sonst werden sie zu Ausschlusskriterien oder zu Diskriminierungen. Es
kommt
bei
uns
allen
zur
Inflation
der
Diagnose
"Anpassungsstörung", denn leider gibt es nur pathologische
Diagnosen, krankhafte beurteilungen. So steht dann eben in den
Arztbriefen der Internisten oder Chirurgen unter dem Punkt
„Sozialanamnese“ meist nur „verheiratet, zwei Kinder“ – wissen Sie
dann, was das für ein Mensch ist?
Vielleicht sollen Sie das ja auch gar nicht wissen. Wenn wir gar
nicht erst die Kommunikation zu den Menschen aufnehmen sollen,
die immer kürzer bei uns verweilen, was nutzt dem Menschen dann
persönliches Interesse an ihm? Und uns, die wir „an der Front“
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arbeiten, lasten solche Geschichten, Lebensläufe, Leidenswege
ob wir wollen oder nicht auf der Seele. Zeit für Supervision ,um das
alles etwas leichter zu tragen? Wo soll die denn herkommen? Und
wer soll sie bezahlen?
So wird der Kranke gerade wieder zur Galle oder zum Ikterus, wo
er doch gerade auf dem Weg war, ein Mensch mit Namen,
Geschichte und Persönlichkeit zu sein. Viele Untersuchungen
gerade aus dem Gebiet der Psychosomatik haben immer wieder
gezeigt, dass Menschen schneller gesund werden, wenn sie
Mensch bleiben dürfen – auch im Umfeld einer hoch spezialisierten
HighTech-Medizin, die durchaus bestimmte Behinderungen auf Zeit
mit sich bringt, Kranke vorübergehend noch hilfloser macht – aber
doch
nicht
entwürdigen
oder
klein
machen.
Denn
am
zufriedensten sind sie doch, nach einer neuen Untersuchung von
Herschbach und anderen, wenn fachliches Können und Umgang
der Ärzte mit ihnen stimmen.
Nun ist es natürlich nicht so, dass alle Kranken so sind, wie ich sie
vorhin beschrieben habe. Nämlich daran interessiert, möglichst
rasch wieder gesund zu werden, alle Kräfte für dies Ziel gemeinsam
mit den Medizinern und Pflegenden einzusetzen, ihre Medizin zu
nehmen und viel zu laufen, selbst wenn die Narbe noch wehtut. Es
gibt zunehmend mehr Patienten, die glauben, sie müssten alles
ausschöpfen, was irgendwo in der Pipeline ist, wie sie das gern
nennen. Alle zwei Jahre steht ihnen ein neues Blutdruckmessgerät
zu? Her damit , auch wenn das alte noch sehr gut funktioniert!
Keine Semmeln zum Frühstück? Die junge Schwester wird nie den
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Patienten vergessen, der ihr das Tablett ohne Semmeln nachwarf.
Rund um die Uhr Betreuung trotz Ärzteknappheit möglichst zum
Nulltarif! Ich hab mein Leben lang eingezahlt, da werde ich doch
noch was dafür kriegen! Man muss die Kranken im System sehen:
im Wirtschaftssystem, in dem heute jeder meint, er müsse für sich
retten, was er noch kann. Und im Kranken – pardon, Gesundheitssystem, in dem natürlich nach derselben Maxime gehandelt wird.
Wenn man dir gibt, nimm, wenn man dir nimmt, - schrei! Manche
schreien viel lauter als angebracht. Von anderen hört man nichts,
und auch das ist verdächtig. Es gibt wirkliche Ekelpakete, die den
Klinikleuten das Leben ziemlich schwer machen – soll ich Ihnen ein
paar schildern? Bitte sehr! Eine kleine Typologie des gemeinen
Kranken.
Da gibt es ZB den RANSCHMEISSER. Dem ist alles recht, der hängt
an des Arztes Lippen,
wir Psychologen nennen das die Identi-
fikation mit dem Aggressor. Vorsicht vor diesem Patienten – der
gibt seine Verantwortung für sein eigenes Leben und Gesundwerden ab, an die Ärzte, an die Familie, früher vielleicht an den
Alkohol oder den Chef! Den schafft so schnell keine Station,
machen Sie dem mal in ein paar Tagen, die auch noch geprägt
sind von Operation oder aufwendiger Behandlung, klar, das jeder
für sich verantwortlich ist. Die Motivationsarbeit bei dieser Gruppe
ist höllisch schwer.
Es gibt das Gegenstück – den OPPOSITIONELLEN. Der will seinen
Doktors kein bisschen trauen, glauben, folgen - der therapiert,
dosiert, evaluiert und qualifiziert, wie er es für richtig hält. Ohne
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Rücksprache! Und wenn dann was schief geht, hat natürlich der
Arzt oder die Schwester oder die Küche oder schon auch mal der
Psychologe Schuld. So gut es sein kann, wenn jemand nicht alles
widerspruchslos schluckt, so leicht sind das auch die Patienten, die
durch Non-Compliance
sich selber schädigen und allen Frust
bereiten werden, weil all ihre Anstrengungen im Nichts verlaufen.
Ebenso zur Risikogruppe zählt der VERDRÄNGER. Der will nicht die
Schwere einer Erkrankung wahrhaben, der ist mit dem Schicksal
und dem lieben Gott im Bunde. „Ich spüre es genau, es wird alles
gut gehen!“ Das sagen mir immer wieder Patienten bei den
Vorgesprächen zu Transplantationen. Ist ja eine gute Haltung –
aber diese Menschen schotten sich leider oft ab gegen
Aufklärung und sind dann eher passiv im Coping, in der
Krankheitsbewältigung.
Eine
weitere
psychoanalytische
Kategorie,
nämlich
die
Sublimierung, verkörpert der WEHLEIDIGE. Menschliche Defizite an
Zuwendung werden durch dramatisch geäußertes Leiden, Tränen,
Hilflosigkeit, Passivität, pardon, Unfähigkeit zu Aktivität vertuscht.
Aber wenn Sie sich dann ans Bett setzen und reden und ermutigen, wenn Sie all Ihre Kraft in eine Ermunterung und Stärkung
setzen, dann ernten Sie zwar ein glückseliges Lächeln .. und am
nächsten Tag ist alles noch viel schlimmer . Die narzisstische
Grundeinstellung ist schwer zu besiegen.
Ähnlich kann es Ihnen beim CHEFARZTPATIENTEN ergehen. Sein
narzisstisches Defizit will er ausgleichen, er fordert – übrigens auch
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als Kassenpatient – größten Service, beste Behandlung, optimalen
Zugang zum Arzt, das beste Zimmer, die teuerste Arznei, die
aufwendigste Diagnostik. Tag und Nacht müssen Sie zur Verfügung
stehen, dafür gibt’s dann manchmal - inzwischen so gut wie nie
mehr - auch eine Flasche Champagner beim Abschied. Aber die
brauchen Sie dann auch.
Gegenstück ist der BESCHEIDENE – fast will er sich unsichtbar
machen,
bloß
keine
Arbeit
bereiten,
hat
sich
mit
allem
abgefunden, macht alles, tut alles, wie geheissen,und die Ärzte
und Physiotherapeuten müssen schon selbst an seiner verzerrten
Körperhaltung ablesen, dass er furchtbare Schmerzen hat. Er
fände es ungehörig, nach Schmerzmitteln zu fragen. Seine
Angehörigen kommen in der Besuchszeit, huschen sofort von der
Bettseite, wenn die Visite einschwebt , bringen ihm Essen und
Trinken mit, um die Krankenhauskasse zu schonen.
All diese Kategorien, die ich natürlich unendlich weiter differenzieren und in Untergruppe aufsplittern könnte, gibt es auch noch in
besonderen Ausprägungen, etwa als Ausländer mit uns leider
völlig unbekanntem kulturellem Hintergrund, keinerlei Kenntnis der
deutschen Sprache und agierenden Angehörigen.
Noch so ein Punkt. Zu fast allen Kranken gehören Angehörige, und
wenn es keine gibt, ist die Lage noch wesentlich verzwickter, denn
Einsamkeit
ist
erst
recht
kein
guter
Bundesgenosse
im
Heilungsprozess .Dennoch möchte ich als nächste Typologie mir
den gemeinen Angehörigen vornehmen. Mit ihm hat man viel zu
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tun im Krankenhausalltag – sei es, man ihn braucht, gerade bei
kranken Kindern, Langliegern oder Alten, sei es, dass er nervt,
beansprucht, beschäftigt.
Das tun ganz sicher die
OMNIPOTENTEN . Bei ihnen
spricht
meistens der Mann, der Vater, der dann auch im Konfliktfall herbei
eilt. Sie sind häufig privat versichert, oft aber auch arbeitslos und
vom Sozialamt betreut. Für sie ist nichts zu schwierig, zu teuer oder
unerreichbar. Sie drohen schnell mit Behandlung im Ausland oder
mit dem Rechtsanwalt. Der Gedanke, dass ein Leben selbst im
Zeitalter der Machbarkeit begrenzt sein könnte, dass Tod nicht nur
als Folge ärztlicher Fehler eintritt, ist ihnen fremd. Hoher Druck ,
Winken mir juristischen Konsequenzen etc. bringt guten Erfolg,
scheinen sie zu meinen, und sehen nicht, dass übermäßig hohe
Anforderungen
auch
zu
Widerstand
führen
können,
zu
unbewusster Ablehnung und Abwehr.
Nicht nur, weil sie den Eid des Hippokrates geschworen haben, ist
es Ziel aller Ärzte, das Leben von Kranken zu retten oder ihnen
zumindest ein Überleben in guter Qualität zu ermöglichen. Wenn
dann so gelagerte Angehörige – bewusst durchaus im Wunsch ,
dem Patienten Verstärkung zu bringen – die Ärzte oder Pfleger
verdächtigen, sie wollten ihrem Kind, ihrem Patienten schaden
oder beherrschten ihr Handwerk nicht, muss das zu Störungen des
Vertrauens , der Beziehung zwischen Arzt, Patient und Angehörigen führen. Da brechen häufig sehr rasch die Kommunikationsstrukturen zusammen und sind schwer wieder her zu stellen.
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Besonders leid tun mir immer die Patienten, die versuchen, nach
Verschwinden des Angehörigen, am Ende der Besuchszeit, wieder
ein gutes Verhältnis zu schaffen. Chronisch kranke Kinder geraten
besonders in die Bredouille: deren Eltern packen sie oft in Watte,
machen sie zu kleinen, unfähigen Leidenden. Diese Rolle spielen
diese Kinder dann auch im Beisein der Angehörigen, denn sie
wollen möglichst ihrem Bilde entsprechen, schließlich sorgen die
Eltern ja so für sie. Aber es ist gar nicht selten, dass gerade diese
Kinder, die bleich in den Kissen liegen und kaum einen Löffel selbst
zum Munde führen können, auf einmal aufblühen und selbständig
sind, wenn die Eltern mal nicht auftauchen können. Aber gnade
Gott diesen Kindern, wenn die Eltern sie so erwischen ...Omnipotente sind nämlich Egozentriker, die alles ihrem eigenen Bilde,
ihren Vorstellungen anpassen.
Gegenstück zu ihnen sind die JA-SAGER. Geduldig wie Lämmer,
die zur Schlachtbank geführt werden, tauchen sie auf, hören brav
zu, meinen wenig. Der Arzt ist ihr Idol. Oberflächlich mögen sie
ideal im Klinikalltag sein, weil sie nicht stören, in der Realität sind sie
es aber keinesfalls, denn sie tragen wenig zur Heilung bei. Sie
haben resigniert, die Krankheit des Angehörigen akzeptiert, und
die Schuld am geradezu eingeplanten, natürlich auch befürchteten Misserfolg schon im Vorfeld der Gefahr sich selbst, dem
Kranken oder auch den vorbehandelnden Ärzten zugeschoben.
Sie waren stets geduldig, freundlich, opferbereit – warum geht
dann doch alles anders als gedacht? Solche Mitläufer sind latent
unzufrieden, traurig, wenig informativ oder hilfreich.
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Noch schwerer haben wir es mit den ANTIAUTORITÄREN. Ihr krankes
Kind darf noch weniger als ein Gesundes Grenzen gesetzt bekommen, meinen sie, glücklich sei es nur wenn es schreiend und kreischend über die Station tobe, obwohl es wegen des Ergusses wirklich ruhig im Bett liegen sollte. Anweisungen von Ärzten sind grundsätzlich in Frage zu stellen, dem Pflegepersonal wird konstantes
Misstrauen und oft überhebliche Kontrolle zuteil. Eifersüchtig
wachen solche Angehörige über alles. Jede Dosisveränderung
muss begründet werden, jede Verschlechterung des Befindens
ebenfalls. Sie haben viele Freunde und Ratgeber vom Fach, die
eigentlich immer zu Gegensätzlichem raten, was dann ausführlich
mit den Doktors beraten werden muss, meist, wenn die nach
einem langen Arbeitstag endlich nach Hause gehen möchten...
Soll ich was sagen über Angehörige, die nie auftauchen? Das ist
sehr traurig. Oder über Angehörige, die die Patienten selbst nicht
sehen wollen? Über Erbschleicher und neugierige , vom Helfersyndrom geplagte Menschen, die sich einen Kranken wie ein
Hündchen zulegen?
Oder über die Exoten, etwa Roma-Familien, die mit zwanzig Personen rauchend und debattierend im Zweibettzimmer sitzen und
nicht herauszukomplimentieren sind. ..
Realität . Sie ahnen die Komplexität des Themas. Aber jedes
Töpfchen findet sein Deckelchen, ich möchte Ihnen deshalb die
Typologie des gemeinen Arztes auch nicht vorenthalten.
Auch sie zerfällt bei näherem Hinsehen in mehrere Untergruppen.
Der portugiesische Literatur-Nobelpreisträger Antunes, der im Nebenberuf Neurochirurg ist, hat den Don Quixote als ideale Verkör14
perung des Arztes geschildert – den, der unermüdlich gegen Windmühlenflügel läuft, aber seinen Kumpan Sancho Pansa bei sich hat
und einer großen Liebe ergeben ist. Don Quixote kann sich in
vielen Verkleidungen zeigen. Hören Sie ein Zitat aus einem alten
Lied von Hannes Wader. Der Refrain heißt: „Ich hatte mir noch so
viel vorgenommen.“
„Es begann alles damit, dass ich einen starken Schnupfen bekam.
Ich bin dann auch zum Arzt gegangen und habe mich
untersuchen lassen. Und er machte so’n merkwürdiges Gesicht
dabei. Ich fragte ihn: Ist es denn was Schlimmes?
Tja , meinte der, Sie haben Krebs, Sie leben nur noch ein paar
Tage. Am besten, Sie legen sich jetzt schön ins Bett und machen
sich ‚n paar feuchte Umschläge. Sie haben eben zu wüst gelebt ,
jetzt haben Sie den Salat.“
Diese Art der schonungslosen Aufklärung ist natürlich nicht mehr
überall an der Tagesordnung. Das Lied ist auch schon sicher über
30 Jahre alt und zum Darstellen einer Lebenshaltung so ruppig
geschrieben. Und dennoch. Solche Krach-bumm- koste-es-was-eswolle, Hauptsache ich hab’s hinter mir!-Aufklärung findet sich trotz
Metern einschlägiger Literatur immer noch. Wieso?
Für manche Ärzte stellt es wirklich und auf die Dauer eine
persönliche und emotionale Überforderung dar, immer wieder
schlechte Nachrichten überbringen zu müssen. Und das gehört
nun mal zum Arztberuf: Die Kunde von der Diagnose schwerer
Krankheiten, die Aussichtslosigkeit einer Therapie, die Nähe des
Todes müssen formuliert werden. Vom Arzt. Und das ist sehr schwer.
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Patienten und ihre Angehörige sind in solchen Momenten der
Wahrheit meist überrumpelt, Angst überflutet sie, Schrecken, sie
fühlöen
sich,
wenn
sie
überhaupt
etwas
fühlen,
in
ihren
Grundfesten erschüttert, schutzlos ihrem Schicksal gegenüber.
Diese Gefühle überträgen sich auf den Arzt. Eigene Gefühle und
Erlebnisse werden, oft unbewusst, aktiviert – Angst , Schuldgefühle,
eigene Todeserlebnisse, Hilflosigkeit, Erinnerung an misslungene
Interventionen ... Manche Ärzte nun schützen sich vor den eigenen
Gefühlen durch massive Abwehr, anstatt zu lernen, wie man mit
ihnen umgehen kann. Sie geben sich möglichst kurz angebunden,
kommen schnell zur Sache und zu oft sogar unsinnigen Therapievorschlägen. Mechanistische Aufklärung, im wesentlichen ein
Monolog statt eines Gesprächs, also eines Dialogs.
Diesen Arzt möchte ich den BRUTALO nennen. Er gibt sich phantasielos und wenig empathisch. Ihn findet man oft unter Chirurgen,
die dann etwa jemanden mit terminaler Kardiomyopathie über
die Chancen einer Herztransplantation so aufklären: „Von 100
Patienten mit diesem Herzproblem sterben 10 auf dem Tisch oder
sofort nach der Operation. Zu welcher Gruppe Sie gehören,
werden wir bald herausgefunden haben.“ Abgesehen davon,
dass es statistisch totaler Quatsch ist, steigert ein solcher Könner
des Gesprächs Angst und Noncompliance des Patienten in ihm
unvorstellbare Höhe. Ist er Sadist oder Zyniker oder nur überarbeitet
und abgebrüht? Interessiert er sich nur für’s Operative? Wie auch
immer: Mir erscheint so was unzulässig und mit dem Ethos des
Arztberufs nicht vereinbar. Arme Patienten, die mit solchen Brutalos
in eine Beziehung kommen müssen!
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Der Brutalo hat seinen Bruder im Geiste, reziprok allerdings: den
SOFTIE . Der kann es nicht ertragen, Menschen böse Nachrichten
zu sagen. Lieber lässt er sie im Unklaren, die Zeit wird’s schon
bringen, das Schicksal schon zu irgendeiner Entwicklung führen.
Der passt man sich dann an. Erleichtert und Not gedrungen,
Achsel zuckend: „Was kann ich schon dafür, aber es tut mir sehr
leid, für Sie und für uns alle.“ Der Softie versteht in seiner
unendlichen Milde nicht, welchen Schaden er den betroffenen
Gesprächspartner zufügt, in welch innere Not er ihn bringt – und
dort allein lässt.
Nur wirklich gut über alle Fakten aufgeklärte Patienten und Angehörige können sich im Verbund mit Ärzten und Pflegepersonal
gegen das Leiden aufbäumen, wehren und effektiv gegen es
kämpfen. Ohne diesen Kampf gibt es keine Heilung oder Herausschieben des finalen Stadiums, und je mehr sich ein Patient von
seinem Doktor ernst genommen fühlt, je mehr ihm als Mündigem
auch Verantwortung übertragen wird, desto bessere Compliance
wird er zeigen, desto besser wird er sich auf die vom Arzt definierten Erfordernisse der Behandlung einstellen, sogar auf Abschied für
immer, auf Tod. Verantwortung kann man aber nur übernehmen,
wenn man Bescheid weiß. So kappt der Softie mit seiner nur
scheinbar rührenden Art diese Beziehung und reduziert die Möglichkeiten des Patienten, der Angehörigen, die seine Partner sein
sollten. Der Softie ist ein Brutalo im Schafspelz – oder im Arztkittel?
Nein, solche Ärzte kommen gerne ohne. Sie zeigen rein äußerlich,
dass sie mit dem Kittel tragenden System nichts zu tun haben, dass
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sie auf Seiten der armen, armen Kranken stehen. Der Softie ist also
leider ein Feigling.
Die Fauna ärztlicher Wesen ist aber natürlich noch reicher. Denken
Sie an den KUMPEL . Der versucht sofort, auf die andere Seite des
Schreibtischs zu kommen, setzt sich auch oft dahin. Er möchte
rasch eine enge Beziehung aufbauen, ihm geht es darum, dem
Kranken zu versichern, dass alles eine Frage der Gruppe ist. „ Wir
machen das schon!“ sagt er gern. Bloß – wen meint er mit wir?
Genau besehen ist sein Auftritt auch ein Monolog, mit wir meint er
nämlich meistens sich selbst, sicherlich aber nicht in erster Linie die
Betroffenen. „Wir machen das schon, wenn du dich gut führen
lässt, nicht aufmuckst und alles tust, was wir anordnen, “ könnte
die Übersetzung und Weiterführung dieses Satzes sein.
Jetzt verstehen Sie auch, weshalb so jemand seinen Patienten
fragt: „Wie geht es uns heute?“ Dann ist Vorsicht geboten, denn
dann will er was , zB die Bestätigung: „Gut!“ Die scheinbare
Kumpelhaftigkeit ist eben nichts als Show. Auch der Kumpel hat
letztlich seine Probleme mit den traurigen Fällen, mit den
bedrohlichen Grauzonen zwischen Leben und Tod. Doch man
kann sie nicht einfach wegjuxen – es sind andere Formen der
Kooperation und der Beziehung nötig.
Die Spezies gemeiner Arzt hat noch einen weiteren herausragenden Vertreter: den COOLEN . Für den Wissenschaftler, den Vertreter der High – Tech - Medizin ist ein Arzt vor allem eines: rational.
Vernünftig. Er kennt sich aus in der Wissenschaft, jeder Patient wird
überprüft auf seine Eignung zum Forschungsobjekt, mindestens ein
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Artikel in einem ansehnlichen Fachblatt sollte bei einem Fall
herausspringen. Er wirft mit Statistik um sich, Erfolgschancen kann
er auf zwei Stellen hinter dem Komma bekannt geben, für die
letzten 5 Jahre auf jeden Fall, und er tut das auch , ohne zu
bedenken, dass Statistik durchaus relativ ist, vor allem für die, die ja
mit einem gewissen Recht befürchten müssen, zu den zwanzig
Prozent zu zählen, die durchs Netz fallen... Mit Gedanken der
Fürsorge für Patienten belastet er sich höchsten im Umfeld einer
Studie. Er glaubt, dass sich alles operationalisieren und quantifizieren lässt. Was meinen Sie, was passiert wenn so einer selbst
mal ärztliche Hilfe braucht!
da ich die Typologie der gemeinen Pflegekraft erst frühestens im
kommenden Jahr anbieten möchte, fehlt eigentlich, um das Areal
von Patient zwischen Wunsch und Realität abzustecken, nur noch
die Beschreibung des gemeinen Krankenhauses. Zugige Gänge,
auf denen man viele Stunden auf Röntgen oder EKG warten muss.
Fehlende Besprechungsräume – wie angenehm es sein muss, zB
eine Krebsdiagnose auf dem Gang neben Besucherklo und
Untersuchungszimmer
mitgeteilt
zu
bekommen!
Oder
im
Sechsbettzimmer, wo fünf Paar Ohren aufgestellt lauschen!
Intensivstationen, in denen Männlein und Weiblein im selben Raum
liegen, schamlos bloss, angeblich zum schnelleren Zugriff im
Notfall, ohne schützende Zwischenwände oder Vorhänge, oft
sogar ohne Laken oder Decken. Vom ernährungstechnisch längst
vorsintflutlichen Essen, von der Sauberkeit, - aus Kostengründen
putzen immer mehr Menschen aus Ländern, die viele von denen,
die sie einstellen, nur mit der Sagrotanflasche im Gepäck bereisen
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- von den ständigen Bauarbeiten wollen wir nicht sprechen. Die
langen Gänge, die grellen Lichter, das Knallen der leeren NaClFlaschen , die in die Müllbehälter geworfen werden, das ständige,
nie aufhörende Grundrauschen einer Klinik, der Hubschrauber, die
Ambulanzen, die Särge, die manchmal unverhofft aus einem
Zimmer geschoben werden, in das man, neu auf der Station und
auf die kommende lebensgefährliche Aneurysma-OP konzentriert,
gerade einchecken will..
Haben denn Kranke heute überhaupt noch Lebensqualität?
Haben Sie! Eine weitere Untersuchung unseres Instituts belegt das.
Lebensqualität ist ein Konstrukt, das sich errechnet aus der subjektiven Einschätzung des psychischen, sozialen und somatischen
Befindens eines Menschen. Natürlich ist das viel schwer wiegender
als nur die medizinischen Werte und Parameter! Und was bestimmt
nun diese Qualität?
Interessanterweise schätzen Kranke ihre Lebens- und Gesundheitssituation häufig viel besser ein, als es zu erwarten wäre oder
von Ärzten und Angehörigen getan wird.
Es besteht kein objektiver Zusammenhang zwischen Krankheitsschwere und subjektiver LQ!
Es besteht auch kein Zusammenhang zwischen schonender
Therapie und LQ – eine radikale Behandlung wie eine Amputation
kann die LQ tatsächlich verbessern. Eher schon kann man einen
Zusammenhang mit COPING – Strategien sehen. Wie bewältige
ich meine Krankheit? Menschen reagieren sehr individuell auf
dieselben Symptome und Krankheiten. Das liegt an ihrer Persön20
lichkeit und ihrer Wahrnehmung von sich und der Krankheit. Wer
optimistisch in die Zukunft schauen kann, wer sich positive Illusionen über sich selbst macht, wer davon ausgeht, dass er auch
bei den nun mal notwendigen Helfern Kontrollmöglichkeiten hat,
der punktet auch gut in Bezug auf Lebensqualität. Dies bedeutet,
dass die Lebensqualität eines jeden Kranken von seiner Psyche
bestimmt wird.
Da haben es Kranke gut, die Ärzten begegnen, die sie wirklich
ernst nehmen, respektieren, dass sie zuweilen andere Wertmassstäbe haben als die, die sich Zeit nehmen, ein Gespräch zu
führen über Krankheitsideen, Coping-Strategien und anderes, was
persönlichkeitsbezogen ist. Und die Kranken können aufatmen,
wenn sie selbst sich darüber klar sind, dass das Jetzt zählt, dass ihre
Krankheit auch mit ihnen zu tun hat – die Frage „Warum ich?“, die
nicht zu beantworten ist, mit Psychologen oder Pfarren besprechen, die erkennen, dass sie durch ihre Erkrankung die Chance
haben, ihr vergangenes Leben zu überdenken, zu sortieren, zu
bewerten . Patientenzufriedenheit korreliert nicht mit dem zu
erwartenden Ausgang!
Dietrich Grönemeyer hat mal gesagt: Der wirkliche Arzt ist der
Patient selbst! Das halte ich in aller Wünschbarkeit und Ambivalenz
für Realität. Es setzt aber eben viel Aktivität des Patienten, des
Kranken voraus. Es fordert Selbstbewusstsein vom Patienten. Selbstbewusstsein, das auch mal NEIN sagt zu vorgeschlagenen Therapien, Nein sagt zur endlosen Verlängerung des Lebens, wenn es
schon nur noch eine vita minima ist. Nein sagt zur Ausklammerung
von Leiden und Tod aus dem menschlichen Leben zugunsten einer
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Ideologie des Machbaren. Tod und Leiden als einklagbares
Versagen des Arztes? Kann doch wohl nicht wahr sein. Der Tod ist
das einzige Faktum, das wir bei unserer Geburt über unser Leben
wissen. Und ausgerechnet die einzige Gewissheit sollen wir ausklammern, verdrängen, schuldhaft empfinden, wenn sie geschieht?
Ich glaube, viele der Ambivalenzen könnten aufgehoben werden,
viele der Spannungen, unter denen die Menschen oft krumm
gehen. Wir sollten nur mal wieder auf unsere innere Stimme hören,
sagt die nicht öfter, als wir bereit sind, zuzugeben, dass wir müde
des ewigen Behandelns sind? Ich erlebe es ja immer mal wieder,
dass Menschen zwar nicht direkt aussprechen, dass sie ein neues
Organ ablehnen, aber trotzdem ganz leise aus dem Leben
schleichen. Sie sind müde, des Lebens müde – ist das so schlimm?
Anderes Beispiel. Viele Menschen kennen Nierenkranke , die jede
Woche dreimal an die Dialyse müssen, weil sonst ihre Körper nicht
entgiftet werden und sie recht jämmerlich sterben würden. Aber
wie viele Menschen haben einen Organspenderausweis? Nicht
mal zehn Prozent unserer Bevölkerung. Es gibt aber zunehmend
Menschen, die eine Organlebendspende zu machen bereit sind.
Sind sie bereit? Oder erfüllen sie echte oder eingebildete
Erwartungen von Kranken, die sicherlich auf einem realen
Bedürfnis beruhen? Will man denn als Kranke, als Mutter, wirklich,
dass die junge Tochter einem ein Stück ihrer Leber spendet? Sich
so selbst in Lebensgefahr begibt? Oder doch zumindest in die
Gefahr, selbst eine Kranke zu werden? Können Ärzte so etwas
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wirklich anregen, fordern, können Psychologen da zustimmen, weil
sie sagen, dass es freiwillig passiert?
Wie wird man denn mit so etwas fertig? Ich kenne einen Fall, in
dem genau dies passiert ist. Die Mutter wurde ihres Lebens wohl
nicht mehr froh, zumindest kam sie nach der Transplantation gar
nicht mehr aus der Klinik, starb drei Monate später. Ihre Tochter
geriet in schwere psychische Turbulenzen. Heute geht es ihr wieder
besser, aber sie sagt: „Ich habe zuviel und zu wenig gemacht.“
Zuviel geleistet für ihre eigene Kraft, zu wenig – die Mutter ist
dennoch gestorben.
Druck findet heute überall im medizinischen System statt, Zeitdruck
vor allem. Aber darauf hab ich wohl schon hingewiesen. Abschließend möchte ich deshalb nur noch sagen, dass mir immer
dankbar bewusst bin, welches Glück wir haben, wenn wir krank
sind, dass wir heute leben. In einer Zeit, in der so vieles machbar ist,
so viel Heilung und Besserung möglich sind und auch angeboten
werden. Wenn ich am späteren Abend durch die leeren Gänge
der Klinik gehe, erfüllt mit neuen Geschichten meiner Patienten
und vielen Gedanken dazu, emotional sehr angespannt, denke
ich oft, dass all dies, unser Jubel wie unsere Verzweiflung, nur
möglich ist, weil wir so viel mehr Möglichkeiten haben als die
Generationen vor uns. Wie und ob wir sie nutzen, haben wir zum
großen Teil selbst in der Hand – und mancher Wunsch wird trotz
Ambivalenz Lebensrealität. Wer hätte vor fünfzig Jahren geglaubt,
dass man Organe von einem Menschen in den anderen
übertragen kann?
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