Das Therapiekonzept der Analytischen

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Seminar Jung-Gesellschaft Köln / November 2000
Das Therapiekonzept der Analytischen Psychologie
Regenmacher-Geschichte.
Ich möchte heute mit Ihnen einige Essentials des Psychotherapieverständnisses
der Analytischen Psychologie erarbeiten; dabei bin ich mir keineswegs sicher,
daß diese Essentials von allen Jungianern geteilt würden. Es gibt in der
jungschen Psychotherapie nicht ein so festgelegtes und festlegendes System von
Vorschriften und Regeln wie in der orthodoxen freudschen Psychotherapie/analyse. Es ist m.E. unangemessen, eine jungsche Therapie nach dem Muster :
erst den Schatten bearbeiten und integrieren, dann anima/animus entwickeln
und schließlich Visionen aus dem Selbst erfahren,aufzubauen , zu verstehen oder
gar so gestalten zu wollen. Das zentrale jungsche Konzept der jungschen
Psychologie ist das Konzept der Individuation, die prinzipiell offen und
unabgeschlossen ist und höchst individuell und vielfältig verläuft.
Das, was ich Ihnen hier anbiete als Verstehensmöglichkeit für
psychotherapeutische Prozesse, basiert auf meiner Ausbildung, meinen
subjektiven Verstehensmöglichkeiten und meinen individuellen Erfahrungen als
jungscher Analytiker. Grundprobleme, Grundpositionen und Grundsituationen
lassen sich dennoch herausschälen und vergleichen. Die Analytische
Psychologie ist in den letzten Jahren überhaupt sehr vielfältig, differenziert und
diskursiv geworden, Dogmen welcher Art auch immer haben kaum noch eine
Chance, geglaubt zu werden.
Der erste Grundgedanken jungscher Psychotherapie ist:
Psychotherapie ist ein interpersoneller Prozess zwischen zwei Subjekten, die
sich sehr subjektiv in diesen Prozess hineinbegeben.
Es findet eine wechselseitige Beeinflussung der beiden Beteiligten statt, bei dem
beide, wenn es gut läuft, verändert aus diesem Prozess wieder heraustreten.
"Die Seele erscheint daher als ein Inbegriff von Beziehung" (JUNG,GW16)
Psychisches Leben , inklusive psychotherapeutische oder psychosoziale oder
ärztliche oder pädagogische Arbeit, ereignet sich immer in mindestens einem
Zwei-Personen-Prozess.
Wir sprechen von der "Chemie" zwischen zwei Menschen, die stimmt oder
nicht stimmt, wir sprechen von der "Atmosphäre" in einem Raum, einem
interaktiven Raum, in dem ein interaktives Bezugsfeld gesponnen ist, wir
sprechen von "Dialogen", die flüssig laufen oder stocken, usw. Jungsche
Therapie wird daher manchmal auch dialogische Therapie genannt - im
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Unterscheid zu der alten freudianischen Auffassung von Therapie /Analyse, in
der der Patient einen Monolog hält, bei dem der Analytiker zuhört und maximal
Deutungen gibt - einer allerdings auch unter modernen Freudianer weitgehend
veralteten Auffassung.
Sie haben in Ihrem Leben vielfältige Erfahrungen in diesem interaktiven Feld
auf den verschiedensten Ebenen gemacht: in der Beziehung zu ihren Eltern, zu
Freunden oder Freundinnen, in Partnerschaftsbeziehungen, in sexuellen
Beziehungen, vielleicht auch in Therapien, in Gruppen-Selbsterfahrungen, in
Kleingruppen, in Supervision, in Seminaren.
Im psychotherapeutischen Bereich geht es dabei immer darum , die
Introspektion zu fördern, d.h. das Hineinschauen in die eigene Seele zu
ermöglichen, zu vertiefen, zu erweitern.
Introspektion ist nicht das Studieren seelischer Bilder im Elfenbeinturm, im
eigenen Studierstüblein, sondern in der Begegnung und Auseinandersetzung mit
Gleichgesinnten und mit den sog. "Professionellen". Es geht darum, eine
Beobachtung zu installieren, die auf das menschliche Innenleben eingestellt ist
- was ja eine ganz andere Beobachtungsform ist als die, die sich auf die
Beobachtung der äußeren gegenständlichen Welt bezieht. Dabei muß man mehr
oder weniger starke zwischenmenschliche Beziehungen eingehen, die das
Sammeln emotionaler und symbolischer Informationen verbessern.
Was passiert in dieser zwischenmenschlichen Beziehung, die zum Zwecke
der Untersuchung einer Psyche eingegangen wird? Was passiert bei
folgenden Konstellationen:
Untersuchung der Psyche eines Anderen in meiner Psyche.
Untersuchung meiner Psyche in der Psyche eines Anderen.
Hereinlassen der Psyche eines Anderen in meine eigene Psyche, um sie
betrachten zu können.
Benutzung meiner eigenen Psyche, um herauszufinden, wie es ist, jemand
anders zu sein.
Es geht also einerseits um interpersonelle Zusammmnehänge, um
Verbundenheit zweier Körper und Seelen als auch um die inneren Bilder dieser
zwei Personen, die sich mit einander mischen, verbinden, also Körper - inneres
Bild - Beziehung , Interpersonelles und Intrapersonelles.
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Patient
Ich-Du-Beziehung
Arzt
interpersonale Spaltung
Wer krank ist, sucht Heilung außerhalb seiner selbst, bei einer anderen Person,
die ihn heilen kann, der eigenen Krankheitsgeschichte zuhört und hilft.
Zwischen beiden besteht ein Gefälle: wenn ich krank bin, bin ich schwach,
hilfsbedürftig, verletzt, leidend, unwissend, und phantasiere den Anderen als
stark, gesund, hilfsbereit und kompetent und fähig. Als Patient bin ich
ohnmächtig, hilflos der Krankheit ausgeliefert, während mein Arzt/Therapeut im
Besitz von Macht und Hilfsmitteln ist. Gesundheit wird dabei heutzutage oft wie
eine Ware erlebt, die im Dienstleistungsgeschäft des Gesundheitswesens
weitergegeben wird : als Patient bin ich ein Habenichts, während der
Arzt/Therapeut der Reiche und Mächtige zu sein scheint. Nicht nur die
Gesundheit habe ich verloren, mir fehlen auch das Wissen, die Heilmethoden
und die Heilmittel, über welche die gesunden sog.Experten verfügen.
Unter dieser interpersonellen Spaltung gibt es aber auch eine intrapersonelle
Spaltung:
Patient
Arzt
intrapersonale Spaltung
innerer Heiler
innere Verwundung
Der Patient und zunächst mal auch der Arzt ist von seinem Unbewußten in der Regel
abgeschnitten.
Das individuelle Abgeschnittensein vom Unbewußten bedeutet, daß der Patient
nicht die eigene Heilerseite und der Arzt nicht die eigene Verwundungsseite
spürt (Beispiel O.Sacks).
"Nur wo der Arzt selber getroffen ist, wirkt er. Nur der Verwundete heilt. Wo
aber der Arzt einen Persona-Panzer hat, wirkt er nicht."(JUNG 1962)
In der metaphorischen Sprache der Alchemie werden diese Spaltungen, die zu
beginn einer Therapie bzw. eines zwischenmenschlich bedeutsamen ZweiPersonen-Prozesses am Werke sind als massa confusa, als Chaos usw.
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beschrieben, in denen die ungeläuterten Vermischungen das opus magnum
erforderlich machen.
Unter dem Aspekt des konstellierten Heiler-Archetyps bedeuten diese
Spaltungen eine Aufteilung:
der Therapeut, Analytiker , Arzt erscheint als allmächtig, stark, gesund und
kräftig, der Patient dagegen als passiv, abhängig,
hilflos und zur
Unterwürfigkeit neigend. Tatsächlich bestehen diese interpersonellen
Spaltungen aber auch intrapsychisch, d.h. in jedem der Beiden. Wenn der
Analytiker oder Therapeut innere Wunden hat - und zweifellos hat er solche dann trennt man sich von einem Teil der inneren Welt ab, wenn man sich als
völlig gesund oder mehr oder weniger gesund präsentiert ( was wiederum
notwendig ist für die Konstellierung des Archetyps des Heilers). Wenn der
Patient dementsprechend ausschließlich als krank betrachtet wird, schneidet man
ihn von seinem inneren Heiler oder der Fähigkeit, sich selbst zu heilen, ab.
Tatsächlich hat der Patient das ja schon getan, sonst käme er ja gar nicht zum
Therapeuten/Heiler.
Sobald jemand krank ist, tritt dieses innere Bild des Gegensatzpaares HeilerVerwundeter in Aktion. Um die Behandlung in Gang zu bringen, wird der
Heiler anfänglich auf den Analytiker/Arzt projeziert. Im Folgenden geht es dann
darum, daß der Patient diese Projektion zurücknimmt, damit die eigenen
gesunden Fähigkeiten eingesetzt werden. Umgekehrt projeziert auch der
Analytiker zu Beginn seine verwundete Seite auf den Patienten, damit er
Sympathie und Verständnis empfinden kann und so zu helfen bereit wird. Er
muß ebenfalls diese Projektionen zurücknehmen, um die Fähigkeit des
Patienten, gesund zu werden, freizusetzen. Das impliziert, daß der
Analytiker/Arzt mit seiner inneren Verwundung, seinen inneren Verletzungen in
Berührung bleibt. Dieser Prozess kann sich im Laufe einer Analyse/Behandlung
immer aufs Neue wiederholen.
Die persona medici dient vor allem - neben den narzißtischen Gratifikationen
des "Gottes in weiß" - dazu, die Induktion oder Infektion durch den Patienten
und dessen Krankheit vermeiden zu wollen.
Induktion/Infektion
Patient
Arzt
UBW
UBW
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Verwandte Begriffe bei JUNG bzw. ähnliche Begriffe: Induktion, Infektion ,
Affiziertsein, Einfühlung, projektive Identifikation, participation mystique,
unbewußte Identität, archaische Identität.
Diese Induktion konstelliert die analytische oder therapeutische Beziehung
zwischen Patient und Therapeut, d.h. durch dieses Affiziertsein des Einen durch
den Anderen entsteht eine Beziehung zwischen Menschen, die der Erforschung
des Inneren dient - und zwar des Inneren der beiden Beteiligten.
CONJUNCTIO
Quaternio-Modell
Patient
UBW
Innerer
Heiler
Arzt/Therapeut/Heiler
UBW
Verwundung
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vas hermeticum
Patient
Therapeut
Feuer
Patient
Therapeut
mare nostrum
massa confusa
aqua permanens
mare tenebrosum
analytisches Kind
mixtum compositum
CONJUNCTIO
Quaternio-Modell
Patient
UBW
Innerer
Heiler
Arzt/Therapeut/Heiler
UBW
Verwundung
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Jung ist auf die geniale Idee gekommen, die Alchemie und ihre Metaphern für
ein Verständnis des Zusammenspiels interpersoneller Verbundenheit und
innerpsychischerAktivität zu verwenden. Die Psychologie der Alchemie
beschreibt sowohl einen Zwei-Personen-Prozess (keineswegs nur den innerhalb
einer Analyse, sondern allgemeingültig für alle intensiven zwischenmenschliche
Begegnungsformen) und einen Individuationsprozess innerhalb eines Menschen.
Wenn man so will, kann man die Alchemie sowohl objektstufig als auch
subjektstufig betrachten. Das beinhaltet auch die Notwendigkeit, Inhaltsanalyse
und Prozessanalyse gleichzeitig und gleichwertig im Auge zu haben.
Allerdings spricht die Alchemie in verklausulierter Sprache, in einer Sprache, in
der die Alchemisten ihnen unbewußte Denkvorgänge in die Materie und die
Prozeduren der Bearbeitung dieser Materie hineinprojezierten. Es handelt sich
somit auch um damals unbewußte, heute entschlüsselte Imaginationen
interpersoneller Verbundenheit und innerpsychischer Aktivität. Daher haben die
Bilder der Alchemie eine Verbindung zum mundus imaginalis, oder wie auch
gesagt wird,handelt es sich um den Bereich des feinstofflichen Körpers, des
sogenannten dritten Bereichs.
Für Jung war die Alchemie deshalb so fasznierend, weil sie die "merkwürdige
Verwandlungsfähigkeit der menschlichen Seele ausdrückt". Er fand in ihr einen
Vorläufer seines eigenen Individuationskonzepts und er bemerkte, daß die
Alchemie in der Metapher der conjunctio ein Konzept für
Übertragungsvorgänge besaß.
Was machten die Alchemisten? ( siehe "opus magnum" im Lexikon der
Alchemie).
Der Alchemist arbeitete gleichzeitig an der Seele in der Materie und an den
Materien in seiner Seele; dabei wurde vermutet, daß die Seele aus dem
materiellen Gefängnis freigesetzt werden muß, in das die Natur sie
eingeschlossen hat. Die ganze Prozedur ist subversiv, d.h. ein Werk gegen die
Natur, ein opus contra naturam, eine Freisetzung des Sinns aus der materiellen
und körperlichen Welt. Nichts anderes geschieht in einer Analyse auch, wenn
Therapeut und Patient an das Werk gehen, die Ursache und den Sinn einer
Neurose zu entdecken und herauszufinden, was und wie das darin eingesperrte
seelische Wachstum freisetzen könnte. "Was der moderne Therapeut im
Menschen sieht, sahhen die Alchemisten in metallischer Form"(Samuels)
Betrachten wir die alchemistische Metapher angewendet auf Therapie und
Analyse :
Der zentrale Begriff ist die conjunctio , der sich darauf bezieht, daß sich im vas
hermeticum die unterschiedlichen Elemente paaren und vermischen. Dazu
wurden die Elemente am Anfang, die massa confusa oder prima materia
entsprechend ihrer Kombinationsmöglichkeit ausgewählt, die man sich als
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Gegensätze vorstellte, deren Vermischung ein neues, drittes Produkt
hervorbringen würde: das ist die conjunctio. Diese Elemente wurden häufig als
männliche oder weibliche Figuren dargestellt, deren sexuelle Vereinigung die
conjunctio repräsentieren sollte. In der Analyse finden wir diese Metapher
wieder:
1. Die Interaktion des Analytikers mit seinem analytischen Gegenteil,dem
Patienten und umgekehrt
2.Trennung und Verbindung der miteinander in Konflikt liegenden
Elemente innerhalb der beiden Psychen
3.die conjunctio dieser beider Psychen: persönliches Bezogensein und
innerpsychische Prozesse
4. Integration der unbewußten Anteile der Psyche in das Ich des Patienten
und des gleichen Prozesses beim Analytiker
5. Das alles findet im analytischen Gefäß, Rahmen, Setting, in der
analytischen Beziehung, im Laboratorium (Oratorium) des Analytikers
statt. Vas hermeticum ist die beste Metapher für den vollständig
geschlossenen Raum der analytischen Beziehung, in die nichts Fremdes und
Drittes hineinkommen sollte (Idealtypischerweise).
6. Die Conjunctio der sinnlichen, gegenständlichen, körperlichen Welt mit
der geistigen Dimension ( siehe z.B. Psychisierung körperlicher Symptome, die
ja meistens die Patienten in die Therapie bringen).
Ein weiterer wichtiger Gedanke ist die Wandelbarkeit der Elemente.
In der Alchemie arbeitet der Adept oft mit einer anderen realen opder geistigen
Person zusammen, seiner soror mystica. Hat das nicht viel Ähnlichkeit mit der
Vorstellung einer anima, die als Beziehungsfunktion zwischen Ich und
Unbewußten beim Analytiker entwickelt sein sollte, mit der er aber keineswehgs
identifiziert sein sollte?
Die Stufen des alchemistischen Prozesses lassen sich auch in analytischen
Prozessen wiederfinden:
nigredo
albedo
rubedo
nigredo kann z.B. sich zeigen in einem dunklen, schweren Traum, mit dem der
Träumer anfangs nichts anzufangen weiß oder der ihn in depressive
Stimmungen, ja in Verzweiflung und Aussichtslosigkeit stürzen kann. Oft geht
einer inneren Wandlung eine Depression voraus. Oder das Ende der
Flitterwochen zu Beginn einer Analyse wird durch eine Einschwärzung der
hochfliegenden Gefühle bei Analytiker oder /und Patient angezeigt.
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Die albedo ist die Weißung, d.h. die Bewußtwerdung unbeußter Inhalte.
Analyse ist somit gekennzeichnet als ein dialektischer Prozess, der sich im Hin
und Her von Polaritäten, Widersprüchen, Konflikten intra- und interpsychischer
Art vollzieht.
Analyse als archetypischer Prozess: Der Weg
Es gibt viele Möglichkeiten, Therapiegeschehen zu beschreiben:
tiefenpsychologische,
ethnologische,
soziologische,
philosophische,
sprachwissenschaftliche Zugänge bieten vielfältige Beobachtungs- und
Beschreibungskategorien. Ich möchte hier zunächst Psychotherapie/Analyse als
Verlebendigung und Inkarnieren eines Archetyps beschreiben, nämlich des
Archetyps des Weges.
In der Urgeschichte tauchte der Archetyp des Weges zum erstenmal beim
Eiszeitmenschen auf. In einem weitgehend noch unbewußten Ritual führte der
Weg in Höhlen von Bergen, in deren verborgenem und schwer erreichbarem
Inneren Heiligtümer mit Tierbildern angelegt wurden, von deren Erlegung ihre
Existenz abhing. Diese Bilder sowie die Höhlen hatten magisch-sakrale
Bedeutung. Der schwere und gefährliche Weg zu diesen Heiligtümer gehörte
mit zu der rituellen Wirklichkeit der Bergtempel.
Auf späterer Kulturstufe und bei entwickelterem Bewußtsein wird dieser
Archetyp des Weges zum bewußten Ritual-Weg, der zum Beispiel in der Anlage
von Tempeln den Verehrenden zwingt, einen rituellen Weg von der Peripherie
bis zum Zentrum des Heiligtums zu gehen, und so das Weg - Ritual zu
vollziehen. Prozessionen gehen auch heute noch diesen Kollektivweg des
Rituals zum Heiligtum. Der Leidens-Weg Christi ist eine weitere und andere
Form dieses Archetyps, in ihm wird der Schicksalsweg zu dem der Erlösung,
und mit seinem bewußten Ausspruch „Ich bin der Weg“ erreicht diese
Ausprägung des Weg-Archetyps eine neue, nun schon ganz innerliche und
symbolische Stufe. Die Imitatio Christi beinhaltet die Nachfolge - Haltungen, in
denen der christlich innere Weg nachgegangen wird.
Der Schicksalsweg des Oedipus ( übrigens wunderbar nachvollzogen in
Pasolinis Oedipus-Film) ist dagegen ein Weg des Scheiterns, wenn man vom
Ende des Weges des Oedipus (er wird entrückt in Begleitung von Theseus)
absieht.
Den Signaturen des Archetyps des Weges begegnen wir auf Schritt und Tritt. So
sprechen wir von einem „inneren Weg der Entwicklung“, von Begleitsymbolen
wie „Orientierung“ und „Orientierungslosigkeit“, in Politik oder Kunst sprechen
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wir von „Richtungen“.(nach NEUMANN). In der jungschen Psychologie
sprechen wie bevorzugt vom Individuationsweg eines Menschen und haben
damit eine Metapher, ein Bild zur Verfügung, das jeder Mensch erfährt. Um das
ganz deutlich zu sagen: jeder Mensch ist auf einem Individuationsweg, nicht
nur, wie das manchmal bei einer elitären Auffassung hervorlugt, Auserwählte
oder Eingeweihte oder besonders Begabte. Dieser Gedanke ist mir sehr wichtig,
da er eine für mich unabdingbare Grundhaltung des Analytikers/in
kennzeichnet: die möglichst vollständigste Achtung des Patienten und seiner
Wege, die er gegangen ist, auch wenn diese Wege in neurotische oder
krankmachende Konflikte geführt haben. Die Frage ist immer nur, mit wieviel
Bewußtheit ein Mensch seinen Individuationsweg geht.
Einteilung von Phasen:
1. Initialphase
2. Latenz-/Erprobungsphase, Empfängnisraum / Konstellierung
Grundkonflikte
3. Phase der negativen und/oder positiven Regression
4. Individuationsphase
der
1. Die Initialphase
Wenn ein „Wegsuchender“ zum/r AnalytikerIn sich begibt, ist der Archetyp des
Weges konstelliert. Dabei kann diese Konstellation in unterschiedlichem Maße
bewußt sein. Ein Patient, der von einem Arzt geschickt wird, verfügt
möglicherweise über wenig Einsicht in seine „Wegsuche“, möglicherweise
nimmt er nur Symptome wahr. Krankheitseinsicht bedeutet also Bewußtsein
über die Notwendigkeit einer Wegfindung, einer Wegsuche, bedeutet das
Eingeständnis der Orientierungslosigkeit und ist der Ruf nach einem
Wegbegleiter, oft nach einem Wegführer.
Diese Anfangssituation legt fast zwingend bestimmte Einstellungen und
Verhaltensweisen bei Wegsuchendem und Wegbegleiter nahe.
So wird man sich erstmal umschauen: an welchem Ort steht der Wegsuchende?
Ist es eine Sackgasse? Teilt sich der Weg ? Gibt es Licht oder herrscht
Dunkelheit? Ist der Weg frei und fürchtet sich der Wegsuchende vor dieser
Freiheit? Ist der Weg versperrt - vielleicht durch andere oder durch äußere
Bedingungen? Ist der Wegsuchende erschöpft, weil er zu lange mit dicken
Lehmklumpen an den Füßen gelaufen ist? Was ist mit seinen Füßen, seiner
Erdung? Wohin geht sein Blick, in welche Richtung schreitet er aus? Hat er eine
Karte, ist ihm ein sein Plan bewußt? Also das, was man aktuellen Befund
nennt.
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Woher kommt der Wegsuchende? Welchen Weg ist er bisher gegangen?Wo ist
er ins Stolpern geraten? Blieben Teile von ihm irgendwo, wo er gestürzt ist
(traumata), liegen? Hat er einen Rucksack dabei, in dem Verborgenes,
Unentwickeltes steckt? Wem ist er auf seinem Weg bisher begegnet ? Eltern,
Geschwister, Lehrer, Freunde, Freundinnen, Kollegen usw. ? Also Anamnese.
Die Betrachtung des Analyseanfangs als Anfang eines Weges bewirkt unter
günstigen Umständen, daß die beiden Dialogpartner zunächst einmal stehen
bleiben, sich dieses Stehenbleiben auch gönnen und nicht rastlos und hektisch
hin und herlaufen, sondern innehalten und sich umschauen. Ein solcher Umgang
mit dieser Anfangssituation kann das Klima und die Atmosphäre in einer
Analyse auf förderliche Bahnen lenken.
Von einem energetischen Standpunkt aus begreift JUNG eine Neurose als eine
Stockung des Lebensflusses und sieht das Ziel in einem erneuten Strömen der
Libido, des Lebensflusses. Aufgrund dieser Stockung besteht zu Beginn das ,
was JUNG dem alchemistischen Verständnis von Wandlungsprozessen
abgelauscht hat: die „nigredo“, oder „massa confusa“, „chaos“ (Gott des
Anfangs) oder „prima materia“.
Jeder dieser Begriffe legt einen anderen Akzent auf die Anfangssituation.
„Nigredo“ bedeutet vor allem Schwärze, Dunkelheit, Unbewußtheit. „massa
confusa“ weist auf Verwirrtheit hin, auf Verbindungen und Verknüpfungen im
Bewußtsein des Wegsuchenden, bei denen man als Gegenüber das Gefühl hat,
daß irgendwas nicht stimmt, also daß man mit der Komplexsicht des Patienten
konfrontiert ist. „Chaos“ ist in der griechischen Mythologie der Gott des
Anfangs, Chaos ist der klaffende, leere Raum; bei Hesiod gehen aus dem Chaos
Erebos(die Unterwelt) und Nyx (die Nacht) hervor ( während man später in
naturphiosophischer Spekulation in Eros den alles gestaltenden Gott sah, der aus
dem Chaos den Kosmos schuf.) So wird die Angst vor den Gefahren des Weges
vielleicht verständlicher sein, enn man sich die dahinterstehende Mächte
deutlich macht.
„Prima materia“ legt dagegen den Akzent auf das ( psychische) Material, in
dem alles, das Ganze und das Eine, die schwer erreichbare Kostbarkeit, etc., von
Anbeginn enthalten ist .
Diese „prima materia“ muß in ein Gefäß, in das vas hermeticum, das
abgeschlossene Gefäß, das wir in moderner Sprache den analytischen Rahmen
nennen.
Dieses Gefäß muß nach außen abgeschlossen sein, damit die materia drinnen
gekocht werden kann. Der Umgang des Patienten mit diesem Gefäß kann uns
dabei wichtige Aufschlüsse über seinen Stand, seine Entwicklung geben.
Benutzt er es als Abfalleimer, in den er all sein Chaos hineinstopft, um es
loszuwerden und macht er den AnalytkerIn dadurch zum Container für seine
abgespaltenen, unverdaulichen Anteile? Benutzt er es als einen Ofen oder Topf,
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in den er sorgsam auswählend die Zutaten hineinbegibt? Benutzt er es/ihn als
Kloschüssel zum Vollscheißen? Krümelt er nur spärlich ab und zu etwas hinein?
Wirft er das Meiste daneben? Die Assoziationen und Bilder, die einem dazu
einfallen, stehen alle in Verbindung mit dem Zentralsymbol des
Mutterarchetyps, dem Gefäß: einerseits wird der Umgang des Patienten mit
diesem Gefäß zu Beginn der Analyse vom Wiederholungszwng der frühen
Muttererfahrung bestimmt; andererseits zeigt sich in diesem Umgang auch das
Defizit, der Mangel des Patienten an mütterlicher Symbiose.
Beim Eintritt des Patienten in den analytischen Raum gerät der Patient oft in
eine Krise und sieht sich gezwungen, seine Gründe für den Eintritt in diesen
Raum zu überprüfen. Nicht selten entsteht der intensive Wunsch zu fliehen.
Daher sind hier die haltenden, schützenden mutterspezifischen Haltungen des
Analytikers gefragt und konstellieren sich meistens auch automatisch. Unter
dieser Bedingung fühlt sich der Patient dann auch oft stark genug, sich der
„Zerstückelung“ in der Analyse auszusetzen. Der Beginn einer Analyse scheint
daher oft durch den Elementarcharkater des Weiblichen geprägt zu sein, der
überall da evident wird, wo wir es noch mit einem kleinen, schwachen Ich zu
tun haben und das Unbewußte dominiert (Neumann). Der negative
Elementarcharkater des Weiblichen zeigt sich dabei oft in Form des
Wiederholungszwanges in der Symptomatik des Patienten, in der die
dynamischen Kräfte des Patienten immer wieder in den eigenen Kreis ewiger
Wiederholung zurückgebogen werden. Natürlich hängt das Ausmaß der
Dominanz der Großen Mutter vom Reifegrad des Ichs des jeweiligen Patienten
ab.
Wenn wir von Initialphase sprechen,liegt es nahe, den Beginn einer Analyse als
Initiationsritus zu betrachten. Nach Arnold van Gennep und Victor Turner, den
beiden bedeutendsten Forschern über Rituale, bestehen Rituale aus heiligen,
kulturellen, nicht profanen (Sprech)Handlungen, die einen Orts-, Zustands-,
Positions- und Altersgruppenwechsel rituell begleiten. Genau dies soll ja in
einer Analyse geschehen: der innere Ort des Patienten und damit seine
Perspektive auf seine innere Landschaft soll sich positionell verändern, der
Zustand der blockierten oder festgehaltenen Libido soll aufgelöst werden, er
soll sich altersmäßig fortentwickeln aus infantiler oder adoleszenter
Zugehörigkeit oder gegebenenfalls in seiner Altersgruppe ankommen (z.B. die
Leugnung der Lebensmitte).(Beispiele: Gipsbett-Pat., Frau W., depressiver
Pat.HerrP.)
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Die Analyse ist ein Übergangsritus. Dieser weist drei Phasen auf:
die Trennungsphase
die Schwellenphase
die (Wieder)Angliederungsphase.
Wenn ein Patient in die Hütte des Schamanen/Analytikers kommt, separiert er
sich räumlich, zeitlich und sozial. Er verläßt sozusagen sein „Dorf“, seine
Angehörigen , verbringt neue Zeit in einem gänzlich andersartig strukturiertem
Dialograum, er löst sich von den bisherigen kulturellen Sprechgewohnheiten.
Ein dabei häufiger auftretendes Phänomen ist bei Patienten mit mangelnden
triadischen Beziehungsfähigkeiten, daß sie sich von einem Partner trennen oder
- in der Projektion auf einen idealisierten Analytiker Elternbilder mit einem
Schlage rauswerfen (siehe auch Psychoszene- Kontaktverbot mit Eltern u.ä.)
Dies sind Anzeichen für frühe Störungsanteile und Spaltungstendenzen.
Andererseits kann diese Trennungsphase von starken Widerständen begleitet
sein, in denen der Patient auf seiner bisherigen Sichtweise bestehen bleibt. Er
weigert sich , das rituelle Subjekt zu werden und haftet an den vertrauten
Bahnen seiner Neurose.(besonders häufig und auffällig bei Zwangsneurosen)
Eine sehr große Rolle beim Beginn einer Analyse spielen der Initialtraum bzw.
die Initialträume des Patienten. Im Initialtraum zeigt sich, ob das Unbewußte des
Patienten auf das analytische Angebot anspricht, ob das Unbewußte sozusagen
bereit ist, sich in das angebotene vas hermeticum hineinzubegeben. Der
Initialtraum gibt
- Hinweise auf die Diagnose der psychischen Störung bzw. auf die
zugrundeliegende Komplexkonstellation
- Hinweise auf die Entwicklungsmöglichkeiten des Patenten und erlaubt so
prospektive und prognostische Einschätzungen
- Hinweise an den Therapeuten: womit beginnen? Wünsche des Patienten an
die Therapie und den Therapeuten, auch von der unbewußten Seite des
Patienten her.
- Insgesamt bilden die Initialtraüme eine "Orientierungs- oder Landkarte"
(Adam) für die geplante Therapie oder für den ersten Abschnitt einer
Therapie. (Im weiteren Verlauf einer Therapie kann es zu weiteren
Initialträumen kommen, wenn eine neue Phase, ein neuer Komplex, eine
neue Übertragungssituation engeleitet werden soll.)
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Beispiele:
Pat.A. (28.Std.) : "Ich lief durch eine menschenleere
Stadt. Ich war in einem Zug und in der U-Bahn,
auch dort war alles menschenleer.
Dann ging ich auf einem Saumpfad im Gebirge.
Links und rechts ging es steil bergab.
Plötzlich stand ich wie erstarrt. Jemand kam auf
mich zugeritten, auf einem Pferd. Pferd und Reiter
stürzten vor meinen Augen ab. Jemand packte mich
von hinten und hielt mich."
Pat.B. „Eine liebe alte Frau, die alle sehen können,
sagt zu mir: Vergiß nicht dem Herrn Schwind zu
sagen, dich ernst zu nehmen mit deinen Ängsten und
Nöten, wie schwer dir alles fällt.“
„Ich bin im Linienbus, es ist voll, ich fühle mich
unwohl wegen der Hektik und dem Gedränge. Ich
erreiche einen Sitzplatz, aber es ist sehr
beklemmend. Sie legen Ihre Hände auf meine
Schultern. Wir hatten ein stilles Einverständnis: hier
versteht jemand, was läuft. Im Bus war es zu laut, zu
unbezogen, ein Nebeneinander von Menschen.“
„Ein Hund, Straßenköter, in erbärmlichem Zustand.
Trotzdem ist er zutraulich geblieben.“
„Ein Hund lief rum, auf der Suche nach etwas zu
essen. Er war vergnügt, es war gutes Wetter. Dann
kommt er an ein Erdloch, mit etwa 1m Durchmesser.
Er sitzt am Rand und guckt rein. Ein kaltes Loch,
feuchte modrige Kälte, feuchte Erde. Das Loch
wurde immer größer. Plötzlich war es dunkel,
graublauer
Himmel.
Eine
märchenhafte,
unheimliche, gespenstische Atmosphäre. Ein großer,
schwarzer, abnehmender Mond, eine Sichel, war da.
Auch der Hund wurde größer, zotteliger. Er fühlt
sich anders an:er könnte den Mond anheulen.“
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Pat.C.(1.Std): "Ich habe mir eine Uhr in einer
Blechdose gekauft, darin sind kleine
Goldfische. Am nächsten Morgen sind alle
Fische tot, weil das Wasser verdampft ist.
In einem Aquarium sind getigerte Fische,
Kampffische. Kampfangriffe auf mich
bedrohen mich, aber ich war beruhigt wegen
der Aquariumsglaswand. Hinter mir ist aber
jemand, der mich warnt. In dem Moment
springt ein Fisch aus dem Aquarium und will
mich in den Fuß beißen, was lebensbedrohlich
ist.
Ein roter Oldtimer-Lastwagen rollt einen Berg
runter und hat keine Bremsen mehr."
(165.Std.): "Ein Begräbnis.. Das Begräbnis
einer Frau. Große Kathedrale. Im Innern. Die
tote Frau ist hoch aufgebahrt, unter weißen
Tüchern und Decken. Drumherum die
Trauergemeinde. Jemand fährt langsam und
gemessen einen Rollwagen, auf den die Tote
gelegt werden soll, durch den Mittelgang.
Plötzlich, auf den Schultern von vier
Sargträgern, richtet sich die Tote auf. Sie war
noch gar nicht gestorben. Im Umkreis ein
Aufschrecken, allgemeine Verwunderung,
keine Panik.
Ich bin an der Frau sehr interessiert, will ihr
helfen. Sie muß vor ihrem Tod sehr krank
gewesen sein und ist es noch. Ich hole sie aus
ihren unzähligen Tüchern. Irgendwo ist mein
Vater. Die Frau ist nackt, sie steht auf, ich
nehme sie an die Hand und wir gehen durch
ein Seitenschiff Richtung Ausgang."
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Ich sprach oben davon, den therapeutischen Prozess auch als Ritual zu
betrachten. Dieses Verständnis unterscheidet die jungsche Therapie sehr von
der freudschen Variante, wo an dieser Stelle von "Arbeitsbündnis" und
"Grundregel" (freies Assoziieren) die Rede ist. Natürlich gibt es auch Jungianer,
die am Beginn einer Therapie allerlei Regeln einführen; z.B. einer der
beliebtesten ist, daß der Patient seine Träume aufschreiben und eine Kopie dem
Therapeuten geben soll.
Wichtig scheint mir hier zu sein, daß jeder Analytiker gemäß seinen
Möglichkeiten, aber auch unter Beachtung des archetypischen Hintergrundes
Regeln aufstellen kann. Ich persönlich halte es damit, sowenig wie möglich an
Regelung vorzugeben, d.h. ich teile nur mit, daß eine Stunde 50 Minuten dauert
und teile meine Urlaubszeiten mit, an die der Patient sich halten soll, aber nicht
muß. Mir ist daran gelegen, die Verantwortung des Patienten für seine Analyse
zu stärken, zu fordern und zu fördern.
2. Latenz-/Erprobungsphase/ Konstellierung der Grundkonflikte
Ist die Initialphase häufig dramatisch und gibt erste tiefe Einblicke in die
Individuationssituation des Patienten, so verläuft die 2.Phase einer Therapie
häufig ruhiger, leiser. Die oft überraschende Tiefendimension der Initialphase
erfährt nun in der zweiten Phase eine Ebenenverschiebung hin zu den wichtigen
Beziehungsfragen, die der Patient testend an den Therapeuten stellt:
Wer bist du ? Wie bist du ? Was ist hier anders ?
Das Ich des Patienten versucht sich im bewußten Kontaktbereich zu sichern und
den Therapeuten auf seine Tragfähigkeit hin zu überprüfen. Dabei lassen sich
sehr unterschiedliche Beziehungssituationen charakterisieren;
einige Beispiele/Aspekte.
 Bei Patienten mit stärkeren Selbstwertstörungen, insbesondere auch bei
starken Minderwerttigkeitskomplexen dauert diese Erprobungszeit oft länger;
sie können die Wertschätzung des Therapeuten - so sie denn vorhanden ist lange nicht glauben und nicht annehmen.
 Beziehungsangst kann zu einem stetigen Rückzug des Patienten führen, bei
dem der Patient nur auf einen Anlass wartet, die Therapie abzubrechen,
bevor sie richtig beginnt.
 Bei Patienten mit einm schwachen Ich und bei Patienten mit schweren
Traumatisierungen kann es zu Überflutungen aus dem Unbewußten
kommen, sodaß die Gefahr besteht, daß das analytische Gefäß überkocht
oder es überfüllt wird und zu zerberechen droht. Wichtig ist hier die richtige
Dosierung des Feuers unter dem analytischen Gefäß.
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 Zwanghafte Patienten stellen große Anforderungen an die Geduld des
Therapeuten, da sie nur
äußerst spärlich sich in die Beziehung
hineinbegeben.
 Verführungen aller Art werden in dieser Zeit inszeniert, um die Festigkeit
oder Manipulierbarkeit des Therapeuten zu prüfen.
 In dieser Testphase werden die sog. Widerstandsphänomene sichtbar und
bearbeitbar: flüchtet der Patient oder wendet er sich seinen Konflikten und
Komplexen zu? Engt der Patient sich angstvoll ein oder kann er sich im
Schutze der tragenden therapeutischen Beziehung öffnen? Welcher Art sind
die Abwehrmechanismen ? Dabei ist immer zu beachten, daß Widerstand
gegen die Bewußtmachung unbewußter Inhalte meistens nicht nur ein
bequeme Abneigung gegen Veränderung ist, sondern eine tiefe Angst den
Widerstand bedingt. Die Angst und der dazugehörige Widerstand haben die
wichtige Funktion, das meist schwache Ich vor der Bedrohung oder
Überwältigung durch unbewußte Inhalte zu schützen.
 Ein häufiges Widerstandsphänomen ist die einseitige und oft auch
gegenseitige Idealisierung von Patient und Therapeut, die dahinterliegende
Aggresion oder Neid abwehren soll. Die bewußte Idealisierung wird dabei
häufig durch Entwertungen im Unbewußten, z.B. in Träumen, aber auch
durch Agieren (z.B. zu spätkommen, nicht abmelden o.ä.) kompensiert.
 Auf die Schwierigkeiten der Triangulierung habe ich schon hingewiesen. Die
Intensivierung der Beziehung zum Therapeuten wird häufig und bei
Therapeuten, die selbst schlecht triangulieren können, dadurch erkauft, daß
andere Bezugspersonen des Patienten aus dessen Beziehungsgeflecht
herausgeworfen werden (Trennung von Partner, Kontaktabbruch mit Eltern
o.ä.)
In dieser Erprobungsphase pendelt sich auch das Nähe-Distanzverhältnis von
Patient und Therapeut ein:
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Participation mystique
Konflikt/Gegensatz
K
Reifes Beziehungsmodell
K
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Diese flexible analytische Nähe- und Distanzregulierung ist gleichzeitig auch
ein Modell der Nähe- und Distanzregulierung zwischen dem IchKomplex/bzw.Bewußtsein und dem Unbewußten. Die Beziehung zwischen
Subjekt und Objekt , zwischen Patient und Therapeut wird zum Modell für die
Beziehungen des Subjekts, des Patienten in sich selbst. Dies ist auch eine
Voraussetzung dafür, daß der Patient auch nach der Analyse ein solch flexibles ,
kommunikationsförderndes Modell bewahrt, das ihn befähigt, nach Abschluß
der Analyse die Beziehung zu seinem Unbewußten aufrechtzuerhalten und sich
weder von den daraus aufsteigenden Inhalten überfluten zu lassen noch in die
Situation einer Gegnerschaft oder Isolation dem Unbewußten gegenüber zu
geraten.
In der analytischen Therapie mit Kindern, aber auch mit Erwachsenen kann man
die Erprobungsphase auch als Empfängnisraum charakterisieren. Nicht selten
treten Geburtsbilder, Schwangerschaftssymbolik, Urelemente u.ä. in der
symbolischen Traumarbeit auf und vermitteln beiden, Patient wie Analytiker ein
Gefühl der Zeugung oder der Empfängnis. Der geistige temenos der Behandlung
ist befruchtet. Ich halte es für wichtig, diese Empfängnissituation , wenn nicht
unbedingt nötig, nicht zu thematiseren. Das Geheimnis der Schwangerschaft
besteht in dem averbalen Kontakt.
Nicht selten tauchen Bilder des Ankommens auf, um das Ende der Testphase
und das gelingende Vertrauenfassen anzuzeigen.
Beispiel: Pat. A. (40.Std.): "Ich steig allein in
ein Bergwerk ab, über Leitern und Treppen.
Es war sehr dunkel, aber ich hatte keine
Angst, obwohl ich nicht richtig sehen konnte.
Unten war es hell. Am Fuß des Berges bin ich
wieder rausgekommen. Es lag Schnee und
war kalt. Dann stieg ich wieder nach oben,
den Berg hoch, jemand war mit mir. Oben auf
dem Berg war eine Hütte. Ich bin völlig
erschöpft in der Hütte angekommen."
Schließlich konstellieren sich im Zusammenhang mit der beginnenden
Übertragung in dieser Phase die zentralen, negativ dominierten Komplexe des
Patienten, die zugleich auch immer das Thema der Aggression in allen seinen
Schattierungen mit sich bringt. Denn in der Regel leidet der Patient - sofern es
sich nicht um eine narzißtische Störung oder eine Verwöhnungsdepression
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handelt - unter den negativen, destruktiven Wirkungen persönlicher Mutteroder Vaterkomplexwirkungen.
3. Phase der negativen und/oder positiven Regression
Im Schutze der haltenden, gesicherten Patient/Therapeut-Beziehung entwickelt
sich - ausgehend von der Belebung der persönlichen Komplexebene
(Vater/Mutterkomplex) - die archetypische Dynamik insbesondere der
negativen archetypischen Wirkfelder. Die negative Regression ist dabei
verbunden mit der Energetisierung der Schattenbereiche des Patienten.
BildZ
Der Sinn der negativen Regressionsprozesse besteht darin, zu den beschädigten
Strukturen vorzudringen, um eine Enantiodromie, d.h. ein Umschlagen von den
negativen zu den positiven Elementen des archetypischen Wirkfeldes zu
ermöglichen. Entsprechend dem zentralen Polaritätsprinzip ereignet sich in der
Regression immer wieder das Hervorbringen der Ganzheit. Daher finden sich in
den tiefsten Phasen der Regression auch immer wieder Bilder des Selbst und der
Gegensatzvereinigung, die den Auftakt zur Progression und zur Rückkehr aus
der Nachtmeerfahrt bilden. Dabei werden die konstellierten und energetisch
aufgeladenen positiven Elemente des Archetyps mitgenommen.
Anstelle des verschlingenden oder festhaltenden matriarchalen Aspektes zeigen
sich nun Andeutungen des gebärenden, freigebenden und wachstumsfördernden
Aspekts des Mutterarchetyps. An Stelle des kastrierend und destruktiv
Übermächtigen des negativen Vater-Archetyps entwickelt sich ein kreativ
ordnendes Prinzip.
Eine ganz zentrale Rolle in diesem Regressions/Progressionsprozess spielt die
transzendente Funktion als Mittel der Selbstregulation der Psyche.
Der Analytiker hat in diesem Regressionsprozess eine Reihe von Aufgaben und
Haltungen zur Verfügung zu stellen, die in der Praxis nicht leicht zu
bewerkstelligen sind:
 Er muß die Festigkeit des vas hermeticum sicherstellen. Dies ist keine in
erster Linie technische Frage, sondern beinhaltet, daß der Therapeut einen
guten Ausgang des Unternehmens innerlich spürt, für möglich hält und den
Patienten tatsächlich nicht im Stich läßt. Entscheidend ist, ob der Therapeut
selbst genügend Erfahrung mit seinen eigenen Abgründen hat. Ein alter
Spruch dazu ist, daß der Patient nur soweit kommt, wie der Therapeut selbst
gekommen ist.
 Die Begleitung des Patienten durch den Therapeuten kann sehr verschiedene
Formen annehmen. Eine der wichtigsten ist sicherlich die Deutung des
unbewußten Materials. Darüber liesse sich vieles sagen, z.B. über das
richtige Timing von Deutungen, über den Differenziertheit der Deutung, über
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die Vollständigkeit von Deutungen usw. Mir besonders wichtig ist, daß der
Therapeut die via Gegenübertragung gewonnenen kognitiven und
emotionalen Informationen über den Patienten verwendet. Erst durch eine
lange Zeit der Erlebens und des Sich-Bewußtmachens der Gegenübertragung
ist genügend Einfühlung möglich, die auch eine Deutung erlaubt, die nicht
emotionslos vom Therapeuten kommt. Emotionslose Deutungen bewirken
m.E. nämlich gar nichts, sondern sind eine intellektuelle Verkürzung. Erst
wenn die innere Beteiligung des Therapeuten in der Deutung mitschwingt,
auch mitschwingen darf, entsteht eine Resonanz im Patienten, die eine
Deutung eventuell als evident erleben läßt.
 Deutungen finden auf verschiedenen Ebenen statt:
- Deutung auf der Objekt/Subjektstufe
- Prospektive/reduktive Deutung
- Übertragungs/Gegenübertragungsdeutung
4. Individuationsphase
Zum Schluß unserer Betrachtung des Prozessverlauf von Therapien müßte ich
nun auf die Abschlußphase zu sprechen kommen. Offen gesagt - ich weiß nicht,
wann eine Analyse beendet ist. Natürlich gibt es klare Fälle, insbesondere dort,
wo es um die reduktive Auflösung neurotischer Stockungen, die durch negative
Elternkomplexe bedingt waren, ging und der Patient von sich aus klar sagen
kann: Ich gehe jetzt alleine weiter. Bei Patienten der ersten Lebenshälfte geht es
ja oft darum, daß diese Menschen beruflich und privat ihren Platz in der
Gesellschaft finden. Unter dem Aspekt der zunehemenden Medizinalisierung
des
therapeutischen
Geschehens
und
der
sog.
therapeutischen
Professionalisierung spielt die Frage der Effektivität und damit auch das
Entwickeln von Normen und Kriterien einer sog. gesunden Entwicklung eine
wichtige Rolle. Wir kommen hier in die Wertediskussion, in der Psychotherapie
in einem gesellschaftlichen Umfeld stattfindet und sich danach richten kann oder auch nicht. Anders ausgedrückt: möglicherweise stehen wir vor einer
kulurellen Zwiespaltung. Auf der einen Seite könnte erfolgreiche Therapie darin
bestehen,
dem
Patienten
zu
einer
ichstarken,
"männlichen"
Persönlichkeitsentwicklung zu verhelfen, die ihm Realitätsbewältigung und
freundliche Objektbeziehungen ermöglichen.
Auf der anderen Seite - und auf dieser Seite befinden sich wohl die meisten
Jungianer - könnte es um die Fähigkeiten des Patienten gehen, mit seinen
inneren Teilpersönlichkeit im Dialog zu sein, prinzipiell offen zu sein für die
Impulse aus dem Unbewußten. Ziel ist die innere Lebendigkeit, der
intrapsychische Reichtum, der u.U. aber die für die Alltagsroutine notwendige
Stabilität vermissen läßt.
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Beispiele:
64j.Pat.(nach der Analyse): "Ich stehe auf einem
Felsvorsprung in gebirgiger Landschaft. Vor mir
ist ein dunkler Wald mit großen Bäumen.
Plötzlich fängt der Wald an, sich zu bewegen. Ich
bekomme Angst, Panik, laufe vor dem Wald hin
und her, nicht wissend, wie ich ausweichen kann.
Da taucht zwischen den Bäumen ein alter Mann
auf, mit einem Schlapphut und einem langen
Ledermantel bekleidet. Erst habe ich Angst vor
diesem Mann. Er macht mir Zeichen, ähnlich der
Zeichensprache für Gehörlose, nurnicht so
abrupt, sondern sehr geschmeidig und weich
bewegt er seine Hände. Allmählich verstehe ich,
daß er mir den Weg zeigt, den ich durch den
Wald gehen soll. Er ist relativ weit etnfernt von
mir, ich achte auf seine Zeichen, gehe zwischen
den Bäumen durch, immer wieder nach ihm
Ausschau haltend und seinen Zeichen folgend.
Da stehe ich auf einer großen Lichtung, de ganz
viereckig ist. Das Viereck besteht aus einem
großen Himbeerfeld, überall sind Himbeersträuche. Und zwischen den Himbeersträuchern
sind viele Frauen, die in langen, weiten
farbenfrohen Kleidern und mit großen bunten
Hüten bedeckt Himbeeren pflücken. Ich beuge
mich zu einem Himbeerstrauch und zögere, ob
ich auch pflücken darf. In diesem Zögern wache
ich auf."
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47.j.Pat.(nach der Analyse): "Ich wandere mit einigen
Menschen durch einen Kastanienwald. Ich merke auf
einmal, daß ich vom Weg abgekommen und nicht mehr
bei der Gruppe bin. Ich gehe aber weiter. Da stehe ich
plötzlich mitten im Wald vor einem riesigen Gebäude,
sehr hoch und ohne Fenster, eine Art Turm. Ich gehe
hinein. Drinnen bin ich in einem großen Raum. In der
Mitte steht ein Dreifuß, daran befindet sich eine Kette,
an der aber nichts dranhängt. Dann sehe ich eine kleine
Schachtel. Ich mache sie auf und finde eine Kugel. Ich
hänge die Kugel an die Kette des Dreifußes und denke,
jetzt müßte doch etwas passieren, der Raum müßte sich
doch irgendwie verändern. Aber nichts geschieht. Ich
berühre mit der Spitze meines Zeigefinger die Kugel da strömt an dieser Berührungsstelle ein ungemein
warmes gelbes und rotes Licht aus der Kugel. Und
überall , wo ich die Kugel mit der Fingerspitze berühre,
kommt dieses wunderbare Licht und durchflutet den
Raum."
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