Jan Assmann: Monotheismus und die Sprache der Gewalt (Exzerpt mit Kommentar) Kulturgeschichte ist kein kontinuierlicher Prozess; sie kennt „Sprünge“. Mag sich der Monotheismus scheinbar allmählich aus dem Polytheismus entwickelt haben: in der biblischen Geschichte, in der Selbstdarstellung (der kulturellen Semantik, wie Assmann sagt) des jüdischen Volkes präsentiert er sich als revolutionären Sprung. Der Auszug aus Ägypten nach 430 Jahren Sklaverei stellt den Bruch mit der ganzen Vergangenheit des jüdischen Volkes dar: die Gesetzgebung am Berg Sinai. Die Durchsetzung des Monotheismus spricht in der Bibel eine gewaltsame Sprache; sie mag keiner realen Praxis entsprochen haben. Dass aber Gewaltbilder, Gewaltsprache tätliche Folgen haben können wissen wir aus der Aktualität (u. a. des muslimischen Fundamentalismus). Assmann verwehrt sich apotropäisch gegen den Antisemitismusvorwurf (gegen den “alttestamentarische Rachegott“, für den„christlichen Liebesgott“ etwa; es wird hier vor allem an Marcion erinnert), meint jedoch, die nicht wenigen Bibelpassagen gewaltsamen Inhalts dürften nicht verdrängt werden. „Die Sprache der Gewalt in den heiligen Schriften der Juden, Christen, Muslime und vieler anderer auf einen exklusiven Wahrheitsbegriff gegründeter Religionen ist ein Phänomen, das zunächst jenseits aller Kritik und Polemik verstanden werden will (. . .).“ Assmann versucht eine kulturhistorische Deutung und Reflexion der biblischen Sprache. Es geht um die „kulturelle Semantik“, also das, was in Mythen, Symbolen, Bildern und liturgischen Texten die grossen Paradigmen für die Orientierung des Handelns abgeben. Auch der Monotheismus stellt eine solche kulturelle Semantik dar. Weshalb bediente sich der Monotheismus zu seiner Durchsetzung so gewaltsamer Sprache und Bilder? Man denke an die Szenen von Massakern, Strafen, Vergeltung, Zwangsscheidungen von Paaren und Freunden (Beziehungen zu Nicht-Monotheisten). An die Landnahme in Kanaan, an die Geschichten um das goldene Kalb. Es geht nicht darum, ob diese biblischen Erzählungen historisch sind, nur um die Sprache, die evozierten (Leit-) Bilder. Warum erzählt man solche Geschichten? Wer erzählt sie wem? Assmann konstatiert lediglich, dass der Monotheismus eine Religion ist, in deren kanonischen Texten die Themen Gewalt, Hass und Sünde eine auffallend grosse Rolle spielen, ganz anders als etwa im Hinduismus oder Jainismus. „Dort gibt es Gewalt im Zusammenhang mit dem politischen Prinzip der Herrschaft, aber nicht im Zusammenhang mit der Gottesfrage.“ Gewalt ist eine Frage der Macht, nicht der Wahrheit. Der Monotheismus tritt in zwei Gestalten auf, A und B. A sagt: Alle Götter sind eins. B sagt: Es gibt keinen andern Gott als Gott (Jahwe, Allah, den dreifaltigen Gott). A ist der Monotheismus in Ägypten, Babylon, Indien und in der Antike. Er ist inklusiv. Nach C. S. Lewis ist das der Reifezustand des Polytheismus. Dabei steht die Verehrung vieler Götter nicht in Widerspruch zum Eingott-Glauben. B ist die Formel von Echnaton in Ägypten, in einem Text von 1350 v. Chr. Sie ist exklusiv. (Lewis zieht das bezüglich des Monotheismus nicht in Betracht.) Nur B, der exklusive Monotheismus, ist in der Sprache gewalttätig. 1 Im folgenden bespricht Assmann einige Gewaltpassagen aus der biblischen Geschichte. (Siehe Ex. 32, 6-28.) Die Gewalt geht wider die Nächsten, nicht gegen Fremde! Alles Heidnische (= nicht exklusiv Monotheistische) soll ausgerottet werden. Menschliche Beziehung sollen vor der Entscheidung für den einen Gott geprüft und bei Nichtbestehen gebrochen werden. (Siehe Deut. 13, 7-12.) Die hier verwendete Sprache der Gewalt gegen die Nächsten ist nachweislich, ja fast wörtlich dem assyrischen Königsrecht entnommen, welches von den Vasallen absolute Loyalität fordert. Der eine ausschliessliche Gott will, dass man den Abtrünnigen in Familie, Freundschaftskreis zu Tode bringt. Mit dem besagten Königsrecht zwingt der Assyrerkönig seine unterworfenen Stammesfürsten und Vasallen eidlich zu unbedingter Treue und zu gegenseitiger Kontrolle. Das 28. Kapitel des Deuteronomiums ist dem Abfall, der Untreue, der Vernachlässigung des Gesetzes, der Sünde gewidmet. Es sind 53 Verwünschungen! (Siehe 1.Kg. 9, 6-7.) Gottes Wort an Salomon besagt die Ausrottung Israels im Falle eines Abfalls von Jahwe/bzw. seinem Gesetz. Dieser eine Gott spricht das Vokabular politischer Verträge. Nun, altorientalisch war eine despotische Herrschaft nur mit Durchsetzfähigkeit von Herrschaft möglich und diese beruhte auf durchsetzbarer, angedrohter physischer Gewalt. Es sollten verschiedenste Völker, Stämme, Clans unter eine Herrschaft gezwungen werden, es sollte eine Loyalität ohne Rücksicht auf verwandtschaftliche und andere persönlichen Beziehungen erzwungen werden. Totaler, ausschliesslicher Machtanspruch war das Ziel! Moses befreit das Volk Israel genau aus diesem orientalischen Despotismus, der sich in der ägyptischen Gefangenschaft inkarniert hat. Als Ende des 7. Jh.s das Assyrerreich zusammenbrach, entstand die Idee, in diesem Vakuum den Herrschaftsanspruch von Seiten des Assyrerkönigs auf den einen Gott zu übertragen, um das Volk Israel gegen alle repressiven Loyalitätsansprüche fremder Despoten innerlich immun zu machen. Die zitierten Passagen zeigen einen eifernden, eifersüchtigen und argwöhnischen Jahwe, der auf seine Einzigkeit pocht. Der Monotheismus ist folglich noch nicht gefestigt, Jahwe steht noch in Konkurrenz zu fremden Gottheiten. Der wirkliche Monotheismus geht von der festen Annahme aus, dass es nur einen Gott gibt; Eifersucht und Strafandrohung haben da keine Basis mehr. Da gibt es nur einen Gott und viele Ungötter. Die Monotheisierung Israels hat dieses Volk an einen exklusiven, an seinen einen Gott gebunden. Das war ein Akt innerer Befreiung, der zu innerer Unabhängigkeit von fremden Despoten geführt hat. Mit diesem Jahwe hat es die Zerstörung des Tempels und die Deportationen überstehen können. Ist Israel aber wirklich zum reinen (exklusiven) Monotheismus gelangt? Oder impliziert Exklusivität immer auch Eifersucht und Strafandrohung? Assmann meint ja. Exklusivität heisst Ausschluss anderer Konkurrenten (anderer Wahrheitsansprüche). Dass das so ist, kommt auch beim Apostel Paulus in 1. Kor. 8, 4-6 zum Ausdruck. Da drückt sich dieser bzgl. der Existenz anderer Götter sehr vorsichtig aus: „solche Götter und Herren gibt es viele“. (Siehe dort.) Der exklusive Gott impliziert eine Entscheidung. Seine Eifersüchtigkeit ist kein Zwischenstadium in der evolutionären Geschichte der Institution des unbedingten Monotheismus. Und so ist es verfehlt, dem alttestamentarischen „eifernden und rachsüchtigen“ Gott den christlichen Liebesgott gegenüberzustellen. „Die Eifersucht 2 Gottes entspringt ja gerade seiner Liebe und immer ist seine Gnade tausendmal grösser als sein Zorn“, schreibt Assmann. Seinem ihm ergebenen Volk ist Gott ein Freund, den andern ein Feind. Dem eifernden Gott entsprechen eifernde Gläubige, Zeloten, bereit, für ihren Gott Gewalt anzuwenden. Ein Beispiel für einen eifernden Gottergebenen ist der Priester Pinhas (siehe Num. 25). Da sterben Tausende, weil sie sich zum „Gottesdienst“ an Baal Pe’or verführen liessen, bzw. sich mit den Midianiterinnen einliessen, welche rituell geschlachtete Opfertiere zum Fleischgenuss zubereitet hatten. Also waren Teilnahme an einem festlichen Mahl und erotisches Interesse für die Frauen eines nichtmonotheistischen Volkes Anlass für eine grausame Rache. Mag man diese Geschichte noch zur kritischen Phase der Einführung des Monotheismus zählen, so ist auch noch viel später Treue zu Gott (emunah auf Hebräisch, = Glaube) eng mit Eifersucht und Rache verbunden. Treue zu Jahwe wird mit ehelicher Treue verglichen – kein Wunder, dass auch Ehebruch in monotheistischen Religionen mit einer Unerbittlichkeit und Grausamkeit bestraft wird, die den heidnischen Religionen (z. B. der ägyptischen) fremd ist. Assmann bringt weitere Textstellen: Ex 34, 12-16. dort ist vom eifersüchtigen Jahwe die Rede, der Bündnisse mit Nichtjuden ablehnt; Ex 23, 31 f., wo vor der Verführbarkeit durch fremde Kulte gewarnt wird. Dt. 12, 2-3 spricht von der obligatorischen Zerstörung fremder Kultstätten [und was anderer haben die Christen mit heidnischen Hainen, Tempeln getan? Was tun heute die Djihadisten mit Kirchen, Pagoden, ja archäologischen sakralen Kultstätten?] Dt. 20, 10-14 spricht von der Zerstörung eroberter Städte, der Versklavung der Bevölkerung etc., ganz nach orientalischer Manier jener Zeit. Dt. 20, 15-18 geht aber weit über das zeitgenössisch Übliche hinaus. Es geht da um die Städte Kanaans, Städte in Israel, die sich noch nicht der neuen Religion angeschlossen haben, also um die hebräischen Heiden. Da ist Gewalt grausamster Art gegen die Nächsten des eigenen Volkes angesagt. Ja die eigene (heidnische) Vergangenheit soll exorziert werden. Dt. 13, 13-19. Das hier skizzierte Kriegsrecht war nie faktisch, ist aber Teil der kulturellen Semantik, die jederzeit aktuell werden konnte, z. B. im 2. Jh. v. Chr., als der Makkabäeraufstand wider den Seleukiden Antiochus IV. niedergeschlagen wurde. Dieser Antiochus IV. wollte einen Eine-Nation-Staat begründen und die Juden gleichschalten, also cultural cleansing. (1 Makk. 1, 43-56). Der Aufstand, angeführt von Eiferern à la Pinhas, geht gegen die Zwangsassimilierung. Dabei ist es wichtig zu betonen, dass das jüdische Volk gespalten war! Ein Teil hatte die Hellenisierung schon lange angenommen. Dieser makkabäische Widerstand war also vor allem ein Bürgerkrieg, bei dem ganze Städte ausgelöscht wurden – wie mit Stolz berichtet wird. Denn Verschonen wäre wider das Gesetz gewesen. Eifer heisst griechisch Zelotentum, hebräisch qanna und arabisch djihad . . . Das umstürzend Neue am exklusiven Monotheismus ist, dass es sich nicht um eine rein kultische Angelegenheit handelt, sondern um ein Weltverhältnis: wir Monotheisten sind gut, alle andern ( = Götzenanbeter) sind bös. Monotheismus ist ohne Schrift undenkbar. Schrift verstanden als normative (nicht informative) Schrift, also als Gebot/Verbot, welche die Lebensführung programmiert und bis ins Kleinste regelt. Die Schrift hat hier („und es steht geschrieben . . .“) unbedingte Autorität. Ihr nicht gehorchen heisst sündigen, wider das Gebot/Verbot verstossen. Das altorientalische Recht war eng mit der (physischen ) Autorität des Königs verbunden (er war das fleischgewordene Gesetz, der Nomos empsychos). 3 Die Torah ist etwas ganz Neues: Schrift wird normativ, wird zum lebensbestimmenden Kanon. Die heilige Schrift ist geschlossen; nichts darf an der Tora verändert, ihr zugefügt werden. Die heilige Schrift ist sekündlich Vorschrift, muss in Fleisch und Blut übergehen (daher das Torastudium). Das Leben des Schriftgläubigen wird gelebtes Schriftzitat. Sicher ist in dieser Hinsicht das Judentum extremer als die andern exklusivmonotheistischen Religionen. Kanonisch ist die heilige Schrift aber auch im Prinzip im Islam und Christentum. Die Anhänglichkeit, einst dem König geschworen, wird zur Treue auf Leben und Tod für die heilige Schrift. Der Gläubige ist bereit, für die Schrift zu sterben (Märtyrertum). Die Makkabäerbücher stellen diese Bereitschaft vor. Man tötet für den einen, exklusiven Gott, man stirbt in der Ablehnung aller andern (ausgeschlossenen) Götter. Die Devise „Allahu akhbar!“ („kein Gott ausser Allah“) verlangt eine unbedingte Konversion, d. h. Absage an alles, was nicht vom einen Gott ist. Das ist die Entscheidung, die Lebenswende, die Ausschliesslichkeit der Wahrheit, die keine anderen Wahrheitsansprüche duldet. Der eine exklusive Gott ist totalitär, verlangt totale Hingabe. Alle andern Wahrheitsansprüche sind falsch, potenzielle Negation des einen Gottes, also Sünde und zu vernichten. Die besagte Exklusivität wird mit allen Mitteln des Glaubens verteidigt – denn es regt sich immer Zweifel [Glaube und Zweifel sind eineiige Zwillinge; wogegen ist der innere Dialog aber allergischer als wider jeden inneren Zweifel, innere Zerrissenheit? Diese werden als Anfechtung des Teufels denunziert. Auch Gott und sein Anti-Gott, der Teufel (die andern Götter), sind Antagonisten.] Das jüdische Volk hat in Situationen extremer Unterdrückung und der Gefahr des Identitätsverlustes eine einzigartige Metamorphose vollzogen: den Bruch mit dem inklusiven Monotheismus zu Gunsten des transzendenten, vollständig unweltlichen Jahwe, des (anfänglich) ethnischen, mit dem Christentum (und schon zuvor) übernational gewordenen Gott. Das war eine gewaltige Revolution, kein Hinübergleiten vom Polytheismus zum Monotheismus. Der exklusive Monotheismus erlaubte den Kampf gegen das Assimiliertwerden durch Fremdkulturen. Die Konversion zum exklusiven Monotheismus bedeutete den Bruch mit der heidnischen Vergangenheit. Dieser Bruch sollte niemals vergessen werden, denn Vergessen läuft Gefahr, dass langsam wieder ins alte Fahrwasser zurückgeglitten wird. Kanaan steht für das heidnische, vor-jahwitische Judentum. Das ganze Deuteronium ist Anti-Kanaanismus. Sünde wird mit dem mosaischen Jahwismus etwas anderes als Reue über Schuld, Scham über begangene Fehler, Vorsatz zur Veränderung des Leben; dies gab und gibt es eh und je. Nein. Die jüdische Konversion zum exklusiven einen Gott ist Absage an das ganze frühere Leben, das im Zeichen des inklusiven Gottes, d. h. der Götter stand (die als Götzen, nichtige (magische) Fetische 1 verunglimpft werden). Damals war Sünde, jetzt ist Heil. Lebenslange Zerknirschtheit entspricht am besten dem Konvertiten. Die göttliche Welt der Götter/des inklusiven Gottes war eine Welt, in der die Götter vor allem unter sich waren. Das ändert sich mit der göttlichen Welt des einen exklusiven Gottes: der einzige Partner Jahwes ist nun - der Mensch. Das Ich der Psalmen steht für ein einzelnes Individuum (in Not), das vor Jahwe steht, bzw. für das 1 „Fetisch“ vom portugiesischen „feit“, lat. „facere“. Ein Fetisch als etwas bloss Verfertigtes. 4 Wir des Jahwe-Volkes. Die Gott-Welt-Beziehung ist ausschliesslich auf das (individuelle oder kollektive) Ich ausgerichtet. Damit findet eine gewaltige Steigerung der Subjektivität statt! Diese Subjektivität äussert sich vor allem im Gefühl der Reue, des moralischen Schuldbewusstseins. „Ich war falsch, mein ganzes Leben bis anhin war falsch“. Diesen inneren moralischen Dialog gab es vor Jahwe kaum. So entwickelte sich die Innerlichkeit. [Assmann scheut sich, die Gewaltsprache im Neuen Testament, die eifersüchtige Bestrebung der ausschliesslichen Heilsbestimmung, wie sie Jesus von Nazareth für sich in Anspruch nimmt, mittels leicht zu findender Zitate aus den synoptischen Evangelien und dem Johannesevangelium aufzuzeigen. Und die Geschichte des Christentums ist die Geschichte von Gewalt, Gesinnungsterror, Exorzismus, Verfolgung, Vertreibung, Erpressung und Grossmacht. Ohne das Christentum ständen wir nicht in einer aktuellen Welt vor dem Aus, die von Kapital, Demokratie und Technologie beherrscht wird. So wenig wie den Zivilisationsprozess der Menschheit der letzten 10 000 Jahre darf man das Christentum aber in Bausch und Bogen verwerfen. Es bildet eines unserer wichtigsten Traditionsgüter, mit dem wir in Zwiesprache stehen und das uns für immer etwas zu sagen hat. Unzweifelhaft plädiert Assmann für eine friedliche Koexistenz aller Überzeugungen, für liberale Toleranz, für Anti-Absolutismus, für „Wertepluralismus“. Schrecklich! Nie wieder Religion, auch keine atheistische! Ich plädiere für einen Weg jenseits von Relativismus und Absolutismus.] A. L., März 2015 Jan Assmann: Die Mosaische Unterscheidung oder der Preis des Monotheismus (Vorbemerkung: Es folgen Notizen aus obenstehendem Buch. Wiederholungen, Überschneidungen mit dem später erschienen Buch „Sprache der Gewalt“ finden sich noch und noch.) Die Offenbarungsreligionen (die drei bekanntesten Monotheismen) sind AntiReligionen wider Kosmotheismen, welche von Indien bis Europa die „Religionen“ der ersten Reiche waren. Sie stellen eine Trennung von den politischen, kulturellen und sprachlichen Rahmenbedingungen dar und beruhen auf kanonischen Schriften („Offenbarungen“) Mit ihnen wird die Transzendenz erfunden, das Über-Irdische. Sie entwickeln einen emphatischen Wahrheitsbegriff. 5 Assmann nennt den Bruch, welche der Jahwismus darstellt, „Mosaische Unterscheidung“. Archaisch haben wir Opfe- und Priesterreligionen mit Tempelkult. Deuteronimistisch: Weltüberwindung und Erlösung von der Welt jenseits „Priester“, „Tempel“ und „Opfern“ Die Erst-Religionen beruhen auf Weltbeheimatung und der Integration der (menschlichen) dinge in die göttliche Ordnung der Natur. In Griechenland haben wir eine der deuteronomistischen Revolution ähnliche Entwicklung: die parmenideische Unterscheidung von wahr und falsch, Sein und Nichtsein. Parmenides betont, dass das Nichtseiende nicht sein kann, der logische Widerspruch nicht vollzogen werden kann, dass es also kein Drittes gibt (später heisst es dann „tertium non datur“). Es ist der Übergang vom wilden Denken ohne klare Scheidung von wahr und falsch) zum logischen Denken. Das negierend-abtrennend ist (später wird Spinoza sagen: „Determinatio est negatio“). Die Mosaische Scheidung ist auch die Erfindung des Glaubens. Glaube ist (gemeint ist der nichtempirische, religiöse Glaube) ist dort angesagt, wo natürliche Evidenz fehlt, da es sich um Unsichtbares, nicht sinnlich-praktisch Erfahrbares handelt. Die Götter und die numinosen Erscheinungen werden nicht geglaubt, sondern erlebt. Der Jahwismus (und in der Folge Christentum und Islam) verweisen die numinose Erfahrung ins Reich der (Schwarzen) Magie, des Wahns. Das Christentum vollendet die Universalisierung, den Universalismus des bedingungslosen, ausschliesslichen Einen gottes, der schon im Judentum angelegt ist. Das Judentum vollzieht die Trennung mit der archaischen Götterwelt durch Separation von allen andern Völkern, also ethnisch-stammlich (-rassisch). Sie ist mit Gewalt gegen die alten Tendenzen (zu Kosmotheismus) im Judentum verbunden (repräsentiert durch das Volk Kanaans) Es wir nach innen Totalloyalität gegenüber JHWH verlangt. Das ist der Alte Bund des Alten Testamentes. Das Neue Testament des Christentums stellt einen neuen Bund mit Gott dar. Er bestimmt sich durch Glaubensleben, nicht durch ethnische Zugehörigkeit. Das Christentum vollzieht die Scheidung nicht zwischen (auf JHWH eingeschworenem) jüdischem Volk und den gojim (den „Götzenverehrer-Völkern), sondern zwischen Gläubigen (an J. Christus als den Sohn Gottes) und Nicht-Gläubigen. Der Anspruch auf Besitz der absoluten Wahrheit ist derselbe. Im Christentum wird er gegen alle Nicht-Gläubigen fordernd behauptet. Eine Konversion wird jedoch nicht erzwungen, wie das dann im Islam der Fall ist. Zwischen den Ethnien und Kulturen kosmotheistischer Kultur gibt es keine religiösen Konfliket. Es gilt das Prinzip der Übersetzbarkeit des fremden Pantheos in den eigenen. Für die Römer war JHWH = Jupiter, no problem. Ein religiöser Ethnozentrismus kam so nicht auf, ja, die einzelnen Kulturen waren bereit, fremde, unbekannte Götter in den eigenen Götterhimmel aufzunehmen (in Athen gab es einen Tempel für den unbekannten Gott). Das war für die Monotheismus undenkbar. JHWH, der dreieinige christliche Gott, Allah: das ist ein exklusiver Gott, die einzige Wahrheit. Die Gläubigen dieser Religionen tendieren zu Märtyrerverhalten, denn Glaube ist Loyalität zum überirdischen Herrn. Sünde = Abfall, Leugnung. Die Christen praktizierten bis Theodosius (um 370) im römischen Reich passive Intoleranz, nachdem das Christentum Reichsreligion geworden ist aktive. 6 Monotheismus ist Götterhass, Theoklasmus (Zertrümmerung der Götter) [was die Kalifatisten gegenwärtig in Syrien und im Irak praktizieren: die Zerstörung antiker und junger Kultstätten, praktizierten die Christen an allen „heidnischen2“ Kultstätten. Im siegenden Monotheismus werden alle Götter zu Götzen, verächtlichen Fetischen, nichtigen „Guss-Objekten“ (Götze kommt von gegossen) sittenloser, unzüchtiger, barbarischer Kulturen und Menschen erklärt. Ja Götzendienst wird = Hurerei gesetzt. Im AT findet sich Lächerlichmachung, Satyre. Die monotheistischen Lehrer machen sich über die Sehnsüchte der Menschen, Gefühlsergriffenheiten und Wünsche nach Hilfe von Seiten der verschiedenen „Götter“3 lustig, welche sich in geheiligten, kultisch geweihten Gegenständen materialisieren. Die Monotheismus mussten sich im Volk verankern, das noch sehr mythisch-magisch ist. Es ist daher eine synkretistische Akkulturation unvermeidlich: ein Kompromiss der höchsten mono-theologschen Forderungen mit kosmotheistischen Atavismen. So der Kompromiss mit Elementen der archaischen Kulte, wie: Opfer, Riten, Zeremonien, heilige Gegenstände etc. Es finden aber neue monotheistisch-puristische Vorstösse statt. So war die Reformation/Gegenreformation eine Reaktion auf den Synkretismus, den im Mittelalter das Christentum mit dem Platonismus und auch Aristotelismus eingegangen war, dar. Oder: Die Dialektische Theologie von Karl Barth ist die Reaktion auf die liberale protestantische Theologie, welche das Christentum historisierte und relativierte. Der Monotheismus beruht auf dem Buch, nicht auf Tempel, Institutionen, Priestern, Riten, Praktiken, Sakramenten etc. Der Bund mit JHWH ist eine Monogamie, eine ausschliessliche Loyalitätserklärung. Die jüdische Bündnisreligion ist ganz negativ: Ablehnung der numinalen Welt, ihre Entgötterung, Entheiligung, Entzauberung. Die ägyptischen Götter sind in der Welt. Der Dienst an den Göttern garantiert Integrität und Identität. Die Götter bilden die Schicksalswelt der Menschen im Reich. Der Monotheismus ist die Emanzipation des Göttlichen aus dem symbiotischen Weltverhältnis. Daraus entsteht das gottgeleitete (theonome), innerliche, autonome Individuum, das sich für Gott entschieden hat und allen Anfechtungen magischmythischer Verlockungen widersagt. Mit der Entheiligung der Welt wird die Welt zum Jammertal. Andrerseits bedeutet die politische Theologie des Monotheismus (Assmann bezieht sich hier v. a. auf das Judentum seit der josuanischen Reform) Befreiung von „Naturverhältnissen“, von Magie, alten Göttermythen, von Naturgewalt, von Willkür, (an Stelle JHWHs usurpierter) despotischer Gewalt. Wie gesagt aber auch von Ergriffenheit (mit der Folge: Intellektualismus des Rabinertums). Der Jahwismus ist also eine Befreiungstheologie, Befreiung von veräusserlichter, anthropomorpher Göttlichkeit. Einer der ersten bekannten (Fast-) Monotheismen ist derjenige Echnatons in Amarna, im 14. Jahrhundert. Da stand er Einzige Gott (Atun) für die Monopolisierung der Macht zur Zentralisierung des Staates. Echnaton machte sich zum Repräsentanten des Einen Gottes. „Heide“ ist verwandt mit der Heide = unkultiviertes, nichturbares Land. „pagan“ ist verwandt mit „paysan“: der unkultivierte Mensch, der götzenanbetende Barbar. Das sind verächtliche Ausdrücke des Siegenden Christus, analog zum jüdischen „goj“. 3 die sich nie anders als untereinander im Verbund und unter der Führung des obersten (Schöpfer-) Gottes stehend verstehen lassen 2 7 Anders (der historisch unfassliche) Moses: Da geht es um die Emanzipation von der politischen Macht. (Das verhinderte nicht, dass aus weltablehnenden Monotheismen theokratisch-absolutistische Staaten entstanden. Moses konstruiert die ägyptische Gefangenschaft bzw. die Befreiung vom Staat durch den unsichtbaren, nichtrepräsentierten JHWH. In Alt-Ägypten besteht die Vorstellung, der Staat befreie vom Naturzustand. Die königliche Macht garantiert die Gerechtigkeit im Land, nicht zuletzt die Gerechtigkeitsforderung der einfachen Leute: Schutz der Schwachen, Witwen und Waisen. Im Alten Orient mahnen Weisheitslehren die Despoten an ihren Auftrag: die Gerechtigkeit von oben und von unten aufrechterhalten. Der revolutionäre Monotheismus behauptet in Absetzung von der Vorzeit und Vorwelt, die Idee der Gerechtigkeit in die Welt, die Moral erfunden zu haben. Tatsache ist, dass Ethik und Religion erst spät und zögerlich eine Verbindung eingegangen sind. Es gibt also eine „Ethik ohne Religion“ (Bayle, 18. Jh.; noch Voltaire meinte dagegen: Gäbe es keinen Gott, so müsste er zur Aufrechterhaltung der Moral erfunden werden)! Im Monotheismus ist Gott Gesetzgeber. JHWH regelt buchstäblich alles. Nur ist die Torah das Gesetzbuch allein des Gottesvolkes. Interessant ist immerhin, dass in Ägypten die Idee des individuellen Gerichts nach dem Tod über das vollbrachte Leben sich schon 2000 v. Chr. Zu finden ist! Gerechtigkeit ist, in Ägypten, eine ewige Forderung, doch die Gesetze können sich ändern. Der erste historisch nachweisliche Fall von Anti-Judaismus ist, nach Assmann, ein Reflex auf die traumatische Erfahrung in Amarna (Echnatons Unterdrückung des altägyptischen Pantheons). Kein Zufall, dass immer wieder Echnaton und Moses in Verbindung gebracht worden sind: als Einführer des Monotheismus. Auszug aus Ägypten wird von ägyptischer Seite als Vertreibung der Aussätzigen: den theoklastischen Juden!, beschrieben. Somit ist der ägyptischen „Antisemitismus“ = Anti-Monotheismus. „Auf dem Berg Sinai kam der Hass der Völker über die Juden zur Welt“, heisst es im Babylonischen Talmud, Traktat Sabbat 89a. Mit dem Monotheismus hat sich das Judentum bei den Nachbarvölkern verhasst gemacht. „sina’“ heisst auf Hebräisch „Hass“. Die mosaische Religion ist eine Anti-Religion der Absetzung vom gemeinen Kosmotheismus. So ist das Passafest mit dem Essen des Lammes eine Provokation gegen die Ägypter, für die das Lamm heilig ist. Zur Rede von der Vertreibung der Aussätzigen: die Entgöttlichung der Welt wurde als Aussatz, als Entstellung empfunden. (In Alt-Ägypten waren die Sachmet-Priester für die Kontrolle von Pandemien veranwortlich.) Die metaphorische Sprache der Krankheit sprechen tausend Jahre später dann auch die Kirchenväter, die von der „griechischen Krankheit“ (der Philosophie) sprechen. Heute, nach der Erfahrung der Europäisierung der ganzen Welt, wissen wir, was es für archaische Völker bedeutet, wenn ihnen ihre traditionellen Kulte verboten werden: es ist ihr Ende. Ägypten, eine dreitausendjährige, kohärente Kultur, ist nicht von den einfallenden Hyksos, den erobernden Assyrern, den annektierenden Persern, nicht von den Griechen Alexander des Grossen und später den kolonisierenden Römern, sondern vom Christentum und nachfolgend vom Islam vernichtet worden. 8 Das jüdische Bilderverbot bedeutete u. a. auch die Negation und Missachtung der staatlichen Autorität. Mit der Entheiligung der Natur machte sich der Mensch zum Herrn über die Welt – mit JHWHs Auftrag. Im Bund, den Gott mit Noah nach der Sintflut schloss, heisst es: Seid fruchtbar, vermehrt euch und bevölkert die Erde. Furcht und Schrecken vor euch soll sich auf die Tiere der Erde, auf alle Vögel des Himmels, auf alles was sich auf der Erde regt und auf alle Fische des Meeres legen. Euch sind sie übergeben. Alles Lebendige, das sich regt, soll euch zur Nahrung dienen Alles übergebe ich euch wie die grünen Pflanzen. Es gibt die Prophezeiung des Asklep bezüglich des Monotheismus: Ägypten wird der göttlichen Hilfe bar sein, Fremden ausgeliefert, wird den Kosmos verachten. Finsternis wird herrschen und nur die bösen Dämonen werden übrig bleiben und Unzucht herrschen. Ägypten hat geistig weitergewirkt: im Corpus Hermeticum, in den Hieroglyphen des Horapollons. Bei Marsilio Ficino, dem florentinischen Gelehrten der Renaissance, welche Platon und Plotin wiederentdeckten, wurde der begriff der Philosophia perennis geprägt. Dieser auch philosophia priscina genannten Philosophie geht es um die Aufhebung der Mosaischen Unterscheidung., um die Wiedereinsetzung der UrReligion. Maimonides, der israelitische Philosoph von vor 1000 Jahren in Gordoba, fand, dass Moses bewusst Opferriten einsetzten, die die heidnischen Tabus brachen. Die jüdische, (frühchristliche), muslimische Bilderverwerfung. Es geht um Ablehnung von Magie, Mythos und Mystik. Es geht um Steigerung des Abstraktionsvermögens, um Sublimierung von Trieb und Sinnlichkeit. Die Mosaische Unterscheidung ist schon in der römischen Antike von Tacitus z. B. als Fortschritt der Geistigkeit gesehen worden. Das Gefühl der geistig-intellektuellen Überlegenheit der Monotheisten führte aus der Seite der Kosmotheisten zu gewaltsamer Reaktion. Antisemitismus ist deshalb auch schon als Antigeistigkeit, Anti-Transzendenz, Anti-Intellektualismus verstanden worden. Bilderverbot = Vorbehalt gegenüber Trieb, Sinnlichkeit, Aussenwelt; = Betonung des Innerlichen. Das Trauma des Monotheismus ist zwiefach: a) der Mord am archaischen Pantheon; b) die Aussicht auf den Mord am monotheistischen Gott selbst. (Theoklasmus führt zu negativer Theologie.) [Die Revolution frisst ihre eigenen Kinder: die Entgöttlichung erfasst auch den exklusiven Rest-Gott.] Bildablehnung setzt an Stelle von Anschauung und bildhaftem Vorstellen die Offenheit für das rein Begriffliche. Zudem sagt das Bilderverbot: Gott kommt man nicht irdisch-äusserlich (Kulte, Taten, Opfer), sondern nur durch innere Haltung (Glauben) und ethische Disposition nahe. Vergeistigung führt zu Ethisierung auf Kosten des Rituellen. Platons Zwei-Welten-Theorie ist dem Griechentum eigentlich fremd. Numenius von Apameia nennt Platon einen attisch sprechenden Moses! 9 Die Vergeistigung liegt ab 4. Jh. v. Chr. „in der Luft“: Platonismus, Hermetismus, später dann Gnostik zielen darauf. Kult, Religion wird innerlich-geistig. Monotheistische (Sekundär-) Religionen kennen in der Welt nichts Numinoses. „sacer“ ist allein das Wort der Schrift. Ist der Priester geweiht (sanctus), so der Schriftausleger keineswegs. Es findet keine Interaktion mehr mit der natürlichen und menschlichen Welt mehr statt. Lesung der Schrift hat dagegen das Ziel, zu Weltabkehr und ethischem Verhalten anzuhalten. Naturphänomene, menschliche Wunderwerke (Bildnisse, Kunstwerke) ziehen die Aufmerksamkeit nur von Gott ab, sind sinnliche Fallstricke. Monotheismus fördern ein Buchstabenmenschentum. Die Mosaische Unterscheidung ist eine psychohistorische „Altlast“, ein Traum der Menschheit, das, verdrängt, immer wieder aufgetaucht ist. Es ist daher kein wunder, dass die verdrängte Welt im Monotheismus immer wieder durchdringt. Ein erstes Mal ist das mit dem Tanz um das Goldene Kalb am Sinai erzählt. Die Versuchung, dem Einziggott untreu zu werden schafft den Grund für ein dauerhaftes Schuldgefühl. Die Absage an das Evident-Numinose, sinnlich-Packende ist anstrengend. Und da steht das immer wieder der Sinnlichkeit verfallende, den Bund mit JHWH/Gott brechende Individuum allein vor seinem Höchsten-Einzigen!. Der persönlich bezogene Einziggott hat keine Mit-Götter, hat nur die Menschen zu Ansprechpartnern. Einsamer Gott – einsamer Mensch vor Gott: [wie schrecklich!]. JHWH bedarf der Liebe des Menschen, fordert sie ein. Was wunder, wenn immer wieder eifersüchtig. Monotheistisches Bewusstsein ist Bewusstsein der Sündhaftigkeit. Es wird daher immer wieder der Bruch mit dem vergangenen sündhaften Leben betont [- was die eigene Bescheidenheit gegenüber den andern Menschen eher mindert als – wie es doch vorerst scheinen könnte – fördert]. A. L, Oktober 15 10