Exkurs zur Frage „Sind auch andere Religionen Wege um Heil “? Ist mit Hinweisen im Text der ausführl. und der kurzen Stellungnahme am Ende der ausführl. Stellungnahme als Punkt 10 eingefügt. Auch nichtchristliche Religionen können „Wege zum Heil“ sein Diese bei Hans Küng (Was ich glaube. S. 232) zu findende Aussage führt u.a. zu der Frage nach Kriterien für die Bewertung anderen religiöser Vorstellungen und Praktiken als den eigenen / christlichen. Insbesondere das Gottesverständnis gibt Gelegenheiten, dazu nachzudenken. Der theologische Arbeitskreis der Evangelischen Akademikerschaft nutzt dafür in diesem Exkurs v.a. Ansichten von Perry Schmidt-Leukel. Ergebnis: Reden von und glauben an Gott wird durch die Offenheit für andere Religionen nicht leichter, aber doch auch bereichert. Christliche Spiritualität wird dadurch nicht entwertet oder beliebig variierbar, sondern in einem größeren Zusammenhang gesehen. 1. Kriterien für die Bewertung anderer Religionen Der Theologe Perry Schmidt-Leukel weist in seinem (nachfolgend auszugsweise zitierten und – außer den kursiv gesetzten Abschnitten - referierten) Buch „Gott ohne Grenzen. Eine christliche und pluralistische Theologe der Religionen“ (Gütersloh 2005) darauf hin, dass es keine übergeordneten, sondern nur umgebungsabängige, also relative Kriterien zur Bewertung von Religionen geben kann und dabei nur Ideale mit Idealen und Realität mit Realität verglichen werden können. Eine Kritik und Bewertung anderer Religionen oder von deren Grundwerten (wie z.B. Karuna - Mitleid und agape Liebe) sei statthaft, wenn man sich der Relativität des Ergebnisses bewusst sei. Wesentliche Teile einer Beurteilung dürften sich darauf beziehen, ob eine festzustellende Zunahme der Vielfalt von Glaubensinhalten und –praktiken überwiegend positiv, d.h. als Bereicherung, oder negativ, d.h. als Problem und Belastung empfunden wird. Bei positiver Grundeinstellung gegenüber anderen (in unserem Fall zunächst nicht-christlichen und dann innerchristlichen) Glaubensweisen wird man sich darum bemühen, auch kritisierbare Lehrinhalte und Praxisformen anderer Gemeinschaften nach deren eigenem Selbstverständnis ernst zu nehmen. Auch bei eigener Abgrenzung gegenüber diesem Verständnis wird dann doch einer anderen Glaubensgemeinschaft (als der eigenen) ihr jeweiliges spezielles Profil zugestanden. Diese Akzeptanz reicht über den religiösen Bereich hinaus, versucht einen weltweiten ethischen Blick und stützt sich auf die gemeinsamen Kriterien Menschenrechte, Gewaltverzicht und Lebensdienlichkeit. Beispielsweise folgt aus einem öffentlichen Interesse an friedlicher Entwicklung, dass sich die verschiedenen Religionsgemeinschaften in der BRD gegenseitig tolerieren. Beispielsweise kann das Papsttum in der katholischen Kirche als Ausdruck einer stärkeren Hierarchisierung in einer weltweiten Organisation akzeptiert werden. Beispielsweise können die Vielzahl protestantischer Kirchen als Konsequenz der historischen Entwicklung geduldet werden. Wenn in einer Gesellschaft zahlreiche Glaubensgemeinschaften bzw. -formen existieren und religiöse Mischformen auftreten, sollte es nicht nur bei einer eigenen Entscheidung für die eine oder andere Art bleiben (z.B. bei der religiösen Kindererziehung). Besser, wenn auch schwieriger wäre die gleichwertige Berücksichtigung auch anderer religiöser Ausprägungen anzustreben (wie es auch das Ziel bei der geforderten Einführung eines Faches Religionskunde in der Schule ist). 2. Die Frage nach dem Gottesbild Aus einem pluralistischen Verständnis von Religion(en) ergibt sich nach Schmidt-Leukel für die Frage nach dem Gottesbild unter anderem: Lange Zeit galt der Glaube an Gott als konstitutiv für das Wesen von Religion. In der neueren Religionswissenschaft setzt sich jedoch mehr und mehr die Überzeugung durch, dass es weder möglich noch sinnvoll sei, den Gottesbegriff als das schlechthin konstitutive Element von Religion anzusehen. Zwei Gründe dafür liegen im Begriff Religion und seiner allgemeinen Verwendung: Viele Phänomene werden als Religion bezeichnet, für die die „gläubige Verehrung eines Gottes“ nicht konstitutiv ist (Buddhismus,Jainismus, Taoismus u.a.) In Religionen geschieht weit mehr und anderes, als die „gläubige Verehrung eines Gottes“, („Als ‚religiös‘ bezeichnen wir unter anderem Menschen, Ideen, Gefühle, Motive, Verhaltensweisen, Speisevorschriften, Gelübde, Gebäude, Institutionen, Gesellschaften, Konflikte, Feste, Musik, Bücher u.s.w.“) (S. 196) Zu berücksichtigen sind auch andere Definitionen von Glauben (wie z.B. nach William Christian): 1. Annahmen über die Beschaffenheit der Wirklichkeit 2. Werturteile 3. Handlungsanweisungen. Auf der Basis der allen Religionen gemeinsamen Grundüberzeugung, „dass es etwas gibt, das wichtiger ist als alles andere im Universum“ ergibt sich 1. die Überzeugung, dass es eine solche, alles andere an Bedeutsamkeit übersteigende Wirklichkeit, tatsächlich gibt, 2. dass diese Wirklichkeit den höchsten Wert bzw. das höchste Gut bildet, 3. dass sich richtiges Verhalten an der Existenz und höchsten Werthaftigkeit dieser Wirklichkeit zu orientieren habe. 3. Das Gemeinsame der Religionen: Nach J. Hick lassen sich die verschiedenen Heilsvorstellungen der Religionen als Variationen eines zentralen gemeinsamen Themas verstehen, das er als „Umwandlung der menschlichen Existenz von der Selbstzentriertheit zur Zentriertheit auf das Wirkliche“ (the real) beschreibt (zit.n. SL 48). Dabei ist ein ethisches Kriterium wichtig: Liebe und Mitleid. Dies lässt sich in drei Fragen erkennen: „Hätten die ersten Christen Jesus als „Sohn Gottes“ angenommen, wenn dieser Hass statt Liebe gepredigt hätte? Wäre Gautama für die ersten Buddhisten der Erleuchtete gewesen, wenn dieser Selbstsucht statt Selbstlosigkeit verkündet hätte? Wären die ersten Muslime Mohammed als dem Propheten Gottes gefolgt, wenn dieser nicht selbst gemäß den ethischen Forderungen gelebt hätte, die er verkündete?“ Das ethische Kriterium gilt für personale und impersonale religiöse Erfahrungen dieser transzendenten Wirklichkeit. Zwar kann diese nicht „begriffen“ werden (und man sollte eigentlich nach Wittgenstein von dem schweigen, wovon man nicht reden kann), aber der Begriff des Allumfassenden, Unendlichen ist logisch bildbar (wenngleich er sich nicht widerspruchsfrei beschreiben lässt. Auch die via negativa hilft hier nicht weiter, z.B. Dionysos Pseudo-Areopagita: „... keine Eins und keine Drei, keine Zahl, keine Einheit, keine Zeugungskraft, noch irgendetwas, was vom Seienden oder am Seienden miterkannt wird, enthüllt uns die über allem Begriff und über allem Geist stehende Verborgenheit der überseiend über Allem seienden Übergottheit. Kein Name, kein Begriff, der ihr gemäß wäre – so ist sie über alles Sein ins Unzugängliche entrückt. Selbst den Namen der Güte sprechen wir nicht wie etwas, das ihr angemessen wäre, aus, sondern nur aus Sehnsucht, irgendetwas über jenes unaussprechliche Wesen zu denken oder zu sagen teilen wir ihm den heiligsten Namen ...zu, ... bleiben aber weit hinter der Wahrheit der Sache zurück.“ (zit.n. Hick in SL, 203) Diese Auffassung ist (nach J. Hick) die Grundlage für die Lösung des Problems der divergierenden Wahrheitsansprüche der Religionen. Welche Relevanz haben aber dann religiöse Aussagen überhaupt? Wenn wir nur noch ein „unaussprechliches X“ haben? Ist das nicht kaschierter Atheismus? (So schon bzw. auch David Hume und Ludwig Feuerbach). Antwort SL: Nein, es gibt eine Hoffnung, die über das hinausgeht, was die Endlichkeit des Universums für sich genommen erhoffen lässt. Daher besteht die Relevanz der transzendenten Wirklichkeit darin, dass ihre Existenz der gesamten Existenz aller endlichen Wirklichkeit einen anderen Sinn verleiht (das müsste dann im einzelnen und möglichst konkret gezeigt werden – können!). „Die Vergänglichkeit des Universums sowie die Sterblichkeit eines jeden Einzelnen, die ungezählten Leiden, Ungerechtigkeiten und vermeintlichen Absurditäten des Daseins, müssen dann nicht das letzte Wort bilden, wenn es eine Wirklichkeit gibt, die über all diese Begrenztheiten hinausgeht. Diese Zuversicht drücken die Religionen dadurch aus, dass sie auf unterschiedliche Weise die transzendente Wirklichkeit in ihrer Beziehung zur Welt und zu den Menschen als eine gute Wirklichkeit bezeichnen. (in theistische Religionen lautet dies: Guter Gott....) So auch schon bei Schleiermacher: Für ihn ist Religion „Sinn und Geschmack fürs Unendliche“, die Anschauung des Unendlichen am Endlichen. „Alles Endliche besteht nur durch die Bestimmung seiner Grenzen, die aus dem Unendlichen gleichsam herausgeschnitten werden müssen.“ Nach Schleiermacher kann die Religion das Gefühl für das Unendliche dadurch wecken, dass sie den Menschen lehrt, „alles Beschränkte als eine Darstellung des Unendlichen anzusehen.“ (SL 220) Es ist ein Gefühl der schlechthinnigen Abhängigkeit. Aussagen wie Heiligkeit, Allmacht, Allgegenwart, Ewigkeit sind demnach nicht Aussagen über Gott, sondern Aussagen über besondere Formen und Aspekte, die das Gefühl schlechthinniger Abhängigkeit in der religiösen Erfahrung annehmen kann (= wie es sich auswirkt, für „Gott“ offen zu sein, ihn zu erfahren. Darüber schreibt SL allerdings nichts). Schmidt-Leukel findet seine Auffassung auch bei Bultmanns Konzept der existentialen Interpretation, bei Rahners Verständnis von mystagogischer Rede oder bei der SymbolTheorie Tillichs, „die in der Lage ist, lebendige Erfahrung Gottes wachzurufen“. (SL 237) Von Gott kann nicht wie von einem Objekt gesprochen werden, auch nicht als von einem Erkenntnisobjekt. Man darf und braucht aber nicht bei diesem Verdikt über alle Gottesrede stehen bleiben, vielmehr berechtigt die Sinnstiftung eine positive Redeweise über die transzendente Wirklichkeit. So schlägt auch Hick vor, die konkreten Beschreibungen der transzendenten Wirklichkeit als einer personalen oder impersonalen Wirklichkeit auf die damit jeweils verbundenen Erfahrungen zurück zu beziehen. Die Begriffe, mit denen wir das tun, haben (nach der Bedeutungstheorie Hicks) einen pragmatistischen Ansatz, er umfasst die Bedeutung, die etwas für uns hat. Hick: „ Ihre Fähigkeit angemessene Reaktionen auf das Wirkliche hervorzurufen“. (Wie ist die Wirkung des Glaubens daran beteiligt?) Angemessene Reaktionen sind auch ein Kriterium, nach dem sich die unterschiedlichen Transzendenzvorstellungen kritisch bewerten lassen, nämlich ob sie den Menschen in eine lebensdienliche Haltung gegenüber der transzendenten Wirklichkeit bringen. Nach Hick ist dies genau dann der Fall, wenn diese Vorstellungen eine „Umwandlung der menschlichen Existenz von der Selbst-Zentriertheit zur Zentriertheit auf die (transzendentale) Wirklichkeit hervorbringen – eine Umwandlung, die sich unter den Bedingungen dieser Welt, in Mitgefühl (Karuna) beziehungsweise Liebe (Agape) erweist.“ (zit.n. SL 241) Zur Bestimmung, was angemessen und richtig ist, ist ein Rückgriff auf die normativen Leitbilder und Offenbarungsträger der eigenen Tradition unvermeidlich. Z.B. auch der Rückgriff auf das Verständnis von „Heil“ im Christentum.(S. 250 f) Jesus im Sinne des kommunikationstheoretischen Offenbarungsverständnisses ist optimaler Offenbarer. „Was sich von dem unbegreifbaren Gott auf lebendige beziehungsweise erfahrbare Weise erfassen lässt, das ist an Jesus sichtbar und konkret geworden“. (SL 274) Aus pluralistischer Sicht kann auch die Auffassung akzeptiert werden, dass Christus die Ursache allen Heiles ist, wenn dabei unter „Christus“ im Sinne vieler Kirchenväter, der universale logos verstanden wird = die universale Selbsterschließung Gottes, die Ursache allen Heils ist. Das kann aber auch von anderen Namen wie Rama, Krishna, Isvara gesagt werden. (Auch das Christentum selbst hat mehrere Namen, die sich überschneiden: Der kosmische Christus, die zweite Person der Trinität, Gott der Sohn, der Heilige Geist. Der Gedanke einer Umstimmung Gottes durch den Tod Jesu ist nach Rahner metaphysisch unmöglich). Jesus wird vielmehr als die überzeugendste Inkarnation der Liebe Gottes zu den Menschen und der Liebe von Mensch zu Mensch verstanden und geglaubt. Natürlich hat jede Erfahrung ein interpretatives Element, und dies nicht nur nachträglich, sondern im Vorgang der Erfahrung selbst. (Vexierbild Ente/Hase). So kann ein Ereignis sowohl als Tat Gottes als auch als rein politischer Vorgang erlebt werden. (Frage: sind Erlebnisse also nur subjektiv? Konstruktivismus?) Jede Kultur und Religion lebt in ihrer eigenen, selbstgeschaffenen Welt. Es gibt aber trotz aller religiösen kulturellen und individuellen Verschiedenheit letztlich eine Teilhabe an einer gemeinsamen Wirklichkeit. Wir können von Gott reden, obwohl er „eigentlich“ unsagbar ist: Wer das sagt, hat auch schon etwas über das Unsagbare gesagt. Der Dualismus (gut – böse, endlich-unendlich) kann relativiert werden, wenn (wie Thomas von Aquin vorschlägt) die Worte über Gott in einem analogen Sinn verstanden werden. (Das ist weder völlig gleicher Sinn noch völlig verschieden, sondern eben ähnlich bzw. analog. SL 232. ) Wenn wir sagen Gott ist ein guter Vater, dann wissen wir zwar, was ein guter Vater ist, aber nicht, was diese Aussage in Bezug auf Gott bedeutet. Reden von und glauben an Gott wird durch die Offenheit für andere Religionen nicht leichter, aber doch auch bereichert. Christliche Spiritualität wird dadurch nicht entwertet oder beliebig variierbar, sondern in einem größeren Zusammenhang gesehen.