Predigt am 24.02.13 - Reminiscere - in Oslo "Simon, Simon, siehe, der Satan hat begehrt, euch zu sieben wie den Weizen. Ich aber habe für dich gebeten, dass dein Glaube nicht aufhöre. Und wenn du dereinst dich bekehrst, so stärke deine Brüder. Er aber sprach zu ihm: Herr, ich bin bereit, mit dir ins Gefängnis und in den Tod zu gehen. Er aber sprach: Petrus, ich sage dir: Der Hahn wird heute nicht krähen, ehe du dreimal geleugnet hast, dass du mich kennst." Lk 22,34-34 Liebe Gemeinde! Jedes Jahr zwischen Aschermittwoch und dem Auferstehungsfest haben wir diese Passionszeit, die Leidenszeit Jesu, die wir mitgehen. Wir erleben - zumindest in den Gottesdiensten und christlichen Veranstaltungen - diese Zeit vor Ostern als eine Zeit des Leidens, der dunklen Themen, der ernsthaften Fragen, mancher schweren Lieder. Wir bekommen Verschwörungen und dunkle Mächte mit, Schuld und Versagen. Aber auch Entwicklungen, die trösten, Zusagen, die in schweren Zeiten aufbauen. Die wir sonst nicht so thematisieren. Gleichzeitig bekommen wir in diesen Schilderungen der Evangelien ein Bild von Jesus in seinem Leiden. Und wir versuchen, zu verstehen, wie er diesen Weg für uns und mit uns geht. Das, was wir erleben, was wir für Bibeltexte anschauen, führt uns in eine Art Schattenland, in dem verborgene Seiten an uns zum Vorschein kommen, aber auch Veränderungen möglich werden. - Eines dieser Themen der Passionszeit ist das Thema: Versuchung, Anfechtung, Geprüftwerden. An den ersten Sonntagen der Passionszeit wird - über die Jahre hin - gepredigt über die Versuchungsgeschichte Jesu und über den Sündenfall des Menschen im Paradies. Über Geduld und Glaube, Standfestigkeit und Hoffnung. Und wir können entdecken: Die Versuchungsgeschichten und das, was dort thematisiert wird - das sind unsere Geschichten. In dieser Zeit der Vertiefung in das größte Drama aller Zeiten denken wir auch an unsere Gefährdungen, die Proben und Gefahren für unseren Glauben. Und an das, was uns Halt und Zuversicht geben kann, auch in Versagen, Fragwürdigkeit und Schwachheit. - Hier wird einer der Versuchung erliegen: Simon Petrus, der leidenschaftliche Urtyp des Jüngers gerät heute in unser Blickfeld. - "Simon, Simon, siehe, der Satan hat begehrt, euch zu sieben wie den Weizen. Simon, Simon: Eindringlich wiederholt Jesus seinen Namen, seinen natürlichen Namen. Den Namen, den er hatte, bevor Jesus ihm den Namen Kephas, Petrus, Fels gab. Ihr werdet in dieser Zeit des Leidens und Sterbens gesiebt wie man es beim Weizen macht, wenn er im Wind von der Spreu getrennt wird. Jetzt werden die Weizenkörner getrennt von allem Schmutz, allen Sandkörnern und allem Unkrautsamen. Fallt Ihr durch, wenn man euch schüttelt? Und wie könnt ihr euch verändern zu Persönlichkeiten, die auch das Unerwartete, Erschreckende integrieren können? Wie könnt ihr den Infragestellungen begegnen? Neuen Aspekten, die plötzlich auftauchen und die ihr vorher nicht beachtet habt? Petrus fällt durchs Sieb. Das scheint jetzt schon fest zu stehen. Gerade weil er Jesus beistehen will, dabei sein will bei dem, was sie mit ihm machen, kommt er in die Situation, ihn zu verleugnen. Jesus rechnet auch die Jünger zu denen, die wie Spreu im Wind davonfliegen können. Er weiß, dass keiner von sich aus so standhaft ist, dass er nicht durchfallen könnte. - Wir haben die Szene wahrscheinlich vor Augen beim Verhör Jesu im Palast des Hohenpriesters. Petrus will sich am Feuer wärmen. Wird gefragt, ob er diesen Angeklagten kennt. Dreimal leugnet er die Freundschaft, ja sogar die Bekanntschaft mit Jesus. Fällt Petrus in den Abgrund, kommt er auf den Weg von Jesus weg? Bleibt sein Glaube stabil? Wodurch kommt er weiter? Der Weg zur Hölle ist mit guten Vorsätzen gepflastert, sagt man. Petrus ist auf diesem Weg. Er hat die besten Absichten, das bestreitet Jesus auch nicht. Petrus sagt: Herr, ich bin bereit, mit dir ins Gefängnis und in den Tod zu gehen. "Das kann doch einen Seemann nicht erschüttern", so scheint der Fischer vom See Genezareth zu denken. Und da haben wir die eigentliche Versuchung und Anfechtung des Petrus. Er meint, dass er allen Anforderungen an seinen Glauben gewachsen ist. Petrus ohne Schatten, ohne Fehl und Tadel - so ein Selbstbild hat er. Das ist sein Problem. Noch merkt er nicht, kann es sich auch kaum vorstellen, wie verlassen er ist, wenn er sich auf sich selbst verlässt. Wenn selber gebastelte Selbstbilder ins Wanken kommen. Jesus sagt zu Petrus: Petrus, ich sage dir: Der Hahn wird heute nicht krähen, ehe du dreimal geleugnet hast, daß du mich kennst Was sieht Petrus bei seiner Verleugnung? Er will Jesus sehen, ihm beistehen und sieht plötzlich die Schande, den nahenden Tod, das Unterliegen, den Sieg der Gegenseite. - Wie weit ist sein Weg zur Selbsterkenntnis am nächtlichen Feuer! Der Weg zu der Erkenntnis: "Ich kann nicht für mich und meinen Glauben garantieren, ein anderer muss seine Hand für mich ins Feuer legen." - Wie weit ist dann der Weg, bis Petrus sich unter Seufzen und unter Tränen an die Worte Jesu erinnert! - Wie weit, bis er durchlitten hat, dass Jesus stirbt! - Wie er nach Ostern, der Auferweckung des Meisters Angst hat, dem Auferstandenen in die Augen zu sehen. - Wie weit, bis er die befreiende und entlastende Verheißung versteht: "Du musst es nicht tun, ein anderer hat es schon für dich getan!" - Du wirst dich entwickeln. Ich kann dich brauchen. Du bist der Fels für andere. Aber jetzt, in dem Augenblick, bevor das alles passiert, ist er auf so etwas nicht gefasst. Petrus wird durchfallen und doch sorgt Jesus für seinen Glauben. Er sagt es ihm schon jetzt, öffnet seine Augen für das, was auch zu ihm gehört, was er nicht für möglich gehalten hätte. In den letzten Stunden vor seinem Tod arbeitet Jesus mit Petrus und sagt ihm, dass seine Selbsteinschätzung zu kurz greift. Jesus will ihn bereit machen, sich seinem Versagen zu stellen. Auffällig ist, dass Jesus nicht sagt: Pass bloß auf, Petrus, dass dir das nicht passiert. Mach nur keinen Fehler. Sei standhaft. Er sagt einfach, was passieren wird. Erst muss Petrus seine Maske, sein Selbstbild ablegen. Vor zwei Wochen hatten wir das als Thema unseres Gottesdienstes: Masken. Ein Selbstbild, das wir gerne vor uns hinhalten. Und das unsere Schattenseiten einfach überdeckt, uns damit aber auch den Zugang zu dem, was wir wirklich sind, verbaut. Dieses Bild, das wir von uns haben, ist stark von dem beeinflusst, was andere von uns wollen, wofür sie uns belohnen. Kein Wunder, dass wir uns daran fest halten, so wie Petrus daran festhielt. Jesus geht mit Petrus behutsam einen Weg durch das Versagen hindurch zu einem ganzheitlichen Glauben. Und wir haben geradezu den Eindruck: Dazu ist sein Scheitern notwendig. Letztendlich ist es eine grundlegende Veränderung – für Petrus und für uns: Hinter unsere Maske zu schauen, unsere dunklen und schwachen Seiten nicht mehr zu verdrängen, herauszufinden, wer wir wirklich sind. Der Franziskaner Richard Rohr, der vielleicht manchen bekannt ist, spricht in seinem neuesten, ins Deutsche übersetzte, Buch „Reifes Leben. Eine spirituelle Reise“, von der Herausforderung der zweiten Lebenshälfte. Wir wollen dieses Buch als Gesprächsgrundlage für eine Gesprächsund Lektüregruppe hier in der Gemeinde nehmen. Und er sagt dort, dass wir zur Weisheit der zweiten Lebenshälfte nur kommen, wenn wir uns mit unserem Schatten beschäftigen. Genau so etwas geschieht hier mit Petrus. Sein Glaube soll auf eine neue Stufe kommen, eine „Bekehrung“ soll bei ihm stattfinden. Jesus sagt zu ihm: Und wenn du dereinst dich bekehrst, so stärke deine Brüder. Bekehrung, Umkehr. Der, der alles verlassen hatte hinter Jesus her, der zum Jünger und Menschenfischer berufen wurde, der soll sich bekehren. Der soll zu einem Glauben kommen, der tiefer, reifer geworden ist. Ein Glaube, der anderen zur Verfügung steht. Petrus war auf einem falschen Weg. Aber er ist mittendrin in einem Prozess Danach wird er den Schwankenden Schwachen aufhelfen können, weil er sich nicht mehr über sie erheben kann. Er wird das kennen lernen, was in Psalm 51 ein „geängstetes, zerschlagenes Herz“ genannt wird, „das Gott nicht verachten wird“. Die nur Perfekten und Korrekten sind unerquickliche Zeitgenossen. Sie verbreiten keine Atmosphäre der Freude sondern schnüren anderen die Luft zum Leben ab. Erfolgstypen und eingebildete Heilige werden von Jesus nicht mehr erreicht. - Rechnen wir eigentlich noch mit solchen Bekehrungen in unserem Leben? Gehen wir davon aus, dass der lebendige Jesus Christus genau solche Wege mit uns geht, wie er es mit Petrus getan hat? Dass er uns und unserem Glauben hilft, sich zu entwickeln, sich nicht an unseren einseitigen Selbstbildern festzumachen, sondern an ihm? Jesus sagt zu Petrus: Ich aber habe für dich gebeten, dass dein Glaube nicht aufhöre. In allem, was passiert, darfst du mit mir rechnen, sagt Jesus damit. Du wirst nicht durchs Sieb fallen, auch wenn du versagen wirst. Dein Glaube wird weiter werden. - Petrus muss die Lektion erst noch lernen. Er muss lernen, was es heißt, wenn die Kraft Jesu in den Schwachen mächtig wird. Petrus behält seinen Glauben trotz seines Falls, seines Versagens, seines enttäuschenden Verhaltens. Und das deshalb, weil Jesus sein Anwalt und Fürbitter ist. Jesus weiß, dass auch das Versagen ein Teil des Entwicklungsweges sein kann, den er mit uns gehen will. Petrus bleibt der Fels, der trägt. Aber die Standhaftigkeit hat er nicht aus sich selbst, das steht seit diesem Gespräch mit Jesus fest. Petrus lebt aus dem Vorschuss der Fürsprache Jesu! Er hat einen, der die Beziehung zu ihm sucht, der ihn begleitet und seinen Glauben wachsen lässt. - Wie sieht es aus, wenn wir unseren Schattenseiten begegnen? Zum Beispiel: Wenn mich etwas verärgert, ich merke, wie meine Stimme lauter wird, ich heftige emotionale Reaktionen zeige, die dem Anlass nicht ganz angemessen ist, habe ich einen Moment lang etwas von meinem Schatten mit bekommen. Wenn ich mich dabei ertappe, weiß ich, dass der Hahn des Petrus soeben gekräht hat. Dann gilt es, aufmerksam zu sein und mich dem zu stellen, was sich da meldet und was ich eigentlich nicht zu Gesicht bekommen möchte. Heute hören wir: Selbst unser Versagen, gerade die schmerzliche Konfrontation mit dem, was wir wirklich sind, kann Gott gebrauchen, um uns zu Menschen zu machen, deren Glaube nicht aufhört und die andere stärken im Glauben. - Lasst uns ganz neu auf den sehen, der uns wie kein anderer kennt. Der für unseren Glauben sorgen kann, wo wir ihn schon lange verloren hätten. Der für uns einsteht und bittet. Und lasst uns weniger auf uns selber sehen. Es geht nicht darum, dass wir unsere guten Vorsätze beteuern und stolz vor uns hertragen. Die sind nicht viel wert. Wir wollen dem Versprechen Jesu, dass er uns nicht fallen lässt, mehr trauen als unseren eigenen Programmen. Wir wollen seinem Auftrag mehr trauen als unseren eingestandenen oder heimlichen Zweifeln an uns selbst. Er hat neue Stufen des Glaubens für uns. Dann werden wir auch einander beistehen können, einander stärken und auf ihn hinweisen können. Amen.