Markus 10, 35-45 Lüneburg 29. März 2009 Liebe Gemeinde, warum, so die Frage eines Ostfriesenwitzes, sind in Ostfriesland die Straße so breit? – Weil die Busse dort so breit sind. Aber warum sind denn die Busse so breit? – Weil alle Ostfriesen vorne sitzen wollen. Bevor Sie sich das allzu bildlich vorstellen und über die Ostfriesen lachen, füge ich hinzu: nicht nur die Ostfriesen. Viele, sehr viele Menschen wollen vorne sitzen – nicht im Bus vielleicht - aber im Leben. Wir kennen es nur allzu gut: das Gerangel um die besten Plätze. Nicht alle Menschen gehen so direkt und unverschämt vor, wie es die beiden Brüder aus dem Jüngerkreis tun, Johannes und Jakobus. Die kommen, wir haben das gehört in der Lesung, zu Jesus und wollen sich ganz ohne Scheu und Verstellung schon mal die besten Plätze sichern. Das ist so eine Art Ehrenplatz-Vorbestellung für das Reich Gottes. Köstlich wie die beiden dabei vorgehen. Ich kenne das von meinen Kindern: „Wenn ich dich jetzt was frage, Papa, dann musst du ja sagen.“ Jakobus und Johannes sagen „Meister, wir wollen, dass du für uns tust, was wir dich bitten werden.“ Sie hätten gerne die Zusage bevor sie gesagt haben, was sie wollen. Jesus fragt zurück: Was wollt ihr denn, was soll ich für euch tun? - „Gib uns die beiden Plätze rechts und links von dir in deiner Herrlichkeit.“ Ganz schön dreist, die beiden. Die besten Plätze. Auf jedem Kindergeburtstag sind das die begehrtesten Plätze: rechts und links vom Geburtstagskind. So ähnlich stellen sich das die beiden vielleicht vor. Aber Jesus macht sehr deutlich, dass das Leben mit ihm kein Kindergeburtstag ist. Er sagt den beiden, dass sie gar nicht wissen, um was sie da bitten. „Könnt ihr den Kelch trinken, den ich trinke, oder euch taufen lassen mit der Taufe, mit der ich getauft werde?“ In diesen Bildern spricht Jesus von seinem Leiden und seinem Tod. Kelch – das ist der Kelch seines Leidens. Getauft werden – damit meint er sein Sterben. Die Hauptperson der Veranstaltung, um die es hier geht, feiert kein Fest und auch keinen Kindergeburtstag. Jesus geht ins Leid und in den Tod. „Könnt ihr da mit gehen?“ Aber selbst von diesem Hinweis lassen sich die beiden nicht beirren: „Ja, das können wir“, lautet ihre knappe Antwort. Ein bisschen vollmundig, kann man denken. Doch Jesus bestätigt dies – ‚ ja es wird so kommen, dass ihr den Märtyrertod erleidet’ - doch die Plätze rechts und links habe ich nicht zu vergeben, das ist allein Gottes Sache. Pech gehabt mit ihrer unbescheidenen Vorgehensweise. Doch das Gerangel um die besten Plätze geht weiter. „Als das die Zehn hörten, wurden sie unwillig über Jakobus und Johannes.“ Martin Luther formuliert es in einer Predigt über diese Verse so : „Die anderen zehn Jünger sind auch nicht viel witziger noch frömmer, denn um solcher Sache willen heben sie auch ein Gemurmel an und wollten nicht gern den zwei Brüdern den Vorrang lassen.“ Es fällt nicht schwer, sich das vorzustellen. Die Gesichter, die Gesten, das Gegrummel, Gemurmel, der Ärger. „ Was bilden die sich denn ein.“ „Die wollen wohl was besseres sein.“ Es ist so leicht, sich das Getuschel und die Blicke, das Gerangel um die besten Plätze vorzustellen – weil wir es allzu gut kennen, erleben und mitmachen. Vielleicht – wahrscheinlich – machen wir es geschickter, verdeckter als Johannes und Jakobus. Aber so läuft der Kampf um Anerkennung, Geltung und Ehre, Macht, Einfluss und die besten Ausgangspositionen in der Politik – wie das geht, können wir jeden Tag vor den Mikrofonen und im Scheinwerferlicht der Medien miterleben. Sehen Sie mal genau hin, wenn jemand ein Thema anspricht oder – wie das heute heißt – eine Partei ein Themenfeld besetzt. Weite Teile der Politik – ein weites Feld des Gerangels um die besten Plätze. Sie müssen sich einfach einmal erzählen lassen, wie das läuft in den Parteien bei der Verteilung der Listenplätze für die nächste Wahl. Und das Ganze bemäntelt mit warmen Worten, dass es um die Interessen der Bürger und um das Gemeinwohl ginge. In Betrieben, am Arbeitsplatz– sowohl, wenn es um Aufstiegschancen geht oder wenn Entlassungen drohen – der blanke Kampf um den eignen Vorteil in Familien, nicht nur bei der Sitzordnung bei Feiern sondern vor allem wenn’s ums Erben geht In der Schule, in …. Ja, auch in der Kirche. Bleiben wir ehrlich. So ehrlich, wie es uns hier erzählt wird – aus dem Jüngerkreis, die engsten Freunde und Wegbegleiter von Jesus. Das ist ja ernüchternd und ein bisschen tröstlich zugleich. Bei Kirchens, wie man so sagt, hängt über dem Ganzen noch ein Mantel mehr, der Mantel der Liebe und Demut. Das verschärft an manchen Stellen das Problem, weil nicht offen gestritten wird. Unter der Decke aber wird gekämpft und gerangelt, manchmal knallhart. Es ist nicht schön, das zu sehen und zu erleben. Aber das, was uns hier von den Jüngern erzählt wird, könnte uns ehrlicher machen im Hinsehen und im Umgang damit. Martin Luther King, der amerikanische schwarze Bürgerrechtler hat in einer Predigt kurz vor seinem Tod aufgedeckt, woran das eigentlich liegt. Er sagt: „Wir würden wohl sehr schnell… Jakobus und Johannes verdammen und selbstsüchtig nennen. Warum sprechen sie eine so selbstsüchtige Bitte aus? Aber bevor wir sie zu schnell verdammen, lasst uns ruhig und ehrlich uns selber betrachten. Und werden entdecken, das auch wir dieses elementare Verlangen nach Anerkennung, nach Bedeutsamkeit haben, dasselbe Verlangen nach Beachtung… Erster zu sein… Wir müssen begreifen, dass wir einige der Eigenschaften von Jakobus und Johannes haben. Es gibt tief in uns einen Instinkt: es ist eine Art Tambourmajor-Instinkt – der Wunsch ganz vorn zu sein; der Wunsch, die Parade anzuführen; der Wunsch, Erster zu sein. Und das ist etwas, was alle Lebensbereiche durchzieht.“ Tambourmajor – das ist der, der mit dem großen Stab vorneweg marschiert, den Takt angibt, das Tempo bestimmt. Und ich kann mich noch gut erinnern, dass wir als Kinder allzu gerne neben ihm gelaufen wären, ein Spielfreund hat sich das auch getraut – mit einem langen Stock in der Hand. Tambourmajor-Instinkt, sagt Martin Luther King. „Und das ist etwas, was alle Lebensbereiche durchzieht“ und bestimmt. Sagen, wo’s langgeht. Wie es mal ein Kind zu seinem Vater sagte, als der geäußerte Wunsch kein Gehör fand: „Immer bist du der Bestimmer! Wenn ich groß bin, will ich Bestimmer sein!“ Und dann mal zu den anderen sagen können : „Ruhe auf den hinteren Plätze!“ Und das Ganze, liebe Gemeinde, kommt daher, dass wir mit dem Tambourmajor-Instinkt ein Denkmodell tief verinnerlicht haben: die Pyramide. Das Leben ist wie eine Pyramide aufgebaut und die besten Plätze sind ganz oben – und da wollen, müssen wir hin – oder wenigstens ziemlich weit hoch. Darum dieses ganze Gerangel um die besten Plätze. Weil Jesus nun mitbekommt, dass es seinen engsten Freunden und heute seinen Leuten in der Kirche und in der Welt eher um Rangfolge als um Nachfolge geht, ruft er seine Jünger und uns zu einer Nachhilfestunde in Sachen Herrschaft und Dienen zusammen. Zunächst einmal – und das ist wegweisend auch für unseren Umgang mit solchen Dingen – macht er das Ganze öffentlich. Er lässt es nicht beim Gemurmel, Gegrummel, HintenrumReden, Getuschel und so weiter. Er spricht es offen an und sagt: „Ihr wisst, die als Herrscher gelten, halten ihre Völker nieder und ihre Mächtigen tun ihnen Gewalt an.“ Den Jüngern damals werden vor allem die römischen Besatzer eingefallen sein. So einer wie Cäsar, der schrieb, er habe ein Volk befriedet und meinte damit seine kriegerischen Unterwerfungen. Braucht irgendjemand von uns noch einen Beleg, liebe Gemeinde für das, was Jesus hier sagt? Wie die Machthaber Völker unterdrücken, wie Macht rücksichtslos und zum eigenen Vorteil missbraucht wurde und wird. Dass sich die schlimmsten Übeltäter „Wohltäter des Volkes“ nennen lassen. Dass der Führer, der das Volk ins schlimmste Unheil verführte, seinen Namen mit dem Heil zu einem Gruß verband, den alle zu leisten und dabei den rechten Arm hochreißen mussten. „Ihr wisst, dass das in dieser so Welt so läuft. Ja! So funktioniert das – oder genau besehen: so funktioniert die Welt eben gerade nicht, weil es so läuft. Das Meer von Blut, Leid und Tränen, Ungerechtigkeit, Ausbeutung und Unterdrückung ist ja ein Beleg dafür – das es so ist – und damit letztlich dem Leben völlig zuwider läuft. Wenn es funktionieren würde, hätte Bundespräsident Köhler in der letzten Woche nicht sagen müssen „dass jetzt alle erkennen können: Keiner kann mehr dauerhaft Vorteil nur für sich schaffen. Die Menschheit sitzt in einem Boot. Und die in einem Boot sitzen, sollen sich helfen. Eigennutz im 21. Jahrhundert heißt: sich umeinander kümmern. Freiheit ist kein Vorrecht, die besten Plätze für sich selbst zu reservieren. Wir wollen lernen, Freiheit nicht nur für uns zu nehmen, sondern sie auch anderen zu ermöglichen. Die Glaubwürdigkeit der Freiheit ist messbar: in unserer Fähigkeit, Chancen zu teilen. Nach innen. Und nach außen. Und in unserer Bereitschaft zur Verantwortung für den Nächsten und das Wohl des Ganzen. Schaffen wir mehr Aufmerksamkeit, Mitgefühl, Zuwendung füreinander in diese Welt. In unsere eigene und in die der anderen. Wir müssen uns auf Werte verständigen, die wir alle teilen und deren Missachtung die Gemeinschaft nicht dulden wird. Das Grundprinzip lautet: Wir wollen andere in Zukunft nur so behandeln, wie wir selbst behandelt werden wollen. vermeintlich besten Plätze gibt, dann habt ihr noch nicht begriffen, was Nachfolge eigentlich bedeutet. Bei mir, sagt Jesus damit, gelten andere Maßstäbe von dem, was Groß ist. Großartig ist Dienst, nicht Herrschaft. „Ihr wisst, dass die, dass die Herrscher der Völker, ihre sogenannten Großen, die kleinen Leute und mit Gewalt unterdrücken. „Ja, das wissen wir“, sagen wir mit den Jüngern. Das ist die Umkehrung unseres Denkmodells. Jesus macht deutlich: die Pyramide steht auf der Spitze. Jesus hat der Welt einen anderen Weg gezeigt, einen Weg, der letztlich dem Leben dient. Eine echte Alternative zu dem Konkurrenz- und Verdrängungskampf. Er hat diesen Weg gezeigt, indem er ihn gelebt hat. Er hat am eigenen Leib erfahren, was er gesagt hat: „Der Menschensohn ist nicht gekommen, dass er sich dienen lasse, sondern dass er diene und sein leben gebe als Lösegeld für viele.“ Lösegeld wurde in der Antike das Geld genannt, das jemand gab, um einen Sklaven frei zu kaufen. Lösegeld ist das, was gezahlt wird, wenn ein Mensch entführt wurde. Lösegeld bedeutet Befreiung aus Gefangenschaft und Angst, befreit wieder zu leben. Jesus gibt sein Leben als Lösegeld – er befreit von der Sklaverei des Kampfes um die besten Plätze. Erlöst von dem Krampf, immer nachweisen zu müssen, dass man etwas wert ist. Befreit von der Fremdherrschaft des Urteils anderer über mich. Diese Befreiung, Entkrampfung und Erlösung umschreibt Martin Luther in der Erklärung zum zweiten Teil des Glaubensbekenntnis so: Ich glaube, dass Jesus Christus …sei mein Herr, der mich verlorenen und verdammten Menschen erlöst hat, vom Tod und von der Gewalt des Teufels, nicht mit Gold oder Silber, sondern mit seinem unschuldigen Leiden und Sterben, damit ich sein eigen sei und ihm diene…..“. „Aber so ist es nicht unter euch.“ – Moment, war das gerade ein Hörfehler „so ist es nicht unter“. Hat er da etwas nicht bekommen? Findet diese Nachhilfestunde in Sachen Nachfolge nicht gerade deshalb statt, weil es unter uns auch so ist? Oder ist es ein Übersetzungs- und Abschreibefehler späterer Schreiber und Jesus hat gesagt „So soll es unter euch nicht sein“? Nein, hier steht tatsächlich: „So ist es nicht unter euch; sondern wer groß sein will unter euch, der soll euer Diener sein; und wer unter euch der Erste sein will, der soll Knecht für alle sein.“ Jesus klärt die Verhältnisse, indem er sagt, wie es bei ihm läuft: wer groß sein will, soll dienen und wer der Erste sein will, soll die Drecksarbeit übernehmen. Es reicht ein Moment des Nachdenkens über das, was diese Worte bedeuten, um zu begreifen: das stellt die Verhältnisse, wie wir sie kennen, auf den Kopf. Das ist eine tiefe Infragestellung unseres Tambourmajor-Instinktes. Jesus sagt schlicht: bei mir ist das so. Und darum bei euch auch. Das heißt nicht weniger als dies: wenn ihr anders macht, wenn es bei euch immer noch dieses Gerangel um die Um Sie und mich zu befreien, hat er sich hingegeben. Ich sage es einmal persönlich: der stärkste Anstoß für mich Jugendlicher, Christ zu werden, war, als ich eines entdeckt habe: - den entscheidenden Unterschied zwischen den sogenannten Großen der Geschichte und Jesus Christus. Ob sie Alexander, Friedrich, Cäsar, August, Hitler, Stalin oder sonst wie hießen (oder auch die Gernegroßen, die wir kennen) – in einem sind sie gleich: sie haben immer andere für ihre Ideen und Ziele geopfert – und die Zahl der Opfer geht in die Milliarden. Und genau darin unterscheidet sich Jesus – er opfert nicht andere für sich, er gibt sich hin – für Sie und mich. „Ich bin nicht gekommen, um mir dienen zu lassen, sondern um zu dienen und mein Leben hinzugeben zu einem Lösegeld für Viele.“ Damit stellt er die Pyramide auf den Kopf und macht klar: wer mir nachfolgt, für den gelten die Maßstäbe, die ich gesetzt habe: Dienen, nicht beherrschen – dienen dem Leben und den Menschen. Und damit ich komme ich zum Schluss zu dem Bild, über das ich in dieser Woche bei der Vorbereitung für die Predigt gestolpert bin. Vielleicht ging es Ihnen wie mir. Zunächst befremdet, verwirrt. Das Kreuz in einer Küche, vor dem Hintergrund von Kacheln und einer Wasserleitung, mitten zwischen Kannen, Getränkekartons, Spülmittelflasche und Vorräten. Das Foto ist durch die Bedienungs-Luke einer Pizzeria gemacht worden. „Ja, diese katholischen Italiener“ denkt vielleicht jemand, „die machen so was. Überall ein Kruzifix.“ Aber je länger je mehr – und darum habe ich es heute morgen mitgebracht für Sie – hat es mich angesprochen: Jesus – dort wo das Leben stattfindet, wo gearbeitet, geschuftet wird. Die Erinnerung an den, der uns gedient hat und sich hingab. Und der gesagt hat: „bei mir und darum auch bei euch ist es anders als in der Welt üblich. Wer unter euch eine bedeutende Rolle spielen will, der übernehme die Rolle des Dieners und wer ganz vorne, ganz oben sein will, der übernehme die Drecksarbeit.“ Die Plätze rechts und links neben diesem Jesus sind Arbeitsplätze für das Leben. Amen