Schlussbericht Audits Regionale Geriatrische Stützpunkte im Kanton Bern 1. Auftrag Aufbau regionale geriatrische Stützpunkte für die akutgeriatrische Versorgung an den regionalen Spitalzentren des Kantons Bern gemäss der Versorgungsplanung der Gesundheits- und Fürsorgedirektion des Kantons Bern 2007 bis 2010. Die beteiligten Mitarbeiter der 7 regionalen Spitalzentren wurden an insgesamt 3 Geriatrietagen über das Projekt informiert, geschult und fortgebildet. Im Regionalspital Emmental wurde von Juli bis September 2010 und im Hôpital du Jura bernois vom September bis November 2010 eine Pilotphase durchgeführt. Am Geriatrietag III vom 9.11.2010 wurden die beiden Pilotphasen ausgewertet und allen Beteiligten finale Instruktionen gegeben mit dem Ziel anfangs 2011 die akutgeriatrische Versorgung in den Spitalzentren einführen zu können. Bezüglich der Organisationsform der geriatrischen Stützpunkte sind die Zentren frei. Der Stützpunkt kann rein konsiliarisch ohne geriatrische Bettenkapazitäten oder als eigene Abteilung geführt werden, allenfalls mit teilstationärem oder ambulantem Angebot. Bei entsprechenden Fallzahlen kann die Kooperation mit einem anderen regionalen Spitalzentrum sinnvoll sein. 2. Gesamtauswertung September 2011 – März 2012 Die 7 regionalen Spitalzentren des Kantons Bern sind mittelgrosse Spitäler, meist mit mehreren Standorten, mit medizinischer, chirurgischer und gynäkologisch-geburtshilflicher Klinik mit insgesamt 4000 – 9000 Patienteneintritten pro Jahr, mit 1000 – 3000 Eintritten in der medizinischen Klinik, wobei hier 2/3 – 3/4 der Patienten über 75-jährig sind. Die mittlere Aufenthaltsdauer in den medizinischen Kliniken beträgt 7 – 8 Tage. Umsetzung Die Umsetzung der akutgeriatrischen Versorgung in den verschiedenen Kliniken ist in Bezug auf Qualität und Vollständigkeit sehr unterschiedlich ausgefallen. In der Regel wurde der akutgeriatrische Behandlungsprozess während 6 – 12 Monaten bis zum Zeitpunkt des Audits eingeführt und anschliessend mit der Frage nach dem zukünftigen Procedere vorläufig auch weiterverfolgt. In einem Zentrum wurde lediglich in einem Spital eine Pilotphase von 6 Monaten durchgeführt. In einem anderen grösseren Zentrum wurde nach Wegfall des Geriaters der organisierte und strukturierte akutgeriatrische Versorgungsprozess nicht weitergeführt. Auswertung Die Auswertung der Durchführung ist ebenfalls sehr unterschiedlich. In einzelnen Zentren wurde der Behandlungsprozess detailliert dokumentiert und ausgewertet. In anderen Zentren wurden Screening und Assessment klinisch eingeführt, aber bezüglich Compliance und Wirkung nicht ausgewertet. Lediglich in zwei Zentren wird zumindest das Screening und zum Teil auch das Assessment im Gesamtspital durchgeführt. Bei den anderen Zentren ist die Umsetzung auf die Medizinische Klinik, bei mehreren Standorten sogar nur auf die Hauptklinik beschränkt. Screening Das Screening hat in der Regel eine gute Compliance von 80 – 95 %, wenn ausgewertet. Der Screeningbogen ist meist Teil der Basisdokumentation in der Krankengeschichte. Das Ausfüllen der Screeningbögen ist Aufgabe des verantwortlichen Assistenzarztes, nachdem mit dem Kaderarzt abgeschätzt wurde, ob eine länger als 7 tägige Hospitalisation erwartet wird. Die Einschätzung der Dauer der Hospitalisation wurde im Allgemeinen als schwierig erachtet, wobei bei den dokumentierten Pilotphasen die Resultate nicht so schlecht waren. Der Zeitaufwand für das Screening beträgt wenige Minuten. Die Schwierigkeit ist zum Teil daran zu denken. An einem Zentrum ist die elektronische KG so programmiert, dass ohne ausgefülltes Screening nicht weitergearbeitet werden kann. 1 Assessment Bei den Assessments war die Compliance etwas weniger gut, in den dokumentierten Zentren 50 – 70%. Als Gründe für fehlende Assessments wurden Kurzhospitalisation, Exitus, Rehospitalisation, schlechter Gesundheitszustand, Sprache und organisatorische Probleme genannt. Einzelne dieser Gründe sind nicht beeinflussbar, so dass die tatsächliche Compliance wahrscheinlich besser ist. Verantwortlich für die Durchführung des Assessments ist zum Teil der Assistenzarzt, in mehreren Zentren ist eine Pflegefachfrau mit speziellem Auftrag zuständig. Sie führt die Assessments dann auch vollständig durch. In anderen Zentren werden die Assessments gemeinsam von Assistenzarzt (Mini Mental- und Uhrentest, Hören und Sehen), Pflege (Barthel), Physiotherapie (Get-up-and-Go-test und Einbeinstand) und der Ernährungsberaterin (Nutritional Risk Screening) durchgeführt. Der zeitliche Aufwand für die Durchführung des Assessments per se dauert eine halbe bis 1,5 Stunden, wenn die entsprechende Auswertung für die Umsetzung dazugenommen wird bis 2 Stunden. Ein grosses Problem ist in den meisten Zentren die kurze Aufenthaltsdauer der Patienten. Das Assessment sollte möglichst bald, aber unbedingt innerhalb der durchschnittlichen Aufenthaltsdauer von 7 Tagen durchgeführt werden. Das ist häufig aus verschiedenen Gründen nicht möglich. Am häufigsten wurden schwere Krankheit, Delirium, Verweigerung und logistische Probleme genannt. Zudem, wenn das Assessment spät kommt, kann es gar nicht für die Behandlung miteinbezogen werden. In mehreren Zentren wird das Assessment für die Steuerung des Behandlungsprozess gar nicht als hilfreich erachtet und somit auch nicht umgesetzt. In einzelnen Zentren wird das Assessment im Austrittsbericht erwähnt, damit zumindest der Hausarzt die nötigen Informationen erhält. Management Das geriatrische Management ist in der Regel wenig ausgebildet. Es finden zwar wöchentliche Rapporte statt, diese sind aber nur in seltenen Fällen wirklich interprofessionell mit Pflege, Ärzten, Therapeuten, Sozialarbeiter und allenfalls Psychiater. Familiengespräche mit Angehörigen finden statt, sind aber nicht fester Bestandteil. Hausabklärungen werden ganz selten mal durchgeführt. Im Spital Thun Simmental, im Regionalspital Emmental, im Regionalspital Oberaargau und im Regionalspital Frutigen Meiringen Interlaken fehlt ein Geriater. Es gibt vereinzelt Pflegende und Therapeuten mit geriatrischer Spezialausbildung, aber bei fehlender ärztlicher Leitung durch einen Geriater ist es schwierig ihr geriatrisches Know-how einzubringen. Bauliche Gegebenheiten Die baulichen Gegebenheiten entsprechen auf den Abteilungen in der Regel einer Akutklinik und es gibt kaum spezielle Räume für geriatrische Aktivitäten. Die Infrastruktur für Physio- und Ergotherapie ist allermeistens genügend, in der Regel sehr gut ausgebaut. 3. Beurteilung Die Umsetzung der akutgeriatrischen Versorgung ist in den 7 Zentren ganz unterschiedlich. Sie wurde meistens an die Hand genommen und weitergeführt, zum Teil auch abgebrochen oder gar nicht begonnen. Die Umsetzung blieb auch grösstenteils auf die Medizinischen Kliniken beschränkt. An einem Zentrum haben sich die Chirurgen explizit geweigert mitzumachen. Das Screening, wenn einmal institutionalisiert, funktioniert gut. Die Durchführung der notwendigen Assessments ist offensichtlich etwas schwieriger. Ein Problem ist, dass bei der kurzen Aufenthaltsdauer in den Akutkliniken das Assessment zu spät kommt und für Behandlungs- und Austrittsplanung nicht mehr verwendet werden kann. Im Klartext sagen einige Beteiligte, dass sie ihre Entscheide aufgrund der Klinik und nicht aufgrund des Assessments fällen. Diese Tatsache beeinträchtigt die Motivation Assessments durchzuführen. Das Problem ist, dass in den meisten Institutionen der Geriater fehlt, der dieses Assessment für den akutgeriatrischen Behandlungsprozess nutzbar machen kann. Was das geriatrische Management anbelangt, ist der organisierte, strukturierte Behandlungsprozess in der Regel nur zu einem kleineren Teil eingeführt. Auch dies ist auf den Mangel an Geriatern zurückzuführen. Im Spital Interlaken war 2008 – 2010 ein Geriater in der medizinischen Klinik tätig. Er führte in der Klinik für Innere Medizin eine Abteilung mit 16 Betten und 2 Screening, Assessment und Behandlung haben sehr gut funktioniert. Nachdem der Geriater vor 1,5 Jahren in die Praxis gegangen ist, werden Screening, Assessment und Behandlung nicht mehr durchgeführt. Die organisierte und strukturierte geriatrische Akutversorgung funktioniert nicht mehr. Alle Beteiligten waren sehr interessiert und bemüht, den alten Patienten eine adäquate Behandlung zukommen zu lassen. Die Einführung einer strukturierten akutgeriatrischen Versorgung hat meines Erachtens als Nebeneffekt auch eine Sensibilisierung für Probleme und Bedürfnisse der hochbetagten Patienten bewirkt. Es besteht viel Erfahrungswissen und -können, aber eben , es fehlt an qualifiziertem geriatrischem Personal, in erster Linie an Fachärzten mit Schwerpunkt Geriatrie. Zentrumspezifische Beurteilungen sind aus den Zusammenfassungen im Anhang ersichtlich. 4. Massnahmen Wie bereits mehrfach erwähnt ist die Umsetzung der akutgeriatrischen Versorgung in den verschiedenen regionalen Spitalzentren unterschiedlich weit fortgeschritten. Entsprechend müssen Massnahmen zur Verbesserung individuell angepasst werden. Ein ganz wesentliches Problem sind aktuell die fehlenden Fachärzte. Fehlendes geriatrisches Fachpersonal Geriater sind aktuell und wahrscheinlich auch in nächster Zukunft sehr schwierig zu rekrutieren. Im Regionalspital Emmental wird die Rekrutierung eines Geriaters von langer Hand geplant, für die nächsten Jahre kommen 2 – 3 ehemalige und aktuelle Mitarbeiter in Frage. Zur Überbrückung sind zum Einbringen des geriatrischen Know-hows folgende Möglichkeiten zu prüfen: regelmässige Unterstützung durch einen Kaderarzt des Zentrumspitals (Visiten,Konsilien) Zusammenarbeit mit einem in der Praxis etablierten Geriater (Dr. Ballmer in Interlaken, Dr. Naef im Oberaargau), LTC Long -term-Care Kurs(2 jährige Weiterbildung für Heimärzte)-Absolventen einbinden finanzielle Entschädigung für Screening und Assessment, damit das auch ohne Geriater weitergeführt wird. Die spezifische geriatrische Weiterbildung eines Kernteams bestehend aus Assistenzarzt, Pflegefachfrau, Physiotherapie, Ergotherapie und Logopädie könnte allenfalls zur Ueberbrückung der fehlenden oder reduzierten Aerztlichen Leitung beitragen. Anspruchsvoller akutgeriatrischen Behandlungsprozesses Screenings: einmal eingerichtet sind sie vom Aufwand her unproblematisch. Assessments: sie sind zum Teil sehr aufwendig. Hier müssen Wege zur Vereinfachung gefunden werden. Management von Hochbetagten: bleibt komplex und kann nicht vereinfacht werden. Umsetzung im Gesamtspital: ist offensichtlich schwierig und kann an die Hand genommen werden, sobald die akutgeriatrische Versorgung in den internistischen Kernkliniken eingeführt ist. Da der Stand der Dinge bezüglich Umsetzung der geriatrischen Akutversorgung in den verschiedenen Zentren sehr unterschiedlich ist, müssen Massnahmen auf Grund der vorliegenden Analysen individuell geplant werden. St.Gallen,29.März 2012 Prof.em.Dr.med.Christoph Hürny 3