Manuskript: Fischertag am Stadtbach

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MICHAELA GERICKE
MEMMINGEN DEUTSCHLANDRUNDFAHRT
Deutschlandradio Kultur
18.März 2006
Red: Sonja Scholz
REGIE
Jingle und Kennmusik
TAKE 1:
Memmingen ist eine Perle – es lässt sich hier herrlich durch die Straßen
und Plätze flanieren – es hat in manchem auch so bisschen südliche
Atmosphäre – also sie finden in Memmingen keine Lederhosen und
keine Trachtenhüte und Gamsbärte – das gibt’s hier nicht.
REGIE
Kennmusik
TAKE 2:
Die Bayern haben uns 1803 eingesackelt - durch Napoleons Gnaden dazu gibt’s den schönen Spruch, der aber auf Wahrheit beruht, dass der
Pfarrer hier von der Kanzel gepredigt hat – „liebe gemeinde, wir müssen
nun bayerisch werden, Gott gnad uns allen, aber wir haben es um
unserer Sündern willen auch nicht besser verdient“.
REGIE
Kennmusik
TAKE 3:
Es gibt jedes Jahr bayerische Theatertage, sie finden immer woanders
statt, wir sind sehr stolz, dass sie jetzt bei uns sind – die 24. – was bei
uns die etwas anderen bayerischen Theatertage sein werden, die immer
sehr schön und sehr toll sind, ist dass wir diesmal die Theatertage tief in
die Stadt hineintragen wollen
REGIE
Kennmusik
2
TAKE 4:
Also ich fieber dem Tag entgegen, wo i lang genug in Memmingen
wohn, um dann einem der Vereine beizutreten – überleg scho, ob i das
dann auch mal mache – in den Bach reinspringe: „neijuck“– in den
Bauch „neijuck“!
REGIE
Kennmusik (darüber)
Sprecher
Fischertag am Stadtbach – Memmingen im Allgäu
Eine Deutschlandrundfahrt mit Michaela Gericke
AUTORIN:
Memmingen: das Tor zu den Allgäuer Alpen, Verkehrsknotenpunkt der
Autobahnen A 7 und A 96 Richtung Bodensee, vor allem aber: Perle im
südlichen Schwabenland. Über Jahrhunderte hinweg konnte
Memmingen sein mittelalterliches Stadtbild erhalten, noch heute
dominieren spitzbogige Tore und eckige Türme sowie historische
Fassaden den Stadtkern. Die Schutzmauer drum herum ist noch
weitgehend erhalten und stammt aus dem Jahr 1180. Nur ein paar
hundert Jahre jünger ist das Lieblingsfest der Memminger. Der
Fischertag. Fischer im Allgäu? Die Erklärung liegt auf der Hand:
REGIE ATMO Wasserplätschern:
AUTORIN:
Durch Memmingen fließt ein Bach, der „so lebendig wie eine
unverwechselbare Nase im Gesicht der Stadt sitzt“, wie ein Chronist
schrieb. Er begeisterte sich schon im 17. Jahrhundert:
SPRECHER:
„Es hat schöne Forellen in diesem Wasser!
AUTORIN:
Und die werden auch heute noch alljährlich herausgefischt.
REGIE ATMO Böllerschuss:
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1. O-TON Uli Braun
Das ist meine Aufgabe auch, um punkt acht Uhr wird geschossen und
dann jucken die Fischer in den Bach und fangen die Forellen.
AUTORIN:
Am berühmten Fischertagsfest am letzten Samstag im Juli, wenn die
42000 Einwohner große Stadt nicht nur ihre Einwohner auf die Straßen,
sondern tausende Besucher nach Memmingen lockt. Uli Braun, der das
Signal für den Kanonenschuss gibt, war Kulturamtsleiter, inzwischen ist
er pensioniert, aber immer noch als „Heimatpfleger“ tätig, wie
ehrenamtliche Denkmalpfleger in Bayern heißen.
2. O-TON Uli Braun:
Ich bin ein gebürtiger Memminger, Kriegsjahrgang 1940 - meine Eltern
sind in Memmingen, mein Großvater war von 1910 - 1932
Oberbürgermeister - also wir sind Memminger.
Wir zählen uns stammesmäßig zu den Schwaben - staatsmäßig
gehören wir dem Freistaat Bayern an.
Aber hier wird natürlich schwäbisch g’schwätzt und nicht bayerisch. man kann schon no schwäbisch schwätze.
AUTORIN:
Uli Braun ist nicht sehr groß und wirkt bescheiden. Wenn es um die
Geschichte und Kultur der Stadt geht, scheint er geradezu über sich
hinauszuwachsen. Uli Braun hat – zunächst mit seinem Vater, dann
allein – Bücher zur Geschichte Memmingens verfasst. Sein Büro liegt
unweit des Ulmer Tors im so genannten „Grimmelhaus“. Das
dreistöckige ehemalige Wohnpalais einer reichen Patrizierfamilie steht
wie viele andere Gebäude in Memmingen unter Denkmalschutz. Das
Kulturamt sowie die wissenschaftliche Stadtbibliothek und die
Volkshochschule haben hier ihr Domizil. Geschichtsbücher türmen sich
überall im Arbeitszimmer von Uli Braun. An den Wänden stehen alte
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Bauernschränke, die Stuckdecke ist reich verziert. „Das ist einer der
schönsten Arbeitsplätze in der Stadt“, findet Uli Braun.
Er war und ist mitverantwortlich für den Erhalt der architektonischen
Höhepunkte.
Die Memminger sind stolz darauf, dass die Stadt früh protestantisch
wurde. Die ältesten evangelisch reformierten Gemeinden Deutschlands
befinden sich in der Gegend von Memmingen, sagt Uli Braun:
3. O-TON Uli Braun:
Die Stadt Memmingen wendet sich sehr früh schon der Reformation zu
und bleibt bis 1803 rein evangelisch, es gibt hier keine Katholiken in der
Stadt - das ändert sich durch die Bayern, die das neue Schwaben mit
Gewalt wieder katholisch machen wollten, was ihnen nicht gelungen ist aber das Konfessionsverhältnis hat sich doch in der Stadt verändert, vor
allem nach dem zweiten Krieg, als die Vertriebenen hier angesiedelt
wurden - mein Großvater war der letzte evangelische
Oberbürgermeister in Memmingen bis 1932, von da an sind nur
Katholiken als Oberbürgermeister zum Zug gekommen, das macht nix,
das sind auch rechte Leut
Der Stil der Gegenreformation, das Barock, fand in Memmingen kaum
Eingang, es gibt so drei, vier barocke Paradiesvögel in der Stadt, die
sich herausheben aus der gotischen Giebelstadt, das Rathaus mit
seinen eleganten Stuckaturen ....
AUTORIN:
Das Rathaus – majestätisch mit geschwungenen Giebeln, zwei
Erkertürmen und Erkervorbau – steht am Marktplatz. Buntes Treiben
herrscht an den Markttagen Dienstag und Samstag, im Sommer sitzen
Passanten um den hohen Brunnen herum, der vor dem Rathaus steht.
Das sonnengelbe langgestreckte ehemalige „Steuerhaus“ hat zwar eine
eher historisierend bemalte Fassade, hinter seinen Arkadenbögen aber
lockt ein Stadtcafé und Ladenbesitzer im Laubengang hoffen auf
Kundschaft. Auf dem Marktplatz spürt man etwas von der Atmosphäre
der einstigen freien Reichsstadt:
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4. O-TON Uli Braun:
Dieser Marktplatz war ja bis vor 30 Jahren ein Parkplatz, eine
Blechwüste, bis wir es geschafft haben, umzubauen ... - auch da war
der Heimatpfleger gefragt: da gab’s dann gleich wieder viele Leute, die
gefragt haben, „ja auf dem Marktplatz müssen wir doch Bäumle
hinstellen und Blumenkübel“ und so’n Quark und da hab ich also einen
harten Kampf gekämpft und mich durchgesetzt, dass dieser Marktplatz
nicht bebaumt wird - dieser Marktplatz darf kein Schrebergarten sein
sondern ein städtischer Architekturausdruck - auf dem Markusplatz in
Venedig stehen ja auch keine Bäum - oder auf’m Petersplatz.
AURTORIN:
Wer solch einen Vergleich wagt, muss stolz auf seine Stadt sein.
Selbstbewusst und kämpferisch – so charakterisiert Uli Braun die
Memminger – nicht nur zur Reformationszeit. Uli Braun sieht in
Memmingen gar die Wiege der Menschenrechte. Denn hier
versammelten sich Vertreter aufständischer Bauern vom Bodensee, aus
dem Allgäu und Oberschwaben. Sie entwarfen ein Manifest gegen
Leibeigenschaft und Ausbeutung:
5. O-TON Uli Braun:
Diese Delegierten versammelten sich im März 1525 in der großen Stube
der Kramerzunft zu Memmingen und haben ... aus rund 550
Einzelforderungen dieser aufständischen Bauern diese berühmten 12
Bauernartikel herausfiltriert - ... diese 12 Artikel stellen in ihrer
Quintessenz, in ihren Forderungen, die für uns heute eigentlich
selbstverständlich sind, stellen das erste Menschenrechtsprogramm der
Geschichte dar - auf die sich alle späteren Revolutionen berufen - ob
das die Französische Revolution ist, ob das die Russische
Oktoberrevolution, ob das die 48er Revolution in Deutschland ist, die
berufen sich alle auf diese Forderungen der 12 Artikel, die hier in
Memmingen geschrieben und gestellt worden sind.
AUTORIN:
Das Zunfthaus der Krämer steht noch – eine Tafel an der Fassade
erinnert an das historische Ereignis. - Wie überhaupt viele
Straßennamen in Memmingen an die alten Zünfte erinnern. Weber,
Gerber, Krämer. Vor sechs Jahren feierten die Memminger im Beisein
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von Johannes Rau 475 Jahre nach jenem historischen März 1525 ein
Fest und initiierten den Memminger Freiheitspreis. Er wird Menschen
gegeben, die sich in besonderer Weise im Namen der Menschenrechte
für Freiheit, Recht und Gerechtigkeit einsetzen. Im letzten Jahr wurde
der Preis erstmals verliehen: an Gyula Horn, den ungarischen
Außenminister, der 1989 die Grenze zu Österreich öffnete.
REGIE MUSIK : Vanitas vanitatum: O’come ingan 3’45
AUTORIN:
Memmingen: Bayerisch seit gut 200 Jahren, schwäbisch im Dialekt,
aber verständlich; auch kulinarisch setzt die Stadt aufs Schwäbische:
„Kässpatzen“ heißt es immer wieder auf den Speisekarten der
Gaststätten. „Kässpatzen“ - das ist auch eine Lieblingsspeise des
Kommissars Kluftinger, der hier in der Gegend Täter aufspürt. Wer
nachts durch Memmingen streift, ahnt mehr als nur friedliche Stille. Der
Stadtbach plätschert, die Bäume rauschen im kleinen Park, der Weg
entlang dem Graben an der Stadtmauer liegt im Dunklen.
REGIE: Krimi Kenn - Musik
SPRECHER:
KREUZKRUZIFIX!
Kluftinger sprach den Fluch nicht laut aus, er dachte ihn nur.
AUTORIN:
So beginnt der Kriminalroman „Milchgeld“, der erste der beiden Autoren
Volker Klüpfel und Michael Kobr. Erschienen war „Milchgeld“ im Jahr
2003 zunächst im Memminger Maximilian Dietrich Verlag. Dieser
Verlag, überregional bekannt für seine Illustrations- und Kunstbücher,
veröffentlicht seit ein paar Jahren auch Literatur aus dem Allgäu: Krimis
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und Romane. Als der Verleger Jürgen Schweitzer bei der Memminger
Zeitung anrief, um den Kulturredakteur Volker Klüpfel nach einem Autor
für einen Allgäukrimi zu fragen, rannte er offene Türen ein: Schon länger
hatten die beiden Schulfreunde Kobr und Klüpfel geplant, einen Krimi zu
schreiben. Michael Kobr:
6. O-Ton Michael Kobr:
Die ersten Zeilen hab ich geschrieben, wobei es zuerst eine fixe Idee
war, eigentlich so ne Spinnerei, die man mal hat, wenn man zu lang im
Auto miteinander fährt und dann spinnt man so rum und überlegt sich,
was man so irgendwann machen könnte - das war bei uns ein
gemeinsames Buch zu schreiben - ich hab dann während meines
Staatsexamens in Germanistik einfach so mal als Ausgleich angefangen
mit den ersten drei oder vier Seiten Kluftinger und die hab ich dem
Volker geschickt und dann ist das aber in der Versenkung
verschwunden.
AUTORIN:
Das änderte sich mit der Nachfrage des Verlegers: Heute sind die
beiden bereits auf der Bestsellerliste eines Wochenmagazins zu finden
mit ihrem Kommissar Kluftinger:
REGIE: Krimi Kenn - Musik
SPRECHER: Zitat aus dem Krimi (S.78)
Kluftinger schluckte. Dennoch ignorierte er die Hitze, die ihm, jetzt in
den Kopf stieg. Er folgte dem Finger, der starr von Siebers Körper nach
rechts wies. Er wusste sofort, wen sie meinte. Nicht nur, weil sich dort,
hinter dem Grab, nur wenige Menschen locker posiert hatten. Nein, er
sah die Erkenntnis in den Augen des anderen, dass er gemeint war. Er
sah das kurze Entsetzen in diesen Augen aufflackern. Einen Blick, den
er von ungezählten Festnahmen kannte. Auch die anderen Trauergäste
blickten in die gewiesene Richtung, wussten aber nicht so recht, wer
denn nun gemeint war. Kluftinger wusste es, aber auch der andere
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wusste, dass Kluftinger es wusste. Ganz langsam drehte er sich um und
ging. „Halt!“ schrie Kluftinger. Bitte bleiben Sie stehen.“ Der Mann drehte
sich nicht mehr um. Stattdessen fing er an zu laufen.
7. O-Ton Volker Klüpfel, Michael Kobr :
Sie werden nur ganz wenige Sätze finden, die wirklich vom allgäuer
Dialekt transskribiert sind - wir wollten das ganz bewusst nicht– bei uns
ist das schon eher in den direkten Reden – so verschliffenes
Süddeutsch oder verschliffene bayerische Hochsprache – so wie wir
sprechen.
AUTORIN:
Volker Klüpfel, groß, schlank, strahlend weiße, ebenmäßige Zähne,
dunkles Haar. Auf seiner Nase sitzt eine schicke Brille. Gerade ist er
vom Skiurlaub zurück. Michael Kobr – nicht ganz so groß, kurzes Haar,
braune Knopfaugen. Er ist Lehrer an einer Memminger Realschule und
wohnt mit seiner Frau außerhalb der Stadtmauer in einem
Einfamilienhaus. Ein gusseiserner Holzofen bringt wohlige Wärme in
den Raum, auf dem rustikalen Esstisch steht eine große Flasche
Wasser. Die beiden Autoren haben eine Kladde vor sich: sie entwerfen
ihren dritten Krimi. Ihre Romane sind nicht in Kapitel unterteilt. Die
Szenenwechsel werden alle paar Seiten durch drei Sternchen deutlich.
Auch mit ihrem zweiten Roman „Erntedank“ sind sie so erfolgreich
geworden, dass beide Bücher bereits vom Piper - Verlag übernommen
wurden. Aber: Wie schreiben die beiden, ohne dass der Leser den einen
oder anderen Autor erkennt?
8. O-Ton: Michael Kobr und Volker Klüpfel:
Wir setzen uns hin und überlegen uns erstmal so ’ne grobe Skizze von
der Handlung - welche Atmosphäre könnte es haben und welche
Schauplätze möchten wir praktisch reinbringen in so ein Buch und dann
versuchen wir - ne stimmige Kriminalhandlung draus zu machen, und es
sind dann ganz zufällige Ereignisse, die dann so den Anstoß für so was
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geben - ich hab mal ein Sagenbuch gefunden über Allgäuer Sagen und
so ist dann dieses „Erntedank“ entstanden dann wird willkürlich verteilt,
wer was schreiben muss –- die eine Szene der - egal, wie das der Reihe
nach kommt.
(Volker K): Unsere Technik sieht dann so aus, dass jeder für sich
schreibt, aber dann das fertige Produkt der andere kriegt und der darf
oder muss dann eiskalt drüber gehen, korrigieren, wegstreichen,
dazuschreiben, und sagen das gefällt mir nicht oder das find ich ganz
toll und daraus entsteht dann so ne Mischung - und manche Texte
gehen mehrmals hin und her - dass wir am Schluss selber nicht mehr
sagen können, das hat der gschrieben, weil viel von beiden dann drin
steckt.
AUTORIN:
Bei solch kritischem Begutachten – der eine ist Redakteur, der andere
Deutschlehrer – kommt es schon mal zu gegenseitigen Verletzungen:
9. O-Ton Michael Kobr und Volker Klüpfel:
(lachen): (Mi Ko:) oh ja! - es ist heut so passiert, ich bin ja Deutschlehrer
und mir unterlaufen wohl manchmal Kommentare, die ich manchmal
Schülerarbeiten hinschreiben würde, ich schreib halt in ’ner
Deutschschulaufgabe am Rand auch mal : „Unsinn“ oder so - das mach
ich beim Volker natürlich auch - oder irgendwelche schmählichen
Kommentare, wo ich mich dann mit zeilenweise Fragezeichen auslass –
gerad heut wollte ich den Volker gar nicht reinlassen, weil er mir das mit
barer Münze heimgezahlt hat beim letzten Text. (Volker K:) manchmal denkt man, is’ schon o.k., jetzt schreibt er gleich
noch die Note drunter und muss es von meinen Eltern unterschreiben
lassen oder so was (Michael K:) Volker! da kommt dann aber auch der Redakteur durch, der
dann Zeilen kürzt.
AUTORIN
Von Kürze aber keine Spur. Dreihundert Seiten sind das mindeste. Es
geht dabei um Themen, die die beiden Autoren im Allgäu finden, die
aber keineswegs nur für Einheimische interessant sind.
10. O-TON Michael Kobr:
Das Allgäu hat viel zu bieten und hat eine Vergangenheit, die es uns
angetan hat, die bissel ins Mystische manchmal geht und man muss,
denk ich, nur die Augen offen halten, zuhören, was einem Leute
erzählen
AUTORIN:
In „Milchgeld“ wird der Geschäftsführer des örtlichen Milchwerks
stranguliert. Mit einer Vorhangschnur. Zufall oder auch nicht ?: In
10
Memmingen gibt es seit 427 Jahren eine Firma, die im Seilerhandwerk
ausbildet und heute weltweit unterwegs ist: Sie liegt inzwischen im
Gewerbegebiet, etwas außerhalb der Stadt:
REGIE ATMO FABRIKHALLE darüber
11. O-TON Gerhard Pfeifer :
Bei uns im Haus ist das dünnste Seil 1 - 2 mm – das dickste liegt bei
140 mm, also 14 cm, das dünnste wird im Bereich der Medizintechnik
eingesetzt und das dickste im Seilbau, im Brückenbau.
REGIE ATMO weiterhin auf Text:
AUTORIN:
Gerhard Pfeifer, Geschäftsführer der Firma Pfeifer, die international für
ihre Seil-, Hebe- und Bautechnik bekannt ist, führt durch die riesige
Werkshalle. Dicke Drahtseile liegen am Boden, sie reichen von einem
Ende der Halle bis zum anderen, ein Seil wird gerade – damit es nicht
abknickt, auf ein riesiges Rad gerollt, – um dann gestreckt zu werden,
im „Recktunnel“, wie Gerhard Pfeifer erklärt:
12. O-TON Gerhard Pfeifer:
In Deutschland eine einmalige Anlage - diese Anlage dient zum
Vorrecken von Seilen - aber auch als Prüfanlage bis zum definitiven
Bruch-Test eines Seiles.
Beim Vorrecken muss das Seil über eine gewisse Streckgrenze hinaus
belastet werden, so dass es sich im eingebauten Zustand nicht mehr
dehnen kann oder nur noch in einem ganz geringen Toleranzbereich, es
wäre fatal, wenn sich das Seil erst im Bauwerk auf seine endgültige
Länge hin strecken oder ausdehnen würde.
AUTORIN:
Im Mühlheimer Tochterunternehmen werden die Seile hergestellt, in
Memmingen konfektioniert, also auf das vom Auftraggeber verlangte
Maß gebracht und mit Vergusshülsen versehen, für die
Endbefestigungen.
11
Im Foyer der Firma steht eine große Vitrine mit beinah museal
anmutenden Gegenständen aus dem Seiler-Handwerk:
13. O-TON Gerhard Pfeifer:
Eine alte Wäscheleine - das Meisterstück meines Vaters - dieses Seil ist
vollständig handwerklich gefertigt - ich habe als Kind immer wieder im
Betrieb geholfen, wie das so üblich war ohne dass es zu Kinderarbeit
geworden ist - hab den Umgang mit dem Seil gelernt, aber ich bin nicht
mehr Seilermeister geworden.
AUTORIN:
Gerhard Pfeifer hat in Würzburg studiert und ist Diplomkaufmann. 1984
kam er wieder zurück nach Memmingen, wo er an der Seite seines
Vaters im Betrieb mitarbeitete. Nach dessen Tod übernahm er
schließlich den Familienbetrieb:
14. O-TON Gerhard Pfeifer:
Das Seilerhandwerk ist ja ein sehr sehr altes und hat seine Ursprünge in
der Verarbeitung von Naturfasern zu gedrehten Fasern, die dann eine
stärkere Kraft aufnehmen können und mit denen man Dinge verbinden
kann, mit denen man Lasten bewegen kann, mit denen man etwas
verspannen kann, all das hat man mit dem Seil schon in sehr sehr
frühen Zeiten, sicher schon im alten Ägypten gemacht. Unser
Unternehmen hat seinen Ursprung in der Zeit, als auch in Memmingen
die Handwerkszünfte eine entsprechende Organisationsform gefunden
haben - und insofern in der Stadtgeschichte nachvollziehbar sind Memmingen liegt ja an der Salzstraße und insofern gab es hier immer
einen regen Warenumschlag.
AUTORIN:
Zwei oder drei Seilereien gab es noch bis in die 70er Jahre in
Memmingen, erinnert sich Gerhard Pfeifer. Heute ist von denen keine
mehr zu finden. Die Kindheit in Memmingen verbindet er vor allem mit
dem Haus Kalchstraße 23, in der Innenstadt, wo seine Großmutter
lebte.
15. O-TON Gerhard Pfeifer:
Ich kann mich vor allen Dingen noch an das Hanfseillager erinnern, das
wir da hatten und an den Geruch, den es dort gegeben hat - das steckt
mir bis heute in der Nase - es riecht einfach nach Hanf - das ist ein
12
Fasergeruch. wenn sie ganz ursprünglich unbehandeltes Leinen
nehmen so in dieser Art hat das das gerochen.
AUTORIN:
Gerhard Pfeifer: Chef eines Unternehmens, das in Memmingen 400
Mitarbeiter hat und weltweit Vernetzung betreibt, was durchaus im
doppelten Sinn zu verstehen ist. Ein winziges Lions-Club Abzeichen
trägt Gerhard Pfeifer an seinem dunklen Sakko. Er wirkt überaus ruhig
und gelassen. Gerade ist er von einer Firmenreise aus Shanghai
zurück. In seinem Büro liegt ein großer Wandkalender mit Abbildungen
der Stadien, in denen demnächst die Fußballweltmeisterschaft
stattfinden wird. Alle sind maßgeblich mit der Seil- und Bautechnik
seiner Firma realisiert worden. Auch das flach gebogene Glasdach über
dem Lehrter bzw. Hauptbahnhof in Berlin ist mit der Seiltechnik der
Firma Pfeifer entstanden. In der Fachsprache heißt das:
SPRECHER:
Seilverspannter Korbbogenrahmen mit verglaster Netzschale, Länge
450 m, maximale Spannweite 66 m
AUTORIN:
Brücken, Glasfassaden, Dachkonstruktionen, weitgespannte
Zweckbauten - die Firma Pfeifer arbeitet mit berühmten Architekten
zusammen und immer nach dem eher nüchternen Motto: „Technik in
Anwendung“. Eigentlich hatte Gerhard Pfeifer als junger Mann noch
andere Ambitionen, als unbedingt das Unternehmen seines überaus
kreativen Vaters zu übernehmen.
17. O-TON Gerhard Pfeifer:
Mein Wunschtraum war immer mal, Dirigent zu werden – da sagte mein
Vater zu mir, wenn du Dirigent werden möchtest, dann musst du alle
13
Instrumente, die in einem Orchester vorkommen, die musst du
beherrschen – da hab ich sehr vielseitig Instrumente gespielt und habe
Klavier gelernt, Blockflöte, Querflöte im Spielmannszug – dann
Querflöte, konzertant, in der Jugendgruppe hab ich mir Gitarre
beigebracht, zwischendurch Geige, da hab ich s zu keiner erkennbaren
Meisterschaft gebracht, zwischendurch hab ich noch im Posaunenchor
Flügelhorn gespielt - vor drei Wochen hab ich mal wieder ‚ne Stunde
Klavier und Flöte gespielt, das hat mir Spaß gemacht ....
AUTORIN
Für den Musiklieberhaber Gerhard Pfeifer gilt die Martinskirche als ein
Highlight der Stadt. Nicht nur wegen der viel bewunderten Orgel. Das
letzte große Ereignis dort war die Übergabe des mit 15 000 Euro
dotierten Memminger Friedenspreises an den Ungarn Gyula Horn im
vergangenen Oktober.
REGIE: GLOCKEN dann:
MUSIK: Eugéne Gigout: Grand Choer Dialogue G-Dur
2’20
18. O-TON Organist:
Die Orgel in St. Martin ist 1998 von der Schweizer Firma Goll erbaut
worden und ist eins der großen Orgelwerke in Süddeutschland, es ist
ein 62 Register umfassendes rein mechanisches Instrument, die 62
Register bedeuten 4265 Pfeifen. Neben dem wunderschönen
romantischen Klang, den wir ihr gegeben haben, ist in St. Martin auch
das Besondere die Optik, denn man kann die vorderen Bänke in der
Kirche so wenden, dass man nach hinten zur Orgel schaut und da wir
eine ganz transparente Empore auch gebaut haben, sieht man nicht nur
das Instrument, sondern den Organisten oder die Organistin, die da
spielen
AUTORIN:
Hans Eberhard Roß ist Organist in St Martin. Das heute wichtigste
Gotteshaus der Stadt war einst als Burgkapelle erbaut worden. Der
mächtige eckige Steinturm ist schon von weit her Blickfang, innen ist
das schicht gehaltene Kirchenschiff hell und freundlich. Bekannt ist die
Kirche vor allem aber wegen ihres aus Eiche geschnitzten
Chorgestühls:
14
19. O-TON Hans-Eberhard Roß:
Das Chorgestühl in St. Martin ist eins der bedeutendsten in
Süddeutschland neben dem des Ulmer Münsters. Es ist durch seine
Schnitzarbeiten besonders, aber vor allem durch sein inhaltliches
Programm, denn es war nicht ein geistliches Gestühl für einen Orden,
sondern es ist ein Bürgergestühl d. h., das haben sich die Bürger der
Freien Reichsstadt geleistet und bezahlt und sie haben sich gleich in
Form von Wangenbüsten darin verewigt.
AUTORIN:
Das heißt, sie haben sich selbst an den Seitenlehnen der Sitze in Form
von geschnitzten Miniaturbüsten abbilden lassen.
Als Besonderheit in dieser Kirche gelten auch die Fresken an einigen
Wänden und an der Decke. Sie stammen von der für Memmingen
berühmten Malerfamilie Strigel und zeigen den Passionszyklus von der
Geisselung über die Kreuzigung bis zur Auferstehung.
REGIE MUSIK: The Beatles: All you need is love .....
AUTORIN
2’27
Geburtstagsfeier von Donum Vitae. Seit fünf Jahren ist Donum Vitae
eine der zwei Beratungsstellen für Schwangere. Die städtische nennt
sich genauer Schwangerschaftskonfliktberatungsstelle. Aber auch
Donum Vitae, ein christlicher Verein, berät schwangere Frauen, die
zweifeln, ob sie ihr Kind austragen können oder wollen.
SPRECHER: Zitat S. 194
Mit einer Bombe wurde dem Landgericht Memmingen gedroht. Und so
begann (nach erfolgloser Suche) die Verkündung und mündliche
Begründung des Strafurteils gegen den Frauenarzt Dr. Horst Theissen,
50, mit Verspätung. Es ist Krieg. Wer noch daran zweifelte, erfährt es
15
jetzt durch das Urteil einer Großen Strafkammer des Landgerichts
Memmingen
AUTORIN:
Wer „Memmingen“ hört, assoziiert sehr schnell einen Abtreibungsprozess, der auch rückwirkend als einer der großen Prozesse in der
Geschichte der Bundesrepublik genannt wird. Eigentlich hatte der Arzt
lediglich versäumt, die „Notlagensituation“ der schwangeren Frauen
festzustellen. Monatelang mussten sich deshalb er und hunderte seiner
Patientinnen vor der Staatsanwaltschaft und Richtern gegen die
Anklage illegaler Schwangerschaftsabbrüche zur Wehr setzen. Mit
zeitweise mittelalterlich anmutenden Dauerverhören wurden die
betroffenen Frauen öffentlich vorgeführt. Man sprach von moderner
Inquisition und der bekannte Gerichtsreporter Gerhard Mauz schrieb im
Spiegel:
SPRECHER:
Mit zwei Jahren und sechs Monaten erhielt Dr. Theissen eine
Freiheitsstrafe, die nicht zur Bewährung ausgesetzt werden kann.
Seinem Charakter und seiner Berufsauffassung galten vernichtende
Sätze. Und über ihn hinaus wurden jene mit Worten niedergemäht und
verurteilt, die für Dr. Theissen eintraten, ....
Dieses Urteil trennt die Menschen in der Bundesrepublik voneinander.
Es scheidet Menschen von Unmenschen.
21. O-TON Barbara Zettler:
Ich glaub, man kann das, denk ich, schon auch mit Schock beschreiben:
AUTORIN:
Barbara Zettler ist Geschäftsführerin der Schwangerschaftsberatung
Donum Vitae in Memmingen:
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22. O-TON Barbara Zettler:
Viele Frauen, auch viele, die ich kannte, waren bei ihm Patientinnen, da
gab es einfach gute Rückmeldungen - ich denk vom Grunde her - er
hatte nen guten Ruf und .... ich kann mich dran erinnern - ich war an
zwei Verhandlungstagen dabei im gereicht, es hat mich sehr
interessiert, damals hatte ich nichts mit Schwangerenberatung zu tun,
aber mich hat das Thema interessiert, mich hat’s als Frau und auch als
frauenbewegte flau interessiert und auch sehr empört, wie damals mit
Frauen umgegangen wurde und es hat sehr polarisiert - im Verlauf
dieser Angelegenheit - zwischen den Menschen, die gefunden haben,
es ist an Frauen ein Exempel statuiert worden, und zwischen denen, die
sich auf die Seite des Lebensschutzes gestellt haben. Und zwar ist,
glaub ich, ein bißchen aus dem Blick geraten, dass beides vorkommt dass viele Menschen auch beides in sich spüren: das ist zu kurz
gekommen und da gab es viele Verletzungen und viele Wunden und die
spüren wir, glaub ich heute auch noch ein bißchen.
AUTORIN:
Auf päpstliche Anweisung sind katholische Beratungsstellen seit 1999
von der Schwangerschafts-Konfliktberatung ausgeschlossen. Sie dürfen
keine Beratungsbescheinigungen ausfüllen, die für einen Abbruch
notwendig sind. Donum Vitae gilt nun nicht als katholische Einrichtung,
sondern als christlicher Verein mit Berechtigung zu solch einer
Bescheinigung. Mit drei Kolleginnen und ehrenamtlichen
Mitarbeiterinnen berät Barbara Zettler schwangere Frauen, auch wenn
sie lediglich konkrete Unterstützung für ihre Zeit der Schwangerschaft
und danach brauchen.
23. O-TON Barbara Zettler:
Lebensschutz kann nur funktionieren und nur passieren, mit der Frau
und nicht gegen die Frau und nicht ohne die Frau und es gilt auf jeden
Fall, deren Entscheidung zu respektieren, deshalb denke ich, dass wir
auch wieder im Einzelfall versuchen, gemeinsam nach Lösungen zu
kucken, was es für Unterstützungsmöglichkeiten gibt und dann isses
den Frauen selbst überlassen, diese Entscheidung zu treffen.
AUTORIN:
Frauen jeden Alters kommen nach Memmingen, auch aus der
weiträumigen Umgebung – um sich bei Donum Vitae beraten zu lassen.
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Wenn sie sich nach den Gesprächen allerdings dagegen entscheiden,
das Kind auszutragen, haben sie in Memmingen selbst keine Chance
mehr für einen Abbruch:
24. O-TON Barbara Zettler:
In Memmingen gibt es keine Praxis und auch am Klinikum wird kein
Schwangerschaftssabbruch nach der Beratungsregelung gemacht, die
müssen nach Ulm, nach Kaufbeuren, nach München, nach Lindau
gehen zum Schwangerschaftsabbruch.
REGIE MUSIK: Vanitas Vanitum: O che bel star è star in Paradiso
3’30
25. O-TON Kobr oder Klüpfel:
Wenn es hieß „Memmingen“, dann kannten es die Leute, weil sie
entweder auf dem Weg zum Skifahren dran vorbei gefahren sind oder
weil da die Abtreibungsprozesse waren und das hat die Memminger
auch ziemlich gewurmt, dass die da so reduziert wurden, weil es das
ganze Spektrum nicht annähernd wiedergibt und die haben viel getan
und inzwischen kennt man auch andere Sachen: die
Landesgartenschau war hier ein großer Erfolg, jetzt kommen die
Bayerischen Theatertage her, es ist darüber hinaus einiges geboten
REGIE ATMO THEATER: ....
AUTORIN:
sagt Volker Klüpfel, der Krimiautor und Kulturredakteur. Mit seinen
Schülern besucht er gern die Aufführungen des Landestheaters
Schwaben. Die kleinere Bühne hat ihr Domizil am Schweizerberg und
nennt sich auch Theater am Schweizerberg.
Die Synagoge der großen jüdischen Gemeinde Memmingens stand
einst am Schweizerberg. Bis zum 9. November 1938, als sie in der
Pogromnacht abgebrannt wurde. Ein Mahnmal erinnert heute an die
ermordeten Juden der Stadt.
Nicht weit entfernt davon steht das Theater.
REGIE ATMO THEATER:
Drei Schulklassen haben auf den 70 Stühlen Platz genommen, um das
18
Stück „Liebe Jelena Sergejewna“ zu sehen. Es geht darin um
Erpressung, abscheulichen Zynismus und Gewalt: Vier Schülerinnen
und Schüler einer Abiturklasse besuchen ihre Lehrerin an deren
Geburtstag. Um ihr zu gratulieren und mit ihr zu feiern, wie sie zunächst
sagen. Doch sie wollen ihre Lehrerin bedrängen. Sie wollen an ihre
Mathematik-Klausuren herankommen, um sie nachträglich zu
korrigieren.
REGIE ATMO THEATER:
können sie uns den Schlüssel geben? nur kurz. Wir würden unsre
Fehler verbessern und den Schlüssel dann sofort zu Ihnen zurück
bringen - keiner kommt dabei zu Schaden ...... wir garantieren absolute
Geheimhaltung - das heißt, sie sind zu mir gekommen wegen des
Schlüssels? wir dachten, Sie verstehen uns ... das ist eine
Niederträchtigkeit
AUTORIN
Die Dramatik innerhalb der Abiturienten-Gruppe spitzt sich zu, eskaliert
schließlich. Einer der Schüler vergewaltigt eines der Mädchen.
Das Schauspiel von Ljudmila Rasumowskaja geht den Besuchern der
Vormitttagsvorstellung offensichtlich nahe. Mucksmäuschenstill ist es
während der Aufführung. Auf der Bühne spielen neben einer
professionellen Schauspielerin vor allem Laien. Jugendliche, die
überzeugend in ihren Rollen auftreten. Fast wie Profis.
REGIE APPLAUS:
26. O-TON Jugendliche:
Ich fand’s schon beeindruckend, ganz interessant, mal so ’ne Thematik
über Schule – das ist ja ganz aktuell für uns, weil wir ja alle Schüler sind
mir stehn auch kurz vorm Abitur aber ich kann mir so was jetzt nicht
direkt vorstellen. – ich fand’s hier nett, weil es auch recht klein war, nicht
so ne große Bühne wie am Ulmer Theater und war recht schön
aufgmacht, doch.
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....Ich bin oft im Theater Schweizerberg oder Landestheater auf jeden
Fall: es ist immer Abwechslung da, es ist gemütlich, eine familiäre
Atmosphäre also hier jetzt am Schweizer Berg und ja, es ist immer für
‚ne Überraschung gut, find ich.
REGIE MUSIK Josephine Weyers ...darauf gegen Ende: 1’20
AUTORIN:
Als Josephine Weyers am 1. Juni 1999 zum ersten Mal die Rockoper
Klytaimnestra oder Der Fluch der Atriden auf der Bühne des
Landestheaters Schwaben sang, stand das Publikum sozusagen Kopf.
Josephine Weyers, Frau des Intendanten Walter Weyers, eine kleine
und eher zierliche Person, als Rheinländerin eine geborene Frohnatur,
war vor allem als Schauspielerin bekannt – auf der Bühne und im
Fernsehen:
27. O-TON Josephine Weyers:
Ich habe natürlich auch Gesangsunterricht gehabt und damals war das
nicht so wie es heute ist, dass man diese Musicalausbildung bekommt.
Damals hat man Chanson gesungen und das hab ich immer sehr gern
gemacht mit Leidenschaft - singen war für mich etwas Wunderbares schon als Kind wollte ich immer Sängerin werden und hab ganz viel
gesungen vor dem Waschküchenfenster meiner Großmutter.
AUTORIN
Inzwischen hat sich Josephine Weyers nicht nur zur Rockopernsängerin
entwickelt, sondern managt das Theater, ist zuständig für die
Marketingabteilung und Öffentlichkeitsarbeit. Sie schafft es, Sponsoren
fürs Theater zu bekommen. In der Sparte Heavy Metal sang sie bereits
als junge Frau, was ihren Mann schon vor 30 Jahren beglückte; denn er
liebt Heavy Metal -Musik.
28. O-TON Walter Weyers:
Ich liebe sie, weil sie was Archaisches hat weil sie eine große Kraft hat
und weil man spürt, dass es was Oppositionelles hat und weil es einen
starken Rhythmus hat und was Wildes hat ... und ich hatte immer so
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den ganz persönlich künstlerischen Wunsch, Heavy Metal und diese
wunderbaren alten Theatertexte zusammen zu bringen, ein kurioses
Unterfangen, man wusste ja nicht, ob da nicht Kitsch oder Schwulst
oder sonst was bei rauskommt, aber es war ein großer Wunsch - und
gesagt getan, als ich Intendant wurde, gingen wir ans werk und haben
uns mit einem der besten Heavy Metal Sänger und Komponisten
zusammen getan mit dem David Defeis - und daraus wurden drei Heavy
Metall Opern und die haben alles komischer Weise - es gab das Thema
Klytaimnestra, das Thema Hel und das Thema Lilith - Klytaimnestra gab
das größte Erstaunen, weil es neu war, künstlerisch am wichtigsten war
die Lilith, es war, was die Zuschauer in Memmingen angeht, das
Nachkriegsereignis, hier waren alle Alterklassen drin, damit hab ich nie
gerechnet, als wir das gemacht haben und das hat wesentlich zum
Image des Theaters beigetragen, nicht nur, dass hier was los ist,
sondern, dass man sich nicht scheut, das Ungewöhnliche zu machen
und das durchaus sehr Tiefsinnige und dass das dennoch was von
Entertainment hat.
AUTORIN:
Provokativ und vielseitig wirbelte die Bühne in Memmingen in den
letzten Jahren die Theaterwelt auf. Es ist also anzunehmen, dass das
Landestheater Schwaben auch während der Bayerischen Theatertage
vom 13. bis 28. Mai für Trubel sorgen wird, nimmt man den Intendanten
Walter Weyers beim Wort:
29. O-TON Walter Weyers:
Es gibt jedes Jahr Bayerische Theatertage, sie finden immer woanders
statt, wir sind sehr stolz, dass sie jetzt bei uns sind - die 24. - was bei
uns die etwas anderen bayerischen Theatertage sein werden, die immer
sehr schön und sehr toll sind, ist dass wir diesmal die Theatertage tief in
die Stadt hineintragen wollen - wir wollen parallel und eng integriert ein
Stadtfest durchführen - so dass es den ganzen tag ’n Programm für
Kinder gibt, für Jugendliche, dass der Einzelhandel hier teilnimmt in
dieser Stadt - alle diese Dinge sind gelegt in die Hand meiner Frau,
Josephine Weyers - die im wesentlichen diese Arbeit leistet.
REGIE MUSIK: Forellenquintett
ATMO Bachplätschern .....
0’54
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AUTORIN:
Seit über 400 Jahren ist den Memmingern ihr Stadtbach ans Herz
gewachsen. Sie haben um diesen Bach gekämpft und sie haben ihn
erhalten. Und sie feiern ihn. Volker Klüpfel und Michael Kobr, Autoren
der Kluftinger Kriminalromane konnten das für die Stadt berühmte
„Fischertagsfest“ bisher nur am Rande betrachten:
30. O-TON Michael Kobr:
Ich bin ja kein Memminger und als ich das erste Mal dort war, dachte ich
mir: die sind alle völlig wahnsinnig und hab mir das angeschaut, wurde
dann irgendwann auch mitgerissen, die Stadt ist da im
Ausnahmezustand, das ist wirklich was ganz Eigenes, was die
Memminger auch sehr pflegen. Man muss es mal gesehen haben, also
ich fieber dem Tag entgegen, wo i lang genug in Memmingen wohn, um
dann einem der Vereine beizutreten - überleg scho, ob i das dann auch
mal mache - in den Bach reinspringe - nei juck - in den bach neijuck und mei glück versuch.
AUTORIN:
Glück heißt für ihn dann vielleicht, einfach dabei zu sein oder sogar die
schwerste Forelle zu fangen, um Fischerkönig zu werden.
Aber dafür muss Michael Kobr erst einmal zehn Jahre in Memmingen
leben, bevor er dazu gehört. Manch einer ist bereits im Alter von drei
Monaten Vereinsmitglied. Wie Dieter Zinth, derzeit Vorsitzender des
Fischertagsvereins. Das Büro liegt in einem fast verwunschenen Haus
im Zollergarten, direkt hinterm Rathaus . Pfeife rauchend sitzt Dieter
Zinth, von Beruf Kaufmann, an einem großen gebürsteten Eichentisch.
An der Wand hängt eine alte Kanone und in zwei Ecken stehen Bären –
so heißen die Fischfanggeräte aus einem gegabelten Holzgestell und
einem Netz, in denen die Forellen gefangen werden.
31. O-TON Dieter Zinth:
Bei uns is es so, das können Auswärtige eigentlich nicht verstehn, dass
die Kinder früher beim Fischertagsverein angemeldet sind wie bei der
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Stadt Memmingen oder der Gemeinde, das ist bei uns eigentlich gang
und gäbe, weil der Verein zur Stadt gehört, wir sind ja ein historischer
Verein, bestehen tut der Verein seit dem Mittelalter, ins Vereinsregister
wurde er eingetragen genau 1900.
Es war im Mittelalter, dass die Handwerkszünfte einmal im Jahr das
Recht hatten, den Memminger Stadtbach, der quer durch die Stadt
fließt, auszufischen. - Die Memminger Bürger haben also Forellen in
den Bach eingesetzt und aufgrund der Zugehörigkeit einer Zunft - war
das Weber Gerber, Schmied oder sonst was - haben die
Handwerkszünfte einmal im Jahr das Recht erhalten, diesen Stadtbach
sauber zu machen und dadurch musste er abgelassen werden und da
wurden die Forellen rausgeholt mit diesen Käschern - sagt man
norddeutsch - bei uns heißt das ganze „Bären“ - da springen ca. 1200
Memminger Bürger in den Stadtbach und wer die größte Forelle fängt,
ist das ganze Jahr Fischerkönig und das gibt den Ansporn zu diesem
Fest.
REGIE ATMO Böllerschuss:
AUTORIN:
Uli Braun, der Heimatpfleger, wird auch in diesem Jahr, am letzten
Samstag im Julei, wieder das Signal für den Böllerschuss geben.
32. O-TON Uli Braun:
Das geht alles immer so schrecklich früh an, –
um punkt acht Uhr wird geschossen und dann jucken die Fischer in den
Bach und fangen die Forellen. um zehn Uhr 10.30 ist der Frühschoppen,
das ist der Höhepunkt des Fischertages, dies alles findet unter dem
Absingen des für die Memminger wohl schönsten Liedes dieser Welt, –
obwohl es ein absoluter Blödsinn is’ – , aber es ist für uns das Lied der
Lieder: es heißt: „Schmootz Schmootz Dreck auf Dreck“ .... (er singt
einmal) ...... - das wird viermal g’sungen und wenn das bei der
Absetzung oder bei der Königskrönung oder in der Stadthalle gesungen
wird, dann läuft’s dem echten Memmingen eiskalt ’n Buckel ’nunter. des
is’ wirklich was Tolles.
AUTORIN:
Am Fischertag sind Kässpatzn wahrscheinlich nicht mehr so gefragt.
Denn alles, was auf den Beinen ist am Stadtbach, isst schließlich
Forelle. Gebacken, gebraten, oder blau. Die schwerste Königsforelle
wog übrigens 4870 Gramm - aber auch mit einer 900 Gramm-Forelle
wurde ein Memminger schon einmal König.
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REGIE
Kennmusik (darüber)
Sprecher
Fischertag am Stadtbach – Memmingen im Allgäu
Eine Deutschlandrundfahrt mit Michaela Gericke
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