75887416 DIE SIEBEN WOHLTATEN DER EINEN GESCHICHTE VON DEN DREI KÖNIGEN (1. L/Ev) Das heutige Evangelium ist eine Kostbarkeit - wie ein Edelstein, ein Juwel. Hält man dieses Schmuckstück ins Licht und wendet es wie einen geschliffenen Diamanten hin und her, dann zeigen sich immer neue Facetten. Ich habe mir heute vorgenommen, einmal nach der Vielfalt der Bedeutungen der einen Geschichte zu fragen. Sie werden staunen, was alles in einer Geschichte wie dieser stecken kann! Sie mögen dann - jeder und jede für sich - überlegen: Was spricht mich am ehesten an? Welcher Aspekt ist mir der wichtigste? 1. Vom Sternglauben zum Christusglauben Das Evangelium spricht von „Magiern“, von Sterndeutern. Magie mag eine primitive Form von Religiosität sein. Uralt und für viele Menschen faszinierend ist aber bis heute die Vorstellung, unser Schicksal sei durch Sternenkonstellationen vorherbestimmt; es sei vom Horoskop ablesbar. Christen haben von Anfang an das Evangelium von den Sterndeutern so verstanden, dass diese zwar durchs „Sterngucken“ zu Christus finden - also durch ihre eigene, mitgebrachte Religiosität. Aber ihre Bekehrung besteht gerade darin, dass sie sich nun vertrauensvoll Christus zuwenden. Christus ist der neue Leitstern ihres Lebens. Damit hätten sie sich von Astrologie und Horoskopuspokus verabschiedet. Dass sie „auf einem anderen Weg in ihr Land zurückkehrten“, wäre dann auch Ausdruck ihrer neuen, christusgläubigen Orientierung auf ihrem weiteren Lebensweg. 2. Vom Schöpfungsglauben zum biblischen Glauben Auffällig ist, dass die Magier nicht nur einfach ihrem Stern folgen, sondern den Umweg über Jerusalem machen müssen, um ans Ziel zu kommen. Dort werden die Schriftgelehrten befragt nach dem Geburtsort des Messias. Das heißt doch wohl: Nicht der noch so aufmerksame Blick in die Natur allein führt zu Jesus Christus. Zum Schöpfungsglauben muss das Hören und Lesen des Wortes Gottes hinzukommen, um diesen Messias zu finden. Deshalb haben wir uns heute morgen hier in der Kirche versammelt und nicht etwa draußen an einem landschaftlich schönen Ort... Hier ist unser „Jerusalem“, hier erfahren wir durch Gottes Wort, wo es langgeht, wenn man Christus aufrichtig sucht. 3. Das bewundernswerte menschliche Antlitz Man kann die Lebenswende der weisen Sterndeuter auch darin sehen, dass sie, die bisher immer nur nach oben, zum Himmel, aufgeschaut haben, um das Geheimnis des Weltenlaufs zu erforschen, stattdessen gelernt haben, ihren Forscherblick auf die Erde zu richten -, auf ein winziges und hilfloses Menschenkind. Und in diesem Kind erfahren sie Gottes Führung, seine Nähe und Zuwendung. Bei Jesus lernen sie: Gott will uns in der Horizontalen treffen, hier unten, auf Augenhöhe. Das heißt dann aber auch: Statt den nächtlichen Glanz der Sternenwelt zu bestaunen, sollen sie von nun an das menschliche Antlitz als Gottes Widerschein und Gottes schönste Gabe bewundern. 4. Im Kind Jesus Gott finden Jede gute Geschichte hat ihre Pointe. Die Pointe dieser Geschichte besteht darin, dass die hohen Herren in die Knie gehen, als sie ins Haus kommen und dort „das Kind und Maria, seine Mutter“, finden. „Da fielen sie nieder und huldigten ihm.“ Der Kniefall („Proskynese“) ist eine menschliche Demutsgeste, die Gott allein gebührt - auf die er allein Anspruch hat. Später hat man im Glaubensbekenntnis in aller begrifflichen Schärfe ausgedrückt, was in dieser stummen Geste steckt: Er, Christus, ist „Gott von Gott, Licht vom Lichte“ des Vaters... Die Geschenke demonstrieren dasselbe: Gold bekommt das Jesuskind als König; Weihrauch 75887416 wegen seiner göttlichen Würde; und Myrrhe versteht sich als Hinweis auf seine künftige Passion: Als Gekreuzigter ist er König und Sohn Gottes. 5. Globale Sichtweise übernehmen Wer die Geschichte von den Magiern vernimmt, soll wahrnehmen, dass sie die Welt der Nichtjuden, die Heidenwelt, vertreten. Unser Evangelium propagiert den globalen Anspruch des Kommens Gottes in diese Welt; es wirbt für die Heidenmission. So werden die Magier in der Tradition als Vertreter der damals bekannten drei Kontinente angesehen: Asien - Afrika Europa. So kommt es, dass seit dem Mittelalter ein schwarzer König an der Krippe auftaucht! Dass alle einbezogen sein sollen, merkt man auch daran, dass die drei Krippenfiguren der Könige in der Regel verschiedenen Altersgruppen angehören: Ein Greis vorne dran, ein Mann mittleren Alters danach, und zuletzt ein junger Mann. Jede Altersstufe ist berufen, ihr spezifisches Christusverhältnis zu gewinnen. 6. Modell der Hingabe an Christus Somit enthält diese Geschichte ein Angebot für jeden Einzelnen, sich mit den „Königen“ zu identifizieren: Gott im Menschen Jesus näher zu kommen, Schritte zu tun auf IHN hin. Die Heiden, die sich die Schuhsohlen ablaufen, um zu Jesus zu kommen, sind Modellfälle für uns - Modelle der Liebe zu Jesus und der Hingabe an ihn. Die Frage ist, was wir ihm zu bieten haben. Das Wunderbare: Er nimmt uns an, auch wenn wir mit leeren Händen vor ihm knien. Sich selbst schenken, sich IHM überlassen, das ist das schwierigste, aber auch das kostbarste Geschenk, mehr als Gold, Weihrauch und Myrrhe zusammengenommen. 7. Kritik an den Mächtigen Unübersehbar hat unsere Geschichte eine politische Dimension. Herodes verkörpert den „bösen“ Machthaber. Er fürchtet um seine politische Macht und wird gerade darin bloßgestellt. Unsere Geschichte übt Machtkritik! Das Kind in der Krippe ist der Friedensbringer schlechthin - und ist trotzdem von Anfang an bedroht. Die Kirche hat dieses Evangelium bewahrt; nun muss sie es auch bewähren, indem sie allen menschen- und gottfeindlichen Machtansprüchen widerspricht. Und sie darf natürlich auch selbst nicht danach schielen, ihre Autorität durch machtförmiges Handeln stützen zu wollen. Das mussten im Laufe der Jahrhunderte auch die christlich gewordenen Herrscher dieser Welt lernen. Indem sie sich wie die Magier beugen vor dem Christuskind, respektieren sie die Oberhoheit Gottes und bezeugen zugleich Respekt vor den Menschen, zumal vor den kleinsten und geringsten. Indem die kirchliche Tradition aus den Weisen „Könige“ machte, hat sie die kritische Potenz des Evangeliums zugespitzt. Ergebnis Wo so viel gelernt wurde, dort gibt es auch eine „Hausaufgabe“. Sie kann nicht darin bestehen, die sieben Punkte aufzusagen, Fragen wir uns stattdessen, welcher dieser sieben Punkte hat mich besonders berührt? Welchen möchte ich am liebsten weitererzählen? Wie kann ich heute und im Laufe der Woche auf diesen Lieblingspunkt zurückkommen und ihn vor mein inneres Auge rücken - sei es beim Gehen oder beim Anstehen, sei es in den schlaflosen Augenblicken der Nacht, sei es im persönlichen Beten. Dafür genügt der liebevolle Blick auf eine Einzelheit dieser Glaubensgeschichte, die mich anregt und mir gut tut.