Daniela Buckel - Die Sache mit der Motivation

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Hausarbeit
Im Rahmen der
Peer-Counseling-Weiterbildung 2004/2005
Thema:
Die Sache mit der Motivation
-Motivierende Gesprächsführung - eine Methode für das
Peer Counseling?
Verfasserin:
Daniela Buckel
Fliederstr. 3
90542 Eckental
Gliederung:
1. Erfahrungen aus meiner Arbeit als Beraterin
2. Was ist eigentlich Motivation?
3. Wann sind Menschen motiviert, sich zu verändern?
4. Das Thema ‘Motivation’ bei Menschen mit Behinderung
5. Wann trifft man eine Entscheidung für Veränderung?
6. Was ist ‘Motivierende Gesprächsführung‘?
7. Die Phasen der motivierenden Gesprächsführung
8. Wie unterstützt die Beraterin die verschiedenen Etappen einer
Veränderung?
9. Wo man als Beraterin aufpassen sollte
10. Motivierende Gesprächsführung - eine Methode für das Peer
Counseling?
11. Meine Aufgaben als Peer-Counselorin in einem
Veränderungsprozess
12. Ausblick
13. Verwendete Literatur
1. Meine Erfahrungen aus der Arbeit als Beraterin1
Vor dem Beginn der Peer-Counseling-Weiterbildung habe ich bereits 2 Jahre als Beraterin im
Zentrum für Selbstbestimmtes Leben Behinderter in Erlangen gearbeitet. In dieser Zeit
konnte ich viele Erfahrungen in der Beratung behinderter Menschen sammeln. Mir ist es
immer wieder begegnet, dass Klienten2 nicht in der Lage waren, Veränderungen in ihrem
Leben umzusetzen. Veränderungen, die sie sich eigentlich selbst wünschen. Ein Beispiel ist
hier der Auszug in die eigene Wohnung. Es ist oft ein großer Wunsch der Betroffenen, aber
die dafür notwendigen Schritte werden doch nicht in Angriff genommen.
Auf den folgenden Seiten möchte ich der Frage nachgehen, inwieweit die motivierende
Gesprächsführung eine Hilfe für solche Situationen sein kann und ob sie in das Konzept der
Peer-Counseling-Beratung zu integrieren ist. Diese Methode habe ich bereits im Rahmen
meines Studiums kennen gelernt. Hier vor allem im Zusammenhang mit alkoholabhängigen
Menschen. Vor allem in diesem Bereich wird motivierende Gesprächsführung angewandt.
Zu Beginn meiner Arbeit möchte ich der Frage nachgehen, wann Menschen eigentlich
motiviert sind, sich zu verändern? Bevor ich dann die Methode genauer erklären werde, um
dann den Bezug zur Peer-Counseling-Beratung herzustellen.
Um die Theorie an der einen oder anderen Stelle verständlicher zu machen, werde ich
versuchen, sie am Beispiel des Auszugs in die eigene Wohnung zu erklären.
2. Was ist eigentlich Motivation?3
1. Die Absicht: Wie wichtig ist eine Veränderung für die Klientin?
Es geht darum, ob die Klientin eine Veränderung wirklich will oder nicht. Das hängt davon ab,
ob sie feststellt, dass ihre momentane Situation sich mit dem widerspricht, was sie eigentlich
möchte. Das hat viel damit zu tun, welche Werte und Einstellungen die Klientin hat, d.h. was
ist ihr allgemein wichtig in ihrem Leben? Je größer der Unterschied ist, zwischen dem, was
jetzt ist und dem, was sie möchte, desto wahrscheinlicher ist, dass sie etwas verändern wird.
An diesem Punkt kann man als Beraterin die Klientin dabei unterstützen, herauszufinden, wo
die Unterschiede zwischen der Gegenwart und der Zukunft liegen. Denn durch diese
gemeinsame Betrachtung kann die Klientin Unterschiede entdecken, die sie vielleicht noch
nicht wahrgenommen hat.
1
auf den folgenden Seiten werde ich auf Grund der Lesbarkeit nur die weibliche Schreibweise
verwenden
2
auch hier werde ich auf Grund der Lesbarkeit immer die weibliche Form verwenden
3
vergl. Miller, Rollnick, S. 27ff
2. Die Fähigkeit: Traut sich die Klientin eine Veränderung zu?
Wenn die Klientin davon überzeugt ist, dass eine bestimmte Veränderung wichtig ist, dann
wird sie nach einem Weg für die Umsetzung suchen. Es ist ein Weg, von dem sie glaubt,
dass er funktionieren kann und von dem sie auch glaubt, dass sie ihn mit ihren Fähigkeiten
bewältigen kann.
Wenn sie keinen Weg findet, von dem sie glaubt, dass er Wirklichkeit werden kann, dann
wird sie versuchen, ihre jetzige Situation umzudeuten. -Sie wird versuchen, dass die
Dringlichkeit, etwas zu verändern geringer wird. Das kann sich in Sätzen ausdrücken wie ‘es
ist eigentlich gar nicht so schlecht, wie es jetzt ist’ oder ‘ich habe es sowieso nicht wirklich
gewollt’ oder ‘es ist gar nicht mein eigenes Problem, sondern das eines anderen‘.
3. Bereitschaft: Ist die Klientin bereit, sich zu verändern?
Die Absicht und die Fähigkeit für eine Veränderung reichen oft noch nicht aus, damit sie
tatsächlich umgesetzt wird. Die Klientin muss auch bereit dafür sein. Das bedeutet, sie will
sich verändern, sie fühlt sich dazu fähig und die Veränderung ist für sie das Wichtigste, was
sie erreichen möchte. Wenn vor der Veränderung noch etwas anderes wichtiger ist, wird sich
die Klientin noch nicht verändern. Es geht hier also um die Prioritäten. In welcher
Reihenfolge sortiert die Klientin das, was sie erreichen möchte. Erst wenn ein Anliegen an
oberster Stelle steht, wird sie es in die Realität umsetzen. Dieser Punkt ist als eine Etappe
auf dem Weg der Veränderung zu sehen. Die Prioritätenliste kann eine wichtige Information
darstellen, um gemeinsam die nächsten Schritte zu planen.
3. Wann sind Menschen motiviert, sich zu verändern?
Grundsätzlich ist es ein normaler Vorgang, dass Menschen sich verändern, unabhängig von
irgendeiner Beratung oder Therapie. In Studien wurde auch herausgefunden, dass die Basis
für eine Veränderung in den ersten Beratungsgesprächen/Therapiesitzungen gelegt wird. 4
Ein wichtiger Anhaltspunkt für Veränderung ist der Glaube der Klientin, dass die Veränderung
möglich ist und sie mit ihren Fähigkeiten in der Lage ist, sie zu erreichen. Diesen
Zusammenhang bezeichnet man in der Regel mit dem Begriff der ‘Selbst-wirksamkeit’. Das
bedeutet also, je höher das Ausmaß der Selbstwirksamkeit ist, desto höher ist auch die
4
vergl. Miller, Rollnick, S. 19f
Wahrscheinlichkeit, dass Menschen sich verändern. Entscheidend ist, dass es hier vor allem
um die Einschätzung geht, die die Person selbst über sich hat.
Aber es hat nicht nur die Klientin eine Vorstellung über ihren Grad der Selbstwirksamkeit,
sondern auch die Beraterin. Die Einstellung der Beraterin beeinflusst auch, ob eine
Veränderung stattfindet oder nicht. In Studien kam man zu dem Ergebnis, dass in einer
Beratung/Therapie die angewendete Methode genauso wichtig scheint, wie die Haltung der
Beraterin. Hier kommt vor allem die klientenzentrierte Gesprächsführung nach Rogers ins
Spiel. Wenn die Beraterin mehr Empathie, Wertschätzung und Kongruenz 5 zeigt, ist eine
Veränderung wahrscheinlicher. Am wichtigsten ist die Empathie. Sie hängt stark mit dem
Erfolg einer Beratung zusammen. Hier kann schon die erste Sitzung entscheidend sein.
Eine Veränderung wird auch wahrscheinlicher, wenn die Klientin im Laufe der Beratung die
Vorteile einer Veränderung selbst ausspricht. Dies wird auch als ‘Change-talk‘6 bezeichnet.
Wenn die Beraterin, die Aussagen der Klientin reflektiert und eine unterstützende Haltung
einnimmt, ist es wahrscheinlicher, dass die Klientin anfängt, auch über die positiven Seiten
einer Veränderung zu sprechen. Gleichzeitig kann die Beraterin Change-talk verhindern,
wenn sie die Klientin mit dem konfrontiert, was die Vorteile einer Veränderung sind. Das hat
mehr den Charakter des Überredens und wird bei der Klientin eher Widerstand auslösen.
4. Das Thema ‘Motivation’ bei Menschen mit Behinderung
Bei der Beschäftigung mit dem Thema wurde mir klar, dass Menschen mit Behinderung oft
die Voraussetzungen für eine Veränderung nicht in dem Ausmaß wie nichtbehinderte
Menschen mitbringen. Das zeigt sich vor allem am Punkt der Fähigkeiten. Es ist immer noch
sehr verbreitet, dass Menschen mit Behinderung nach dem beurteilt werden, was sie nicht
können. Andere Menschen (Familie, Therapeuten, Betreuer) sagen ihnen immer wieder, was
sie nicht können und wo sie Hilfe brauchen. Das führt dazu, dass Menschen dann oft selbst
nur das sehen, was sie nicht können und den Blick für ihre Fähigkeiten verlieren. Aber
gerade das Bewusstsein über die eigenen Fähigkeiten und der Glaube daran, dass man mit
diesen Fähigkeiten etwas erreichen kann, sind wichtige Bausteine für die Umsetzung einer
Veränderung im Leben eines Menschen. Dieser Aspekt kann natürlich nicht alles erklären.
Aber bei Menschen mit Behinderung ist es besonders wichtig, sie dabei zu unterstützen, ihre
5
Empathie: zu verstehen und sich darauf einlassen, wer die Klientin ist, ohne ein Urteil zu fällen
Wertschätzung: die Klientin so annehmen und akzeptieren, wie sie ist Kongruenz: seine Gefühle, Werte als
Beraterin angemessen einbringen, so sein, wie man ist.
6
„Change-talk sind Äußerungen, mit denen Klienten ihre Fähigkeit, ihre Bereitschaft, ihre Gründe, ihre
Wünsche und ihre Selbstverpflichtung für eine Veränderung zum Ausdruck bringen.“ (vergl. Miller, Rollnick, S.
25)
Fähigkeiten und Stärken zu entdecken und Erfahrungen zu sammeln, wie sie mit ihnen
etwas bewirken können. Erst danach kann es um die eigentliche Veränderung gehen.
5. Wann trifft man eine Entscheidung für Veränderung?
Vielen Menschen fällt es schwer, sich zu entscheiden. Besonders Menschen mit
Behinderung haben hier oft wenig Erfahrungen, sammeln können. Entscheidungen werden
ihnen immer wieder von anderen abgenommen. Sie haben oft gar nicht gelernt, wie man sich
eigentlich entscheidet. Was macht es aber so schwer sich zu entscheiden?
Man steckt meistens in einer Zwickmühle fest. Man will sich ändern, aber gleichzeitig will
man sich auch wieder nicht ändern. Es gibt Vor und Nachteile, sich zu verändern und es gibt
Vor- und Nachteile, alles so zu lassen, wie bisher. Man springt in Gedanken von einer Seite
einer Waage auf die andere Seite und weiß nicht, wo man eigentlich bleiben soll. Man ist hinund hergerissen. Das kann auf Dauer sehr anstrengend sein. Hier spricht man auch von
‘Ambivalenz‘. Sie ist ein natürlicher Schritt auf dem Weg hin zu einer Veränderung. Es ist
aber auch wichtig, dass die Ambivalenz nur ein Durchgangsstadium ist. Sie muss
irgendwann aufgelöst werden. Aber so lange man ambivalent ist, wird man sich nicht
entscheiden, bzw. in einer Richtung aktiv werden. Das, was also oft als fehlende Motivation
gesehen wird, ist als ein Feststecken zwischen “ich will es - ich will es nicht zu verstehen. 7
Die Ambivalenz möchte ich am Beispiel des Auszugs aus der eigenen Wohnung erklären:
Ich möchte bei meinen Eltern bleiben
Ich möchte in eine eigene Wohnung ziehen
Vorteile
Nachteile
Vorteile
Nachteile
Ich muss mich um
nichts kümmern.
Ich möchte meine
Eltern
nicht
alleine lassen.
Ich bin nie ganz
allein.
Meine Eltern sind für
mich da.
Ich kann nicht oft nicht
das machen was ich
möchte.
Ich muss oft das tun,
was meine Eltern
wollen.
Ich
kann
nicht
unabhängig sein.
Ich kann so leben, wie
ich es möchte.
Ich bin unabhängig von
meinen Eltern.
Ich
kann
selbst
entscheiden,
was
ich
wann,
wie
machen möchte.
Ich muss mich um
vieles
selbst
kümmern.
Ich
habe
Angst,
alleine zu sein.
Ich habe Angst, nicht
genügend
Hilfe
zu
haben.
Aber die Vor- und Nachteile für eine Veränderung haben nicht nur mit der einzelnen Person
zu tun. Unser soziales Umfeld beeinflusst auch, was wir als Vorteil, bzw. als Nachteil sehen.
Die Ambivalenz kann also ohne die sozialen Beziehungen eines Menschen nicht wirklich
7
vergl. Miller, Rollnick, S. 31ff
verstanden werden. Es ist wichtig, den Einfluss der Eltern, Freunde und Bekannten,
Arbeitskollegen einzubeziehen. Es kann zum Beispiel sein, dass ein behinderter Mensch
nicht von zu Hause auszieht, weil die Eltern auf das Pflegegeld als Einkommen angewiesen
sind. Hier liegt die Ursache für eine Nicht-Veränderung nicht in der Person selbst, sondern im
System, in dem sie sich befindet.
Wenn man als Beraterin versucht, die Ambivalenz, das Hin- und Hergerissen sein, in eine
bestimmte Richtung aufzulösen, führt es eher dazu, dass sich bei der Klientin die Meinung
verstärkt, sich nicht zu ändern. Das Verhalten, das sich ändern soll, verfestigt sich sogar
noch. Es ist sinnvoller gemeinsam mit der Klientin zu erarbeiten, in welche Richtung sich die
Ambivalenz auflösen könnte und was sie darüber denkt. Dann hat man als Beraterin auch
Anhaltspunkte, welches Ziel die Klientin erreichen möchte und kann sie dann gezielter auf
ihrem Weg dorthin unterstützen.
6. Was ist ‘motivierende Gesprächsführung‘?
Allgemeines:
Motivierende Gesprächsführung ist eigentlich für die Therapie von süchtigen Menschen
entwickelt worden, z.B. bei Alkohol- oder Drogenabhängigkeit. Inzwischen hat sie sich aber
immer mehr verbreitet. Sie wird inzwischen auch im Gesundheitswesen oder in der
Schwangerschaftsberatung eingesetzt.
Bei der motivierenden Gesprächsführung geht es nicht um eine Beratung durch einen
Experten, sondern um “ein gemeinsames Sehen und Betrachten”
8
der momentanen
Situation. Die Methode ist in Anlehnung an Rogers klienten- und personenbezogen. Sie
konzentriert sich auf die Interessen und Sorgen der Klientin in der Gegenwart.
Im Unterschied zu der klientenzentrierten Gesprächsführung nach Rogers ist die
motivierende Gesprächsführung bewusst direktiv. Sie beinhaltet eine Art und Weise, auf
Ambivalenz zu reagieren und sie aufzulösen und die Klientin in Richtung einer Veränderung
zu bewegen, zum Beispiel wenn es darum geht, mit dem Trinken oder Rauchen aufzuhören.
Gleichzeitig ist die Methode nicht als Trickkiste zu verstehen, um jemanden in eine
bestimmte Richtung zu manipulieren. “Solange eine Veränderung nicht in den eigenen
Interessen einer Person begründet ist, wird sie nicht stattfinden.”9
Bei der motivierenden Gesprächsführung konzentriert man sich vor allem darauf, die
8
9
vergl. Miller, Rollnick, S. 47
vergl. Miller, Rollnick, S. 48
Ambivalenz einer Person zu erforschen und aufzulösen. Ambivalenz wird als Schlüssel für
eine Veränderung gesehen. Miller und Rollnick betonen auch, dass die Methode nicht die
einzige Möglichkeit ist, um die Motivation für eine Veränderung hervorzurufen. Bei Studien
hat man zum Beispiel herausgefunden, dass bei Personen, die schon Veränderungsbereitschaft mitbringen oder die mit weniger Ablehnung/Wut in die Beratung kommen, die
motivierende Gesprächsführung nicht so effektiv ist.10
Die Erfahrung hat gezeigt, dass sich die Methode gut in andere Beratungsansätze
integrieren lässt. Sie eignet sich sowohl dafür, am Anfang einer Beratung oder punktuell
eingesetzt zu werden. Sie kann aber auch als ständiger Bestandteil eines BeratungsProzesses. 11
Es muss noch betont werden, dass der Begriff motivierende Gesprächsführung eigentlich für
die Anwendung in der Therapie verwendet wird. Gleichzeitig ist es jedoch möglich, einzelne
Elemente in der Beratung anzuwenden, ohne die ganze Bandbreite beherrschen zu müssen.
Hierfür wurden spezielle Schulungskonzepte entwickelt.
Grundsätze der motivierenden Gesprächsführung12
Das Verhältnis zur Klientin ist eine partnerschaftliche Beziehung. Die Beraterin erforscht,
was die Klientin bewegt und unterstützt sie, anstatt sie zu ermahnen oder sie zu
überreden.
Die Beraterin versucht herauszufinden, was für Interessen, Wünsche und Werte die Klientin
hat, was für sie von Bedeutung ist, also das, was einen Menschen motiviert.
Die Verantwortung für eine Veränderung liegt immer bei der Klientin. Die Beraterin
respektiert die Selbstbestimmung der Person. Die Klientin findet selbst heraus, was in
ihrem Fall für eine Veränderung spricht. Die Beraterin unterstützt sie dabei.
Die vier Basisprinzipien13
1. Empathie ausdrücken: Sie ist das Fundament der motivierenden Gesprächsführung.
Durch aktives Zuhören versucht die Beraterin, die Gefühle und Sichtweisen der Klientin zu
verstehen, ohne sie zu bewerten. Die Klientin wird so akzeptiert, wie sie ist. Es ist normal,
ambivalent zu sein und deshalb noch nicht in der Lage zu sein, sich zu verändern. Die
10
11
12
13
vergl. Miller, Rollnick, S. 48f
vergl. Miller, Rollnick, S. 52
vergl. Miller, Rollnick, S. 53ff
vergl. Miller, Rollnick, S. 57ff
Klientin ist deswegen nicht krank oder unfähig.
2. Diskrepanzen entwickeln: Es geht darum, gemeinsam herauszufinden, wie groß der
Unterschied zwischen der jetzigen Situation ist und dem, was sich die Klientin wünscht. Nur
wenn er groß genug ist, wird es zu einer Veränderung kommen. Es bekommt für die Klientin
eine größere Bedeutung und Wichtigkeit.
Es ist wichtig, die Wünsche, Interessen und Ziele der Klientin gemeinsam zu entdecken und
zu sehen, wo es mit der Gegenwart nicht zusammenpasst. Entscheidend ist auch hier, dass
die Klientin es selbst ausspricht.
3. Widerstand umlenken: Hier soll die Situation vermieden werden, dass die Beraterin für
eine Veränderung und die Klientin dagegen argumentiert. Es ist die Aufgabe der Klientin,
Lösungen für ihr Problem zu finden und nicht die der Beraterin. Die motivierende
Gesprächsführung geht davon aus, dass jeder Mensch eigene Ideen und Wege hat, mit
seinen Problemen umzugehen und die Beraterin respektiert sie. Der Widerstand wird stärker,
wenn man als Beraterin der Klientin zu verstehen gibt: ‘Ich weiß es besser als du, hör auf
mich‘.14 Mit Widerstand ist hier immer das Argumentieren gegen eine Veränderung gemeint.
4. Selbstwirksamkeit fördern: Selbstwirksamkeit meint, dass die Person daran glaubt, dass
sie mit ihren Fähigkeiten etwas erreichen kann. Sie ist ein Schlüssel für Veränderung. Die
Beraterin kann die Klientin nicht verändern, sie muss es selbst tun. Sie kann sie lediglich bei
der Veränderung unterstützen und der Klientin deutlich zu machen, dass sie ihr eine
Veränderung zutraut.
7. Die Phasen der motivierenden Gesprächsführung
Phase 1: Motivation zur Veränderung aufbauen15
Diese Phase kann unterschiedlich lange dauern. Es ist abhängig davon, wie klar sich die
Klientin bereits darüber ist, dass sie sich verändern möchte. Es soll die Ambivalenz aufgelöst
werden und eine Bereitschaft für eine Veränderung aufgebaut werden.
Um die Ambivalenz der Klientin zu verstehen ist es hilfreich, anzusprechen, wie wichtig es für
sie ist, etwas zu verändern (Dringlichkeit) und wie zuversichtlich sie ist, dies auch zu
erreichen (Zuversicht). Die Themen Dringlichkeit und Zuversicht geben Aufschluss darüber,
wo die Klientin zu Beginn der Beratung steht.
Es kann zum Beispiel sein, dass es ihr sehr wichtig ist, in eine eigene Wohnung zu ziehen,
aber dass sie es sich nicht zutraut, das auch umzusetzen. Es kann sein, dass sie durchaus
denkt, dass sie es schaffen könnte, zu Hause auszuziehen, aber dass sie noch nicht genau
14
15
vergl. Miller, Rollnick, S. 76
vergl. Miller, Rollnick, S. 80ff
weiß, ob sie das wirklich will.
Unabhängig von diesen Themen ist es Anfang der Beratung wichtig, den organisatorischen
Rahmen abzustecken (Vorstellung, Zeitrahmen usw.) und genau abzuklären, über welche
Themen die Klientin sprechen möchte. Selbst wenn man als Beraterin schon eine Vorstellung davon hat, worum es gehen könnte, können der Klientin andere Themen viel
wichtiger sein.
Phase 2: Die Selbstverpflichtung für eine Veränderung aufbauen16
Wenn klar ist, dass die Klientin sich verändern will und sich dazu in der Lage sieht, dann geht
es im zweiten Schritt darum, diesen Willen für eine Veränderung und die Bereitschaft dafür
zu stärken.
Allein die Entscheidung für eine Veränderung, bedeutet nicht, dass sich die Klientin absolut
sicher ist. Das Hin- und Hergerissen sein ist damit nicht völlig vom Tisch. Es kann immer
noch Momente geben, wo sie den eingeschlagenen Weg in Frage stellt. Deshalb sollte man
nicht zu schnell zur Umsetzung übergehen. Das kann auch dazu führen, dass mit “Ja, aber
... “ gegen die einzelnen Schritte argumentiert wird. Gleichzeitig kann es aber auch notwendig sein, dass die Klientin mehr Unterstützung bei der Umsetzung benötigt.
In dieser Phase können mehr Informationen und Ratschläge weitergegeben werden. Aber
nur dann, wenn die Klientin danach fragt oder man als Beraterin die Erlaubnis dafür eingeholt hat. Hier ist es wichtig, die Klientin nach eigenen Ideen für die Umsetzung zu fragen.
Man kann je nach Wunsch der Klientin die genauen Ziele und das Vorgehen besprechen und
die Ergebnisse aufschreiben. Am Ende des Prozesses sollte man abklären, wie für die
Klientin der nächste Schritt aussieht. Es kann sein, dass es gleich um ganz konkrete Schritte
geht oder dass sie noch einmal über das Erarbeitete nachdenken möchte.
Es ist sinnvoll auch darüber zu sprechen, was passiert, wenn man sein Ziel nicht erreichen
sollte. Welche anderen Möglichkeiten gibt es dann noch?
Je nach dem, wie es die Klientin wünscht, kann die Beraterin den Prozess der Umsetzung
weiterhin begleiten oder die Beratung ist an diesem Punkt beendet.
8. Wie unterstützt die Beraterin die verschiedenen Etappen einer Veränderung?
Motivation für eine Veränderung aufbauen:17
1. Offene Fragen stellen: Damit bekommt die Klientin die Möglichkeit, zu erzählen, was sie
innerlich wirklich beschäftigt. Auch bei offenen Fragen ist es wichtig, dass man nicht mehr als
16
17
vergl. Miller, Rollnick, S. 174ff
vergl. Miller, Rollnick, S. 98ff
zwei hintereinander stellen sollte, bevor man der Klientin die Chance gibt zu antworten.
Sonst kann das Gespräch trotz offener Fragen nicht in Gang kommen.
2. Aktives Zuhören: Man reflektiert als Beraterin das, was die Klientin gesagt hat. Damit kann
man abklären, ob man die Klientin richtig verstanden hat und die Klientin bekommt die
Gelegenheit, noch einmal darüber nachzudenken, was sie gesagt hat. Hier ist es auch
wichtig, die Aussagen zu reflektieren, die auf eine Motivation für eine Veränderung hindeuten. (Change-Talk)
3. Bestätigen: Damit ist gemeint, dass die Beraterin die Klientin auf ihre eigenen Stärken und
Fähigkeiten aufmerksam macht.
4.
Zusammenfassen:
Es
ist
immer
wieder
hilfreich,
das
Gesagte
der
Klientin
zusammenzufassen, vor allem dann, wenn sie Aussagen darüber gemacht hat, was für sie
Vor- und Nachteile einer Veränderung, bzw. der momentanen Situation sind.
5. Change-talk hervorrufen: Die Klientin soll dabei unterstützt werden, selbst Argumente
dafür zu finden, warum sie sich verändern möchte. Dies ist die Basis dafür, dass sich die
Ambivalenz auflöst. Dabei geht es immer um einen gemeinsamen Prozess der
Entscheidungsfindung, den die Klientin bestimmt und nicht die Beraterin.
Wie unterstützt man als Beraterin ‘Change-talk’?18
Offene Fragen stellen, um die Vor und Nachteile herauszufinden.
Beispiel: was beunruhigt Sie an ihrer gegenwärtigen Situation? Wie möchten Sie, das ihr
Leben in fünf Jahren aussieht? Gibt es eine Situation, wo sie sich schon einmal
verändert haben? Was haben Sie da gemacht? Was hat Ihnen dabei geholfen?
Es kann hilfreich sein, sich einen typischen Tag schildern zu lassen.
Man kann Extreme erfragen.
Beispiel: Was ist das Schlimmste, was passieren könnte?
Man kann zurückblicken:
Beispiel: Wo waren Sie in der Vergangenheit schon einmal erfolgreich?
Man kann genauso in die Zukunft blicken.
Beispiel: Wie soll Ihr Leben in fünf Jahren aussehen?
Hier bekommt die Klientin auch die Gelegenheit auszudrücken, was ihr im Leben wichtig
ist, welche Ziele sie verfolgen möchte.
Wie reagiere ich als Beraterin auf ‘Change-talk’ der Klientin?19
●
Man kann die Vor- und Nachteile, die die Klientin ausgesprochen hat, noch einmal
verdeutlichen.
●
18
19
Man kann die Klientin dazu einladen, sich die einzelnen Seiten einer Entscheidung
vergl. Miller, Rollnick, S. 116ff
vergl. Miller, Rollnick, S. 124ff
genauer anschauen und die Vor- und Nachteile zusammenfassen. Hier ist es auch
möglich, das Gesagte schriftlich festzuhalten.
●
Dann kann es hilfreich sein, zusammen mit der Klientin herauszufinden, welche Ziele
sie verfolgen möchte, was ihr im Leben wichtig ist. Damit bekommt man eine Idee
davon, in welche Richtung sich die Ambivalenz auflösen könnte.
Was tun, wenn Widerstand entsteht?20
Wenn bei der Klientin Widerstand
21
entsteht ist es wichtig, nicht gleichzeitig mit
Gegenargumenten zu antworten, um den Widerstand nicht noch zu verstärken. Auch hier ist
es wichtig, das Gesagte der Klientin wiederzugeben. Bei Bedarf kann man die
Gegenargumente auch in verstärkter Forum wiedergeben.
Es ist wichtig, die Wahlfreiheit der Klientin zu betonen, sie wird zu nichts gedrängt werden.
Es gibt auch die Möglichkeit, mit der Klientin einen Rollentausch zu vereinbaren, dass sie
mich als Beraterin davon überzeugen muss, warum ich etwas ändern sollte.
Wie unterstützt man die Entstehung von Zuversicht?22
Hier geht es um das Thema Selbstwirksamkeit. Wie kann man eine Klientin, die eine
Veränderung möchte, aber nicht zuversichtlich ist diese zu erreichen, unterstützen?
Auch bei diesem Thema, gibt es zunächst Fallen, in die man tappen kann. Wenn die
Entscheidung für ‘Ich will eine Veränderung’ gefallen ist, kann man zu schnell zur konkreten
Umsetzung kommen, ohne sich um die Zuversicht der Klientin gekümmert zu haben. Es
kann auch gefährlich sein, wenn man das Thema Zuversicht nicht ernst nimmt und es mit
einem Satz wie ‘Das schaffen Sie schon.’ abschließt. Dann kann die Gefahr bestehen, dass
man sich als Beraterin mit auf die Ebene begibt, dass es schwierig ist, das Ziel zu erreichen.
Dadurch wird auch der weitere Prozess blockiert.
Bei der Zuversicht ist es wichtig, zu bedenken, dass es auch hier zwei Seiten gibt - ich bin
zuversichtlich, ich bin es nicht - zwischen denen die Klientin hin und her schwanken kann.
Folgende Elemente können bei dem Aufbau von Zuversicht hilfreich sein:
Offene Fragen stellen: Was wäre der erste Schritt? Welche Hindernisse könnte es geben?
●
Mit einer Skala die Zuversicht von der Klientin einschätzen lassen: Was müßte
passieren, damit sie sich zuversichtlicher einschätzen?
●
Frühere Erfolge besprechen: Wann haben Sie schon einmal etwas Neues gelernt
oder eine Gewohnheit erfolgreich verändert? Wie sind sie dabei vorgegangen?
●
20
21
22
Auf Stärken hinweisen: welche Stärken haben Sie, die Ihnen bei der Umsetzung
vergl. Miller, Rollnick, S. 139ff
Mit Widerstand ist gemeint, dass die Klientin verstärkt gegen eine Veränderung argumentiert
vergl. Miller, Rollnick, S. 155ff
helfen könnten? Welche Menschen in meinem Umfeld können mich unterstützen und
wie?
●
Brainstorming: Ideen sammeln, was bei der Umsetzung der Veränderung hilfreich
sein kann.
●
Versagen umformulieren: Es kann durchaus sein, dass die Klientin Erfahrungen
gemacht hat, wo sie bei der Umsetzung einer Veränderung versagt hat. Hier kann es
hilfreich sein, das Versagen als einen Versuch zu sehen, der nicht geklappt hat. Man
kann die Bedingungen herausarbeiten, warum es nicht geklappt haben könnte und
Vorsichtsmaßnahmen für die jetzige Situation treffen.
●
Bei Bedarf Informationen und Ratschläge geben, wie die Klientin Erfolg haben
könnte. Die Klientin muss jedoch immer die Freiheit haben, die Vorschläge
anzunehmen oder auch nicht. Die Verantwortung liegt bei ihr.
●
In die Zukunft blicken: sich gemeinsam mit der Klientin vorstellen, die Veränderung ist
bereits eingetreten. Was ist auf dem Weg dahin alles passiert?
●
Lebenszusammenhänge miteinbeziehen: Die Zuversicht für eine Veränderung kann
niedrig sein, weil sie noch mit anderen Dingen zusammenhängt, zum Beispiel eine
Arbeitsstelle zu haben oder eine passende Wohnung zu finden. Diese Zusammenhänge dürfen nicht außer acht gelassen werden.
●
Genauso wie beim ‘Change-talk’, ist es wichtig, die Aussagen der Klientin, die Zuversicht ausdrücken zu reflektieren.
9. Wo man als Beraterin aufpassen sollte
Die Frage-Antwort-Falle:
Am Anfang eines Gesprächs kann es passieren, dass die Beraterin Fragen stellt und die
Klientin kurze Antworten gibt. Das kann mehrere Gründe haben. Die Beraterin möchte den
Verlauf des Gespräches kontrollieren. Die Klientin fühlt sich in der passiven Rolle wohler.
Das Ergebnis ist, dass die Beraterin die Expertenrolle einnimmt und die Klientin keine
Möglichkeit erhält, zu erzählen, was sie gerade beschäftigt und innerlich bewegt.
Beispiel: Wohnst du noch bei deinen Eltern? In welcher Pflegestufe bist du? Brauchst du
Hilfe bei der Körperpflege?
Hier ist es wichtig, offene Fragen zu stellen, der Klientin wirklich zuzuhören und als Beraterin
immer wieder zusammenfassen, wie man die Antworten der Klientin verstanden hat.
Beispiel: Wie wohnst du im Moment? Wie sieht ein typischer Tag bei dir aus?
Die Falle, Partei zu ergreifen:
In diese Falle tappt man als Beraterin häufiger. Man erfährt als Beraterin einige
Informationen und folgert daraus, welches Problem vorliegt und welcher Lösungsweg dazu
passen würde. Die Klientin ist sich aber meistens noch nicht ganz sicher, ob er sich wirklich
verändern soll. Wenn man als Beraterin für eine Veränderung plädiert, dann wird die Klientin
meistens Argumente suchen, die dagegen sprechen. Damit wird die Wahr-scheinlichkeit,
dass sich die Klientin verändert geringer. Sie hat ausgesprochen, was gegen eine
Veränderung spricht und fühlt sich dann eher verpflichtet nach ihren eigenen Aus-sagen zu
handeln. Bei dieser Falle ist es am wichtigsten, sie zu vermeiden, weil sie Hindernisse für
Veränderung aufbaut.
Beispiel: Ich sage der Klientin, welche Vorteile das Wohnen in der eigenen Wohnung hat.
Das kann dazu führen, dass die Klientin eher ausspricht, was die Nachteile sind, wenn sie
auszieht. Die Wahrscheinlichkeit, dass sie sich für das Ausziehen entscheidet, wird so
geringer.
Diesem Hin und Her zwischen Beraterin und Klientin kann man begegnen, indem man das
Gesagte der Klientin zusammenfasst und dann eine Frage anschließt, wie es mit der Seite
der Vorteile aussieht. Es kann auch sein, dass die Klientin gar nicht über das Thema
Ausziehen sprechen möchte, sondern ihr ein anderes Thema viel wichtiger ist, zum Beispiel,
wie kann ich meine Freizeit gestalten. Es ist grundsätzlich wichtig, mit der Argumentation der
Klientin mitzugehen.
Die Expertenfalle
Hier ist es die Beraterin, die weiß, welche Lösung des Problems gut ist. Die Klientin wird
dann in die Empfänger-Rolle von Ratschlägen gedrängt. Ich denke, die Expertenrolle nimmt
man vor allem dann leicht ein, wenn die Klientin von ihrer Grundhaltung eher passiv und
zurückhaltend ist.
Beispiel: Ich sagen der Klientin, dass es das Beste für sie wäre, wenn sie ausziehen würde.
Ich sage ihr, was nötig ist, damit sie in der eigenen Wohnung leben kann und welche Schritte
sie dabei gehen muss.
Anmerkung: Ich denke, wenn ich abgeklärt habe, dass die Klientin als Ziel hat auszu-ziehen,
dann ist es auch angebracht, mit ihr die einzelnen Schritte zu besprechen. Aber wenn ich am
Anfang einer Beratung noch gar nicht genau weiß, was die Klientin möchte, dann kann ich
sie so in eine Richtung drängen und eher Widerstand bei der Klientin hervorrufen.
Diese Falle kann vermieden werden, indem man die Ideen/Haltungen/Meinungen der Klientin
zu ihrer momentanen Situation erfragt und versucht, offene Fragen zu stellen.
Beispiel: Was ist Ihnen besonders wichtig daran, von zu Hause auszuziehen? Gibt es neben
dem Thema ‘Ausziehen’ noch etwas anderes, was Sie beschäftigt?
Die Falle, sich zu früh auf etwas zu konzentrieren
Als Beraterin steht man in der Gefahr, sich gleich auf das vordergründige Problem zu
stürzen. Aber es kann sein, dass für die Klientin ein anderes Thema viel wichtiger ist. Daher
ist es am Anfang wichtig, der Klientin zuzuhören und herauszufinden, was ihre Sorgen sind,
was sie gerade am meisten beschäftigt. Es ist wichtig, viel über die Lebenssituation der
Klientin zu erfahren, bevor man das Thema eingrenzt. Hier kann es ratsam sein, Themen,
die man im Verlauf des Beratungsgespräches hört, zu benennen und dann mit der Klientin zu
besprechen, was für sie im Moment im Vordergrund steht.
Beispiel: Wenn die Klientin erzählt, dass sie von zu Hause ausziehen möchte, steht dieser
Punkt zwar im Vordergrund, aber wenn ich mich zu früh darauf konzentriere, bekommt die
Klientin nicht die Gelegenheit zu erzählen, dass zum Beispiel das Verhältnis zu ihrer Mutter
schwierig ist und sie nicht, weiß, wie sie ihr davon erzählen soll, dass sie ausziehen will.
Der “Es richten wollen”-Reflex23
Gerade Menschen, die in sozialen Berufen arbeiten, haben oft die Tendenz, jemanden auf
den richtigen Weg zurückbringen zu wollen. Wenn aber die Klientin noch gar nicht genau
weiß, wo die Reise hinführen soll, passiert meistens folgendes: Die Beraterin sucht
Argumente, warum die Klientin diesen Weg einschlagen soll oder bietet verschiedene
Lösungsmöglichkeiten an. Das führt aber bei der Klientin dazu, dass sie eher Argumente
dafür sucht, warum sie diesen Weg nicht nehmen soll. Aber die Klientin wird eher das tun,
was sie selbst ausgesprochen hat und die Vorschläge der Beraterin nicht umsetzen. Es wird
hier also deutlich, wie wichtig es ist, dass die Klientin selbst die Vorteile einer Veränderung
ausspricht. Dadurch ist sie selbst stärker verpflichtet, danach auch zu handeln.
10. Motivierende Gesprächsführung - eine Methode für das Peer Counseling?
Bei der Beschäftigung mit dem Thema sind mir viele Parallelen zum Peer Counseling
aufgefallen. Beide Methoden basieren zunächst einmal auf der klientenzentrierten
Gesprächsführung nach Rogers. Auch im Peer-Counseling werden Aktives Zuhören, offene
Fragen, Rückmelden, wie man die Aussagen der Klientin verstanden hat, angewendet.24
Auch das Menschenbild ist sich sehr ähnlich. Bei der motivierenden Gesprächsführung ist es
entscheiden, dass die Verantwortung bei der Klientin liegt. Die Klientin verfügt selbst über ein
Wissen, welche Lösungen und Strategien es geben kann; ganz nach dem Satz der
Selbstbestimmt-Leben-Bewegung “Behinderte Menschen sind Expertinnen und Experten in
23
24
vergl. Miller, Rollnick, S. 40ff
vergl. Peer-Counseling-Reader, S. 67f
eigener Sache”.
Mir sind auch starke Parallelen zur Persönlichen Zukunftsplanung aufgefallen. Hier steht
auch der behinderte Menschen mit seinen Wünschen, Träumen und Fähigkeiten im
Mittelpunkt, um herauszufinden, wer er eigentlich ist. Dann wird gemeinsam festgelegt,
welche Veränderungen der Mensch mit Behinderung in seinem Leben umsetzen möchte und
welche Schritte dazu notwendig sind. Eine Besonderheit ist hier noch, dass der Kreis von
Unterstützerinnen und Unterstützern einen höheren Stellenwert einnimmt. Es ist ein fester
Bestandteil, während es bei der motivierenden Gesprächsführung nicht so viel Beachtung
findet.25
Aber es gibt meiner Meinung nach auch zwei wesentliche Unterschiede. Die PeerCounseling-Beratung ist nicht direktiv, d.h. das Ergebnis der Beratung liegt allein in der Hand
der Klientin. Der direktive Ansatz der motivierenden Gesprächsführung hat damit zu tun,
dass versucht wird, Verhalten zu verändern, das die Person oder andere schädigt. Ich
denke, hier ist es verständlich, dass man versucht, die Person dabei zu unterstützen, das
problematische Verhalten aufgeben zu können, wie zum Beispiel bei Alkoholabhängigkeit.
Miller und Rollnick betonen aber auch immer wieder, dass mit dieser Methode Menschen
nicht manipuliert werden sollen. Es ist für sie von zentraler Bedeutung, dass man es
anspricht, wenn man als Beraterin Bedenken hat, ob der Verlauf der Beratung noch dem
Willen der Klientin entspricht.26
Mir wurde dabei auch klar, dass die Offenheit des Peer-Counseling auch an ihre Grenzen
stoßen kann, z.B. wenn man einen behinderten Menschen berät, der stark übergewichtig ist
und die AssistentInnen seine Unterstützung im Alltag körperlich nicht mehr leisten können.
Hier ist die Richtung der Veränderung, die Gewichtsreduzierung, eher vorgegeben, um z.B.
eine Heimeinweisung zu vermeiden. Gleichzeitig muss in so einem Fall aber auch respektiert
werden, wenn sich jemand dagegen entscheidet und dann eher einen Umzug ins Heim in
Kauf nimmt.
Der zweite Unterschied liegt in der Peer-Counseling-Beratung an sich begründet. Ich bringe
als selbst behinderte Beraterin meine eigenen Erfahrungen mit meiner Behinderung stärker
ein. Sie sind ein wichtiger Bestandteil der Beratung. Auf diesen Aspekt möchte ich im
nächsten Abschnitt noch genauer eingehen.
Abschließend kann man sagen, dass der Ansatz der motivierenden Gesprächsführung mit
seinen Grundsätzen gut in die Peer-Counseling-Beratung zu integrieren ist. Ich denke, man
kann auch nur einzelne Elemente anwenden, ohne die Methode in ihrer Gesamtheit zu
beherrschen.
25
Genauere Informationen zur Zukunftsplanung finden sich bei: Kann, van Peter, Doose, Stefan:
Zukunftsweisend, Peer Counselling & Persönliche Zukunftsplanung, 1999, bifos-Schriftenreihe, Kassel.
26
Miller u. Rollnick widmen diesen ethischen Fragen ein eigenes Kapitel, vergl. S. 215ff.
11. Meine Aufgaben als Peer-Counselorin in einem Veränderungsprozess
Zum Schluss möchte ich mich noch damit beschäftigen, was mir die motivierende
Gesprächsführung konkret in der Beratung bringen kann.
Ich denke, unabhängig von der Methode, sind die Annahmen sehr entscheidend, wann es zu
einer Veränderung kommt und wann nicht, die man im Hinterkopf behalten kann. Es ist
entscheidend, welche Haltung ich als Beraterin mitbringe. Stufe ich die Klientin gleich als
unmotiviert ein oder sehe ich sie eher auf einer bestimmten Stufe auf ihrem Weg, sich zu
verändern.
Mir ist klar geworden, wie wichtig es ist, dass ich auch als Beraterin daran glaube, dass sich
eine Klientin verändert. Dabei kann es sinnvoll sein, sich selbst zu überlegen, wo ich auch
als selbst behinderter Mensch noch Vorurteile gegenüber anderen behinderten Menschen
habe. Meine Haltung kann auch ein Hindernis für eine Veränderung sein.
Aber auch gerade meine eigene Betroffenheit kann ein Hindernis sein, wenn ich sie zu stark
einbringe. Wenn ich meine eigenen Erfahrungen einbringe, muss ich aufpassen, dass bei der
Klientin kein Druck entsteht, es genauso machen zu müssen wie ich. Es ist wichtig, es immer
als meinen Weg zu schildern und gleichzeitig der Klientin alle Wege offen zu lassen.
Gerade als Peer-Counselorin kann es einem leicht passieren, dass man den Weg hin zu
mehr Selbstbestimmung und Eigenverantwortung focusiert. Aber diese frühe Eingrenzung
kann schon eine Veränderung verhindern. Mir ist durch die motivierende Gesprächsführung
wieder deutlich geworden, wie wichtig es ist, die Anliegen der Klientin am Anfang abzuklären.
Denn nicht immer das, was einem als erstes ins Auge fällt, ist auch das, was die Klientin
vorrangig beschäftigt.
Ein wichtiger Aspekt ist für mich auch, das soziale Umfeld mit einzubeziehen. In der
Beratung kann es passieren, dass man die Ursache für eine Nicht-Veränderung bei der
Klientin sucht, aber der eigentliche Grund im System liegt, in dem sie sich befindet.
Wie bereits erwähnt haben Menschen mit Behinderung oft wenig Vertrauen in die eigenen
Fähigkeiten und glauben nicht daran, dass sie etwas bewirken können. Aber gerade diese
beiden Dinge sind wichtige Voraussetzungen für eine Veränderung. Mir wurde deutlich, dass
man bei Menschen mit Behinderung mehr Zeit darauf verwenden sollte, über ihre
Fähigkeiten zu sprechen oder was sie bisher schon erreicht haben. Es ist ihnen oft selbst gar
nicht so bewusst. Ich denke, es kann auch länger dauern, bis man die Vor- und Nachteile
einer Veränderung besprochen hat. Für viele ist es eine ganz neue Erfahrungen, sich zu
entscheiden. Zwischen welchen Möglichkeiten kann ich mich eigentlich entscheiden, was
bedeutet es, mich für die eine oder andere Seite zu entscheiden? Wie fühlt es sich an
zwischen zwei Seiten hin und her gerissen zu sein? Das Erforschen und Erkunden der
Ambivalenz kann gerade bei Menschen mit Behinderung von noch größerer Bedeutung sein.
Manchmal übergeht man diesen Prozess vielleicht zu schnell, weil man sich gleich darauf
konzentriert, welche Schritte unternommen werden müssen.
Ich denke es ist deutlich geworden, dass ich als Beraterin aufpassen muss, nicht zusätzliche
Hindernisse für die Klientin aufzubauen und dadurch ihren weiteren Weg zu behindern.
12. Ausblick
Die motivierende Gesprächsführung ist eine wichtige Art und Weise, Menschen dabei zu
unterstützen, sich zu verändern. Aber ich denke, man muss aufpassen, sie zu der einzig
wahren Methode zu erheben. Sie stellt eine Möglichkeit unter anderen dar. Sie kann einem
auch keine Garantie für Erfolge geben. Zentral ist meiner Meinung nach , dass Veränderung
als ein natürlicher Prozess gesehen wird und die Beraterin diesen Prozess begleitet und
unterstützt und der Klientin hilft, ihr selbst gewähltes Ziel zu erreichen.
Ich hoffe, man hat Lust bekommen, sich noch intensiver mit dem Thema zu beschäftigen.
Das Buch von Miller und Rollnick ist wirklich zu empfehlen. Es ist für ein Fachbuch sehr
verständlich geschrieben und die Theorie wird an vielen Beispielen erklärt.
Wenn man sich noch eingehender mit der Methode beschäftigen und sie verstärkt anwenden
möchte,
ist
es
sicherlich
sinnvoll,
an
Schulungsangeboten
der
Uni
zur
motivierenden
Gesprächsführung teilzunehmen.
13. Verwendete Literatur:
Autonomes
Behindertenreferat
(AstA
Mainz),
ISL
(Interessenvertretung
Selbstbestimmt Leben in Deutschland) (Hrsg.): Peer Counseling-Reader und Peer
Counseling Training Programm, 1994, Mainz.
Miller, R. William, Rollnick, Stephen: Motivierende Gesprächsführung, 2004, LambertusVerlag, Freiburg im Breisgau.
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