GESTALT IN DER SOZIALARBEIT ____________________________________________________________ Verfahren und Techniken der Gestaltarbeit Die oben beschriebenen Grundlagen und Konzepte der Gestalttherapie prägen die Haltung der Gestalttherapeuten. Gestalttherapie ist somit weniger ein Verfahren, daß auf elaborierte Techniken zurückgreift, sondern sie versteht sich vielmehr als eine grundlegende Haltung des Therapeuten, der durchaus ganz auf Techniken verzichten kann. Diese Haltung ist jedoch nicht durch Theoriestudium erlernbar, sondern sie muß in Eigentherapie und Selbsterfahrung erworben werden. Wenn ich im Folgenden dennoch einige Techniken exemplarisch beschreibe, so sind diese nur vor dem Hintergrund dieser "therapeutischen Haltung" zu verstehen. Natürlich gibt es umfangreiche Literatur zu gestalttherapeutischen Techniken, jedoch muß vor dem rein technischen Gebrauch dieser Gestaltmethoden gewarnt werden, weil auch der Einsatz dieser Verfahrensweisen stets die "therapeutische Haltung" voraussetzt. Gestalttechniken sind im Gegensatz zur Klientenzentrierten Gesprächsführung eher direktiv. D.h. der Therapeut fordert den Klienten zu konkreten Erfahrungen im Therapieprozeß auf. Gestalttechniken sind im Gegensatz zur psychoanalytischen Therapie beschleunigend. D.h. der Therapeut führt den Klienten gezielt zu tieferen Bewußtseinsschichten, die affektiv stark besetzt sind. Gestalttechniken erscheinen auch suggestiv. D.h. der Therapeut fordert den Klienten auf, körperliche Phänomene bewußter und verstärkter wahrzunehmen, und er verknüpft diese Phänomene mit seelischem Erleben. Ziel der Gestaltarbeit ist zunächt immer eine Erhöhung der Awareness (Bewußtheit). Damit ist das zentrale Konzept der Gestalttherapie angesprochen. Hierzu gibt es allgemeine Gestaltübungen, die gezielt die Awareness schulen. Das "Bewußtseinskontinuum" ist eine solche Übung, in der der Therapeut den Klienten dazu anleitet, sich für eine gewisse Zeit seiner selbst bewußt zu sein, indem der Klient alles was er aktuell wahrnimmt aufmerksam baobachtet. Dabei kann zusätzlich mit "Figur und Hintergrund" gearbeitet werden. Z.B.: Th: Lassen Sie sich doch mal einen Moment Zeit, um zu beobachten was Sie gerade um sich herum wahrnehmen. Kl: Schweigt ca. 3 Min. Th: Versuchen Sie doch nun mal von der äußeren Wahrnehmung auf die innere Wahrnehmung zu wechseln; was geschieht gerade in Ihnen? Kl: Ich spüren mein Herz schlagen. Th: Bleiben Sie mal dabei. In dieser kurzen Sequenz wird sowohl die direktive Vorgehensweise des Therapeuten deutlich, wie auch das Abzielen auf die "Awareness" sowie die Zentrierung auf das "Hier und Jetzt". Suggestiv mutet die Arbeit dann an, wenn der Therapeut anschließend den Klienten dazu auffordert, den Herzschlag verstärkt wahrzunehmen und ihn dann nach inneren Bildern zu diesem Körperphänomen befragt: Th: Achten Sie doch mal darauf was noch in Ihnen vorgeht wenn Sie ihren Herzschlag jetzt spüren. Kl: Das macht mir doch irgendwie Angst. Th: Bleiben Sie mal bei der Angst und achten Sie drauf was sich tut. GESTALT IN DER SOZIALARBEIT ____________________________________________________________ Kl: Es ist irgendwie beklemmend, ich fühle mich so eingeklemmt als würde mir jemand einen Eisenring um die Brust schmieden. Th: Was geschieht da? Kl: Irgendjemand hält mich fest; ich erinnere mich an eine Situation aus meiner Schulzeit, wir waren auf dem Schulhof . . . Th: Erzählen Sie die Situation in der Gegenwart. Wir sind auf dem Schulhof . . . . Der Klient erzählt nun von einer für ihn beängstigenden Situation aus seiner Schulzeit, in der er von älteren Mitschülern unterdrückt und gedemütigt wurde. Dadurch, daß er bei seiner Erzählung im Hier und Jetzt bleibt, erlebt er die Situation in Anwesenheit des Therapeuten mit all den bedrohlichen Affekten nocheinmal. Dieses Wiedererleben hat oft einen traumähnlichen Charakter und ist mit sehr starken Gefühlen besetzt. Ziel der Gestaltarbeit ist es nun, diese wiedererlebte Situation zu einem Abschluß zu bringen, damit der erwachsene Mensch sich in seinem Alltag nichtmehr mit so vielen unerledigten Kindheitsgefühlen belasten muß. Man kann die Gestalttherapeutischen Techniken grob unterteilen in: 1. Beratungs- und Gesprächsführungstechniken 2. Kreative Techniken 3. Körper- und Bewegungstechniken 4. Rollenspieltechniken und Planspieltechniken Die therapeutischen Techniken finden Anwendung in den verschiedensten Feldern, von der psychotherapeutischen- über die sozialtherapeutische Arbeit bis hin zu Gestaltpädagogischen Anwendungsgebieten. In der nachfolgenden exemplarischen Darstellung werde ich die Beratungs- und Gesprächsführungstechniken etwas ausführlicher behandeln. Sehr umfassend sind diese Techniken von Dorothea Rahm in ihrem Buch "Gestaltberatung" dargestellt. Beratungs- und Gesprächsführungstechniken Wie oben bereits erwähnt, geht es in der Gestalttherapie zunächst um eine therapeutische Haltung. Zu dieser Haltung gehört, daß alle Gesprächsführungsverfahren in eine "therpeutische Beziehung" eingebettet sind. Diese Beziehung muß in der Anfangsphase eines jeden Beratungsprozesses zunächst aufgebaut werden. Gestaltarbeit unterscheidet sich hier nicht von anderen Beratungskonzepten, seien sie nun psychoanalytisch, klientenzentriert oder familientherapeutisch. Die Beziehung spielt darüberhinaus auch in gestaltpädagogischen Konzepten die zentrale Rolle. Die im nachfolgenden Kapitel vorgestellten Techniken sollen lediglich einen knappen Einblick in technische Möglichkeiten bieten. Letztendlich bleibt die technische Umsetzung der Gestaltarbeit auch der Kreativität der Beraterin oder Therapeutin überlassen. Techniken und Verfahrensweisen sind u.a. ausführlich bei D. Rahm und J. Stevens (a.a.O.) beschrieben. Für den eigentlichen gesprächsführungstechnischen Prozeß schlägt Dorothea Rahm folgende Unterscheidung vor: 1. Gestaltmethoden zur Einsichtsförderung 2. Gestaltmethoden zur Förderung eigener Verantwortlichkeit und Entscheidungsfähigkeit. GESTALT IN DER SOZIALARBEIT ____________________________________________________________ Gestalttechniken zur Einsichtsförderung In der Praxis werden die im Folgenden aufgeführten Techniken kaum in so abgegrezter Weise vorkommen, vielmehr werden die Gesprächsführungstechniken permanent kombiniert. Dennoch kann man folgende Techniken unterscheiden: 1. Aufmerksam machen: Der Klient wird auf Äußerungen aufmerksam gemacht, von denen der Berater meint, daß sie für ihn von Bedeutung sind. Diese Gedanken, Gefühle und Verhaltensweisen werden vom Klienten in der Regel nicht bewußt wahrgenommen. Sie sind häfig nonverbal oder es handelt sich um Widersprüchlichkeiten zwischen verbalem und nonverbalem Ausdruck, Versprecher, stereotype Redeweisen oder plausibilitäsarme Argumentationen. z.B. Non-verbal: - Ihre Stimme ist ganz leise geworden als Sie begannen über dieses Thema sprechen - Ich sehe gerade wie Sie bei diesem Gedanken die Fäuste ballen, können Sie das mal fühlen - Sie scheinen Tränen in die Augen zu bekommen, wenn Sie über Ihre Mutter sprechen z.B. Widersprüche zwischen verbal und Nonverbal - Sie lächeln während Sie von einem traurigem Erlebnis sprechen - Sie schütteln dauernd den Kopf während Sie von Ihren Erfolgen reden z.B. Sereotype Redeweisen - Sie reden seit fast zehn Minuten ohne Unterbrechung, was fühlen Sie eigentlich gerade - Ich höre Sie dauernd von man oder wir sprechen, versuchen Sie doch mal in der Ich-Form zu reden Bei der Technik des Aufmerksammachens kommt es für den Berater darauf an, daß er im Beratungsprozeß selbst dem Klienten seine ungeteilte Aufmerksamkeit zukommen läßt und besonders auch dessen nicht-verbale Äußerungen beachtet. Dabei ist der gesamte körperliche Ausdruck von Bedeutung, handelt es sich nun um einen zitternden Fuß, zusammengepresste Lippen oder geballte Fäuste. 2. Wiederholen Bei dieser Technik bittet der Berater den Klienten beiläufig gemachte Äußerungen nocheimal bewußt zu wiederholen. z.B.: - können Sie diese Handbewegung nocheinmal machen - sie haben eben so nebenbeigesagt, daß sie glauben, daß ihre Frau sie auch nicht mehr liebt, können sie das nocheinmal sagen 3. Übertreiben Beim übetreiben wird der Klient dazu aufgefordert eine beiläufig gemachte Äußerung übertrieben zu wiederholen. z.B.: - als sie eben darüber sprachen, daß ihr Kollege hinterhältig ist wurden sie etwas lauter, können sie das noch lauter sagen - machen Sie diese Handbewegung doch mal etwas ausladender GESTALT IN DER SOZIALARBEIT ____________________________________________________________ 4. Assoziationen Der Berater fordert den Klienten auf aktuelle Gefühle mit weiteren Erfahrungen zu verknüpfen. z.B. - Woher kennen sie dieses Gefühl - Was fällt ihnen dazu ein 5. Aushalten Der Berater fordert den Klienten auf, bei aktuellen Gefühlen zu verweilen, besonders dann, wenn der Klient schnell über etwas hinweggehen will. z.B. - können Sie sich dieses Gefühl, was in ihnen hochkommt mal gestatten - bleiben Sie doch einmal eine Weile in dieser Stimmung, . . was geschieht 6. Vergangenheit und Zukunft vergegenwärtigen Gestaltherapie arbeitet im Hier und Jetzt. Wenn der Klient beispielsweise von Zukunftssorgen spricht, kann er diese Situationen im gegenwärtigen Beratungsprozeß durcherleben. - beschreiben Sie doch einmal ganz genau die Situation in der Prüfung, die Sie nächste Woche erwartet, beschreiben Sie sie so, als fände Sie jetzt statt. Auch vergangene Situationen werden vergegenwärtigt indem der Berater den Klienten dazu auffordert die Situation mit all ihren Umständen in der Gegenwart zu schildern. z.B. - vielleicht versuchen Sie mal die Situation auf dem Schulhof von damals ganz genau in ihrer Phantasie zu rekonstruieren, wie sieht es dort gerade aus? 7. Phantasiearbeit Phantasiearbeit ist eine eigenständige Technik in der Gestalttherapie. Sie wird oft als geleitete Phantasie in völlig eigenständigen Selbstefahrungs- und Therapieprozessen angewendet. In der Beratungsarbeit kann aber Phantasiearbeit oft hilfreich aktuelle Widerstände deutlich machen. z.B. Kl: Irgendwie kann ich da nicht weiterreden, da blockiert mich was. Ber: Beschreiben Sie doch mal diese Blockade. Kl: Das ist wie ein großer Stein, den man mir vor die Füße gerollt hat. Ber: Wie sieht der denn aus? 8. Identifikation Die Gestalttherapie betrachtet alle Phantasieäußerungen als Manifestationen des Ichs. Diese Manifestationen sind oft vom Ich abgespalten und sollen im Therapieprozeß wieder integriert werden. z.B.: Ber: Sie haben gerade den großen Stein beschrieben, der Ihnen da vor die Füße gerollt wurde, vielleicht versuchen Sie mal die Rolle dieses Steines zu spielen. Kl: Hmm, ich kanns ja mal versuchen. Also, ich bin ein schwerer Stein, ein Mühlstein und ich liege schon viele Jahre hier. In dieser Situation kann der Berater mit dem Stein in einen Dialog treten. Der Stein kann beispielsweise eine Abwehr gegen unangenehme Gefühle oder Erfahrungen symbolisieren. In der Gestaltarbeit werden diese Widerstände ernstgenommen und indem der Klient sich damit auseinandersetzt kann er Auskunft über deren Sinn und Funktionsweise erhalten, was ihn dann evtl. dazu bewegen kann, den Widerstand in bestimmten Situationen beiseitezuräumen. Die Technik der Identifikation ermöglicht es des Weiteren auch sich mit anderen Personen, Objekten oder Symbolen zu identifizieren. GESTALT IN DER SOZIALARBEIT ____________________________________________________________ 9. Dialoge Die wohl bekannteste Gestalttechnik ist die Arbeit mit dem leeren Stuhl. Bei dieser Übung, führt der Klient einen Dialog mit einer Person, die er in Immagination auf einen leeren Stuhl setzt. In Verbindung mit der zuvor beschriebenen Technik der Identifikation kann der Klient sich nun mit der imaginierten Person identifizieren und dadurch mit sich in einen Dialog treten. Die Technik des Dialoges ist aber keinesfalls auf die Übungen mit dem leeren Stuhl beschränkt, sie kann ebensogut mit Handpuppen, mit eigenen Körperteilen, Objekten oder Symbolen durchgeführt werden. So kann auch mit dem großen Stein aus dem vorangegengenen Beispiel ein Dialog geführt werden. z.B. Ber: Vielleicht befragen Sie mal den Stein nach seiner Funktion Kl: Stein, warum stellst du dich mir in den Weg? Ber: Wechsel, was sagt der Stein? Kl: Stein: Ich beschütze dich vor schlechten Gedanken, Hans. Hans: Warum muß ich beschützt werden? Stein: Weil du nicht traurig werden sollst. 10. Sprachliche Äußerungen Stereotype oder relativierende sprachliche Äußerungen werden in der Gestaltarbeit vom Berater oft gespiegelt oder kommentiert. Dabei handelt es sich um einschränkende Redeweisen, z.B.: - eigentlich, ziemlich, relativ, wenigstens usw. um vagen Ausdruck von Sachverhalten, z.B.: - vielleicht, es könnte sein, ich glaube, teilweise usw. um innere Widersprüchlichkeiten, z.B.: - ja . . . aber, natürlich . . . allerdinds usw. um Verallgemeinerungen, z.B. - man, wir, jemand, immer, alle, nie usw. Das Kommentieren von solchen sprachlichen Äußerungen wird bereits im Erstkontakt mit Klienten eingestzt und hat dort häufig die Auswirkung, daß der Klient sein Anliegen nicht nur als Bericht erstattet, sonder schon eine Erhöhung der Bewußtheit erfährt, wodurch er schneller an für ihn emotional bedeutsamen Sequenzen herangeführt wird. 11. Das Bewußtseinskontinuum Das Bewußtseinskontinuum habe ich bereits zum Eingang dieses Kapitels beschrieben. Es kann ganz gezielt im Sinne einer Trainingsmethode zur Konzentrations- oder Aufmerksamkeitsübung eingesetzt werden. Die verschiedenen Möglichkeiten zum Einsatz dieser Technik sind von John O. Stevens in seinem Buch "Die Kunst der Wahrnehmung" ausführlich beschrieben worden. Grunsätzlich achtet der Klient beim Bewußtseinskontinuum ganz auf sich selbst, ausgehend von der Fragestellung, "was erlebe ich jetzt". Dabei wird auf Gefühle, Gedanken, Bewegungen und Signale aus dem Körperinneren geachtet. Sinneseindrücke wie, Sehen, Hören, Riechen, Schmecken, Fühlen werden auf diese Weise ganz bewußt registriert. GESTALT IN DER SOZIALARBEIT ____________________________________________________________ Gestalttechniken zur Förderung von eigener Verantwortlichkeit und Entscheidungsfähigkeit Die im Folgenden exemplarisch vorgestellten Techniken greifen auf die Techniken zur Förderung von Bewußtheit zurück, sind aber in ihrer Zielrichtung auf die Übernahme von Eigenverantwortung durch den Klienten ausgerichtet. Folgende Beraterinterventionen sind charakteristisch: - was wollen Sie; was möchten Sie jetzt - was tun Sie gerade; möchten Sie das wirklich; sind Sie sich sicher - was hindert Sie daran; was vermeiden Sie jetzt Diese Interventionen können in folgenden Techniken angewendet werden: 1. Phantasiearbeit Mit Hilfe von Phantasiearbeit können dem Klienten seine Blockierungen verdeutlicht werden, in der Arbeit während der Entscheidungsphase kann er erproben mit diesen Blockierungen umzugehen. Das Beispiel mit dem großen Stein, der den Widerstand symbolisiert könnte in dieser Phase dergestalt aussehen: Ber: Beschreiben Sie doch mal Ihre Blockade Kl: Das ist wie ein großer Stein, den man mir vor die Füße gerollt hat. Ber: Was wollen Sie denn damit machen? Kl: Irgendwie zur Seite rollen. Ber: Was hindert Sie daran? Hier wird deutlich, daß der Berater den Klient nicht nur zur Wahrnehmung seiner inneren Prozesse und Widerstände führt, sondern er gibt ihm auch die Verantwortung für seine Widerstände und macht damit deutlich, daß die Blockade eine abgespalten IchFunktion darstellt, die der Klient bei Übernahme von Eigenverantwortung in das Ich integrieren kann. 2. Dialoge Mit Dialogen wird in der Entscheidungsphase vornehmlich bei ambivalenten und sich widersteitenden Impulsen beim Klienten gearbeitet. Fritz Perls führt hier die Begrifflichkeit vom "Top-Dog" und "Under-Dog" ein. In der deutschen Umgangssprache können wir den Under-Dog als den "Inneren Schweinehund" bezeichnen, der die Aktivitäten lähmt und den Top-Dog als den "Moralischen", der eigenes Versagen beklagt und Leistung einfordert. Durch einen Dialog zwischen diesen beiden Persönlichkeitsanteilen, der mit der Technik des leeren Stuhls geführt werden kann, soll eine Einigung zwischen den Widerstreitenden Anteilen erreicht werden. Auch hier steht der Gedanke von den abgespaltenen Ich-Anteilen hinter der Übung. Im Dialog der beiden Teile soll ein Kompromiß gefunden werden, indem Top-Dog und Under-Dog als Persönlichkeitsanteile gleichermaßen akzeptiert werden; also letztendlich Manifestationen ein und desselben Ichs sind. 3. Sprachliche Äußerungen Viele Sprachäußerungen deuten darauf hin, daß Menschen nicht die volle Verantwortung für sich übernehmen. Bestes Beispiel dafür ist die häufig gebrauchte Floskel, "man müßte mal". Ziel der gestalttherapeutischen Intervention kann sein, daß der Klient Verantwortung für seine eigenen Gefühle, Gedanken und Handlungsweisen übernimmt. Dafür gibt es drei technische Vorgehensweisen: Ich-Sprache, Veränderung von Verben und Fragen. Ich-Sprache GESTALT IN DER SOZIALARBEIT ____________________________________________________________ Der Klient wird zum bewußten gebrauch der Ich-Form aufgefordert und zur Vermeidung von Worten wie es, man, wir, du. z.B. Kl: es ist langweilig Ber: versuchen Sie mal zu sagen, ich langweile mich Kl: ich langweile mich . . . naja, ich könnte ja was dagegen unternehmen. oder: Kl: man sollte sich in der Öffentlichkeit nicht küssen Ber: versuchen Sie mal Ihre Meinung auszudrüchen, vielleicht mit den Worten mich stört . . . Kl: Ja, da haben Sie recht, mich stört es wirklich ungemein wenn Paare sich in aller Öffentlichkeit küssen Veränderung von Verben Auch durch den Gebrauch von entfremdenden Verben kann es der Klient vermeiden Verantwortung für sich zu übernehmen. Beispiele für solche werben sind, "muß" und "sollte", die durch "will" oder "möchte" ausgetauscht werden können. Oder z.B. Kl: Ich hoffe daß ich jetzt nicht mehr am Geldautomaten spielen muß Ber: Versuchen Sie es mal mit: ich werde jetzt nicht mehr . . . Fragen Auch durch Fragen vermeiden viele Menschen die Verantwortung zu übernehmen. z.B. - ist es hier nicht zu kalt? oder - wie soll das bloß weitergehen? 4. Veränderungen auf Probe Hier geht es darum, daß viele Klienten Phantasien von den Auswirkungen ihres Verhaltens haben, die der Realitätsprüfung nur selten Standhalten. Bei dieser Technik handelt es sich um ein Verfahren mit oft starker suggestiver Wirkung. Daher kann das Verfahren nur in einem fortgeschrittenen Beratungsprozeß eingesetzt werden, bei dem die Beziehungsebene zwischen Berater und Klient eine hohe Tragfähigkeit aufweist. Die mildere Form ist die des Probehandelns in der Phantasie. Z.B.: - stellen Sie sich doch einmal vor, sie würden sich um Ihren Vater mal wirklich nicht scheren, beschreiben Sie mal ganz genau was dann alles eintritt. Eine stärke Intervention stellt die Verbindung von Probehandeln in der Phantasie mit einer "Hausaufgabe" dar, bei der der Klient den Auftrag erhält, daß ihn das Urteil des Vaters zu bestimmten Zeiten probeweise nicht interessiert. Also beispielsweise täglich zwischen 18.00 und 19.00 Uhr. Die hier beschriebenen Gestalttchniken kommen in der Regel erst in einem fortgeschrittenen Beratungsprozeß zur Anwendung. Sie sind ohne eine vorausgegangene Beziehungsarbeit zwischen Berater und Klient nicht denkbar und vor allen Dingen nicht ohne die Eingangs beschriebene Haltung. Diese Haltung beinhaltet ein hohes Maß an permanenter Selbstreflexion durch den Berater. GESTALT IN DER SOZIALARBEIT ____________________________________________________________ Kreative Techniken Gestalttherapie versteht sich als Kreativitätsförderung. Daher nehmen kreative Techniken einen breiten Raum ein. Die der bildenden Kunst verwandten Techniken finden breite Anwendung in der Ergotherapie, besonders in der psychiatrischen Beschäftigungstherapie. Hier geht darum, Menschen, deren verbaler Ausdruck in irgendeiner Weise behindet oder blockiert ist, durch bildnerisches Gestalten, die Möglichkeit zu geben, innere Zustände zum Ausdruck zu bringen. Die Ergotherapie kennt das tiefenpsychologische Verfahren der "Gestaltungstherapie". Dieses Verfahren ist nicht nur des Begriffes wegen verwandt, tatsächlich ist die Arbeit mit kretiven Medien der Gestalttherapie in ihrer technischen Anwendung der Gestaltungstherapie sehr ähnlich. Die Spezifik der Gestaltarbeit ist dann jedoch in der Art und Weise zu sehen, wie das kreative Produkt in der Besprechung ausgewertet wird. So kann es beispielsweise vorkommen, daß ein psychiatrischer Patient ein Bild malt, auf dem ein Haus, ein Baum und ein Hund zu sehen sind. In Anwendung der oben bereits beschriebenen Technik der Identifikation, kann der Therapeut nun den Patienten dazu veranlassen, sich mit den einzelnen Objekten seines Bildes zu identifizieren; also die Rolle des Hundes zu spielen und als Haus oder Baum antworten. Der Gedanke der hinter dieser Technik steckt, ist der, daß alle Kreationen Ausdruck des Selbst (Ich) des Klienten sind und die Identifikation für den Klienten zu einer eigenen Entschlüsselung seiner SelbstManifestationen wird. Ähnliches geschieht auch in der Arbeit mit Träumen in der Gestalttherapie. Hier, wie in allen anderen Arbeiten mit kreativen Medien, vermeidet es der Therapeut die Symbole zu deuten. Die Entschlüsselung der Traumsprache ebenso wie die der Bildersprache wird mittels der Identifikationsarbeit ausschließlich durch den Patienten geleistet. Neben dem Malen kennt die Gestaltarbeit eine ganze Reihe weiterer kreativer Medien. So wird beispielsweise mit Ton gearbeitet; es können aber auch völlig ungewöhnliche Materialien verwendet werden, die aus der Natur herbeigeschafft werden. Eine Übung zu Beginn eines längerfristigen Gruppenprozesses bei Teilnehmern die sich nicht kennen, sieht beispielsweise vor, daß die Teilnehmer und Teilnehmerinnen ein Gegenstand aus dem Freien suchen und sich in Identifikation mit diesem in der Gruppe vorstellen. Das sind dann oftmals Blumen, Blätter oder Steine. Das zuvor beschriebene Beispiel wird allerdings vorwiegend in der Arbeit mit "Gesunden" zu Selbsterfahrungs- oder Ausbildungszwecken zur Anwendung kommen, kann aber auch ein wunderbarer Einstieg sein für sozialpädagogische Arbeit mit Kindern. Als sehr verbreitete kreative Technik möchte ich noch das Lebenspanorama anführen. Im Lebenspanorama zeichnet der Klient seinen ganzen Lebensweg. Er beginnt bei der Geburt und trägt alle wichtigen biographischen Stationen ein. Das Lebenspanorama wird oft als Fluß gezeichnet, der mal breiter und mal schmaler wird, der Hindernisse und Wasserfälle überwinden muß und in den auch Nebenflüsse fließen. Das Lebenspanorama kann auch über den gegenwärtigen Stand der Entwicklung hinweggezeichnet werden, manchmal bis zum eigenen Tod. Der Klient kann sich in der anschließenden Besprechung mit allen Teilen seines Bildes identifizieren. In der Supervisionsarbeit zeichnen die Mitarbeiter einer Institution diese, dies kann als Organigramm geschehen aber auch mit anderen Symbolen, z.B. als Schiff. Hier diskutieren die Teammitglieder dann darüber welche Funktionen sie auf dem Schiff einnehmen. Kreative Techniken beschränken sich aber nicht nur auf Bildnerisches, es wird auch mit Poesie und Darstellung gearbeitet. In der Poesiearbeit werden kleine Verse und Gedichte verfasst. Die darstellerischen Techniken erwähne ich weiter unten bei den Rollenspieltechniken. GESTALT IN DER SOZIALARBEIT ____________________________________________________________ Körper- und Bewegungstechniken Viele atem- und bewegungstherapeutische Verfahren und die Bioenergetik sind mit Gestalttherapie verwandt. Der Grundgedanke bei der Körperarbeit ist, daß konflikthaftes seelisches Erleben in körperlichen Anspannungen und Verkrampfungen zum Ausdruck kommen kann. Diese Verfahren decken ein breites Spektrum von therapeutischen Interventionszielen ab. Sie gehen von einfachen Lockerungsübungen mit mehr sportlichem Charakter bis zu den tiefsten Schichten seelischen Erlebens, oftmals sogar in den vorsprachlichen Bereich. Dabei kommt es dann zu "autonomen Körperreaktionen" aus frühkindlichen Strukturen. Dies wird durch eine Reihe von Körperübungen erreicht, die alle darauf Abzielen die Atmung zu intensivieren, den momentanen Körperstand (auch grounding genannt) in einer Ausdrucksform darzustellen, aus der alle Körperaktivitäten möglich sind und die Muskelverspannungen maßvoll zu lösen. Bei diesen höchswirksamen Techniken werden emmotionale Tiefungen erreicht, die nur ein sehr langjährig geschulter Therapeut begleiten kann. Hierbei greift der Therapeut auch aktiv in das Geschehen ein, etwa durch Massage, Festhalten und berühren bestimmter Körperzonen. Es gibt allerdings auch eine ganze Reihe körper- und bewegungsorientierter Verfahren, die nicht auf die Tiefenschichten abzielen, sondern die auch im selbsterfahrungsund pädagogischen Bereich angewendet werden können. Manche Bewegungsübungen können Wunder wirken bei Ermüdungen in bildungsorientierten Gruppen, wie beispielsweise die Übung "Jünger werden". Hierbei wird eine Gruppe aufgefordert sich im Raum zu bewegen. Dann gibt der Trainer die Anweisung, die Gruppenmitglieder mögen sich doch mal so fühlen und bewegen wie Neunzigjährige. Nun wird die Gruppe im Minutenabstand dazu aufgefordert sich immer zehn Jahre jünger zu fühlen, dabei das alterentsprechende Tempo zu wählen und noch eine adäquate Begrüßungsart auszuführen. Die Gruppe bewegt sich nun immer schneller, die Teilnehmer haben viel Spaß dabei, besonders wenn sie schließlich als zehnjärige Fangen spielen dürfen. Nach einer solchen etwa 15-minütigen Aufwärmübung sind Lerngruppen zumeist wieder sehr arbeitsfähig. Mit solchen oder ähnlichen Bewegungsübungen befaßt sich heute die eigene Disziplin der Bewegungstherapeuten/innen. GESTALT IN DER SOZIALARBEIT ____________________________________________________________ Rollenspieltechniken und Planspiele Weiter oben habe ich bereits das Psychodrama von Moreno als eines der grundlegenden Konzepte der Gestalttherapie beschrieben. Das Psychodrama ist heute die am weitesten verbreitete psycho- und soziotherapeutische Methode, in der psychische und soziale Problem im Rollenspiel zur Darstellung und Bearbeitung gebracht werden. Dabei greift diese Methode auf ein ausgearbeitetes und differenziertes Repetoir an Techniken zurück, die sich teilweise in der Gestalttherapie wiederfinden. Während die Techniken im Psychodrama formal sehr streng umgesetzt werden und die psychodramatische Arbeit in oftmals sehr aufwendiger Weise von diesen Techniken bestimmt wird, geht die Gestaltarbeit weniger streng, spontaner und punktueller mit diesen Verfahren um. Einige spezielle Psychodramatechniken, die sich in der Gestaltarbeit wiederfinden sind, die Arbeit mit dem leeren Stuhl, das Doppeln, das Hilfs-Ich, der Rollentausch, um nur einige Beispiele aufzuführen. Die Arbeit mit dem leeren Stuhl habe ich bereits weiter oben als eine der gebräuchlichsten Gestalttechniken beschrieben. Sie wird im Psychodrama meistens in der Arbeit mit Einzelnen angewendet, wenn keine anderen Personen zur Verfügung stehen, die die erwünschte Rolle darstellen können. In der Gestaltarbeit wird diese Technik in allen Arbeitsformen je nach Bedarf gewählt, also neben der Einzelberatung/therapie auch in der Gruppe, mit Familien, in der Arbeit mit Paaren, selbst in Teams und Organisationen. Die Arbeit mit dem leeren Stuhl ist auch besonders hilfreich in der Fallsupervision. Hier kann die zu besprechende Klientin, in der Immagination der Sozialarbeiterin oder Therapeutin auf den leeren Stuhl gesetzt werden, wobei die Sozialarbeiterin nun die Rolle der Klientin einnehmen kann, indem sie sich auf den leeren Stuhl setzt. Dadurch daß die Sozialarbeiterin nun die Rolle der Klientin spielt wird ihr Einfühlungsvermögen in diese erhöht und sie erhält Auskünfte daüber welche Bewegründe sie bei der Klientin vermutet. Dadurch sollen sich eigenen unbewußten Anteile, die wir oft als "blinde Flecken" bezeichnen, erhellen. Psychoanalytisch ausgedrückt könnte man auch sagen, daß die Soziolarbeiterin oder der Sozialarbeiter sich hierdurch ihrer Gegenübertragungsanteile bewußt werden können. Das Doppeln wird oft in der dialogischen Arbeit eingesetzt. Z.B., zwei Partner tauschen sich zu Beginn einer längeren Gruppenaktivität über ihre Erwartungen und Befürchtungen bezüglich des bevorstehenden Gruppentrainings aus. Im Anschluß an diesen Dialog stellen sich die Partner gegenseitig mit ihren Erwartungen und Befürchtungen der Gesamtgruppe vor. Dabei doppeln sich die Partner in der Weise, indem Partner A hinter Partner B tritt und nun als Partner B, in Ich-Form dessen Erwartungen und Befürchtungen ausspricht. Im Anschluß daran geschieht das Gleiche in umgekehrter Reihenfolge. Es ist sinnvoll bei dieser Übung die Partner dazu aufzuforden, jedesmal wenn sie von einer fremden Rolle in ihre eigen Rolle zurückkehren, die Floskel sprechen zu lassen: "eben war ich B, jetzt bin ich wieder A." Das Hilfs-Ich oder Alter-Ego ist erst in einem fortgeschrittenen Arbeitprozeß möglich, daher ist hier auch nicht die zuletzt beschriebene Floskel wichtig, sie wäre hier eher störend. Bei dieser Technik begibt sich ein Gruppenmitglieder oder auch der Trainer hinter oder neben das Gruppenmitglied welches im aktuellen Prozeß zwar gefühlsmäßig stark involviert wirkt, daß aber im Moment seine Emotionen nicht auszudrücken vermag. In dieser Situation wirkt der Andere für das blockierte Mitglied als Hils-Ich, indem es die Gefühle, die es beim blockierten Teilnehmer zu spüren meint, ausspricht. Z.B. "ganz innen fühle ich mich jetzt tieftraurig". Dadurch soll es dem blockiertem Teilnehmer ermöglicht werden seine Gefühle zu befreitem Ausdruck zu bringen. GESTALT IN DER SOZIALARBEIT ____________________________________________________________ Der Rollentausch ist besonders in der Paar- und Familienarbeit eine sehr hilfreiche Technik. Hierbei tauschen die zerstrittenen Partner beispielsweise einfach ihre Plätze und werden vom Berater aufgefordert nun mal aus der Rolle des jeweils Anderen zu argumentieren. Dadurch können sich Standpunkt und Perspektive in Bezug auf den Partner dramatisch verändern.Die hier dargestellten Techniken sind nur ein kleiner Ausschritt aus dem psychodramaähnlichen Rollenspielrepertoir der Gestaltarbeit. Letztendlich kommt es auch bei den Rolenspieltechniken auf die Kreativität des Beraters oder der Therapeutin an, die innerhalb ihrer Gestalt-Haltung und der Selbstreflexion die dem jeweiligen Prozeß entsprechende Technik immer auch selbst kreieren kann. Einige Rollenspieltechniken sind auch aus der Familientherapie bekannt. Hier ist besonders die Skulpturarbeit zu nennen, in der ein Teilnehmer aus einer Gruppe mit Zuhilfenahme der anderen Personen aus der Gruppe ein zunächst statisches Gebilde aufstellt, in welchem die Gruppenmitglieder in typische Haltungen und Positionen der eigenen Familienmitglieder positioniert werden. Anschließend spricht der Teilnehmer zu jedem Gruppenmitglied welche Funktion es in seiner Familie vertritt, wie er es in seiner Familie erlebt und wie seine Stellung zu ihm ist. In der Skulpturarbeit kann jetzt hieraus entweder eine Spielszene entwickelt werden oder die Gruppenmitglieder berichten gleich darüber, was sie in der jeweiligen Haltung und Position erlebt und empfunden haben. Das Spezifische an den gestalttherapeutischen Rollenspieltechniken im Gegensatz zu den anderen Verfahren ist ihre Kombinierbarkeit mit den weiter oben beschriebenen Techniken. Diese Variationen im Beratungs- oder Therapieprozeß verlangen vom Sozialarbeiter, von der Sozialarbeiterin immer selbst ein hohes Maß von Bewußtheit (Awarenes). Dabei muß der Berater in der Lage sein, stets zwischen der Awarenes seiner selbst und der Awarenes beim Klienten zu osszilieren. Ersteres, um sich der eigenen (Gegenübertragungs)Anteile sowie der eigenen Kreativität bewußt zu sein und letzteres, um dem Klienten seine volle Empathie widmen zu können.So schwierig wie das hier beschrieben ist, ist das auch. Dadurch wird auch deutlich, daß diese Fähigkeit nicht durch Theoriestudium erworben werden kann, sie kann nur Ergebnis einer intensiven, persönlichkeitsorientierten Schulung sein. Das bedeutet, alle Interventionen und Techniken, die vom Berater ausgeführt werden, sollte dieser im Laufe seiner Ausbildung in der einen oder anderen Weise an sich selbst erlebt haben. Ein gründliches Theoriestudium, wie es in der Fachhochschulausbildung von Sozialarbeitern, gewährleistet sein sollte, bildet jedoch eine solide Grundlage für das Erlernen der Gestalthaltung und ihrer Techniken.