Technische Universität Chemnitz Philosophische Fakultät Professur: Internationale Politik Übung: Einführung in die Internationale Politik Dozent: Jan Selle M.A. Tutorin: Susanne Günther Referenten: Kristin Stebel, Anja Sekula Sommersemester 2006 15. Mai 2006 Regimetheorie Gliederung: 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. Definition Merkmale Historischer Hintergrund Regimeentstehung Funktionsleistung eines Regimes 5.1. Prinzipien 5.2. Normen 5.3. Regeln 5.4. Prozeduren Regimeleistung Kritik an der Theorie Beispiel 9. Thesen 1. Definition: Regime sind kooperative Institutionen, die durch informelle und formelle, rechtliche und nichtverrechtlichte Strukturen - Prinzipien, Normen, Regeln und Prozeduren - gekennzeichnet werden und Konflikte zwischen konkurrierenden Nationalstaaten bearbeiten. (Harald Müller, Seite 26) 2. Merkmale: - - Beschränkung auf eine begrenzte Zahl von Politikfeldern (politikfeldspezifisch) Dauerhaftigkeit Rollengeflecht konvergierende Erwartungen Sanktionen besonderer Zweck: Regime = kooperative Institution Koordination bzw. Zusammenarbeit zwischen konkurrierenden Akteuren Struktur in 4 Ebenen differenziert: Prinzipien Normen Regeln Prozeduren (Entscheidungsverfahren) intentionaler Charakter der Regimekonstruktion Regime internationale Organisationen; besondere Vorteile internationaler Organisationen = vorteilhaft für Regime: stabile Kommunikationskanäle Beschaffung und Fluss von Informationen Erleichterung der Prozeduren Überwachung der Regeleinhaltung Überwachung regimekonformen Verhaltens 1 3. Historischer Hintergrund: - - deutsche Forschung - Auseinandersetzung der Regimebildung im Sicherheitsbereich: Mitte der 80er des 20. Jahrhunderts Interesse auf amerikanischer Seite: mit dem Ende des Ost-West-Konflikts theoriegeschichtliche Wurzeln der Regimetheorie: in der funktionalistischen Theorie internationaler Organisationen und in der Inderdependenztheorie Ausgangspunkt der Regimeanalyse: idealtypische Grundmodelle internationalen politischen Verhaltens: 1. Grundmodell = aus der Spieltheorie: Wahl einer möglichst günstigen Strategie hängt vom eigenen Schachzug und von der Strategie des Gegners ab strukturalistisch-funktionale Theorie sieht Regimebedarf in Konfliktstrukturen 2. Grundmodell = aus der Mikroökonomie: Verhalten der Akteure führt zu einem nachteiligen Ergebnis, denn Güter, die für alle von Nutzen sind, werden nicht bereit gestellt und Güter, die bereitgestellt werden, werden privat genutzt in kurzer Zeit: Übernutzung Lösung: Kooperation = Regimebedarf Tübinger Forschungsgruppe hat Regimebedarf empirisch getestet Unterscheidung in 2 Gesichtspunkten: Situationsstruktur – 3 idealtypische Strukturen: das Spiel „Leader“ das „Gefangenendilemma“ das Spiel „Rambo“ Problemstruktur – 4 idealtypische Konfliktgegenstandstypen: Wertekonflikt ° Mittelkonflikte ° Konflikte über relativ bestimmte Güter ° Konflikte über absolut bestimmte Güter 4. Regimeentstehung: - - „Understanding the functions of international regimes will not help to explain their occurrence.“ (Keohane) laut Young hoher Dissenz in Bezug auf Entstehung von Regimen keine vergleichbaren Aussagen über Bildung von Kooperation an sich und der Entstehung von Regimen, welche eine spezifische Struktur aufweisen aber es gibt prozessuale Voraussetzungen: Präferenzstrukturen und Situationsdefinitionen der Akteure ausbilden oder ändern Akteure müssen in die Struktur Einsicht haben Aushandlungs-Prozess muss entstehen allerdings ist die Analyse der Situationsstruktur subjektiv (vom Akteur abhängig) unterschiedliche Wertordnungen in Gesellschaften Regime können durch komplexe Aushandlungsprozesse oder einen „innegeleiteten“ Regimebildungsprozess entstehen Entstehung von 2 Typen von Regimen: hegemoniales oder oligopolitisches Regime nichthegemoniales Regime 2 5. Funktionsleistung: 5.1. Prinzipien - sind die Basis von Regimen - enthalten Zustandsbeschreibungen, Zielvorstellungen und Zweck- Mittel- Relationen - sind Voraussetzung, um Verhaltensvorschriften abzuleiten 5.2. Normen - sind entscheidendes Bindeglied der Regimekonstruktion - legen Verhaltensvorschriften fest: Rechte und Pflichten - sind eine Mischung aus formellen und informellen Regelungen 5.3. Regeln - stark formalisierter Bereich von Regimen - im Normalfall: präzise Definition der geltenden Regeln, um sie damit rechtlich verbindlich zu machen - enthalten genaue Verhaltensvorschriften 5.4. Prozeduren (Entscheidungsverfahren) - Revisionsprozeduren Möglichkeit, ein Regime zu ändern, muss bestehen - Sanktionsprozeduren Regime müssen gegen Abweichungen stabil bleiben - Konfliktregelungsprozeduren Regime sollen nicht an allgegenwärtigen Konflikten zerbrechen - Routineprozeduren Aufnahme neuer Mitglieder, Ernennung von Beamten etc. - Konsultationsverfahren Sammlung, Verarbeitung und Veröffentlichungen von Informationen - Verifikationsverfahren bestimmtes Maß an Verifikationen unerlässlich 6. Regimeleistung: - Richtlinien für Verhalten im zwischenstaatlichen Verkehr Möglichkeit zur Kommunikation miteinander friedliche Beilegung von Konflikten Zusammenarbeit zwischen staatlichen und nichtstaatlichen Regimen Aushandlungsprozesse werden verkürzt Senkung der Transaktionskosten Abbau von bestehender Unsicherheit 7. Kritik an der Theorie: - „Schönwettertheorie“ (zu idealistisch) Meidung von gewinnorientierten Staaten, welche sonst benachteiligt wären keine gerechte Verteilung der Regimeleistung 8. Beispiele für Internationale Regime: WTO Allgemein: Die Welthandelsorganisation (WTO, World Trade Organization) wurde am 1. Januar 1995 gegründet Nachfolgeorganisation des GATT weltweit bedeutendste zwischenstaatliche Organisation für die Zusammenarbeit in der Handelspolitik nach 2. Weltkrieg Internationales Handelsabkommen gegründet US Kongress lehnte ab GATT als Provisorium 1947 von 23 Mitgliedern gegründet 3 Der WTO gehören 148 (Stand November 2005) Länder an Ziel: Liberalisierung des Welthandels Abbau von Handelshemmnissen Prinzipien: gleiche Handelsvorteile für alle überprüft nationale Handelspolitiken Meistbegünstigungsprinzip, d.h., Handelsvergünstigungen allen WTO-Mitgliedstaaten in gleichem Maße zugestanden werden müssen Normen: gewährleistet die Umsetzung der multilateralen Handelsabkommen der WTO dient als Forum für multilaterale Handelsgespräche bemüht sich um die Lösung von Handelskonflikten Regeln: Abbau von Zöllen und anderen Handelshemmnissen Meistbegünstigungsprinzip, d.h., Handelsvergünstigungen allen WTO-Mitgliedstaaten in gleichem Maße zugestanden werden müssen Prozeduren: arbeitet mit anderen internationalen Organisationen im Bereich des Welthandels zusammen allgemeine Verhandlungsgrundlagen 9. Thesen: 1. Es handelt sich um egoistisch handelnde Akteure, auch wenn die Nationalstaaten an Internationalen Regimen teilnehmen. 2. Je offener das Wirtschaftssystem, desto größer ist die Gefahr, dass die eigentlichen Ziele der Liberalisierung – Vollbeschäftigung der Bevölkerung, Einkommenssicherung, etc. – nicht umgesetzt werden können. Literatur Kohler-Koch, Beate: Zur Empirie und Theorie internationaler Regime. In: Lehmkuhl, Ursula: Theorien Internationaler Beziehungen. Einführung und Texte. München und Wien 1997. Müller, Harald: Der Regimeansatz: Darstellung und Analyse. In: ders.: Die Chance der Kooperation. Regime in internationalen Beziehungen. Darmstadt 1993. Schmidt, Manfred G.: Wörterbuch zur Politik, 2. Auflage, Stuttgart 2004, Seite 332/ 333 Schubert Klaus/ Klein Martina: Politiklexikon, Band 497, Bonn 2006, S.116, 327-328 Woyke, Richard (Hrsg): Handbuch Internationale Politik, 8.aktualisierte Ausgabe, Bonn 2000, S.484 http://www.bundesregierung.de/Lexikon/-,413.448087/dokument.htm 4