Dipl.-Ing. Dr.h.c. Josef Riegler 4.11.2003 „Zukunft teilen“ Herausforderungen und Chancen des demographischen Wandels für Wien Herzlichen Dank dem Ökosozialen Forum Wien, insbesonders deren Vorsitzenden Frau Universitätsprofessor Dipl.-Ing. Dr. Gerlind WEBER dafür, dass sie sich dieses sehr spannungsgeladenen und herausfordernden Themas annehmen. Das Modell der Ökosozialen Marktwirtschaft hat die gleichrangige und gleichwertige Berücksichtigung der drei „Eckpunkte“: leistungsfähige Wirtschaft – soziale Fairness – ökologische Verantwortung im Sinne der Nachhaltigkeit zum Ziel. Die ordnungspolitische Realisierung dieses strategischen Dreiecks bietet die Chance für einen neuen Qualitätssprung in der volkswirtschaftlichen und unternehmerischen Entwicklung durch die Mobilisierung der Synthese zwischen Wirtschaft, Sozialem und Ökologie. -2– Dieses „strategische Dreieck“ der Ökosozialen Marktwirtschaft stellt eine enorme Herausforderung in allen 3 Eckpunkten dar: 1) Leistungsfähige, wettbewerbsstarke Wirtschaft: Es geht um Beschäftigung, Einkommen und Kaufkraft als Basis für soziale Leistungen. Stichworte: + Abbau bürokratischer Hürden zur Mobilisierung wirtschaftlicher Leistungskraft, + Investitionen in Bildung, + Forschung und Entwicklung als Schwerpunkt. Diese Stichworte decken sich mit dem EU-Projekt des „Lissabon-Prozesses“ auf Schaffung des erfolgreichsten, wissensbasierten Wirtschaftsraumes der Welt. Der Raum Wien ist für Österreich d a s technologische Innovation. Zentrum für Wissenschaft und 2) Ökologie im Sinne von Nachhaltigkeit ist das Herzstück des Modells der Ökosozialen Marktwirtschaft. Im Unterschied zur klassischen Umweltpolitik geht es im Modell der Ökosozialen Marktwirtschaft darum, nachhaltiges Handeln in Produktion, Konsum- und Verkehrsverhalten wirtschaftlich attraktiv zu machen. Es geht daher darum, die Umweltkosten in die betrieblichen Kalkulationen einzuführen sowie durch den strategischen Umbau des Steuer- und Abgabensystems sowie der Förderungen, Gesetze und Verordnungen nachhaltiges Handeln zu begünstigen. Das entspricht dem Inhalt der Österreichischen Nachhaltigkeitsstrategie. 3) „Soziale Fairness“ Gerade dieser „strategische Eckpunkt“ im Modell der Ökosozialen Marktwirtschaft hat derzeit höchste Aktualität. Die Sprengkraft des demographischen Wandels ist enorm. Die meisten Regierungen Europas mit unterschiedlichster parteipolitischer Zusammensetzung stehen vor dem gleichen Dilemma: Sie sind mit dem Problem der Schere zwischen stark steigenden Kosten für das Gesundheits- und Sozialsystem sowie den Grenzen der Belastbarkeit konfrontiert. Es handelt sich dabei um eine überaus komplexe Problematik. Daher sind punktuelle, kurz gesteckte Lösungsansätze ungeeignet. Gefragt sind in sich stimmige, umfassende Strategien mit kurz-, mittel- und langfristigem Zeithorizont. Einige Stichworte dazu: a) Welche Leistungen hat die „öffentliche Hand“ (Bund, Land, Gemeinde, Sozialversicherung) in Zukunft zu erbringen? - Gesundheitsvorsorge, Krankenhäuser, ärztliche Versorgung - Pensionssysteme - Soziale Infrastruktur (Pflege) -3– b) Wir brauchen auf jeden Fall eine viel stärkere Mobilisierung des privaten Sektors: + Familie, Nachbarschaft, soziale Dienste + Anreizsysteme + maßgeschneiderte Organisationsformen und Strukturen von Kindergarten und Schule bis zu den Pflegesystemen für ältere Mitbürger. Die Schaffung einer Pflege- und Sterbekarenz, die Entwicklung von Betreuungsmodellen in den Schulen etc. weisen in die richtige Richtung. c) „Wertediskussion“: Ein gesellschaftspolitischer Diskurs über die Ziele und Inhalte in unserem Gemeinwesen und für den Einzelnen ist notwendig und wünschenswert. Die Wertediskussion muss letztlich jeder für sich selbst verantworten: Wie sehen meine Prioritäten aus? 4) Damit ist eine 4. Dimension angesprochen, die über das Dreieck der Ökosozialen Marktwirtschaft hinausweist: Es geht um Bereiche wie Religion, Kultur und „Zeitgeist“. Gerade in einer Großstadt wie Wien finden wir auch im Hinblick auf diese Thematik besonders zugespitzte Polarisierungen: - Problembereich Zuwanderung und damit verbundene Unterschiede in den Religionen (Islam !) - Vielfalt der Kulturen und kulturellen Ausprägungen - Probleme der Jugend und Jugendverwahrlosung – Drogen – fehlende Beziehungsnetze - Probleme der Vereinsamung insbesonders bei alleinstehenden und älteren Menschen - Probleme der Obdachlosigkeit - Aushöhlung und Verflachung des Lebenssinnes durch zugespitzten Materialismus und Konsumfetischismus Daher stellt sich ganz zentral die Frage der Sinngebung und Wertorientierung: + Welchen Beitrag können Kirchen und Religionsgemeinschaften leisten? + Welche Ansatzpunkte bieten Schulen, kulturelle und sportliche Aktivitäten? + Welchen neuen Ansätzen für Gemeinschaften und Netzwerke können in einer Großstadt entwickelt werden? Fragen über Fragen, die unterstreichen, wie aktuell und wichtig das Thema: „Zukunft teilen“ ist. Die vorgesehene Arbeitsmethode lässt erwarten, dass mit den geplanten Workshops der Einstieg in eine sehr konkrete Arbeit und der Beginn eines guten Arbeitsprozesses gelingen wird. Ich danke nochmals für den Mut, sich dieser Herausforderung zu stellen und erwarte mir, dass umsetzbare Ideen entwickelt werden, damit Wien – alles in allem eine sehr „menschliche“ Großstadt – noch ein Stück wärmer und menschlicher wird.