Werkzeuge zur Entwicklung von Multimedia Hans Freibichler (erscheint in der 3. Auflage von Issing & Klimsa ‚Informieren und Lernen mit Multimedia’ 2001) 1. Einleitung Die Bedeutung des Themas hat sich auf Grund des explosionsartigen Wachstums des weltweiten Wissens- und Informationsnetzes in den letzten Jahren stark erhöht. Jeder Entwickler von WEB-Seiten benutzt ein Entwicklungswerkzeug, dies kann auf der einen Seite ein einfacher Texteditor (z.B. Notepad bei Windows) sein kann, mit dem ‚von Hand‘ HTML-Code geschrieben wird, auf der anderen Seite ein komfortables WYSIWYG-Entwicklungstool (z.B. Dreamweaver), mit dem visuell Objekte (Texte, Grafiken, Animationen) platziert, Links gesetzt werden und die Navigation festgelegt wird. Die Zahl der potenziellen Entwickler (‚Autoren‘) ist damit sprunghaft angestiegen und reicht von professionellen Entwicklungsteams hin zu Privatpersonen, die sich selbst, ihr Hobby, ihr ‚Produkt‘ u.a. präsentieren wollen. Dabei weicht die Qualität des ‚Auftritts‘ stark voneinander ab. Während die allermeisten Multimedia-Anwendungen dem Bereich der Information und Präsentation zugerechnet werden können, haben sich multimediale Lernsysteme zumindest in der betrieblichen Weiterbildung weitgehend etabliert. Nach einer Untersuchung von MMB (Michel Medienforschung und Beratung) gibt es sogar bei kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) kaum mehr Akzeptanzprobleme, es besteht ein großer Bedarf an betriebsspezifischen Informations- bzw. Lernmodulen. Bei multimedialen Lernsystemen kommen zu Multimedia und den hypertextbasierten Navigationsfunktionen besondere Interaktions- und Kommunikationsfunktionen hinzu, die im allgemeinen von Hypermedia-Werkzeugen nicht abgedeckt werden, sondern von spezialisierten CBT- bzw. WBT-Autorensystemen bzw. E-LearningPlattformen. Die Bedeutung von Entwicklungswerkzeugen lässt sich vorläufig wie folgt einordnen: Die immer größer werdende Zahl von interaktiven Multimedia-Anwendungen erfordern Software-Tools, die eine hohe Qualität (Inhalt, Design, Interaktion) der damit erstellten Produkte mit hoher Produktivität verbinden. Während sich große Firmen den ‚Luxus‘ hochqualifizierter externer Entwicklungsfirmen oder interner Entwicklungsteams leisten können, wollen kleinere und mittlere Firmen, Schulen und Hochschulen ad hoc online- oder offlineInformations- und Lernprogramme mit geringem Einarbeitungs- und Zeitaufwand erstellen. An die Stelle großer Informations- und Lernpakete treten zunehmend kleinere Module, die in kurzer Zeit erstellt, an unterschiedliche Zielgruppen und Qualifikationsbedarfe angepasst und vor Ort aktualisiert werden können (just in time-Entwicklung unter Nutzung der bereits vorliegenden Medien sowie des vorhandenen Personal-Know Hows). Während noch vor einigen Jahren die einzelnen Informations- und Lernprogramme im Mittelpunkt des Interesses standen, wird zusehends erkannt, dass es nicht nur um das Medium an sich geht, sondern um die Entwicklung einer angemessenen Arbeits- und Lernumgebung, in der unterschiedliche Methoden, 1 Medien, Organisationsformen einen definierten Stellenwert besitzen. Autoren müssen hier gegebenenfalls umdenken. Das Attraktive am Web-Based Training ist nicht nur der zeit- und ortsunabhängige Zugriff auf aktuelle Informations- und Lernmedien in großer Zahl, sondern auch die neue Kommunikationsstruktur: So kann der Lernende bei Fragen und Problemen einen Teletutor ansprechen, in einer Lerngruppe diskutieren (Chat), sich an einem Diskussionsforum beteiligen, an einer Audio- oder Videokonferenz teilnehmen. An die Stelle geschlossener, statischer Informations- und Lernsysteme treten langsam, aber mit steigender Tendenz dynamische Systeme, in denen auf Grund von Benutzerdaten (Interessen, Qualifikationsbedarf, Vorkenntnisse, Lernstile, verfügbare Zeit u.a.m.) aus (Wissens-) Datenbanken individuelle Informationsund Lerneinheiten generiert werden. Es wird durch eine solche adaptive Individualisierung eine erhebliche Effizienzsteigerung erwartet. Die skizzierten Aspekte zeigen exemplarisch das Szenario auf, auf dessen Hintergrund der Stellenwert von Multimedia-Entwicklungstools gesehen werden sollte. Es stehen dabei nicht mehr allein die technischen Leistungen der einzelnen Tools im Vordergrund (Design, Medienintegration, Navigation, Interaktion, Kommunikation), die allgemein ein hohes Niveau erreicht haben, sondern der gesamte Entwicklungsprozess einschließlich der Nutzung durch die jeweiligen Zielgruppen in bestimmten Arbeits- und Lernumgebungen. Eine fundierte Auseinandersetzung mit Entwicklungswerkzeugen aus der Sicht des Instruktionsdesigns findet überraschenderweise bislang nicht statt. Es wird wohl manchmal angemerkt, dass die technischen Möglichkeiten der Entwicklungsumgebung die methodisch-didaktische Konzeption wesentlich bestimmen (z.B. Lernersteuerung, Interaktionstypen, Adaption durch Lernerdatenauswertung), weder die Auftraggeber noch die Entwickler selbst machen sich die impliziten Beschränkungen im allgemeinen bewußt. Besonders deutlich wird die zunehmend größere Bedeutung der Oberfläche und ‚Effekte‘: Man spricht mittlerweile sogar von einer 80:20 Regel, nach der die Oberfläche zu 80% den ersten Eindruck bestimme, die inhaltliche und methodische Qualität nur zu 20%. Ein Beispiel ist der Edutainment-Ansatz, der in den meisten Titeln für den allgemeinbildenden Schulbereich dominiert und die oft dürftige pädagogische ‚Substanz‘ zudeckt (Rüschoff & Wolff sprechen z.B. von einer ‚Steinzeitdidaktik‘ bei Sprachlernprogrammen, die dem Paradigma des Programmierten Unterrichts unterliegen würden). Die in der Literatur seit Jahren diskutierte Ablösung des Instruktions-Paradigmas durch einen (gemäßigten) Konstruktivismus hat sich in der Entwicklung interaktiver Info- und Lernsysteme nur ansatzweise niedergeschlagen. Am ehesten dürfte der Paradigmenwechsel in vereinzelten Ansätzen zu finden sein, in denen Lernende zu Autoren werden, wobei der Computer als ‚kognitives Werkzeug‘ dient, um Informationen zu finden, konstruktiv aufzuarbeiten und multimedial umzusetzen (Übersicht am Beispiel des Sprachenlernens Freibichler 2000). 2 2. Begriffliche Klärungen Es müssen zumindest drei Fragestellungen diskutiert werden, bevor auf Entwicklungswerkzeuge eingegangen werden kann: Beteiligte Personengruppen: Wer ist und was macht ein Autor – in einem Team? Gegenstandsbereich: Multimedia, Hypermedia, interaktive Lernsysteme Entwicklungsphasen Besonders deutlich wird die Notwendigkeit der Klärung vor allem bei der Verwendung des Begriffs ‚Autorensystems‘: Zählen Medienentwicklungsprogramme (Graphik-, Audio-, Video-, Animationseditoren) zu Autorensystemen? Ist ein Programm zur Entwicklung von Präsentationen wie etwa Powerpoint, in dem eine Abfolge von meist animierten Seiten festgelegt wird, ein Autorensystem? Ist ein HTML-Editor, mit dem typische Hypertext-Navigationsfunktionen umgesetzt werden, ein Autorensystem? Oder schränkt man Autorensysteme auf jene Tools ein, mit denen ‚echte‘ Interaktionen (z.B. Aufgaben) programmtechnisch realisiert werden? Programme zur Entwicklung von Medien (‚Editoren‘) werden im allgemeinen nicht als Autorensysteme bezeichnet. Auch Präsentationssysteme fallen meist heraus, da nur elementare Navigationsfunktionen zur Verfügung stehen (‚Blättern‘). In Hypertextbzw. Hypermedia-Systemen stehen spezielle Navigationsfunktionen zur Verfügung, nicht jedoch besondere Interaktionsfunktionen, wie sie für Lernsysteme typisch sind. In den folgenden Klärungen wird vor allem auf zwei umfassende Beiträge Bezug genommen, die aus dem Bereich der Softwaretechnik stammen: Forschergruppe SofTec NRW „Softwaretechnische Anforderungen an multimediale Lehr- und Lernsysteme“ 1999 (Universitäten Aachen, Bochum, Hagen, Paderborn, Siegen), Download möglich über xx (zitiert unter SofTec) Begleitbuch zur Vorlesung ‚Multimedia-Systeme‘ 1998 D. Boles Universität Oldenburg (auf seiner Kriterienliste baut auch der im Kapitel 5 benutzte Autorensystemvergleich auf) Die genannten zwei Beiträge enthalten eine Fülle aktueller und fundierter Aussagen aus der Sicht der Softwaretechnik, die sich lange Zeit überhaupt nicht mit dem Thema der Entwicklung multimedialer, interaktiver Lernsysteme befasst hatte. Hervorzuheben ist vor allem bei der SofTec-Studie, dass konkrete Umsetzungen von Anwendungen mit den marktgängigen Tools (Director, Authorware, Toolbook, Java) durchgeführt sowie Entwicklerfirmen befragt wurden. In dem Boles-Begleitbuch werden mehrere Autorensysteme nach verschiedenen Kriterien eingeordnet. Ferner wird auf eine Studie von Sander & Scheer (Wirtschaftswissenschaftliches Institut der Universität des Saarlandes) eingegangen, in der eine fundierte Darstellung der Entwicklungsphasen von Multimediaprojekten und die dabei beteiligten Personen geleistet wird. 3 2.1 Wer ist der Multimedia-Autor und was macht er? Als ‚Autor‘ bezeichnet man in der Alltagssprache den Verfasser von Text-Produkten, die von Zeitungs- oder Zeitschriftenartikeln bis zu Fachbüchern und Romanen reichen. Eine eindeutige Bedeutung hat auch der ‚Drehbuchautor‘, der ein Filmdrehbuch erstellt, das dann die Basis der Film- oder Videoproduktion ist. Der Autor von Multimedia-Produkten kommt in seiner Rolle dem Autor von Filmdrehbüchern recht nahe: Der Drehbuchautor legt die einzelnen Inhalte und deren Abfolge fest. Dabei formuliert er auch die Sprechertexte, die Szenen mit ihren Einstellungen. Er bestimmt ferner die Dramaturgie. Die Umsetzung der Vorgaben erfolgt dann unter Leitung eines Regisseurs, wobei neben den Hauptpersonen Kameramann und Darstellern eine große Zahl weiterer Personen einbezogen ist, deren Arbeit durch den Produzenten zu koordinieren ist. Auch Multimedia-Autoren sind primär an der Konzeption und Formulierung des Drehbuchs beteiligt, das dann von Designern und Programmierern sowie Audio- und Videoproduzenten umgesetzt wird. Bei der Entwicklung von multimedialen Informations- und Lernsystemen wirken also unterschiedliche Personengruppen mit: - - Die Softec-Studie unterscheidet zwischen Autoren, Designer, Programmierer und Benutzer, die mit ihren jeweiligen Interessen und Sichtweisen in den Entwicklungsprozess einbezogen werden müssen (S. 7). Boles unterscheidet zwischen dem Medienobjektkreierer (gemeint sind mit diesem befremdlichen Begriff Medienentwickler wie Grafiker, Audio- oder Videoproduzenten), Regisseur, Programmierer, Medientypintegrator und der Endbenutzer. Sander & Scheer stellen ein 7M-Modell zum Management von Multimedia-Projekten vor: Im Mittelpunkt steht das Medienmanagement, das die Aufbau- und Ablauforganisation zum Ziel hat. Das Medienauthoring ist für die Aufbereitung der Inhalte zuständig. Mediendidaktik und Medienpsychologie leisten die Konzeption und Gestaltung der Inhalte, das Mediendesign ist für das Layout verantwortlich, das Medienproducing führt die Produktion der einzelnen Medien durch, das Medienengineering zeichnet für die informatorischen Aspekte verantwortlich (S. 3 des HTML-Dokuments). Der Medienpsychologe ist in Multimedia-Projekten selten zu finden und hat wohl eher Eingang gefunden, um die symbolische Zahl 7 zu erreichen. Auch der Mediendidaktiker ist kaum anzutreffen, da dessen Aufgaben entweder vom Autor oder vom pädagogisch qualifizierten Mediendesigner übernommen werden. Bei einem solch interdisziplnär zusammengesetzten Team wird es in der Regel (zumindest bei größeren Projekten) auch einen Projektleiter geben, der die ‚Fäden zusammenhält‘ und für eine Realisierung gemäß den Festlegungen im Pflichtenheft in der angesetzten Zeit, im vorgegebenem Kostenrahmen und in dem gesetzten 4 Qualitätsstandard sorgen muss. Bei kleineren Projekten können bestimmte Aufgaben von einer Person übernommen werden. Wie wird also der Autor definiert, welche Bedeutung hat für ihn das Autorensystem? In der SofTec-Studie ist der Autor für die Definition der Anforderungen sowie für den Entwurf (Inhalte, Ziele, Methode, Design, Lernumgebung) verantwortlich. Bei Boles wird der Regisseur überraschend mit dem Autor gleichgesetzt, an anderer Stelle wird der Regisseur als Anwendungsprogrammierer bezeichnet (Kap. 11.2.5). Diese widersprüchlichen Autorenrollen-Zuweisungen klären sich etwas auf, wenn wie in der SofTec-Studie davon gesprochen wird, dass ein Autor seine inhaltlichen und didaktischen Vorstellungen möglichst realisierungsunabgängig umsetzen möchte (S. 7). Autorentools mit ‚visueller Programmierung‘ erlauben es dem Autor, die von ihm festgelegten Medien miteinander in einer zeitlichen Folge zu verbinden, die Benutzeroberfläche mit den von Grafikern erstellten Objekten festzulegen und bestimmte Interaktionstypen zu realisieren und zu testen. Erst bei komplexeren Interaktionen und Programmfunktionen muss ein Programmierer hinzugezogen werden, der die Autoren-/Scriptsprache des Autorenwerkzeugs beherrscht und den ‚Feinschliff‘ besorgt. Dem Autor wird zu Recht die zentrale Rolle zugewiesen (Regisseur), da er für die inhaltliche, didaktisch-methodische und gestalterische Seite verantwortlich zeichnet. Medienentwickler und Programmierer sind ‚Zulieferer‘, bestimmen allerdings das Erscheinungsbild des realisierten Produkts sehr viel stärker. Bei professionellen Multimedia-Produkten wird es selten eine Personalunion zwischen (Drehbuch-) Autor und ‚Implementierer‘ (Designer, Programmierer) geben, da doch sehr unterschiedliche hohe Kompetenzen gefordert werden. Kommunikationsprobleme sind möglich, da Designer und Programmierer meist nicht Fach- und pädagogische Experten sind, die Autoren auf der anderen Seite nur z.T. die Umsetzungstechniken beherrschen bzw. verstehen. Es liegt deshalb nahe, den Drehbuchautor mit einem geeigneten Autorentool an die Implementierung heran zuführen, zumindest an die Spezifizierung eines Prototyps. Ein noch so detailliertes schriftliches Drehbuch kann nur bedingt die Dynamik der Gestaltung sowie der Interaktionen beschreiben. Die automatische Generierung von ablauffähigen Programmen aus Drehbüchern heraus steckt allerdings noch in den Anfängen. 2.2 Multimedia - Hypermedia – interaktive Lernsysteme Die Integration von Multimedia (Grafik, Audio, Video) ist zunächst nur eine Frage der Präsentationstechnik (‚Anzeigesystem‘, Zugriff auf das Medium, zeitliche Beziehung u.a.). Im Begriff Hypermedia, der eine Erweiterung des Hypertext-Konzepts um nichttextuelle Medien beinhaltet, kommt die besondere assoziative Struktur zum Tragen (Knoten – Kanten, ausgehend von Ankern wie Hotwords oder Hotspots). Natürlich stellen Navigationsfunktionen auch Interaktionen dar, die in Lernsystemen möglichen Interaktionen bilden jedoch eine andere Qualität, indem sie auf die individuellen Eingaben (Ereignisse) eingehen, u.U. Benutzerdaten speichern und dynamisch verarbeiten. Navigations- und Interaktionsfunktionen lassen sich jedoch begrifflich nur schwer davon trennen (SoftTec). So kann auf Grund einer falschen Antwort eine Verzweigung auf eine andere Seite ausgelöst werden. 5 Im vorliegenden Beitrag wird in gleicher Weise auf Werkzeuge zur Entwicklung von Hypermedia-Anwendungen wie von interaktiven Lernsystemen eingegangen (die in der Praxis oft kombiniert werden), nicht jedoch auf die Entwicklung von Medien über Editoren. Auch bei Editoren verschwimmt teilweise die Grenze zu Autorensystemen, was sich vor allem an dem innovativen Tool Flash zeigen lässt: Hier steht zum einen die Entwicklung von Präsentationen und Animationen im Vordergrund, andererseits lassen sich damit auch Navigationen und sogar Interaktionen realisieren. Über eine integrierte Scriptsprache rückt Flash sogar in die Nähe von Director, das aus dem gleiche Hause stammt (Macromedia). Eine ähnliche Überschneidung ergibt sich u.a. bei Dreamweaver, das ein typisches Hypermedia-Autorensystem ist, aber mit der Coursebuilder-Erweiterung ansatzweise auf Lernanwendungen ausgelegt ist. 2.3 Entwicklungsphasen Ein Werkzeug zur Entwicklung von Hypermediasystemen bzw. interaktiven Lernsystemen muss in die einzelnen Entwicklungsphasen eingeordnet werden. Die in der Literatur benutzten Phasenbezeichnungen unterscheiden sich nur geringfügig voneinander. Hier die SofTec-Unterscheidung: Planung Definition der Anforderungen Entwurf (Design) Medienproduktion Implementierung Abnahme und Einführung Wartung und Pflege In der SofTec-Studie wird sehr deutlich herausgehoben, dass sich die derzeitigen Entwicklungswerkzeuge fast ausschließlich auf die Implementierung beziehen. „Es fehlen Werkzeuge, um in den einzelnen Phasen bzw. Arbeitsbereichen die Dokumente mit Hilfe von geeigneten Werkzeugen entwickeln zu können. Speziell im Bereich des Entwurfs von MMLLS (Multimediale Lehr- und Lernsysteme) herrscht hier ein Mangel.“ (S. 166) Es gebe keinen Übergang von den in der Entwurfsphase benutzten Beschreibungskonzepten (Drehbücher, Tabellen, Programmablaufpläne, Strukturbäume, Textmanuskripte, Scribble-Bücher, Data dictionary SofTec S. 126f) zur Implementierung. Die Generierung aus Entwurfsdokumenten werde sehr selten realisiert. Eine Ausnahme bilden z.B. Designers Edge oder IDEA. Weitergehende Ansätze gibt es lediglich bei Intelligenten Tutoriellen Systemen (siehe Beitrag von Tina Reinhardt 1998). In der SofTec-Studie wird bereits in der Einleitung der Stand der softwaretechnischen Entwicklung recht kritisch eingeschätzt: „Die softwaretechnische Entwicklung solcher multimedialer Lehr- und Lernsysteme (MMLS) steckt allerdings aus der Sicht der Softwaretechnik in den ‚Kinderschuhen‘ und verlangt die Lösung einer Reihe von harten Problemen. Die Situation bei der Entwicklung von MMLS heute ist in etwa vergleichbar mit der Entwicklung herkömmlicher Software für betriebswirtschaftlichadministrative oder technisch-wissenschaftliche Software vor 20-30 Jahren. In jener Zeit wurden Programme weitgehend ‚handwerklich‘ entwickelt .. .. Letztendlich ist 6 durch den Einsatz von Techniken wie Objektorientierung, graphische Architekturbeschreibung und Generierung von Code die Produktivität von Entwicklern massiv erhöht und die Qualität der entwickelten Programme massiv verbessert worden.“ (S. 7) Auch von Boles (11.3.1 und 11.3.2) wird die gegenwärtige Situation bei der Multimedia-Softwareentwicklung beklagt: Die Vorgehensmodelle der Softwareentwicklung, die aufgrund der Softwarekrise in den 60er Jahren entstanden sind, würden in der Multimedia-Praxis heutzutage quasi keine Verwendung finden, es werde eher ‚ad hoc‘ vorgegangen. „Dieser Trend läßt leider befürchten, dass wir bereits in wenigen Jahren analog zum Begriff der Softwarekrise von der MultimediaKrise bzw. WWW-Krise sprechen könnten.“ Zusammenfassend lässt sich zu den Begriffen Autor und Autorensysteme erkennen, dass es sich um mehrdeutige Begriffe handelt. Der einzige gemeinsame Nenner bei den verschiedenen Bedeutungen von ‚Autorensystemen‘ besteht wohl darin, dass es sich nicht um allgemeine Software-Entwicklungswerkzeuge wie etwa C++ oder Delphi handelt, sondern um Werkzeuge, die auf die Entwicklung von interaktiven Multimedia-Anwendungen ausgerichtet sind. 3. Hauptfunktionen von Multimedia-Entwicklungssystemen Die Hauptfunktionen lassen sich nach der Softec-Studie und Boles wie folgt gliedern: Layout und darstellbare Objekte Medienintegration Navigation Interaktion Komunikationsfunktionen 3.1 Layout und darstellbare Objekte Was dem Benutzer von multimedialen Anwendungen zuerst auffällt (der berühmte ‚erste Eindruck‘), ist das Layout, d.h. die Platzierung und Gestaltung des Hintergrundes, der Textfelder, Grafiken und anderer Objekte. Texte werden gestaltet/formatiert (Schriftart, Schriftgröße und -stil, Farbeinsatz, Gliederung u.a.). Die ästhetische und auch pädagogische Wirkung von Grafiken und Fotos hängt nicht nur vom Können des Designers ab, sondern auch von der Einbettung der Grafiken bzw. Fotos in das Umfeld (Informationen, Aufforderungscharakter, Aufgabenstellungen u.a.). Stimulierende Effekte, wie sie zu Beginn des WEB-Zeitalters auf den Besucher einstürmten, sind mittlerweile zugunsten einfacherer, informativer Layouts zurückgegangen. Aufwendige Animationen z.B. mit Flash werden gezielt eingesetzt, um die zu vermittelnde ‚Botschaft‘ zu unterstreichen. Das Layout umfasst auch die Benutzeroberfläche, über die die Navigation auf Informationen zugänglich ist. Bei Lernsystemen kommen weitere Funktionen hinzu wie etwa Hilfe, Lösung, Lexikon, Taschenrechner, Notizbuch, Auswahl von Touren. Die zuletzt genannten Benutzerfunktionen sind bei web-basierten Lernsystemen kaum zu finden. 7 Neben Textfeldern und Grafiken als Hauptelemente der Seitengestaltung sind eine Fülle unterschiedlicher Objekte möglich, die vor allem dem Auslösen von Ereignissen (Interaktionen) dienen: Buttons (Schaltflächen) Comboboxes (Kombinationsfelder) Listenfelder (einfach oder mehrfach auswählbar) Radio buttons (Optionsfelder) zur Realisierung von Einfachwahlen Check boxes (Schaltkästchen) zur Realisierung von Mehrfachwahlen Schieber Elementare Zeichenobjekte wie Linien, Kreise, Rechtecke, Polygone Diagramme Tabellen In das Layout fließt auch die Einbindung von Video, Audio, Animationen ein, die auf Grund des hohen Stellenwertes getrennt behandelt werden. 3.2 Medienintegration Moderne Informations- und Lernmodule kommen kaum noch ohne Audio und Video aus, auch Animationen werden von den Benutzern gefordert, die geprägt sind von den stimulierenden Impulsen und Sehgewohnheiten aus der Fernseh- und Spielewelt. Während digitales Audio schon länger Teil der Multimedia-Technologie ist, hat Video erst mit leistungsfähiger Digitalisierung Eingang gefunden, wobei mittlerweile die MPEG-Codierung Standard ist, bei DVD bereits das MPEG2-Format. Quicktime hat sich trotz aller Vorteile (z.B. Integration von Interaktionen) nicht durchsetzen können. Bei der Umsetzung von digitalem Audio und Video hat die immer leistungsfähigere Streaming-Technologie (Marktführer Real, Microsoft auf Aufholjagd mit Windows Media) eine große Bedeutung gewonnen. Selbst wenn mit dem RealPlayer 8 Videos in der Größe 320 x 240 bei VHS-Qualität möglich sind, so kann bei der noch bescheidenen Übertragsungskapazität noch kein gleichwertiges Angebot wie bei offline-Anwendungen auf CD ROM erreicht werden. Animationen spielen wie erwähnt eine große, oft überschätzte Rolle. Sie dienen im WEB primär der Stimulation, um die Aufmerksamkeit der Besucher zu wecken und ihn auf der Seite zu ‚halten‘. Die pädagogischen Funktionen (z.B. Veranschaulichung von komplexen, schnell oder langsam ablaufenden, nicht visuell erfassbaren Prozessen) treten dabei leider oft in den Hintergrund. Bei Animationen sind zumindest die 3 Formen der Objektanimation, Pfadanimation und zeitgesteuerten Animation zu unterscheiden, wobei Zeitanimationen entsprechend ausgelegte Autorensysteme verlangen (Director, Flash). Objekt- und Pfadanimationen sind jedoch auch mit einfacheren Techniken realisierbar, wobei oft eine Unterlegung mit Audio erfolgt. Das technische Niveau ist bei 3D-Darstellungen auf Grund der extremen Steigerung der Grafikleistung enorm, wobei derzeit spezialisierte Spielecomputer noch an der Spitze liegen. Animationen lassen sich bei den meisten Animations-Entwicklungstools in ein Videoformat exportieren, womit sie auch in Autorensystemen eingebunden werden 8 können, in denen entsprechende Entwicklungsfunktionen nicht zur Verfügung stehen. Es fallen damit allerdings die Interaktionen weg, die z.B. eine Bewegung in einem virtuellem Raum gestatten. 3.3 Navigation Die Navigation wird entweder über Standard-Funktionen wie ‚zur nächsten Seite‘ oder ‚vorhergehenden Seite‘ oder über Auswahllisten realisiert. Bei der HypertextTechnologie lösen Klicks auf ein Wort oder einen Textbereich (Hotword) eine Aktion aus, aber auch Klicks auf eine Grafik oder einen Grafikausschnitt (Hotspots). Eine Information kann aber auch bereits durch das Bewegen der Maus über einen Bildschirmbereich gezeigt werden. Die Verzweigung (Link) auf eine Seite ist nur eine von vielen, sicherlich die häufigste Aktion. Denkbar ist aber auch die Anzeige eines getrennten Fensters, das Sichtbarmachen von zuvor versteckten Objekten, das Abspielen von Video, Audio Die angezeigten Informationen einschließlich Seitenwechsel sind in aller Regel fest vorgegeben. Relativ selten sind vor allem in WEB-Anwendungen ‚geführte Touren‘ zu sehen, die je nach Interessen und Benutzerdaten unterschiedliche Abfolgen erlauben. Aber auch solche vorgegebene Touren sind noch statisch, da sie nicht zur Laufzeit dynamisch generiert werden. Das Leitprojekt L³ zeigt exemplarisch, wie individualisierte Informations- und Lernmodule in Abhängigkeit von Lernerdaten generiert werden können. Die Technik nimmt die datenbank-basierte Generierung von Internetseiten auf, über die ein individualisiertes Informationsangebot präsentiert werden kann. 3.4 Interaktion Navigationen sind auch Interaktionen, da der Benutzer agiert und das System darauf reagiert. Unter Interaktionen fasst man dagegen die Beantwortung von Aufgaben durch den Benutzer zusammen, wobei die gegebene Antwort analysiert und das vorprogrammierte Feedback angezeigt wird. Autorensysteme unterschieden sich mittlerweile weniger in der Seitengestaltung und den elementaren Navigationsfunktionen, sondern vor allem in der Zahl und Komplexität der Aufgabentypen sowie der ‚Qualität‘ der Antwortanalyse und der Gestaltung des Feedbacks. Die Aufgabentypen werden meist in 3 Hauptgruppen untergliedert: Geschlossene Aufgabentypen wie Auswahlaufgabe, Zuordnung, Reihenfolge Offene Aufgabentypen wie Eingabe eines Wortes, einer Zahl, eines Satzes Sog. direkt manipulative Aufgabentypen, wobei vor allem Drag and Drop-Aktionen geläufig sind. Manche Autorensysteme bieten keinerlei Aufgabentypen an wie etwa Powerpoint, andere nur 5 bis 10 (Authorware, Mediator). Andere Autorensysteme wie etwa Idea, Toolbook Assistant und MMTools stellen dagegen eine große Palette von Aufgabentypen bereit (50 und mehr). 9 Die bloße Zahl der Aufgabentypen ist aber nicht entscheidend für das Niveau der Interaktivität. Besonders bei Lernsystemen ist die differenzierte Analyse von Bedeutung, wobei auch die Zahl der Antwortversuche sowie frühere Lernerdaten mit einbezogen werden können (adaptives Feedback). Eine Analyse aufwendig gestalteter Lernprogramme durch den Verfasser dieses Beitrages zeigte, dass sich das Feedback oft auf ‚richtig‘, ‚falsch‘, ‚noch ein Versuch‘ beschränkt und nach einer festen Zahl von Versuchen die richtige Lösung mitgeteilt wird. Es gibt zumindest zwei Gründe für dieses niedrige Niveau der Antwortanalyse: Der große Aufwand auf der Autorenseite, erwartete Benutzerantworten vorherzusehen und entsprechend darauf zu reagieren. Der große Aufwand bei der Implementierung, da meist nur über eine Scriptsprache differenziert auf die Antwort eingegangen werden kann, in der u.a. auch Variablen verwendet werden. Bei der Durchsicht von WBT-Seiten (WEB Based Training als Gegenstück zum offline Computer Based Training) fällt schnell auf, dass sowohl die Zahl als auch die Art der Aufgabentypen eher beschränkt ist, gar kein Feedback oder nur ein eingeschränktes Feedback geboten wird. Die meisten WBT-Seiten sind bei genauerem Hinsehen reine Klick-Seiten (nach dem Hypertext-Konzept), die zum Lernen dienen sollen, aber keine angemessene Lernunterstützung bieten (im Sinne eigenaktiven, konstruktiven Lernens). Auch hier ist wieder eine Rückkoppelung zwischen der technischen Basis und der methodischen Konzeption zu erkennen. Sie liegt ganz eindeutig in den beschränkten Funktionen der HTML-Sprache begründet, in der über sog. Formulare lediglich die Eingabe eines Begriffes oder einer Zahl, die Auswahl aus Listen (Radiobuttons, Checkboxes, Combobox, Einfach- und Mehrfachliste) möglich ist. Die Analyse muss entweder über ein serverseitiges Script erfolgen oder aber über eine in HTML integrierte Scriptsprache, wobei sich Javascript etabliert hat und wesentlich zur dynamischen HTML-Programmierung beigetragen hat. Die in der SOFTEC-Studie beschriebene Multimedia-Sprache SMIL hat sich bisher nicht etablieren können. Abb.1 Auswahlaufgabe mit HTML und Javascript (generiert mit MMTools) 10 Während viele HTML-Editoren und WEB-Autorensysteme die Generierung von Javascript-Anweisungen unterstützen und E-Learning Plattformen entsprechende Aufgabengeneratoren anbieten, bieten die Standard-WEB-Tools bis auf wenige Ausnahmen keine Unterstützung von Interaktionen, wie sie in Lernprogrammen gebraucht werden (Ausnahme z.B. Coursebuilder- Zusatz bei Dreamweaver). Hier setzen Konverter von einzelnen Autorensystemen an, die entweder einen Java-Code generieren (z.B. IDEA) oder aber mit Javascript arbeiten (Toolbook hat mit Applets angefangen und ist auf Grund der dabei aufgetretenen Probleme zu Javascript übergegangen; der dabei generierte Code ist allerdings nicht zugänglich und veränderbar). Der Konverter von MMTools generiert einen transparenten, zugänglichen HTML- und Javascript Code für eine große Zahl von Aufgabentypen mit differenziertem Feedback. 3.5 Kommunikationsfunktionen Während offline Multimedia-Anwendungen vom Layout, der Medieneinbindung, Navigation und Interaktion ein sehr hohes technisches und methodisches Niveau erreicht haben, leiden sie darunter, dass in der Regel ein einzelner Benutzer alleine der nicht-dialogfähigen Maschine Computer gegenüber sitzt. Er kann keine individuellen Fragen an ein Gegenüber stellen. Die faszinierenden Möglichkeiten des Internet mit dem Zugriff auf Tutor, Teilnahme an Chat, Diskussion in einem Forum, Mitwirken in der Audio- oder Videokonferenz kombinieren die traditionellen Sozial- und Arbeitsformen des Lernens mit der Multimediatechnologie. Kostengünstige Varianten beschränken sich auf das Versenden und die Beantwortung von Emails. Es etablieren sich neue Rollen wie der Teletutor (Telecoach). Diese übernehmen z.T. auch die Aufgabe, den Inhalt von Informations- und Lernmodulen zu erstellen oder zumindest zu aktualisieren. Hierzu werden überwiegend professionelle WEBAutorensysteme benutzt, die aber wie erwähnt meist keine oder nur elementare lernspezifische Interaktionsfunktionen bereitstellen. Die Plattform-Anbieter stellen teilweise eigene Entwicklungswerkzeuge zur Verfügung (Beispiel CourseFactory WEB bei ETS). Bis auf einige wenige elementare Testaufgabentypen leisten solche Programme meist nur das Zusammenstellen von vorliegenden Dokumenten und Medien. 4. Haupttypen von Autorensystemen Es lassen sich folgende grundlegende Konzepte unterscheiden, die in der Literatur oft auch als Metaphern beschrieben werden: Seitenorientierte Entwicklung: Es wird dabei eine einzelne Bildschirmseite gestaltet (Text, Grafik, Videofenster) und es werden Objekte wie z.B. Schaltflächen oder Textfeldern plaziert, über die Interaktionen möglich sind. Ein typisches Entwicklungssystem ist Toolbook, das bereits in der Namensgebung die Analogie zu Buchseiten nahelegt. Im Original Hypercard wird eine andere Metapher verwendet, die der Karteikarte. Der Entwickler erstellt einzelne Seiten, der ‘Leser’ blättert von einer Seite zur nächsten oder springt programmgesteuert 11 zu bestimmten Seiten (‘links’). Ein weiteres professionelles Autorensystem nach der Seitenmetapher ist IDEA. Abb.2 Antwortanalyse über den Übungsassistenten von IDEA Iconorientierte Entwicklung: Das Lernsystem wird aus einzelnen Elementen/Komponenten aufgebaut, die als Icons zur Verfügung stehen. Typische Vertreter sind Authorware Professional oder Course Builder (MAC). Bei Authorware gibt es mehrere Icons, über die Texte und Grafiken plaziert, Animationen definiert und Interaktionen entwickelt werden und die Einbindung von Video und Audio realisiert wird. 12 Abb.3 Beispiel aus Authorware Zeitachsenorientierte Entwicklung: Vor allem bei multimedialen Präsentationen und Lernsystemen erfolgt eine zeitbezogene Zuordnung von Texten, Grafiken, Ton-, Animations- und Videosequenzen. Ein typischer Vertreter ist Director, mittlerweile der Marktführer unter den Autorensystemen. Vom gleichen Unternehmen stammt auch Flash, das als Animations-Zusatz für WEB gedacht war, sich durch die Einbindung von Interaktionen und der mächtigen ActionScriptSprache mehr und mehr zu einem vollwertigen Autorensystem entwickelt. Videound Audioeditoren sind mittlerweile fast durchweg zeitachsenorientiert angelegt (siehe etwa Adobe Premiere oder Ulead Studio), es gibt nur wenige drehbuchorientierte Videoeditoren wie etwa Videowave. Einige wenige Produkte kombinieren beide Metaphern. 13 Abb. 4 Director-Beispiel Bei dem icon-orientierten Authorware-Professional kann ebenfalls programmiert werden, wobei der Code nicht einzelnen Objekten zugeordnet wird, sondern in einem Sondericon, dem Kalkulationsicon eingegeben wird. Die anderen Icons haben eine eingebaute Funktionalität, die über Dialogfenster näher definiert wird. Bis auf die icon-orientierten Systeme wird in den windows-basierten Entwicklungssystemen den Objekten ein Programmcode zugeordnet werden, mit dem bestimmt wird, welche Aktion nach dem Auslösen eines Ereignisses (Klick auf ein Objekt, Eingabe eines Zeichens oder Wortes, Verschieben eines Objektes u.a.) erfolgen soll. Die ‚Programmierung‘ der Aktionen kann dabei textuell oder visuell erfolgen: Bei textueller Programmierung wird der Programmcode wie in einer Programmiersprache von Hand eingegeben, wobei natürlich vorgegebene oder selbst erstellte Programmfunktionen benutzt werden können. Häufig werden Aktionen dabei auch durch das Setzen von Eigenschaften (properties) von 14 Objekten (Komponenten) ausgelöst (z.B. Schreiben eines Textes in ein Textfeld, Verzweigung auf eine ‚Seite‘). Abb. 5 Toolbook-Programmierung einer Auswahlaufgabe (toolbook.jpg) Bei visueller Programmierung erfolgt die Festlegung von Bedingungen (Ereignissen) und Aktionen meist durch Drag und Drop von Symbolen oder Bezeichnungen in eine Ereignis- oder Aktionsliste. 15 Abb. 6 Erstellen einer Auswahlaufgabe mit MMTools In Mischformen erfolgt die Programmierung visuell, wobei zusätzliche Bedingungen von Hand eingegeben werden (meist nur Parameter). Dies hat den Vorteil der korrekten Syntax. Immer mehr Autorensysteme unterstützen den Autor/Programmierer durch Assistenten: Im einfachsten Falle werden Vorlagen (Schablonen, templates) zur Verfügung gestellt, die lediglich mit Inhalten (Texten, Grafiken, Aufgaben und Feedbacks, Medien usw.) ‚gefüllt‘ werden müssen. Einarbeitungsaufwand und Entwicklungszeit durch nicht-professionelle Entwickler werden damit stark reduziert, der Drehbuchautor kann tatsächlich selbst ‚implementieren‘. Erkauft wird dieser Komfort durch eine gewisse Uniformität der Gestaltung und Interaktion. Ein typischer Vertreter ist etwa das Autorensystem TELOS, das auf Sprachlernanwendungen ausgerichtet ist. Auf einer zweiten Stufe können Assistenten benutzt werden, in denen fertige Komponenten verwendet werden. Komponenten sind sowohl Gestaltungselemente als auch Interaktionsobjekte. So bieten die Toolbook Assistant-Versionen in einem Katalog eine große Zahl von Aufgabentypen mit eingebauter Funktionalität, deren Parameter in oft mehrstufigen Dialogfenstern festgelegt werden. Authorware kennt sog. Knowledge Objects, die bereits mitgeliefert werden, aber auch selbst von Experten erstellt werden können. IDEA bietet Übungs-, Präsentations-, Protokollassistenten und Navigationsassistenten an. Auf der dritten Stufe können von erfahrenen Programmierern auf der Basis der eigenen Skriptsprache weitere Assistenten und Komponenten erstellt werden, die dann Benutzern auf den unteren Ebenen zur Verfügung stehen. 16 Auf der höchsten Ebene erweitert der Systemprogrammierer das Autorensystem, wobei er ein SDK (software devepoment kit) benutzt und damit Zugriff auf die System-API besitzt. Ferner sollte es möglich sein, Fremdkomponenten zu integrieren – beispielsweise eine Tabellenkalkulation, die dann wie eine eigene Systemkomponente behandelt wird. Bei Toolbook kamen ab der Version 4 sog. Erweiterungen hinzu, die als vbx aus der Visual Basic- bzw. Visual C-Welt stammen (danach als ocx und activex bezeichnet). Auch Delphi kennt eine große Zahl von Komponenten, die z.B. in das mit Delphi entwickelte Autorensystem IDEA Eingang gefunden haben. Für Director und Authorware wird eine Unzahl von Komponenten angeboten (Xtras), die die ohnehin schon große Zahl von Features um weitere Funktionen erweitern. Die Entwicklerfirma, das Entwicklungsteam oder der Autor als ‚Einzelkämpfer‘, die sich für ein Autoren-/Entwicklungswerkzeug entscheiden müssen, sollten sich fragen, welche Vor- und Nachteile sich aus den genannten Metaphern und deren Umsetzung in die einzelnen Tools ergeben. Sie werden sich ferner fragen, welche der Haupttypen Präsentation, Informationssystem und Lernsystem damit realisierbar sind und wie es um die Ökonomie und Effektivität der Entwicklung steht. Nun den Vorteilen und Nachteilen der 3 Metaphern (siehe auch Ergebnisse der Softec-Studie; in der Boles-Übersicht werden leider nur veraltete Versionen der 3 Haupttools Director, Authorware, Toolbook beschrieben und es erfolgte keine Umsetzung an Beispielprojekten): Die icon-orientierte Entwicklung erlaubt dem Autor einen visuellen, intuitiven Überblick über die Struktur des Info- oder Lernsystems. Günstig wirkt sich dies aus, indem das gleiche System für alle Entwicklungsphasen von der Grobkonzeption über die Feinkonzeption, Programmierung und die Programmevaluation benutzt werden kann. Der Autor bzw. das Autorenteam kann sich auf inhaltliche, konzeptionelle und gestalterische Aufgaben konzentrieren und muss nur in besonderen Fällen auf die Programmierebene ausweichen. Ein solches Autorensystem ist vor allem für die Erstellung von Tutorials und interaktiven Präsentationen geeignet, wobei die moderne Multimedia-Technologie problemlos eingebunden werden kann. Bei komplexeren Strukturen und sehr großen Projekten stößt diese Metapher jedoch deutlich an ihre Grenzen. Hinzukommt kommt eine in den Funktionen stark eingeschränkte Programmiersprache, die z.B. die Realisierung von Simulationen kaum möglich macht. Die seitenorientierte Entwicklung kommt dem Schreiben eines Buches recht nahe, wobei durch die assoziative Verknüpfung nach der Hypertext-Philosophie ein sehr komplexes Netz entstehen kann. Die Verknüpfung von Seiten und die gezielte Informationsausgabe durch Klick auf Schaltflächen, sensitive Begriffe und Grafikflächen sind vergleichsweise einfach und intuitiv zu realisieren. Ein solches Entwicklungssystem ist vor allem für Hypermedia-Anwendungen geeignet, kann jedoch auch für Lernsysteme benutzt werden. Probleme ergeben sich jedoch bei der dynamischen Gestaltung von Seiten und Erstellung von Animationen. So unterstützt z.B. Toolbook das Generieren von Animationen durch ein Softwarerecording (Generierung von Anweisungen analog zu den Autorenaktionen), erlaubt jedoch nicht die Umsetzung von zeitbasierten Animationen. Hier bietet sich die Einbindung von Animationen ein, die mit anderen oft sehr leistungsfähigen Tools entwickelt werden (z.B. GIF-Animationen oder 17 Flash). IDEA ist eines der ersten Autorensysteme, das den Zugriff auf Flash in offline-Anwendungen unterstützt. Autorensysteme wie Mediator, die eine dynamische Seitengestaltung anbieten, kommen an das Niveau wie Flash nicht mehr heran. Bei umfangreichen Informationssystemen, die mit seitenorientierten Entwicklungssystemen erstellt werden, verliert man bald den Überblick (siehe aber Baumdiagramm bei IDEA). Die zeitachsenorientierte Entwicklung ist vor allem da angebracht, wo zeitbezogene Anwendungen realisiert werden sollen, in denen komplexe und attraktive Animationen und Präsentationen im Vordergrund stehen. Realisierbar sind über die Scriptsprache Lingo auch Hypermedia- und CBT-Anwendungen, allerdings mit einem erheblichen Aufwand, da diese Anwendungen von Grund auf seitenorientiert sind. Die Vielzahl der Features, die ein zeitachsenorientiertes Entwicklungssystem wie Director bietet, erfordert eine erhebliche Einarbeitungszeit und professionelles Know How auf dem Gebiet der multimedialen Gestaltung und Dramaturgie. Durch die Programmiersprache Lingo sind grundsätzlich alle wesentlichen Anwendungstypen realisierbar, wenn auch der Erstellungsaufwand z.T. unangemessen hoch wird. 5. Kriterien ausgewählter Autorensysteme Zugrundegelegt wird eine an der Universität Oldenburg (Boles u.a.) entwickelte Kriterienliste zum Autorsystemvergleich, die durch einige weitere Aspekte erweitert wurde. Es werden hier die 3 Marktführer Director, Authorware, Toolbook (in Assistant Version) sowie das professionelle Autorensystem IDEA und das ‚einfache‘ Autorensystem MMTools (Basis ist Toolbook) eingeordnet. Die beiden letzteren werden dann in Details beschrieben, um den Stellenwert und die Gewichtung einzelner Kriterien zu veranschaulichen. Kriterium Metapher: - Seite - Struktur - Zeitleiste Programmiersprache Objektgenerierung Interpreter Codegenerator Stand Alone Anwendg Wiederverwendung komplexer Objekte: - Kopieren - Datei - Bibliothek Neue Medientypen Schnittstellen Programmierung - textuell - visuell Interaktionsobjekte - Button Authorware Director Toolbook IDEA MMTools X X X X X X (x) X X X X X X X X X X X X X X X X X X X X X X X X X X X X X X X X X X X X X X X X X X (x) X X (x) X X X X X X X 18 - Combobox - Auswahllisten - Texteingabefelder - Hotwords - Hotspots - Schieberegler - Menüs Festlegung Aktionen - textuell - visuell Internet-Einbindung X X X X X X X X Plug in X X X X X X X X X X X X X X Plug in DHTML X X X X X X X X X X X X X Applet (x) X DHTML Einige Hinweise zu den Kriterien, soweit sie nicht in den bisherigen Ausführungen enthalten sind: Programmiersprache: MMTools als Programmgenerator verwendet keine Programmiersprache, erlaubt dies jedoch bei Start der zugrundeliegenden Toolbookversion (siehe auch Einordnung bei textueller Programmierung und textuelle Festlegung von Aktionen). Objektgenerierung: Das Anlegen von Seiten und Objekten ist bis auf Ausnahme von Toolbook/MMTools nur mit dem Entwicklungstool, nicht mit der Runtime-Version möglich. Interpreter: Alle aufgeführten Tools compilieren nicht, sondern interpretieren. Unterschiede gibt es aber, ob ein Editieren (z.B. von Aktionen) im Benutzermodus möglich ist (nur bei MMTools). Codegenerator: Nur Toolbook in der Assistent-Version generiert Code zu dem ausgewählten Aufgabenobjekt, ferner Code aus Autorenaktionen. Wiederverwendung komplexer Objekte Komplexe Objekte bestehen aus mehreren Objekten (Auswahlaufgabe z.B. aus mehreren Radiobuttons oder Checkboxes mit OK-Button). Diese sind entweder bereits vorhanden (z.B. Authorware oder MMTools) oder können mit dem Tool generiert werden (Authorware, Director, IDEA). Neue Medientypen Sie können bei Authorware und Director über Xtras, bei Toolbook/MMTools über ‚Erweiterungen‘ (vbx, ocx), bei IDEA über Delphi-Komponenten eingebunden werden. Visuelle Programmierung: Bei Toolbook nur beim Setzen von Hyperlinks möglich. 19 6. Ausblick: Defizite und Anforderungen an Autorensysteme, Entwicklungstendenzen Der Markt interaktiver Multimedia-Systeme wächst dramatisch, was vor allem auf das WEB zurückzuführen ist. E-Learning wird eine milliardenschwere Zukunft versprochen, was sich u.a. an dem Erscheinen zahlreicher Plattformen auf einschlägigen Messen (z.B. Learntec) zeigt. Im Widerspruch dazu steht, dass sie noch mit wenig Inhalt (Content) gefüllt sind bzw. die methodisch-didaktische Qualität oft gering ist (z.B. zitierte Aussagen von Mandl und Weidenmann in einem kritischen ZEIT-Artikel von Schwerdtfeger). Die klassischen Autorensysteme, die für zur Erstellung von offline Anwendungen konzipiert wurden, verlieren auf Grund der steigenden Bedeutung des WEB an Bedeutung, falls sie nicht durch geeignete technische Umsetzungen (Plugin, Applets, Konvertierung in HTML und Javascript) den Anschluss behalten bzw. finden. Die WEB-Autorensysteme fallen auf Grund der statischen Struktur von HTML hinter die Funktionsvielfalt von klassischen offline-Autorensystemen zurück. Durch die Einbindung von Javascript wird zumindest eine Reihe von Interaktionstypen umsetzbar. Es zeichnet sich ab, dass sich HTML in Richtung XML weiterentwickeln muss, wobei mit der Datenbankanbindung dynamische und individualisierte Anwendungen zur Laufzeit generiert werden (siehe etwa bei L³). Bei einer solchen Entwicklung dürften klassische Autorensysteme an Bedeutung verlieren. Die Zahl der potenziellen Autoren steigt und steigt. Dabei zeigt sich eindeutig die Tendenz, kleinere Info- und Lernmodule in house zu entwickeln, um - schnell und kostengünstig auf den Info- und Qualifikationsbedarf zu reagieren - das vorhandene Know How (Fachexperten, Dozenten, Trainer) im Sinne eines Wissensmanagement-Konzepts zu nutzen - die Akzeptanz moderner Medien durch bisherige Mittler (Dozenten, Trainer, Lehrer) zu erhöhen. Mit geeigneten ‚einfachen‘ Autorensystemen bzw. Assistenten von professionellen Autorensystemen können auch Lernende zu Autoren werden, indem sie projektorientiert ein Thema (Problem, Fall) aufarbeiten und multimedial umsetzen. Die klassischen Hochleistungs-Autorensysteme sind für die schnell wachsende Zahl von Autoren auf Grund ihrer Komplexität nur bedingt geeignet. Die professionellen Autorensysteme müssen entweder durch Assistenten ergänzt werden, die einen geringeren Einarbeitungsaufwand (vor allem ohne Programmierung) erlauben, oder durch ‚einfache‘ Autorensysteme ersetzt werden, die allerdings mit ihrem begrenzten Leistungsspektrum schnell an Grenzen stoßen können. Es geht nicht mehr um die globale Frage, welches das beste, leistungsfähigste Autorensystem insgesamt ist (man wird ja auch nicht fragen, welches das beste Auto überhaupt ist), sondern dasjenige Werkzeug auswählen, mit dem bestimmte multimediale Anwendungen (Präsentation, Informations-, Lernsysteme) durch die jeweiligen Autoren und Entwickler (entsprechend ihrer Qualifikation) bei einer definierten gestalterischen und pädagogischen Qualität im angesetzten Zeit- und Kostenrahmen realisiert werden können. Dabei dürfte der kollaborativen und dezentralen Entwicklung eine zunehmend größere Bedeutung zukommen, in die auch Teletutoren einbezogen werden müssen. 20 Literaturhinweise: Boles Dietrich Skript zur Multimedia-Vorlesung (www-is.informatik.unioldenburg.de/~dibo/teaching/mm/buch) 1998 Freibichler Hans Multimedia und Internet – Werkzeuge zum Sprachenlernen, in: Schnittstellen zwischen alten und neuen Medien, (Hrsg.) Tschirner E., Funk H., Koenig M., Cornelsen Berlin 2000 S. 110 – 131 MMB – Michel Medienforschung und Beratung, Zukunftsperspektiven multimedialen Lernens in kleinen und mittleren Unternehmen- Ergebnisse einer Potenzialerhebung 2000 Rüschoff, B. & Wolff D. Fremdsprachenlernen in der Wissensgesellschaft Hueber Ismaning 1999 Reinhardt T. Intelligente Autorensysteme für Computer Based Training Beitrag zum Workshop der 22. Jahrestagung der Künstlichen Intelligenz 1998 (http://ki.informatik/uniwuerzburg.de/forschung/publikationen/lehrstuhl/Reinhardt-KI-98/CBTkriterien.html) Sander J. & Scheer A.W. Multimedia Engineering: Rahmenkonzept zum Interdisziplinären Management von Multimedia Projekten IWI-Heft 132 1996 (Insititut für Wirtschaftsinformatik der Universität des Saarlandes) www.imi.uni-sb.de/iwihefte/heft132.html SAP – CEC Karlsruhe L³ - Kurseditor Benutzerhandbuch 2000 Schwerdtfeger B., Lernen ohne Reisekosten DIE ZEIT Nr. 4/2001 S. 56 SofTec-Studie (Studie über Softwaretechnische Anforderungen an multimediale Lehr- und Lernsysteme) der Forschergruppe SofTec NRW, Nagl, Balzert, Six, Schäfer, Kelter) 1999 www.uni-paderborn.de/fachbereich/AG/schaefer/ag_dt/SofTecNRW/ SofTecNRW.html WEB-Adressen zu den angeführten Autorensystemen: Authorware, Dreamweaver, Flash, Director: macromedia.com IDEA: linkundlink.de MMTools: fts-heidelberg.de TELOS: linguaplan.de Toolbook: click2learn.com 21