1. Besonderheiten und Entwicklungsrelevanz von Peer

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Kinder brauchen Kinder - Die Bedeutung von Peers
Susanne Viernickel, ASH Berlin
Einleitung ................................................................................................................................... 1
1. Besonderheiten und Entwicklungsrelevanz von Peer-Beziehungen ...................................... 2
2. Formen und Entwicklung von Peer-Beziehungen .................................................................. 4
2.1
Kontakte, Interaktionen, soziales Spiel ...................................................................... 4
Kooperation im sozialen Spiel ........................................................................................... 4
Prosoziales Verhalten ......................................................................................................... 5
Konfliktverhalten ............................................................................................................... 6
Aggressives Verhalten ........................................................................................................ 6
2.2
Status in der Peer-Gruppe .......................................................................................... 6
2.3
Gruppenkonstellationen, Spielpartnerpräferenzen und Freundschaften .................... 8
Beziehungsmuster und Präferenzen ................................................................................... 8
Erste Freundschaften .......................................................................................................... 9
3. Einige Schlussfolgerungen für die pädagogische Arbeit in Kindertageseinrichtungen ....... 10
3.1
Förderliche Rahmenbedingungen schaffen .............................................................. 10
3.2
Interaktionen zwischen Kindern anbahnen, moderieren und erweitern ................... 11
4. Fazit ...................................................................................................................................... 12
Literaturhinweise ...................................................................................................................... 12
Verwendete Literatur ............................................................................................................ 12
Leseempfehlungen ............................................................................................................... 14
Einleitung
Welche Bedeutung haben junge Kinder füreinander? Welche Entwicklungsimpulse vermögen
sie einander zu geben? Dies sind Fragen, die im Zuge der Diskussion um frühkindliche
Bildung zu kurz kommen. Wir sprechen viel von der Gestaltung der Erzieherin-KindBeziehung und von der Verantwortung, die pädagogischen Fachkräften für die Unterstützung
und Förderung des kindlichen Lernens und der kindlichen Entwicklung zukommt. Wir
sprechen auch gern vom Raum als dem „dritten Erzieher“, dessen Gestaltung die Art und
Weise mitbestimmt, in der Kinder sich eigenständig die Welt aneignen und der Möglichkeiten
dieser Weltaneignung begrenzen oder aber eröffnen und erweitern kann. Seltener sprechen
wir davon, dass die Bildung, Erziehung und Betreuung in Kindertageseinrichtungen in erster
Linie ein Arrangement ist, wo Kinder auf andere Kinder - auf recht viele andere Kinder treffen und mit denen sie einen großen Teil ihrer wachen Zeit verbringen. Es liegt sehr nahe,
dass sich die Kinder bei ihren tagtäglichen Begegnungen untereinander beeinflussen, dass sie
sich aufeinander beziehen und voneinander lernen. Kinder sind füreinander eine Beziehungsund Bildungsressource.
Um den Umstand zu verdeutlichen, dass Kinder im sozialen Kontakt mit Peers qualitativ
andere Erfahrungen als in der Interaktion mit Erwachsenen machen, dass der Umgang von
Kindern untereinander, die Themen, die von Bedeutung sind, die Maßstäbe, nach denen
Verhalten beurteilt wird und wodurch sich die Stellung Einzelner in der Gruppe entscheidet,
andere sind als zwischen Kindern und ihren Eltern, Erzieherinnen und Lehrerinnen, sprechen
WissenschaftlerInnen auch von einer eigenständigen Peer-Kultur. Kinder produzieren, sobald
sie in relativ stabilen sozialen Gruppen zusammentreffen, eine eigenständige Kinderkultur mit
ihr eigenen Verfahren, Aushandlungsprozessen und Regeln. Mit dem Begriff der Kinderkultur
ist dabei sowohl die aktive Leistung der Kinder beim Vorantreiben der eigenen Entwicklung
als auch die Einbettung dieser Vorgänge in soziokulturelle Zusammenhänge angesprochen.
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Sie muss somit abgegrenzt werden von der „Kultur für Kinder“, womit die von Erwachsenen
für Kinder hergestellten und angebotenen Institutionen, Produkte und Ereignisse gemeint
sind.
Nach Corsaro und Eder (1990) haben Kinder zwei zentrale Anliegen in der Kinderkultur zu
bewältigen. Das erste Thema ist Kontrolle. Hierunter ist das Bestreben nach Kompetenz und
Unabhängigkeit gefasst, aber auch nach Kontrolle über gemeinsame Aktivitäten, Rituale und
symbolische Akte. Das zweite, zur Kontrolle in einer Wechselbeziehung stehende Thema ist
Teilhabe: das Gewinnen von verlässlichen Spielpartnern und vertrauten Freunden, das
Herstellen und Bewahren von Gemeinsamkeit, und das Finden und Beanspruchen eines
bestimmten Platzes in der Gruppe.
Dieser Beitrag befasst sich mit den Vorgängen, die sich in dieser „Kinderkultur“ vom ersten
Lebensjahr an beobachten lassen, und mit den Entwicklungs- und Bildungschancen, die für
Kinder hiermit verbunden sind. Er geht zunächst auf die Besonderheiten von PeerBeziehungen ein, woraus sich erschließen wird, weshalb diese andere Entwicklungs- oder
Bildungsimpulse setzen können als Erwachsenen-Kind-Beziehungen (Kap. 1). Im zweiten
Teil wird dargelegt, wie sich Peer-Kontakte und -beziehungen in Abhängigkeit vom Alter und
anderen Faktoren entwickeln und welche Kompetenzen Kinder in diesem Zusammenhang
erwerben. Dabei wird auch auf mögliche Risiken hingewiesen (Kap 2). Schließlich werden
einige Konsequenzen für die pädagogische Arbeit in Kindertageseinrichtungen aufgezeigt
(Kap. 3).
1. Besonderheiten und Entwicklungsrelevanz von PeerBeziehungen
In der Fachliteratur zu Kontakten und Beziehungen zwischen Kindern werden häufig die
englischen Begriffe „Peer“ bzw. im Plural „Peers“ verwendet. Damit sind Kinder gemeint, die
auf einem ähnlichen kognitiven und sozio-moralischen Entwicklungsstand stehen, gegenüber
Institutionen und ihren Repräsentanten (z.B. Kindergarten, Schule) eine gleiche Stellung
einnehmen, gleiche Entwicklungsaufgaben und normative Lebensereignisse (z.B.
Schuleintritt) zu bewältigen haben und einander im Wesentlichen gleichrangig und ebenbürtig
sind (vgl. von Salisch 2000, 347ff).
Vor allem die Arbeiten von James Youniss (1980) haben dazu beigetragen, die PeerSozialwelt als besonderen und fruchtbaren Lernkontext zu beschreiben und theoretisch zu
fundieren. Youniss versteht Entwicklung aus einer sozialkonstruktivistischen Perspektive
heraus und sieht das Individuum als ein Produkt seiner Erfahrungen in sozialen Beziehungen.
In den sozialen Beziehungen zu Gleichaltrigen werden nach Youniss dem Kind vielfältige
Realitätssichten präsentiert, im Gegensatz zur “partikularistischen” Realitätssicht der Eltern,
deren Unvollständigkeit bzw. Einseitigkeit das Kind jedoch lange nicht erkennen könne. Die
Aushandlungen zwischen Gleichaltrigen sind geprägt von “symmetrischer Reziprozität”, die
sich durch zwei Merkmale auszeichnet. Erstens sind Handlungen des einen Partners durch die
Reaktionen des Anderen bedingt und umgekehrt, und zweitens kann jeder
Aushandlungsbeitrag des einen Kindes mit einem gleichwertigen Beitrag oder
Gegenargument des anderen beantwortet werden. Da weiterhin das Kompetenz- und
Machtverhältnis zwischen den Individuen in Peer-Beziehungen relativ ausgeglichen ist, sei
die Chance gegeben, dass widersprüchliche Ansichten und entstehende Konflikte so lange
und so intensiv verhandelt werden, bis eine umfassendere Perspektive in “Ko-Konstruktion”
gebildet werden kann.
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Der Begriff der “Ko-Konstruktion” umschreibt Youniss’ Überzeugung, dass Kinder nicht nur
lernen, die Sichtweisen des Anderen zu übernehmen, also Perspektiven zu teilen, sondern dass
sie in einer echten gemeinsamen Konstruktionsleistung Perspektiven entwickeln, wobei
keiner aufgrund seiner Autorität oder seiner intellektuellen Überlegenheit dem anderen die
Lösung quasi „serviert“. Vielmehr sind beide Interaktionspartner gefordert, die eigenen
Gedanken und Überlegungen dem anderen plausibel darzulegen, die Argumente des
Gegenübers zu prüfen und eine beiderseits akzeptierte Sichtweise zu entwickeln. Kommt es
zum Streit, haben alle Beteiligten vergleichbare Machtmittel zur Verfügung; außerdem
werden die Kinder immer wieder prüfen, bis zu welchem Punkt das Beharren auf dem eigenen
Recht und der Einsatz unfairer Taktiken sich „lohnt“, weil sonst unter Umständen die
Beziehung gefährdet sein könnte oder andere plötzlich Partei für den „Gegner“ ergreifen. Auf
der Basis dieser grundsätzlichen Gleichrangigkeit entwickeln Kinder schon im
Kindergartenalter so anspruchsvolle Konzepte wie moralisches Handeln und Urteilen, ein
Gerechtigkeitsverständnis und konstruieren nicht zuletzt Anteile ihrer Identität (vgl. Völkel,
2002).
Interaktionen mit Gleichaltrigen fordern also andere Verhaltensweisen und Kompetenzen
heraus als Interaktionen mit Erwachsenen (vgl. zusammenfassend Viernickel, 2000). Darauf
stellen sich selbst die jüngsten Kinder schon ein. So richten Kleinkinder z.B. bestimmte
soziale Verhaltensweisen wie Gesten oder Berührungen eher an ihre Peers; mit Erwachsenen
vokalisieren die Kinder dagegen häufiger, und diese werden auch häufiger angelächelt.
Besitzkonflikte treten fast ausschließlich zwischen Kindern auf. In Interaktionen zwischen
Erwachsenen und Kindern geht es dagegen oft um eher pflegerische Handlungen wie Nase
putzen oder Schuhe anziehen, oder der Erwachsene gibt Anweisungen, die das Kind dann
ausführt (oder auch nicht).
Jean Piaget, der große Genfer Entwicklungspsychologe, hat zu diesem Thema einmal eine
zunächst recht merkwürdig anmutende Bemerkung gemacht, die die Bildungsimpulse von
Peer-Beziehungen jedoch noch besser verstehen lässt. Er schrieb:
„Der Spielkamerad dagegen ist sowohl dem Ich des Kindes ähnlich als auch
davon verschieden. Er ist ihm ähnlich, weil er gleich ist im Können oder
Wissen; ganz verschieden aber, gerade weil er auf demselben Niveau steht und
nicht wie ein überlegener Erwachsener in das Innere der Wünsche oder in die
Perspektive des eigenen Denkens eindringt“ (Piaget 1968/1972, S. 72).
Der erste Teil – der Spielkamerad oder „Peer“ ist dem Kind gleich im Können oder Wissen –
ist gut nachvollziehbar: Kleinkinder setzen ähnliche Verhaltensweisen und Kompetenzen ein,
wenn sie in Kontakt miteinander treten; sie teilen miteinander den Spaß am gegenseitigen
Imitieren und das Interesse an kleinen Spielen mit unzähligen Wiederholungen. So wirken die
anderen Kinder wie ein Spiegel der eigenen Aktivitäten und Interessen, in dem sich
Kleinkinder wieder erkennen und darüber Informationen über ihr eigenes „Ich“ erhalten.
Der zweite Teil des Zitats von Jean Piaget bezieht sich dagegen auf die fundamentale
Differenzerfahrung, die Kleinkinder machen, wenn sie z.B. erleben, dass ihre
Kontaktangebote ignoriert werden, oder wenn es ihnen nicht gelingt, ihre Anliegen klar genug
zu kommunizieren, und es zu Missverständnissen, Konflikten oder Spielabbrüchen kommt.
Eltern und Erzieherinnen gleichen die noch nicht hinreichenden Kompetenzen der jungen
Kinder aus, indem sie in Interaktionen die Führung übernehmen, das Verhalten der Kinder so
interpretieren, dass es zur intendierten Interaktion passt und ihre eigenen Handlungen und
Reaktionen feinfühlig anpassen. Dass in den Interaktionen zwischen den Kleinkindern
dagegen kein kompetenterer Partner zur Stelle ist, der missverständliche Signale richtig
deuten und Störungen integrieren könnte, verdeutlicht den Kindern, dass es auch an ihnen
liegt, ob eine Interaktion weiter geführt werden kann oder sich die eigene Spielidee
gemeinsam mit dem Anderen verfolgen lässt. Dabei erwerben die Kinder Wissen über die
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erlebte soziale Situation und über den eigenen Beitrag, den sie hierzu leisten. Über diesen
Weg entwickeln sie neben verfeinerten kommunikativen und sozialen Kompetenzen ebenfalls
ein Bewusstsein darüber, ein von anderen Menschen abgegrenztes, eigenständiges und
handlungsfähiges Wesen zu sein.
2. Formen und Entwicklung von Peer-Beziehungen
2.1
Kontakte, Interaktionen, soziales Spiel
Bereits sehr junge Kinder nehmen einander als Ziele ihrer sozialen Signale wahr und zeigen
Gleichaltrigen gegenüber ein deutlich anderes Verhalten als gegenüber materiellen Objekten.
Babys unter einem Jahr versuchen, Gleichaltrige anzulächeln, Laute zu äußern, sich
anzunähern und zu berühren. Im letzten Viertel des ersten Lebensjahres können erste
Interaktionen, u.a. der Austausch von Spielobjekten, gegenseitige Nachahmung und erste
einfache Spiele – wie einen Ball hin- und herrollen - bereits regelmäßig beobachtet werden.
Gleichzeitig beginnen die Kleinkinder, um Spielzeug zu streiten, und auch aggressives
Verhalten tritt auf.
Das zweite Lebensjahr ist eine Periode, in der sich im Verhalten gegenüber Gleichaltrigen
rasche Entwicklungen vollziehen (vgl. Viernickel 2000). Wenn sie Gelegenheit dazu haben,
treten Kleinkinder zunehmend öfter in den Kontakt und sozialen Austausch mit anderen
Kindern ein. Dies geschieht zunächst überwiegend in einer Zweier-Konstellation. Aufgrund
der noch rudimentär ausgeprägten Fähigkeit zur sprachlichen Verständigung nutzen
Kleinkinder verstärkt mimische und gestische Ausdrucksmittel. Eine zentrale Rolle spielt
dabei die Imitation bzw. Nachahmung des Verhaltens anderer Kinder, über die es gelingt,
auch längere Interaktionssequenzen aufrecht zu erhalten. Kinder erleben sich in diesen
Situationen nicht nur als kompetent und effektiv im sozialen Austausch, sondern
demonstrieren einander Gleichartigkeit und Verbundenheit. Nicht ohne Grund wird die
gegenseitige Imitation gelegentlich als die „Sprache“ von Kleinkind-Freundschaften
bezeichnet (Whaley & Rubenstein, 1994).
Die zunehmend höhere Komplexität der Peer-Interaktionen zeigt sich in ihrer Organisation
um bestimmte Thematiken und darin, dass die Kinder bestimmte Rollen einnehmen und diese
miteinander koordinieren, wenngleich diese einfachen sozialen Spiele noch keinem Vergleich
mit den späteren elaborierten sozialen Rollenspielen standhalten. Im zweiten Lebensjahr
fungieren Spielzeuge oder, allgemeiner gesagt, Gegenstände als „Mittler“ sozialer Kontakte,
und das Anbieten bzw. Überreichen eines Spielobjekts ist eine häufige Kontaktstrategie
(Viernickel, 2000, S. 122). Gegen Ende des zweiten Lebensjahres sind Kinder unter
bestimmten Umständen in der Lage zu kooperieren, und zwar sowohl um Probleme zu lösen,
als auch im Spiel. Sie zeigen sich gegenseitig Mitgefühl und entwickeln in häufigen, aber
meist kurzen Auseinandersetzungen Regeln für Besitzfragen und -konflikte (Bakeman &
Brownlee, 1982).
Kooperation im sozialen Spiel
Kontakte und Interaktionen zwischen Kindern im Alter von zwei bis sechs Jahren vollziehen
sich überwiegend im Rahmen sozialen Spiels. Komplexes soziales Spiel gilt als ein Indikator
für die soziale Kompetenz eines Kindes. Es beinhaltet ähnliche, aufeinander bezogene und
einander ergänzende Spielaktivitäten mit geplanten Spielhandlungen und gemeinsamen Zielen
und ist durch einen hohen Anteil symbolischer Elemente gekennzeichnet. Komplexes soziales
Spiel setzt Aushandlungsprozesse voraus. Im dritten Lebensjahr beginnen Kleinkinder,
Themen, Rollen und Regeln zu vereinbaren wie auch fortlaufend zu erweitern (Howes, 1988).
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Sie werden in solchen Spielen auf mehrfache Weise in ihrer Entwicklung herausgefordert.
Zum einen müssen sie ihre eigenen Spielhandlungen und Spielthemen mit denen der
Interaktionspartner abstimmen und koordinieren (sozialer Aspekt); sie müssen ihre Emotionen
regulieren und angemessen äußern (emotionaler Aspekt) und sie erbringen gleichzeitig
kognitive Leistungen, indem sie imaginäre und symbolische Inhalte in ihr Spiel integrieren,
Handlungspläne verfolgen und komplexe Szenarien entwickeln. In mehreren Studien konnte
gezeigt werden, dass soziales und imaginäres Spiel einer verschränkten Entwicklungsabfolge
unterliegt und soziales Symbolspiel immer etwas später auftritt als soziales Spiel ohne
symbolische Inhalte oder imaginäres Alleinspiel (vgl. z.B. Howes & Matheson 1992).
Im Austausch mit seinen Peers und in der Konfrontation mit ihren oftmals von den eigenen
abweichenden Spielideen und Situationsinterpretationen ist ein Kind beständig aufgefordert,
die eigenen Ideen und Handlungen zu erproben, zu begründen, zu verteidigen oder aber zu
überprüfen, zu verändern und anzupassen. Dabei werden u.a. die Kommunikationsfähigkeit,
die Fähigkeit zur Perspektivenübernahme und die Entwicklung sprachlicher Kompetenzen
stimuliert, aber auch so grundlegende soziale Fertigkeiten erworben wie Abwarten können,
eigene Interessen vertreten, ohne die der anderen zu missachten, oder Frustrationen und
Unklarheiten aushalten zu können. Auch spezifische interaktive Fähigkeiten werden sowohl
gefordert als auch gefördert: angefangen von der Einigung auf ein Thema und die Aufgaben
oder Rollen der einzelnen Kinder, kann kooperatives Spiel nur weitergehen, wenn die
zeitliche Abfolge der einzelnen Handlungsbeiträge abgestimmt wird und Unterbrechungen
oder Themenänderungen bewältigt werden können. Kinder müssen lernen, den Kontext einer
Situation als „Spiel“ oder als „kein Spiel“ zu identifizieren; sie müssen das dem Spiel
zugrunde liegende Organisationsmuster erfassen und schließlich auch das Thema der
Interaktion erkennen und zu seiner Aufrechterhaltung beitragen (vgl. Göncü, 1993). Es
überrascht deshalb nicht, dass Kinder, die elaborierte soziale Spielformen zu einem früheren
Zeitpunkt entwickelten, als es ihrem Alter nach zu erwarten gewesen wäre, geselliger,
prosozialer, weniger zurückgezogen und weniger aggressiv waren und von den Betreuerinnen
als problemloser im Umgang mit Peers eingeschätzt wurden als Kinder, die diese Spielformen
später zeigten (Howes & Matheson, 1992).
Prosoziales Verhalten
Als prosozial werden Verhaltensweisen bezeichnet, die darauf abzielen, dem
Interaktionspartner zu nutzen, ohne dass ein direkter eigener Vorteil erkennbar ist (wie
Helfen, Teilen oder Trösten). Bereits im zweiten Lebensjahr helfen und trösten Kleinkinder
sich gegenseitig und teilen Besitz mit ihren Peers (Viernickel, 2000; Simoni u.a., 2008). Dies
erfolgt zunächst noch ohne Berücksichtigung der tatsächlichen Hilfsbedürftigkeit des
Gegenübers; außerdem können Kleinkinder bis zum ca. dritten Lebensjahr noch nicht
abschätzen, welche Form der Hilfe oder des Trostes aus der Perspektive des anderen
angemessen wäre. Im Alter zwischen drei und sechs Jahren entwickeln Kinder dann Regeln
und Überzeugungen bezüglich des Teilens, berücksichtigen den Grad der Vertrautheit und der
Gegenseitigkeit beim Teilen und entwickeln Vorstellungen darüber, wer aus welchen
Gründen und in welchen Situationen Hilfe verdient (vgl. Hay, 1994). Im Verlauf des
Kindergartenalters differenzieren sich prosoziale Verhaltensweisen; so wirken sich Faktoren
wie (angenommene) Bedürftigkeit, Schuldlosigkeit, Reziprozität, Vertrautheit sowie PeerStatus positiv auf das Gewähren von Hilfe und Trost aus. Auch Geschlechtsunterschiede
werden berichtet. Demnach werden Mädchen in der Regel prosozialer eingeschätzt als
Jungen, was sich bei einer differenzierten Betrachtungsweise jedoch nur bedingt als empirisch
unterlegt erweist (Eisenberg & Fabes, 1998).
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Konfliktverhalten
Konflikte sind ein regelmäßiger Bestandteil von Peer-Interaktionen. Sie sind meist kurz und
entstehen aus vielfältigen Anlässen, wobei im zweiten und dritten Lebensjahr Besitzkonflikte
dominieren (vgl. Viernickel, 2000). Dittrich u.a. (2002) betonen, dass sich in Peer-Konflikten
bestimmte Hintergrundthemen manifestieren, die für die soziale Struktur der Gruppe und die
sozialen Beziehungen zwischen einzelnen Kindern relevant sind (wie z.B. einander kennen
lernen; Positionen in der Gruppe finden, festigen oder ändern). Dabei entwickeln Kinder ein
breites Repertoire von Aushandlungsformen, die verbal, mimisch und gestisch kommuniziert
werden. Neben direkten körperlichen und symbolischen Angriffen sind Hilfegesuche an die
Erzieherin, das Berufen auf Regeln, Kompromisse anbieten und Argumentieren beobachtet
worden. In diesen Aushandlungen vollziehen sich wichtige soziale Lernprozesse,
insbesondere wenn sie im Zusammenhang mit gemeinsamen Spielvorhaben der Kinder
auftreten, z.B. wenn es um die Verteilung und die Ausführung von Spielrollen geht. Die
Häufigkeit, mit der Kinder in Konflikte involviert sind, gilt deshalb nur im Zusammenhang
mit den verwendeten Konfliktstrategien und den erzielten Konfliktlösungen als Indikator für
eine geringe soziale Kompetenz. So streiten Kinder, die sich als beste Freunde bezeichnen,
nach Hartup et al. (1988) sogar häufiger miteinander als nicht befreundete Kinder, haben aber
auch sehr viele positive Interaktionen und gelangen oft zu konstruktiven Konfliktlösungen.
Aggressives Verhalten
Dagegen wird als Risiko für spätere Anpassungsprobleme betrachtet, wenn Kinder häufig
aggressive Durchsetzungsstrategien nutzen, insbesondere, wenn diese nicht reaktiv nach einer
empfundenen Provokation oder Frustration, sondern proaktiv, also geplant und zielgerichtet
eingesetzt werden (Card & Little, 2006). Reaktives und proaktives aggressives Verhalten, und
zwar sowohl körperlich als auch relational (z.B. von gemeinsamem Spiel ausschließen,
drohen, ignorieren), wird schon im zweiten und dritten Lebensjahr beobachtet (Viernickel,
2000). Körperlich-aggressive Verhaltensweisen gehören in dieser Zeit zum normalen
Verhaltensrepertoire von Kindern, nehmen jedoch bis ins Grundschulalter hinein
kontinuierlich ab (NICHD ECCR, 2004). Mit zunehmenden Alter verstehen Kinder immer
besser, dass aggressives Verhalten eingesetzt werden kann, um die eigenen Ziele zu erreichen;
entsprechende Prädispositionen können sich deshalb über die Zeit verfestigen. Die Stabilität
klinisch relevanten aggressiven Verhaltens in seinen unterschiedlichen Formen ist über den
Entwicklungsverlauf relativ hoch (vgl. u.a. Olweus, 1979).
Viele Studien zeigen, dass Mädchen und Jungen unterschiedliche Formen aggressiven
Verhaltens präferieren, wobei Mädchen eher verdeckt aggressiv sind und dementsprechend
relationale Formen bevorzugen. Aggressive Kinder werden von ihren Peers als weniger
beliebt eingestuft und eher gemieden. Manche erleben dennoch wechselseitige
Freundschaftsbeziehungen und können sich ein Netzwerk sozialer Beziehungen aufbauen,
zumeist mit Kindern, die sich auch aggressiv bzw. dissozial verhalten (Snyder, Horsch &
Childs, 1997). Sowohl Ablehnung innerhalb der Peer-Gruppe als auch der Einfluss ebenfalls
devianter Peers gilt als ein - wenn auch nicht dominanter - Risikofaktor für die Entwicklung
aggressiv-dissozialer Verhaltenstörungen (Petermann u.a., 2004, S. 387).
2.2
Status in der Peer-Gruppe
Der Platz oder Status innerhalb der Peer-Gruppe und mit welchem Einfluss und welcher
Anerkennung er verbunden ist, kann über soziometrische Wahlen erfasst werden. Die
Soziometrie (zuerst Moreno, 1934/ deutsch 1974) beschäftigt sich mit der Struktur einer
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Gruppe bzw. mit deren „emotionalem Beziehungsgeflecht“. Für den Einsatz in Kindergartenbzw. Vorschulgruppen haben sich zwei Grundformen etabliert. Bei soziometrischen
Nominierungsverfahren wird jedes Gruppenmitglied gebeten, einige Kinder zu nennen, die
am liebsten bzw. am wenigsten gemocht werden, oder die andere interessierende Merkmale
aufweisen (z.B. kämpft häufig mit anderen, spielt oft allein). Soziometrische Ratingverfahren
fordern, dass alle Kinder der jeweiligen Gruppe vom Befragten in eine von mehreren
Kategorien eingeordnet werden (z.B. „Mit x spiel ich „sehr gerne“ – „weder gern noch
ungern“ – „überhaupt nicht gerne““). Um die Zuverlässigkeit der kindlichen Aussagen zu
erhöhen, werden die Befragungen mit Hilfe von Fotos oder einfachen Symbolen (lachende neutrale - traurige Gesichter) unterstützt.
Bei Anwendung des Nominierungsverfahrens können über die Anzahl und Relation der
positiven und negativen Wahlen Statusgruppen gebildet werden. So gelten Kinder mit vielen
positiven und wenig negativen Nennungen als „beliebt“ bzw. „populär“, Kinder mit vielen
negativen und wenig positiven Wahlen als „abgelehnt“. Kinder mit vielen positiven und
vielen negativen Wahlen sind zwar „umstritten“, haben aber einen hohen sozialen Einfluss auf
die Gruppe; dagegen sind Kinder mit nur sehr wenig Wahlen insgesamt „isoliert“ bzw.
„vernachlässigt“.
Für Kinder im Schulalter konnte in verschiedenen Studien gezeigt werden, dass es
Zusammenhänge zwischen sozialem Status in der Peer-Gruppe (hier ist normalerweise die
Schulklasse gemeint), sozialer Kompetenz und internalisierenden und externalisierenden
Verhaltensproblemen gibt. Beliebte Kinder werden als sozial kompetent und seltener als
aggressiv oder störend beschrieben und berichten weniger Selbstwertprobleme und depressive
Symptome (vgl. von Salisch 2000). Sie scheinen im Durchschnitt einen höheren
Intelligenzquotienten aufzuweisen und zeigen bessere Schulleistungen. Beliebte Kinder
erlangen z.B. Zugang zu einer Gruppe, indem sie Selbstvertrauen zeigen, fragen, ob sie
mitspielen dürfen und Gespräche beginnen. Kinder, die von ihren Mitschülern abgelehnt
werden, halten sich dagegen in der Nähe der Gruppe auf oder drängen sich störend hinein
(Petermann u.a., 2004). Kinder mit einem niedrigen sozialen Status schreiben eigene
Misserfolge inneren und stabilen Ursachen zu und gehen von feindlicheren Einstellungen
anderer aus. Sie sind aggressiver, zeigen weniger prosoziales Verhalten und sind häufiger in
negative Peer-Interaktionen involviert als sozial besser akzeptierte Peers (Putallaz & Dunn,
1990). Als „vernachlässigt“ bzw. „isoliert“ eingestufte Kinder zeigen sich im Vergleich zu
anderen Kindern schüchterner und sondern sich mehr ab. Kontroverse Kinder verhalten sich
dagegen häufig aggressiv, verfügen jedoch parallel dazu auch über hohe sozial-kognitive
Fertigkeiten (Newcomb et al., 1993).
Es ist allerdings schwierig zu beurteilen, ob diese Verhaltensmerkmale Ursache oder
Auswirkung des problematischen Peer-Status´ darstellen. Was die Stabilität der Zuordnung zu
einer der genannten Gruppen angeht, scheinen abgelehnte Kinder länger in diesem kritischen
sozialen Status zu verbleiben als vernachlässigte Kinder. Dies gilt auch über die Zeit und
Situation hinweg, also unabhängig von der Zusammensetzung der Peer-Gruppe. Die
Ergebnisse soziometrischer Nominierungen können deshalb erste Hinweise auf Risiken für
Anpassungsprobleme oder psychische Schwierigkeiten geben.
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2.3 Gruppenkonstellationen, Spielpartnerpräferenzen und
Freundschaften
Beziehungsmuster und Präferenzen
Offensichtlich formieren Kleinkinder, sobald sie regelmäßig in einem vertrauten Kontext
aufeinander treffen, auch erste Beziehungsmuster. Schon Babys unter einem Jahr verteilen
ihre Aufmerksamkeit unterschiedlich auf die anwesenden Peers; meist erhalten eher ältere und
damit in ihrem Verhalten kompetentere Kinder mehr Blicke und Kontaktangebote als andere
Kinder (Rauh, 1985). Bald kommt es in stabilen Gruppen zu einer nachweisbaren
Bevorzugung bestimmter Interaktionspartner. Die meisten Kinder präferieren ein oder zwei
andere Kinder der Gruppe und treten mit diesen verstärkt in einen sozialen Austausch,
während zu anderen wenig oder kein Kontakt entsteht. Diese Tendenz verstärkt sich im
Verlauf der ersten Lebensjahre.
Eine wichtige Rolle spielt hierbei das Geschlecht der Kinder. Spätestens mit dem dritten
Lebensjahr beginnen Kinder, gleichgeschlechtliche Spielpartner zu bevorzugen; dies wird in
der Fachliteratur als „Peer Segregation“ bezeichnet, also die von den Kindern selbst gewählte
Trennung jeweils gleichgeschlechtlicher Spielgruppen bzw. –konstellationen. Diese
Entwicklung setzt sich verstärkt bis zum Ende der mittleren Kindheit fort. In einer
amerikanischen Längsschnittstudie (Maccoby & Jacklin, 1987) verbrachten viereinhalb
jährige Kinder dreimal so viel Zeit im Spiel mit gleichgeschlechtlichen als mit
gegengeschlechtlichen Kindern. Zwei Jahre später war dieses Verhältnis auf 11:1 angestiegen.
In den Mädchen- bzw. Jungengruppen pflegen die Kinder einen unterschiedlichen
Interaktions- und Spielstil und sie lernen und praktizieren unterschiedliche soziale und
kognitive Fertigkeiten. Jungen unterbrechen einander öfter, gebrauchen mehr Befehle und
Drohungen, verweigern sich häufiger eine Bitte oder Forderung des Anderen und versuchen,
sich gegenseitig zu übertrumpfen. Mädchen im Kontext reiner Mädchengruppen drücken
dagegen häufiger Zustimmung aus zu dem, was die andere gesagt hat, pausieren, um jemand
anderen sprechen zu lassen und greifen das von der anderen Gesagte in ihrem eigenen
Redebeitrag auf. Der von den Jungen bevorzugte Spielstil ist gruppenorientiert, körperbetont
und raumgreifend, der Spielstil von Mädchen dyadisch und ruhiger. Durch diese sich selbst
verstärkenden unterschiedlichen Erfahrungen werden – so nimmt man an – unterschiedliche
Beziehungsformen begünstigt. Die Mädchen erwerben in ihren Peer-Gruppen soziale
Sensitivität und die Wertschätzung und Fähigkeit zu interpersonaler Nähe, wahrend das von
Dominanz- und Wettbewerbsstreben geprägte soziale Milieu der Jungengruppen eher
Selbstbehauptungs- und Durchsetzungsstrategien befördert (vgl. zusammenfassend
Viernickel, 2000).
Es hat gute entwicklungspsychologische Gründe, dass Kinder sich gleichgeschlechtliche
Spielpartner suchen. Die kognitive Entwicklungstheorie betont den Zusammenhang dieser
Wahlen mit der sich entwickelnden Geschlechtsidentität. Kinder wählen gleichgeschlechtliche
Spielpartner, um mehr über das Verhalten zu erfahren, das mit Geschlechtsrollen assoziiert
wird, und auch, weil sie Personen, die ihnen ähnlich sind, als positiv erleben und beurteilen.
Sie setzen sich intensiv mit der eigenen Geschlechtszugehörigkeit auseinander und finden in
den gleichgeschlechtlichen Gruppen Sicherheit und Bestätigung. Es ist also pädagogisch
wenig sinnvoll, die beschriebenen Gruppenkonstellationen durchbrechen zu wollen. Dagegen
zeugt es von pädagogischer Professionalität, sich selbst und sein eigenes Verhalten in Bezug
auf die Vermittlung von Geschlechtsrollenstereotypien kritisch zu hinterfragen und allen
Kindern unabhängig von ihrer Geschlechtszugehörigkeit hinreichend Angebote zu machen,
die verschiedenste Interessen ansprechen und Kompetenzen befördern.
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Erste Freundschaften
Neben der Formation dieser beschriebenen Gruppenkonstellationen gibt es auch bereits in
einem sehr frühen Alter deutliche Hinweise auf recht stabile Spielpartnerpräferenzen, die sich
manchmal zu engen Freundschaften entwickeln. Erzieherinnen und Eltern berichten immer
wieder von engen Beziehungen, die sich zwischen sehr jungen Kindern entwickeln. Die
Forschung bestätigt, dass es bereits im zweiten Lebensjahr Kinder“paare“ gibt, die sich
dadurch auszeichnen, dass die aneinander gerichteten Kontaktinitiativen meist erfolgreich
sind, ihre Interaktionen mit positiven Gefühlsäußerungen einhergehen und in Länge und
Komplexität die Interaktionen anderer Kind-Kind-Dyaden übertreffen. Einige der
Verhaltensdimensionen, wie sie in Freundschaftsbeziehungen älterer Kinder nachgewiesen
wurden, konnten auch schon zwischen Kleinkind-Dyaden beobachtet werden, z.B. sich
gegenseitig Helfen, Intimität suchen bzw. sich von anderen Kindern abgrenzen, Loyalität und
Gleichartigkeit demonstrieren und Besitz mit dem Partner teilen (Whaley & Rubenstein,
1994).
Im Alter von drei Jahren benutzen Kinder bereits den Begriff des Freundes und benennen
bestimmte Kinder als Freunde. Diese Wahlen sind unter Umständen recht stabil. Howes
(1983) konnte zeigen, dass Kinder im Vorschulalter ihre Freundschaften im Mittel ca. zwei
Jahre lang aufrechterhielten. Doch können elaborierte Vorstellungen darüber, was eine
Freundschaft ausmacht, erst von älteren Kindern artikuliert werden und sind u.a. abhängig
von der kindlichen Fähigkeit zur Perspektivenübernahme. Das zentrale Freundschaft
konstituierende Thema in der frühen Kindheit zwischen drei und sechs Jahren ist die
Maximierung von Anregung, Aufregung und Spaß; gemeinsam verbrachte Spielzeit,
gemeinsame Spielthemen und die einseitig eingeforderte „Nettigkeit“ des Anderen sind für
Kinder bis zum Alter von ca. acht Jahren Motive für ihre Freundschaftsbeziehungen (Selman,
1984). Erst später gewinnen Persönlichkeitseigenschaften und ideelle Werte wie Vertrauen
und Intimität an Bedeutung. Auf der Verhaltensebene zeigen sich aber bereits früher
Unterschiede zwischen befreundeten und nicht befreundeten Kindern. Kinder, die sich als
beste Freunde auswählen, schaffen es besonders gut, in sozialen Spielen ihre Emotionen zu
kontrollieren, eigene Handlungsimpulse mit den Bedürfnissen des Spielpartners abzustimmen
und Konflikte nicht eskalieren zu lassen. Es gelingt ihnen, ein Klima gegenseitigen
Einverständnisses und der Solidarität zu schaffen (Gottman, 1983).
Freundschaftsbeziehungen gelten in vielfacher Hinsicht als wichtig für die Sozial- und
Persönlichkeitsentwicklung. Sie stärken das Selbstwertgefühl, bieten Raum für Intimität und
Zuneigung und das Gefühl von Zusammengehörigkeit und einer verlässlichen Allianz.
Freunde widmen einander Hilfe, Unterstützung und Fürsorge (Harring u.a., 2010).
Freundschaften bieten beste Möglichkeiten zum Ausbau sozial kompetenten Verhaltens, weil
zusätzlich zur von James Youniss beschriebenen symmetrischen Reziprozität noch die
gegenseitige Wertschätzung und affektive Bindung dazukommt, was die Bereitschaft zur
Suche nach Lösungen oder Kompromissen noch erhöht. Damit sind sie auch ein Prototyp für
gelingende Beziehungen. In vielen Studien finden sich Belege, dass Kinder mit reziproken
Freundschaften in der Peer-Gruppe besser zurechtkommen. Sie werden z.B. häufiger von
anderen Kindern visuell beachtet und initiieren häufiger Interaktionen; außerdem werden sie
von trainierten Beobachtern als sozial kompetenter eingeschätzt (Vaughn et al., 2000).
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3. Einige Schlussfolgerungen für die pädagogische Arbeit
in Kindertageseinrichtungen
In Peer-Gruppen vollziehen sich - vom Kleinkindalter an - wichtige Entwicklungs- und
Lernprozesse; gleichzeitig sind mit dem Gruppenleben in Kitas aber auch negative
Erfahrungen und Entwicklungsrisiken verbunden. Im Folgenden sollen abschließend noch
einige Hinweise darauf gegeben werden, was pädagogische Fachkräfte konkret tun können,
um positive Peer-Interaktionen und den Aufbau von Beziehungen und Freundschaften
zwischen den Kindern zu fördern.
3.1
Förderliche Rahmenbedingungen schaffen
Bevor sich Kleinkinder gegenseitig entwicklungsanregende Impulse geben können, müssen
sie zu den betreuenden Erwachsenen eine tragfähige Beziehung aufgebaut haben. Dies wird
durch ein generell feinfühliges und kindorientiertes Verhalten, durch eine langsame
Gewöhnung an die neue Umgebung und durch die Gewährleistung einer stabilen
Betreuungssituation (keine Wechsel der Betreuungspersonen) unterstützt. Auch die Gruppe
sollte in ihrer Gesamt-Zusammensetzung auf Kontinuität ausgelegt sein, damit die Kinder
Gelegenheit haben, die anderen Kinder als Sozialpartner in ihren Reaktionsweisen und
Spielvorlieben kennen zu lernen und ein geteiltes Wissen über Interaktionsmuster und –rituale
zu erwerben. Kinder bis zum vierten Lebensjahr sind noch stark auf Einübung und
Wiederholung von ganz spezifischen Situationen und Ritualen angewiesen, um deren
Bedeutung zu erlernen, wiederzuerkennen und adäquate Handlungsbeiträge zu leisten. Die
Chance, dass sich aus Spielkontakten individuelle soziale Beziehungen zwischen
Kleinkindern entwickeln, bietet sich ebenfalls nur auf der Basis regelmäßig gemeinsam
verbrachter Zeit in vertrauter Umgebung (Howes, 1988).
Ideal im Sinne der Anbahnung und positiven Wirkung von Peer-Kontakten wäre, wenn jedem
Kind regelmäßig mindestens drei oder vier altersgleiche oder altersähnliche Kinder sowie
mindestens ein oder zwei Spielpartner desselben Geschlechts zur Verfügung stünden, wobei
es weniger auf das tatsächliche Geburtsdatum als vielmehr auf das Entwicklungsalter
ankommt. Dies ist in altershomogenen Gruppen gut zu realisieren, und ebenso in
altersgemischten Arrangements, sofern zwei Gruppen gut miteinander kooperieren und sich
Kinder auch regelmäßig gruppenübergreifend zusammenfinden können (Riemann &
Wüstenberg, 2004).
Die Räumlichkeiten sollten daraufhin überprüft werden, ob sie so gestaltet sind, dass sie
ungestörte Spielabläufe ermöglichen, Rückzugsmöglichkeiten für zwei oder drei Kinder
sowie Platz zum Rennen, Ballspielen, Verstecken und Jagen bieten. Wenn Tische mit einer
Decke zu Höhlen, Stühle hintereinander gestellt zu Eisenbahnen werden können, unterstützt
das Kleinkind-Kontakte ebenso wie eine sinnvolle Spielzeugauswahl. Kleinere, attraktive
Materialien, auch Bewegungsspielzeuge sollten mehrfach vorhanden sein; besonders
hervorzuheben ist jedoch die Vorliebe für Alltagsmaterialien, insbesondere große, stabile
Elemente wie Verpackungskartons, Plastikwannen, große Papprollen usw. – sie werden in der
Kleinkindgruppe zu wahren „Kommunikationsförderern“ mit hohem Spiel- und
Anregungswert. Für ältere Kinder sind es vor allem vielfältige Rollenspielmaterialien, die die
Kinder dazu animieren, miteinander in komplexe soziale Spielaktivitäten einzutreten. Diese
sollten möglichst nicht nur, wie es leider noch sehr typisch ist, Familien- und
Haushaltsszenarien entlehnt sein (Küchenutensilien, Röcke, Hüte und Schals), sondern auch
Arbeits- und Berufswelten abbilden und Abenteuer- und Heldenspiele usw. ermöglichen.
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3.2 Interaktionen zwischen Kindern anbahnen, moderieren und
erweitern
Interaktionen zwischen Kleinkindern fördern und ihr Entwicklungspotenzial nutzen heißt
zunächst einmal respektvoll damit umzugehen und anzuerkennen, dass diese für Kinder eine
wichtige Bedeutung haben. Leider passiert es recht häufig, dass Erzieherinnen Kind-KindInteraktionen unterbrechen. Oft geschieht das ungewollt, weil sie nicht genau hingesehen
haben und deshalb nicht sensibel dafür sind, was gerade zwischen den Kindern vor sich geht.
Manchmal steckt aber auch Absicht dahinter, weil sie z.B. einen sich vermeintlich
anbahnenden Konflikt vermeiden wollen, aggressives Verhalten unterstellen oder einfach der
gute Wille da ist, schnell zu helfen. Die Kinder können aber nur Erfahrungen miteinander
machen und im Kontakt voneinander lernen, wenn Erwachsene sie auch lassen. Kindern
vermittelt sich durch unser Handeln - oft ganz ohne Worte -, ob wir das, was sie miteinander
tun, für wichtig erachten, und ob wir ihnen die Regelung der eigenen Angelegenheiten
zutrauen. Der erste Schritt besteht also darin, den sozialen Austausch bewusster
wahrzunehmen und nicht vorschnell einzugreifen - also im Zulassen.
Bei jüngeren Kindern ist es zudem sinnvoll, sie in ihrer Wahrnehmung füreinander zu
unterstützen und den sozialen Austausch unter ihnen in alltäglichen Situationen anzuregen.
Hierfür kann man im Alltag unaufdringlich immer wieder Hinweise geben, indem man sich
selbst am Spiel beteiligt, Spielszenen initiiert, auf Tätigkeiten und Entdeckungen von anderen
Kindern aufmerksam macht und Vorschläge für gemeinsame Handlungen entwickelt. Der
Handlungsfluss der Kinder sollte dadurch weder unterbrochen noch dominiert werden. Es
geht darum, gerade so viel Impulse zu setzen, dass ein begonnener Kontakt nicht abbricht
oder eine Spielidee weiter geführt werden kann („Zone nächster Entwicklung“). Marie soll
vom Sandkuchen kosten, aber sie versteht nicht ganz, was Oleg von ihr will? Nehmen Sie
Blickkontakt zu Marie auf, und kosten Sie selbst mit weit geöffnetem Mund und klarer
Gestik. Dann können Sie Oleg nochmals ermuntern: So, nun lass die Marie auch probieren!
Eine solche Form der Begleitung hilft Kindern, der Situation eine gemeinsam geteilte
Bedeutung zu verleihen und ihr Verhalten daran auszurichten. Man muss Kleinkinder nicht
fortwährend und permanent aufeinander aufmerksam machen. Vielmehr gilt es,
Interaktionssituationen, die sich sowieso gerade zwischen den Kleinen anbahnen, als solche
wahrzunehmen und ihnen feinfühlig ein „Gerüst“ oder „Geländer“ anzubieten, damit sie sich
weiter entwickeln können (Viernickel & Stenger 2010).
Ein zentraler Bestandteil des Zusammenlebens in Krippe und Kindertageseinrichtung ist es,
sich durch die Teilhabe an vielfältigen soziokulturellen Aktivitäten als Teil einer sozialen
Gemeinschaft zu erleben, in der soziale Umgangsformen geformt, kulturelle Praktiken erlernt
sowie gesellschaftliche Werte erfahren und gebildet werden. Alltagsrituale mit der gesamten
Gruppe (z.B. Tischsprüche) und fest installierte Gelegenheiten zum Austausch und zur
wechselseitigen Bezugnahme (z.B. im Morgenkreis, im Kinderparlament) sind hierfür von
Bedeutung.
Wichtig ist auch der Umgang mit Konflikten, die etwa in Form von Besitzkonflikten ein
wichtiges Lernfeld sind. Konflikte können nicht als isolierte Geschehnisse betrachtet werden.
Es geschieht häufig, dass ein gemeinsam begonnenes Spiel in einen Konflikt umschlägt oder
sich umgekehrt aus einer konflikthaften Interaktion eine gemeinsame Handlung entwickelt.
Die Kinder erfahren hierbei, dass der Kontakt zu einem anderen Menschen nicht nur zu
verschiedenen Gelegenheiten unterschiedliche Formen haben kann, sondern auch bei ein und
derselben Gelegenheit wechseln kann - und dass sie als Beteiligte an der Form des Kontakts
aktiven Anteil haben. Konflikte und damit die Chance ihrer Lösung gehören somit zum
sozialen Spiel und machen einen Teil ihres Lern- und Anregungswertes aus.
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Es ist eine hohe Kunst herauszufinden, wann genau Unterstützung wichtig wird und die
Konfliktlösung zu moderieren, ohne sie den Kindern aufzuzwingen. Dazu ist es notwendig,
die individuelle innere Logik, die die beteiligten Kinder der Situation geben,
nachzuvollziehen und anzuerkennen. Wenn die Aushandlungskompetenzen der Kinder
erschöpft sind, sollte allerdings rechtzeitig vor einer Eskalation eingegriffen werden. Dabei
hat es sich bewährt, die Gefühle und Bedürfnisse der beteiligten Kinder zu verbalisieren,
ihnen Beruhigung und Trost zu gewähren, beide Sichtweisen einzunehmen und zu vermitteln,
auf eine für alle zufrieden stellende Lösung hinzuarbeiten oder Alternativen anzubieten.
Wichtig ist, nach Beendigung des Konflikts ausdrücklich die positive Beziehung zwischen
den Kindern hervorzuheben.
Schließlich sollten pädagogische Fachkräfte ein Auge auf die individuellen Kompetenzen der
einzelnen Kinder haben, um ihre Spielkontakte und -beziehungen zu gestalten, und auf die
Konstellationen, die sich in ihren Gruppen zusammen finden. Manche Kinder benötigen
Unterstützung, um den „Eingang“ in eine spielende Gruppe zu finden; sei es, weil sie noch
neu sind und die anderen Kinder nicht gut kennen, sei es, weil sie von ihrem Temperament
her eher zurückhaltend sind oder weil sie über keine oder unangemessene Strategien verfügen.
In solchen Fällen ist es sinnvoll, den Kindern Anknüpfungspunkte zu eröffnen, das Anliegen
des Mitspielens gegenüber der Spielgruppe zu verbalisieren oder auch konkrete Vorschläge
zur Weiterführung der Spielideen zu machen. Über Beobachtung und auch mit Hilfe der
Erstellung von Soziogrammen kann Aufschluss darüber gewonnen werden, welche Kinder
sich eventuell in der Rolle der „vernachlässigten“ oder „abgelehnten“ Kinder befinden. Hier
ist besondere Aufmerksamkeit und auch ein abgestimmtes Vorgehen im Team notwendig, um
die Ursachen für die ungünstigen Positionen in der Peer-Gruppe besser zu verstehen und
pädagogisch reagieren zu können.
4. Fazit
Kinder brauchen Kinder, und die Peer-Gruppe hält wichtige Erfahrungs- und
Bildungsmöglichkeiten bereit, die Erwachsene in dieser Form nicht anbieten können. Somit
ist es auch entlastend zu wissen, dass sich Bildung in Kindertageseinrichtungen nicht immer
über die Erzieherinnen und Erzieher vermittelt und sich Bildungsprozesse gar nicht selten
dem Zugriff von Erwachsenen entziehen. Trotzdem gehören Fingerspitzengefühl und
entwicklungspsychologisches wie pädagogisches Fachwissen dazu, um eine Balance
herzustellen zwischen dem Respektieren und Nicht-Einmischen in die Kinderkultur einerseits
und der Gestaltung von förderlichen Bedingungen, manchmal eben auch der aktiven
Regulierung von Peer-Interaktionen und -beziehungen andererseits.
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