le groupe parlementaire europeen

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WTO: VON GENF NACH HONGKONG...
BESSER VERSTEHEN, BESSER REAGIEREN!
DIE FRAKTION
DER VEREINIGTEN EUROPÄISCHEN LINKEN - NORDISCHE
GRÜNE LINKE
Inhaltsverzeichnis
Einführung
Kleines Glossar
1. Die WTO: von Marrakesch nach Hongkong
1.1. Vorgeschichte
1.2. Das Verhandlungsprogramm von Doha
2. Die Landwirtschaftsverhandlung
3. Die Öffnung des Marktes für nichtlandwirtschaftliche Produkte
4. Die Umsetzung des GATS
5. Die anderen Themenbereiche
5.1. Geistige Eigentumsrechte (TRIPS)
5.2. Das Thema Baumwolle
6. Aussichten vor der Ministerkonferenz in Hongkong
6.1. Die WTO-Ministerkonferenzen
6.2. Hongkong : ein weiteres Cancún oder ein Fortschritt des DohaProgramms?
7. Die Position der Fraktion GUE/NGL zu den WTO-Verhandlungen
Einführung
von Francis WURTZ, Vorsitzender der Fraktion GUE/NGL
Hongkong: Besser verstehen, besser reagieren!
Seit Seattle 1999 war die Fraktion der „Vereinigten Europäischen
Linken/Nordische Grüne Linke“ bei allen großen WTO-Zusammenkünften
mit ihrer Kritik an der Globalisierung dabei. Selbstverständlich wird sie
auch bei der WTO-Ministerkonferenz im Dezember in Hongkong anwesend
sein. Um die Vorbereitungen dieser Sitzung aufmerksam zu verfolgen und
um möglichst gut dazu beizutragen, den Europäern zu verdeutlichen, was
auf dem Spiel steht, erschien es uns sinnvoll, vom 17. bis 20. Oktober 2005
nach Genf zu fahren - vor der Konferenz in Hongkong. Dort haben wir
sowohl mit Verantwortlichen der WTO gesprochen als auch mit Vertretern
von Entwicklungsländern, sozialen Bewegungen und wichtigen NRO, die
dort vertreten sind. In dieser Broschüre stellen wir Ihnen die
Zusammenfassung der Schlussfolgerungen vor, die aus all diesen
Konsultationen gezogen wurden. Wenige Wochen vor Hongkong war es uns
wichtig, dass diese Broschüre deutlich erklärt, worum es geht. Sie soll ein
Mitreden der Bürgerinnen und Bürger in einer Debatte ermöglichen, deren
Begrifflichkeiten heute von den europäischen Behörden karikiert werden.
So hat beispielsweise der britische EU-Ratsvorsitz in der Darstellung seiner
„Prioritäten“ bis zum Ende des Jahres keinen Hehl daraus gemacht, dass für
ihn ein Forcieren des Freien Welthandels das Zeichen für seine
Entschlossenheit ist, „für Ergebnisse“ zu arbeiten – was nichts anderes ist
als eine Täuschung: Zehn Jahre WTO haben die Welt nicht gerechter,
sondern ungerechter gemacht. „Die Bedürftigsten sind in der Tat diejenigen,
die am meisten verlieren“, so die richtige Feststellung von Carine Smaller
vom Institute for Agriculture and Trade Policy. Tatsächlich soll mit diesem
Verweis auf „Entwicklung“ (sprich: dank Freihandel) vor allem verhindert
werden, dass die Länder der südlichen Halbkugel, von denen einige viel auf
Export setzen, andere wiederum schlicht und einfach nichts zu verkaufen
haben, gegenüber den Vereinigten Staaten und der Europäischen Union eine
gemeinsame Front bilden. Ziele: Eine erneute Niederlage wie in Seattle und
Cancún soll um jeden Preis vermieden und die Öffnung der viel
versprechendsten
Märkte
für
die
großen
Industrieund
Dienstleistungskonzerne soll endlich erreicht werden.
Die Tragödien von Lampedusa, Ceuta und Melilla haben die europäische
Öffentlichkeit vor Schreck erzittern lassen und die dringende Notwendigkeit
einer umfassenden Neuorientierung der Wirtschaftsbeziehungen zwischen
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der EU und den Ländern des Südens bekräftigt. Statt sich hinter der Suche
nach einem Mächtekompromiss mit den Vereinigten Staaten zu verbergen
würde die EU eine echte Rolle – nämlich die eines neuartigen weltweiten
Akteurs –spielen, wenn sie an einer dauerhaften Allianz mit den Ländern der
südlichen Hemisphäre arbeiten würde, die sich wünschen, dass in den
internationalen Beziehungen andere Regeln entstehen: solidarischere,
demokratischere und verantwortungsvollere Regeln.
Eine solche Allianz führt in meinen Augen keineswegs dazu, dass die
legitimen Interessen der europäischen Völker aufgegeben werden.
Beispielsweise ist es im landwirtschaftlichen Bereich richtig und notwendig,
die echte europäische bäuerliche Landwirtschaft zu verteidigen, das Recht
auf
garantierte
einträgliche
Preise,
den
Grundsatz
der
„Lebensmittelsouveränität“, die Wahrung der „sozialen, ökologischen, und
territorialen Multifunktionalität“ der Landwirtschaft… Bekämpft werden
müssen der Produktivismus, dessen erste Opfer die Bauern selbst sind,
Dumping-Praktiken, die die zerbrechliche Wirtschaft des Südens
destabilisieren und ihre Abhängigkeit noch größer machen; und eine
Liberalisierung um jeden Preis, die nur darauf abzielt, großen
multinationalen Konzernen den Zugang zu Boden, Saatgut, Wasser und zu
den Märkten für Waren und Dienstleistungen zu öffnen!
Unsere Fraktion sieht einen Bedarf sowohl an einer Erweiterung als auch
einer Vertiefung der politischen Debatte darüber, was bei diesem großen,
undurchsichtigen globalen Schachern für die Zukunft unserer Gesellschaften
und der ganzen Welt auf dem Spiel steht. Diese Broschüre möchte genau
dazu einen - wenn auch bescheidenen – Beitrag leisten. Wir haben weder
den Anspruch, alle Fragen zu antworten, noch DIE Wahrheit zu besitzen,
aber wir hoffen, dass wir durch diese Broschüre mithelfen, die Debatte, das
Nachdenken und das konkrete Handeln zu fördern.
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Kleines Glossar
AKP: Länder Afrikas, der Karibik und des Pazifiks.
Biopiraterie: Ein Patent nicht auf eine Erfindung (Beitrag der Kreativität
des Menschen), sondern auf eine Entdeckung (wenn man etwas zu Kenntnis
nimmt, was bereits besteht). Zum Beispiel: die Patentierung einer
Pflanzensorte aufgrund ihrer heilenden oder nahrhaften Eigenschaften, ohne
dass die geringste genetische Veränderung, die ein Patent rechtfertigen
würde, vorgenommen wurde.
Green Box: Stützungsmaßnahmen für die landwirtschaftliche Produktion,
die keine Handelsverzerrungen auslösen und daher ohne Einschränkung
zulässig sind.
Blue Box: .
Orange Box: globale Unterstützungsmaßnahmen für die landwirtschaftliche
Produktion, die als handelsverzerrend gelten und daher zu den
Reduzierungsverpflichtungen gehören.
Spitzenzölle: relative hohe Zölle auf „sensible“ Produkte, die gewöhnlich in
einem Kontext angewendet werden, in dem die Zölle niedrig sind.
FIPs, (“Five Interested Parties”): die Fünfergruppe von Ländern, die vom
Thema Landwirtschaft betroffen sind: eine von der EU, den USA und
Australien geleitete Gruppe, die Indien und Brasilien von den Bündnissen
ablenken soll, denen diese beiden Länder ebenfalls angehören.
G10: Eine Gruppe von 10 Ländern, die Nettoimporteure von
Agrarerzeugnissen sind: Bulgarien, Korea, Island, Israel, Japan,
Liechtenstein, Mauritius, Norwegen, Schweiz und Taiwan.
G20: Ursprünglich eine Gruppe von 20 Ländern, die sich vor der Konferenz
von Cancún zusammengeschlossen haben, um zu verhindern, dass eine
vorab zwischen der EU und den USA getroffene, die Interessen dieser 20
Länder völlig falsch einschätzende Einigung in der WTO zur Regel wird,
und um einen Spielraum für eine Agrarverhandlung zu behalten, die die
Anliegen dieser Länder berücksichtigt: Südafrika, Argentinien, Bolivien,
Brasilien, Chile, China, Kuba, Ägypten, Indien, Indonesien, Mexiko,
Nigeria, Pakistan, Paraguay, Philippinen, Tansania, Thailand, Venezuela,
Simbabwe. Auf Druck der USA hat sich Guatemala aus dieser Gruppe
zurückgezogen. Brasilien und Indien gelten als führend in dieser Gruppe,
der insbesondere Schwellenländer angehören.
G33: eine Gruppe, der bei ihrer Gründung 33 Länder angehörten, heute 42.
Die G33 sind Entwicklungsländer, deren Anliegen insbesondere die
Auswirkung der Liberalisierung auf Kleinbauern ist: Antigua und Barbuda,
Barbados, Belize, Benin, Botswana, China, Kongo, Südkorea,
Elfenbeinküste, Kuba, Dominikanische Republik, Granada, Guayana, Haiti,
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Honduras, Indien, Indonesien, Jamaika, Kenia, Madagaskar, Mauritius,
Mongolei, Mosambik, Nicaragua, Nigeria, Pakistan, Panama, Peru,
Philippinen, St. Kitts und Nevis, St. Lucia, St. Vincent und Grenadinen,
Senegal, Sri Lanka, Surinam, Tansania, Trinidad und Tobago, Türkei,
Uganda, Venezuela, Sambia, Simbabwe. Diese Länder sind besonders
besorgt, dass man die Besonderheit ihrer jeweiligen Lage berücksichtigt und
widersetzen sich gegen jegliche lineare Formel.
G90: G90: Diese Gruppe umfasst die AKP-Staaten, die LDCs (Least
Developed Countries) und die Länder der Afrikanischen Union. Sie bemüht
sich, die Punkte hervorzuheben, die diesen drei Gruppen gemeinsam sind,
und diese zu fördern. Sie will die in den Abkommen von Marrakesch
vorgesehene Flexibilität schützen, insbesondere die gesonderte und
präferenzierte Behandlung.
Cairns-Gruppe: Länder, die Agrarerzeugnisse exportieren, die weder
interne Beihilfen, noch Ausfuhrsubventionen gewähren: Südafrika,
Argentinien, Australien, Bolivien, Brasilien, Kanada, Chile, Kolumbien,
Costa Rica, Fidschi-Inseln, Guatemala, Indonesien, Malaysia, Neuseeland,
Paraguay, Philippinen, Thailand, Uruguay.
LDC-Länder: Least Developed Countries, die am wenigsten entwickelten
Länder. Dies sind nach einer Klassifikation des Entwicklungsprogramms der
Vereinten Nationen (PNUD) die ärmsten Länder der Welt.
1. Die WTO: von Marrakesch nach Hongkong
1.1. Vorgeschichte
- Im Jahre 1994 wird das „Abkommen von Marrakesch“ von 123
Regierungen unterzeichnet. Sie heben die WTO, die Nachfolgeorganisation
des GATT, aus der Taufe, die mit umfassender Macht ausgestattet wird, was
sie zur einflussreichsten internationalen Institution der Welt macht. Das
Abkommen enthält auf einigen Gebieten (Landwirtschaft, geistige
Eigentumsrechte, Dienstleistungen…) Bestimmungen, die nur indirekt mit
dem Handel zu tun haben, die der WTO aber die Möglichkeit geben, in alle
Bereiche des täglichen Lebens einzugreifen. Nach dem Willen der
westlichen Regierungen ist die neoliberale Globalisierung von nun an im
Gange.
- Nach seiner Ratifizierung durch die nationalen Parlamente tritt im Jahre
1995 das „Abkommen von Marrakesch“ in Kraft.
- Im Jahre 1996 verlangen die Industrieländer die Eröffnung einer neuen
Verhandlungsrunde zur Liberalisierung der Praktiken bei Investitionen, im
öffentlichen
Auftragswesen,
im
Wettbewerb
und
für
Handelserleichterungen. Auf der WTO-Ministerkonferenz in Singapur sind
die Entwicklungsländer gegen diese Forderung.
5
- 1999 wollen die reichen Länder eine äußerst ehrgeizige
Verhandlungsrunde
einführen,
die
„Jahrtausendrunde“.
Die
Entwicklungsländer lehnen dies auf der WTO-Ministerkonferenz in Seattle
ab. Die Zusage, die Auswirkung der Ergebnisse des Abkommens von
Marrakesch auf die am wenigsten entwickelten Länder und die
Entwicklungsländer zu untersuchen, wird nicht eingehalten.
- Auf der WTO-Ministerkonferenz in Doha 2001 setzen die Industrieländer
gegen die WTO-Regeln verstoßende Praktiken ein und nutzen dabei den
Zusammenhang nach dem 11. September aus; es gelingt ihnen, den Beginn
einer Verhandlungsrunde durchzusetzen, die sie „die Doha-EntwicklungsAgenda“ nennen. Dieses Programm enthält insbesondere die in Singapur
abgelehnten Themen. Mehr denn je erscheint die WTO als eine Institution,
in der die Machtverhältnisse Vorrang haben vor Rechtsnormen.
Von 2001 bis 2003 sind die Verhandlungen des Doha-Programms in allen
Themen blockiert: bei den Themen, die die Entwicklungsländer
interessieren, weil die reichen Länder nicht akzeptieren, den Erwartungen
des Südens zu entsprechen, und bei denen, die die reichen Länder
interessieren, weil die Entwicklungsländer sich dem Protektionismus des
Nordens widersetzen.
- Im Jahre 2003 wird keine Blockade ausgeräumt, die Ministerkonferenz
von Cancún scheitert.
- Nachdem sie die Entwicklungsländer erfolgreich gespalten haben, gelingt
den reichen Ländern im Juli 2004 bei einer Sitzung des Allgemeinen Rates
der WTO (der Instanz, der die Botschafter der Mitgliedstaaten angehören
und die eine Befugnis hat, die der Ministerkonferenz entspricht; an diesem
Gremium können die Minister teilnehmen, wenn sie es wünschen), ein
Abkommen über einen Rahmen für die Wiederbelebung der Verhandlungen.
Dieses so genannte „Juli-Rahmenankommen“ betrifft hauptsächlich vier
Themen: die Landwirtschaft, die nichtlandwirtschaftlichen Güter (NAMA),
die Dienstleistungen sowie Fragen der Entwicklung. Das Ziel besteht darin,
innerhalb eines Jahres ein Abkommen zu erreichen, das „dem nahe kommt",
was bei diesen vier Themen erforderlich ist.
- Im Juli 2005 wird dieses Abkommen nicht erreicht, weil die westlichen
Forderungen nicht durch ausreichend umfangreiche Anstrengungen
ausgeglichen werden, die günstig für die Entwicklungsländer wären.
1.2.
Das
Verhandlungsprogramm
„Entwicklungsrunde"?
von
Doha
Am 14. November 2001 hat die Ministerkonferenz sechs Texte
angenommen:
- eine Ministererklärung mit einem Verhandlungsprogramm zu 21 Themen;
6
- eine Erklärung über das Abkommen über die Rechte an geistigem
Eigentum und das öffentliche Gesundheitswesen, die die Frage des Zugangs
zu Medikamenten behandelt;
- eine Reihe von Entscheidungen bezüglich 14 Punkte zur Umsetzung der
bestehenden Abkommen;
- ein Dokument über bestimmte Verlängerungen, die im Abkommen über
die Subventionen vorgesehen sind;
- eine Freistellung für die Länder der Europäischen Union und der AfrikaKaribik-Pazifik-Gruppe für bestimmte im Widerspruch zu den WTO-Regeln
stehende Zollbestimmungen, die im Cotonou-Abkommen zwischen der
Europäischen Union und den AKP-Staaten enthalten sind;
- eine Ausnahme bezüglich der geltenden Übergangsregelung der
Europäischen Union für die Einfuhr von Bananen.
Seit vier Jahren ist jedes dieser Dokumente die Basis für die Verhandlungen,
die alle das gleiche Ziel verfolgen: Die Stärkung des Freihandels durch ein
Durchsetzen der Öffnung der Märkte. Abgesehen von den Rechten an
geistigem Eigentum, bei denen die reichen Länder dominieren (97% der
Patente werden in den westlichen Ländern angemeldet) und
protektionistische Regeln auferlegen, ist die Technik jeweils die selbe:
Deregulierung. Es kann nicht genug betont werden, dass die WTO entgegen der herrschenden Meinung - den weltweiten Handel nicht
reguliert, sondern die Aktivitäten der nationalen, regionalen und lokalen
öffentlichen Hand dereguliert.
Die Erklärung stärkt den Glauben an die Tugenden eines absoluten
Freihandels - ein echtes Dogma, dessen Umsetzung automatisch zu
Wachstum und Entwicklung führen soll. Bezüglich der Bekämpfung der
Armut - seit kurzem eine Art Gebetsmühle der Institutionen (Weltbank,
internationaler Währungsfonds und WTO) - die doch am meisten zur
Zunahme dieser Armut beigetragen haben, folgen dann lyrische
Formulierungen. Im Text heißt es: „Die meisten Mitglieder der WTO sind
Entwicklungsländer. Wir zielen darauf ab, ihre Bedürfnisse und ihre
Interessen ins Zentrum des Arbeitsprogramms zu stellen, das in der
vorliegenden Erklärung verabschiedet wurde.“
Wer wird vom Programm von Doha profitieren?
„Wird das Abkommen in erster Linie den Entwicklungsländer zugute
kommen?
William Cline vom Institute for International Economics, einem
wichtigen amerikanischen Think Tank, schätzt den Anteil der
Entwicklungsländer am Gesamtgewinn aufgrund der Liberalisierung
auf 20%, den der reichen Ländern hingegen auf 80%.“
Le Monde, 18. Oktober 2005.
7
Die wichtigsten Punkte des Verhandlungsprogramms
1. Landwirtschaft: Das Abkommen über die Landwirtschaft ist unbestritten
das symbolträchtigste aller WTO-Abkommen. An ihm werden die
Ungleichheit, die Unausgewogenheit und die Schädlichkeit dieser
Abkommen am deutlichsten sichtbar. Es erlegt der Mehrheit der
Weltbevölkerung Vorschriften auf, von denen sich die reichen Länder
befreit haben. Es sorgt im ländlichen Raum der reichen Länder für ein
agroindustrielles Modell, dessen „Leistungen“ bei der Vernichtung
landwirtschaftlicher Betriebe, der Abschaffung von Arbeitsplätzen, der
Verschlechterung der Umweltsituation und der Gesundheitsgefährdung
außergewöhnlich sind. Dieses Abkommen ist die Negation der bäuerlichen
Landwirtschaft an sich als Idee der nachhaltigen Bewirtschaftung. Dabei ist
diese unbedingt erforderlich, um nachfolgenden Generationen eine Welt zu
hinterlassen, die mindestens ebenso lebenswert wie die Welt ist, die wir
geerbt haben. Es ist das Ergebnis eines Kompromisses zwischen den beiden
wirtschaftlichen Supermächten – der Europäischen Union und den
Vereinigten Staaten – und wurde dem Rest der Welt von diesen
aufgezwungen. Zielsetzung dieses Abkommens über die Landwirtschaft ist
es nicht, eine allen Völkern zugängliche, ausreichende und hochwertige
Versorgung zu gewährleisten und dabei noch für ein annehmbares
Einkommen der Landwirte zu sorgen. Das Ziel ist es noch weniger, die
Nahrungsmittelsouveränität zu gewährleisten, also das Recht eines jeden
Volkes auf freie Wahl des Nahrungsmittelzugangs einschließlich der
Möglichkeit zu wählen, welchen Importen es zustimmt und welche es
ablehnt. Ziel ist die Maximierung des Nahrungsgüterhandels zum
ausschließlichen Profit der Agroindustrie. Man wird verstehen, dass die
Entwicklungsländer diesem Abkommen über die Landwirtschaft einen
wachsenden Widerstand entgegensetzen werden, denn sie sind es, die in
immer stärkerem Maße dem Verkauf landwirtschaftlicher Produkte aus
Europa oder den Vereinigten Staaten auf ihren Märkten ausgesetzt sind, und
dies zu Preisen, die unter denen für den örtlichen Reis oder den örtlichen
Weizen liegen. Auf ihren Druck hin haben sich die Minister in Doha
verpflichtet, „ohne die Verhandlungsergebnisse vorwegnehmen zu wollen,
(...) globale Verhandlungen mit dem Ziel substanzieller Verbesserungen
beim Marktzugang, der Verringerung aller Arten von Exportsubventionen
im Hinblick auf ihre schrittweise Rücknahme und wesentlicher
Verringerungen innerer Beihilfen, die eine Handelsverzerrung bewirken.
Wir kommen überein, dass die Sonder- und Vorzugsbehandlung der
Entwicklungsländer Bestandteil aller Verhandlungen sein wird und in die
Liste der Zugeständnisse und Verpflichtungen aufgenommen wird ..." Ein
Datum war für die Umsetzung dieser Absichten vorgeschlagen worden,
wurde aber auf Intervention der Europäischen Union gestrichen und durch
die Formel „vorbehaltlich des Ergebnisses der Verhandlungen" ersetzt. Das
Programm von Doha sah vor, dass die Modalitäten für die neuen
Verpflichtungen bis zum 31. März 2003 festgelegt werden sollten. Bis zu
diesem Zeitpunkt wurde kein Abkommen getroffen.
8
„Es wird oft vergessen, dass die Europäische Union als weltgrößter
Exporteur weiterverarbeiteter landwirtschaftlicher Erzeugnisse in
hohem Maße offensive Interessen verfolgt.“
Carlos Troyan, Botschafter der Europäischen Union, Genf, den 26.
Mai 2005
2. GATS. Die Umsetzung des Allgemeinen Abkommens über den Handel
mit Dienstleistungen (General Agreement on Trade in Services) ist
Gegenstand einer ganzen Reihe aufeinander folgender Verhandlungen.
Einer dieser Verhandlungsabschnitte begann im Februar 2000 und soll mit
der in Doha eröffneten Verhandlungsrunde beendet werden. Die
Europäische Union vertrat durch den damaligen Kommissar für Handel,
Pascal Lamy, den Standpunkt, dass die Benennung der Staaten, die ihren
Dienstleistungssektor zu liberalisieren haben, viel zu wenig war.
Andererseits ließ er keine Gelegenheit ungenutzt zu erklären, dass kein Staat
verpflichtet sei, gegen seinen Willen eine Dienstleistungstätigkeit zu
liberalisieren. Gestärkt durch das weit reichende Mandat, das ihm die
europäischen Regierungen übertragen hatten, erreichte Pascal Lamy eine
Modifizierung der Anwendungsvorschriften für das GATS. Die Konferenz
von Doha entschied, dass jedes Land jedem anderen Land eine Liste mit den
Dienstleistungen übermitteln soll, die es in einen Liberalisierungsprozess
eingebunden sehen möchte (die so genannten „Forderungen“, engl.:
„requests“). Ebenso soll jede Regierung eine Liste mit den Dienstleistungen,
die sie zu liberalisieren gedenkt, die so genannten „Angebote“, an die
anderen Staaten übermitteln.
3. Abkommen über die Rechte an geistigem Eigentum (TRIPS = TradeRelated Aspects of Intellectual Property Rights): Diese ausgeklügelte
Form des Eigentumsrechtes steht im Gegensatz zur Anwendung zweier
Grundrechte: des Rechts auf Gesundheit und des Rechts der Völker auf
Selbstbestimmung über ihre natürlichen Ressourcen, also von Rechten, die
in internationalen Instrumenten verankert sind und die von allen Staaten
verabschiedet und ratifiziert wurden. Hinsichtlich des Rechts auf Gesundheit
und seiner Anwendung durch das Recht auf Zugang zur Grundversorgung
mit Medikamenten wurde infolge der Bemühungen der in diesem Kampf
geschlossen auftretenden Entwicklungsländer eine abweichende Erklärung
zu dieser, wie sie zu Recht bezeichnet wird, „Frage von Leben und Tod“
verabschiedet. Die Erklärung von Doha stellt die Auswirkungen des
Patentrechts auf die Medikamentenpreise fest. Der Text von Doha über
„TRIPS und die öffentliche Gesundheit“ stellt einen bemerkenswerten
politischen Fortschritt dar, aber er findet keine juristische Anwendung. Die
durch die Patente bei der öffentlichen Gesundheit und der Bekämpfung von
Epidemien verursachten Probleme wurden benannt und anerkannt. Die
Staaten haben ihren Willen bekundet, dass die Anwendung des TRIPSAbkommens nicht dem Recht der WTO-Mitgliedsstaaten zuwiderlaufen
soll, geeignete Maßnahmen zur Gewährleistung des Zugangs zur
Grundversorgung mit Medikamenten zu ergreifen. Sie haben das
Moratorium über das In-Kraft-Treten des TRIPS für die am wenigsten
entwickelten Länder um zehn Jahre verlängert. Aber sie haben abgelehnt,
9
Verpflichtungen einzugehen oder zwingende Entscheidungen zu treffen. Sie
verwiesen die Frage des Imports generischer Medikamente auf andere
Verhandlungen, die im August 2003 zu einem zeitlich beschränkten
Abkommen führten (siehe unten, Kapitel 5, andere Themenbereiche).
Hinsichtlich des Rechts der Völker auf Selbstbestimmung über ihre
natürlichen Ressourcen und der Bekämpfung der Biopiraterie und der
Patentierung von Leben gibt die Erklärung die Anweisung, „das Verhältnis
zwischen dem TRIPS-Abkommen und der Konvention über die biologische
Diversität, den Schutz traditionellen Wissens, der Folklore und anderer
neuer Entwicklungen" zu prüfen. Auch wenn diese Formulierung nicht, wie
von den Entwicklungsländern gefordert, den Weg für eine Neuverhandlung
des TRIPS-Abkommens frei macht, so wird damit auch nicht der Diskussion
ein Ende gesetzt, wie es die Europäische Union gefordert hat.
4. Marktzugang für nichtlandwirtschaftliche Produkte (Thema besser
bekannt unter der englischen Abkürzung NAMA). Der Beschluss, diese
Frage zu verhandeln, wurde ohne die ausdrückliche Zustimmung der
Entwicklungsländer gefasst. Hinter der Formulierung der Überschrift
verbirgt sich der Wunsch, industriellen Gütern aus den reichen Ländern
einen Zugang auf die Märkte des Rests der Welt zu ermöglichen, und dies
ohne tarifäre Schranken oder Vorschriften. Eine solche Marktöffnung wird
zu einem unmittelbaren Wettbewerb zu gleichen Bedingungen zwischen den
Unternehmen der reichen Länder und denen der Entwicklungsländer führen.
Das Ergebnis dieses Wettbewerbes ist schon im Voraus absehbar. Das
Programm von Doha bezieht alle Themenbereiche in die Verhandlungen mit
ein: Verringerung und sogar Abschaffung der Zölle, der Höchstgrenzen für
Zölle sowie nichttarifärer Handelsmaßnahmen (Gesetze und Verordnungen).
Im Text heißt es: „Die Palette der verhandelten Produkte ist vollständig und
a priori ohne Ausnahme.“ Da die Mehrzahl der Entwicklungsländer ihre
Kontrollmaßnahmen für Direktimporte abgeschafft hat (nur die reichen
Länder haben ihre Maßnahmen erhalten), verbleiben diesen Ländern
praktisch nur noch die Zolltarife als Schutzinstrument für ihren industriellen
Sektor. Mehrere Studien haben bewiesen, dass eine rasche Verringerung der
Zölle auf industrielle Güter sehr negative Auswirkungen auf die industrielle
Entwicklung mehrerer afrikanischer Länder hätte.
5. Investition, Wettbewerb, öffentliches Beschaffungswesen und
Handelserleichterung. Seit dem Jahr 1999 hat die Europäische Union
infolge des Scheiterns des bei der OECD ausgehandelten multilateralen
Abkommens über Investitionen (AMI) zahllose Anstrengungen
unternommen, um diese vier schon in Singapur vorgeschlagenen und daher
„Singapur-Themen“
genannten
Punkte
in
eine
multilaterale
Verhandlungsrunde einzubringen. Sie hat keinen Versuch unterlassen, diese
Themen in das Verhandlungsprogramm von Doha aufnehmen zu lassen. In
den beiden Jahren nach der Doha-Konferenz war ein regelrechter Kampf
zwischen den Ländern des Südens und der Europäischen Union über diese
Themen zu beobachten. In Cancún war die uneinsichtige Haltung der
Europäer in diesen Fragen eine der Ursachen für das Scheitern der
Konferenz.
10
6. Regeln: Verschiedene Abkommen der WTO übertragen dieser die
Aufgabe, „Disziplinen“ auszuarbeiten. Hinter diesem Begriff verbergen sich
Listen von durch die Staaten verabschiedeten Gesetzen und Verordnungen,
die als Handelshemmnisse angesehen werden. Die Ausarbeitung von
„Disziplinen“ ist somit ein wichtiger Schritt. Er ermöglicht weit reichende
Eingriffe in die Politik der Einzelstaaten. Zu den anvisierten Praktiken
zählen die Subventionen und die Anti-Dumping-Bestimmungen (Verkauf
eines Produktes im Ausland zu einem billigeren Preis als auf dem nationalen
Markt). Zudem fordert die Minister-Erklärung, dass diese Verhandlungen
den Subventionen im Bereich Fischfang eine besondere Aufmerksamkeit
zukommen lassen. Das Programm von Doha sieht Verhandlungen mit dem
Ziel einer Klärung und Verbesserung der „Disziplinen“ in den Bereichen
Subventionen und Anti-Dumping-Bestimmungen vor. Diese wurden von der
Mehrzahl der Entwicklungsländer oft als Beispiele für die Ungerechtigkeit
und die Unausgewogenheit der WTO-Abkommen ins Feld geführt. Die
Verhandlungen über die Anti-Dumping-Bestimmungen haben kaum
Fortschritte erzielt. Die der WTO von den reichen Ländern aufgedrängte
Definition von Dumping ist die Grundlage eines echten Betruges: Als
Dumping werden Exportsubventionen bezeichnet, aber nicht die internen
Subventionen, mit denen die nationalen Preise gesenkt und dann Exporte zu
Preisen unter den Herstellungskosten ermöglicht werden.
7. Regionale und bilaterale Handelsabkommen: Eine Abschwächung der
multilateralen Abkommen durch diese Abkommen soll verhindert werden.
Die Befürchtung der reichen Länder ist, dass solche Abkommen die
Tragweite der WTO-Abkommen einschränken, indem eine Definition von
Handel beschlossen wird, die näher an der des GATT-Abkommens liegt als
die außerordentlich weite Auslegung der WTO. Dagegen verlangen die
Entwicklungsländer auf dieser Ebene eine Flexibilisierung. Die zwischen
Entwicklungsländern getroffenen regionalen Handelsabkommen müssen
ihrer Meinung nach einen exakten Rahmen vorgeben, der ihnen die
Verwaltung der einzelnen Schritte und ihre Kontrolle ermöglicht.
8. GATT 1994: Es geht um Abkommen, die im Rahmen des früheren
GATT bis 1994 vereinbart wurden. Die Verhandlungen müssen die
Umsetzung bestehender Bestimmungen insbesondere im Bereich
Subventionen (z. B. Fischfang) sowie die Verfahren und die Disziplinen
hinsichtlich der regionalen Handelsabkommen einschließen. Es wird kein
Abkommen getroffen.
9. Umweltschutz: Die Verhandlungen betreffen das Verhältnis zwischen
den WTO-Regeln und den multilateralen Umweltschutzabkommen (MEA).
Sie werden jedoch für die Länder, die diese Abkommen nicht unterzeichnen,
nicht bindend sein. Die USA können also nach freien Stücken handeln und
anderen Ländern die Regeln aufzwingen, die sie für sich selbst ablehnen.
Schlimmer noch ist, dass die Formulierung dieser Bestimmung einen
stillschweigenden Vorrang der WTO-Regeln vor allen anderen Regeln des
internationalen Rechts und eine Aufforderung zum Nichtbeitritt zu den
11
Umweltschutzabkommen ausdrückt. Die Erklärung kündigt auch an, dass
die Verhandlungen zum Thema Umweltschutz „die Verringerung oder
Abschaffung tarifärer und nichttarifärer Handelshemmnisse für
Umweltgüter und -dienstleistungen" einschließen werden. Der Weg für die
Privatisierung
öffentlicher
Umweltdienstleistungen
(Wasser,
Energieversorgung, Abfallbeseitigung usw.) ist geebnet. Dagegen wird das
Thema Vorschriften für die Etikettierung zu Umweltschutzzwecken an eine
Arbeitsgruppe verwiesen. Das vorrangige Thema der nachhaltigen
Entwicklung scheint der Ausweitung des Freihandels keine Grenzen zu
setzen.
10. Umsetzung. Hierbei geht es genau genommen nicht um Verhandlungen
zu neuen Themenbereichen, sondern um die Anwendungsbestimmungen der
bereits bestehenden Abkommen. Diese Forderung wurde geschlossen von
den Entwicklungsländern vorgebracht, die es gerne gesehen hätten, wenn
die Arbeiten zur Umsetzung der Abkommen von Marrakesch und ihre
Auswirkungen möglicherweise eine Überarbeitung der bestehenden
Abkommen nach sich gezogen hätten. Dies wurde nicht erreicht.
11. Sonder- und Vorzugsbehandlung (SDT = Special and Differential
Treatment): Hier geht es um einen Komplex von Bestimmungen, die in
verschiedenen WTO-Abkommen verankert sind und die die Notwendigkeit
vorbringen, die Besonderheiten der Entwicklungsländer zu berücksichtigen.
Diese Bestimmungen sind bis heute nur Absichtserklärungen geblieben. Ihre
Umsetzung war niemals vorrangige Sorge der reichen Länder. Daher haben
die Entwicklungsländer das In-Kraft-Treten dieser Bestimmungen mit der
Umsetzung der bereits bestehenden Abkommen verbunden. Vor Doha haben
sie zwei Dokumente vorgelegt, in denen sie eine ganze Reihe von konkreten
Vorschlägen machen und fordern, dass diese verhandelt werden, bevor über
irgendwelche neuen Themen verhandelt wird. In Doha haben die
Industrieländer Verhandlungen über diese Bestimmungen zugestimmt, um
die grundsätzliche Einwilligung der Entwicklungsländer für eine neue
Verhandlungsrunde zu erhalten. Trotz guter, von den reichen Ländern
angekündigter Absichten wurde kein Abkommen erzielt. Nach neuerlichen
Versuchen wurden die offiziellen Verhandlungen ausgesetzt.
12. Reform des Ausschusses für die Schlichtung von Streitigkeiten (DSB
= Dispute Settlement Body). Hierbei geht es um die der WTO übertragene
Rechtsprechungsbefugnis. Ein Staat kann gegen einen anderen Staat, der
eine WTO-Regel nicht einhält, Klage erheben, wobei einzig Fragen des
Handelswettbewerbes Berücksichtigung finden. Von einem Land zum
Schutz der öffentlichen Gesundheit oder der Umwelt (z. B. Verbot von
hormonbehandeltem Rindfleisch oder Verbot genetisch veränderter
Organismen (GVO)) oder zur Begünstigung eines Rechtsstatus ergriffene
Maßnahmen (z. B. Monopol der öffentlichen Hand bei der
Wasserversorgung) werden als protektionistisch und als Einschränkung der
Handelsfreiheit angesehen. Die Richter in der ersten Instanz sind keine
12
ordentlichen Richter, sondern von Fall zu Fall ernannte „Fachleute“. Die
Sitzungen sind nicht öffentlich. Fundamentale Rechtsgrundsätze hinsichtlich
der Unabhängigkeit von Gerichtsverfahren (Unabsetzbarkeit der Richter,
öffentliche Verfahren) werden somit lächerlich gemacht. Mit dem Vorschlag
zur Reform des DSB kündigt das Programm von Doha die einzige
Verhandlung über ein bestehendes Abkommen und über die Arbeitsweise
der WTO an. Im Unterschied zu den anderen Themen der neuen
Verhandlungsrunde hätten diese Verhandlungen im Mai 2003 abgeschlossen
werden sollen. Es kam zu keinem Ergebnis, obwohl dieses „Gericht“ der
WTO – auch bei den Verfechtern des Neoliberalismus – große Kritik
hervorruft.
Es wird klar, dass das Programm von Doha durch einen Katalog von
genauen Vorschlägen, die den Erwartungen der reichen Länder entsprechen,
und durch allgemeine Absichtserklärungen gekennzeichnet ist, in denen
keine Rede von der Eröffnung von Verhandlungen über von den
Entwicklungsländern vorgebrachte Themenbereiche ist. Dies erklärt, warum
in den zwei Jahren nach der Doha-Konferenz keinerlei Fortschritte bei den
Verhandlungen erzielt und in der Folge auf der Ministerkonferenz von
Cancún keine neuen Beschlüsse gefasst wurden. Getauft als „Doha-Agenda
für Entwicklung“ kündigt dieses Programm alles an, nur keine
Entwicklungspolitik.
Verhandlungen zugunsten von Entwicklungspolitik?
„Alle unsere Länder werden die beträchtlichsten Gewinne durch einen
besseren Marktzugang bei Dienstleistungen und industriellen Gütern
erzielen (...) die Gewinne für Europa werden gewaltig sein.“
Peter Mandelson, EU-Kommissar, Le Monde, 18. Oktober 2005
2. Landwirtschaftsverhandlungen: Lagebeschreibung
Seit Cancún ist in dieses Thema ein wenig Bewegung gekommen. Die
Verhandlungen umfassen drei „Säulen“: die Exportsubventionen, die
inneren Beihilfen und den Marktzugang, sprich die Höhe der Zölle und der
Importquoten.
- Exportsubventionen: Entgegenkommen und Blockadehaltung
13
-- Die EU hat sich verpflichtet, für die Beendigung des schrittweisen
Abbaus der Exportsubventionen ein glaubhaftes Datum zu nennen; weitere
Verpflichtungen werden hinsichtlich der Exportkredite erwartet. Bei den
staatlichen Handelsunternehmen und der Nahrungsmittelhilfe bleibt sie
jedoch bei ihrer Blockadehaltung.
-- Die USA nehmen beim Thema Kommerzialisierung der
Nahrungsmittelhilfe weiterhin eine Blockadehaltung ein.
- Innere Beihilfen: totale Blockadehaltung
-- Orange box: EU, USA und Japan verschleppen jeweils auf ihre eigene Art
und Weise Verhandlungen über die Verringerung ihrer Beihilfen.
-- Blue box: EU und USA sperren sich gegen Gespräche über die
vereinbarte Ausweitung der Bewilligungskriterien für diese Art von
Beihilfen.
-- Green box: allseitige Blockadehaltung; eine Verschärfung der Kriterien
zur Vermeidung von Beihilfen, die nicht den durch diese Box vorgesehenen
Bestimmungen entsprechen, hat aus unterschiedlichen Beweggründen
identische Reaktionen zur Folge: EU und USA lehnen dies zur Bewahrung
ihrer derzeit geleisteten Beihilfen ab; die Entwicklungsländer möchten einen
bestimmten Bestand zur Unterstützung ihrer unterschiedlichen
Landwirtschaftssektoren erhalten.
- Marktzugang: teilweises Entgegenkommen
-- Die G20 haben eine Formel für die Verringerung der Zolltarife und der
Quoten zur Begrenzung der Importhöhe vorgelegt. Diese Formel wurde als
zukünftige Gesprächsgrundlage angenommen. Sie liegt zwischen der von
der EU und den G10 vertretenen und der von den USA, Neuseeland und
Australien vorgeschlagenen Formel.
-- Die G33 haben eine Liste mit speziellen Produkten und Konsumgütern
vorgelegt, die von einer bedeutenden Verringerung der Zolltarife
ausgenommen werden sollen. Ebenso haben sie einen besonderen
Schutzmechanismus vorgeschlagen, der den Ländern dieser Gruppe eine
Anhebung der Zolltarife zum Schutz gegen Dumpingpreise ermöglichen
soll. Die G33 wurden aufgefordert, Kriterien für die Auswahl dieser
speziellen Produkte unter Bezugnahme auf die Nahrungsmittelsicherheit und
die Entwicklung des ländlichen Raumes vorzulegen.
3. Die Öffnung des Marktes für nichtlandwirtschaftliche
Produkte
Die Verhandlungen über den Zugang zum Markt nichtlandwirtschaftlicher
Produkte drehen sich um eine Formel für die Verringerung der Zolltarife.
Eine überwältigende Mehrheit der Entwicklungsländer, die einer
Verhandlung dieser Frage in Cancún starken Widerstand entgegengesetzt
hatten, war jetzt gezwungen, an einem Konsens über die Anwendung einer
Verringerungsformel mitzuwirken. Denn die Industrieländer und einige
Schwellenländer haben die Gespräche trotz des fehlenden und laut den
WTO-Regeln erforderlichen Konsens fortgesetzt.
14
Die Formel, die die Industrieländer durchsetzen wollen, würde auf alle
Produkte angewandt und würde die höchsten Zolltarife in stärkerem Maße
verringern als die niedrigsten. Diese Formel würde die Entwicklungsländer,
die höhere Zolltarife als die Industrieländer beibehalten haben und die
daraus beträchtliche Mittel schöpfen, benachteiligen. Abweichende Formeln
mit von Fall zu Fall unterschiedlichen Koeffizienten wurden vorgeschlagen.
Alle Gespräche haben seitdem diese Koeffizienten zum Inhalt. Indessen
gestalten sich die Verhandlungen durch Vorschläge zur Abschaffung
„nichttarifärer Handelshemmnisse“, also dem Verbot einiger, den
Marktzugang erschwerender einzelstaatlicher Vorschriften, schwieriger.
Die G90 haben klargestellt, dass die Beschlüsse vom Juli 2004 hinsichtlich
der Marktöffnung für industrielle Güter nicht mit dem im Programm von
Doha festgeschriebenen Grundsatz vereinbar sind. Diese befreien die
Entwicklungsländer von der Verpflichtung, ihre Märkte im gleichen Maße
wie die Industrieländer zu öffnen. Diese Länder haben daran erinnert, dass
ihre Zolltarife schon immer ein wichtiges Instrument ihrer Industriepolitik
dargestellt haben. Diese Länder fechten die Studien, die ihnen einen
beträchtlichen Nutzen durch die Liberalisierung vorhersagen, an. Sie
behaupten, dass es sich hierbei mehr um einen Glaubensakt als um eine
stichhaltige Prognose über die Auswirkungen der Globalisierung handele.
Die Öffnung der Märkte für nichtlandwirtschaftliche Produkte ist das
Musterbeispiel für eine gegen die Entwicklungspolitik gerichtete Initiative.
4. Die Umsetzung des GATS
Man muss sich in Erinnerung rufen, dass es die beiden wirtschaftlichen
Supermächte waren, die den anderen Ländern die meisten und die weitest
reichenden Forderungen übermittelt haben. Die USA haben an 149
Länder Forderungen gestellt und die Europäische Kommission mit der
Zustimmung der Regierungen der Mitgliedsstaaten Forderungen an 109
Länder.
Außer wenn es um die Entwicklung europäischer Unternehmen geht,
wird der offizielle Diskurs der Europäischen Union über eine so genannte
„Agenda für Entwicklung“ durch die Initiativen eben dieser Kommission
konterkariert. Sie hat auf den jeweiligen Empfänger zugeschnittene
Listen mit Dienstleistungen, die sie in diesen Ländern privatisiert sehen
möchte, an 109 Länder verschickt, d. h. mit den Dienstleistungen, die
diese Länder für den Wettbewerb mit europäischen Dienstleistern öffnen
und die nicht mehr durch einzelstaatliche Gesetzte und Vorschriften
geschützt werden sollen.
Solange diese Listen geheim waren, waren diesbezüglich von der
Kommission und einigen Ministern beschwichtigende Äußerungen zu
hören wie z. B. „Es gibt keinerlei Forderungen an die ärmsten Länder“,
„Wir werden niemals die Privatisierung öffentlicher Dienstleistungen
fordern“ oder „Das Recht der Einzelstaaten zur Regelung des
Dienstleistungssektors bleibt unangetastet“. Bauend auf die Komplexität
15
der Texte und die Undurchsichtigkeit der Verfahren wagte Pascal Lamy,
damals Mitglied der Europäischen Kommission, gar die Behauptung,
dass „die Verhandlungen der WTO den Handel mit Dienstleistungen
betreffen und nicht die Regulierung dieser Dienstleistungen an sich“. Der
Wille zur Täuschung der öffentlichen Meinung über die Mittel und
Möglichkeiten des GATS entsprechen dem finanziellen Volumen, das
durch seine Umsetzung auf dem Spiel steht. Diese 109 Forderungen sind
seit Februar 2003 bekannt. Von den 109 Ländern sind 94 als
Entwicklungsländer eingestuft. Von diesen wiederum gelten 41 als
„Länder mit geringen Staatseinnahmen“ und 30 zählen zu den „am
wenigsten entwickelten Ländern (LDC)“.
Einige Beispiele für Vorschriften, deren Abschaffung
von der Europäischen Union verlangt wird
- Bolivien: Verpflichtung für ausländische Investoren zur Errichtung
einer Filiale im Land selbst, wenn sie Handelsgeschäfte ausführen
wollen;
- Botsuana: botsuanischen Staatsangehörigen gewährter Vorrang, falls
von Ausländern gehaltene Vermögenswerte zu erwerben sind;
öffentliches Monopol bei der Bewirtschaftung des Wassers;
- Brasilien: Einschränkung von Auslandstransfers bei von
ausländischen Unternehmen im Land erwirtschaftetem Kapital;
- Kamerun: Verpflichtung zur Schaffung eines Arbeitsplatzes bei jeder
Investition in Höhe von mehr als 10.000 Euro;
- Chile: Verpflichtung für Investoren, zu 85 % chilenische Mitarbeiter
zu beschäftigen, und Verpflichtung für ausländische Investoren, das im
Land investierte Kapital mindestens für drei Jahre im Land zu halten;
- Chile und Mexiko: Verbot für Ausländer, Ländereien entlang der
Küsten zu besitzen;
- Kuba und Indonesien: auf 49 % beschränkte ausländische
Beteiligung
an
gemischten
Gesellschaften
oder
Gemeinschaftsunternehmen;
- Ägypten: öffentliche Monopole bei der Wasser- und
Energieversorgung, im Verkehrswesen und im Bausektor;
- Honduras: öffentliches Monopol bei der Bewirtschaftung des
Wassers;
- Jordanien: Verpflichtung für ausländische Reiseveranstalter, bei
touristischen Rundfahrten auf örtliche Dienstleister zurückzugreifen;
- Kenia: Beschränkung ausländischer Investitionen auf 30 % im
Bereich Telekommunikation;
- Indien: Verpflichtung für ausländische Reiseveranstalter, mit einem
entsprechenden Unternehmen vor Ort zusammenzuarbeiten, damit die
indischen Behörden bei strafbaren Handlungen einen Verantwortlichen
bestimmen können;
- Malaysia: Beschränkung der Beteiligung ausländischer Aktionäre an
Versicherungsgesellschaften auf 51 %; Kriterien für die Sendung von
Werbebotschaften in Rundfunk und Fernsehen;
16
- Taiwan: für ausländische Unternehmen Verbot des Erwerbs oder der
Pacht von Ländereien, die für die Landwirtschaft, die Forstwirtschaft,
als Weideland, zur Jagd, zur Salzgewinnung oder zum Bergbau
genutzt werden;
- Thailand: Vorschriften für die Ansiedelung von Großbetrieben des
Einzelhandels;
- Tunesien: öffentliches Monopol bei der Bewirtschaftung des
Wassers.
Drei Themen ragen aus den laufenden Verhandlungen heraus: die Frage der
Angebote, der Disziplinen und der Modus 4.
a) Die Angebote:
Bis zum 27. Juni 2005 haben 68 Staaten (wenn man die EU als ein einziges
Zollgebiet betrachtet, was der Definition von Staat laut WTO entspricht)
Erstangebote vorgelegt. Überarbeitete (erweiterte) Angebote wurden von 25
Staaten, darunter 11 Entwicklungsländer, vorgelegt.
Der Druck der EU ist riesig. Sie wird von den USA, Kanada und der
Schweiz unterstützt. Nachdem sie in größter Heimlichkeit ihre eigenen
Forderungen und ihre Angebote nach oben korrigiert hat, und dies zum
zweiten Mal seit Beginn der Verhandlungen, hat die EU vorgeschlagen, den
Ablauf der Verhandlungen zu ändern.
In Doha hatte sie diesen Mechanismus von Forderungen und Angeboten
vorgeschlagen. Dieser Mechanismus erbrachte jedoch nicht die
gewünschten Ergebnisse. Einzig die Angebote der Industrieländer sind
beträchtlich. Die anderen Staaten der WTO verzichteten auf eine Abgabe
bzw.
legten
einige
wenige
und
nicht
weit
reichende
Liberalisierungsangebote vor.
Im Juni 2005 schlug die EU ein so genanntes „Benchmark-System“ vor:
Jedem Staat wird eine Mindesthöhe für qualitative Verpflichtungen
(Liberalisierungsgrad) und quantitative Verpflichtungen (Anzahl der
einbezogenen Untersektoren) auferlegt.
Die Europäische Kommission hat danach den Begriff „Benchmark“ in
„common baseline“, also „gemeinsame Grundlinie“ für die Verhandlungen
abgeändert. Von nun besteht für jeden Staat eine doppelte Verpflichtung:
- mindestens Eingehen eines Minimums an spezifischen Verpflichtungen in
einer Reihe von in einer Liste genannten Sektoren,
- für jeden einbezogenen Sektor oder Unter-Sektor Angabe eines MindestLiberalisierungsgrades in jeder der vier Dienstleistungsarten, wobei dieser
Mindest-Grad den Sektoren nach genauestens aufzuführen ist.
Sollte dieser Vorschlag der Europäischen Kommission von der WTO
verabschiedet werden, wird man feststellen können, dass Sektoren oder
Unter-Sektoren, die sich in der von der WTO festgelegten Liste befinden,
die aber derzeit nicht in der europäischen Angebotsliste auftauchen (z. B.
die Sektoren Kultur, Rundfunk und Fernsehen, wobei es naiv wäre zu
glauben, dass die USA sie nicht in die Minimalliste einschließen) oder die
17
dort auftauchen, dies allerdings mit Ausnahmebewilligungen (z. B. für
Modus 3, der Beschränkungen bei ausländischen Beteiligungen am
Unternehmenskapital zulässt), dann wäre die Kommission daraufhin in einer
ausreichend starken Position, um von den EU-Mitgliedern eine neue
Ausweitung der Angebote zu fordern, um sich an die neuen Beschlüsse der
WTO, die sie selbst angeregt hat, anzupassen!
„Wir müssen diesem Unglück, das sich in der ganzen Welt
immer mehr ausbreitet, entgegentreten: der CocaColisierung des Wassers ..."
Riccardo Petrella,
(anlässlich der Anhörung zum Thema Wasser, veranstaltet am 27.
September 2005 von der Fraktion GUE/NGL im Europäischen
Parlament)
Die Europäische Kommission verfolgt in Wirklichkeit das Ziel der
Abschaffung aller im GATS festgesetzten Spielräume. Dies kommt der
Abschaffung des Konzepts der „Positivliste" (Recht eines Staates, das
GATS nur in dem einen oder anderen Sektor oder nur teilweise
anzuwenden; besondere Spielräume für Entwicklungsländer) gleich. Es ist
nicht verwunderlich, dass dies von der Europäischen Union ausgeht, denn
dies ist für den europäischen Raum ebenso eines der Ziele des BolkesteinVorschlages.
b) Der Bereich der Regeln (Disziplinen): Man verhandelt über die
Praktiken im öffentlichen Beschaffungswesen, über einzelstaatliche Gesetze
und Vorschriften (Bedingungen für Qualität, Verfahren, Lizenzbewilligung,
technische Normen), über die Subventionen und die einzelstaatlichen
Schutzmaßnahmen (ein Mechanismus des GATT-Abkommens, der die
Schließung eines Marktes erlaubt, wenn die Menge der Importe negative
Auswirkungen nach sich zieht). Verhandlungsfortschritte wurden
hauptsächlich im Bereich einzelstaatliche Gesetze und Vorschriften
(„domestic regulation“) erzielt, wobei die Industrieländer versuchten, die
ihren Investoren auferlegten Beschränkungen zu verringern. Hierbei diente
die NAFTA als Vorlage. Es ist bekannt, dass dieses Freihandelsabkommen
zwischen den USA, Kanada und Mexiko die Gleichsetzung von
Rechtsvorschriften zum Schutz der Bevölkerung und der Umwelt, die nach
dem In-Kraft-Treten der NAFTA verabschiedet wurden, mit
„enteignungsgleichen Beschlüssen" ermöglicht hat. Die USA haben im
Übrigen vorgeschlagen, dass ein Staat sich gegen das In-Kraft-Treten eines
einzelstaatlichen Gesetzes sperren kann, wenn es ein nichttarifäres
18
Handelshemmnis darstellt, und dass dieser Staat den Fall dem Ausschuss für
die Schlichtung von Streitigkeiten der WTO vorbringen kann. Mehrere
Entwicklungsländer haben dagegen vorgeschlagen, dass das Recht eines
jeden Staates zur Regulierung und Bestimmung der von ihm gewünschten
Verpflichtungen universeller Dienste bestätigt wird.
c) Modus 4: Hier geht es um das Einreise- und Aufenthaltsrecht natürlicher
Personen. Bei seiner umfassendsten Anwendung kann ein Arbeitgeber im
Dienstleistungsbereich vorübergehend Arbeitskräfte aus einem anderen
Mitgliedsstaat der WTO einsetzen. Hierbei gelten die Tarifbestimmungen,
das Arbeitsrecht und die Sozialversicherungsbestimmungen ihres
Herkunftslandes. Eine Umsetzung dieser Bestimmung des GATS würde der
Legalisierung heute illegaler Praktiken gleichkommen. Einige
Entwicklungsländer (Bangladesch, Indien, Pakistan, die Philippinen) fordern
dies. Sie hoffen dadurch, dass sich für Berufe mit qualifizierten und hoch
qualifizierten
Arbeitnehmern
(freiberufliche
Dienstleistungen)
Möglichkeiten für die Anwendung des Modus 4 eröffnen. Die EU hat den
Vorschlag der „Bolkestein-Richtlinie“ diesbezüglich ausdrücklich als
positives Element dargestellt. Der Modus 4 wirft eine grundsätzliche Frage
auf: Müssen die Rechte von Arbeitern und insbesondere von
Wanderarbeitnehmern durch Handelsabkommen oder durch die
Bestimmungen der Internationalen Arbeitsorganisation und der
internationalen
Konvention
zum
Schutz
der
Rechte
aller
Wanderarbeitnehmer und ihrer Familienangehörigen geregelt werden. Ein
Wanderarbeitnehmer, sei er dies auch nur vorübergehend, hat Rechte. Das
Überschreiten einer Grenze lässt diese Rechte nicht verwirken. Der Modus 4
verneint diese Rechte, denn er verwandelt menschliche Wesen in
„Produktionsfaktoren", die wie ein Gut behandelt werden, das gekauft oder
verkauft werden kann. Die Art und Weise, wie Wanderarbeitnehmer
mancherorts bereits jetzt behandelt werden, lässt erahnen, wie es ihnen nach
einer Umsetzung des Modus 4 ergehen wird.
5. Die anderen Themenbereiche
5.1 Die Rechte an geistigem Eigentum (TRIPS): Die beiden Hauptfragen,
die dieses Abkommen aufwirft, sind weiterhin in der Schwebe: die Frage
der Medikamente (Artikel 30 und 31) und die Frage der Patentierung von
Leben (Artikel 27, 3b):
5.1.1 Der Zugang zu Medikamenten
Das Abkommen vom 30. August 2003 brachte in der dramatischen Frage
des Zugangs zu den wichtigsten Medikamenten, d. h. beim Grundrecht jedes
Menschen auf Zugang zu medizinischer Versorgung, keine Lösung. Es hat
das TRIPS-Abkommen, das das Patentrecht insbesondere im Bereich
Medikamente vereinheitlicht, verallgemeinert und ausweitet, in keiner
Weise modifiziert. Als ob ein Medikament eine Ware wie jede andere sei,
als ob ein Medikament in erster Linie der Rendite der Pharmaunternehmen
19
dienen müsste oder als ob ein Medikament den Regeln des Marktes
unterliegen müsste.
Zudem verrät dieses Abkommen die „Erklärung von Doha über das TRIPS
und die öffentliche Gesundheit“, in der dem Wunsch Ausdruck verliehen
wird, dass das TRIPS „die Mitglieder nicht daran hindert, Maßnahmen zum
Schutz der öffentlichen Gesundheit zu ergreifen“ und die bestätigt, dass
„dieses Abkommen derart ausgelegt und umgesetzt werden kann und sollte,
dass es das Recht der WTO-Mitglieder zum Schutz der öffentlichen
Gesundheit und insbesondere zur Förderung des Zugangs zu Medikamenten
für alle unterstützt.“
Die Erklärung kündigte Verhandlungen mit der großen Mehrheit der massiv
von zahlreichen tödlichen Krankheiten betroffenen Länder an, in denen es
keine pharmazeutische Industrie gibt und die auf so genannte „ParallelImporte“ (Recht zum Import von Medikamenten aus dem Land, in dem sie
am billigsten sind, ohne Zustimmung des Patentinhabers) zurückgreifen
können müssen. Diese Verhandlungen ließen die Europäische Union die
Tragweite des in Doha verabschiedeten Textes rückgängig machen; die
Vereinigten Staaten und die Schweiz, die die Erklärung von Doha nur
widerwillig und unter Verweis auf ihre fehlende Rechtskraft angenommen
hatten, fechten weiterhin die darin enthaltenen Grundsätze an. Der Block der
westlichen Länder hat sich bemüht, die Definition von Ländern mit
Produktionskapazität, Ländern ohne Produktionskapazität oder mit schwerer
Gesundheitskrise einzuengen, und lange Zeit wurden die Gespräche über
eine eingeschränkte Liste von behandlungswürdigen Krankheiten geführt.
Die Erklärung von Doha hält fest, dass „jedes Mitglied berechtigt ist,
obligatorische Lizenzen zu erteilen (Herstellung generischer Medikamente
ohne die Zustimmung des Patentinhabers), und es frei die Beweggründe für
die Erteilung solcher Lizenzen bestimmen kann." Weiter heißt es: „Jedes
Mitgliedsland hat das Recht zu bestimmen, was eine nationale Notlage ist
oder andere Umstände äußerster Not." In dem zwei Jahre später getroffenen
Abkommen wurden diese Rechte durch eine Verpflichtung zur Begründung
der Inanspruchnahme obligatorischer Lizenzen oder von Parallel-Importen
und durch die Verpflichtung zum Nachweis einer Krisensituation ersetzt.
Schon bei seiner Unterzeichnung wurde dieses Abkommen als nicht
praktikabel kritisiert. Denn in ihm wurden Bedingungen festgeschrieben, die
nicht umsetzbar sind. 2005 wie 2003 sterben täglich zehntausende
Menschen, weil sie keinen Zugang zu den von ihnen benötigten
Medikamenten haben.
Die von den reichen Ländern den Ländern des Südens mit
Produktionskapazität (Südafrika, Brasilien, Indien, Thailand
usw.) gestellten Bedingungen für den Export generischer
Medikamente in andere, Not leidende Länder des Südens:
a) Das Land, das generische Medikamente importieren möchte, muss
den Nachweis einer Gesundheitsnotlage erbringen;
20
b) jeder Mitgliedsstaat der WTO kann die Stichhaltigkeit der vom
anfordernden Land vorgebrachten Argumente anfechten;
c) das anfordernde Land muss den Nachweis erbringen, dass es keine
eigenen Produktionskapazitäten besitzt;
d) das anfordernde Land muss der WTO die Bezeichnung und die
Menge der zu importierenden Medikamente mitteilen;
e) das anfordernde Land muss sehr ausgeklügelte Zoll- und
Verwaltungsmaßnahmen ergreifen, die jedweden Reexport der
importierten generischen Medikamente in westliche Länder verhindern
sollen; diese Forderung ist angesichts fehlender menschlicher
Ressourcen, institutioneller und administrativer Schwächen und der
finanziellen Armut einiger Länder nicht umsetzbar;
f) das liefernde Land kann dieses Abkommen nicht „als Instrument
der Industrie- und Handelspolitik" verwenden; dieses Verbot könnte
möglicherweise in einem von den multinationalen Pharmakonzernen
provozierten Konflikt angeführt werden, wohingegen ein Land, das die
obligatorische Lizenz in Anspruch nimmt, sich gezwungenermaßen
einer
Monopolsituation
ausgesetzt
sähe;
wie
können
gesundheitspolitische Bedürfnisse und eine Industrie- und
Handelsstrategie zur Medikamentenversorgung unterschieden werden?
g) Das produzierende Land muss die obligatorische Lizenz auf die
Medikamententypen und die Mengen beschränken, die vom
anfordernden Land gewünscht werden; diese Informationen
(Medikamententypen und Mengen) müssen jedem Mitgliedsstaat der
WTO vom produzierenden Land zur Kenntnis gebracht werden;
h) die Inanspruchnahme von Parallel-Importen ist auf
„außerordentliche Umstände" beschränkt; dieser Ausdruck ist
gleichzusetzen mit dem Begriff der – punktuellen – Nothilfe, die man
von – dauerhafterer – Entwicklungshilfe unterscheidet. Dies engt die
Freiheit der Länder ohne pharmazeutische Produktionskapazität zum
Import von Medikamenten zu Niedrigpreisen stark ein, sofern sie nicht
von einer gesundheitlichen Notlage betroffen sind. Diese
Einschränkung steht in völligem Widerspruch zur Erklärung von
Doha, in der von „öffentlicher Gesundheit" die Rede war.
Wenn man sich diesen Wust an Bedingungen anschaut, muss man sich in
Erinnerung rufen, worum es eigentlich geht: die Versorgung von kranken
Menschen mit Medikamenten, die sie zu ihrer Behandlung benötigen. Es
liegt auf der Hand, dass man hierbei nicht dem Recht auf medizinische
Versorgung, sondern dem Recht auf Profit absoluten Vorrang einräumt. Das
Abkommen vom 30. August 2003 sah Verhandlungen zur Überarbeitung der
Artikel des TRIPS vor. Nichts hat sich in dieser Sache bewegt.
5.1.2 Die Patentierung von Leben und die Biopiraterie
Artikel 27.3b: Die Länder des Südens fordern unaufhörlich eine
Überarbeitung dieses Artikels, was von den Industrieländern rundweg
abgelehnt wird. Dennoch sieht der Wortlaut ebendieses Artikels vor, dass
21
„die Bestimmungen des vorliegenden Absatzes vier Jahre nach dem InKraft-Treten des Abkommens über die WTO einer erneuten Prüfung
unterzogen werden sollen." Zudem legt Artikel 71 alle zwei Jahre eine
Überarbeitung dieses Artikels fest. Das waren die Zugeständnisse an die
Entwicklungsländer, damit sie das TRIPS-Abkommen bei den
Verhandlungen der Uruguay-Runde unterstützen. Vier Jahre danach in
Seattle haben die reichen Länder jede Überarbeitung von Artikel 27.3b
abgelehnt, denn sie verweigern die Anwendung von Artikel 71, wenn es um
mehr geht als die einfache Prüfung der Umsetzung des Abkommens. Nichts
hat sich seit Seattle verändert.
5.2. Das Thema Baumwolle
Baumwolle stellt für die Mehrzahl der afrikanischen Länder südlich der
Sahara eine lebenswichtige Ressource dar: Benin (75 % der Exporterlöse),
Burkina Faso (60 % der Exporterlöse und mehr als ein Drittel des BIP),
Mali (die Hälfte der Devisenressourcen), Tschad (wichtigstes Exportgut).
Darüber hinaus macht das aus den Samen gewonnene Öl den Großteil des in
Burkina Faso, Mali, Tschad und Togo verbrauchten Speiseöls aus, und in
der Elfenbeinküste und Kamerun einen bedeutenden Anteil davon. Ganz zu
schweigen von der Viehfütterung mit Nebenprodukten aus der
Baumwollproduktion.
Aber die afrikanischen Baumwollexporte sind dem Wettbewerb mit
europäischer und amerikanischer Baumwolle ausgesetzt. Die USA
subventionieren ihre Baumwollexporte mit 4 Milliarden Dollar jährlich. Die
Europäische Union verwendet hierauf 700 Mio. Euro. Kein afrikanisches
Land kann seine Baumwollexporte in diesem Umfang stützen, sodass der
Preis für afrikanische Baumwolle auf dem Weltmarkt höher ist als der für
Baumwolle aus den USA oder Europa.
Auf der Ministerkonferenz von Cancún haben Benin, Burkina Faso, Mali
und der Tschad dieses Problem mit Unterstützung anderer afrikanischer
Länder zur Sprache gebracht und gefordert, dass die WTO-Regeln, die
solche Exportsubventionen untersagen, eingehalten werden. Dies wurde von
den USA, die diese Länder ihrerseits zu einer Diversifizierung ihrer
Agrarproduktion aufforderten, strikt ablehnend beschieden. Seitdem wurde
auf einer Vielzahl von Treffen zu diesem Thema kein Fortschritt erzielt. Im
Rahmen des im Juli 2004 getroffenen Abkommens wurde das Thema
Baumwolle in die Handelsverhandlungen mit einbezogen: „Der Allgemeine Rat
erkennt die Bedeutung von Baumwolle für eine bestimmte Anzahl von
Ländern und ihre lebenswichtige Bedeutung für die Entwicklungsländer und
insbesondere die LDC an.“ Bis heute wurde jedoch keine Lösung gefunden,
obwohl es um die Einhaltung der WTO-Regeln geht. Denn es geht um ihre
Einhaltung durch die reichsten Länder! Dies blockiert jede Lösung!
6. Aussichten vor der Ministerkonferenz in Hongkong
22
Bei einer Verhandlung in der WTO vor einer Ministerkonferenz gibt es eine
Reihe von Praktiken, die man kennen muss, wenn man verstehen will, wie
ein Abkommen bisweilen trotz des Widerstandes mehrerer Staaten
ungeachtet der Konsensregel erzielt werden kann.
6.1. Die WTO-Ministerkonferenzen
Die Ministerkonferenz ist das höchste Organ der WTO. Sie besteht aus den
Ministern für Außenhandel der 148 Mitgliedstaaten und ist befugt, sich über
alle Themen zu einigen. Sie tritt mindestens alle zwei Jahre zusammen.
Bisher fand sie jedes Mal an einem anderen Ort statt. Nach Singapur im
Jahre 1996 war es Genf im Jahre 1998, dann Seattle im Jahre 1999, Doha im
Jahre 2001 und Cancún 2003. Im Dezember 2005 wird es Hongkong sein.
Jede Entscheidung erfordert den impliziten Konsens der Staaten.
Die Vorbereitung und der Verlauf dieser Konferenz werden manipuliert,
und die Demokratie kommt in keiner Weise zum Zuge. Aus diesem Grund
fordern zahlreiche Länder der südlichen Hemisphäre neue Regeln, die
garantieren sollen, dass die Vorbereitung und der Verlauf der
Ministerkonferenz transparent ablaufen, nicht diskriminierend und
vorhersehbar sind.
Die Vorbereitung einer Ministerkonferenz sind seit Doha immer wieder von
dem selben Phänomen geprägt: Der Standpunkt der Industrieländer soll
durchgesetzt und die Erwartungen der Länder der südlichen Hemisphäre
sollen verdrängt werden. Die vorbereitenden Dokumente für die Konferenz
werden vom Generaldirektor oder vom Präsidenten des Allgemeinen Rates
(d. h. der ständigen Versammlung der Botschafter bei der WTO)
ausgearbeitet oder von beiden, wenn diese sich einig sind. Diese Dokumente
sind gekennzeichnet durch eine allgemeine Leitlinie, die im Sinne der
Erwartungen der Industrieländer günstig ist. Die meisten Anträge der
Entwicklungsländer sind in diesen Dokumenten nicht enthalten - auch nicht
in Klammern, wie das bis Seattle üblich war.
Der Entwurf einer aus den Arbeiten mehrerer Verhandlungsgruppen
hervorgehenden Minister-Erklärung ist schließlich das Ergebnis von
informellen Sitzungen entweder auf der Ebene der Botschafter oder der
Minister, von denen zahlreiche Entwicklungsländer trotz ihres
ausdrücklichen Antrags auf Teilnahme ausgeschlossen werden.
Anschließend sendet der Generaldirektor oder der Präsident des
Allgemeinen Rates - kraft seines Amtes und auf seine persönliche
Verantwortung - diesen Entwurf einer Minister-Erklärung, der absolut nicht
durch Konsens des Allgemeinen Rates entstanden ist, an die
Ministerkonferenz. Die Konferenz kann dann auf der Grundlage eines
Textes beginnen, der im Wesentlichen den reichsten Ländern passt.
Während der eigentlichen Ministerkonferenz finden auf Anweisung der
Europäischen Union und der USA informelle Sitzungen statt, bei denen
einige Minister ausgeschlossen sind. Manchmal wird ihnen nur unter der
Bedingung Zugang gewährt, dass sie von Experten begleitet werden - nicht
23
einmal ihre Botschafter in Genf – während Europäer und Amerikaner über
ihre Juristenteams verfügen. Manchmal werden einige zugelassen, unter der
Bedingung, dass sie stillschweigen. Es kommt auch vor, dass die Minister
aus dem Süden gebeten werden, abwechselnd den Vertreter der
Europäischen Union oder den der USA zu besuchen. Zusagen und
Bedrohungen wechseln sich ab.
15 Länder haben aus diesen Praktiken ihre Schlüsse gezogen und eine Reihe
von Vorschlägen gemacht, damit die Vorbereitung und der Verlauf
künftiger Ministerkonferenzen nicht mehr von dieser Art Machtmissbrauch
gekennzeichnet sind. Sie verlangen, dass die bei informellen Sitzungen
angenommenen Entscheidungen als nichtig und in keinem Fall als Teil des
formellen Vorbereitungsprozesses angesehen werden. Sie fordern eine
Reihe von technischen Reformen, die alle Mitgliedstaaten in alle Phasen der
Vorbereitung der Ministerkonferenz in vollem Umfang einbinden sollen,
und nach denen es künftig nicht mehr zulässig sein soll, dem Vertreter eines
Mitgliedstaates die Teilnahme an einer WTO-Sitzung zu verbieten.
Insbesondere fordern sie, dass der Erklärungsentwurf und die der Konferenz
vorzulegende Tagesordnung durch einen Konsens im Allgemeinen Rat
entstehen sollen. Für den Fall, dass kein solcher Konsens zustande kommt,
sollen der Konferenz die verschiedenen formulierten Optionen vorgelegt
werden. Schließlich verlangen sie, dass die Ministerkonferenz systematisch
am Sitz der WTO in Genf stattfinden soll, was die Teilnahme der
Entwicklungsländer wesentlich vereinfachen würde. Diese Vorschläge
bekämpfen Europäische Union und USA, die diesen Ländern ansonsten in
Sachen Demokratie und Rechtstaatlichkeit gerne große Lektionen erteilen.
6.2. Hongkong: ein weiteres Cancún oder ein Fortschritt des
Doha-Programms?
Am 19. und 20. Oktober war eine Sitzung des Allgemeinen Rates geplant.
Sie wurde angekündigt als entscheidend für die gute Vorbereitung der
Konferenz von Hongkong. Diese Sitzung ist am 19. Oktober mittags ohne
eine Entscheidung zu Ende gegangen. Wenn nicht bei mehreren Themen
eine deutliche Lösung gefunden wird, lässt der Stand der Dinge bei den
laufenden Verhandlungen sechs Wochen vor der Konferenz von Hongkong
vermuten, dass auch ein erneutes Cancún nicht auszuschließen ist.
Landwirtschaft
Als Vorbereitung für die Gespräche über die anderen Themen fordern die
Vereinigten Staaten von den Europäern Zugeständnisse bei der
Landwirtschaft. Die Europäer wollen ihrerseits Zugeständnisse bei der
Landwirtschaft im Austausch gegen eine Marktöffnung für industrielle
Güter und Dienstleistungen. Die europäische Position steht gänzlich in
Widerspruch zu dem Grundsatz des Abkommens von Marrakesch, der in der
Erklärung von Doha wiederholt wurde, bezüglich des Rechts der ärmsten
24
Länder, für die Vorteile, die sie erhalten keine Gegenleistung bringen zu
müssen.
Die amerikanischen und europäischen Vorschläge sind nur leere
Versprechen gemessen an den Forderungen zur Beendigung des unlauteren
Wettbewerbs, den die beiden Wirtschaftssupermächte gegenüber den
Landwirten in aller Welt betreiben. Die europäischen Vorschläge
entsprechen auch nicht den legitimen Forderungen der bäuerlichen
Landwirtschaft in Europa.
Zu den amerikanischen und europäischen Vorschlägen erklärte ein
Delegierter der AKP-Gruppe nach der letzten Sitzung des Allgemeinen
Rates der WTO am 19. Oktober: „Ich bin enttäuscht von dem, was uns als
Zugeständnis dargestellt wird.“ Einer seiner Kollegen sprach das Jahr 2010
an, bis zu dem die USA ihre Exportsubventionen einstellen wollen, und
fügte hinzu: „Wie können wir zufrieden sein, wenn wir noch weitere fünf
Jahre Exportsubventionen ertragen müssen?“
nichtlandwirtschaftliche Güter (NAMA)
Der Präsident der Verhandlungsgruppe wünscht nach eigener Aussage
konkrete Zahlen über die Modalitäten der Senkung der Zolltarife nach
einzelnen Ländern. Man kann vermuten, dass er entweder versuchen wird,
ein Abkommen zu erzielen oder auch darauf zu verzichten und einen Text
für den Entwurf der Minister-Erklärung ausarbeiten wird, der solche Zahlen
enthält.
Dienstleistungen
Von Australien, Kanada, Südkorea, Japan, Neuseeland, der Schweiz und
Taiwan wurden ähnlich Vorschläge wie von der Europäischen Union
vorgelegt. Die Europäische Union, die ihre Niederlage von Cancún in den
Bereichen Investitionen und öffentliches Beschaffungswesens nicht
akzeptiert hat, bezieht diese Punkte in die Bereiche ein, die Gegenstand von
Minimallisten sein müssten. Jetzt wird auf die Entwicklungsländer großer
Druck ausgeübt, damit sie akzeptieren, quantitative und qualitative
Zielsetzungen ins Verfahren von Angebot und Nachfrage zu integrieren. In
einem Versuch, die LDC von den anderen Entwicklungsländer zu trennen,
werden Vorschläge gemacht, um diese zeitweilig freizustellen.
Der Präsident der Verhandlungsgruppe über Dienstleistungen hat betont,
dass 23 Entwicklungsländer immer noch kein Angebot vorgelegt haben. Er
bedauert die meist unzulängliche Qualität der Angebote. Daraus lässt sich
schließen, dass er den Vorschlag unterstützt, dass jedem Land eine
quantitative und qualitative Minimallisten auferlegt werden soll. Tatsächlich
hat
der
Präsident
ungeachtet
des
Widerstands
zahlreicher
Entwicklungsländer gegen diese Minimallisten erklärt, dass er keine echte
Opposition festgestellt habe; das von ihm ausgearbeitete Kapitel im
Vorentwurf der Minister-Erklärung über Dienstleistungen berücksichtigt
25
dies auch nicht. Er hat sogar hinzugefügt, dass mit einem in Hongkong
geschlossenen Abkommen über diese Listen im Frühjahr 2006 mit der
„Jagd auf Dienstleistungen" begonnen werden könne.
Baumwolle
Beim Thema Baumwolle ist kein neues Element hinzugekommen. Die
jüngsten amerikanischen und europäischen Vorschläge zum Thema
Landwirtschaft ignorieren das Problem. Die Furcht, dass diese Länder mit
leeren Hände aus Hongkong zurückkehren, ist groß. Und das werden sie
nicht akzeptieren - sie haben es erklärt.
Arzneimittel
Die Präsidentin des Allgemeinen Rates hat bedauert, dass bei diesen
Themen keine Fortschritte gemacht wurden, sie war jedoch der Ansicht,
dass das Abkommen von 2003 eine Freistellung darstellt, die immer noch
gelte… Keinerlei Hinweis auf die absolute Unwirksamkeit dieser
Freistellung.
Bananen
Die
Übergangsregelung
der
Europäischen
Union
für
das autonome Zolltarifkontingent für die Einfuhr von Bananen aus AKPLändern wurde mit einer Entscheidung in Doha bestätigt. Hier garantiert ein
Abkommen zwischen der Europäischen Union und den Bananen
erzeugenden
AKP-Ländern
Bananenkontingente
zu
besonderen
Zollbedingungen. Dies steht im Widerspruch zu den WTO-Abkommen.
Die USA sowie einige Länder in Asien und Lateinamerika, die Bananen
erzeugen, haben diesen Punkt zur Sprache gebracht. Schließlich hat die
Konferenz von Doha eine Ausnahmeregelung für 750.000 Tonnen Bananen
akzeptiert. Diese Ausnahmeregelung läuft am 31. Dezember 2005 aus.
Fragen im Zusammenhang mit Entwicklung
Die G90-Länder möchten in erster Linie sicherstellen, dass der
Entwicklungsaspekt Kernstück der Verhandlungen bleibt. Ein Botschafter
dieser Länder erklärte am Rande des Allgemeinen Rates in Genf: „Diese
Verhandlungsrunde scheint viel mehr eine Runde für den Marktzugang als
eine Runde für die Entwicklung zu sein.“
Die G90 hoffen dennoch, bei drei Themen ihre Forderungen durchsetzen zu
können:
a) dass die im Abkommen von Marrakesch verankerte Flexibilität zugunsten
der LDC geschützt wird;
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b) dass diese Länder die Möglichkeit bekommen, am Handel teilzunehmen;
c) dass die Produkte, die sie exportieren, Zugang zum Markt der reichen
Länder bekommen.
Dennoch beobachten sie, dass an die Stelle der entwicklungsfreundlichen
Rhetorik des Doha-Programms nun der feste Willen der reichen Länder
getreten ist, die Märkte der ganzen Welt für ihre Unternehmen zu öffnen.
Wem nutzt also der Zugang zum Markt? Ein afrikanischer Botschafter hat es
so ausgedrückt: „Was bringt uns ein Zugang zum Markt, wenn wir nichts zu
verkaufen haben?“
„[…] die am wenigsten entwickelten Länder […] (brauchen)
Verpflichtungen und Zugeständnisse nur in dem Maße
einzugehen bzw. einzuräumen, wie es mit ihrer jeweiligen
Entwicklung, den Erfordernissen ihrer Finanzen und ihres
Handels oder
ihren
verwaltungstechnischen
und
institutionellen Möglichkeiten vereinbar ist. “
Abkommen von Marrakesch, 1994.
7. Die Position der Fraktion GUE/NGL zu den WTOVerhandlungen
Für die Fraktion GUE/NGL ist klar: EU-Handelskommissar Peter
Mandelson setzt mit großem Eifer die Aktion seiner Vorgänger Leon Brittan
und Pascal Lamy fort. Eine Erklärung sind zum einen seine persönlichen
Überzeugungen („Wir sind alle Thatcheristen", schrieb er in der Times vom
10. Juni 2002), aber auch die Unterstützung der 25 Regierungen, die
krampfhaft an der Strategie der Eroberung der Märkte und der
Liberalisierung um jeden Preis festhalten. Diese Strategie wird deutlich bei
der WTO, aber auch in den Freihandelsverträgen, die die EU mit den AKPLändern (Abkommen über wirtschaftliche Partnerschaft) oder mit anderen
Regionen (Lateinamerika, Mittelmeer…) zu unterzeichnen versucht.
Sie äußert sich insbesondere in dem massiven Versuch, Dienstleistungen zu
liberalisieren – wie etwa in der „Bolkestein-Richtlinie“ - und darin, dass die
Zölle für nichtlandwirtschaftliche Güter (NAMA) systematisch gesenkt
werden sollen, was noch über das Programm von Doha hinausgeht.
Die Fraktion GUE/NGL lehnt diese Orientierung ab. Sie steht in direktem
Zusammenhang mit einer Strategie der Senkung der Lohnkosten und der
sozialen Standards, mit Unternehmensverlagerungen und der Liberalisierung
der öffentlichen Dienste und bedeutet soviel wie die Zerstörung der Umwelt
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und die Verarmung der Kultur in der Europäischen Union und in den
Entwicklungsländern.
Das Mandat der Europäischen Kommission ändern
Jedes Einwirken auf die WTO-Verhandlungen ist folglich abhängig von
einem überarbeiteten Mandat, das die Regierungen dem EUHandelskommissar erteilen, wie die Fraktion GUE/NGL seit vielen Jahren
fordert. Dieses Mandat ist im Jahre 1999 vor Seattle verabschiedet, nach
Cancún im Dezember 2003 im Wesentlichen bestätigt und am 15. Juni 2005
präzisiert worden. Es ist ein Mandat, das den Erwartungen der
transnationalen Unternehmen entspricht. Es lässt sich zu einer Formel
zusammenfassen: Soviel zu deregulieren wie es notwendig ist, um einen
möglichst uneingeschränkten Zugang zum Markt zu ermöglichen.
Nach dem Scheitern von Seattle und Cancún, nach den massiven Protesten
von Gewerkschaften und Globalisierungskritikern in Europa und weltweit
und den Einwänden gegen die europäische Vorschläge, die die Länder des
Südens seit Jahren wiederholen, und angesichts von sozialen und
Umweltschäden, Pandemien, Entwicklungsproblemen, die weltweit
dramatische Ausmaße annehmen, muss die Europäische Union ihre
Verhandlungsposition neu bewerten und feststellen, dass das Mandat des
Unterhändlers nicht mehr geeignet ist.
Andere Prioritäten aufzeigen: Soziales, Entwicklung, Umwelt, kulturelle
Vielfalt, Global Governance
Das neue Mandat der Europäischen Union, das die Fraktion GUE/NGL
vorschlägt, soll nicht versuchen, die Obsessionen der großen europäischen
Konzerne zu befriedigen, die den großen Bossen in Europa den Zugang zu
den Märkten der Entwicklungsländer öffnen wollen, sondern besser
Antworten finden auf echte Fragen, die den Bürgern in Europa unter den
Nägeln
brennen:
Beschäftigung,
Unternehmensabwanderung,
Deindustrialisierung, der Rückgang der sozialen Standards, das Problem der
Nahrungsmittelsicherheit, die Kommerzialisierung der Kultur sowie die
großen Zivilisationsprobleme wie die Fragen der Entwicklung und
insbesondere des Hungers, AIDS und andere Pandemien.
Die Europäische Union muss aufhören, den Mythos aufrecht zu erhalten,
nach dem die umfassende Öffnung der Märkte zu Entwicklung führt. Sie
muss akzeptieren, dass die Länder selbst entscheiden, anhand welcher
Kriterien sie sich entwickeln und wie schnell sie ihre Grenzen öffnen wollen
- je nach Entwicklungsstand der verschiedenen Wirtschaftssektoren - und
mit welchen Partnern sie zusammenarbeiten wollen. Dazu gehört, dass kein
Druck mehr ausgeübt wird bei den WTO-Verhandlungen bzw. in Form der
mehrfachen Konditionalität, die parallel dazu von den internationalen
Finanzinstituten aufgedrängt wird. Erinnern wir uns daran, dass die EU und
die Vereinigten Staaten in diesen Institutionen über absolute Mehrheiten
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verfügen, und dass diese Institutionen nach wie vor jede Entwicklung
blockieren können insbesondere mit dem Schuldenmechanismus, den die
Fraktion GUE/NGL für unanständig und gesetzeswidrig hält, und dessen
bedingungslose Abschaffung sie fordert.
Die Global Governance demokratisieren
Die parlamentarische Fraktion GUE/NGL unterstützt zunächst die
Entwicklungsländer und insbesondere die G33, die eine Demokratisierung
der internen Verfahren der WTO fordern. Es ist notwendig, dass ein genauer
Zeitplan für die bis Ende der Doha-Runde (Dezember 2006) zu
verhandelnden Themen erstellt wird. In diesem soll eine globale,
transparente und alle Mitgliedstaaten umfassende Methodik enthalten sein;
gestrichen werden sollen diverse undemokratische Praktiken, wie z.B.:
- die Verhandlung im kleinen Kreise (Green room, etc…) von Texten, die
anschließend zur Annahme oder Ablehnung vorgelegt werden;
- die Angewohnheit, diejenigen, die die Vorschläge der Industrieländer
ablehnen, zu beschuldigen, das Doha-Programm zu zerstören, oder gar zur
Bekämpfung des Terrorismus nicht beizutragen;
Die WTO muss in vollem Umfang ins System der Vereinten Nationen
integriert und die Kohärenz zwischen den Zielsetzungen der WTO und
denen der anderen Organisationen dieses Systems muss garantiert werden.
Es empfiehlt sich, eine Hierarchie der Normen des internationalen Rechts zu
erstellen, die den drei internationalen Instrumenten (Menschenrechte,
bürgerliche und politische Rechte, wirtschaftliche, soziale und kulturelle
Rechte) sowie den Umweltnormen und anderen Übereinkommen,
insbesondere dem Übereinkommen über die Beseitigung jeder Form der
Diskriminierung der Frau eine herausragende Stellung einräumt. Außerdem
sollte der WTO die Rechtspersönlichkeit entzogen werden, die sie als
einzige internationale Organisation hat. Beim Internationalen Gerichtshof
sollte eine Kammer geschaffen werden, die für die Themen der Institutionen
mit Rechtssetzungsbefugnis (IAO, WHO, WTO, IPO, UNESCO) zuständig
ist, sich aus qualifizierten Richtern zusammensetzt und unter Beachtung der
Unabhängigkeit der Justiz arbeitet.
Die Liberalisierungen stoppen
Was die Verhandlungen über die nichtlandwirtschaftlichen Güter (NAMA)
anbelangt, verlangt die Fraktion GUE/NGL, dass mit dem Druck aufgehört
wird, der für einen massiven Rückgang des Schutzes ausgeübt wurde, und
dass der Schutz der neuen Industrien als ein Bestandteil des Rechts auf
Entwicklung anerkannt wird. Fertigerzeugnissen aus Entwicklungsländern
müsste ein größerer Zugang zu unseren Märkten eingeräumt werden, damit
ihre verarbeitenden Industrien unterstützt und ihre nationalen und regionalen
Märkte gestärkt werden, und diese Länder nicht nur auf die Rolle der
Rohstofflieferanten beschränkt werden.
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Das neue Problem der massiven Einfuhren chinesischer Textilien zeigt auch,
dass ein gewisses Schutzniveau notwendig ist, um ein Überleben der
Industrieproduktion zu ermöglichen, insbesondere angesichts fehlender
Mechanismen, die zumindest die Anwendung von IAO-Übereinkommen
zwingend machen, aber auch um bei der Einführung und Anwendung
adäquater sozialer und ökologischer Standards Fortschritte zu machen. Die
Fraktion GUE/NGL ist gegen Liberalisierungen, die zum Verschwinden
ganzer Wirtschaftsbereiche und zum Verlust von Millionen von
Arbeitsplätzen in Europa und anderswo führen, wie dies in der
Textilindustrie sowie in einigen anderen Gewerbezweigen (Schuhindustrie,
Kraftfahrzeugbau, Eisen- und Stahlindustrie…) der Fall ist. Sie ist ebenfalls
der Ansicht, dass die Liberalisierung der Märkte zwischen sehr ungleichen
Partnern oder ohne jegliche Harmonisierung der sozialen, Steuer- und
Umweltvorschriften einen sozialen Rückschritt verursacht, der nicht
akzeptiert werden kann.
Oftmals sind es außerdem europäische Investoren, die von
Liberalisierungsmaßnahmen profitieren, die den europäischen Markt
überschwemmen, wenn sie ihre Aktivitäten verlagern, um ihren sozialen und
ökologischen Verpflichtungen zu entgehen. Man weiß zum Beispiel, dass
diese europäischen Investoren bei 60 Prozent der chinesischen Firmen, die
nach Europa exportieren, mitbeteiligt sind. Die Fraktion GUE/NGL hat
wiederholt gefordert, dass Unternehmen, die auslagern, keinen Zugang mehr
zur finanziellen Unterstützung der Europäischen Union haben sollen.
Die Aktivität multinationaler Unternehmen kontrollieren
Anstatt nur einfache Verhaltenskodizes vorzuschlagen, damit die
multinationalen Unternehmen die internationalen sozialen, ökologischen
und Menschenrechts-Normen einhalten, muss sich die Europäische Union
als weltweite Handelsmacht dafür einsetzen, dass diese Normen - so wie die
Handelsnormen der WTO - verbindlich und von Sanktionen begleitet
werden.
Die Verstärkung des Handelsverkehrs der Europäischen Union soll zunächst
mit regionalen Gruppen oder Ländern erfolgen, die fortschrittliche soziale
und ökologische Gesetzgebungen haben und nicht mit denjenigen, die ihre
Märkte deregulieren, wie dies derzeit der Fall ist. Initiativen wie etwa die
Verhandlung einer Sozialcharta für Nord- und Südamerika im Rahmen der
Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) auf Initiative Venezuelas
müssen gefördert werden. Andere Initiativen wie z.B. der Gerechte Handel
müssten ebenfalls von der Europäischen Union mehr unterstützt und in den
internationalen WTO-Verhandlungen bevorzugt werden.
Die öffentlichen Dienste stärken
Unsere parlamentarische Fraktion ist gegen die Liberalisierung von
Dienstleistungen, die nur für multinationale Unternehmen Priorität hat. Die
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meisten Entwicklungsländer sind ebenso wie die europäischen Bürger
dagegen. Zumindest sollte jedes Land in diesem Bereich frei entscheiden
können. Für die parlamentarische Fraktion GUE/NGL ist die Stärkung der
öffentlichen Dienste für Entwicklung und soziale Gerechtigkeit
entscheidend. Deshalb ist unsere Fraktion gegen das GATS. Es bedarf
zumindest einer Neuverhandlung des GATS, damit darin auch die
Definition der öffentlichen Dienste einbezogen werden kann und diese von
jedem Handelsabkommen ausgeschlossen werden. In jedem Fall muss die
EU einen ausdrücklichen Ausschluss der bereiche Gesundheit, Bildung,
Kultur (darunter auch die audiovisuellen Medien) und Umwelt (darunter
auch die Verwaltung des Wassers) von der Nomenklatur der Dienste
fordern, für die GATS gilt.
Die Sicherheit der Nahrungsmittel für alle garantieren
Im Bereich der Landwirtschaft fordert die Fraktion GUE/NGL das Recht auf
Nahrungsmittelsouveränität und Lebensmittelsicherheit als absolute
Prioritäten. Zunächst fordert sie die sofortige Abschaffung von
Exportsubventionen auf Agrarerzeugnisse ohne Gegenleistungen durch die
Europäische Union und die anderen Industrieländer. Sie setzt sich dafür ein,
dass die GAP demokratisiert wird, und dass sie, anstatt das Agro-Business
und die großen Betriebe zu unterstützen, dazu dient, eine echte nachhaltige
Landwirtschaft zu fördern und nur den echten Landwirten und der
Verteidigung der sozialen, ökologischen und territorialen Funktionen der
Landwirtschaft zugute kommt. Sie fordert für jedes Land das Recht, seine
Souveränität und seine Sicherheit der Nahrungsmittel zu garantieren und ist
der Ansicht, dass die Landwirtschaft nicht von einer Instanz reguliert
werden kann, die wie die WTO nur mit einer kommerziellen Logik arbeitet.
Die Preise für Agrarerzeugnisse und Rohstoffe stabilisieren
Die GUE-Fraktion ist der Ansicht, dass sich die Europäische Union nicht
unter dem Vorwand, sich gemäß der WTO zu verhalten, nacheinander alle
Mechanismen zur Preisstabilisierung für Rohstoffe (Stabex, Sysmin, GMO
für Zucker, Bananenmarkt…) demontieren, sondern diese vielmehr stärken
sollte, um auf die Entwicklungszielsetzungen hinzuwirken, die in der
Präambel des Abkommens von Marrakesch verkündet wurden, und/oder
weitere solcher Mechanismen einführen sollte. Es müssen neue Initiativen
ergriffen werden, um einen gerechten und stabilen Preis für die Rohstoffe zu
garantieren, und um für Erzeugnisse wie Baumwolle und Zucker den
Zugang zu den Märkten der Industrieländer zu einem fairen Preis zu
garantieren, was unbedingt eine Kontrolle des Angebots dieser Erzeugnisse
impliziert. Der Rückgang der Rohstoffpreise für die Erzeuger und der
Anstieg der Gewinne der Händler und des Vertriebs machen ein Eingreifen
der öffentlichen Behörden dringend notwendig, um gegen diese
Ungerechtigkeit vorzugehen.
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Die EU muss die WTO verpflichten, regionale Abkommen zu respektieren
und zu ermutigen, die den Handel zwischen Ländern mit ähnlichen
Wirtschaften fördern und eine ausgewogene Stärkung der nationalen und
regionalen Märkte ermöglichen. Die WTO müsste auch dazu dienen,
interregionale Abkommen zu schließen, die darauf abzielen, die
Rohstoffpreise zu verbessern und zu stabilisieren.
Den Zugang zu Arzneimitteln erlauben, Epidemien eindämmen
Die Fraktion GUE/NGL geht davon aus, dass die Europäische Union eine
Reform des Abkommen über die Rechte an geistigem Eigentum (TRIPS)
vorschlagen muss, um Biopiraterie und Patente auf Leben zu stoppen und zu
verhindern, dass diese weiterhin die Bekämpfung von Epidemien wie AIDS,
Tuberkulose, Malaria, Vogelgrippe usw. behindern. Das Überleben von
Millionen Menschen ist wichtiger als die skandalösen Gewinne einiger
großer Pharma-Labors. Die in Doha gewährten Ausnahmen, die bis zu einer
Reform der Abkommen vorübergehend sein mussten, haben nicht zu den
erwarteten Lösungen geführt. In ihrer jetzigen Form erlauben die TRIPSAbkommen keine wirksame Bekämpfung der Epidemien. Sie sind außerdem
ein Hemmnis für den Technologietransfer an Entwicklungsländer und
schaden dem freien Zugang zu traditionellem Saatgut für Bauern und stärkt
gleichzeitig die Position der Erzeuger von GVO und sterilem Saatgut.
Das Vorsorgeprinzip anwenden
Im Zusammenhang mit der Verbreitung von GVO sowie mit anderen Fragen
wie etwa der Einfuhr von Hormonfleisch oder Umweltthemen verlangt die
Fraktion GUE/NGL, dass das Vorsorgeprinzip flächendeckend angewendet
werden soll, das jedem Land die Möglichkeit gibt, die für das öffentliche
Gesundheitswesen oder für die Umwelt zweifelhafte Verbreitung von
Erzeugnissen auf seinem Hoheitsgebiet abzulehnen.
Das Wasser und die anderen weltweiten öffentlichen Güter aus dem
Bereich des Marktes ausschließen
Die Fraktion GUE/NGL ist dafür, dass verschiedene für das Überleben der
Menschheit entscheidende Bereiche vom Geltungsbereich der WTO und des
internationalen Handels ausgeschlossen werden. Dies gilt für Wasser, das
dringend zum weltweit öffentlichen Gut erklärt werden und aus dem
Bereich des Marktes ausgeschlossen werden muss, aber auch für den
Zugang zu Land, Gesundheit, Bildung, Kultur und Energie.
Schlussfolgerung
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Die internationalen Welthandelsverhandlungen haben heute einen direkten
Einfluss auf das tägliche Leben und bisweilen auf das Überleben eines jeden
Einzelnen. Diese neoliberale Politik zu stoppen ist Aufgabe von uns allen.
Die WTO-Ministerkonferenz in Hongkong ist ein neuer Versuch, die
Liberalisierung zu beschleunigen. Verschiedene wichtige Errungenschaften
wie z. B. die Ablehnung der europäischen Verfassung, deren Ergebnis eine
Bekräftigung und Beschleunigung des Neoliberalismus in der EU gewesen
wäre, die jüngst erfolgte Verabschiedung des UNESCO-Übereinkommens
zum Schutz und zur Förderung der Vielfalt kultureller Ausdrucksformen,
die Volksabstimmung Uruguays gegen die Privatisierung des Wassers oder
das Schachmattsetzen der WTO in Seattle oder in Cancún, sind wichtige
Schritte, um diese Politik zu bremsen und Alternativen vorzuschlagen. Die
Fraktion GUE/NGL hat sich dazu gemeinsam mit den progressiven Kräften
der verschiedenen Kontinente und Seite an Seite mit der sozialen Bewegung
in vollem Umfang verpflichtet.
Für weitere Informationen
hier einige nützliche Weblinks:
Die WTO: http://www.wto.org
TWN: www.twnside.org.sg
VIA CAMPESINA: http://www.viacampesina.org
ATTAC: http://www.attac.org
ESSF: http://europe-solidaire.org
FOE: http://www.foeeurope.org
FOGS: http://www.focusweb.org
IATP: http://www.iatp.org
IFG: http://www.ifg.org
OWINFS: http://www.ourworldisnotforsale.org
PSI: http://www.world-psi.org
S2B: http://www.s2bnetwork.org
South Centre: http://www.southcentre.org
URFIG: http://www.urfig.org
Die Fraktion GUE/NGL:
http://www.guengl.org
Diese Broschüre wurde erstellt von Raoul Marc Jennar und Paul-Emile
Dupret.
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Kontakt:
Fraktion GUE/NGL
Paul-Emile Dupret, Berater für Handelsfragen
Tel. : +32 2 2842067
Fax: +32 2 284 1774
[email protected]
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