In memoriam Elke Kotthoff aus der Tanzgruppe des Vereins „Griechenhaus“ e.V. – Rolf-Michael Turek Am Montag dem 16. September war Elke auf dem Weg zur ihrer Arbeitstelle, in die Akademie der Wissenschaften, von einem LKW erfasst und überrollt worden. Sie ist brutal herausgerissen worden aus einem Leben voller Hoffnungen, aus einem Leben voller Pläne und unabgeschlossener Vorhaben. Viele Menschen, auch viele, die Elke nicht kannten, sind von ihrem Tod betroffen. Diese brutale Art und Weise erinnert daran, dass wir so vieles in unserem Leben nicht unter Kontrolle haben. Gerade das, was uns besonders wichtig ist, ist leztendlich immer auch gefährdet und unverfügbar. Die Eltern und die Tochter von Elke mussten das in besonderer Weise erleben. In besonders bedrückender Weise. Nach dem ersten Schock, den manche von uns in einer Art Dämmerzustand erlebt hatten, kommen nun Gefühle, die massiv sind: Verzweiflung, Wut, Unglauben, tiefste Trauer. Für manche auch verbunden mit körperliche Schmerzen, Schlafstörungen, wiederkehrenden Gedanken und Bilder. Auch die unglaubliche Sehnsucht, Elke möge doch zurückkehren. Wann immer wir an Elke denken, dann steigen vor allem Bilder und Erinnerungen auf. Für jeden von uns sind es dabei zum Teil auch andere Bilder, andere Erinnerungen. Denn jede, jeder von uns hat ja Elke auf seine Weise auf ihrem Weg durch ihr Leben begleitet. Die einen länger, die anderen kürzer die einen auf dieser Wegstrecke und die anderen auf einer anderen. Geboren wurde Elke am 12. Juli 1952 in Meerane, hier in Sachsen. Hier ging sie auch zur Schule, erlernte einen richtig-technischen Beruf. BMSR-Technikerin hieß das damals. Heute würde man sie wohl als Kybernetikerin bezeichnen. Nach ihrem Pädagogikstudium hier in Leipzig arbeitete sie dann über 10 Jahre als Lehrerin für Deutsch und Geschichte. Später dann ab 1988 im Reclamverlag. In der Akademie der Wissenschaften in Leipzig wirkte Elke dann an zentraler Stelle im Sekretariat und in verschiedenen Gremien. Uns ist versichert worden, dass sie als Kollegin und Mensch hochgeschätzt war. -2Sie fiel auf durch ihr Organisationstalent, ihr präzises Gedächtnis und ihre Umsicht in der Organisation der Abläufe im Sekretariat. Bei ihr liefen die Fäden zusammen und sie kannte alle über 200 Mitglieder der Akademie. Sie war es, die die Einladungen schrieb. Sie wusste, wer wie zu erreichen ist. Die Akademie der Wissenschaften war ihre berufliche Heimat. Ab und zu hat sie davon gesprochen: Ein Rentnerdasein konnte sie sich nicht vorstellen. Was ihre Kolleginnen und Kollegen besonders an ihr schätzten: Sie nahm sich für jede und jeden Zeit, der Rat brauchte. Sprichwörtlich war ihr Gerechtigkeitssinn und ihre kämpferische Energie. Und so war sie denn auch folgerichtig lange Mitglied des Personalrates. Ich weiß nicht, wie Elke als Kind gewesen ist. Aber ich stelle sie mir vor als ein sehr lebendiges Kind. Als ein Kind wissbegierig, aufgeweckt und voller Energie – vielleicht auch für manchen Schabernack zu haben. Denn genauso habe ICH sie kennengelernt. Seit Anfang der 90iger Jahre haben wir gemeinsam getanzt. Anfangs noch mit Wiebke. Im griechischen Tanz war sie, so habe ich sie erlebt, ganz das freie Kind. Sie konnte loslassen, aufatmen, Ideen entwickeln – auch mal trotzen, vor allem aber feiern. Manchmal kam sie zur Tür herein – ihr Mine zeigte: Na der Tag war ganz schön anstrengend. Und dann legte sie los. Schritt für Schritt fiel die Schwere des Tages von ihr ab. Zug um Zug hellte sich ihr Gesicht auf und wenn die Zeit dann zu Ende war wollte sie gar nicht aufhören. In Elke war alles präsent, was zu einem reichen und erfülltem Leben gehört: Ihr Lächeln durchstrahlte uns und ihre Anweisungen ließen uns manchmal auch zittern. Sie war Anregerin und manchmal auch antreibend, antreibend vor allem im produktiven Sinne. Sie war einfühlsam und spürend, was andere gerade brauchen – hilfsbereit und unterstützend. Sie war unser Gedächtnis: nicht nur Geburtstage und Tanzschritte, behielt sie in ihrem Kopf – auch Absprachen und Geheimnisse waren bei ihr gut aufgehoben. Manchmal war sie auch knurrig: Vor allen dann, wenn wir nicht so spurten, wie sie sich das vorstellte. Sie wusste das selbst: Sie konnte und wollte die Lehrerin in sich nicht verheimlichen. Und sie hatte Humor: Wie oft haben wir gemeinsam gelacht. Auch über das, was sich eben nicht verändern lässt. Gemeinsam waren wir der Auffassung: „Wem das Wasser bis zum Hals steht, der sollte den Kopf nicht hängen lassen.“ Zwei Tage vor ihrem Tod hatten wir noch einen gemeinsamen wunderbaren Tag: Ab Mittag beim Dieter im Garten, nachmittags eine gelungene Tanzaufführung, bis tief in die Nacht dann Gespräche, Essen und Trinken – und vor allem Tanzen. Unser Anliegen an diesem Tag war es; Menschen mit griechischer Lebensfreude anzustecken. Das war ihr wichtig und deshalb engagierte sie sich auch mit ganzer Kraft im griechisch-deutschen Kulturverein. Noch viel ließe sich sagen, sie hat sich ja an vielen Stellen engagiert. Und wenn sie etwas getan hat – dann mit ganzer Kraft. Wer mit Elke zu tun hatte, der hatte es mit der ganzen Elke zu tun. Eine halbe Elke gab es nicht. Wenn sie sich auf jemanden oder auf etwas einließ, dann mit Haut und Haaren. Tanzen, das hat Elke oft gesagt, Tanzen war ihr Leben. Im Tanz war Elke ganz Elke – in allen ihren Facetten, mit all ihrer Kreativität und Lebensfreude. -3Ich weiß, dass er Kirchenlehrer Augustin ihr aus dem Herzen gesprochen hatte als er schrieb: Ich lobe den Tanz denn er befreit den Menschen von der Schwere der Dinge bindet den Vereinzelten an die Gemeinschaft. Ich lobe den Tanz der alles fordert und fördert Gesundheit und klaren Geist und eine beschwingte Seele Tanz ist Verwandlung des Raumes, der Zeit, des Menschen der dauernd in Gefahr ist zu zerfallen ganz Hirn Wille oder Gefühl zu werden Der Tanz dagegen fordert den ganzen Menschen, der in seiner Mitte verankert ist Der Tanz fordert den befreiten, den schwingenden Menschen im Gleichgewicht aller Kräfte. Ich lobe den Tanz O Mensch lerne tanzen, sonst wissen die Engel im Himmel mit dir nichts anzufangen! An Elke erinnern heißt auch, sich bewusst zu sein, dass es nur Mosaiksteine sind, die wir zusammenfügen können - Bruchstücke, Fragmente. Für jedes Leben gilt: Es wird immer ein Rest bleiben, ein letztes Geheimnis, etwas, was sich nicht auflösen lässt. Und so nimmt jeder von uns etwas von dem Geheimnis seines Lebens mit ins Grab. Was bleibt eigentlich bei allem Rückblick für die Zukunft? Elke hatte für sich und ihr Leben auf einer ihrer Reisen drei Sätze gefunden, der sie zutiefst berührt und begeistert haben: „Δεν ελπίζω τίποτα. Δε φοβούμαι τίποτα. Είμαι λέφτερος.“ („Ich erhoffe nichts. Ich fürchte nichts. Ich bin frei.“) Diese drei Sätze stehen auf dem Grabstein des Dichters Nikos Kazantzakis in Kreta. Elke hat diesen Dichter geliebt und verehrt. In Deutschland vor allem bekannt geworden durch seine Romane „Alexis Sorbas“, „Die Griechische Passion“, „Rechenschaft vor El Greco“ und manchen anderen. Im Geiste fühlte sie sich mit ihm eng verwandt. Kazantzakis gilt unter den griechischen Literaten als „heroischer Pessimist“, als „trotziger Desperado des Geistes“. Das hat schon was – auch und gerade in Bezug auf Elke. Die Sätze, die Elke so aus ihrem eigenen Herzen sprachen, stammen aus einem längeren, vielleicht hier in Deutschland weniger bekannten Zyklus. In seinem Epos Ασκητική schreibt Kanzantzakis: „Ich weiß nun; ich hoffe auf nichts, ich fürchte nichts, ich habe mich von Gott und Herz befreit, ich bin emporgestiegen, ich bin frei. Das will ich. Ich will sonst nichts. Ich hatte nach Freiheit gesucht.“ Es sind trotzige Sätze. Es sind Sätze, die neben solchen stehen wie (auch aus der Ασκητική): „Besiege, die letzte, die größte Versuchung: die Hoffnung!“. Hier schimmert Nietzsche durch, Schopenhauer aber auch kretischer Heroismus. Kretischer Heroismus: das heißt kämpfen – auch wenn ein Sieg aussichtslos ist. Und ? - Genau das ist sie doch auch - unsere Elke. -4Dabei ist es ja so, dass solche Überzeugungen nicht am Schreibtisch ausgetüftelt werden oder einem in der Studierstube zufliegen. Solche Überzeugungen werden gegossen aus Erfahrungen und Tränen, sie bilden sich in Widerstand und Protest. Wir wissen, dass auch Elke manchen inneren Kampf zu bestehen hatte. Wir wissen aber auch, dass sie sich nicht zerbrechen ließ. Ihre innere Kraft war größer als die Herausforderungen, denen sie sich zu stellen hatte. Ein zutreffender Ausdruck dafür ist der Tanz des Alexis Sorbas, so wie ihn Mikis Theodorakis choreographiert hat. Wir haben öfter mal darüber gesprochen. Langsam beginnend, mit ganz sparsamen Bewegungen steigert sich dieser Tanz Schritt für Schritt zu einem stürmischen Abschluss. Am Anfang ist Zeit und Raum für die Trauer, Zeit für die Verzweiflung, Zeit ganz bei sich zu sein. Und dann, in dem Maße wie ich mich meinen Gefühlen hingebe, sie ausdrücke, sie austanze, mich ihnen stelle – in dem Maße verwandeln sie sich. Schmerz und Trauer verwandeln sich in Dankbarkeit, Verzweiflung in Triumph. Und so wünsche ich es auch uns, die wir vom Tod Elkes betroffen sind: Trauer, Einsamkeit, Wut und Schmerz mögen sich im Laufe der Zeit mit Dankbarkeit und Freude verflechten. Dankbarkeit und Freude für die gemeinsam erlebte Zeit. Ich glaube, dass unsere Trauer uns weiter begleiten wird - auch wenn wir irgendwann wieder „funktionieren“ – es wird nicht mehr so sein wie früher. Ohne zu übertreiben, wage ich zu sagen: Der Tod von Elke hinterlässt eine große Lücke. Eine Lücke - und - das sollten wir uns eingestehen, die sich nicht einfach so zu schließen lässt. Die Wunden, die ihr Tod gerissen hat werden im Laufe der Zeit wohl verheilen. Aber die Narben werden bleiben. Und das ist gut so. Diese sichtbaren und spürbaren Narben werden uns erinnern an eine starke Frau, an eine gute Freundin, an ein liebevolles mitfühlendes Wesen, an eine Aufmüpfige, die auch mal zur Kratzbürste werden konnte. An eine Frau, die die Welt und das Universum bereichert hat! Am Donnerstag, dem 2. Oktober haben wir gemeinsam mit vielen, vielen Menschen in einer Veranstaltung an der Akademie der Wissenschaften an Elke erinnert. Ihre Tochter Wiebke war mit dabei und auch ihre Eltern. Und natürlich auch ihre Kolleginnen und Kollegen, Vertreter verschiedener Organisationen, der Vorstand und Mitglieder der Akademie der Wissenschaften, viele von unserer Tanzgruppe und unserem Verein. Wir waren zusammen gekommen, um gemeinsam zu trauern, um gemeinsam zu erinnern, um uns gegenseitig zu trösten. Auf dieser Gedenkfeier wollten wir besonders der Tochter und den Eltern zeigen, dass sie mit ihrer Trauer nicht allein sind. Dabei ist uns bewußt: Wir können diese Trauer zwar nicht wegnehmen – aber was wir können ist: mit-trauern, mit-weinen, gemeinsam nach Trost suchen. Wir haben uns auf dieser Gedenkfeier an einer alten jüdischen Weisheit orientiert. An dem Satz, der da heißt: "Das Geheimnis der Erlösung heißt Erinnerung." Genau das haben wir miteinander getan: Erinnert und geweint. Der Musik gelauscht und uns durch eine Bildfolge anregen lassen. Am Ende haben wir dann noch miteinander gesprochen und mit einem Glas Wein auf Elke angestoßen. Mας λείπεις, φιλενάδα.