Gedanken zum Monat Dezember - Schönstatt

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Gedanken zum Monat April 2010
Liebe Freunde der Schönstatt-Patres
In jedem Frühjahr kommt die schwierige Aufgabe auf mich zu, verschiedenen Eltern, die eines ihrer
Kinder bei einem Verkehrsunfall verloren haben, zum Jahrestag des Todes einen Brief zu schreiben.
Das macht man nicht mal so schnell nebenbei.
In diesem Jahr habe ich nach längerem Überlegen einen Text ausgewählt aus dem Buch von Paul
Young, „Die Hütte.“ Und da diese Eltern auf meinen Brief in diesem Jahr intensiver als sonst reagiert
haben, möchte ich auch Ihnen von einer Szene aus diesem Buch jetzt im Ostermonat schreiben. Hier
kurz der Rahmen: Eine amerikanische Familie macht einen Wochenendausflug an einen See. Kurz vor
der Abreise wollen die beiden größeren Kinder noch mal eine kleine Kanutour machen. Sie kentern
und ihre Schwimmwesten verhaken sich in den Bootsleisten. Der Vater bemerkt, dass seine Kinder
trotz Schwimmwesten nicht an die Wasseroberfläche kommen, stürzt sich in den See, und kann sie aus
dieser misslichen Lage befreien. Erleichtert erreichen Retter und Gerettete wieder das Ufer. Doch nun
müssen sie voll Schrecken feststellen, dass die jüngste Tochter entführt worden ist. Fieberhafte
Nachforschungen durch die Polizei machen aus der Angst die schreckliche Gewissheit, dass die
Tochter Opfer eines perversen Gewaltverbrechers geworden ist. Doch außer einem blutverschmierten
Pullover in einer Hütte dieses Naturschutzgebietes findet man nichts. Namenlose Trauer und
Schuldgefühle legen sich auf alle Familienmitglieder. Mauern der Sprachlosigkeit wachsen zwischen
den Eltern und Kindern. Dann bekommt plötzlich der Vater eine Einladung zu einem Wochenende
genau in der Hütte, wo man den Pullover der Jüngsten damals gefunden hatte. Unterschrieben ist die
Einladung vom lieben Gott. Der Vater macht sich nach einigen Zweifeln auf den Weg und es beginnt
das Phantastische: Er begegnet wirklich den drei göttlichen Personen, die sich für ihn sichtbar
machen...
Die vielen Dialoge zwischen ihm und den drei göttlichen Personen sind spannender als es je eine
Vorlesung in meinem Theologiestudium war. Und die Kernfrage nach dem unschuldigen Leid und der
Allmacht und Liebe Gottes wird nach allen Richtungen hin durchdiskutiert und damit durchmeditiert.
Bei einer Begegnung mit der personifizierten göttlichen Weisheit soll er sich auf deren Richterstuhl
setzen und Gott anklagen, warum er diese Welt nicht besser gemacht habe. Der Richterstuhl ist für den
Vater viel zu groß und er bekommt zumindest eine Ahnung, in welcher Problematik Gott selber steckt,
wenn er dem Menschen Freiheit schenkt, damit er lieben kann und dadurch Gott ähnlich wird und in
der Begegnung mit dem liebenden Gott glücklich werden kann. Dann „muss“ andererseits Gott auch
den Missbrauch der Freiheit zulassen und Millionen unschuldiger Opfer in Kauf nehmen. Ist die Liebe
einen solchen Preis wert? Und der Vater erkennt, dass die „Lösung“ darin besteht, dass eine göttliche
Person, der Sohn selber sich mit den unschuldigen Opfern solidarisiert und ein Menschenleben auf der
Seite der Opfer führt und alle Situationen durchleidet, in die ein Mensch je kommen kann. An diese
Szene schließt sich eine imaginäre Begegnung mit seiner ermordeten Tochter an. Aus dieser Szene
bringe ich jetzt ein Originalzitat (Mackenzie, oder „Mack“ ist der Vater, „Missy“ die ermorderte
Tochter, „Papa“ ist Gott-Vater, die erklärenden Worte spricht die Weisheit):
Er erblickte seine eigenen Kinder dort - Jon, Tyler, Josh und Kate. Aber warte! Da war noch jemand!
Mit keuchendem Atem starrte er angestrengt zu ihnen herüber. Er versuchte, zu ihnen zu gelangen,
und kämpfte dabei gegen eine unsichtbare Kraft an. Der Fels schien immer noch da zu sein, auch
wenn er durchsichtig geworden war. Dann sah Mack sie klar und deutlich. »Missy!« Da war sie. Sie
planschte mit nackten Füßen im Wasser herum. Als hätte sie ihn gehört, löste sie sich von der Gruppe
und rannte über den Pfad, der genau vor Mack endete, rannte genau auf ihn zu.
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»Oh mein Gott! Missy! Missy!«, schrie er und versuchte, vorwärts zu laufen, durch den Schleier, der
sie voneinander trennte. Zu seiner Bestürzung war da eine Kraft, die es ihm nicht gestattete, näher zu
seiner Tochter zu gelangen. Es schien eine magnetische Kraft zu sein, die immer stärker wurde, je
mehr er gegen sie ankämpfte. Er war in der Höhle gefangen.
»Sie kann dich nicht hören.«
Mack wollte das nicht akzeptieren. »Missy!«, rief er so laut er konnte. Sie war so nah. Die
Erinnerungen, die er auf keinen Fall verlieren wollte und die doch allmählich zu verblassen begannen,
sprangen wieder hell und klar in sein Bewusstsein. Er suchte krampfhaft nach einem Griff oder Hebel,
um diese durchsichtige Wand irgendwie aufzudrücken und einen Weg zu seiner Tochter zu finden.
Aber da war nichts.
Inzwischen hatte Missy das Ende des Pfades erreicht und stand nahe vor Mack. Ihr Blick war aber
eindeutig nicht auf ihn gerichtet, sondern auf etwas, das sich zwischen ihnen befand, etwas Großes,
das für ihn selbst unsichtbar war.
Schließlich hörte Mack auf, gegen das Kraftfeld zu kämpfen, und drehte sich halb zu der Frau um.
»Kann sie mich sehen? Weiß sie, dass ich hier bin?«, fragte er verzweifelt.
»Sie weiß, dass du hier bist, aber sie kann dich nicht sehen. Von ihrer Seite aus sieht sie den schönen
Wasserfall, weiter nichts. Aber sie weiß, dass du dich dahinter befindest.«
»Wasserfälle!«, rief Mack lachend. »Sie liebt Wasserfälle, kann gar nicht genug davon bekommen!«
Jetzt konzentrierte Mack sich auf sie und versuchte, sich so genau wie möglich an alle Details ihres
Gesichts, an ihr Haar und ihre Hände zu erinnern. Da erschien ein strahlendes Lächeln auf Missys
Gesicht. Mack sah, wie Missys Lippen! langsam und mit großer Deutlichkeit die Worte formten: »Es
geht mir gut...« Und dann schrieb sie in die Luft: »Ich liebe dich.«
Das war zu viel, und Mack weinte vor Freude. Er konnte nicht aufhören, sie anzuschauen, sie durch
die rauschenden Kaskaden seines eigenen Wasserfalls hindurch zu beobachten. Es war schmerzhaft,
ihr wieder so nah zu sein, sie dort stehen zu sehen, auf ihre unnachahmliche Art - ein Bein
vorgestreckt, die Hand auf der Hüfte, das Handgelenk nach innen gedreht. »Es geht ihr wirklich gut,
nicht wahr?«
»Viel besser, als du dir vorstellen kannst. Dieses Leben ist nur ein Vorzimmer zu der größeren
Realität, die auf euch wartet. In eurer Welt entfaltet niemand sein volles Potenzial. Sie ist nur eine
Vorbereitung auf das, was Papa die ganze Zeit über für euch vorgesehen hatte.«1
Ich muss sagen, dass mir beim Lesen dieser Szene auch die Tränen in die Augen stiegen. – Aber es ist
eigentlich nichts anderes, als die sinnliche Ausmalung dessen, was wir glauben: Wir glauben an die
Auferstehung der Toten und das ewige Leben. Paulus schreibt in aller Deutlichkeit, was wäre, wenn:
„Wenn es keine Auferstehung der Toten gibt, ist auch Christus nicht auferweckt worden.
Ist aber Christus nicht auferweckt worden, dann ist unsere Verkündigung leer und euer Glaube sinnlos.
Wenn aber Christus nicht auferweckt worden ist, dann ist euer Glaube nutzlos und ihr seid immer
noch in euren Sünden; und auch die in Christus Entschlafenen sind dann verloren. Wenn wir unsere
Hoffnung nur in diesem Leben auf Christus gesetzt haben, sind wir erbärmlicher daran als alle anderen
Menschen.“ (1Kor 15,13-19)
Ich wünsche und erbitte Ihnen, dass Sie aus diesem österlichen Glauben den Trost und die Zuversicht
gewinnen können, der sich aus dieser Wirklichkeit ergibt. Und ich erbitte Ihnen die Kraft der Liebe,
dass Sie Ihren lieben Verstorbenen dieses Glück bei Gott, das sie jetzt schon haben, zu gönnen - auch
wenn für Sie selber der Preis hoch ist, denn Sie erleben und spüren ja „nur“ die Lücke, die dieser liebe
Mensch in ihrem Leben hinterlassen hat.
Gesegnete Osterzeit
Ihr
Pater Elmar Busse
1
William Paul Young, Die Hütte. Ein Wochenende mit Gott, Ullstein Verlag Berlin 2009, S. 191f
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