Differentialgleichungen 1. Einführung In vielen Gebieten der Wissenschaft beschäftigt man sich mit dynamischen Modellen, d.h. mit Modellen, in denen sich bestimmte Grössen in Abhängigkeit von der Zeit ändern. Physik: Chemie: Ökonomie: Radioaktiver Zerfall, Ausbreitung von Wellen Konzentration von Reagenzien bei verschiedenen Reaktionen Volkseinkommen, Investitionen oder Konsum Als Instrument zur Analyse von dynamischen Systemen dienen Differentialgleichungen. Ziele einer dynamischen Analyse sind: Steuerung, um einen Gleichgewichtszustand zu erhalten Prognosen von bestimmten Werten in der Zukunft Stabilitätsbetrachtungen 2. Was ist eine Differentialgleichung? Eine gewöhnliche Differentialgleichung beschreibt, wie eine unbekannte Funktion y(x) oder y(t) und ihre Änderung y'(x) (eventuell auch höhere Ableitungen) zusammenhängt. Kommen mehrere unabhängige Variablen vor, so heisst die Differentialgleichung partiell. Die folgenden Ausführungen beziehen sich ausnahmslos auf gewöhnliche Differentialgleichungen. Bezeichnung: dy y dx Beispiel: Def: y'(t) = a y(t) (Der Funktionswert ändert sich proportional zum jeweiligen Wert) Eine Gleichung der Form F(x, y, y', y'', ..., y(n)) = 0 bzw. y(n) = F(x, y, y', y'', ..., y(n- 1)) heisst Differentialgleichung n-ter Ordnung. Treten y, y', y'', ..., y(n- 1) nur linear auf, d.h. Vielfache der Funktion und ihrer Ableitungen werden addiert oder subtrahiert, aber nicht multipliziert miteinander, so heisst die Differentialgleichung linear. Die Koeffizienten können dabei konstant oder Funktionen der unabhängigen Variablen x oder t sein. Beispiele: 1) 2) 3) 4) 5) y' = y y'' = 1 y'' + 3y' - 10y = ex y' + x2y = a + bx3 y'' + y'y = c Lin. DG 1. Ordnung mit konst. Koeffizienten Lin. DG 2. Ordnung mit konst. Koeffizienten Lin. DG 2. Ordnung mit konst. Koeffizienten Lin. DG 1. Ordnung mit nicht konst. Koeffizienten Nicht lineare DG 2. Ordnung 3. Was ist die Lösung einer Differentialgleichung? Sucht man die Lösung einer Differentialgleichung, so sucht man Funktionen y(x) oder y(t), die diese Differentialgleichung erfüllen. Beispiel: y'(x) = y(x) Lösungen: y(x) = 0 y(x) = ex y(x) = kex Def: Die allgemeine Lösung einer Differentialgleichung ist die Gesamtheit aller Funktionen, welche die vorgeschriebene Gesetzmässigkeit aufweisen. Anfangsbedingungen lassen die Bestimmung einer einzigen Lösung aus der Lösungsgesamtheit zu. Beispiele: 4. 1) 2) 3) 4) 5) y' = x Lösung: y'' = 1 Lösung: R'(t) = -kR(t) (Radioaktiver Zerfall) Lösung: Beweise: y'' + y = 0 hat die Lösungen y = cos x und y = sin x Beweise: x2y'' - 3xy' + 4y = 0 hat die Lösung y = x2 ln x Wie entstehen Differentialgleichungen? Beispiel 1: Radioaktiver Zerfall Das radioaktive Isotop Thorium-234 zerfällt mit einer Rate, die proportional zum aktuellen Bestand ist, d.h. je kleiner der Bestand an Thorium-234 ist, desto kleiner wird die Abnahme des Bestandes. Um einen solchen Zerfallsprozess mathematisch zu erfassen, nehmen wir an, der Bestand an Thorium-234 zum Zeitpunkt t sei R(t)>0, wobei R in Milligramm und t in Tagen gemessen wird. Dieser Bestand ändert sich im Laufe der Zeit. Die Abnahme des Bestandes R(t) in einem bestimmten Zeitraum [t, t+h] ist abhängig von der Länge des Zeitintervalls h und vom jeweiligen R(t). dR Lassen wir h gegen 0 gehen, so erhalten wir die momentane Änderung des Funktionswertes . dt Die phylikalische Beobachtung, dass Thorium-234 mit einer Rate abnimmt, die proportional dR zum aktuellen Bestand ist, bedeutet, dass die momentane Veränderung proportional zu R ist. dt Also erfüllt R die Differentialgleichung dR kR . dt Beispiel 2: Harmonische Schwingungen Einige der bedeutendsten Anwendungen von Differentialgleichungen erster Ordnung findet man in der Mechanik, z. B. bei der Bewegung eines Körpers entlang einer geraden Linie. Wir gehen davon aus, dass sich die Körper gemäss dem Newtonschen Grundgesetz der Mechanik verhalten: Das Produkt aus Masse m und Beschleunigung a ist gleich der resultierenden Kraft F F ma Ein Gegenstand wird aus der Ruhelage fallengelassen. Wir gehen davon aus, dass der Versuch nicht im Vakuum ausgeführt wird, d. h. es gibt einen Widerstand der proportional zum Absolutbetrag der momentanen Geschwindigkeit v des Gegenstandes ist. Unter der Annahme, die Gravitationskraft sei konstant, wollen wir die Position und die Geschwindigkeit des Gegenstandes zu einem bestimmten Zeitpunkt t bestimmen. kv mg In diesem Beispiel ist es geschickt, die x-Achse nach unten x zu richten. Der Ursprung liegt im Ausgangspunkt des Gegenstandes, wie die nebenstehende Skizze zeigt. Die Gewichtskraft mg, die auf den Gegenstand wirkt, wirkt so nach unten, in positiver xRichtung. Der Widerstand k v , wobei k eine positive Konstante ist, wirkt der Gewichtskraft entgegen (in negativer x-Richtung) und bremst die Bewegung. Deshalb kann das Newtonsche Grundgesetz der Mechanik folgendermassen geschrieben werden: m 5. dv mg kv dt oder dv k vg dt m Qualitative Analyse einer Differentialgleichung - Richtungsfeld Wir betrachten eine Differentialgleichung erster Ordnung y f (x, y) . Die Funktion y(x) sei eine Lösung dieser Gleichung und der Graph von y(x) gehe durch den Punkt (x0 , y0 ) . Die Steigung der Tangente an die Funktion y(x) in diesem Punkt beträgt y (x0 ) . Dies ist aber f (x0 ,y0 ) , die rechte Seite der obigen Differentialgleichung y f (x, y) . Um zu verstehen, wie der Graph der Funktion verläuft, zeichnet man kurze Tangentenstückchen mit den entsprechenden Steigungen in ein Koordinatensystem. Die entstehende Graphik nennt man Richtungsfeld einer Differentialgleichung erster Ordnung. Mit Hilfe des Richtungsfeldes versteht man auch, was mit der Lösung der Differentialgleichung in verschiedenen Bereichen des Koordinatensystems geschieht. Die Lösung der Differentialgleichung wächst, falls die Steigung positiv ist, die Lösung der Differentialgleichung nimmt ab, falls die Steigung negativ ist und die Lösung der Differentialgleichung verläuft parallel zur x-Achse, falls die Steigung 0 ist. Beispiel: Gegeben sei die Differentialgleichung 1. Ordnung Gesucht ist das Richtungsfeld. Zeichnet man nun dieses Richtungsfeld, so lassen sich die Lösungskurven von Hand in das Richtungsfeld einpassen. y' = x gsa ve cu rrentp oint tran slate stro 1 4 ke 4 di v1setl 4 di inewid v setlth inewid 0 sthetgra0ys etgra 0.0 00 stro 220 .870 ke y 2220 114 149 6.1 00.0 164 12 .565 .000 .870 00 .565 2 62.2 m164 201 235 oveto moveto 75 .000 .435 .565 m ove mo 4.0 30 5 Es wird etwas parabelartiges herauskommen. Am Richtungsfeld ist deutlich zu sehen, dass es keine eindeutige Lösung gibt, solange nicht noch gewisse Anfangsbedingungen gegeben sind. -5 Man könnte beispielsweise verlangen, dass die gesuchte Kurve durch einen bestimmten Punkt, wie in der nebenstehenden Skizze durch P(2/1), gehen muss. Dadurch wird aus der Schar von Lösungskurven genau eine ausgewählt. P