1 Inga Heckmann Yoga für Jugendliche www.ingaheckmann.de Was ist Yoga? Zunächst ist es einfacher, zu beschreiben, was Yoga nicht ist: Yoga ist keine Gymnastik, kein Sport, keine Religion. Yoga besteht nicht (ausschließlich) darin, im Schneidersitz zu meditieren und Mantras vor sich hin zu murmeln, Yoga ist nicht nur entspannend, Yoga ist nicht „gemütlich“ und nicht nur für Menschen mit Rückenproblemen geeignet, die keine anstrengendere Sportart ausüben können. Was ist Yoga dann? Yoga ist vielmehr ein philosophisches System, das weit vor dem Buddhismus in Indien entstanden ist. Das Entstehungsdatum ist nicht eindeutig festlegbar. Yoga, wie wir es heute kennen, ist das Produkt mehrerer Jahrtausende. Nach neuesten Forschungen liegen die Ursprünge ca. um 1900 v. Chr. (*1) Die philosophischen Grundlagen des Yoga wurden zum ersten Mal vor allem von Patañjali im Yoga-Sutra formuliert. Allerdings ist über das Leben von Patañjali nichts bekannt, auch nicht wann er gelebt hat. Indologen sind aufgrund bestimmter Formulierungen, die sich auch im Spätbuddhismus finden, der Ansicht, das Werk sei im 4. oder 5. Jahrhundert entstanden. Um Yoga zu verstehen, sollten jedoch diese philosophischen Grundlagen zumindest in Grundzügen bekannt sein. Das Yoga-Sutra von Patañjali besteht aus 195 Sanskrit-Versen, in denen in hochkonzentrierter Form die Essenz des Yoga-Weges gebündelt ist. Patañjali stellt Yoga als einen achtgliedrigen Weg dar. Die acht Aspekte sind: Yama (Moral, Ethik – das Verhalten anderen gegenüber, gesellschaftliche Disziplin; allen voran Ahimsa = Gewaltlosigkeit / --Satya = Wahrhaftigkeit (auch sich selbst gegenüber) Niyama (Selbstdisziplin – das Verhalten sich selber gegenüber; wie Sauca = Reinheit /Samtosa = Zufriedenheit) Asana (Übungen der Yogastellungen, körperliche Disziplin) Pranayama (Beherrschung des Atems, mentale Disziplin) Pratyahara (Sich-nach-Innen-Ausrichten, Disziplin der Sinne) Dharana (Konzentration) Dhyana (Meditation) Samadhi (Ekstase, Versenkung, All-Einheit, Verwirklichung des höheren Selbst) Alle acht Glieder des Yoga bilden eine untrennbare Einheit. Oft wurden sie als Stufen einer Entwicklung interpretiert, eigentlich beziehen sie sich jedoch auf verschiedene Aspekte des menschlichen Lebens, so dass sie nicht nacheinander zu praktizieren sind, sondern vielmehr einen ganzheitlichen Übungsweg repräsentieren, bei dem die verschiedenen Disziplinen zusammen wirksam werden. Das letztendliche Ziel des Yogaweges ist Samadhi, die völlige Ruhe des Geistes. Warum Yoga im Westen? Zunächst einmal muss eingeräumt werden, dass natürlich Yoga, wie er im Westen praktiziert wird, nur eine Annäherung an den traditionellen, philosophischen, indischen Weg ist. Dennoch kann gerade der westlich sozialisierte Mensch als Teil und Produkt der Leistungsgesellschaft von Yoga enorm profitieren. In Indien gibt es auch durchaus für verschiedene Bedürfnisse und Lebensumstände angepasste Yoga-Stile, die sich wesentlich voneinander unterscheiden in ihrer Ausprägung. Der Yoga, der hauptsächlich im Westen praktiziert wird, wird im allgemeinen unter dem Begriff Hatha-Yoga zusammengefasst. Hatha ist die Form des Yoga, bei der das Gleichgewicht zwischen Körper und Geist vor allem durch drei der von Patanjali im achtgliedrigen Pfad beschriebenen Aspekte erreicht wird: durch körperliche Übungen (Asanas), Atemübungen (Pranayama) und Meditation (Dhyana). 2 Die Verbindung von Körper und Geist findet in der Bewegung durch die bewusste Atmung statt. Asanas und Atmung sind eng miteinander verknüpft. Sämtliche in Europa, USA und Australien praktizierten „neuen“ Yoga-Stile können unter Hatha-Yoga zusammen gefasst werden, seien es die aus Indien stammenden und für den Westen modifizierten Stile wie Ashtanga und Sivananda oder auch die aus den USA stammenden wie Anusara, Pranaflow, Triyoga etc. Alle diese Stile haben ihre eigene Berechtigung und in der Vielfalt liegt auch eine hervorragende Chance für alle und jeden, sich den für ihn oder sie sympathischsten Yogastil herauszusuchen ... Zurück zum Nutzen für den westlichen Menschen: Das ultimative Ziel des Yoga nach Patanjali ist, wie oben erwähnt, die Ruhe des Geistes. Ruhe des Geistes bedeutet allerdings nicht Abschaffung von Denkprozessen, sondern muss eher als eine Art Disziplin des Verstandes betrachtet werden, als ein Versuch, die endlose Kette der Gedanken für kurze Zeit zu unterbrechen, um letztendlich Stress zu reduzieren und sogar zu vermeiden. Ein kleiner Ausflug in die Forschung: Immer mehr internationale Studien bestätigen die Wirksamkeit des Yoga bei verschiedenen Stresssymptomen und Krankheitsbildern. Und das genau bei jenen Erkrankungen, die unsere Zivilisationsgesellschaft massenhaft hervorbringt: Schmerzen am Bewegungsapparat, Stoffwechselstörungen, Atemwegsund Herz-Kreislauf-Erkrankungen, ein geschwächtes Immunsystem und psychische Leiden. (*2) Eine der größten Untersuchungen zur Wirkung von Hatha-Yoga bei Schlafstörungen, chronischem Kopfschmerzsyndrom, Hypertonie und chronischem Lumbalsyndrom im deutschsprachigen Raum wurde ab 1993 in Berlin durchgeführt. Das Projekt stand unter Leitung von Dr. Martina Bley und fand eine große Resonanz in den Medien. An der Forschungs-Kooperation beteiligten sich u.a. die Freie Universität Berlin, die Barmer Ersatzkasse Berlin und das Gesundheitszentrum der BKK Berlin. Bis Juli 1995 hatten über einen Untersuchungszeitraum von 18 Monaten insgesamt 253 Probanden an den Yoga-Kursen teilgenommen, die teilweise auch von Ärzten und Psychologen aus Indien geleitet wurden. Ihren wissenschaftlichen Niederschlag fand dieses Projekt unter anderem in der Dissertation von Christina Kühn mit dem Titel: "Effektivität von Hatha-Yoga bei Kreuzschmerzen und Hypertonie". Die Wissenschaftlerin untersuchte für ihre Dissertation - im Rahmen des Gesamtprojektes - 52 Probanden mit Kreuzschmerzen (davon 21 in einer Kontrollgruppe) und 34 Probanden mit Hypertonie (davon 15 in der Kontrollgruppe). Sie konnte bei den Probanden mit Kreuzschmerzen eine signifikante Verringerung der Schmerzintensität und Schmerzdauer bereits nach vierwöchiger Yoga-Praxis beobachten, die auch nach vier Monaten Yoga-Praxis nachweisbar war (Kühn 1996, 28). In der Gruppe der Probanden mit Hypertonie (Bluthochdruck) wurden im Vergleich zur Kontrollgruppe ebenfalls signifikante systolische und diastolische Blutdrucksenkungen nach vierwöchiger Yoga-Praxis beobachtet Warum Yoga für Jugendliche? Zunächst noch mal ein kleiner Ausflug nach Indien: In Indien wurden die Söhne von Bramahnen wurden mit 10 Jahren zu ihrem spirituellen Lehrer geschickt. Dies wurde von Initiationsriten begleitet, die die Ablösung von den Eltern und das Hineinwachsen in die Selbstverantwortlichkeit unterstützten. Bei ihrem spirituellen Lehrer lernten die Jugendlichen nicht nur Lesen und Rechnen, sondern wurden je nach Tradition auch in yogischen Praktiken, Meditation und spiritueller Philosophie unterwiesen. Sie bekamen Aufgaben, um ihre Fähigkeiten zu entwickeln, zu erproben und unter Beweis zu stellen und Verantwortung zu entwickeln, indem sie ihrem Meister oder der Gemeinschaft dienten. So erhielten sie in dieser Zeit, in der sie noch über besondere Aufnahmefähigkeit verfügten und sich ihre Persönlichkeit noch in einem labilen Prozess der Reifung befand, eine ganzheitliche Bildung. 3 Ähnliche Initationsriten und Vorbereitungen auf die Pubertät gab es in vielen Gesellschaftssystemen. In unserer heutigen Welt sind diese Übergangshilfen zum Erwachsenenalter verschwunden. Die Vielfalt, die Informationsflut, Internet und Fernsehen, das „globale Dorf“, bieten zwar Chancen, aber verursachen auch Verwirrung und Reizüberflutung. Die Wahrnehmung der Innenwelt weicht der überbordenen Außenwelt. Hinzu kommt Leistungsdruck, Bewegungsmangel, der „kinder“leichte Zugang zu Alkohol und Drogen, um den inneren und äußeren Stress vermeintlich zu reduzieren. Yoga bietet hier eine pragmatische Möglichkeit, das Stressniveau deutlich zu senken. Yoga sollte deswegen nicht nur im Sportunterricht, oder in einem Kurs stattfinden, sondern zu einem Mittel werden, das auch im Alltag angewendet werden kann. Wie kann Yoga im Sportunterricht umgesetzt werden? Yoga steht zunächst einmal in einem deutlichen Gegensatz zum Sportunterricht: Hier wird keine besondere Leistung verlangt, es läuft keine Stoppuhr, es werden keine Tore geschossen, Wettkampf ist kein Thema. Doch gerade das ist es, was Jugendliche, wenn sie in den Genuss einer Yogastunde kommen, besonders gefällt: Die Erfahrung, völlig ohne Druck und Erwartungen sich dem eigenen Körper und Geist zu widmen. Hinzu kommt, dass es im Yoga ein weites Feld an Partnerübungen gibt, die auch durchaus recht lustig und herausfordernd für Jugendliche sind. Meiner Erfahrung nach entdecken Schüler, die im Schulalltag nicht besonders ehrgeizig sind, gerade beim Yoga ihren Spaß an der Herausforderung. Spaß am Unbekannten, daran, Dinge zu tun, die sie sich anfangs nicht zugetraut hätten. Eine Yogastunde besteht aus drei Komponenten: - Entspannung/Meditation Asanas (Yogaübungen) Abschlussentspannung Zeit: mindestens 45 min. Entspannung/Meditation * Aufrechte, entspannte Haltung (Schneidersitz, Klotz/Kissen/Decke unter dem Steißbein) einnehmen Halblotus, Lotus, evtl. unterstützt mit * Entspannung durch Atmung: tiefes Ein- und langes Ausatmen, Muskeln bewusst entspannen * evtl. Mantrasingen (siehe Musikliste) * Meditation mit Hilfe der eigenen Empfindungen, Atembeobachtung, Gedankenbeobachtung, Vorstellung ruhige Wasseroberfläche (angelehnt an die Vipassana-Methode) Asanas * Mobilisation der Wirbelsäule im Vierfüßler: Einatmung runder Rücken, Ausatmung „Hohlkreuz“ * herabschauender Hund (Adho Mukasvanasana) in Bewegung („Blissful Dog“) * Mandala Namaskar Prep (in Anlehnung an den Sonnengruß) 4 Peak Position Prinzip: In Vorbereitung auf eine Zielübung werden verschiedene Asanas durchgeführt. Für Armbalancen wie den Handstand zum Beispiel eine Serie Flows, die die Armmuskulatur stärken (siehe Mandala Namaskar Prep) oder für die Konasana-Variation Übungen zur Dehnung der Oberschenkel und Drehungen der Wirbelsäule. Beliebte Peak Positions: alle Armbalancen wie z.B. Krähe oder Bujapidasana, Handstand an die Wand, Brücke, Schildkröte, Konasana Variation Sonstige Übungen: Held No. 2 für das Selbstbewusstsein Bauchmuskeltraining mit Navasana (das Boot) und bewegtes Boot Baum für Konzentration und Balance (mit Variationen, z.B. Fuß in die Leiste legen, Augen schließen) Alle Peak Positions und viele Asanas auf dem Weg dahin können zu zweit oder auch in der Gruppe eingeübt werden. Partnerübungen machen den Jugendlichen besonders Spaß und stärken das Gemeinschaftsgefühl (siehe Literatur). Es ist durchaus empfehlenswert, die so genannten Flows wie Mandala Namaskar mit passender Musik zu untermalen. Durch die Rhythmik ist es für die Jugendlichen oft einfacher, den Atemfluss gleichmäßig zu halten. Natürlich ist die Auswahl der Musik entscheidend, über Geschmack lässt sich ja bekanntlich nicht streiten. Am Ende dieses Handouts deswegen ein paar Empfehlungen dazu, die sich in der Praxis bewährt haben. Abschlussentspannung * Liegen in Savasana („Totenstellung): Rückenlage, Beine ausgestreckt, Füße fallen locker auseinander, Arme neben dem Körper * Alle Muskeln entspannen (Reise durch den Körper: die Füße, jeder einzelner Zeh, der Knöchel sind entspannt, Knie und Wade entspannt usw.) * Atmung fließen lassen * leise Musik (siehe Liste) * Herausführen aus Entspannung: Atmung wieder bewusst aufnehmen, in den Raum zurück kehren, Finger und Zehen bewegen, strecken und räkeln, gähnen, auf die rechte Seite rollen mit angezogenen Knien und dann langsam über den Ellenbogen aufrichten 5 Quellen (Internet) *1 *2 *3 Wikipedia.de: Stichwort Patanjali Yoga im Spiegel der Wissenschaft von Dr. Christian Fuchs, Bad Boll Yoga für Jugendliche von Atma Singh Harazim Literatur Leider gibt es so gut wie keine deutschsprachige Literatur zum Thema Yoga mit Jugendlichen, dagegen teilweise eine große Anzahl an Publikationen aus den USA, die über amazon.de beziehbar sind. Ebenso verhält es sich mit dem Standardwerk zum Ashtanga Yoga sowie einem hervorragenden Buch zur Anatomie, The Key Muscles of Hatha Yoga. Georg Feuerstein: Die Yoga Tradition, Geschichte, Literatur, Philosophie und Praxis, Yoga Verlag 2008 Jessie Chapman: Yoga for Partners (mit zahlreichen Fotos), Ulysses Press 2003 Sri K. Pattabhi Jois: Yoga Mala (Ashtanga Yoga), North Point Press 1999 Ray Long: The Key Muscles of Hatha Yoga (mit Illustrationen der Asanas und der beteiligten Muskeln), www.Bandhayoga.com, 2005 Jack Kornfield/ Reinhard Eichelbeck: Meditation für Anfänger, Inklusive CD mit sechs geführten Meditationen für Einsicht, innere Klarheit und Mitempfinden, Goldmann Arkana 2007 Musik Entspannung/Meditation/Mantras Deva Premal: Love is Space, CD Deva Premal: Embrace, CD Krishna Das: Breath of The Heart, CD Anugama: Shamanic Dream, CD Asanas/Flow MC Yogi: Elephant Power, CD Massive Attack: Teardrop Earth, Wind & Fire/Fatboy Slim: September/The Joker (Shinichi Osawa Remix) Mary J. Blige I: I See The Future Jai Uttal: Thunder Love Blues Jai Uttal: Bolo Ram Abschlussentspannung Gustavo Santaolalla: Deportation/Iguazu (Soundtrack zum Film Babel) Erik Satie: Trois Gymnopédies, Piano: Anne Queffelec Pjotr IljicTschaikowsky: Schwanensee Suite, op. 20a, Szene I, Symphonic Festival Orchestra Claude Debussy: Clair de Lune, Metropolitan Symphony Orchestra Deva Premal: Gaté Gaté Deva Premal/Miten: So much Magnificience Inga Heckmann Yoga für Jugendliche www.ingaheckmann.de 6