Ausgabe 04/2002

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Ausgabe 04/2002
Thema
Prof. Dr. Ralph Weber, Rostock
Der Hirntodbegriff und der Tod des Menschen
I. Problemstellung
Konnte Friedrich Carl von Savigny 1840 noch ohne jegliche Kritik hervorzurufen den Satz zu Papier
bringen "Der Tod als die Grenze der natürlichen Rechtsfähigkeit ist ein so einfaches Naturereignis,
dass derselbe nicht, wie die Geburt, eine genauere Feststellung seiner Elemente nöthig macht", so
hat sich dies grundsätzlich geändert. Was früher als Naturereignis festzustehen schien und daher für
die Rechtslehre etwas "deutungslos Gegebenes" war, ist heute definitionsbedürftig geworden. Damit
einhergehend haben wir uns von der Illusion befreien müssen, aus der Natur selbst ablesen zu
können, ob diese Definition richtig oder falsch ist. "Was früher als Naturtatsache außerhalb
menschlicher Verantwortung zu stehen schien, wird nun zu einer Entscheidung, für die Verantwortung
übernommen werden muss." Und wo die Grenze im Einzelfall gezogen werden soll, hängt nicht mehr
nur von Naturtatsachen ab, sondern immer stärker vom technischen Stand der medizinischen
Wissenschaft einerseits und einer moralischen Entscheidung andererseits. Schon Karl Jaspers und
Martin Heidegger konnten den Todesbegriff deshalb "als ungeheures Problem für unsere
Gesellschaft" erkennen, "nicht nur, weil er die Kontinuität menschlicher Beziehungen unmittelbar,
sondern mittelbar auch die Grundvorstellungen von Ordnung bedroht, auf denen unsere Gesellschaft
beruht". Und "unser aller Angst vor dem Tod" wird verstärkt und Skepsis kommt auf, "wenn zu den seit
Menschengedenken bekannten Todeszeichen" des klassischen Herz-Kreislaufversagens mit dem
Ausfall aller Gehirnströme "ein weiteres hinzukommt, das äußerlich so unscheinbar ist, dass es nur
durch besondere ärztliche Untersuchung festzustellen ist und ... ausschließlich unter
intensivmedizinischen Bedingungen vorkommt". Denn die klassischen Todeszeichen wie Erkaltung,
Totenflecken, Leichenstarre und Verwesung weist der Hirntote nicht auf, er zeigt keinerlei äußerliche
Kennzeichen des Todes und solche "können sich bei ihm wesenhaft nicht ausbilden".
Niemand kennt letztlich die genaue Grenze zwischen Leben und Tod und auch das Hirntodkriterium
kann dieses Nichtwissen nicht aufheben. Als Folge hiervon bezeichnet der Spiegel daher die
sogenannten "Hirntoten" als "Zwitterwesen im Grenzland zwischen Leben und Tod". Gerade deshalb
ist eine Auseinandersetzung quer durch die verschiedensten wissenschaftlichen Disziplinen selten mit
einer solchen Leidenschaft geführt worden wie die um die Berechtigung des Hirntodkriteriums. Hier
geht es "um nicht mehr und nicht weniger als um die Kernpunkte des modernen Todesdispositivs - um
Krankheit, um Leiden und Heilen, um Menschsein und Gesellschaftsideal - und das alles in der ganz
eigenen Todesmetaphorik des "Hirntodes". Jedenfalls hat die gesamte Hirntoddebatte eines klar
gezeigt, der gesellschaftliche Konsens über den Todeseintritt ist dadurch "zutiefst erschüttert." Dieser
Beitrag ist daher für all jene geschrieben, die das Risiko eingehen wollen, über den Todesbegriff und
seine Bedeutung vertieft nachzudenken.
Im Kern geht es dabei um die Frage, ob wir mit dem Todesbegriff ein biologisches Faktum
umschreiben oder ob wir einen juristisch-künstlichen Todesbegriff nach Nützlichkeitserwägungen
gestalten, eine "gesellschaftliche Neuordnung des Todes" zulassen wollen, um damit Wegbereiter zu
sein für ein "zu-Tode-Definieren" des Menschen. Denn wie wir mit Tod und Sterben umgehen, ist
originärer Ausdruck unserer Kultur. Setzt sich hier ein vermeintliches gesellschaftliches
Gesamtinteresse gegen das Recht auf ungestörtes individuelles Sterben durch, so "besteht die
Gefahr, dass sich der technische Imperativ im Auftrag der (Über)lebenssicherung gegen sittliche
Grundwerte durchsetzt und einer uneingeschränkten Organausbeute nichts mehr im Wege steht." Mit
anderen Worten, mit der Durchsetzung einer "interessenbestimmten Todesfestlegung könnte auch
unsere gesamte sittliche Idee vom Menschen verloren gehen."
II. Der Hirntod als Faktum
1. Das Hirntodkonzept
Im Brennpunkt der Debatte steht insoweit das von der Mehrheit der medizinischen Sachverständigen
favorisierte, von den Kirchen mitgetragene, theologisch, und philosophisch jedenfalls gebilligte und
auch in der juristischen Literatur verbreitete, durch eine dynamische Verweisung in den §§ 3 II Nr. 2
i.V.m. 16 I 1 Nr. 1 TPG auch für das deutsche Transplantationsrecht hinsichtlich der
vermittlungspflichtigen Organe zugrunde gelegte Hirntodkonzept. Danach soll der irreversible Ausfall
aller Groß-, Klein- und Stammhirnfunktionen bei intensivmedizinisch aufrecht erhaltener HerzKreislauffunktion im übrigen Körper ein sicheres Erkennungszeichen des eingetretenen Todes sein.
Letztlich liegt dem ein Hirnödem zugrunde, infolge dessen der Schädelinnendruck den arteriellen
Blutdruck überschreitet. Damit kommt die Gehirndurchblutung zum Stillstand und die Gehirnzellen
sterben ab und es kommt zur fortschreitenden Auflösung der Gehirnmasse (Nekrose) trotz
Aufrechterhaltung des Körperkreislaufs. Diese Relevanz eines partiellen Organtodes soll durch die
"besondere Stellung des Gehirns" als dem "entscheidenden integrierenden Abschlussorgan einer
selbständigen Ganzheit" belegt werden. Dieser Zustand muss - jedenfalls im Falle einer
beabsichtigten Organentnahme - durch zwei qualifizierte Ärzte unabhängig voneinander attestiert
werden, die weder an der Organentnahme noch seiner Übertragung beteiligt sein dürfen und auch
nicht den Weisungen eines daran beteiligten Arztes unterstehen. Der Tod wird danach - je nach
Sichtweise - festgestellt oder definiert entweder durch eine Null-Linie im EEG oder durch eine altersabhängig unterschiedlich lange - Beobachtungszeit; der Tod als "isoelektrische Stille"!
Doch trotz dieser gesetzlichen Festschreibung hat die Diskussion um die Berechtigung des
Hirntodkonzeptes kein Ende genommen - zum einen schon deshalb, weil - wie schon die Römer
wussten "Caesar non supra scientiam", zum anderen und vor allem aber, weil sich die legislative
Mehrheitsmeinung nicht wissenschaftlich mit den Gegenargumenten des Minderheitenantrags
auseinandergesetzt, sondern sie einfach unberücksichtigt gelassen hat. Dazu ist mit Tröndle zu
sagen: "Mag der Gesetzgeber auch annehmen (damit) dem Fortschrittsglauben der
Transplantationsmedizin in sinnvoller Weise gedient zu haben, der Wahrheit hat er nicht gedient."
2. Nachweisproblematik
Hinsichtlich der erforderlichen Fixierung der Voraussetzungen dieses Hirntodkriteriums scheint dies
dem Wissenschaftlichen Beirat der Bundesärztekammer als Sicherung ausreichend. Festzuhalten
bleibt dabei, dass die apparative Feststellung des Null-Linien-EEG's zur Hirntodfeststellung nicht
obligatorisch ist, sondern bloße altersabhängige Beobachtungszeiten genügen - und dies in der
wahrhaft existentiellen Frage nach Leben oder Tod und in einem Grenzbereich mit unzweifelhaft sehr
fließenden Übergängen. Schon die hier kritisch aufgeworfene Frage nach der Zuverlässigkeit solcher
Beobachtungen, aber auch der relativ aufwendigen Vorgänge, die durch verschiedene klinische wie
apparative Diagnosemethoden anzeigen, dass die Hirntätigkeit irreversibel ausgefallen ist, stellt
allerdings ein empirisches Problem dar, zu dessen Beantwortung primär nicht der Jurist, sondern der
Neurologe berufen ist. Deshalb ist hier nur ergänzend darauf hinzuweisen, dass auch von Medizinern
öffentlich ausgeführt wird, der sogenannte Hirntod, verstanden als irreversibler Funktionsverlust des
gesamten Gehirns, sei in Wahrheit nicht erfüllbar. Zumindest kann das Zusammentreffen von Koma,
fehlender Atmung, Hirnstammareflexie selbst in Verbindung mit dem sogenannten Null-Linien-EEG
nicht den Ausfall sämtlicher Hirnfunktionen nachweisen. Vielmehr sprechen wissenschaftliche
Ergebnisse dafür, dass auch bei Hirntoten in Wirklichkeit noch Hirnfunktionen existieren. Teile der
hypothalamisch-hypophysären Achse sollen ebenso noch funktionstüchtig sein wie die temporäre
Hirnrinde, der Thalamus oder der Hirnstamm. Doch soll und kann diese medizinisch-neurologische
Kontroverse hier nicht weiter vertieft werden, sondern soll nur als nachdenkenswerte Tatsache
angesprochen sein.
3. Todesbegriff und "absolute Wahrheit"?
Zumindest eines ist weiterhin auffällig. Obwohl wir wissen und uns einig sind, dass letztlich niemand
die genaue Grenze zwischen Leben und Tod kennt, will die Hirntodkonzeption "geradezu naiv das Bild
einer positivistischen Wissenschaft vom Tod konstruieren", so als sei man in der Lage, hier "absolute
Wahrheiten" zu präsentieren. Der dabei gezeigte Versuch, nicht nur die Kritik zu ignorieren und alle
entgegenstehenden Argumente als unbedeutend auszublenden, sondern den vermeintlich noch
immer bestehenden Konsens über die Hirntodkonzeption "zuweilen mit rhetorisch ungewöhnlichen
Argumentformen" aufrechtzuerhalten, zeigt ein Wissenschaftsverständnis, das gerade durch das "für
die Naturwissenschaften verpflichtende Falsifikationsprinzip des kritischen Rationalismus bereits
selbst ad absurdum geführt wird." In der Hirntoddebatte wurde der gegensätzliche Weg gewählt - im
Vordergrund und am Anfang stand eine Zwecksetzung und was dieser entgegenstand, wurde als
unbeachtlich ausgeblendet.
III. Kernpunkte der Kritik
1. Abgehen vom biologischen Todesbegriff
Leben beschreibt nach üblichem Sprachgebrauch einen naturwissenschaftlich erfahrbaren
biologischen Status. Deshalb bemühen sich auch die Verfechter des Hirntodkonzeptes ersichtlich
darum, mit diesem Kriterium an einem natürlichen, d.h. biologisch bedingten Todesbegriff festhalten
um klarzustellen, dass sich die menschliche Physiologie des Todes nicht von der anderer Lebewesen
unterscheidet. Das "biologische Basisfaktum menschlichen Lebens" soll durch dieses neue
Todeskriterium nicht verlassen werden. Dementsprechend hat der Wissenschaftliche Beirat der
Bundesärztekammer auch nach der Anerkennung des Hirntodkonzeptes stets betont, dass es "nur
einen Tod des Menschen gab und gibt". Man möchte den Hirntod also nur als neues Todeskriterium
verstehen und damit unbedingt vermeiden, dass mit der Hirntodtheorie eine neue Todesdefinition, ein
sogenannter "sozialer Todesbegriff" geschaffen würde. Denn dieser könnte, sofern man erst einmal
das "Faktum des Todes entnaturalisiert" hat, zu leicht zu einem praktikabilitätsoffenen
Verhandlungsgegenstand werden. Und darüber herrscht hoffentlich noch immer Einigkeit:
Praktikabilität und Konsensfähigkeit alleine sind keine hinreichenden Bedingungen für die Zulässigkeit
der Schaffung oder die Angemessenheit einer neuen Todesdefinition.
Wäre der Hirntod nur ein neues Todeskriterium, keine neue Todesdefinition, müsste dies bedeuten,
dass die "Besonderheit des menschlichen Todes" nicht biologisch, nicht durch seine Kriterien
bestimmt wird, sondern allein durch das Wissen des Menschen um sein Sterben und seinen Tod,
ansonsten aber - biologisch dem Tod eines Regenwurmes gleicht. Dann aber muss der Tod als
Endpunkt des biologischen Lebens - nicht nur eines bewussten Erlebens - eine biologische Größe
bleiben, weil es zwischen Tod und Leben keinen dritten Zustand geben kann. Tertium non datur! Eine
Todesdefinition, die sich nicht an der physischen Existenz orientiert, sondern dem Menschen aufgrund
des Fehlens bestimmter kognitiver Fähigkeiten das Recht auf Leben, auf sein Leben abspricht, ist
schon deshalb mit Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG nicht vereinbar. Das bedeutet, dass der Tod des Menschen
nur und erst bei einem Funktionsverlust beider wesentlicher Systeme, des Bewusstseins und des
physischen Organismus, eintritt; der irreversible Ausfall nur eines dieser Systeme reicht nicht aus, um
vom Todeseintritt zu sprechen. Die Lebendigkeit eines Organismus wird in einem steten
wechselwirkenden Prozess der Organsysteme und nicht allein vom Gehirn erzeugt. Demgegenüber
suggeriert die Gleichsetzung des irreversiblen Hirnausfalles mit dem Tod des Menschen, "das Gehirn
trüge gegenüber den anderen Organen etwas Besonderes zum (biologischen) Leben bei. Das ist nicht
der Fall." Daher ist es nicht zu begründen, warum ausgerechnet der Ausfall der zentralnervösen
Steuerung unersetzlich für das Leben sein soll, während andere Ausfälle bis hin zum vollständigen
Ersatz lebensnotwendiger Organe (Nierendialyse, Herz-Lungen-Maschine) als mit dem Leben
vereinbar gilt." Es bleibt also bei der schon auf den römischen Arzt Galenus zurückgehenden
Erkenntnis "tres sunt atria mortis", nämlich der gemeinsame Ausfall von Herz, Lunge und Gehirn. Eine
unmögliche oder fehlgeschlagene Wiederbelebung des Herzens im Sinne eines "Nicht mehr in Gang
bringen Könnens" des Kreislaufs und damit des Organismus als funktionaler Einheit kann man nach
dem derzeitigen Wissenstand etwa nach 15-30 Minuten nach dem Atemstopp annehmen. Schlägt
man dem noch einen Sicherheitsabstand von weiteren 30 Minuten zu, so kann man nunmehr auch
biologisch sagen, dass der betreffende Mensch tot sei. Verzichtet man hierauf, so beschreibt man
einen Tod, den nur Menschen (vielleicht noch Schimpansen, Delphine u.ä.) sterben können. Ein
Regenwurm ohne geistiges Dasein aber kann einen Tod durch Verlust seiner personalen Identität
nicht sterben und umgekehrt wäre ein irreversibel Bewusstloser einen solchen Tod schon gestorben.
Sieht man dies, so wird die Parallele der Hirntodtheorie mit dem biologischen Tod jedoch als
"Verdrängungs-Rhetorik" oder als eine "auf einer Kategorienverwechslung beruhende petitio principii",
also als ein klassischer Zirkelschluss entlarvt und damit die "erkenntnistheoretische Todsünde"
begangen, die "ebenso banale wie basale juristische Unterscheidung von Sein und Sollen" zu
verkennen. Semantisch ist der Versuch, das Hirntodkriterium nur als Todeszeichen und nicht als
Todesdefinition auszugeben, gleichzusetzen mit der inneren Logik des Satzes: "Der nachgewiesene
Hirntod ist das sichere Todeszeichen für den eingetretenen Tod des Menschen, aber er ist nicht der
Tod des Menschen, obwohl der Mensch mit diagnostiziertem Hirntod tot ist." Das also soll die
"denkbar unkomplizierte Botschaft" des Hirntodkonzeptes sein?
Insoweit ist es sicherlich auch bemerkenswert, dass die Väter des Hirntodkonzeptes, eine Kommission
der Harvard Medical School, im Jahre 1968 bei der Propagierung dieses Konzeptes keine biologische
Begründung für die Notwendigkeit einer solchen neuen Todesdefinition angaben. Als Gründe wurden
vielmehr nur die "Entlastung der hirngeschädigten Patienten und ihrer Familien und der
Versorgungskapazitäten" sowie die Möglichkeit "der Beschaffung von Organen zu Transplantationen"
genannt. Denn zur Organverpflanzung eignen sich nur "lebensfrische" Organe, die also nur einer ganz
kurzen Ischämiezeit ausgesetzt waren. Ob eine solche "is-need-Argumentation" zur Schaffung einer
neuen Todesdefinition wirklich hinreichend sein kann, muss wohl füglich bezweifelt werden. Zwar ist
die eindeutige Zweckbezogenheit des Hirntod-Kriteriums noch kein Beweis für seine Unrichtigkeit,
doch zeigt dies, dass spätere Begründungsansätze einer besonderen Prüfung bedürfen. Denn das
Ziehen der Trennlinie zwischen Leben und Tod ist eben nicht beliebig, sondern liegt außerhalb der
Kontingenz individueller wie auch kollektiver Entscheidungsbefugnis. Gerade aufgrund der
"historischen Begründungsschuld" der Väter des Hirntodkonzeptes, die schon damals eindringlich von
Hans Jonas aufgedeckt und gebrandmarkt und bis heute nicht zufriedenstellend nachgeholt wurde,
muss vielmehr richtig sein und bleiben, was die Bundesärztekammer selbst mit Blick auf sogenannte
Teilhirntodkonzepte stetig betont: es "muss auf die notwendige biologische Basis des Menschen
selbst verwiesen werden, wenn es gilt, wertfrei und nicht manipulierbar festzustellen, ob ein Mensch
lebt oder nicht." Diese biologische Basis aber ist und bleibt der endgültige Herz-Kreislaufstillstand
sowie der Funktionsverlust des Zentralnervensystems.
Tod und Leben sind als ontologische Apriori in letzter Konsequenz nicht von dieser Welt, d.h. nicht
vom Menschen gemacht. Im Unterschied zu einem bloßen Todeszeichen umschreibt das
Hirntodkonzept keinen biologischen Tod, sondern bestimmt die biologische Faktizität des Todes selbst
neu, ist also nicht Todeszeichen, sondern Todes(neu)definition. Deshalb auch zeigt das
Hirntodkonzept eine Dimension der Manipulierbarkeit des Todes auf, deren Konsequenz ein
Substanzverlust verbindlicher sittlicher Grundwerte gegenüber dem menschlichen Leben schlechthin
ist.
Zudem ist ein gewisser Selbstwiderspruch nicht zu übersehen. Stellt das gesamte Hirntodkonzept
doch wesentlich auf den irreversiblen Ausfall des Gehirns als "unersetzliche physische Voraussetzung
des menschlichen Gefühls- und Geisteslebens" ab, werden andererseits aber ausdrücklich irreversibel
Komatöse und anenzephale Kinder zu Recht zu den lebenden Menschen gerechnet, obwohl das "für
den Menschen charakteristische bewusste Leben" auch bei diesen Patientengruppen bereits
irreversibel erloschen oder nie entstanden ist. Gerade das apallische Syndrom wird als "Zustand
vegetativer Lebendigkeit" ausgewiesen. Diese Menschen leben ohne die an sich doch unersetzliche
physische Voraussetzung eines Gefühls- und Geisteslebens und man ist sich einig, dass sie leben!
Dies aber hat mit der das Hirntodkonzept an sich charakterisierenden Basis des Gehirns als
Voraussetzung allen Gefühls- und Geisteslebens nichts mehr zu tun.
2. Sterbeprozess als Teil des Lebens
Inzwischen ist auch allgemein bekannt und konsentiert, dass das Sterben ein Prozess, ein Vorgang in
der Zeit ist. Nach einer im Vordringen befindlichen Auffassung beinhaltet das Hirntodkriterium nur,
dass es sich bei diesen Patienten um irreversibel auf dem Weg in den Tod befindliche Sterbende
handelt, die durch intensivmedizinisches Eingreifen "in ihrem Sterben aufgehalten" wurden, ohne dass
die Ärzte dieses Sterben verhindern können. Demzufolge bedeutet der Ausfall wesentlicher
Gehirntätigkeiten nur eine Station auf dem Weg des Sterbens, aber nicht dessen entscheidende
Zäsur, sein Ende. Vielmehr ist gerade auch der Sterbeprozess "ein existentieller Teil des
menschlichen Daseins". Richtigerweise ist das Hirntodkriterium daher nur geeignet, die
Unumkehrbarkeit des Sterbeprozesses zu belegen und damit die ärztliche Behandlungspflicht im
Sinne eines Versuchs des Todesaufschubs enden zu lassen. In dieser Bedeutung als
Behandlungsgrenze dürfte das Hirntodkriterium heute allgemeine Zustimmung finden.
Alles Weitergehende aber ist zu Recht als "problemverdrängende begriffsmanipulatorische
Schutzbereichsreduktion" des Rechtsgutes Leben bezeichnet worden, durch die der Tod umdefiniert
und vorverlegt wird, um eine medizinische Hochtechnologie durch "moralphilosophische Aufhebung
des Tötungsverbotes" zu ermöglichen. In gewissem Sinne löst man den Tod damit von dem
sterbenden Menschen ab, wodurch das Hirntodkriterium "einen zielgerichteten strategischen
Charakter annimmt". Es ist unbestreitbar, dass beim Hirntoten die Funktionen der übrigen Organe,
soweit sie nicht anderweitig Schaden genommen haben, erhalten bleiben, ja die Vitalität von Herz,
Lunge, Leber, Nieren und Pankreas ist ja die Grundvoraussetzung ihrer Transplantation. Dies kann
auch nicht dadurch umgangen werden, dass man ausführt, der "Tod des Menschen bedeute nicht
notwendig gleichzeitig den Tod jedes menschlichen Körperteils". So richtig es ist, einerseits nicht auf
den endgültigen Gewebs- und Zelluntergang aller Zellen des menschlichen Organismus abzustellen,
sowenig führen Organe eine isolierte "Separatexistenz", sondern stehen in untrennbarer
Wechselwirkung mit dem Ganzen eines Organismus.
Denn eines bleibt in jedem Falle festzuhalten: auch der irreversible Ausfall aller Groß-, Klein- und
Stammhirnfunktionen hindern nicht daran, dass diese Menschen spinale Reflexe aufweisen, Blutdruck
und spontane Herztätigkeit haben, eine innere Atmung stattfindet, künstliche Ernährung assimiliert
wird und Körperausscheidungen vor sich gehen, bei falscher Ernährung Durchfall oder Verstopfung
auftreten und die Blutbildung und -gerinnung ebenso funktioniert wie bestimmte Stoffwechselvorgänge
und Hormonbildungen bzw. Ausscheidungen. Wunden, Knochenbrüche und selbst Krankheiten wie
Lungenentzündung bei Hirntoten können heilen. Leichen aber können nicht erkranken - Krankheit
bezeugt Vitalität! Medizinisch nachgewiesen sind auch ein proportionales Körperwachstum bei drei
und eine sexuelle Reifung bei zwei hirntoten Kindern und ebenso in zwei Fällen ein Diabetes insipidus
trotz festgestelltem Hirntod. Ebenso können diese Menschen unkoordinierte vegetative Reaktionen
wie Hautrötungen oder Muskelkontraktionen zeigen und sogar schwitzen - und es sind sogar
komplexe Bewegungen von Hirntoten nachgewiesen. All diese Phänomene beschreibt die Biologie
zutreffend als zum Leben gehörig; Leichen können all das nicht. Und werden diese Menschen einer
Operation, beispielsweise zur Organentnahme unterzogen, so zeigen sie typische vegetative
Reaktionen, wie jeder Mensch sie unter derartigen Bedingungen zeigt. So bewirkt der Hautschnitt des
Chirurgen einen unbewusst erlebten Schmerz, der Puls beschleunigt sich, der Blutdruck steigt, die
Muskulatur wird angespannt und die Hormonausschüttung um ein Vielfaches gesteigert. Auch dies
alles gehört phänomenologisch zweifelsfrei zum Bereich des Lebens. Gerade aus diesem Grunde
werden den "Hirntoten" die Organe unter Vollnarkose entnommen - obwohl sie doch tot sein sollen.
Und ein Letztes: in diesen Menschen kann sich ein Embryo bis zur Lebensfähigkeit entwickeln, wie
etwa das 1991 in der Filderklinik geborene und heute gesund lebende Kind ebenso beweist wie der
spektakuläre Fall der Marion Ploch in Erlangen 1992, bei dem es allerdings zu einem Spontanabortus
gekommen ist. Ist nicht "die Entwicklung eines Kindes im Mutterleib eine der wundervollsten, höchst
integrativen Lebenserscheinungen, die wir kennen?" Schließlich ist es ja gerade "dieses viele Leben",
das die "partikularistische eindimensionale Zerebralideologie" des Hirntotkriteriums für die
Organspende so interessant macht. Und da der Tod biologisch und damit auch medizinischnaturwissenschaftlich nicht als etwas Eigenständiges, sondern nur vom Leben her, als dessen Ende
bestimmt werden kann, Leben seinerseits aber ebensowenig begrifflich festgelegt, sondern anhand
seiner Merkmale beschrieben werden muss, zeigen all diese Symptome des Lebens, dass das
Hirntodkriterium nicht den Tod, sondern nur einen zum Leben gehörigen Sterbeprozess beschreibt.
Außer Betracht gelassen wird sonst nämlich "die Einheit von Leib, Seele und Geist, als die der
Mensch lebt". Selbst Hirntodtheoretiker sprechen hier von einem "Zustand vegetativer Lebendigkeit".
Generell bedeutet ein Verlust wesentlicher Bedingungen des eigenständigen körperlichen Lebens
noch nicht den Verlust des Lebens selbst, sondern nur den der eigenständigen Lebensfähigkeit.
Und man macht es sich sehr einfach, das "Unbehagen", das sich einstellt, wenn man so vielen
sichtbaren Zeichen von Leben einen hochtechnisierten Todesbegriff entgegenstellen will, damit
abzutun, dass "dieser bloß vegetative Restbestand menschlichen Lebens kein Mensch mehr" sei und
es sich bei derartiger Argumentation nur um emotional-psychische Argumente oder um ein
"Verständnisproblem" handele, die einer rationalen Anerkennung der Hirntodtheorie nicht
entgegengehalten werden können. Offen bleibt, was bitte dieser vegetative Restbestand anderes sein
soll als das verlöschende Leben eines schwerstgeschädigten Menschen.
3. "Todesnähe"
Zugleich gilt es mit einem zweiten Vorurteil aufzuräumen. So wenig der Hirntote schon biologisch tot
ist, so unsicher ist auch das immer weder vorgebrachte Kriterium der unmittelbaren Todesnähe. Zwar
ist der Prozess des Sterbens mit dem Eintritt des "Hirntodes" endgültig unumkehrbar geworden, aber
eine unmittelbare Todesnähe muss damit nicht einhergehen. So hat der amerikanische Neurologe
Alan Shewmon in einer Studie über die Hirntodfälle von 1966 bis 1997 anhand von medizinisch klar
analysierten Fällen festgestellt, dass in sehr vielen Fällen Überlebenszeiten von mindestens einer
Woche bekannt sind, gerade weil die anfänglich mit dem Hirntod einhergehende Kreislauf-Instabilität
mit zunehmender Dauer dieses Zustandes vom Körper unter Steuerung des vegetativen
Nervensystems selbst kompensiert wird. In 50% der nachgewiesenen Fälle konnte Shewmon
"Überlebenszeiten" von mehr als einem Monat feststellen, die längste nachgewiesene Zeit im
Anschluss an eine gesicherte Hirntotdiagnose betrug sogar 14,5 Jahre! So konnten Hirntote schon
aus den Intensivstationen in Pflegeheime verlegt und in einem Falle sogar nach Hause "entlassen"
werden.
4. Hirntod als eigenständiger Prozess
Doch schon die obige Darstellung des Hirntodkriteriums hat gezeigt, dass auch der Hirntod selbst
entgegen einer landläufigen Vorstellung kein auf die Sekunde oder auch nur auf Minuten genau zu
bestimmender Einschnitt im Sterbeprozess ist, sondern ebenfalls in sich wiederum - wie das Sterben
selbst - einen Verlauf darstellt. Da somit "beim Hirntod der wirkliche Zeitpunkt des Eintritt des Todes
nicht eindeutig feststellbar ist, wird der Zeitpunkt, zu welchem die endgültigen diagnostischen
Feststellungen getroffen werden (als Todeszeitpunkt) dokumentiert." Dieser so beschriebene totale
Hirninfarkt, den man auch als Hirntod bezeichnet, gleicht damit selbst mehr einer schwerwiegenden
Erkrankung als einer feststehenden Zäsur des Sterbeprozesses. Somit fehlt es bei diesem
Todeskriterium also nicht nur an der Todesnähe, einer ersten Todesbedingung, sondern ebenso auch
an der zweiten wesentlichen Todesbedingungen, der Ereignishaftigkeit, also der Fähigkeit zur
Festlegung eines Todeszeitpunktes.
5. Lebenswertdiskussion
Ein weiteres gilt es als gewichtig zu beachten. Der Mensch büßt - das ist an sich anerkannt - seine
rechtliche Schutzwürdigkeit nicht dadurch ein, dass er bestimmten kognitiven oder psychischen
Leistungskriterien nicht (mehr) entspricht oder ein "körperlich selbstorganisierter autonomer
Lebenszustand" nicht mehr erreichbar erscheint. Aus dem Grundsatz des absoluten Lebensschutzes
in Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG folgt, dass auch das Leben des unheilbar Kranken, des Sterbenden zu
achten ist und dass es dabei auf Lebensfähigkeit, Lebenserwartung, Überlebenschance und
Lebensinteresse des Einzelnen nicht ankommt. "Menschliches Leben ist absolut erhaltungswürdig."
Ausdrücklich führt das Bundesverfassungsgericht hierzu aus, dass "die für die menschliche
Persönlichkeit spezifischen Bewusstseinsphänomene" oder eine in diesem Sinne "ausgebildete
Personalität" für den Lebensbegriff des Art. 2 Abs. 2 GG nicht nötig sind. Eine Definition menschlichen
Lebens, die sich an der Fähigkeit zu Bewusstseinsäußerungen orientiert, ist daher von Verfassungs
wegen unhaltbar, zumal der Bewusstseinsbegriff weder inhaltlich geklärt noch ein solches oder
dessen Fehlen naturwissenschaftlich exakt nachweisbar ist. Menschsein ist von unserer Verfassung
"nicht exklusiv, sondern inklusiv konzeptualisiert"; jedwede Einschränkung des grundlegenden Status
des allgemeinen Mensch-Seins soll ausgeschlossen sein. Das Grundrecht auf Leben wird so zum
"Urrecht des Individuums". Dasselbe muss dann aber entsprechend auch für die Todesdefinition
Geltung erhalten und behalten. Daher ist ein Hirntodkonzept auch mit dieser Prämisse nicht zu
vereinbaren, will man nicht eine Tür öffnen hin zu technisch-utilitaristischen Todesdefinitionen. Auch
insoweit muss man sich über die gerade auch rechtliche wie ethische Bedeutung klarwerden, die es
bedeutet, den Tod nicht mehr festzustellen, sondern zu definieren. Man muss deshalb nicht sofort vom
"Untergang der Moral" sprechen, kann sich aber der ethischen Verantwortung auch nicht mit dem
Hinweis auf bloß emotionale Bedenken so einfach entziehen.
Vielfach wird deshalb versucht, diese Abstufung an Lebensqualität nicht mehr unmittelbar mit dem
Menschen in Beziehung zu setzen, sondern hierfür den moralethischen Kunstbegriff der "Person"
einzufügen. Dieser auf die heute als verfehlt festgestellte anthropologische Grundkonzeption des
Aristoteles zurückgehende "Ehrentitel" soll solchen Menschen zukommen, die bestimmte kognitive
Eigenschaften erfüllen und wird vor allem dem ungeborenen Leben, aber auch komatösen Menschen
und eben den Hirntoten gerne abgesprochen, als komme diesen nicht derselbe moralische Status wie
anderen Menschen zu. Person sei der Mensch "als erlebendes und handelndes Ich",
Selbstbewusstsein wird "als Signatur des Humanum" gedeutet. Mit dieser "philosophischen
Korrumpierung der medizinischen Technik" kehrt der frühere Leib-Seele-Dualismus nunmehr in
Gestalt eines Körper-Gehirn-Dualismus zurück und meint damit die alte philosophische Grundfrage
"Was ist der Mensch?" umgehen zu können. Man spricht dann nicht mehr vom biologischen Tod,
sondern vom "Tod des Menschen als Person in dieser Welt". Gegen solche Versuche, das Personsein
als Auszeichnung der menschlichen Spezies zu etablieren und damit innerhalb des Menschseins
einschneidende moralische Grenzen zu ziehen, muss von Anfang an und gerade auch in der aktuellen
bioethischen Debatte um die embryonalen Stammzellen angegangen werden. Auch hier erlaubt
unsere Rechtsordnung "kein rechtlich relevantes Urteil über den Wert fremden Lebens". Dies wurde
bereits eindrücklich in der Formel ausgedrückt "Person ist der Mensch selbst, nicht ein bestimmter
Zustand des Menschen". Spiegelbildlich taucht hier nun auch am Lebensende der gefährliche und
zurückzuweisende, die Biologie des Lebens entstellende Versuch wieder auf, der schon bei der im
Ergebnis fatalen Abtreibungsdebatte in die Irre geführt hat, nämlich zwischen verschiedenen Stadien
der Menschwerdung bzw. nunmehr der Dehumanisierung unterscheiden zu wollen und den einzelnen
evolutiven Stadien zum Teil oder in toto das Menschsein noch oder schon absprechen zu wollen.
Beispielgebend spricht etwa Spittler von "dem gedankenleeren Spätstadium einer dementiellen
Entwicklung" und schließt dem die Frage an, "was hat ein körperliches Überleben im Falle einer
endgültigen und vollständigen Wahrnehmungs- und Kontaktunfähigkeit für einen Sinn?" Das so
verbleibende Leben hat für diese Ansicht nur mehr den Status einer Zellkultur". Diesen Versuchen,
unterschiedlich lebenswerte Stadien des Lebens oder "verschiedene Stufen des Todes" zu etablieren,
gilt es sowohl am Anfang wie am Ende des menschlichen Lebensweges mit aller Deutlichkeit
entgegenzutreten. "Der Mensch lebt, solange er stirbt" und die heute propagierte "Vergesellschaftung
des Sterbenden unter dem medizinischen Primat des Lebens" ist als völlig inhuman abzulehnen. Es
liegt dabei eine fatale Verwechslung von Bewusstsein und Leben vor, die es auch verbietet, von
"Restleben eines Leichnams" zu sprechen. Der Todeseintritt ist eine eindimensionale und damit nicht
steigerbare Größe; es gibt keinen Zustand "töter als tot". Der Schutz menschlichen Lebens, gerade
wenn der Mensch besonders wehrlos ist, steht bei solchen verwirrenden Begriffsverwendungen - bei
einer Aufspaltung und Trennung zwischen organischem Tod und personalem Tod - ansonsten auf
dem Spiel.
6. In dubio pro vita
Zumindest lässt sich aus all dem gerade deshalb, weil das Leben angesichts der Fortschritte der
modernen Intensivmedizin zu einem "sumpfigen Teich mit einem breiten Ufersaum schattenhafter und
vager Grenzen" geworden ist, als Minimum ableiten, dass die Richtigkeit des Hirntodkriteriums mit
vernünftigen naturwissenschaftlichen und von der herrschenden Lehre nicht widerlegten
Erkenntnissen angezweifelt werden kann. In diesem "Zwielicht des Zweifelhaften", dem
festzustellenden Verlust an Klarheit über die Grenzen von Leben und Tod aber ist eingedenk der
Tatsache, dass jede rechtliche Normierung da Entscheidungen trifft und "wirklich Maßgebliches"
festlegt, wo Theologen und Philosophen noch Thesen aufstellen und diskutieren können, mit der
Vermutungsregel des "in dubio pro vita" zu begegnen. Gerade hier gilt es das "menschliche Leben als
Höchstwert unserer Verfassung" zur Geltung zu bringen. Dementsprechend sind namhafte
Verfassungsrechtler inzwischen zu dem Ergebnis gelangt, "dass der hirntote Mensch im
Grundrechtssinne lebt" und das Hirntodkriterium daher nicht den Tod eines Menschen, sondern nur
die Irreversibilität und damit Endgültigkeit seines Sterbens dokumentiert. So gesehen bedeutet das
Hirntodkriterium nichts anderes, als dass ein Mensch "an einem Punkt im Sterbeprozess, der definitiv
zum Leben gehört, für tot erklärt wird". Wenn und weil dem aber so ist, schützt das Grundrecht auf
Leben aus Art. 2 II 1 GG auch dieses Leben als bloße biologisch-physische Existenz als solche, ohne
dass Bewertungen nach den Maßstäben irgendwelcher sozialer Lebensäußerungen möglich sein
sollen. Diese Fassung des Lebensgrundrechts ist die normative Antwort der Verfassungsgeber auf die
Erfahrungen der jüngeren deutschen Geschichte und stellt innerhalb der grundgesetzlichen Ordnung
nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes einen Höchstwert dar.
IV. Konsequenzen für die Transplantationsmedizin
1. Grundthese
Vielleicht liegt mit der Suche nach der Berechtigung des Hirntodkriteriums eine unsere
Erkenntnisfähigkeit übersteigende Verwechslung von Bewusstsein und Leben vor - gerade die
vorhandene Literatur über sogenannte Nah-Tod-Erfahrungen sollte uns in Hinblick auf mögliche
Bewusstseinsformen außerhalb unseres aktuellen Wahrnehmungskreises sehr vorsichtig stimmen und
aufzeigen, dass es in diesem sensiblen Bereich einfache Wahrheiten nicht gibt.
Jedenfalls zeigt dies alles die spürbare Gewissheit, dass an dem Hirntodkonzept ernsthafte Zweifel
bestehen, die auch denen Respekt abverlangen, die aus ebenfalls beachtlichen Gründen an diesem
Kriterium zumindest als Organentnahmevoraussetzung im Transplantationsrecht festhalten wollen.
Zwar beschäftigen sich diese Ausführungen nicht mit der Organtransplantation als solcher, doch hat
die oben eingenommene Stellung zum sogenannten Hirntod selbstverständlich ethische wie rechtliche
Auswirkungen auf die aktuelle Transplantationsmedizin. "So rein" das Interesse an der
Organerhaltung zur Rettung anderer Leben an sich auch sein mag, so beeinträchtigt diese
Zielgerichtetheit doch den Versuch einer objektiven Definition des Todes; er gerät vielmehr im
Interesse der Transplantationsmedizin zur Verhandlungssache - und das kann und darf nicht sein.
Daher muss die Berechtigung des Hirntodkonzeptes unabhängig von den Möglichkeiten der
Organverpflanzung beantwortet werden.
2. Persönliches Einwilligungserfordernis
Konsequenz dieser Sichtweise des Hirntodkriteriums muss es für die Transplantationsmedizin
jedenfalls sein, dass der Betroffene dem Abbruch seines Sterbeprozesses, d.h. der Opferung der
Reststrecke seines Lebens und vor allem der Integrität seines Sterbens vorab in einer
individualethischen Entscheidung persönlich zugestimmt hat - hier kann es keine erweiterte
Zustimmungslösung in Gestalt einer Drittentscheidung der Angehörigen über das Leben eines
anderen geben, denn "menschliche Organe sind nicht sozialpflichtig" und "der Mensch verliert sein
Leben nicht aufgrund einer Hirntod-Definition". Dies ergibt sich auch schon daraus, dass der Hirntod
als Behandlungsgrenze anerkannt und akzeptiert ist, so dass die Fortsetzung einer
funktionserhaltenden künstlichen Beatmung nicht mehr von der Einwilligung in die lebensrettende
Behandlung gerechtfertigt wird, da eine solche Rettung mit dem endgültigen Hirnausfall nicht mehr
möglich, der Prozess des unumkehrbaren Sterbens eingesetzt hat. Dann aber stellt sich die weitere
Fortsetzung der künstlichen Beatmung nur zur Organerhaltung als eine rein fremdnützige
medizinische Behandlung dar, die der höchstpersönlichen Einwilligung des Betroffenen bedarf, will
man diesen nicht zum puren Objekt fremder Interessen degradieren und damit seine Menschenwürde
verletzen. Dass diese enge Zustimmungslösung den Organbedarf vielleicht nicht befriedigen wird,
rechtfertigt den Verzicht auf die persönliche Einwilligung des Spenders trotz aller segensreichen
Erfolge der Transplantationsmedizin nicht, zumal die Zahlen mit der erweiterten Zustimmungslösung
belegen, dass auch seitens der nahen Angehörigen diese Zustimmung in der konkreten
Sterbesituation nicht leichter zu bekommen ist. Auch hier darf "die gute Absicht", das lobenswerte Ziel
die rechtliche Fragwürdigkeit der einzusetzenden Mittel nicht beiseite schieben; auch hier kann der
Zweck die Mittel nicht heiligen. Dies gilt es einem fragwürdigen Zeitgeist entgegenzusetzen, in dem
scheinbar viele dazu bereit scheinen, Verfügungen über - ja selbst Opfer an menschlichem Leben
dann zuzulassen, wenn die Heilung von Krankheiten in Aussicht gestellt wird, wie es gerade die
jüngste Debatte um die embryonale Stammzellforschung erneut offenbart hat. Auch hier hat sich
gezeigt, dass das Festhalten an althergebrachten Werten vielen als Intoleranz gegenüber dem
wissenschaftlichem Fortschrittsdenken erscheint. Nur diese hier vertretene Sichtweise sichert auch,
dass der Hirntote wirklich ein Organ"spender" und kein Eingriffsopfer ist. Dies gilt es besonders
angesichts vielfältiger Versuche in der Transplantationsmedizin zu betonen, die auch solche Patienten
schon für tot erklärt sehen wollen, bei denen nur Teilfunktionen des Gehirns, insbesondere die
personalitätsrelevanten Gehirnareale wie insbesondere das Großhirn, ausgesetzt haben,
insbesondere wenn das Bewusstsein unwiederbringlich verloren scheint.
3. Problem des § 216 StGB
Selbst mit der Einwilligung des Organspenders bleibt in diesen Fällen jedoch zu thematisieren, warum
in diesem besonderen Fall eine Abkehr, d.h. Aufhebung des grundsätzlichen ärztlichen
Tötungsverbotes, wie es sich insbesondere auch in der Strafbarkeit einer Tötung auf Verlangen nach
§ 216 StGB ausdrückt, gerechtfertigt sein sollte. Denn es ist in jedem Falle unzutreffend, die
Organentnahme bei einem Sterbenden, die dessen direkten Tod zur Folge hat, als Fall der bloßen
Einstellung einer vergeblich gewordenen Behandlung zu klassifizieren und damit strafrechtlich im
Bereich der Kausalitätslehren anzusiedeln. Hilfreicher, wenngleich ebenfalls noch fragwürdig ist der
grundrechtsdogmatische Aspekt, insbesondere auch Art. 2 Abs. 2 GG als Freiheitsgrundrecht ernst zu
nehmen und damit das Selbstbestimmungsrecht des Einzelnen als wirkliches Schutzgut anzusehen
und auch § 216 StGB in diesem Sinne - also quasi verfassungskonform - auszulegen. Will man so
durch § 216 StGB also die "Freiwilligkeit des Schutzverzichts auf das eigene Leben" als Schutzgut
bewerten und bei gesicherter Freiwilligkeit der Entscheidung, die bei entsprechender Vorausverfügung
des Betroffenen mit dem Eintritt des Hirntodes mangels Bewusstseins auch irreversibel geworden ist,
mag es zwar m.E. sehr gekünstelt, aber doch möglich erscheinen, die Einwilligung zur
Organentnahme bei festgestelltem irreversiblem Hirnausfall aus dem Anwendungsbereich des § 216
StGB auszunehmen. Der Betroffene verzichtet damit "ungestörtes Zuendegehen seines unwiderruflich
endenden Lebens", "spendet" also die Integrität des Sterbeprozesses zugunsten der Ermöglichung
einer Organtransplantation.
Doch selbst mit einer solchen dogmatisierten Auslegung des § 216 StGB muss man sich ungeschönt
klarmachen, dass diese Zulassung des Einwilligungsvorbehalts bei der Auseinandersetzung um das
Hirntodkriterium unmittelbar auch den bioethischen Problembereich von Sterbehilfe und Euthanasie
berührt. Deshalb auch gibt es viele und inhaltlich durchaus beachtliche Stimmen, die mit eben dieser
Argumentation den Hirntod auch als bloßes Entnahmekriterium im Sinne des Transplantationsrechts
ablehnen, gerade weil man Leben um des Leben selbst willen auch bei ausdrücklicher und ernsthafter
Einwilligung des Betroffenen in dessen Beendigung zu schützen habe, wie auch die Strafnorm des §
216 StGB zeige. Die Gefahr, diese Sperre zu durchbrechen, also Leben verfügbar zu machen und
zwischen Leben und Tod eine - je nach Sichtweise noch oder nicht mehr zum Leben zu rechnende besondere Explantationsphase zwischen Hirntod und Tod anzuerkennen, ist jedenfalls groß. Der
"Alles-oder-Nichts"-Schutz des Lebens ist kein Feld für Konkordanzlehren. Nicht völlig zu Unrecht wird
daher auch eine enge Zustimmungslösung im Transplantationsrecht als eine "zweckspezifische
Tötungslizenz in gesellschaftlichem Auftrag" bezeichnet. Zumindest "eine gewisse Inkonsequenz" ist
der Ansicht, die bei Hirntoten mit deren ausdrücklicher Einwilligung eine Organentnahme zulassen
will, daher nicht abzustreiten und kann auch durch noch so hohe formale Hürden wie etwa die
Forderung nach einer eigenhändigen schriftlich fixierten Fassung der Einwilligung nicht beseitigt
werden. Es liegt einem hier der Begriff des "Opfer-Todes" auf der Zunge. Selbst ein Peter Singer, der
Leben durchaus als verfügbare Größe begreifen will, stellt nüchtern fest, dass das Hirntodkriterium
wohl deshalb seinen Siegeszug antreten konnte, weil Hirntote selbst nichts gegen ihre Todeserklärung
einwenden können und alle anderen an diesem Tod profitieren, sei es durch entfallende Pflegemühen,
sei es als aktueller oder potentieller Organempfänger, sei es als Maßnahme der Kostenreduktion in
Krankenhäusern und gesetzlichen oder privaten Kostenträgern, sei es als Steuerzahler oder letztlich
auch als Mensch, der fürchtet, selbst einmal am Beatmungsgerät "am Sterben gehindert" zu werden.
Hier gilt es daran zu erinnern, dass "gerade deshalb besondere Sorgfalt geboten und notwendig ist
und dem Satz des Philosophen Hans Jonas zu folgen, wonach "das Verscheiden eines Menschen von
Pietät umhegt und vor Ausbeutung geschützt sein sollte". Denn angesichts des kognitiven
Niemandslandes im Grenzbereich von Leben und Tod kann niemand, der eine Wand des
Lebensschutzgebäudes beseitigt, ganz sicher sein, dass er damit nicht eine tragende Wand trifft. Die
Ansicht, den Hirntoten einerseits als Lebenden anzusehen, aber dennoch den Hirntod als
Entnahmekriterium zuzulassen, erinnert etwas an den makabren Satz, zwar ist der Hirntote nicht ganz
tot, aber doch schon so viel tot, dass ihm Organe entnommen werden dürfen. "Jeder wird nun zu
überlegen haben, ob er sich durch schriftlichen Widerspruch dagegen sichert, dass er am ungestörten
Sterben gehindert wird und ihm während des Sterbens Organe entnommen werden, falls ein
Angehöriger zustimmt."
4. Tod von Rechts wegen
Misslich an der Regelung des TPG ist darüber hinaus in jedem Falle, dass hinsichtlich aller anderen,
also der nicht vermittlungspflichtigen Organe auch im TPG am traditionellen Todeskriterium des
irreversiblen Herz-Kreislaufstillstandes festgehalten wurde, so dass sich in diesem einen Gesetz zwei
unterschiedliche Todeszeitpunkte finden und festzustellen bleibt, dass es auch hier dem Gesetzgeber
nicht gelungen ist, sich auf eine Regelung festzulegen, nach der der Mensch "jedenfalls von Rechts
wegen" tot ist. Dies ist grundsätzlich abzulehnen, denn der existentiell so wichtige Todesbegriff sollte
so bestimmt werden, "dass die Aussage "dieser Mensch ist tot" eindeutig ist und nicht nach
Hinsichten. in denen ein Mensch tot ist, weiter differenziert werden muss". Das wird deutlich, wenn
man sich die Stellungnahme des Chirurgen Peter Röttgen vor Augen führt, der meinte: "Ich bin
dagegen, dass man nur das, was nun wirklich mausetot ist, als tot feststellt. Damit ist dem
Totengräber geholfen, aber nicht dem Chirurgen, wenn er wirklich transplantieren will." Ein solcher
Gedanke, es müsse für die Medizin einen anderen Todesbegriff geben als für
Bestattungsunternehmen, bleibt abzulehnen. Denn "Leben und Tod sind einstellige, nichtrelationale
Begriffe". Allenfalls ist es denkbar, den irreversiblen Ausfall aller Hirnströme als absolute
Behandlungsgrenze und unter den soeben geäußerten Bedenken ggf. als Entnahmekriterium zur
Organentnahme dann festzulegen, wenn der Organspender selbst dies zuvor so verfügt hatte.
Darüber hinaus aber bleibt unmissverständlich festzuhalten, dass der Hirntod den Tod als ultimativen
Zustand nicht selbst beschreibt, sondern einen unumkehrbaren Zustand darstellt, der uns berechtigt,
den Tod ungehindert stattfinden zu lassen. Erlauben wir also den Hirntoten zu sterben, anstatt sie
vorzeitig für tot zu erklären!
ZfL – 02/1997
OLG Frankfurt a.M.: Eintritt des Erbfalls im Zeitpunkt des Hirntodes
Beschluß vom 11.7.1997 – 20 W 254/95
Leitsätze:
1. Im Erbrecht ist als Todeszeitpunkt der Eintritt des Gesamthirntodes zu verstehen.
2. Ergeben die im Erbscheinverfahren angestellten Ermittlungen zur Überzeugung des
Nachlaßrichters, daß der Erblasser früher als in der Sterbeurkunde angegeben gestorben ist, so ist
der Nachweis der Unrichtigkeit des beurkundeten Todeszeitpunktes erbracht.
3. Nimmt die Ehefrau des Erblassers ihren begründeten Scheidungsantrag, dem der Erblasser
zugestimmt hatte, vor dem Eintritt des Herz- und Kreislaufstillstandes, aber nach Eintritt des Herz- und
Kreislaufstillstandes, aber nach Eintritt des Gesamthirntodes beim Erblasser zurück, so hat dies
keinen Einfluß mehr auf die Anwendbarkeit des § 1933 S. 1 BGB.
Zum Verfahren:
Der im Jahre 1954 geborene Erblasser schloß im Jahre 1980 mit der Bet. zu 1 die Ehe, aus der die im
Jahre 1985 geborene N (Bet. zu 2) hervorgegangen ist. Seit dem 1. 4. 1991 lebten die Eheleute
getrennt. Die Bet. zu 2 reichte mit Schriftsau ihrer Verfahrensbevollmächtigten vom 4. 5. 1992
Scheidungsklage ein. Dieser ließ mit Schriftsatz seines Prozeßbevollmächtigten vom 15. 6. 1992
vortragen: "Der Ag. wird, da die Ast. die Scheidung begehrt, sich damit einverstanden erklären."
Dessen ungeachtet versuchte der Erblasser im Herbst 1992 durch Einschaltung der beiderseitigen
Prozeßbevollmächtigten für das Scheidungsverfahren, sich mit der Bet. zu 1 zu versöhnen und diese
zur Rücknahme ihres Scheidungsantrages zu bewegen. Die Bet. zu 1 lehnte dies damals ab. Am 20.
2. 1993 erlitt der Erblasser einen Unfall, bei dem er sich schwere Kopfverletzungen zuzog. Wenige
Stunden danach fiel er in tiefe Bewußtlosigkeit. Von diesem Zeitpunkt an bestanden klinische Zeichen
einer schweren Funktionsstörung des Gehirns; Hornhautreflex und Schluckreflex waren nicht mehr
auslösbar. Die Spontanatmung war ausgefallen, so daß er fortan künstlich beatmet werden mußte.
Die Funktionen von Herz und Kreislauf mußten medikamentös gestützt werden, ohne daß sie
künstlich aufrechterhalten wurden. Bei dem Erblasser stellten der Chefarzt M am 23. 2. 1993 und der
Oberarzt S am 24. 2. 1993 die typischen Symptome des Ausfalls der Hirnfunktion fest. Am 25. 2. 1993
nahm die Bet. zu 1 ihren Scheidungsantrag zurück. Am 26. 2. 1993 kam es bei dem Erblasser zum
Herzstillstand mit nachfolgendem biologischen Tod. Die Bet. zu 1 hat beantragt, ihr einen Erbschein
des Inhalts zu erteilen, daß der Erblasser, der letztwillig nicht verfügt hat, von ihr und der Bet. zu 2 zu
je 1/2 beerbt worden sei. Sie hat dazu eine Sterbeurkunde vorgelegt, in der es heißt, der Erblasser sei
am 26. 2. 1993 gestorben. Die Rechtspflegerin des NachlaßG hat die Erteilung eines dem Antrag der
Bet. zu 1 entsprechenden Erbscheins angekündigt, sofern nicht binnen zwei Wochen Erinnerung
eingelegt werde, Der gegen diesen Beschluß von der Bet. zu 2 eingelegten Erinnerung haben die
Rechtspflegerin und der Richter des NachlaßG nicht abgeholfen. Das LG hat den Vorbescheid des
NachlaßG aufgehoben. Die weitere Beschwerde der Bet. zu 1 blieb erfolglos.
Aus den Gründen:
Im BGB findet sich keine Norm, die Kriterien dafür aufstellt, wann vom Eintritt des Todes eines
Menschen auszugehen ist (Staudinger/ Weick/Habermann, BGB, 13. Aufl., Vorb. § 1 VerschG Rdnr. 3;
Soergel/Stein, § 1922 Rdnr. 3, Leipold, in: MünchKomm, § 1922 Rdnr. 12). Die Frage, wann der Tod
eingetreten ist, hat der Gesetzgeber als naturwissenschaftlich feststehend und daher nicht
regelungsbedürftig angesehen (Palandt/Heinrichs, § 1 Rdnr. 3). Nach heute weithin herrschender
Auffassung ist im Erbrecht in Übereinstimmung mit der medizinischen Wissenschaft und der
Beurteilung in anderen Rechtsgebieten als Todeszeitpunkt der Eintritt des Gesamthirntodes zu
verstehen (OLG Köln, NJW-RR 1992,1480 = FamRZ 1992,860 = DNotZ 1993, 171; AG Hersbruck,
NJW 1992, 3245 = Fam- RZ 1992, 1471 mit Anm. Schwab; Gitter, in: MünchKomm, 3. Aufl., 6 1 Rdnr.
16; Palandt/Heinrichs. 6 1 Rdnr. 3;). Ihr schließt sich der Senat an. Mit dem Ausfall der
Gesamtfunktion des Gehirns ist das Lebenszentrum des Menschen zerstört, seine individuelle
Existenz erloschen. Bei völligem Ausfall auch des Hirnstamms kann mit Sicherheit auf die fehlende
Erholungsfähigkeit erloschener Hirnfunktionen geschlossen werden. Das Hirntod-Kriterium ist im
übrigen auch Grundlage des kürzlich im Bundestag verabschiedeten Transplantationsgesetzes (zu der
Diskussion darüber vgl. auch Weber/Lejeune, NJW 1994, 2392; Höfling, JZ 1995, 26; Heun, JZ 1996,
213; Rixen, ZRP 1995, 461; Beckmann, ZRP 1996, 219; Wagner/Brocker, ZRP 1996, 226; Steffen,
NJW 1997, 1619; Schreiber, FAZ vom 24. 2. 1997, S. 8). Abzulehnen ist der von Stimmen im
Schrifttum gemachte Vorschlag, den Todesbegriff aufzuspalten und für das Zivilrecht, vor allem das
Erbrecht auf den Herz- und Kreislaufstillstand abzustellen (Ennan/ Westexmann, § 1 Rdnr. 5;
Jauernig, BGB, 7. Aufl., § 1 Anm. 2 b aa; Staudinger/Weick/ Habennann, Vorb. § 1 VerschG Rdnr, 8;
Schreiber, JZ 1983, 593 [594]), Er erscheint unpraktikabel und könnte einen unerwünschten Anreiz
dafür geben, eine Intensivbehandlung gerade um zivilrechtlicher Folgen willen länger fortzusetzen als
aus medizinischen Gründen veranlaßt, Die Kriterien zur Feststellung des Hirntodes sind von
medizinischer Seite hinreichend präzisiert worden. Der Wissenschaftliche Beirat der
Bundesärztekammer hat am 4. 2.1982 Entscheidungshilfen zur Feststellung des Hirntodes aufgestellt
(abgedruckt bei Schreiber, JZ 1983, 593 [594]), die später ergänzt und fortgeschrieben wurden (vgl.
die Nachw. bei Staudinger/ Weick/Habennann, Vorb. § 1 VerschG Rdnr. 6). Danach tritt der Hirntod
ein beim vollständigen und irreversiblen Zusammenbruch der Gesamtfunktion des Gehirns, auch
wenn dann Kreislauf und Atmung noch künstliche aufrechterhalten bleiben. Die Frage, ob diese
Voraussetzungen gegeben sind, liegt im wesentlichen auf tatsächlichem Gebiet. Die Feststellung des
LG, bei dem Erblasser hätten zwei Neurologen am 23. und 24.2.,1993 übereinstimmend die typischen
Symptome des Ausfalls der Gehirnfunktion wahrgenommen, womit die Kriterien des Hirntodes erfüllt
gewesen seien, kann das Gericht der weiteren Beschwerde nur daraufhin nachprüfen, ob der
Sachverhalt nicht ausreichend ermittelt und daher gegen § 12 FGG verstoßen wurde, ob die
Vorschriften über die Form der Beweisaufnahme verletzt wurden und ob die Beweiswürdigung
fehlerhaft ist (Keidel/ Kuntze, FGG, Teil A 13. Aufl., § 27 Rdnr. 42). Derartige Rechtsfehler liegen nicht
vor. Das LG hat sich bei der Beurteilung des Zeitpunktes, in dem der Hirntod des Erblassers
eingetreten ist, auf die beiden schriftlichen Auskünfte des Oberarztes R gestützt, der die Unterlagen
über die Behandlung des Erblassers in dem Krankenhaus, in dem der Erblasser gestorben ist,
ausgewertet hat. Dagegen ist nichts zu erinnern und wird auch von der weiteren Beschwerde nichts
eingewendet. Das LG ist den Angaben des Oberarztes R aufgrund eigener Würdigung gefolgt. Die
vom LG vorgenommene Würdigung dieser Angaben läßt keinen Rechtsfehler erkennen.
ZfL 01/1999
Transplantationsgesetz
Das Bundesverfassungsgericht hat mehrere Beschwerden gegen das Transplantationsgesetz
einstimmig als unzulässig zurückgewiesen (Beschl. v. 28. 1. 1999 – 1 BvR 2261/98 und v. 18. 2. 1999
– 1 BvR 2156/98). Es fehle an einer Grundrechtsbetroffenheit der 254 Beschwerdeführer. Sie hatten
gerügt, die postmortale Organentnahme mit Zustimmung Dritter (§ 4 TPG) und die »Hirntodlösung«
verstoße gegen Art. 1 und Art. 2 GG. Die Richter hielten es demgegenüber für ausreichend, daß jeder
der Möglichkeit einer Organentnahme widersprechen könne. Dieser Widerspruch kann nicht durch
Dritte überspielt werden. Es sei nicht grundrechtswidrig, diesen Widerspruch erklären zu müssen.
Noch nicht entschieden ist über Verfassungsbeschwerden gegen die Bestimmungen im
Transplantationsgesetz, die eine Organentnahme bei lebenden Spendern betreffen (55 8, 19 TPG).
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