Anmerkungen zu der Aufklärungsschrift der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung „Organpate werden – Antworten auf wichtige Fragen“ (unter.http://www.organspende-info.de/articles/83) Zu Widerspruch und Korrektur fordern folgende Ausführungen heraus: Unter 4. „Das Gesetz enthält folgende Kernpunkte: Organe und Gewebe dürfen … erst entnommen werden, nachdem der Tod des Organspenders bzw. der Organspenderin festgestellt wurde…. Den Tod müssen zwei erfahrene Ärzte bzw. Ärztinnen … feststellen.“ unter 6. „Was ist der Hirntod und wie wird er festgestellt? … Mit dem Ausfall aller Hirnfunktionen hat der Mensch aufgehört, ein Lebewesen in körperlich-geistiger Einheit zu sein. Mit dem Verlust der integrativen Steuerungsfunktionen des Gehirns ist die `Systemeinheit Mensch´ zerbrochen. Jede Möglichkeit … der Schmerzempfindung … ist ausgeschlossen.“ und unter 29. Patientenverfügung und Organspende (fehlender Hinweis auf den Widerspruch) Das eine Problem ist die unkommentierte Gleichsetzung von Hirntod und Tod. Diese Gleichsetzung existiert seit 1968. Von dem Ad Hoc Committee of the Harvard Medical School wurde damals ein neues Todeskriterium vorgeschlagen, weil in Japan ein Arzt, der einem hirntoten Patienten Organe zur Transplantation entnommen hatte, wegen Mordes verurteilt worden war. Dem Committee ging es hierbei vor allem darum, für die beginnende Transplantationsmedizin Rechtsicherheit zu schaffen. Außerdem suchte man auch nach einem Kriterium, ab dem es gerechtfertigt erschien, den Sterbeprozess von nicht mehr zu rettenden, künstlich beatmeten Patienten nicht unnötig zu verlängern. Das Committee empfahl damals, das sogenannte „irreversible Koma“ als neues Todeskriterium zu definieren.1 Inzwischen wurde der vom Harvard Committee definierte Begriff des irreversiblen Komas durch den Begriff des Hirntods ersetzt, der heute in den meisten europäischen Ländern2 als Kriterium für die legale Organentnahme gilt. Von Anfang an und von verschiedenen Seiten wurde nun allerdings die Gleichsetzung von Hirntod und Tod kritisiert. So z.B. von dem Philosophen und Nobelpreisträger Hans Jonas, der sich dafür aussprach, am klassischen Todeskonzept festzuhalten. Er plädierte dafür, Komapatienten oder Hirntote im Zweifel so zu behandeln, als seien sie noch auf der Seite des Lebens. Er begründete das damit, dass wir die exakte Grenze 1 Als dessen Merkmale wurden festgelegt: (1) keine Rezeptivität und Reaktivität, (2) keine spontanen Bewegungen und Atmung, (3) keine Reflexe und (4) flaches Elektroenzephalogramm (EEG). 2 Ausnahme ist Großbritannien: Dort gilt die Hirnstammtod-Definition. Ein Patient mit Super-Lockedin-Syndrom gilt dort also als tot, obwohl er noch bei Bewusstsein sein kann. zwischen Leben und Tod nicht kennen, und der Mensch nicht von seinem Körper zu trennen oder im Gehirn zu lokalisieren sei.3 Ein Therapieabbruch bei hirntoten Patienten sei nur dann gerechtfertigt, wenn er dem Interesse des Patienten selbst diene, nicht aber für fremdnützige Zwecke. Auch Gehirnforscher und andere Wissenschaftler verwiesen darauf, dass die Gleichsetzung von Hirntod und Tod aus physiologischer Sicht unhaltbar sei und veröffentlichten 1995 eine Erklärung für ein verfassungsgemäßes Transplantationsgesetz und gegen die Gleichsetzung hirntoter Patienten mit Leichen. 4 Im Laufe der Zeit wurde dann immer wieder darauf hingewiesen, dass sich die anfängliche Behauptung, dass mit dem Ausfall des Gehirns integrative Steuerungsfunktionen verloren gehen, nicht aufrecht erhalten lässt. Es zeigte sich, dass bei einigen künstlich beatmeten Hirntoten solche Steuerungsfunktionen noch erhalten sein können: Sie halten ihre Homöostase (Selbstregulierung) durch zahlreiche (endokrine und kardiovaskuläre) Funktionen aufrecht, regulieren selbstständig ihre Körpertemperatur, bekämpfen Infektionen (etwa durch Fieber) und Verletzungen, reagieren auf Schmerzreize mit Blutdruckanstieg, produzieren Exkremen3 Hans Jonas, Against the stream: comments on the definition and redefinition of death, in: ders. (ed.), Philosophical Essays, Chicago–London 1974, S. 132–140. 4 Hans-U. Gallwas et al., zit. nach: Johannes Hoff/Jürgen in der Schmitten, Wann ist der Mensch tot?, Reinbek 1995; Gerhardt Roth, „Hirntod“ bzw. „Hirntodkonzept“, Ausschuss für Gesundheit, 17. Sitzung vom 28.6.1995, S. 24f., online: www.transplantationinformation.de/hirntod_transplantation/hirntod_kritik_dateien/ hirntod_kritik.htm (1.4.2011). -2te und scheiden diese aus. Hirntote Kinder wachsen und können sogar ihre Geschlechtsentwicklung fortsetzen.5 Hirntote Schwangere können die Schwangerschaft über Monate aufrechterhalten und von gesunden Kindern entbunden werden; so wurden bis 2003 zehn erfolgreiche Schwangerschaften von Hirntoten dokumentiert.6 Die Behauptung, dass nach dem Hirntod unmittelbar und notwendig der Herzstillstand und die körperliche Desintegration eintreten müsse, ist zwischenzeitlich durch etwa 200 dokumentierte Fälle widerlegt worden.7 In renommierten medizinischen, ethischen und juristischen Fachzeitschriften ist die Debatte über den Hirntod in letzter Zeit wieder neu entfacht und wird äußerst kontrovers geführt. Ein Anstoß dazu war das Grundlagenpapier Controversies in the Determination of Death, das der President’s Council on Bioethics (das US-amerikanische Pendant zum Deutschen Ethikrat) im Dezember 2008 publiziert hatte.8 In diesem Papier wird dazu aufgefordert, eine erneute Debatte über den Hirntod anzustoßen. Grund dafür seien vor allem, neue empirische Ergebnisse zum integrierten Funktionieren des Körpers von Hirntoten. Der Rat räumt ein, dass das integrierte Funktionieren des Körpers nicht unbedingt kurz nach dem Eintritt des Hirntodes aufhört 9. Diese Annahme des engen zeitlichen und kausalen Zusammenhangs war bisher ja das Hauptargument für die Gleichsetzung von Hirntod und Tod. Nach Auffassung des Rates lässt sich dieses Argument nicht mehr aufrecht erhalten. Nicht das Gehirn sei der Integrator der verschiedenen Körperfunktionen; die Integration komme durch ein Zusammenspiel des ganzen Organismus zustande.10 Der Rat weist auch darauf hin, dass die Behauptung, kurz nach dem Hirntod trete unweigerlich der Tod ein, kaum überprüft und sogar eine selbsterfüllende Prophezeiung sei: Patienten mit der Diagnose Hirntod würden entweder Organspender oder ihre künstliche Beatmung würde abgestellt.11 Das zweite Problem ist die Behauptung, dass jede Möglichkeit einer Schmerzempfindung ausgeschlossen sei. In Untersuchungen konnte nachgewiesen werden12, dass bei einem Teil der als hirntot diagnostizierten Organspender (zwei von 30) die Konzentrationen der Botenstoffe Noradrenalin, Dopamin und Adrenalin sowie Blutdruck und Herzfrequenz bei der Organentnahme sprunghaft ansteigen. Ob es sich dabei um Rückenmarksreflexaktivität handelt oder um Schmerzreaktionen, ist unklar. Vor diesem Hintergrund wurde bereits im Jahr 2000 eine Vollnarkose für hirnstammtote Organspender gefordert. Im Gegensatz zur Schweiz, in der die Vollnarkose für hirntote Patienten zur Organentnahme vorgeschrieben ist, wird in Deutschland darauf verzichtet. Obwohl die Deutsche Stiftung Organtransplantation eine Narkose für „überflüssig“ hält, schreibt sie aber trotzdem vor, dass „der Organspender zur Optimierung der chirurgischen Tätigkeit sowie zur Vermeidung dieser spinalen Reflexe relaxiert und ein Blutdruck- und Herzfrequenzanstieg durch entsprechende Medikamente (z.B. Opiate) behandelt“ wird.13 Das dritte Problem ergibt sich aus der Spannung zwischen der Zielstellung von Patientenverfügung und Organspende Während es dem Gesetzgeber 2009 darum ging, den Bürgern mit der Neuregelung der Patientenverfügung (PV) vor allem zu ermöglichen, aus Sicht des Einzelnen sinnlose lebensverlängernde Maßnahmen zu verhindern, läuft der Wunsch nach mehr Organspenden genau in die entgegen gesetzte Richtung. Für Organspenden sind tote Körper mit abgestorbenen Organen nutzlos, der Sterbeprozess muss also künstlich aufgehalten werden, damit die Organe transplantierbar bleiben. Eine Verlängerung des Sterbens bis zur Transplantation ist nun das oberste Ziel. Wenn das alles richtig ist, dann ist die OrganEntnahme ein das Sterben verlängernder Eingriff in den (unumkehrbaren) Sterbeprozess und keine Entnahme aus einem Leichnam. 5 Alan Shewmon, The brain and somatic integration, in: Journal of Medicine and Philosophy, 25 (2001) 5, S. 457–478. 6 David J. Powner/Ira M. Bernstein, Extended somatic support for pregnant women after brain death, in: Critical Care Medicine, 31 (2003) 4, S. 1241–1249. 7 D. Alan Shewmon, Chronic ‚brain death‘, in: Neurology, 51 (1998) 6, S. 1538–1545 8 President’s Council on Bioethics, Controversies in the determination of death. A White Paper, Washington, D.C. 2008. 9 ebd., S. 57. 10 ebd., S. 41f., S. 55. 11 ebd., S. 6. Klinikseelsorger Pfarrer Rolf-Michael Turek 12 Hans-Joachim Gramm et al., Hemodynamic responses to noxious stimuli in brain-dead organ donors, in: Intensive Care Medicine, 18 (1992) 8, S. 493ff. 13 Deutsche Stiftung Organtransplantation, Organspende, S. 62, online: www.dso.de/fachinformationen/informationsordner/p df/informationsordner.pdf (30.3.2011).