30. Juli 2014 Konvention gegen Gewalt gegen Frauen tritt am 1. August in Kraft – (gesetzlicher) Änderungsbedarf in Deutschland Am 1. August 2014 tritt das Übereinkommen des Europarats über die „Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häusliche Gewalt“, die sogenannte Istanbul-Konvention,1 in Kraft. Für Staaten, die die Konvention ratifiziert haben, wird sie damit rechtlich verbindlich, und alle staatlichen Organe – darunter Gesetzgeber, Gerichte und Strafverfolgungsbehörden - müssen die Verpflichtungen aus der Konvention umsetzen. Mittlerweile haben 23 Staaten die Konvention gezeichnet und 13 haben sie ratifiziert. Die Bundesregierung prüft derzeit unter der Federführung des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend die Voraussetzungen für die Ratifikation. Jetzt sollten – auch durch gesetzliche Änderungen - die Weichen gestellt werden für eine vollständige Umsetzung der Konvention in Deutschland. Hintergrund: Die Konvention verpflichtet die Staaten zu umfassenden und koordinierten Maßnahmen in der Prävention, bei Schutz- und Unterstützungsangeboten sowie im Straf-, Zivil- und Ausländerrecht. Sie enthält rechtliche Vorgaben für Themen häuslicher und geschlechtsspezifischer Gewalt, die in Deutschland in den letzten Jahren verstärkt diskutiert wurden und werden: Die Bestandsaufnahme von Unterstützungsangeboten für gewaltbetroffene Frauen und Kinder2 hat als ersten Schritt die Notwendigkeit von Bedarfserhebungen aufgezeigt. Auf dieser Grundlage muss jetzt festgestellt werden, wie die Verpflichtung der Konvention umgesetzt werden kann, bundesweit barrierefreie Schutz- und Unterstützungseinrichtungen zu gewährleisten, die auch die besondere Situation von Frauen mit Behinderungen, Migrantinnen, Frauen ohne Papiere, von Transgendern und Intersexuellen berücksichtigen. Die mittlerweile langjährige Diskussion um Kinder als Zeugen häuslicher Gewalt, die Auswirkungen miterlebter Gewalt auf das Kindeswohl (Artikel 26) sowie die Kollision von Gewaltschutz und Umgangsrechten (Artikel 31) erhält durch die Konvention wichtige Impulse. So ist ein eigenes Unterstützungsangebot für diese Kinder, sei es über einen Kinderbereich in Frauenhäusern oder in anderer Form vorzuhalten. Bei jeder Entscheidung der Familiengerichte über das Sorge- und Umgangsrecht ist häusliche Gewalt zu berücksichtigen sowie sicherzustellen, 1 Für mehr Informationen zur Konvention: http://www.coe.int/t/dghl/standardsetting/conventionviolence/default_en.asp und Rudolf, Beate (2013): Gewalt gegen Frauen und häusliche Gewalt aus menschenrechtlicher Sicht, Zeitschrift des Deutschen Juristinnenbundes (djbZ) 2013/1, http://www.djb.de/publikationen/zeitschrift/djbZ-2013-1/djbZ-2013-1c. 2 Hellferich, Cornelia; Kavemann, Barbara (2012): Bestandsaufnahme zur Situation der Frauenhäuser, der Fachberatungsstellen und anderer Unterstützungsangebote für gewaltbetroffene Frauen und Kinder. dass die Rechte und die Sicherheit der unmittelbar Betroffenen sowie der Kinder nicht gefährdet werden. Dies ist derzeit nicht regelmäßig der Fall.3 Die Vorschriften des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen (FamFG) und des BGB über die Ausgestaltung des Umgangsrechts lassen den Anwenderinnen und Anwendern einen erheblichen Spielraum, dessen Ausnutzung von dem Wissen der Einzelnen über häusliche Gewalt abhängt.4 Zusätzlich zu den materiell- und verfahrensrechtlichen Vorgaben verpflichtet die Konvention die Staaten zu einem koordinierten Ineinandergreifen von politischen Maßnahmen und Monitoring der (Rechts-)Wirklichkeit von Gewalt betroffenen Frauen, Kindern und zum Teil Männern. Artikel 11 sieht die Verpflichtung zur Datenerhebung im Rahmen von regelmäßigen Statistiken öffentlicher Stellen wie zum Beispiel der Zivil- und Strafgerichte, Jugendämter - und im Rahmen von Forschung vor, die deutlich über das hinausgehen, was derzeit erhoben wird. Diese Daten dienen der Präzisierung und Steuerung von politischen Maßnahmen gegen Gewalt gegen Frauen, die wiederum von einer einzurichtenden Stelle koordiniert, umgesetzt, beobachtet und bewertet werden sollen (Artikel 10). Im Folgenden werden einzelne Verpflichtungen aus der Konvention herausgegriffen, die in jedem Fall vor einer Ratifikation geändert werden sollten. Reform des § 177 StGB Gesetzlicher Handlungsbedarf besteht im Sexualstrafrecht. Artikel 36 der Konvention verlangt, dass die Staaten alle nicht-einvernehmlichem sexuellen Handlungen unter Strafe stellen sowie effektiv verfolgen müssen. Dies ist derzeit in Deutschland nicht der Fall. Nur selten zeigen Frauen sexuelle Gewalt an und nur selten5 folgt darauf eine strafrechtliche Reaktion. Dies liegt auch an dem Straftatbestand § 177 StGB (sexuelle Nötigung/Vergewaltigung) in seiner Auslegung durch den Bundesgerichtshof (BGH). § 177 StGB setzt voraus, dass eine Person eine andere Person zu sexuellen Handlungen „nötigt“. Das bedeutet, dass es nicht ausreicht, wenn die betroffene Person „nur“ Nein sagt und der Täter bzw. die Täterin das auch gehört und verstanden hat. Der Täter, die Täterin muss nicht nur den Willen der betroffenen Person missachten, sondern zusätzlich auch noch Gewalt anwenden oder den Betroffenen mit Gewalt drohen oder eine sogenannte schutzlose Lage ausnutzen. § 177 StGB erfasst somit nicht jede Form der Vergewaltigung und gewährleistet keinen umfassenden Schutz der sexuellen Selbstbestimmung. Schwierigkeiten bei der Strafverfolgung treten insbesondere dann auf, wenn die Täter bei der Tat keine körperliche Gewalt anwenden oder nicht mit körperlicher Gewalt drohen. In langjährigen Beziehungen kennen die Betroffenen die Täter oft gut. Sie sagen Nein, verzichten aber auf Gegenwehr, weil sie aufgrund einer Abwägung zu der Einschätzung kommen, dass die Tat mit Gegenwehr nicht zu verhindern ist, aber länger dauern oder sie mehr quälen wird. Auch wenn ein Täter oder eine Täterin mit sozialen oder rechtlichen Nachteilen droht und zum Bespiel eine Frau ohne Aufenthaltspapiere, „nur“ mit dem Hinweis auf eine mögliche Abschiebung zu 3 Interdisziplinäre Arbeitsgruppe "Kindeswohlgefährdung durch häusliche Gewalt" (2011): Kindesschutz und Kindeswohl bei elterlicher Partnerschaftsgewalt, S. 83 ff., Ministerium für Justiz, Arbeit, Gesundheit und Soziales des Saarlands (Hrsg)., 5. Auflage. 4 Fauth-Engel, Tanja (2013): Fortschritt und Stagnation- Ein kritischer Blick auf die (familien-)rechtlichen Rahmenbedingungen. In: Handbuch Kinder und häusliche Gewalt, S. 188, Kavemann, Barbara; Kreyssig, Ulrike (Hrsg), 3. Auflage, Springer Verlag. 5 2012 ist es in nur 8,4 % aller angezeigten Vergewaltigungen zu einer Verurteilung gekommen: http://www.kfn.de/versions/kfn/assets/Presseerklaerung_Vergewaltigung.pdf. sexuellen Handlungen zwingt6, fällt das nicht unter den Vergewaltigungstatbestand. Dasselbe gilt, wenn sie der Betroffenen androhen, kompromittierende Bilder ins Internet zu stellen. Es liegt keine Vergewaltigung nach dem Strafrecht vor, wenn Betroffene die Tat über sich ergehen lassen oder handlungsunfähig sind, weil sie sich schutzlos fühlen. Nach Auffassung des Bundesgerichtshofs müssen sie auch objektiv schutzlos sein, und er formuliert hierzu realitätsfremde Anforderungen. So hat der Bundesgerichtshof zum Beispiel 2012 ausgeführt, dass die Schutzlosigkeit der Betroffenen nicht bewiesen war, weil unklar war, ob die Frau versucht hat, in einem Mehrparteienhaus um Hilfe zu rufen oder zu prüfen, ob die Tür abgeschlossen war.7 Diese Rechtslage verlangt damit von Betroffenen, dass sie in der Situation einer Vergewaltigung geistesgegenwärtig und unter Umständen auch risikobereit sind, Gegenwehr leisten und aktiv nach Hilfe suchen. Das geht an der Realität vieler Betroffener von Gewaltdelikten vorbei. In den letzten Monaten haben sich verschiedene zivilgesellschaftliche Akteure,8 aber auch politische Gremien wie die Arbeitsgruppe Recht der CDU/CSU-Bundestagsfraktion9 oder die Arbeitsgemeinschaft Sozialdemokratischer Frauen der SPD10 positioniert und fordern eine Reform des Straftatbestandes der Vergewaltigung. Ein erster Vorschlag für einen Gesetzesentwurf ist vorgelegt.11 Auch erste Stimmen aus der Rechtswissenschaft12 melden sich öffentlich zu Wort und formulieren Anpassungsbedarf des Strafrechts an die menschenrechtlichen Vorgaben. Änderung des Opferentschädigungsgesetzes Auch das System der Opferentschädigung ist derzeit nicht in Übereinstimmung mit den rechtlichen Anforderungen aus Artikel 30 Abs. 2 der Istanbul-Konvention. Dieser normiert die Verpflichtung des Staates, Schadenersatz sicherzustellen, wenn Betroffene häuslicher und oder geschlechtsspezifischer Gewalt eine schwere Körperverletzung oder Gesundheitsschädigung erlitten haben. Das umfasst Schäden aufgrund von körperlicher und auch psychischer Gewalt. Wie und unter welchen Bedingungen der Staat Entschädigung gewährleistet, bleibt ihm überlassen. So kann er zum Beispiel Schäden auch über staatlich finanzierte Gesundheits- und Sozialmaßnahmen ersetzen. Derzeit können Betroffene von körperlicher Gewalt Entschädigungsleistungen nach dem Opferentschädigungsgesetz erhalten, § 1 OEG. Die Kosten für eine umfassende medizinische Versorgung werden von den Krankenkassen übernommen. Keinen Anspruch auf eine Opferentschädigung i. S. von Artikel 30 haben also Betroffene von psychischer Gewalt ohne Krankenversicherung. Das alle vier Jahre erhobene Zusatzprogramm „Angaben zur Krankenversicherung“ im Mikrozensus hat gezeigt, dass 2011 in Deutschland rund 137.000 Personen 6 So entschieden vom Bundesgerichtshof 2007: Beschluss vom 4. April 2007, Aktenzeichen 4 StR 345/06, Rz. 29. BGH, Beschluss vom 20.03.2012, Aktenzeichen 4 StR 561/11, Rz. 11. 8 Rabe, Heike; von Normann, Julia (2014): Schutzlücken bei der Strafverfolgung von Vergewaltigungen. Menschenrechtlicher Änderungsbedarf im Sexualstrafrecht: http://www.institut-fuermenschenrechte.de/uploads/tx_commerce/Policy_Paper_24_Schutzluecken_bei_der_Strafverfolgung_von_Ve rgewaltigungen.pdf ; Bundesverband Frauenberatungsstellen und Frauennotrufe: https://www.frauen-gegengewalt.de/nachricht/items/bff-legt-fallanalyse-zu-schutzluecken-im-sexualstrafrecht-vor.html. 9 http://www.presseportal.de/pm/7846/2787790/winkelmeier-becker-hoffmann-gesetzesluecken-beivergewaltigung-muessen-dringend-geschlossen-werden/api. 10 http://www.asf.de/aktuelle_themen/erfolgreiche-bundeskonferenz-in-karlsruhe1. 11 Deutscher Juristinnenbund: http://www.djb.de/Kom/K3/14-14/. 12 http://www.badische-zeitung.de/deutschland-1/strafrechtsprofessor-renzikowski-ueber-sexualstraftaten-86747656.html. 7 nicht krankenversichert waren und auch keinen sonstigen Anspruch auf Krankenversorgung hatten.13 Es ist davon auszugehen, dass die tatsächliche Zahl deutlich größer ist, da die Erhebung Menschen ohne gemeldeten Wohnsitz wie zum Beispiel Wohnungslose, irreguläre Migrantinnen und Migranten oder zum Teil auch europäische Wanderarbeiterinnen und Wanderarbeiter nicht berücksichtigen konnte. Eine Möglichkeit der Abhilfe wäre, den Anspruch nach dem Opferentschädigungsgesetz im aktuellen Reformprozess auch auf Schäden aufgrund von psychischer Gewalt zu erweitern. Rücknahme der aufenthaltsrechtlichen Vorbehalte Frauen ohne rechtmäßigen Aufenthaltsstatus und ohne Duldung, die Gewalt erfahren, wenden sich häufig nicht an die Strafverfolgungsbehörden, um dort Schutz zu suchen oder Strafverfolgung zu initiieren.14 Zwar haben sie wie alle Menschen ein Recht auf Schutz vor Gewalt, Zugang zur Gesundheitsversorgung etc. In der Praxis stehen der Inanspruchnahme dieser Rechte aber häufig die verschiedenen Übermittlungspflichten staatlicher Stellen entgegen (zum Beispiel § 87 II AufenthG). Erlangen zum Beispiel Gerichte, Strafverfolgungsbehörden, Gesundheitseinrichtungen im Rahmen ihrer Tätigkeit Kenntnis von dem irregulären Aufenthalt, dann sind sie verpflichtet, diese Daten an die Ausländerbehörde weiterzuleiten. Dies hat in der Regel aufenthaltsbeendende Maßnahmen zur Folge. Auch für Frauen, die über eine Eheschließung in Deutschland oder den Familiennachzug eine Aufenthaltserlaubnis erhalten und deren Fortbestand in der Regel für drei Jahre an die Ehe gekoppelt ist, ist es schwierig, Schutz vor Gewalt zu suchen. Zwar macht das Gesetz eine Ausnahme von der dreijährigen Ehebestandszeit, wenn eine „besondere Härte“ – und darunter fällt auch häusliche Gewalt – vorliegt (§ 31 Abs. 2 S. 1 AufenthG). Diese Ausnahme ist aber dann ausgeschlossen, wenn für die gewalttätigen (Ehe)Partnerinnen oder Partner die Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis ausgeschlossen ist. Bei einer Trennung fürchten Betroffene daher den Verlust des Aufenthaltstitels. Daher sollten im Rahmen der Ratifikation die von der vorherigen Bundesregierung bei der Zeichnung der Konvention erklärten Vorbehalte zu Art. 59 Abs. 2 und 315 zurückgenommen werden. Der Vorbehalt zu Absatz 2 verhindert, dass der Staat sich verpflichtet, Betroffenen von häuslicher Gewalt, deren (Ehe-)Partner oder Partnerinnen zur Ausreise aufgefordert oder ausgewiesen werden, die sofortige Möglichkeit für ein eigenständiges Aufenthaltsrecht einzuräumen. Der Vorbehalt zu Absatz 3 umgeht die Verpflichtung, für ausreisepflichtige Betroffene von geschlechtsspezifischer Gewalt eine verlängerbare Aufenthaltserlaubnis für den Fall einzuführen, dass der Aufenthalt aufgrund der persönlichen Situation der Betroffenen in Deutschland nötig oder der Aufenthalt für die Mitwirkung in Ermittlungs- beziehungsweise Strafverfahren gegen die Täterinnen und Täter erforderlich ist. Bisher ist im Aufenthaltsrecht für diese Situation nur eine Duldung für jeweils maximal sechs Monate vorgesehen. Die Duldung stellt keinen rechtmäßigen Aufenthaltstitel dar. Sie bezeichnet die vorübergehende Aussetzung der Abschiebung mit den 13 https://www.destatis.de/DE/PresseService/Presse/Pressemitteilungen/2012/08/PD12_285_122.html. Picum (2012): Strategies to End Double Violence Against Undocumented Women. Protecting Rights and Ensuring Justice: http://picum.org/picum.org/uploads/publication/Double%20Violence%20Against%20Undocumented%20Wom en%20-%20Protecting%20Rights%20and%20Ensuring%20Justice.pdf; erläuternder Bericht zur Konvention, Rz. 301: http://www.coe.int/t/dghl/standardsetting/conventionviolence/convention/Convention%20210%20German%20&%20explanatory%20report.pdf. 15 http://www.conventions.coe.int/Treaty/Commun/ListeDeclarations.asp?NT=210&CM=8&DF=28/07/2014&CL =ENG&VL=1. 14 bekannten Folgen, wie dem beschränkten Zugang zum Arbeitsmarkt, der Residenzpflicht und der Unterbringung in Sammelunterkünften. (H. Rabe)