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Unser Chef hat unlängst dem Kulturjournalisten und Buchautor Martin Kunzler ein
Interview zur Ernährung von Kindern und Jugendlichen wie auch zur Versorgung von
Kitas und Schulen gegeben, das wir Ihnen nicht vorenthalten möchten.
Kinder sind keine kleinen Erwachsenen
„Zunächst muss man sie mit Hilfe ihrer angeborenen Experimentierfreude auf
den Pfad der kulinarischen Tugend locken“, erklärt Küchenchef Peter Neuner
aus Sankt Martin in der Pfalz. Seine Expertise für kind- und jugendgerechte
Ernährung wird von Kitas, Schulen und Gymnasien geschätzt. Und dem
Nachwuchs schmeckt es prächtig.
Frage: Außer Erwachsenen jedweder kulinarischen Neigung bekochen Sie – und das
ist hier unser Thema – Kindergärten, Schulen und Gymnasien. Kann man so
verschiedenartige Ansprüche und Geschmäcker denn wirklich unter einen Hut
bringen?
Neuner: Das hängt davon ab, wie dieser Hut heißt. Grundsätzlich gelten, was die
gesunde Ernährung betrifft, für alle Menschen – wenn man von Säuglingen vielleicht
einmal absieht – dieselben Grundsätze und Nährstoffqualitäten. Und gut schmecken
sollte ein Essen sowieso, da sind sich Kinder, Jugendliche und Erwachsene gewiss
einig.
Aha, dann sind Kinder – wenigstens beim Essen – doch so etwas wie kleine
Erwachsene!
Neuner: Da würde ich energisch widersprechen. Mit den beiden Grundsätzen, die ich
genannt habe, erschöpfen sich die Gemeinsamkeiten nämlich bereits. Wir alle – groß
und klein – sollten zwar auf die richtige Mischung im Sinne der DGE-Standards und
der Ernährungspyramide achten, viel Gemüse und Obst und – der Purine wegen weniger Fleisch essen. Wir sollten mehrfach ungesättigte Fettsäuren tierischen
Fetten vorziehen, Transfetten aus dem Weg gehen und versteckte Fette entlarven
Der Unterschied beginnt dann aber schon bei der Zubereitungsart, dem Geschmack
eben, und setzt sich bei den Quantitäten fort: Kinder und Heranwachsende brauchen
in verschiedenen Phasen ihrer Entwicklung unterschiedliche Mengen – das heißt
Dosierungen – bestimmter Nährstoffqualitäten. Trotz all diesen sehr wohl relevanten
Ansprüchen kann man dem Rat der Ernährungswissenschaft dennoch im Großen
und Ganzen folgen, auch wenn er nicht immer ganz eindeutig ausfallen mag und sich
von Zeit zu Zeit durchaus ändert.
Ein Thema für sich…
Neuner: Ja, aber es gibt doch so etwas wie einen ungefähren Konsens: die eben
genannten Fakten, außerdem gilt: keine Geschmacksverstärker, keine künstlichen
Farb- und Süßstoffe, keine Phosphate in der Wurst. Gar so weit streben die
Meinungen nun auch wieder nicht auseinander – und immer mehr Institutionen
erweisen sich im Kampf um die richtige Ernährung unseres Nachwuchses sehr wohl
als hilfreiche Mitstreiter. Die Metropolregion Rhein/Neckar, habe ich gelesen, macht
sich zum Beispiel für gesundes Schulessen stark. Das ist eine erfreuliche
Entwicklung.
Sogar Michelle Obama ist eifrig dabei und kämpft tapfer gegen Burger und
bestimmte oppositionelle Bürger, die so weitermachen wollen wie bisher. Die
Bertelsmann-Stiftung und das Kuratorium „Kinderfreundliches Stuttgart“ sind mit von
der Partie. Und auch prominente Fernsehköche wie Jamie Oliver in Großbritannien
oder Johannes Lafer in Bad Kreuznach mischen inzwischen ordentlich auf diesem
Sektor mit – allerdings mit viel Begleitmusik und unterstützt von Institutionen wie
etwa dem Land Rheinland-Pfalz, das zusammen mit dem Kreis Bad Kreuznach eine
Mensa für 4 Millionen Euro beigesteuert hat.
Neuner: Für diese vier Millionen hätte man allerdings auch viele Schulen mit dem
Allernötigsten auf diesem Gebiet ausstatten können. Ich will aber nicht jammern.
Immerhin tragen solche sogenannten publikumsträchtigen Leuchttürme dazu bei,
dass Eltern mehr und mehr den Wert einer richtigen Ernährung für ihre Kinder
erkennen. Mit der Realität des Alltags, den Lehrer, Erzieher, Eltern und wir Köche
meistern müssen, haben solche Vorzeigeprojekte jedoch wenig zu tun.
Immerhin sind Sie nicht allein und müssen sich nicht unbedingt als einsamer Rufer in
der Ernährungswüste fühlen…
Neuner: Nein, wir Köche taugen schwerlich zum tragischen Propheten, wir sind
Dienstleister, die ihr Handwerk gelernt haben. Ein richtiger Koch will aber auch, dass
es seiner Kundschaft bei aller Ernährungsvernunft gut schmeckt. Und da tun sich bei
der Jugend durchaus besondere Ansprüche auf. Bei diesem komplexen Thema der
Sensorik steht der Koch schon ziemlich allein mit seiner Kreativität. Allein gegen die
Fastfood-Übermacht mit ihrer massiven Werbung. Allein auch gegen manch ein
Elternhaus, wenngleich dies in der bodenständigen Pfalz nicht so eine große Rolle
spielt wie in den Großstädten. Allein stehen wir und die anderen Verantwortlichen in
den Institutionen außerdem vor dem schmalen Budget. Und allein müssen wir auch
mit viel Pfiff gegen den Kindern nun einmal eigenen Konservativismus in Sachen
Kulinarik ankochen – nur die Allerwenigsten kommen eben als geborene
Geschmacksabenteurer auf die Welt.
Der übliche „Meine Suppe ess‘ ich nicht“-Trotz also….
Neuner: …wobei ich unbedingt erwähnen muss, dass wir unter dieser Protesthaltung
kaum einmal zu leiden haben – vermutlich, weil wir uns im Vorfeld schon eine Menge
Gedanken dazu machen und trotz unserer langjährigen Erfahrung auf diesem Gebiet
immer wieder neu machen. Hier Tag für Tag zum Erfolg zu kommen, ist eine
Genugtuung – fast so erfüllend wie die Komposition eines Mehrgänge-Menüs. Und
Spaß macht schließlich auch, dass unser Essen der Kundschaft einfach gut
schmeckt; der tägliche Sieg von Vernunft und Kulinarik über die Gewohnheit.
Was sind das für Überlegungen und Erfahrungen, mit denen Sie Kinderherzen und –
Gaumen erobern und gegen die Gewohnheit bürsten?
Neuner: Man muss am Herd eben nicht nur über das Weglassen nachdenken –
beispielsweise von schwer Verdaulichem, von Blähendem wie Hülsenfrüchten oder
Kohlsorten – sondern auch darüber, was hinzugefügt werden sollte – Kräuter zum
Beispiel, lustig geschnittenes Gemüse etc. bei den ganz Kleinen. Es gibt nicht nur
versteckte Fette, auch Vitamine und Mineralstoffe lassen sich gut verstecken – in
Pürees oder Suppen. Was man nicht mag, weil es „so hart ist“, „komisch schmeckt“
oder „blöd aussieht“ kann sich püriert oder in einer Suppe versteckt zum absoluten
Favoriten mausern. Man muss an den Genuss appellieren, an die lustige bunte
Zusammenstellung von roten Tomaten, Radieschen, leuchtend gelbem Mais oder
was auch immer, statt mit erhobenem Finger zu belehren: „Rohkost ist gesund!“ Uns
Erwachsenen ist diese kluge Erkenntnis doch auch wurscht, wenn wir schön essen
gehen und ein Abenteuer für die Sinne erwarten.
Wie wahr, wie wahr. Es kann aber kaum ausreichen, dass Sie sich an Ihrem Herd
schöne bunte Speisen ausdenken, wenn nicht die Eltern, die Erzieher und Lehrer
mitspielen.
Neuner: Es gibt heute sicher keinen Erzieher oder Lehrer, der etwa die Vorzüge von
Fast Food oder schlecht zubereitetem Essen propagieren würde. Manch ein
selbsternannter Experte täte gut daran, sich erst einmal vor Ort in einer Kita davon
ein Bild zu machen, wieviel und was alles dort auch in Bezug auf unser Thema von
den Erzieherinnen und Erziehern geleistet wird, bevor er Zustände beklagt, die er
überhaupt nicht kennt. Woran es in der Tat oftmals mangelt, ist das adäquate
Angebot, und das wiederum ist unsere Aufgabe. Auch Zeitmangel und knappe
Budgets machen es den Verantwortlichen alles andere als einfach.
Damit ist bereits auch das wichtigste Thema angeklungen: die pädagogische Seite…
Neuner: Es gibt kein „wichtigstes“ Thema. Alle damit verbundenen Themen sind
gleich wichtig: Die Sinnesschulung von Kindern und Heranwachsenden, die zu
vernünftigen und genussfähigen Erwachsenen werden sollen, hat mehrere Quellen:
Eine ist das Angebot. Was nützen alle Theorien und Absichtserklärungen, wenn das
Essen einfach nicht schmeckt. Eine weitere wichtige Quelle ist sehr wohl die jeweils
altersgerechte faktische Wissensvermittlung. Wieder einer anderen begegnen wir im
handlungs- und erlebnisorientierten pädagogischen Konzept. Alle Komponenten
müssen ineinandergreifen, ohne vom Kind als Pflicht oder Last empfunden zu
werden. Das Ziel letztlich lautet: die eindimensionalen Geschmackserfahrungen aus
der Frühkindheit geschickt überwinden helfen und die massiven Werbebotschaften
aus Fernsehen etc. einigermaßen auf Distanz halten. Steinzeitkinder hat dieser
angeborene Konservativismus bei der Speisenwahl davor bewahrt, giftige Beeren zu
pflücken. Die heutige Industrie nutzt den daraus entwickelten Wunsch nach immer
demselben Lieblingsessen geschickt durch standardisierte Angebote. An die Stelle
beider Wirkmechanismen sollte der Kindern eigene Forscherdrang treten. Ihn
geschickt auf Essen, Natur und Genuss zu lenken, um neue Vergleichswerte zu
erobern, darum geht es. Die Kinder mit Hilfe ihrer nicht minder angeborenen
Experimentierfreude auf den Pfad der kulinarischen Tugend zu locken, ist unser
gemeinsamer Job, in der Kita, der Schule und auch in meiner Küche.
Ist dann nicht doch das schon erwähnte Lafer-Modell mit der tollen LehrküchenMensa ein durchaus guter Weg zum Ziel mündiger Esser?
Neuner: Ein sehr sehr guter Weg. Lassen Sie uns die Gesamtzahl aller Schulen in
der Bundesrepublik ermitteln, diese Zahl mit vier Millionen Euro multiplizieren und
den Onkel Dagobert suchen, der dies finanziert. Im Ernst: Wir versuchen der
Ganzheitlichkeit verpflichtet zu bleiben, indem wir ständig im Gespräch mit den
Lehrkräften und auch unseren jungen Konsumenten stehen. Für die ganz kleinen
gibt es im Jahres- und auch in wechselndem Kita-Rhythmus bei uns im Hause
Grafenstuben vor Weihnachten jeweils sogar eine kleine Küchenschlacht als Event.
Sie ist manchmal ein wenig anstrengend, aber immer lustig und äußerst beliebt bei
den Kindern. Auch meine Leute und ich selbst, wir genießen das und möchten den
alljährlichen munteren Besuch nicht mehr missen. Natürlich können wir im
Tagesbetrieb nicht mehr als diesen einmaligen Besuch verkraften. Aber: Einmal ist
immerhin nicht keinmal.
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