Erster Akt Erste Szene: Landhaus von Robert Nitsch-Weichert; großes Wohnzimmer; im Hintergrund eine Terrasse und ein großes Fenster, mit Blick auf eine wunderschöne riesige Gartenanlage; in der Ferne ist eine Stadt zu sehen. Ein auffallend großer Fernsehapparat steht irgendwo im Zimmer, dem Zuschauer direkt gegenüber. Es ertönt klassische Musik, noch bei geschlossenem Vorhang (schnelle Tempi von aufwühlendem Charakter, eventuell Chopin). Kurz darauf wird der Vorhang geöffnet. Gertrud, Roberts Frau, ist mit Hausarbeit beschäftigt, stellt Gläser ein o.ä. Es schellt. Gertrud geht zur Diele hinaus, wird für den Zuschauer unsichtbar. Draußen öffnet sie die Haustür; vorher hat sie die Musik abgestellt. Man hört von draußen Reinhold Schoppe mit Gertrud sprechen. Schoppe: von draußen Guten Tag, Gertrud! Gertrud: ebenfalls von draußen Hallo, Reinhold! Schoppe: Wartet Robert schon? Gertrud: Er ist noch unterwegs, beim Gärtner... Du weißt, er pflanzt gerade Bodenbedecker. - Aber komm doch bitte herein! - Wart ihr jetzt schon verabredet? Schoppe: Ja...., das heißt: eigentlich nein - etwas später; ich glaube, ich bin zu früh.... Sie erscheinen. Schoppe: Entschuldige bitte! Gertrud: Aber das macht doch nichts! Nimm bitte Platz, ich leiste dir inzwischen Gesellschaft! Schoppe: Das ist nett von dir, Gertrud. Aber nicht dass ich dich von der häuslichen Arbeit abhalte! Gertrud: Tust du nicht, Reinhold! - Bei einem Zwei-Personen-Haushalt fällt sowieso nicht viel an. Schoppe setzt sich, Gertrud, welche die Gläser irgendwo hinstellt, ebenfalls. Gertrud: Robert freut sich immer sehr, dass du ihm über seine Einsamkeit hier draußen hinweghilfst. Ohne deine Freundschaft - glaube ich - ginge hier manches schwerer. Schoppe: Wir helfen uns gegenseitig, Gertrud. Du weißt, ich bin auch nicht gerade mit Freunden und geselligen Partnern üppig gesegnet. Gertrud: Und das, obwohl du in der Stadt wohnst!? Schoppe: Tja, Gertrud, wie das eben so geht: Wenn keine Frau mehr im Hause ist...... Gertrud: Ah, ich verstehe... .tja - bei uns ist es die einsame Lage hier draußen. Ich habe so oft frühere Freunde hierher eingeladen, aber den meisten ist unser Haus wohl zu abgelegen. - Übrigens, was darf ich dir anbieten? - Entschuldige bitte....meine Unaufmerksamkeit! - Einen Cognac? Schoppe: Gerne! Aber nur einen kleinen bitte! Gertrud serviert den Cognac; sie stoßen an, trinken. Schoppe: .... euer Haus zu abgelegen, sagst du; ich glaube, Gertrud, es gibt noch einen anderen Grund! Gertrud: So....? Und der wäre? Schoppe: Na, der liegt doch auf der Hand: Eure Freunde waren allesamt falsche Freunde. Solange Robert noch eine interessante Figur war, solange er noch Einfluss hatte - er, der umworbene Parteiführer von ehedem, der aussichtsreiche Kandidat für höhere Aufgaben...., ja, da lohnte es sich, bei Robert zu antichambrieren. Aber jetzt, nach seinem Rücktritt.... Gertrud: ....seinem erzwungenen! Schoppe: .... der einem Sturz gleichkam! In solchen Augenblicken - das ist eine altbekannte Tatsache schmilzt die Zahl der sogenannten Freunde wie... wie.... Gertrud: .... wie die Butter in der Bratpfanne; ja, wahrscheinlich hast du recht. - Um so glücklicher schätzen wir es, Reinhold, dass du uns ein wahrer, guter Freund geblieben bist! Schoppe: Tja, eine Jugendfreundschaft, Gertrud, ist wie eine zarte Pflanze: man muss sie reichlich gießen und düngen; dann wird daraus mal ein kräftiger Baum. Dagegen diese zahllosen, flachwurzelnden Bäumchen, die man gemeinhin auch Freundschaften nennt.... Da braucht nur mal ein Sturm hineinzufegen, schon knicken sie um... Gertrud: lacht Fein poetisch erklärt! Der Dichter Reinhold Schoppe hat gesprochen! - Apropos - was macht eigentlich dein Trauerspiel, das du gerade verfasst hast? Schoppe: Danke der Nachfrage! Mir kommen immer die Tränen, wenn ich es lese. Leider sind die Verleger, denen ich es zuschicke, viel weniger beeindruckt. Sie finden es entweder nicht zeitgemäß oder... zu sentimental. Gertrud: Ach, das tut mir leid. - Na ja, wie leben in einer gefühlsarmen Zeit. Was zählt, ist der materielle Erfolg. Und die neuen Ideale heißen: Durchsetzungskraft, Triumph der Stärke, ....... Schoppe: ..... ja, ja, Macht und noch einmal: Macht! Es ist leider so! Bis ins Private schlägt dieser Geist der Zeit durch. Wenn ich da an meine Frau denke..... Gertrud: Ach, Reinhold, es gibt noch andere! Du wirst gewiss noch eine liebe, gute Frau finden, eine treue Kameradin! Schoppe: Eine treue Kameradin? - Also, ich habe den Glauben an die Treue der Frauen verloren.... verzeih', Gertrud, wenn ich so direkt werde; aber bei dir ist es natürlich etwas anderes. Du bist allerdings eine große Ausnahme. Doch wenn du meinst, ich soll wieder heiraten.... um Gottes willen, nein! - Welche Frau nimmt auch schon einen vorzeitig pensionierten Lehrer, der mit den Schülern nicht fertiggeworden ist!? Gertrud: nach einer kurzen Pause Auch Robert hat man ja vorzeitig in den Ruhestand geschickt. Ich glaube, auch diese Gemeinsamkeit hat die Freundschaft zwischen euch erst richtig gefestigt: Jeder hat Abschied genommen von der schrillen Welt da draußen; ihr habt sozusagen die sturmbewegten Gewässer hinter euch gelassen und seid in einem windstillen Seitenarm vor Anker gegangen..... über sich selbst lachend - oh Gott, jetzt werde auch ich noch poetisch! Schoppe: Macht nichts, macht nichts, Gertrud! Die Poesie macht die Dinge allemal anschaulicher, bildkräftiger. Kurze Pause Gertrud: Wenn er nur nicht so verbittert wäre! Immer macht er sich Vorwürfe, er hätte anders handeln müssen, damals. Schoppe: Wie anders? Gertrud: Na, er hätte auf das Ansinnen der Partei eingehen sollen, das schmierige Material gegen den politischen Gegner, gegen diesen Basmeier - du weißt - er hätte es mit vertreten sollen. Schoppe: Ja, siehst du, Robert kann eben nicht über seinen Schatten springen. Gertrud: Er hat halt im tiefsten Innern seines Gemüts noch eine weiche Stelle, bei aller sonst zur Schau getragenen Härte. Ihm fehlt das Eisenherz eines Politikers. Schoppe: Und diese weiche Stelle - wie du sie nennst - hat ihm den Parteivorsitz gekostet? Gertrud: Ja, oder anders ausgedrückt: eine Aufwallung von Anstandsgefühl, von Abscheu gegenüber der hinterhältigsten Niedertracht. Ein Parteiführer, ein sogenannter politischer Freund, sagte mal zu ihm - hinter vorgehaltener Hand - ein Parteiführer muss auch fähig sein, unmoralische Mittel in die Waagschale zu werfen. Wer aber als Spitzenpolitiker davor zurückschreckt - sagte der "Freund" wird seine Partei niemals zum Sieg führen, in einer durch und durch verdorbenen Welt, im Kampf mit einem zu allem entschlossenen Gegner. Schoppe: Robert kann froh sein, dass er mit diesen Machiavellisten nichts mehr zu tun hat. Gertrud: Er ist aber nicht froh! Das ist es ja eben! Er ist unglücklich! Schoppe: Warum das? Gertrud: Weil ..... und das verstehe ich auch nicht ganz, weil er im Grunde seinen Parteifreunden Recht gibt. Er meint, sie hätten ihm mit Recht eine unverzeihliche Schwäche vorgeworfen. Schoppe: Eijeijei! Man sollte das Robert ausreden, Gertrud! Es entspricht so gar nicht seinem Charakter. Gertrud: Es ist merkwürdig, fast könnte man es eine fixe Idee nennen: Robert spricht ständig davon, die Partei werde ihn noch einmal rufen. Stell’ dir vor: zurückrufen an die Spitze der Partei! Ich habe das Gefühl, er klammert sich an diesen....., na man kann doch wohl sagen: närrischen Gedanken: Er schöpft aus dieser Illusion eine unheimliche Zuversicht. Schoppe: Dabei sitzt sein Nachfolger doch fest im Sattel. Dieser... Kat.... Katt-ner - heißt er, glaube ich. Gertrud: Kanter! Dr. Harry Kanter. - Ja, ich weiß auch nicht, wieso Robert sich da noch Hoffnungen macht. 2. Szene: Robert Nitsch-Weichert kommt durch die Terrassentür ins Wohnzimmer, salopp gekleidet, mit Sommerhut auf dem Kopf. Er ist ein vitaler Mitvierziger, groß, mit vollem Haar, allerdings etwas blasser Gesichtsfarbe; Schoppe hingegen ist untersetzt, fast klein und hat schüttere Haare. Robert: Tachchen, Reinhold! Na, zeitig wie immer! Ich glaube, wir waren erst um drei verabredet. Er gibt Schoppe die Hand, legt den Hut auf den Tisch. Gertrud: So, ich mache euch beiden erst einmal einen anständigen Kaffee! Robert: Au fein! Das können wir jetzt gut gebrauchen! Gertrud nimmt den Hut vom Tisch und trägt ihn in die Diele; sie bleibt draußen. Schoppe: Entschuldige bitte, Robert, aber..... Robert: Schon gut, alter Knabe! Du brauchst dich nicht zu entschuldigen; meinetwegen kannst du schon morgens um sechs bei uns hereinschauen, vorausgesetzt natürlich, es macht dir einer auf! Schoppe lacht. Schoppe: Na, so früh bin ich noch nicht auf den Beinen, Robert. Außerdem ist der Vormittag meine beste Arbeitszeit.... Robert: ...... für die Abfassung deiner Trauerspiele - ich weiß! Er geht zum Schrank, holt ein Schachbrett samt Figurenkasten. Robert: Sag' mal, wie viele hast du jetzt eigentlich geschrieben? Schoppe: Insgesamt fünf. Robert: Donnerwetter! Und alles Trauerspiele!? Schoppe: Alles! Robert: Keine Komödie darunter? Schoppe: Keine! - Warum fragst du? Du weißt es doch. Robert: Na, eine Komödie käme bei den Verlegern vielleicht besser an! Schoppe: Ich bin halt ein Trauerkloß! Irgendwelche komischen Seiten kann ich dem Leben nicht abgewinnen. Robert setzt sich, zündet sich eine Zigarette an. Robert: Trauerkloß! Das ist es, Reinhold, was deine Situation noch fataler macht, als sie ohnehin schon ist. Muss man denn unbedingt ein Trauerkloß sein? Schoppe: Was soll ich sonst sein? Ein heiterer Mensch, der vor Lebensfreude Bäume ausreißt? Soll ich bei meinen Kalamitäten ständig grinsend durch die Welt laufen? Robert: Kein Mensch verlangt von dir, dass du heiter bist. Und grinsen brauchst du auch nicht, jedenfalls bitte nicht bei mir! Mein Schönheitssinn bekäme einen irreparablen Schaden! Schoppe: Aha! So scheußlich grinse ich! Robert: Scheußlich ist gar kein Ausdruck; krötenhaft! Schoppe: Eine Kröte grinst nicht! Robert: Sieht aber scheußlich aus, kreuzerbärmlich hässlich! - Wie jemand, der sich selbst aufgegeben hat. Schoppe: Womit wir beim Thema wären! Robert: Komm, setz' dich, Reinhold! Beginnen wir unsere Partie! Schoppe setzt sich zu Robert, der das Schachspiel aufbaut. Robert: laut Gertrud! Bringst du uns den Kaffee!? Gertrud: von draußen Ja, gleich! Pause; sie fangen an. Robert: Ah, Spanische Eröffnung! Schoppe: Ich habe sämtliche Varianten der Spanischen Eröffnung im Kopf! Bis zum zehnten Zug. Bis dahin darfst du dir keine falsche Reaktion leisten, sonst wirst du heute der Trauerkloß sein! Robert: Ja, darauf kommt es an, mein Lieber, auf die richtigen Reaktionen! Schoppe schiebt eine Figur, Robert desgleichen. Robert: nach einer Pause, während der Gertrud den Kaffee und etwas Gebäck bringt; beide bedienen sich. Wenn man das Leben so durch und durch traurig sieht, Reinhold, und entsprechend tief traurige Stücke verfasst, darf man sich nicht wundern, wenn ein Verleger.... oder Theaterintendant oder Dramaturg.... was weiß ich - wenn er also sagt: Mein lieber Herr Poet! Mit solchen Arrangements vertreiben Sie mir ja die Zuschauer aus dem Theater. Ihr Trauerspiel müsste nach der Premiere sofort als Flop abgesetzt werden! Bringen Sie ein paar komische Stellen hinein, und wir können über die Sache reden! Schoppe: schweigt, zieht; Robert desgleichen. Robert: Und - würde der Herr Verleger noch hinzufügen: das Leben ist zwar hart, unmenschlich hart ja - und es ist auch traurig, meinetwegen tief, tief traurig; aber, mein lieber Herr Dichter, es hat auch seine heiteren Seiten, unbedingt! Seine unheimlich netten, guten Momente, würde ich doch meinen; Momente, wo man sich geradezu wohl, manchmal sogar sauwohl fühlen kann! Und darüber hinaus wirkt auch vieles erheiternd, nicht wahr? Müssen Sie doch zugeben, mein Herr Theaterschriftsteller! Ja, manches wirkt sogar direkt zum Schenkeln Schlagen komisch! - Diesen unleugbaren Tatsachen mein verehrter Herr Dramatiker - müssen wir Rechnung tragen. Deshalb: bitte, bitte, berücksichtigen Sie auch das Heitere, mein Herr! Schoppe schweigt noch immer, überlegt, zieht. Robert: der kurz überlegt und kurz gezogen hat. Und dieses Erfolgsrezept beherzigend, müsste unser Dichter natürlich, um Furore zu machen, manch heitere und manch erheiternde Stellen in seine hochdramatischen Werke einbauen, nicht wahr? Er trinkt dabei Kaffee, isst Kuchen; Schoppe schweigt, überlegt. Robert: Und wenn er dann mit solchen Einfügungen die Traurigkeit seiner Bühnenstücke auf natürliche und lebendige Weise zum Positiven hin ausgeglichen hat, wird ihm dieses todsichere Erfolgsrezept nicht nur den todsicheren Bühnenerfolg bringen. ..., Robert zieht und sagt: "Schach!"; Schoppe reagiert schnell, zieht sofort. Robert: ....sondern der Erfolg wird aus der hässlichen Trauer-Kröte auch einen lächelnden, schön anzuschauenden Dichterprinzen machen! Robert sagt wieder: "Schach!"; Schoppe zieht wieder schnell. Robert: Und siehe da, mein lieber, guter Reinhold: die Frauen werden ihm zuwinken, dem erfolgreichen Dichter; die schönen Frauen, wohlgemerkt! Robert sagt erneut: "Schach!"; Schoppe überlegt länger, zieht dann. Robert: Und nicht nur zuwinken werden sie ihm, die schönen Frauen; mehr noch, sie werden ihn.... Schach! Mein Lieber! Was sagst du jetzt? - Tja, sie werden ihn..... zumindest wird sich deine Verflossene wieder bei dir melden, wird nach dir fragen, wie es dir geht und so weiter - denn nichts macht einen Mann mehr sexy.... nichts macht ihn mehr sexy als...... Schoppe: Schachmatt!! Robert: Waaas? – Schei......! - Wie kommt denn das? Schoppe: Du hast zu viel geredet, Robert! Zuviel dummes Zeug, glaube ich! - Und das bei meiner spanischen Supervariante! So was musste ins Auge gehen! Das Telefon läutet. Robert nimmt den Hörer ab. Robert: Weichert! - Bitte? - Er hält die Hand auf die Muschel, sagt zu Schoppe: ’ Deine Frau!’ Schoppe: Was? Er macht abwehrende, verneinende Bewegungen, signalisiert, er würde schreiben. Robert: Ah, guten Tag, Frau Schoppe! Lang nichts mehr von Ihnen gehört! Wie geht..... ihr Mann? - äh - das heißt - nein! Da muss ich Sie leider enttäuschen, Frau Schoppe.... Bitte? ..... Ja, er.... schreibt... Schoppe machte wieder die Geste des Schreibens. - schreibt im Zweifel Trauer-spiele, glaube ich Trauerspiele, sagte ich! - Ja - Reinhold ist unter die Dichter gegangen, wissen Sie? - Ja, ja, Trauerspiele - Sie haben richtig gehört! - Ach, das wussten Sie nicht? - Trauerspiele, die sicher vorwiegend von Ihnen handeln, Frau Schoppe! - Bitte? - Wie beliebten Sie zu sagen?..... Hallo! – Er legt auf. Schoppe: Was sagte sie denn? Robert: Kann ich mit Worten nicht wiedergeben! Schoppe: Siehst du, so ist meine Frau! - So war sie! Jetzt hast du sie mal kennen gelernt! Robert: Ja, ich verstehe dich, Reinhold; musst allerhand durchgemacht haben! - Mann, deine Verflossene hat ja herzige Koseworte auf Lager, dass es nur so durch die Leitung knallte! - Aber, seltsam, hatte ich nicht recht? Kaum warst du erfolgreich, und sei es nur im Schach, schon rief deine Frau an. Ein Wink des Schicksals! Schoppe: Wenn meine Frau anruft, bedeutet es nichts Gutes. Im Zweifelsfalle will sie Geld! Robert: Warum lässt du dich eigentlich nicht scheiden? Schoppe: Weil mich das noch teurer käme! Robert: So! - Na ja, ich will mich da nicht einmischen; das ist deine höchst private Angelegenheit! Aber vielleicht, wenn du erst als Dichter Furore gemacht hast, Reinhold, dann.... kommt sie - glaube ich bestimmt! - auch wieder zu dir zurück. Schoppe: Wer sagt dir, dass ich überhaupt Furore machen will? Ich schriftstellere zu meinem Privatvergnügen. Irgendeinen Ehrgeiz habe ich nicht. Erst recht habe ich nicht den Ehrgeiz, meine Frau zurückzugewinnen. Soll sie doch bei ihrem Galan bleiben! Interessiert mich nicht mehr! Robert: Aha! Aber weiterleben willst du! - Das ist doch kein Leben, was du führst, Reinhold? So zurückgezogen.... so.... alleine.... ! Schoppe: Und du? Wie lebst du? Mitten im Getriebe der Welt, ja? Eingespannt durch eine unerhörte Aufgabe - die alle deine Kräfte fordert, he? - Wer im Glashaus sitzt, mein lieber Robert.... du weißt.... Robert: Ja, du hast Recht, entschuldige bitte, Reinhold! Meine Situation ist in diesem Punkt ähnlich wie bei dir. Doch es gibt einen entscheidenden Unterschied! Schoppe: So? Und der wäre? Robert: Ich habe mich noch nicht aufgegeben! Schoppe: Ah, ich verstehe! Du wartest auf den Ruf der Partei. Robert: Wer hat dir....? Ach so, meine Frau! - Ja, genauso ist es; ich rechne fest damit, mit einer neuen, wichtigen Aufgabe. Mit anderen Worten: ich habe Ziele, während bei dir alles zum Stillstand gekommen ist. Ziellos treibst du in den Gewässern...., schiffbrüchig! Schoppe: Aha, du hast Ziele! - Fragt sich nur, wo sie liegen, deine Ziele: irgendwo im Nirgendwo, ja? Im Reich der Riesen und Zwerge! Robert: Nein, nicht ganz so unerreichbar, wie du denkst, mein Lieber! - Es gibt da gewisse Signale aus der Partei, von gewissen Gruppen..... um Gisbert Kollmeier. Schoppe: perplex ...um Kollmeier? - Was du nicht sagst! - Und ich dachte, Dr. Harry Kanter sitzt fest im Sattel!? Robert: Vielleicht hast du falsch gedacht!? - Vielleicht ist es gar kein Traumgebilde, dem ich hinterher jage, sondern etwas Handfestes, Reales - so ein bunter Schmetterling - weißt du? - einer, der wirklich vorhanden ist, der wirklich vor mir lustig daherflattert, ein bunter Schmetterling meiner Hoffnung! Schoppe: Na, ich weiß nicht, Robert, was das für eine Hoffnung ist. Und auf welche Leute du sie gründest!? Auf Leute, die dir mangelnden Mut zur Unmoral vorwerfen - Ich muss schon sagen, Robert, deine Ansichten erstaunen mich. Normalerweise müsstest du auf einen ganz anderen Mut stolz sein: auf deinen Mut, moralisch, ehrenwert gehandelt zu haben! Dein Rücktritt geschah aus lauteren Motiven, und du hast dich von einer abscheulichen Bande von Machiavellisten abgekoppelt. Zu ihnen also willst du wieder die Verbindung aufnehmen! Und das nennst du einen bunten Schmetterling deiner Hoffnung! Robert: aufgebracht Du siehst doch selbst, wohin mich mein Edelmut geführt hat: in ein schwächliches, unansehnliches Leben im Abseits! - Ich habe manchmal das Gefühl, ich ersticke hier in all meinem Brimborium: Luxusbungalow, Gartenparadies und so weiter; materiell geht's mir ja glänzend; von meiner Landratspension - herrlich lässt sich's leben, wie du siehst! Doch ohne eine höhere Aufgabe bin ich hier wie lebendig eingemauert. - Mein Gott, wäre das eine Aufgabe für mich: endlich wieder für die Gemeinschaft zu wirken, das gewaltige soziale Projekt meiner Partei in die Tat umsetzen: die Reform des Gesundheitswesens, die Verbesserung des Jugendschutzes und der Altenfürsorge.... Nein, es ist schier zum Verrücktwerden! Hier sitze ich statt dessen, wässere den Rasen, schneide Hainbuchhecken .... , pflege mein entzückendes Gärtchen! - Und schuld daran ist diese übertriebene Empfindsamkeit, diese Gewissenhaftigkeit.... Übrigens, meiner christlichen Erziehung habe ich das zu verdanken, dass ich so bin, so gewissenhaft! Damals hat sich das bei mir eingebrannt, tief hineingesenkt in mein Gemüt! - Ja, und dann war ich noch in dieser christlichen Pfadfindertruppe.... Schoppe: Ah ja!? Robert: Und das Ergebnis? Na, wie gesagt: diese ausgeprägte weiche Stelle in meinem Herzen! Aber in einer Welt voller Egoisten und Materialisten gerät man mit tödlicher Sicherheit ins Hintertreffen, wenn man sich den Luxus einer weichen Stelle leistet! Schoppe schüttelt nur mit dem Kopf. Robert: Aber das habe ich mir geschworen, Reinhold: Sollte mir das Schicksal noch einmal den Weg freischaufeln und mein Leben gewinnt wieder an Höhe, und am Horizont lachen mir von neuem Glück, Ruhm und Ehre entgegen, als ob die Sonne ein zweites Mal für mich aufgehe...., dann mache ich nicht noch einmal diesen Fehler, dann leiste ich mir kein zweites Mal diese Skrupel, dann werde ich ohne Rücksicht auf mein Ziel zugehen! Schoppe: .... ohne Rücksicht? - Na, das heißt doch wohl konkret: ohne Rücksicht auf Kanter, auf Harry Kanter! Seinen Posten hast du im Visier, Robert, ihn willst du rücksichtslos aus seinem Amt katapultieren! Und weißt du auch warum? Klar weißt du das: Du willst dich an ihm rächen....... Robert: Wieso rächen? Das ist doch Unsinn. Ich habe keinen Grund.... Kanter hat meine Ablösung nicht betrieben, sondern andere aus der Partei.... Schoppe: Aber Kanter hat in anderer Hinsicht deine Ablösung..... betrieben! Sozusagen....., meine ich Robert: In anderer Hinsicht? Ich verstehe nicht! Schoppe: Du verstehst mich sehr gut, Robert. Er beerbte dich doch...., na, du weißt doch entschuldige, aber.... bei der schönen Helène ... hat er dich beerbt! Robert: unangenehm berührt Leiser! Gertrud könnte..... Schoppe: leiser Rache ist dein Motiv, Robert! Und Eifersucht! Gib es zu! Du möchtest ihn gerne weghebeln... wegen Helène! Robert: Ach Unsinn! Schoppe: Wegen Marie-Helène, die dir den Laufpass gab - nach deinem Sturz ins Nichts. Sie wollte dir nicht in die Bedeutungslosigkeit folgen, als Geliebte - die schöne Helène, die äußerst attraktive Helène! Marie-Helène Kanter, wie sie jetzt heißt! Robert: Du phantasierst! Helène hat mit der Sache überhaupt nichts zu tun. Sie war.... Schoppe: .... mal deine Geliebte! Robert: Leiser! Er schaut zur Tür, geht hin, öffnet sie kurz einen Spalt, geht dann ans Fenster, schaut verstohlen hinaus, kommt wieder zurück. Robert: Musst du dieses Thema gerade jetzt.... Schoppe: Entschuldige...., wenn ich Erinnerungen wachgerufen habe.... Robert ist zum Fenster gegangen, dreht Schoppe und dem Publikum den Rücken zu, schaut hinaus.... schmerzliche Erinnerungen womöglich!? Robert, mit dem Rücken zum Publikum, macht eine wegwerfende Handbewegung..... Ich wollte dich nicht kränken, Robert! - Gerade ich weiß, wie da einem zumute ist. Robert: Die Sache ist schon längst vergessen und begraben! Schoppe: Na, wenn ich dich so reden höre: ohne Rücksicht, ohne Skrupel.... Rache ist ein hässlicher Antrieb, Robert! Du übernimmst dich. Denk' an deine weiche Stelle! Sie ist nun mal da, und wenn du sie dreimal verfluchst. Als ob ein Mensch aus seiner Haut herausschlüpfen könnte, die gerade für ihn gezimmert ist. - Stell' dir vor, einer, dem das Klosterleben angemessen ist, mit täglichen Gebetsübungen in seiner Mönchszelle - will plötzlich den Dschingis-Khan herauskehren! Robert: wütend Na, dein Vergleich hinkt aber! Ich bin aus einem anderen Holz geschnitzt als ein Klosterbruder! 3. Szene: Es schellt; Gertrud erscheint kurz darauf. Gertrud: Robert, Herr Kollmeier ist draußen, möchte dich sprechen! Robert: Kollmeier? Er zeigt alle Anzeichen der Freude. Ah ja! Gisbert Kollmeier! - zu Schoppe Na, was sagst du jetzt, Reinhold? Die Partei sendet nicht nur Signale, sie schickt jetzt sogar einen Boten! Der bunte Schmetterling meiner Hoffnung flattert gleich zur Tür herein! Schoppe: perplex Das hätte ich allerdings nicht.... erwartet! Er ist aufgestanden, weiß nicht recht, was er tun soll. Na, hoffentlich lässt du dich von deinem Parteifreund nicht verbiegen! - Ich jedenfalls möchte mit diesem Herrn Kollmeier möglichst nicht zusammentreffen. Wo kann ich .... unauffällig verschwinden? Gertrud: Geh’ am besten über die Terrasse, Reinhold! Du kannst mir hinten im Garten Gesellschaft leisten. Schoppe: Ja, das tue ich gern, Gertrud. Also, schnell weg von hier! Schoppe verschwindet durch die Terrassentür. Robert: So, Gertrud, ich lasse bitten! Gertrud: Geht wieder nach draußen; von dort sagt sie: Bitte, Herr Kollmeier! Gisbert Kollmeier tritt ein; dabei hält ihm Gertrud die Tür auf. Kollmeier: Einen schönen guten Tag, Robert! Gertrud ab. Robert: Tag, Gisbert! Sie geben sich die Hand. Robert: Na, die Partei scheint Sehnsucht nach ihrem ehemaligen Vorsitzenden zu haben! Wenn sie jetzt sogar schon Abgesandte direkt in sein Haus schickt! Kollmeier: Es geht um eine Sache, Robert, die sich telefonisch nicht gut abklären lässt. Robert: So, so! Na, da bin ich aber sehr gespannt! Wirklich gespannt! Kollmeier: ist zum großen Fenster gegangen. Du hast es schön hier draußen, Robert! - schaut zum Fenster hinaus - Was für eine reizende Aussicht! Und der Garten erst: das reinste Paradies! Robert: Du bist sicher nicht hierher gekommen, um meinen herrlichen Garten zu bewundern!? Kollmeier: Nein, natürlich nicht! Robert: Also, dann spanne mich nicht auf die Folter! - Nimm' bitte Platz und schieß' los! Kollmeier setzt sich. Robert: Darf ich dir etwas anbieten, Gisbert? Einen Cognac vielleicht? Kollmeier: Ja, gerne, einen kleinen! Robert serviert Kollmeier und sich den Cognac. Kollmeier: Danke! Robert: Prost, Gisbert! Kollmeier: Ja, prost! Sie trinken. Kollmeier: Tja - also zur Sache! Eine sehr heikle, wenn ich mich mal so ausdrücken darf.... Du weißt, Robert, nicht jeder in der SFVP ist mit Harry Kanter zufrieden. Robert: Ja, weiß ich! - Weiter..... Kollmeier: Letzte Umfrageergebnisse zeigen die SFVP nicht gerade im Aufwind der Wählergunst - um es einmal recht milde zu formulieren. Robert: Ja, ich habe die Zeitungen gelesen - alle wichtigen - bei meiner vielen Freizeit hier ist das kein Problem! Kollmeier: Kanter ist zwar ein robuster, harter Typ, ein richtiges politisches Urgestein - wie man so sagt; hart im Nehmen und noch härter im Austeilen! - Du selbst, Robert, weißt ja ein Lied davon zu singen, glaube ich: ein recht schmerzliches.... Robert: Keine Sentimentalitäten, wenn ich bitten darf! Kollmeier: Ja, aber trotz all dieser geradezu idealen Politikereigenschaften Harrys - er kommt bei den Wählern nicht recht an. Die Demontage-Kampagne gegen Basmeier damals, die du ja aus Gewissensgründen nicht mitmachen wolltest - Harry hatte sich voll in den Dienst der Partei gestellt und mit Bravour am Sturz Basmeiers mitgearbeitet. Robert: Durch geschicktes Lancieren des Materials! Kollmeier: Ohne dass auch nur ein Schatten auf ihn gefallen wäre! - Er hat in der Tat gekonnt diese enorme Schwachstelle Basmeiers ausgeschlachtet. Robert: Was die Partei ihm hoch anrechnete! Kollmeier: Ja, gewiss! Man darf eben, wenn es um den Wahlsieg geht, nicht zimperlich sein! Der politische Gegner, wenn er seine Schläge unter der Gürtellinie anbringt, zieht sich auch nicht erst die Glacéhandschuhe über.... Robert: ....sondern stülpt sich einen Schlagring mit Ecken und Kanten zwischen die Wurstfinger! Kollmeier: Ja genau, so kann man es sagen! So ist es! Bedauerlicherweise! Aber das politische Geschäft ist nun mal knüppelhart! Robert: Und ein solcher Schlagring, zwischen Harry Kanters Fingern ruhend, hat Basmeier an seiner empfindlichen Stelle getroffen!? Kollmeier: Also, so ins Detail brauchen wir nun wirklich nicht zu gehen! Tatsache ist: Basmeiers politische Karriere war beendet! Robert: Donnerwetter! Sehr vornehm ausgedrückt! Sehr distanziert! - Aber Harry konnte diese Schwäche der CVP nicht in einen Sieg ummünzen, stimmt' s? Es regiert nach wie vor eine Koalition aus CVP und FSD. Kollmeier: So ist es! - Und wie die Umfrageergebnisse signalisieren..... Robert: .... wird es bei dieser Konstellation noch lange bleiben. Kollmeier: Ja, leider ist es so! - Es sei denn.... Robert: Es sei denn? Kollmeier: Kanter wird abgelöst! Ganz kurz und knapp auf diesen Punkt muss man es bringen! Und wir.... wir bekommen ein neues Zugpferd, eine Wahllokomotive! Robert: Aha! - Und dieses Zugpferd, diese Wahllokomotive soll nun ich wieder sein, nicht wahr? Kollmeier: Zu deiner Zeit, Robert, lag die SFVP viel besser im Rennen als in der Ära Kanter! Robert: Aber ihr habt trotzdem damals auf Kanter gesetzt und mich fallen lassen! Kollmeier: Du weißt, warum, Robert! Wir sahen damals diese einmalige Chance, endlich - nach langer Zeit - wieder an die Macht zu kommen; aber du wolltest die Chance ja nicht nutzen! - Du hast die Partei schwer enttäuscht! Robert: Ja, ich weiß! - Die Enttäuschung muss entsetzlich gewesen sein, sonst hättet ihr mich ja nicht so gewaltig tief fallen lassen. Kollmeier: Robert, versteh' doch...! Robert: Ich verstehe ja! Ich verstehe euch sehr gut! - Nun - gehen wir einmal davon aus, ich wäre nicht abgeneigt - da ist aber noch Harry Kanter! So leicht wird er das Feld nicht räumen, bei seinem ausgeprägten Willen zur Macht! Kollmeier: rasch, als hätte er darauf gewartet. Er muss! - Wenn wir ihm dieses Material hier präsentieren! Er wird dann sicher von selbst die Konsequenzen ziehen. Kollmeier zieht Papiere aus seiner Aktentasche. Robert: Was, schon wieder ein Material! Kollmeier: Ja - wir verwenden es aber nur, wenn du bereit bist, zu kandidieren - das heißt, wenn du den Vorsitz der Partei wieder übernimmst. Wenn nicht - bleibt es bei Harry! Eine andere Alternative ist weit und breit nicht zu sehen - es sei denn..... Robert: Es sei denn was? Kollmeier: Dem politischen Gegner wird dieses brisante Material zugespielt; dann allerdings kann die Partei für weitere fünf bis zehn Jahre Dauerabonnements auf den Oppositionsbänken an-mieten. Auch unter diesen Umständen, Robert, solltest du dir genau überlegen, ob es nicht gewissermaßen deine Pflicht ist, der Partei zur Verfügung zu stehen! Robert: Hm, das scheint ja ein höchst gefährliches Material zu sein! Kollmeier: Wir haben hier... er deutet auf die Papiere.... die Aussagen eines Strichjungen..... Robert: pfeift durch die Zähne..... eines Strichjungen? - Getürkt oder echt? Kollmeier: Mit großer Wahrscheinlichkeit echt – jedenfalls auf eine bestimmte Zeit bezogen! Mag sein, Harry steht heute nicht mehr "am anderen Ufer" - in der Gesellschaft der schönen Boys - zumal bei seiner ach so schönen Gattin Marie-Helène, nicht wahr? Robert: Weiter! Kollmeier: ..... die doch auch mal mit dir liiert war, Robert - wenn ich mich nicht täusche! Robert: Nicht so laut! - Meine Frau....! Kollmeier: der ans Fenster getreten ist. Deine Frau ist weit hinten im Garten; sie kann uns nicht hören! Robert: Mit wem ich liiert war oder bin, gehört nun wirklich nicht hierher! Kollmeier: Vielleicht doch, Robert!? - Ich meine, die Art und Weise, wie er dir Marie-Helène damals weggeschnappte - wie der Hecht seine Beute, wie.... der brunftige Hirsch seine dralle Hirschkuh - ich muss schon sagen, das war mehr als..... Robert: scharf Ich darf doch bitten, Kollmeier! Kollmeier: Also gut, lassen wir das! - Also: der Strichjunge - übrigens, er heißt.... Augenblick mal.... Er schaut in die Papiere. Kollmeier: .... Rosblum, Holger Rosblum! - Seine Stammkneipe .....er liest aus einem der Papier vor..... ist dieser... dieser Schwulentreff am Bahnhof...diese Fimmel-Fummel-Bar... Also, dieser Rosblum sagt aus, er sei der regelmäßige Intimpartner von Harry Kanter gewesen. Robert pfeift wieder durch die Zähne; kleine Pause. Robert: Und wie will er das glaubhaft machen? Kollmeier: Ganz einfach: durch seine farbigen Erzählungen - äußerst farbigen übrigens! Die er durch einschlägige Bilder untermauert, erstklassige Fotos, aus Harry Kanters stürmischer Zeit mit dem schönen Jungen. Rosblum hat sie uns für eine stattliche Summe verkauft. Für seine Erzählungen wird er noch einiges mehr verlangen. Robert: Also, das wirft mich um! Harry, dieser eisenharte Supermann - ein Umgedrehter! - War das lange vor Marie-Helène? Kollmeier: Ja! - Wahrscheinlich nach dem Tod seiner ersten Frau - so genau weiß ich das auch nicht. Jedenfalls, der Strichjunge schwört Stein und Bein, Harry habe mit ihm geschlafen. Robert: Merkwürdig! Sehr merkwürdig! Kollmeier: Wieso merkwürdig? Robert: Weil...., wie kann er dann Marie-Helène glücklich gemacht haben? Kollmeier: Das musst du mal Marie-Helène fragen. Wahrscheinlich ist er bisexuell. - Das an sich würde ihm ja noch nicht das Genick brechen. Auch die Homosexualität nicht, die ja heute beinah schon salonfähig ist. Aber dass Harry bei Strichjungen sein..... Glück, seine .... äh.... Befriedigung suchte, das jedenfalls wird seine Parteikarriere ruinieren! - Und ich kann dir sagen; wenn der schöne Rosblum seine Plaudereien über die herrliche Zeit mit Harry in aller Öffentlichkeit vorträgt, beginnt es im Blätterwald zu knistern und zu rauschen. Harry bleibt dann nur noch der Rückzug ins Private übrig! - Er wird aber - da bin ich mir ganz sicher - schon vorher den Bettel hinschmeißen. Robert: Wird er nicht klagen? Kollmeier: Gegen den Strichjungen? Ha, ha, ha, ha! - Na, da kann er sein blaues Wunder erleben! Der schöne Holger verfügt über astreines Material; außerdem lässt er notfalls ein ganzes Bataillon von beautiful Boys vor Gericht aufmarschieren, und die werden jede Menge Eide schwören, dass Harrys Prachtjunge richtig ausgesagt hat. So weit wird er es aber ganz gewiss nicht kommen lassen. Robert: Harry Kanter wäre also erledigt, so oder so! Kollmeier: Vollkommen! Robert: Was würde er tun? - Ich meine, nach seinem..... Rückzug? Kollmeier: Weiß ich doch nicht! So eine dicke Pension wie du hat er jedenfalls nicht! Robert: Er müsste kleine Brötchen backen! Kollmeier: Ziemlich kleine! Robert: Und die schöne Marie-Helène? Kollmeier: Wird den Friseur und den teuren Schneider wechseln müssen! Robert: Zynisch gesprochen! Kollmeier: Zynisch? - Aha, da haben wir's! Wie ich vermutete! Robert Nitsch-Weicherts Gewissen fängt wieder an zu rumoren. - Mein lieber Robert': Politik - das ist nichts für.... Romantiker oder weltschmerzbeseelte Lyriker! Nur die unempfindlichen Burschen mit dem Gemüt eines Stierkämpfers und einem Herzen aus Eisen können hier Furore machen. Allerdings haben sie dann die Chance, ganz nach oben zu kommen! Bedenke, Robert: die Luft da oben ist dünn; aber die Aussicht: grandios! Und erst die Bewunderung, der Respekt von denen da unten! Ein unheimliches Gefühl der Größe muss einen da überkommen! - Noch einmal gibt dir die Partei diese Chance nicht, Robert! Die Sache mit Basmeier - vor fünf Jahren - war eine harte Lehre für dich. Ziehe deine Folgerungen daraus! Robert: Nach einer kurzen Pause Was machen wir, wenn Harry sich unbeeindruckt zeigt; wenn er.... unter allen Umständen an seinem Posten klebt? Kollmeier: Nun..., dann...., also, einer von uns muss mit ihm reden. Wir schildern ihm die verheerenden Folgen, vor allem für ihn persönlich. Hat er kein Einsehen ....., tja, dann müssen wir das Material halt unter die Leute bringen, was wir ja unbedingt vermeiden wollen. - Ich glaube aber, Robert, du wirst die Partei schon retten, ....wenn du erst wieder Parteivorsitzender bist..... Die SFVP kommt dann auf jeden Fall wieder aus dem Stimmungstief heraus, davon bin ich überzeugt! - Du wirst also mitmachen? Robert: Ich muss mich sofort entscheiden? Kollmeier: Möglichst rasch! Aber es muss nicht jetzt, auf die Sekunde, sein. Ich geb' dir eine Woche Zeit! Teile mir dann deine Entscheidung mit! Robert: überlegt, denkt nach. Gut! Du wirst von mir hören, Gisbert. Heute in einer Woche! Kollmeier: Schön! Aber keinen Tag länger! - So, dann will ich mal wieder...... Er packt seine Papiere zusammen, dann tritt er ans Fenster. Kollmeier: Sehr reizvoll, die Aussicht von hier! - Wirklich, äußerst reizvoll! Und einen herrlichen Garten hast du! - Aber für einen Nitsch-Weichert ein bisschen wenig, ein bisschen einförmig, was? den schönen Blick genießen, Rosen züchten, zwischen den Büschen und Bäumen einhergehen - und sonst gar nichts! Allenfalls mal ein Buch lesen! - Ist was für Ästheten und Humanitätsdussler..., für schluchzende Gedichtemacher! - Tja, dann darf ich mich also verabschieden, Robert. Bis bald, wir hören von dir! - Tschüß! Robert: Tschüß Gisbert! Er begleitet ihn nach draußen; kommt dann wieder ins Zimmer zurück, nachdenklich, ans Fenster tretend und hinausschauend; kleine Pause. 4. Szene: Reinhold Schoppe kommt über die Terrasse wieder ins Wohnzimmer. Schoppe: Na, hat er dich eingewickelt? Robert: Was heißt ’eingewickelt’? Er hat mir ein..... Angebot gemacht. Schoppe: ..... das du natürlich annehmen wirst! Robert: Ja, natürlich. Und ich habe dir erklärt, warum mir Kollmeiers Angebot so gelegen kommt. Ich bin eben kein Klosterbruder, wie du vorhin meintest... Schoppe: Ich meinte nur, in einem bestimmten Punkt bist du einem Klosterbruder verdammt ähnlich. Robert: Auch nicht in einem bestimmten Punkt, mein lieber Reinhold. Und rächen will ich mich schon gar nicht, wegen...., na du weißt ja!. Schoppe: Na schön, lassen wir das. Vielleicht habe ich mich auch geirrt. Er setzt sich - Jetzt noch etwas anderes, ich muss es mir von der Seele reden, Robert: Was du mir vorhin vorwarfst, bei mir gäbe es nur Stillstand, zielloses Umhertreiben - ich sehe das völlig anders, für mich bedeutet dieses zurückgezogene Leben nicht Leere, sondern Ruhe, innere Einkehr. Robert: So? - Dann frage ich dich, warum schreibst du dann noch Trauerspiele? Warum hast du dich eben noch als Trauerkloß gesehen? Schoppe: Das will ich dir erklären: Ich schreibe nicht über mein jetziges Dasein, dieses Dasein der Stille; nein, über das Leben da draußen schreibe ich - von dem ich mich längst verabschiedet habe, von dem Lärm auf den sturmbewegten Gewässern, weißt du? Dort, auf dem gigantischen Schlachtfeld der entfesselten Lebensgier - ja, du hast recht, da war ich ein Trauerkloß! Aber jetzt - wo ich mich zurückgezogen habe, wo ich in einem anderen Leben weile, im Reich des gedämpften, gedrosselten Willens sozusagen - hier, fern von der Gier nach Glück, nach Größe - hier lebe ich nur noch der Kontemplation - und genieße die Werke der Kunst; schreibe auch selbst Kunstwerke - wie du weißt - das heißt, ich bemühe mich darum; - und indem ich das tue, stehe ich auch im Leben; sozusagen im Abglanz des eigentlichen, rauen Lebens, oder - man könnte auch sagen: des poetisch gefilterten Lebens; aber es ist genauso spannend, genauso dramatisch wie das wirkliche; nur eines schlägt nicht mehr durch, es wird herausgefiltert: die Qual, das Leiden! Robert: So, so! Das ist also deine Lebensphilosophie! Interessant! - Merkwürdig ist nur, dass kaum einer so leben will. Schoppe: Ja, unglücklicherweise! Das heißt, zum Unglück der Menschheit - würde ich sagen. Denn dieses Verweilen jenseits aller Gier nach dem Leben - es allein treibt erst die edleren Antriebe im Menschen hervor: echte Freundschaft, Liebe, Sinn für Menschlichkeit; zu alle dem ist man fähig, wenn man diese Gier, von der ich gesprochen habe, diesen kampfentschlossenen Willen in sich zurückdämmt. Robert: Bist du Buddhist geworden? Schoppe: Vielleicht! Oder...., ja, du hast ganz Recht; ich verehre die buddhistische Religion. Robert: Und in einem solchen heiligen Reich .... wie sagtest du? - des gedrosselten Willens.... sollten die Menschen leben? - Na, die werden sich aber bedanken, die Menschen! Und sie werden dir folgendes sagen: Mein lieber, gütiger, buddhistisch angehauchter Herr Schoppe - werden sie sagen der liebe Gott hat uns diesen Willen doch nicht gegeben, damit wir ihn in uns drosseln oder gar abwürgen; sondern er hat ihn uns gegeben, damit wir uns hier, auf dieser betonharten Welt erfolgreich behaupten - mit Hilfe eben dieses Willens! Das werden dir die Leute sagen! - Und noch etwas wirkt wenig anziehend an deinem geheiligten Bezirk: der Abglanz! In dem man sich angeblich sonnen kann. Aber - ist da der Glanz nicht entschieden vorzuziehen? Der Glanz und die Größe des Lebens? Verschafft es nicht mehr Freude, mehr Genugtuung, sein Leben groß gemacht zu haben, sich im Glanz des allgemeinen Respekts, der Bewunderung, ja der Liebe zu sonnen? - Nicht umsonst ist der natürliche Drang zu den Goldschätzen des Ruhmes in allen Menschen angelegt, nach Ruhm und Ehre drängeln sich alle; und sie drängeln sich nicht nur, sie boxen, schlagen, treten nach allen Seiten, um an die Schätze heranzukommen; sie beißen sich durch einen Dschungel von Widerständen hindurch, nur um die Glück bringenden Goldadern zu finden. Wer sich aus diesem breiten Strom von vornherein ausschließt, der lebt kein natürliches Leben, der ist ein Zu-kurz-gekommener, ein ärmliches, schwachbrüstiges Individuum, über das der Mächtige rücksichtslos hinwegschreitet. Schoppe: Ja, ja, ich kenne diese Thesen. Du hast deinen Nietzsche sorgfältig gelesen, Robert..... Und ich: meinen Schopenhauer! Und Buddha hat so ähnlich wie Schopenhauer gesprochen oder - ... eigentlich umgekehrt: Schopenhauer wie Buddha.....! - Tja, da sieht man wieder mal Er hebt in einer hilflosen Geste die Arme: Die Auffassungen, wie man richtig leben soll, sind eben höchst unterschiedlich.... Übrigens... er blickt ihn aufmerksam an..... was ich dir schon die ganze Zeit sagen wollte: du siehst blass aus, Robert, sehr blass. Hat dich das Gespräch mit Kollmeier so mitgenommen? - Man hat das Gefühl, du bist krank. Robert: Ich fühle mich auch krank und bin es möglicherweise auch. - Morgen gehe ich zum Arzt..... Schoppe: Ja, lass dich mal gründlich untersuchen. - Ich kenne einen sehr Internisten.....; ich könnte dir seine Adresse geben..... tüchtigen Robert: Nein, nein, ich gehe gleich in die Klinik, die haben da einen hervorragenden Internisten, ein Professor ... Dingsda...., wie heißt er doch gleich wieder? Mahler......äh..... Mahlmann, ja Mahlmann; Professor Dr. Mahlmann....... Man hört draußen in der Diele jubelnde Stimmen. Gertrud: von draußen Helmut! Helmut: ebenfalls von draußen Guten Tag, Mutter! Gertrud: Wie geht's, mein Junge? Dass du uns endlich wieder mal besuchst! Robert: zeigt alle Anzeichen von Freude. Du, das ist Helmut! Helmut ist gekommen! - Ich habe ihn ja so lange nicht gesehen! - Weißt du, Reinhold, wir sind ja so froh, dass Helmut jetzt doch noch seinen Weg gefunden hat...... 5. Szene Die Tür wird geöffnet, Helmut tritt ein, ein junger Mann von etwa 24 Jahren, im Künstlerlook, mit Bart und langen Haaren; Gertrud folgt Helmut auf dem Fuße. Helmut: Guten Tag, Vater! Robert: Helmut! Dass du endlich wieder mal zu Besuch kommst! Sie um armen sich. Wie geht's, mein Junge? Helmut: Danke, Vater! zu Schoppe Guten Tag, Herr Schoppe! Schoppe: Guten Tag, Helmut! Du bist ja nicht wiederzuerkennen. So mit Bart und .... langem Haar! Helmut: Na ja etwas verlegen.... ich hebe mich halt gerne ab, von den ..... Bourgeois¬! Schoppe: Recht hast du! Im Grunde sind wir Alten alle Bourgeois; auch wenn wir gerne mit starken Worten das Gegenteil behaupten. Gertrud: Ja, eben zum Beispiel: Jedenfalls an starken Worte hat es bei euerem Wortgefecht nicht gefehlt: Es schallte bis nach draußen in den Garten. Helmut: So, Wortgefecht? Worum ging es denn? Robert: Ach, nichts Besonderes: es ging um meine Haltung zur Partei..... Schoppe: Genauer: um seine richtige Haltung .... nicht nur zur Partei, auch zu den Dingen allgemein, zur Welt.... Helmut: Aha! Na, darüber kann man lange reden - oder auch, man redet am besten überhaupt nicht über so etwas! Robert: erstaunt Und warum nicht? Helmut: Weil.. weil es sowieso gleich ist, ob man eine richtige oder falsche Einstellung zu den Dingen hat....; das Leben ....hat ja doch keinen Sinn! Robert: Oho! Dein jugendlicher Idealismus scheint dir ja recht früh abhanden gekommen zu sein. Helmut: So, findest du? Na ja, wenn er dir auch so früh abhanden gekommen wäre, Vater, hättest du mich vielleicht gar nicht in die Welt gesetzt! - Was auch nicht schlecht gewesen wäre! Gertrud: Helmut! Was soll das Gerede? Schoppe: Ich glaube, des Wortgefechtes zweiter Teil hat seinen Anfang genommen. Ich mach' mich da am besten aus dem Staub; mir dröhnt der erste Teil noch mächtig im Ohr. Tschüß, Ro-bert! Tschüß, Helmut! Auf Wiedersehen, Gertrud! Und genießt das Wochenende hier draußen! Er gibt jedem die Hand; alle sagen auch: Tschüß bzw. Auf Wiedersehen. Robert: Und morgen wieder zur gewohnten Zeit, Reinhold! Schoppe: Ja, aber bitte ohne Wortgefecht! Sie lachen. Robert: Ich verspreche es! Wir spielen nur Schach - und sonst gar nichts! Schoppe: Woll'n wir's hoffen! Er lacht, geht ab, Gertrud begleitet ihn. Gertrud: Warte, ich bring' dich nach draußen, Reinhold..... 6. Szene: Robert: zu Helmut Du bleibst doch länger!? Helmut: Nein, nur ein paar Stunden, Vater. Mit dem Zug um neun muss ich wieder zurück. Robert: Warum das? Kannst du nicht wenigstens bis morgen bleiben? Wir freuen uns so, dass du da bist...! Helmut: Aber ich muss unbedingt....., na also gut, bis morgen! Aber schon morgen früh spätestens muss ich wieder abfahren! Robert: Au fein! Dann haben wir dich wenigstens heute Abend! Mutter wird sich freuen! - Was macht die Examensvorbereitung? Helmut: Bitte? - Ach so, ja, das Examen... , ja, deshalb bin ich so in Eile. Morgen früh muss ich wieder im .... juristischen Seminar sein. Robert: Aber Zeit zum Malen findest du immer noch! Helmut: Zum Malen? Robert: Deine Mutter sagte so etwas, du wolltest...... Helmut: Ach so, ja...., die alten Bilder...., ich will sie jemandem zeigen...., der davon etwas versteht. Robert: Willst du sie ihm verkaufen? Helmut: Verkaufen? - Nein, natürlich nicht! Meine Bilder sind .....unverkäuflich! Robert: Außerdem bist du ja Student der Rechte...., cand. jur., nicht wahr? Und nicht Bilderverkäufer! Helmut: Äh... ja, natürlich! Gertrud erscheint wieder. Gertrud: Helmut, ich glaube, du hast Hunger. Ich mach' dir erst mal was zu essen. Helmut: Das wäre keine schlechte Idee, Mutter! Gertrud: Ich habe schon einiges vorbereitet; es dauert nur zwanzig Minuten. Helmut: scherzend Na, so lange kann ich's gerade noch aushalten! Robert: Helmut bleibt jetzt doch bis morgen früh, Gertrud! Gertrud: Helmut am Kopf fassend, ihn zärtlich küssend. Ah! Das ist toll, Helmut! Dann können wir uns ja noch viel erzählen, nachher. Nur ein paar Stunden hier im Elternhaus - nach so langer Zeit wäre ja nun wirklich zu wenig! - So, ich mach' jetzt das Essen fertig! Sie geht ab. Robert: Wie geht es Nicole? Helmut: Danke...., gut! Robert: Und Harald? Helmut: Harald Kanter? Robert: Klar, wer sonst? Helmut: Danke, dem geht es.... auch gut! Robert: Ich habe gehört, er hat die Referendarausbildung schon abgeschlossen. Helmut: So...., ja, er ist da.... tatsächlich schon sehr weit gekommen.... Robert: .... während du dich immer noch nicht so richtig ins erste Examen traust. - Sag' mal, Nicole lenkt dich doch nicht ab? Helmut Bitte? - Nein, überhaupt nicht! Wie kommst du darauf? Robert: Nicole ist attraktiv...., verführerisch! Helmut: Na und? Robert: Schönheit bedeutet .... Macht! Helmut: So, so: Macht! Also, zum Philosophieren bin ich heute nicht aufgelegt! Robert: Schon mancher ist von dieser Macht niedergestreckt worden - mancher Schwächling! Helmut: So, so! - Bin ich ein Schwächling? Robert: Nein, so war das nicht gemeint; nicht auf dich bezogen! Helmut: Du vergisst etwas Wichtiges, Vater: die.... Liebe! Robert: Ach, Liebe.....! Er macht eine wegwerfende Handbewegung.... Was ich damit sagen will, Helmut: weißt du, es hatte mich so ungemein gefreut, dass du mehr aus deinem Leben machen willst, mehr erreichen willst als nur das grüne Weideglück der Durchschnitts-Hammelherde. Du wagtest den Aufstieg ins Gebirge, nahmst dir schwierige Bergtouren vor. - Du musst wissen: Ich spreche aus Erfahrung! Das Jurastudium ist nicht leicht! Man muss sich stark konzentrieren und hart arbeiten - verstehst du? Zuviel Ablenkung, zu viel Unaufmerksamkeit - und schon kann man abstürzen! Helmut: Ach Vater, mach' dir keine Sorgen.....! Ich.... schaff’ es schon! Robert: Ich meine, so eine schöne Nicole kann einen leicht aus der Fasson bringen. In dieser schwierigen Zeit des Aufstiegs ist so eine Schöne nicht unbedingt..... eine verlässliche Kameradin...... Helmut ist ans Fenster getreten, schaut hinaus, schweigt. - Pause Helmut: Es wird schon schief gehen, Vater! Mach' dir keine Sorgen! Robert: Und deine Freundschaft mit Harald Kanter? Helmut: unwillig Aha - schon wieder die alte Leier....! Helmut wendet sich vom Fenster ab. Robert: Ja, ja! Meine Warnungen solltest du nicht immer in den Wind schlagen! Schau, Helmut, einen Freund zu haben - sicher, es ist etwas Gutes; aber in dem Freund wächst allmählich auch der Egoismus, wie bei jedem; bei manchem wie eine giftige Pflanze - und leicht kann der Freund zum Konkurrenten werden, zumal bei dem Sohn meines Intimfeindes! Helmut: sehr unwillig Ich glaube, wir wechseln jetzt besser das Thema! Und - bitte, heute Abend möchte ich mich entspannen - und nicht noch einmal über unerfreuliche Themen diskutieren! Andernfalls... reise ich heute noch ab, mit dem Spätzug! Robert: beschwichtigend Ja, ja, versprochen! Wir wollen heute Abend nur sonst nichts! Du kannst dich drauf verlassen! Helmut: So, dann will ich mal eine Kleinigkeit .... in der Küche essen. Habe einen Riesenhunger! Robert: Ja, lass’ es dir schmecken, Helmut! Helmut ab. 7. Szene: fröhlich plaudern und Robert geht zu seinem Schreibtisch, vertieft sich in Akten, die dort liegen. Anschließend greift er zu einer Fliegenklatsche und schlägt nach Fliegen. Dann geht zu zum Fernsehapparat, stellt ihn kurz an, sieht sich eine Weile ein belangloses Programm an; stellt den Fernsehapparat wieder aus, nimmt eine Zeitung und vertieft sich in sie. Es soll damit gezeigt werden, wie unausgefüllt das Leben Roberts in seiner Villa ist. 8. Szene: Gertrud: hereinstürmend Du, Robert, Helmut will jetzt doch heute Abend fahren! Sprich du mal mit ihm! Helmut: eintretend, im Mantel und einige Bilder unter dem Arm. Vater, ich hab's mir überlegt; es geht nicht! Ich muss doch schon heute Abend fahren, jetzt gleich. Der Zug geht in zehn Minuten. Robert: Sehr enttäuscht Warum das, Helmut? - Hast du dich über meine Worte vorhin geärgert? Helmut: Nein, nein, damit hat es überhaupt nichts zu tun. Es ist nur... , es ist.....ich kann nicht anders. Verzeiht bitte, aber ihr wisst ja..., die Prüfungen..... der Stress....! Man hat keine Ruhe! Robert: Na gut! Wenn es nicht anders geht, dann wollen wir dich nicht aufhalten. Das Examen hat natürlich Vorrang. - Also dann, gute Fahrt, mein Junge! Tu' dein Bestes! Und: wie gesagt - volle Konzentration! Er umarmt ihn. Helmut: Ja, eiserne! - Ich ruf’ demnächst wieder an. - Wiedersehen, Vater! Er gibt ihm noch mal die Hand. - Wiedersehen Mutter! Gertrud umarmt ihren Sohn. Gertrud: Auf Wiedersehen, mein Junge! - Wenn ich dich doch ganz, ganz festhalten könnte!! Helmut geht ab, Gertrud hinter ihm her; man hört noch von draußen Rufe des Abschieds; dann klappt eine Tür zu. 9. Szene: Gertrud erscheint wieder. Robert: Merkwürdig, diese Inkonsequenz! Erst will er nicht bleiben, dann doch, dann wieder nicht! Gertrud: Helmut ist nervös. Man merkt es ihm an. Robert: Ja; irgendetwas geht da vor. Ich habe das im Gefühl. Wenn ich nur wüsste, was? Vorhang