(18) Positionen 4: Ferdinand Bruckner beendet seine

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(18) Positionen 4:
Ferdinand Bruckner beendet seine Zusammenarbeit mit dem S. Fischer Verlag
Am 12. Januar 1934 teilt der Dramatiker Ferdinand Bruckner den S. Fischer Verlag mit, dass
er mit sofortiger Wirkung die bestehenden Verträge kündige. Er beendet damit eine seit 1928
bestehende, bislang erfolgreiche Verlagsbeziehung. Dreimal habe er versucht, die Verlagsbeziehung auf freundschaftlicher Basis zu lösen; eine Antwort habe er nicht erhalten. Bruckner,
der zu den frühesten Emigranten gehört, erachtet es für aussichtslos – und im übrigen nicht
für wünschenswert –, dass seine Dramen im Dritten Reich zur Aufführungen kommen. Der
Verlag negiere die Interessen eines Autors, der Jude und Emigrant ist. 1 Er wirft dem Verlag
nichts weniger als Doppelspiel und Anbiederung an das NS-Regime vor.
Ferdinand Bruckner, mit bürgerlichem Namen Theodor Tagger, ist einer der erfolgreichsten Dramatiker der Weimarer Republik. Sein Renommee beruhte vor allem auf seinen
Zeitstücken Krankheit der Jugend und Die Verbrecher, der Bühnenerfolg jedoch auch auf
historischen Dramen und Konversationsstücken. Sein Drama Elisabeth von England (1930)
wurde in 17 Sprachen übersetzt. Bruckners letztes in Deutschland publiziertes Drama war
eine Bearbeitung von Kleist Die Marquise von O. Das Schauspiel erschien noch 1933 im S.
Fischer Verlag. Bruckners Dramen sind psychologisch-soziologische Zeitdiagnosen. Im Mittelpunkt stehen dabei das Individuum und seine Psyche. Dramaturgisch greift Bruckner die
von Piscator und Brecht ausgehenden Anregungen auf: die Simultanbühne sowie die Auflösung der „aristotelischen“ finalen Handlungsstruktur zugunsten der Szenenreihung und Szenenmontage.
Am 27. Februar 1933, dem Tag des Reichstagsbrandes, befindet sich Bruckner auf einer Reise nach Wien. Alarmiert durch die Nachricht über die einsetzende Verhaftungswelle
fasst er spontan den Entschluss im Ausland zu bleiben; er lässt seine Familie ins Exil nachkommen. Er nimmt vorläufigen Aufenthalt in Wien, hält sich ab Mai 1933 dann in Paris auf,
später, aufgrund der niedrigeren Lebenshaltungskosten, in Nizza und zeitweilig erneut in Paris. Er befindet sich in großen finanziellen Schwierigkeiten, da seine Erfolgsstücke nicht
nachgespielt werden und das neueste Stück Die Rassen in Österreich aus politischen Gründen
auf Widerstand stößt. Die Rassen ist eines der wichtigsten Dramen der frühen Exilphase. Die
Uraufführung des Stücks findet im November 1933 unter der Regie von Gustav Hartung unter
Mitwirkung prominenter Schauspielerinnen und Schauspieler am Zürcher Schauspielhaus
statt;2 die Buchausgabe erscheint 1934 im Zürcher Verlag Oprecht & Helbling. Am 8. März
1934 wird das Stück in französischer Übersetzung im Théâtre de l‘ Œuvre in Paris unter der
Regie von Raymond Rouleau mit großem Erfolg nachgespielt.
Bruckners Vertragskündigung war ein Brief von Gottfried Bermann Fischer vom 31.
Dezember 1933 aus St. Moritz vorangegangen, in dem Bermann Fischer Bruckner versicherte, dass er von Die Rassen außerordentlich beeindruckt sei. 3 – Noch wichtiger als das Lob ist
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Der Brief ist abgedruckt in: alternative 52.Zeitschrift für Literatur und Diskussion. Februar 1967, S. 11-14.
Der Erfolg der Uraufführung von Die Rassen ist für Bruckner vermutlich ein entscheidender Grund, die Trennung vom S. Fischer Verlag zu forcieren. Mangels anderer Einkünfte ist Bruckner von den Tantiemen, die er für
Die Rassen erhält, abhängig.
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Ebd., S. 7 f.
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Berman Fischer jedoch der Vergleich von Bruckners Stück mit den Texten anderer Emigranten:
„Soeben las ich Ihr Stück, mit Bewunderung für Ihre großartige Objektivität. Sie
haben das einzige und erste Werk geschaffen, das weit über der bisher üblichen
oberflächlichen Kläfferei steht, die sich garnicht von den Methoden unserer verhaßten Gegner unterscheidet. Dieser Hieb sitzt. Davon abgesehen ist das Ihr bestes Stück, das die deutsche und die jüdische Tragödie gültig gestaltet. Ich wünsche, daß auch andere, heute in der Emigration lebende Männer, die wir verehrten,
durch solche unangreifbare Leistung der Welt bewiesen hätten, was an Ihnen für
Deutschland verloren ging, anstatt sich selbst und Ihren Wert in nutzlosen und niveaulosen Pamphleten zu entwürdigen.“
Bermann Fischer betont außerdem, dass der Verlag weder gleichgeschaltet noch in seiner Unabhängigkeit bedroht sei:
„Wir sind heute genau so wenig wie vor Monaten, als wir uns in Paris sahen,
gleichgeschaltet und haben nach wie vor unsere Unabhängigkeit. Es braucht nicht
betont zu werden, daß wir, insbesondere in der N[euen] R[undschau], jegliche politische Aggressivität und Kritik vermeiden müssen. Wir haben aber eine Aufgabe, die groß genug ist, um diesen Verzicht zu rechtfertigen. Wir haben den Bestand an deutschem Geist zu erhalten, für andere Zeiten und dieses Verlagsinstrument, das einmal gestört, nicht mehr aufgebaut werden kann, so lange es
geht zu verteidigen. Wie wir es machen und daß wir es ohne Kompromisse tun,
ersehen Sie aus unserem vergangenen Herbstprogramm und aus dem Almanach.“
Auf dieses Selbstlob folgt Pathos: „Wir kämpfen drinnen, Sie draußen, jeder nach seinen
Möglichkeiten.“
Obwohl das Schreiben grundsätzliches Einvernehmen zwischen ihm und Bruckner
suggeriert, wird aus verschiedenen Anspielungen, so vor allem auf die Rolle der Neuen Rundschau im Dritten Reich, oder durch die Erwähnung des „Reichsverbandes“4 untergründig ein
Dissens erkennbar. Bermann Fischer möchte ihn nicht thematisieren; er bemüht sich offensichtlich, den Dissens durch kräftiges Lob des neuen Stückes sowie durch abschätzige Bemerkungen über die Produktion anderer Emigranten in den Hintergrund zu drängen. Auf
Probleme der verlegerischen Verbindung geht er nicht ein.
Zeitlich parallel, also ebenfalls am 31. Dezember 1933, richtet Bruckner ein Schreiben
an Conrad Maril, den Leiter des Bühnenvertriebs im S. Fischer Verlag. Gegenüber Maril, dem
alten Freund, legt sich Bruckner keine Zurückhaltung auf. Schon der erste Satz macht deutlich, was Bruckner über Bermann Fischer denkt: Er setzt ihn gleich mit dem Geheimrat Marx
in seinem Stück, dem Vater der Protagonistin. Marx, Jude und Fabrikbesitzer, konterkariert in
dem Stück den Boykott, den das Ausland aufgrund der antisemitischen Ausschreitungen androht, indem er behauptet, dass alles sei nichts anderes als „Greuelpropaganda“. So handelt
für Bruckner auch Bermann Fischer:
„Lieber Conny, in meinem neuen Stück zeige ich als die deprimierendste Erscheinung dieser Monate den Juden, der sich in Hymnen ergeht, um seine Fabrik zu
Hier ist offensichtlich der „Reichsverband Deutscher Schriftsteller“ gemeint, der am 9. Juni 1933 gegründet
worden war.
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retten. Eine Seifenfabrik, nicht eine der geistigen Haltung, die von der ‚Freien
Bühne‘ bis zu den drei Tr[otzki-] Bänden einmal wirklich einheitlich war. Mit
diesem Verlag hatte ich abgeschlossen, nicht mit dem, der Hymnen in seiner Zeitschrift [der Neuen Rundschau], der kriegsfrohen Siegheil Fliegerei und der Widmung, die ein Alpdruck bleibt.“5
Der S. Fischer Verlag war früher ein liberaler Verlag. Jetzt bleibe ihm, Bruckner, kaum etwas
anderes übrig als sich öffentlich vom S. Fischer Verlag loszusagen.
Maril unterrichtete Bermann Fischer offensichtlich über diesen Brief und vor allem
den Vergleich mit dem Geheimrat Marx. – Auf den Brief an Maril antwortet Gottfried Bermann Fischer mit einem Schreiben aus der Schweiz vom 4. Januar 1934.6 Der Tenor ist ähnlich wie der des Briefes vom 31. Dezember. Bruckners Wunsch, die Vertragsbeziehungen zu
lösen, findet keine Erwähnung. Die Formulierungen sind betont vage gehalten, sie suggerieren eine gemeinsame „Front“:
„Ihr Weg ist für Sie der Richtige, der von uns gewählte für uns. Beide zusammen
erst ergeben eine wirksame Front.“
Die Bemerkungen, mit denen Bermann Fischer die emigrierten Schriftsteller und die neu entstandene Exilliteratur bedenkt, sind jedoch merklich schärfer als bislang schon. Offensichtlich
ist er der Überzeugung, dass Bruckner unter dem Einfluss von Feuchtwanger, Heinrich Mann
oder Kerr stehe:
„Glauben Sie zum Beispiel, daß die Aufsätze von Heinrich Mann oder Kerr oder
der letzte Roman von Feuchtwanger ‚Die Familie Oppenheim‘ gegen die Barbarei
in Deutschland etwas ausrichten? Dieses Buch von Feuchtwanger, das eine Sorte
von deutschen Juden als Typus hinstellt, der fast noch im Ghetto steckt, ohne allerdings die tiefere religiöse Bildung noch zu besitzen, ist geradezu ein Beweismittel für den deutschen Antisemitismus und es sollte mich nicht wundern, wenn
der Völkische Beobachter Sätze aus diesem Buch in diesem Sinne zitiert. Kerrs
Entgleisungen desavouieren ihn sogar bei seinen Freunden aufs schwerste, und
Heinrich Manns schmähliche und völlig aus der Luft gegriffene Verleumdung
seines Freundes Sinsheimer zerstört das Bild dieses Mannes, an den wir glaubten.
[…] Und das Pariser Tageblatt von Georg Bernhard und wie diese Blätter alle
heißen? Alles das unterscheidet sich im Grunde nicht von der Konjunkturliteratur
und Presse der Nazis und wird genau das gleiche, kurze Leben haben, wie diese.“
Ausführlich geht Bermann Fischer darauf ein, dass er wiederholt Überlegungen angestellt
habe, den S. Fischer Verlag ins Ausland zu verlegen. Sehr deutlich führt er Bruckner vor Augen, dass das auch für Bruckner finanziell von Nachteil wäre:
„Und nun zu diesem Plan, hundert- und tausendmal von uns durchdacht, den Verlag nach dem Ausland zu verlegen. Lieber Herr Tagger [der bürgerliche Name
von Bruckner ist Tagger], haben Sie das wirklich mit allen Konsequenzen durchdacht? […] Besonders, da ich aus den Erfahrungen der letzten Monate weiß, daß
der Absatz im deutschsprachigen Ausland im Höchstfall 35 % des Gesamtabsatzes, im Durchschnitt aber nur 10 % beträgt.“
Ebd., S. 8. – Die Anspielung auf die „Siegheil Fliegerei“ bezieht sich auf Heinrich Hausers im S. Fischer Verlag erschienenes Buch Ein Mann lernt fliegen, das zudem mit einer Widmung an Hermann Göring eingeleitet
wurde.
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Ebd., S. 9.
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Der Vorwurf, er führe den S. Fischer Verlag wie eine Seifenfabrik, hat Bermann Fischer jedoch getroffen. Er antwortet mit einer Kritik an Bruckners Figur des Geheimrat Marx:
„Aber es ist ein Kampf, diesen Verlag zu erhalten, so lange es geht. Er ist eben
keine Seifenfabrik, um die hätte es sich nicht gelohnt. Nein – und Ihr Marx [der
Geheimrat Marx in Die Rassen], lieber Herr Tagger, sind Sie mir nicht böse darum, ist die einzige Figur in dem von mir geliebten und bewunderten Stück, die
Sie nicht mit gleicher dichterischer Objektivität und Gerechtigkeit gestaltet haben,
wie alle anderen.“7
Bermann Fischer schließt mit den Worten: „Trennen Sie also nicht unsere Verbindung. Es ist
geradezu ein Vergehen gegen die Millionen Deutschen, wenn Sie sich vom innerdeutschen
Literaturkomplex lösen […].“‘Auf die Tatsache, dass das so hoch gelobte Stück Die Rassen in
Deutschland auf keinen Fall aufgeführt werden kann, geht Bermann Fischer nicht ein, ebenso
nicht auf den Vorschlag Bruckners, den Verlagsvertrag einvernehmlich zu lösen.
Bruckner antwortet mit einem Schreiben vom 12. Januar 1934. Es ist nicht an Bermann Fischer adressiert, sondern unpersönlich „An den S. Fischer Verlag, Berlin“:
Sehr geehrte Herren,
ich bedauere, daß meine fortgesetzten Versuche, mit Rücksicht auf unsre früheren
Privatbeziehungen eine Lösung unsrer Verträge auf gütlichem Wege herbeizuführen, gescheitert sind. Die beispiellosen Geistes- und Gesinnungswindungen, die
Sie mir in Ihren Briefen vorführen, um mir zu beweisen, daß ich Sie nicht verlassen dürfe, zwingen mich im Gegenteil, es jetzt umso rascher zu tun und ich sehe
mich genötigt, Ihnen Folgendes zu eröffnen:
1. Hiermit erkläre ich alle seinerzeit mit Ihrem Bühnenvertrieb abgeschlossenen
Verträge […] für aufgehoben. Ich entziehe Ihnen das Recht, weitere Aufführungsoder sonstige Verträge abzuschließen. […]
2. Hiermit erkläre ich alle seinerzeit mit Ihrem Buchverlag abgeschlossenen Verträge […] für aufgehoben. Alle Rechte auf diese Werke fallen mit dem heutigen
Tage an mich zurück, neue Auflagen dürfen durch Sie nicht mehr hergestellt werden. […]
Beide Kündigungen erfolgen mit sofortiger Wirkung aus wichtigem Grund.
Da für mich nur Aufführungen im Ausland in Frage kommen, sind Sie außerstand, den Bühnenvertrieb so durchzuführen, wie ich es beanspruchen darf. Daß
Ihre Auslandskontrolle schon früher völlig unzulänglich war, habe ich oben festgestellt. Es ist ohne weiteres anzunehmen, daß Sie den ausländischen Apparat bei
Ihrem jetzigen Repertoire naturgemäß noch mehr verkleinern müssen. Tatsächlich
haben Sie seit dem 5. März so gut wie gar keinen Abschluß für mich zustand ge7
In Bruckners Drama Die Rassen protestiert Helenes Vater, der Geheimrat Marx, mit Briefen an seine ausländischen Geschäftspartner gegen die „Greuelpropaganda“ des Auslands gegen die antisemitischen Maßnahmen des
NS-Regimes. – Zu den entsprechenden Erklärungen jüdischer Organisationen vgl. Avraham Barkai: „Wehr
dich!“ Der Centralverein deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens (C.V.) 1893-1938. München 2002, S. 280 f.
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bracht […]. Ist aber schon Ihre Fähigkeit der Kontrolle gering, so ist heute die einer Initiative gleich null. Die selbstverständlichste Forderung eines Autors: daß
sich der Bühnenvertrieb mit stärkster Initiative für seine Stücke einsetzt, können
Sie nicht erfüllen, denn Sie müßten bei mir rühmend hervorheben, daß es sich um
einen Autor handelt, der dem nationalsozialistischen Deutschland absolut als
Gegner gegenübersteht und das nicht verschweigt, um sich den deutschen Markt
zu retten. Selbst wenn Sie diese heute mit wichtigste Propaganda, um des guten
Geschäftes willen, von Berlin aus versuchen wollten, trotzdem Sie selbst den neuen Staat in Ihren Publikationen deutlich bejaht haben und trotz der Briefzensur: es
würde bei der geringen Glaubwürdigkeit, die das Ausland Ihren plötzlich wieder
demokratischen Kundgebungen entgegenbrächte, völlig erfolglos sein, ja, sogar
auch noch mich in einem fragwürden Licht erscheinen lassen […]. Schließlich
habe ich den selbstverständlichen, von Ihnen gleichfalls nicht erfüllbaren Anspruch, daß die Beachtung, die mein neues Stück „Die Rassen“ in der ganzen
Welt gefunden hat (von der Sie sich schon wegen der Zeitungsverbote kein Bild
machen können) auch meinen früheren Stücken zugute kommt und ich würde einen großen Schaden erleiden, wenn ich sie länger bei Ihnen ließe.
Aus den gleichen Gründen ist Ihr Buchverlag außerstand, seine verlegerischen
Pflichten zu erfüllen. Tatsächlich hüten Sie sich nicht nur davor, sich für meine
Bücher einzusetzen: Sie unterdrücken sie sogar, Ihr Katalog bringt nicht einmal
mehr die Titel. Wenn Sie das als eine Angelegenheit des „Taktes“ bezeichnen
(Brief vom 15. Dez.), so sind Sie einerseits zu bescheiden, denn dem Nationalsozialismus gegenüber entfalten Sie weit mehr als Takt; andererseits aber kann ich
nicht verpflichtet werden, einem Verlag anzugehören, der es als taktlos ablehnt,
meine Bücher zu nennen.
[…] Als ich die Verträge mit Ihnen schloß, hatte Ihr Verlag eine einheitliche
Richtung, von der Freien Bühne bis zu den noch vor kurzem herausgegebenen
drei Revolutionsbänden von Trotzki. Sie waren durchaus liberal, demokratisch
und freiheitlich gesinnt, kein deutscher Verlag hat so ausgesprochen jene Geistesrichtung vertreten, die von den Nationalsozialisten „Kulturbolschewismus“ genannt wurde und deswegen fühlte ich mich auch bei Ihnen auf dem richtigen
Platz. Als aber die Regierungsgewalt von den Nationalsozialisten übernommen
wurde, haben Sie wahrhaft schlagartig Ihre Haltung geändert. In unzähligen Aufsätzen Ihrer Zeitschrift, der „Neuen Rundschau“, feiern Sie den völligen Zusammenbruch der oben geschilderten, Ihrer eigenen Haltung, als „Erneuerung
Deutschlands“, der Herausgeber Suhrkamp besingt in drei großen Aufsätzen den
„März 33“, „Es werde Deutschland“ und weist den Rassenzuchtbegriff des Pferdes am Menschen nach, Herr Samuel Sänger strahlt im Untergang des Parlamentarismus. Kein Heft, das nicht zu den Vorgängen in positivster Weise Stelllung
nimmt, und wenn einmal ein „sehnsüchtiger“ Blick auf die „früheren Zeiten“ fällt,
was dem Suhrkamp gerade noch bei Reinhardt gelingt, wirkt dieses Theater der
„Treue“ nur noch widerwärtiger. In neuen Büchern jubeln Sie, bisher Pazifist,
„Sieg-Heil!“, als Jude bewidmen Sie Herrn Minister Göring, diesen gewiß stürmischsten aller Antisemiten, und mit unbedingt staunenswerter Verleugnung Ihrer
früheren Ansprüche reißen Sie eine Unzahl von nazifreundlichen Mittelmäßigkei-
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ten an sich, um die Sie sich früher nie gekümmert haben. Der begabteste unter
ihnen, Billinger, seit zehn Jahren allgemein bekannt, wird von Ihnen erst geholt,
nachdem er bereits der Liebling des „Völkischen Beobachters“ geworden war.
[…] Es blieb nicht bei Billinger: Binding, Rehberg, Penzoldt, eine ganze Sturmabteilung des Pg-Albert-Langenverlags wurde von Ihnen aufgekauft. Aber es blieb
auch nicht bei den neuen Autoren, viele Ihrer eigenen haben stramm Kehrt gemacht, so der Flake, bisher „Europäer“, schwört stürmisch einen Hitlereid, dito
der „weltfremde“ Loerke, der Hauser, dessen „Der Mensch lernt fliegen“ von ihm
und in Ihrem Hause vorgeführt nur ein „Der Mensch lernt kriechen“ bedeutet und,
allen voran Herr Dr. Gerhart Hauptmann, der vor allen jeweils regierenden Ministern den Becher hebt: „Ich sage ja!“, diese wohl vernichtendste Enthüllung des
schöpferischen Menschen. Hier zumindest hätten Sie, ohne die geringste Gefahr
für Sie, einen Schimmer von Haltung zeigen können. Als er seinen Juden, die er
ein ganzes Leben lang für sich kämpfen ließ, Ihnen, Kerr, Reinhardt (dem toten
Brahm blieb es erspart) jetzt, gleichfalls schlagartig den Rücken zeigte, hätten Sie,
statt immer weiter hinter diesem herzulaufen, endlich erbrechen müssen. Das,
Herr Fischer, wäre endlich eine von den menschlichen Reaktionen gewesen, auf
die die ganze Welt vergeblich aus Deutschland gewartet hat.
Ich lehne es ab, mit diesen Autoren weiter an einem Tisch zu sitzen […]. Daß Sie
trotzdem versuchen, mir die Lösung unmöglich zu machen, statt sie, was eigentlich nach diesem Bekenntnis [zu den Idealen der Freiheit und der Menschenrechte] Ihre Pflicht wäre, geradezu zu begrüßen, ist so verdächtig, daß nach den Motiven gesucht werden muß. Ich finde sie nunmehr in Ihren Briefen, die ein beschämendes Doppelspiel enthüllen. Hier allerdings nennen Sie Herrn Heinrich Hauser
„ein Schwein“ (Brief vom 4. Jan.), um ihm gleichzeitig in Ihrem Katalog eine
halbe Seite für sein kriegsfrohes Fliegerbuch zu widmen. Hier sprechen Sie mich
als Bundesgenossen an, dessen Büchertitel sie gleichzeitig im Katalog unterschlagen. Und stolz glauben Sie ausrufen zu dürfen, daß die Haltung des Verlages
„nach wie vor klar und eindeutig“ ist. (Brief vom 15. Dez.) Welche von den beiden Haltungen meinen Sie, die vor oder die seit Hitler? […] Da Ihnen meine Arbeiten zur Zeit nichts einbringen und Sie auf das Prestige, ihr Verleger zu sein,
nicht den geringsten Wert legen, ja, ein solches Prestige sogar als taktlos empfänden, entspringt Ihr hartnäckiger Versuch, mich trotzdem in Ihrem Verlag zu behalten, lediglich der Spekulation auf eine Konjunktur, die sich bei einem etwaigen
Sturz der Nationalsozialistischen Regierung allerdings für meine Werke ergeben
könnte. Sie glauben, ich werde mich in dem Gesinnungssumpf, zu dem Sie den S.
Fischer Verlag in wenig Monaten gemacht haben, still hinterm Strauch versteckt
halten lassen, damit Sie mich jederzeit bei der Hand haben. Es bleibt mir nur noch
übrig, Ihnen meine feste Überzeugung auszudrücken, daß keine deutsche Behörde, so wenig Sympathie sie mir sonst entgegenbringen mag, Ihnen Handlangerdienste zu einem solchen Mißbrauch der Verträge leisten wird, die unter ganz andern Voraussetzungen abgeschlossen wurden und die ich ab heute nicht mehr anerkenne.
Hochachtungsvoll
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F. Bruckner
Der Brief bedarf keiner Kommentierung.
Gottfried Bermann Fischer geht in seinen Erinnerungen8 auf die Trennung Bruckners
vom S. Fischer Verlag nicht ein. Er erwähnt allerdings ausführlich, wie er 1928 Tagger/Bruckner kennen lernte. Er erspart sich dabei allerdings nicht die abschließende Bemerkung, dass Bruckner das Vermögen, das er durch seine Stücke gewonnen habe, später „durch
Börsenspekulationen“ wieder verloren habe. „Hélas!“ – Auch das ist eine Form, einen überaus kompromittierenden Sachverhalt so abzuschließen, dass die eigene Position in vorteilhaftem Licht erscheint.
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Gottfried Bermann Fischer: Bedroht – Bewahrt. Der Weg eines Verlegers. Frankfurt a.M. 1967.
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