vergleichende IP MDZ SR.1

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Vergleichende Interpretation
von Austers „Die Musik des Zufalls“ und Köhlmeiers „Sunrise“
Paul Auster wurde im Jahr 1947 in New Jersey geboren, Michael Köhlmeier
wiederum 2 Jahre später in Vorarlberg. Abgesehen jedoch von ihrem Alter,
verbindet die beiden Autoren nicht viel. Außer vielleicht, dass sie sich beide für
ihre Werke, die sich ebenfalls mit nur 2 Jahre in der Erscheinung unterscheiden,
von einer Zeit des globalen Umbruchs inspirieren ließen. „Die Musik des
Zufalls“ erschien im Jahre 1990 und „Sunrise“ 1994, und damit 5 Jahre nach
dem Fall der Berliner Mauer und der Einleitung der Postmoderne.
Sowohl Austers Roman als auch Köhlmeiers Erzählung greifen markante
Themen der Postmoderne auf, wie die Suche nach der eigenen Identität, der
Aufarbeitung der eigenen Vergangenheit oder der Ironie des Lebens.
In „Die Musik des Zufalls“ geraten zwei Fremde über ein anfänglich harmlos
wirkendes Glückspiel in die Gefangenschaft zweier reicher Männer, deren ihr
Geld ermöglicht ihre Perversitäten in ihrer eigenen kleinen Welt ausleben zu
können. Die Hauptcharaktere geraten in einen Kampf einerseits gegen den
Realitätsverlust, und andererseits um ihre Freiheit.
„Sunrise“ setzt sich zusammen aus Erzählungen in Erzählungen, in welcher der
Tod mehrere Gestalten annimmt. In der zentralen Geschichte widerfährt ihm
jedoch ein Fehler und er trifft mit seiner Sichel eine andere Person, als die für
jene die Zeit gekommen war. Eine Diskussion mit dem Tod um Gerechtigkeit
und Schicksal bricht aus, in der beide betroffenen Personen versuchen den Tod
davon überzeugen, dass sie das Leben mehr verdient hätten als der andere.
Letzten Endes kommt es dann doch ganz anders, als es der Leser erwartet.
In „Die Musik des Zufalls“ begleitet man den Hauptcharakter über ein Jahr
hindurch durch die gesamte USA, wird mit Ausschnitten seiner Vergangenheit
konfrontiert und erlebt seine letzten Monate in Gefangenschaft auf dem
Grundstück seiner Peiniger. In Sunrise gehen mehrere Handlungsebenen
ineinander über, welche zu verschiedenen Zeiten spielen. In der ersten
Erzählerebene befindet man sich auf einer Landstraße, und wird von dort in
eine weitere Erzählung, welche am Hollywood Boulevard spielt und von dort
weiter in die Vergangenheit der Hauptcharaktere geleitet.
Die Personen der beiden Werke lassen sich einander sehr gut
gegenüberstellen. Es gibt jeweils zwei Hauptcharaktere, mit deren
Persönlichkeit der Leser am stärksten konfrontiert wird und die viel gemein
haben. Besonders ähneln sich in den Werken die Figuren des „Nash“ und des
„Sneezy“. Beide verbindet der Wunsch nach einem Neuanfang und die Suche
nach der eigenen Identität. Beide hatten keine leichte Kindheit und haben das
Potenzial ihres Lebens nie genützt. Sneezy hat das seine mit dem Alkohol
vergeudet und gerade an dem Punkt in seinem Leben, in dem er einsichtig
wird, soll ihm die Chance neu zu beginnen vom Tod selbst genommen werden
und er setzt alles daran, dies zu verhindern. Nachdem Nashs Welt zerbricht als
er von seiner Frau verlassen wird, erbt er eine große Summe Geld, doch anstatt
es für etwas Sinnvolles zu nützen, verprasst er es und vergeudet ein Jahr seines
Lebens. Als auch er an den Punkt angelangt, an dem er aufwacht und erkennt
dass auch für ihn nun alles am Spiel steht, geht er ein großes Risiko ein und
verliert dabei alles was er noch besitzt, mitunter seiner Freiheit. Doch auch er
entscheidet sich dafür darum zu kämpfen und stößt dabei an seine mentalen
Grenzen.
Zwei weitere Personen, bei denen es Ähnlichkeiten festzuhalten gibt, sind Rita
Luna und Pozzi. Durch einen banalen Zufall treffen sie auf die beiden anderen
Hauptcharaktere, und diese Begegnung verändert ihr beider Leben maßgeblich.
Pozzi erhält durch das Treffen auf Nash den Zugang zu Geld und damit zum
„(Poker-)Spiel seines Lebens“, das er verliert. Er findet in ihm einen Freund,
eine Art Vater und kämpft sich mit ihm durch den Arbeitsalltag den er als
Gefangener zu vollrichten hat. Er hatte es nie leicht, war immer ein Kämpfer,
doch diesmal sollte es anders sein, diesmal würde er sowohl physisch als auch
psychisch kapitulieren müssen. Auch Rita Luna ist eine Kämpfernatur. Sie
schlägt sich seit Jahren alleine durch, arbeitet als Stripperin und lebt mit der
ständigen Angst vor einer HIV-Infektion. Auch sie findet sich das erste Mal in
der Situation wider direkt damit konfrontiert zu sein, um ihre Freiheit, um ihr
Lebe und ihre frisch gefundene Liebe, die ihr Leben erst lebenswert gemacht
hat, zu kämpfen. Was sie ebenfalls verbindet ist ihre Sehnsucht nach Liebe,
welchen Rita mit ihrem Freund Schoscho stillt, während Pozzi sich der
Prostituierten Tiffany hingibt. Auch mussten beide schon viele Rückschläge auf
ihrem Weg hinnehmen. Rita sah sich schon einmal mit dem Tod konfrontiert,
als sie sich die Pulsadern aufschlitzte. Und Pozzi scheint Ärger magisch
anzuziehen und kam oft nur knapp mit einem blauen Auge aus gefährlichen
Situationen wie bewaffneten Schlägereien davon. Sowohl Pozzi als aus Rita sind
noch recht jung, haben sich selbst noch nicht ganz gefunden und haben auch
einen ähnlichen rabiaten, lebensfrohen Charakter. Sie nehmen das Leben wie
es kommt, und versuchen die kleinen Dinge zu genießen und streben doch
immer nach mehr, auch wenn sie nicht ganz genau wissen wie das „mehr“
aussehen soll.
Die Werke behandeln sehr ähnliche Themen auf völlig unterschiedliche Weise.
Ein zentrales Thema ist der Determinismus, dem zu Folge das Schicksal den
Verlauf des Lebens bereits festgelegt hat, während sich die Figuren diesem
höheren Plan nur mehr füge können. Das ist die Frage, die man sich bei beiden
Werken stellt: Ist den Figuren der Handlung bereits alles vorherbestimmt? Oder
ist es der bloße Zufall der über Leben und Tod, Freiheit und Gefangenschaft
entscheidet?
Ein weiterer wichtiger Aspekt ist die Konstruktion der eigenen Wirklichkeit,
bekannt als Konstruktivismus. Was ist wahr, was geschieht wirklich, und was
erleben die Figuren nur aufgrund ihrer subjektiven Wahrnehmung und wie
erleben sie es? Wer weiß wie ähnlich sich die Gedanken von Rita Luna und
Sneezy waren, als es für sie beide galt den Tod von ihrem „Mehrwert“ zu
überzeugen. Sie entschieden sich für ihre Minuten an Überzeugungszeit für
völlig kontroverse Geschichten aus ihrem Leben, obwohl sie in der gleichen
Situation waren und der Leser wird dazu angeregt, darüber nachzudenken, wie
er selbst mit dieser abstrusen Herausforderung umgegangen wäre. Auch Nash
und Pozzi erfahren die Gefangenschaft im völlig selben Rahmen, und jeder von
ihnen erlebt es doch auf seine ganz eigene Weise. Während Nash sich schnell
damit anfreunden kann, weil es ihm Zeit gibt sich Gedanken über seine Zukunft
zu machen und er dem Ausgang der Situation sehr optimistisch entgegensieht,
wird Pozzi von ständiger Paranoia und Angst geplagt. Für ihn scheint klar zu
sein, dass dieses Abenteuer für ihn kein gutes Ende nimmt, und er macht auch
kein Hehl aus seiner bösen Vorahnung.
Eine andere Brück lässt sich über die „Zerstörung des Systems“ schlagen. In
Austers Roman entnimmt der Hauptcharakter Nash aus der von einem seiner
Peiniger kreierten Miniaturwelt, genannt „Stadt der Welt“, die beiden Figuren
der reichen Männer, und leitet damit eine Wende in dem gesamten
Handlungsverlauf ein. Ab diesem Zeitpunkt, ab dem ein bis dahin bis aufs
kleinste Detail makelloses Modell, in seiner Perfektion zu Nichte gemacht wird,
kippt auch das Gleichgewicht in der Realität. Von da an geht alles für die beiden
Hauptpersonen nur mehr schief. Sie verlieren das Pokerspiel, verschulden sich
hochgradig und verlieren letztendlich ihr letzes Gut: ihre Freiheit. In Sunrise ist
es nicht direkt ein System zerstört wird, sondern viel eher ein fixe Vorstellung
oder allgemein anerkannte Annahme, die des Todes. Der Tod hat in vielen
Religionen und Kulturen viele Facetten. Oft wird er personifiziert, auch die
Sichel die Köhlmeier nennt, findet sich häufig als typisches Symbol. So viele
Gesichter der Tod auch haben mag, besonders gut reden lässt er mit sich nie.
Der Ablauf des „Besuches“ des allseits bekannten „Sensenmannes“ ist simple
und meist der selbe: Jeder Mensch bekommt eine bestimmtes Maß an Zeit zur
Verfügung. Wie er es nützt bleibt ihm selbst überlassen. Achtet er auf sich und
geschieht ihm kein Unglück, kann er diese Zeit bis zu ihrem letztendlichen
Ablauf nützen. Ist die Zeit aufgebraucht oder er verstirbt aufgrund äußere
Einflüsse, kommt der Tod und nimmt seine Seele mit sich. Der Tod fragt
denjenigen nicht, ob er es möchte oder als fair erachte, er tut quasi nur seinen
„Job“. Doch in Sunrise ist es anders, Köhlmeier zerstört dieses Klischee. Auch
seinem Tod schert es nicht, wenn er mit sich nimmt, aber aufgrund des
unglücklichen „Fehltreffens“ seiner Sichel, befindet er sich plötzlich in der
Situation zwischen zwei Menschen entscheiden zu müssen, was nicht zu
seinem normalen Aufgabenbereich zählt. Der Tod beschließt nicht wer leben
soll und wer nicht, er trifft erst ein wenn dies schon feststeht. Aber aufgrund
der neuen Umstände, beschließt der Tod dieses Mal, die Welt für einige
Minuten anzuhalten, und seine Entscheidung aufgrund der Überzeugungskraft
der beiden betroffenen Menschen zu treffen. Diese neuartige Weise den Tod
darzustellen vermenschlicht ihn auf eine Art und Weise. Anhand woran sollte
er denn eine Entscheidung treffen? Dies würde Voraussetzen dass der Tod eine
Persönlichkeit besitzt, mit der Fähigkeit zu werten, Mitleid zu empfinden,
zwischen Recht und Unrecht zu entscheiden, das Leben des einen als wichtiger,
schöner oder lebenswerter zu erachten, ein Ansatz der erstmals von Richard
O’Brien aufgegriffen wurde.
Sowohl Auster, als auch Köhlmeier führen den Leser in ihren Werken auf
unterschiedlichste Weise immer wieder auf einen bestimmten Leitgedanken
zurück: „Dein Leben liegt in deiner Hand, du bestimmst darüber, und darum
genieße jeden Tag und verleihe ihnen Sinn“. Es sind zwei Bücher über die
Bedeutung und den Wert des Lebens. Die Figuren beider Autoren erkennen,
dass ein Neuanfang möglich ist, und wollen die Chance danach ergreifen und
ihrem Leben einen Sinn geben und dafür kämpfen, auch wenn es dem ein oder
anderem im Endeffekt nicht gelingt. Der Leser wird dazu angeregt über sein
eigenes Leben nachzudenken und sich in die Situationen der Figuren hinein zu
versetzen. Was würde man dem Tod sagen, wenn er plötzlich an die Tür klopft
und wissen möchte, warum gerade das eigene Leben wertvoller sei als das
eines beliebigen Fremden? Was wäre man bereit zu tun, um von vorne
Anfangen zu können? Viele Fragen, die man sich im Alltag so nicht stellen
würde, wobei es doch ratsam wäre, sich immer wieder in Erinnerung zu rufen,
was für ein wertvolles Geschenk wir alle erhalten haben und sich bewusst zu
sein, was wir daraus machen.
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