Judika Jahrgang 15/16 Reihe II – Nr. 26 (13.03.2016) Predigtvorschlag Hebräer 5, 7 - 9 Leitbild: Hingabe - einer für alle Wochenspruch: "Der Menschensohn ist nicht gekommen, dass er sich dienen lasse, sondern dass er diene und gebe sein Leben zu einer Erlösung für viele." (Matthäus 20, 28) Psalm: 43 (EG 724) Lesungen Altes Testament: 1. Mose 22, 1 - 13 Epistel: Hebräer 5, 7 - 9 Evangelium: Markus 10, 35 - 45 Liedvorschläge Eingangslied: EG 209 Ich möcht’, dass einer mit mir geht Wochenlied: EG 76 O Mensch, bewein dein Sünde groß Predigtlied: EG 140 oder Brunn alles Heils, dich ehren wir oder EG 97 Holz auf Jesu Schulter EG 171 Bewahre uns, Gott Schlusslied: Predigttext Hebräer 5, 7 - 9 7 Und er hat in den Tagen seines irdischen Lebens Bitten und Flehen mit lautem Schreien und mit Tränen dem dargebracht, der ihn vom Tod erretten konnte; und er ist auch erhört worden, weil er Gott in Ehren hielt. 8 So hat er, obwohl er Gottes Sohn war, doch an dem, was er litt, Gehorsam gelernt. 9 Und als er vollendet war, ist er für alle, die ihm gehorsam sind, der Urheber des ewigen Heils geworden, Predigt Liebe Gemeinde, um Gehorsam geht es im heutigen Predigttext, und der steht auf der Liste der gefragten Eigenschaften derzeit nicht gerade ganz oben. Außerdem geht es ums Leiden und darum, dass man im Leiden Gehorsam lernen kann. Gehorsam lernen - das klingt zunächst mal nach „Rohrstockpädagogik” - nach dem Motto: Wer nicht hören will, muss fühlen. Bei manchen werden da vielleicht schmerzhafte Erinnerungen wach. Und wir alle wissen aus der Geschichte unseres Landes, wozu ein blinder Gehorsam oder ein Gehorsam aus bloßer Angst führen kann. Aber der Gehorsam, von dem wir gleich im Bibeltext hören werden, ist doch gänzlich anderer Natur. Ich lese den Predigttext aus dem 5. Kapitel des Hebräerbriefs: In den Tagen seines irdischen Lebens hat Jesus Bitten und Flehen mit lautem Schreien und mit Tränen dem dargebracht, der ihn vom Tod erretten konnte; und er ist auch erhört worden, weil er Gott in Ehren hielt. So hat er, obwohl er Gottes Sohn war, doch an dem, was er litt, Gehorsam gelernt. Und als er vollendet war, ist er für alle, die ihm gehorsam sind, der Urheber des ewigen Heils geworden. Jahrgang 15/16 – Nr. «Nr» – Seite 2 Gehorsam, das kommt von hören. Und hören hat in vielen Sprachen zwei Aspekte, nämlich hören im Sinne von wahrnehmen und hören im Sinne von dem Gehörten folgen, gehorchen. Zu hören gibt es vieles, von der inneren Stimme bis zum Lärm auf der Straße oder dem Krach der Nachbarn. Die Werbung beschallt uns mit ihren Verlockungen. Die Parteien wollen sich vor anstehenden Wahlen Gehör verschaffen. Viele gute, gut gemeinte oder auch nur gut klingende Ratschläge dringen an unser Ohr. Und dann kommt noch die Musik, die so ganz unterschiedlich auf uns wirken kann: - Musik im Kaufhaus, die uns zum Verweilen verlocken soll - Musik aus dudelnden Radios, die einfach nur beschallen, auf dass wir ja nicht zur Ruhe kommen - Musik, die uns in Ekstase versetzt, so dass wir gewissermaßen aus uns selbst heraustreten - Musik, die uns meditativ nach innen führen kann. Das Ohr hört sich nie satt. Wir können die Ohren nicht wie die Augen zumachen. Mancher leidet darunter, weil die ständige Beschallung an den Nerven zehren kann. Wer dagegen nicht oder nur sehr schlecht hören kann, leidet oft auch darunter. Er oder sie versucht dann häufig, den Verlust an Informationen auszugleichen und mit anderen Sinnen zu „hören“. Wir sind gezwungen zu hören, und zwar im doppelten Sinne: wir müssen wahrnehmen und wir müssen gehorchen. Vielfältige Stimmen dringen ein Leben lang in uns ein. Und einer von ihnen schenken wir immer Gehör und Gehorsam. Die Frage ist also nicht, ob wir gehorsam sind oder nicht, sondern die Frage lautet: wem oder was wir in unserem Leben gehorsam sind und auch wie wir es sind - blind gehorsam oder bewusst zustimmend. Jahrgang 15/16 – Nr. «Nr» – Seite 3 Wie ist das nun mit dem Gehorsam Jesu, von dem der Predigttext spricht? Es wird im Text nicht ausdrücklich erwähnt, aber dennoch ist klar: hier geht es um den Gehorsam, mit dem Jesus den Willen Gottes verwirklicht hat. Gehorsam sein gegenüber Gott, auf sein Wort hören und nach seinem Willen fragen, das war die lebensbestimmende Entscheidung Jesu. Die zweite Frage ist: Was hat Jesus gelitten? ‚Den Tod am Kreuz’ – das dürfte den meisten von uns spontan als Antwort einfallen. Im Garten Gethsemane hat Jesus mit Gott gerungen: Lass diesen Kelch an mir vorübergehen, erspare mir diese Qual und diese Schmach! Darauf spielt auch der erste Vers des Predigttextes an: mit Bitten und Flehen, mit lautem Schreien und mit Tränen hat Jesus mit Gott gerungen. - Aber dann kommt eben auch das stille Einverständnis: Nicht mein, sondern dein Wille geschehe. Da zeigt sich: Das Leiden, an dem Jesus Gehorsam gelernt hat, ist nicht das Kreuz. Gott bedient sich nicht des Leides, um Jesus gefügig zu machen. Nicht damit er nach Gottes Willen handelt, wird er ans Kreuz genagelt, sondern weil Jesus den Willen Gottes verwirklichen will, sagt er: Nicht mein, sondern dein Wille geschehe. Also nochmals die Frage: An welchem Leid hat Jesus gelernt, sich so radikal in Gottes Willen zu fügen? Es ist wohl schlicht jenes alltägliche Leiden, das auch er zu ertragen hatte: wenn Menschen aus seiner Umgebung ihn verachteten, ihn verspotteten, weil er konsequent nach seiner Überzeugung lebte; wenn er nicht mal von seinen Freunden, von seiner Familie verstanden wurde; wenn Menschen undankbar seine Hilfe vergaßen; nicht zu vergessen manches Leid anderer, das er sah, bei dem er mitlitt. Auch Jesus blieb vom Leiden nicht verschont. Als in einer 10. Klasse einer Körperbehindertenschule dieser Text bedacht wurde, sagte einer der Schüler: „Das finde ich Jahrgang 15/16 – Nr. «Nr» – Seite 4 gut, dass Gott bei Jesus keine Ausnahme macht – auch Jesus muss leiden. Das ist irgendwie gerecht.“ Man kann sich leicht denken, dass diese Schülerinnen und Schüler selbst mehr als genug Erfahrungen mit dem Leiden gemacht haben. Im Vergleich mit Nicht-Behinderten kommt da schnell das Gefühl von Unrecht und Klage gegen das Leben, auch gegen Gott. Aber dann folgt hier die Feststellung: Gott macht keine Ausnahme. „Das ist irgendwie gerecht.“ Und auf die Frage, welchen Sinn Leiden denn haben könnte, meinte eine Schülerin: „Das kann nur jeder für sich selbst sagen.“ Und ich füge hinzu: oftmals wohl erst im Nachhinein. Hier im Predigttext heißt es indirekt: der Sinn des Leidens, das Jesus wiederfahren ist, war, Gehorsam zu lernen. Ich denke allerdings, es ist nicht allein dieses Leiden, an dem Jesus Gehorsam lernte. Es ist vor allem auch die dazugehörende Erfahrung, dass nämlich Gott durch dieses Leiden hindurch trägt, dass er Kraft und Geduld gibt, es zu ertragen, dass er auch Menschen an die Seite gibt, die einen wieder aufmuntern und neuen Mut machen. Es geht also nicht darum, Leiden schönzureden oder zu verherrlichen, und schon gar nicht darum, Leiden zu suchen oder es anderen zuzufügen. Es geht darum, im Blick auf Jesus zu lernen, auch im Leiden nicht die Hoffnung zu verlieren, auch da nicht das Vertrauen auf Gott aufzugeben. Es sind die in Leidenszeiten gemachten positiven Erfahrungen, die das Vertrauen auf Gott stärken. Gottes Wege führen weiter. Und aus diesem gewachsenen Vertrauen resultiert dann die wachsende Bereitschaft, auch in Zukunft nach Gottes Willen zu fragen. Diese Art, Gehorsam zu lernen, ist wohl ein lebenslanger Lernprozess. Jahrgang 15/16 – Nr. «Nr» – Seite 5 Die Gemeinde, an die der Hebräerbrief gerichtet war, hatte wahrscheinlich anderes erwartet, anderes als das Auf und Ab zwischen Zweifel und Zuversicht, Leid und Freude. Man hatte vielleicht insgeheim gehofft: wenn wir uns im Glauben für Gott entscheiden, dann wird er uns vor allen Nöten bewahren, dann wird unser Leben leichter und problemlos gelingen. Doch daraus wurde nichts. Im Gegenteil. Die Gemeinde wurde um ihres Glaubens willen massiv bedrängt. Einige verloren wohl auch ihre Hoffnungen auf Gott und gaben damit ihren Glauben auf. Deshalb wird der Blick hier auf Jesus gelenkt. Der Verfasser des Briefes schreibt: In den Tagen seines irdischen Lebens hat Jesus Bitten und Flehen mit lautem Schreien und mit Tränen dem dargebracht, der ihn vom Tod erretten konnte; und er ist auch erhört worden, weil er Gott in Ehren hielt. Das lässt manchen vielleicht stutzig werden: Wieso ist Jesus mit seinen Bitten erhört worden? Das Kreuz ist ihm doch keineswegs erspart geblieben!? Er ist erhört worden – Eine andere Übersetzung formuliert es so: Er bekam Antwort, weil er Gott in Ehren hielt [Die Gute Nachricht, Fassung 1974] – ‚Antwort’ z. B. indem er gestärkt wurde für den schweren und zuletzt ganz einsamen Weg, den er gegangen ist. Antwort hat er auch bekommen, indem er aus seiner Angst befreit worden ist [vgl. Einheitsübersetzung] Er ist erhört worden – das bedeutet ja nicht, dass ihm alle Wünsche prompt erfüllt worden sind. Es ist auch eine Gebetserhörung, wenn einer die Kraft bekommt, die beängstigende Situation im Vertrauen auf Gott zu ertragen: Die Angst, die fauchende Bestie legt sich, sie zieht sich zurück. So ist Jesus seinen Weg gegangen; und so können wir ihm folgen. Schließlich steht da auch noch der letzte Satz des Predigttextes: Und als er vollendet war, ist Jesus für alle, die ihm gehorsam sind, der Urheber des ewigen Heils geworden. Das ist der Ausblick auf Ostern und auf ein neues Leben, das alles Leiden hinter sich gelassen haben wird. Jahrgang 15/16 – Nr. «Nr» – Seite 6 Mit diesem Ausblick können uns auch die leidvollen Strecken unseres Lebensweges leichter werden. Ihm, also Jesus gehorsam sein? Das meint: wachsam auf ihn hören. Lauschen, was er uns zu sagen hat. Von ihm hören und lernen, dass Gott auch in dunklen Stunden und schweren Zeiten seine Hand nicht von uns abgezogen hat. Amen. Fürbittengebet Herr, der du verlassen warst, wir bitten dich für alle Verlassenen in dieser Welt, für alle, die einsam mit letzten Entscheidungen ringen, für alle, die allein in ihren Zimmern oder auf belebten Straßen nur noch mit sich selbst reden. Wir bitten dich für alle, die gefangen oder verschleppt sind, für alle, die einsam, oft unter Schmerzen, die Schwelle zum Tod überschreiten, für alle, die in Unglück oder Trauer ermutigende Worte nicht mehr wahrnehmen. Herr, der du verlassen warst, wir bitten dich: Vergib uns, wenn wir dich verlassen, zeige uns in diesen Tagen deines Leidens wieder Wege zu dir, damit wir bei dir bleiben. Und bleib du bei uns. aus: Gottesdienst-Agende der EKKW, CD-Version 2006 dort: nach: Klaus Bannach: Gebete der Stille. 136 Texte durch das Jahr. Stuttgart (Radius Verlag) 1979, S. 26 Verfasser: Pfarrer Dr. Tilman Cremer Ludolfweg 10, 99085 Erfurt Jahrgang 15/16 – Nr. «Nr» – Seite 7 Herausgegeben vom Referat Ehrenamtliche Verkündigung: Pfarrerin Dr. Christiane Braungart, Markgrafenstraße 14, 60487 Frankfurt/Main 069 71379-140 069 71379-131 E-Mail: [email protected] in Verbindung mit dem Gemeindedienst der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland Pfarrer Dr. Matthias Rost Zinzendorfplatz 3 (Alte Apotheke), 99192 Neudietendorf 036202 7717-97 Die „Predigtvorschläge“ sind auch auf CD-ROM (Text- und WINWORD-Datei) erhältlich und im Internet abrufbar (http://www.zentrum-verkuendigung.de/predigten.html ) E-Mail: [email protected] Jahrgang 15/16 – Nr. «Nr» – Seite 8