Alles aus den Fugen

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Febr. 2015; Pfarrer B. Botschen
Alles aus den Fugen
Das ist genau der richtige Moment für dieses Thema. Als vor einer Woche das WEF
in Davos stattfand, fasst der Tagesanzeiger die Stimmung mit der grossen
Überschrift quer über Seite 1 zusammen: „Die grosse Unsicherheit“. Daneben sah
man in einer Karikatur, wie alle Mächtigen den Champagner stehen lassen und sich
um den Stand mit Antidepressiva versammeln. Irgendwie hat sich in den letzten
Jahren das Lebensgefühl auf diesem Planeten verändert. Dazu ein paar Gedanken.
1. Die Welt verzerrt wahrnehmen
Das Gefühl „Es gerät alles aus den Fugen“ hat auch mit der Globalisierung zu tun.
Alles ist so fest miteinander verbunden, dass jede einzelne Krise sofort auch andere
betrifft. Wenn Griechenland Probleme hat, betrifft das alle. Ebola und
Schweinegrippe lassen sich nicht mehr auf einzelne Länder beschränken. Wir sind
so vernetzt miteinander, dass wir alle betroffen sind, wenn irgendwo etwas passiert.
Bevor man in die Stimmung kommt „Es wird immer nur schlimmer“, möchte ich einen
Blick in die Vergangenheit werfen. Ein Beispiel aus dem Mittelalter: Als die Pest um
das Jahr 1350 in Europa wütete, raffte sie ein Drittel der Bevölkerung hin. 20 bis 25
Millionen Tote waren zu bedauern. Manche Landstriche wurden weitgehend
verschont, andere fast entvölkert. In der italienischen Stadt Florenz, die damals ein
europäisches Zentrum war, überlebte nur ein Fünftel der Bevölkerung die Seuche.
Noch dramatischer wird es, wenn man die erste Hälfte des letzten Jahrhunderts
betrachtet. Kaum war der erste Weltkrieg mit seinen fast 10 Millionen Toten vorbei,
wütete von 1918-1920 weltweit die Spanische Grippe. An der Ebola-Epidemie
starben bis jetzt 8600 Personen. An der Spanischen Grippe starben zwischen 25 und
50 Millionen Menschen. Dann kam um das Jahr 1930 die Weltwirtschaftskrise. Die
Industrieproduktion in den USA sank um 46%. Innerhalb von drei Jahren sank der
Aktienkurs um 90%. Massenarbeitslosigkeit und Armut waren die weltweite Folge.
Und dann kam der zweite Weltkrieg und stürzte die Welt ins Chaos.
Eines muss uns also bewusst sein: Auch wenn wir heute manche Probleme
überhaupt nicht im Griff haben - die Welt wird nicht immer schlimmer. Aber etwas ist
anders als früher: Alles Schlechte, das irgendwo auf dieser Welt passiert, wird
verbreitet. Vorletzte Woche gab es bei uns z.B. folgende Schlagzeile: „Tote bei
Massenkarambolagen wegen Eisglätte“. Das hat mich interessiert: War das vielleicht
sogar auf der A1? Wer weiss, vielleicht direkt bei uns? Dann habe ich weitergelesen:
Es war in den USA. Egal in welchem Dorf in China etwas passiert – wir erfahren es.
Oft kritisiert man die Zeitungen oder das Fernsehen und sagt: „Warum bringt ihr
immer nur die schlechten Nachrichten?“ Die Redakteure des russischen
Onlinedienstes "City Reporter" haben sich das zu Herzen genommen und einen Tag
lang nur positive Neuigkeiten gemeldet. Der Misserfolg war dramatisch: Schlagartig
ging die Leserschaft um zwei Drittel zurück. Gleich am folgenden Tag kehrte der
"City Reporter" wieder zum Bösen und Schlechten auf der Welt zurück.
Meine Meinung ist die: Einerseits wirken sich in einer globalisierten Welt alle Krisen
sehr schnell auch weltweit aus. Das ist anders als früher. Andererseits drängen die
schlechten Nachrichten aus der ganzen Welt auf uns ein. Am Schluss steht dann das
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Gefühl: „Alles gerät aus den Fugen!“. Um dieses Gefühl geht es in der heutigen
Predigt.
2. Gelassen und mit Gottvertrauen leben
Für uns stellt sich die Frage: Wie gehen wir als Christen mit diesem Gefühl um? Auf
der einen Seite werden wir tun, was wir tun können. Deshalb liegen mir unsere drei
Projekte so auf dem Herzen. Wir können diese Welt nicht einfach aufgeben oder so
tun, als ob uns das alles nichts anginge.
Aber gleichzeitig denke ich, dass wir als Kinder Gottes lernen sollen, mit einer
gewissen Gelassenheit durchs Leben zu gehen. Jesus spricht einmal vom Ende der
Welt. Er sagt: „Die Völker der Erde werden gegeneinander Kriege führen. In vielen
Teilen der Welt wird es Hungersnöte und Erdbeben geben.“ Aber seine Anweisung
ist klar: „Wenn ihr von Kriegen und Unruhen hört, achtet darauf, aber erschreckt
nicht.“ (Matth.24,6.7).
Wir sollen mit Gelassenheit durchs Leben gehen. Diese Gelassenheit entsteht dort,
wo wir Gott vertrauen. Das bedeutet nicht, dass wir davon ausgehen, dass sich die
‚Welt aus den Fugen‘ wieder beruhigt. Möglich, dass Europa das mit dem Euro nicht
in den Griff bekommt. Möglich, dass wir zu spät reagieren, um die Umwelt noch
halbwegs zu retten.
Auch in unserem persönlichen Leben – und ich nehme diesen Bereich bewusst hinzu
- kann alles Mögliche passieren. Irgendwann habe ich mir einmal überlegt, was es für
mich bedeuten würde, wenn ich die Diagnose Alzheimer erhalten würde und ich
wüsste, dass ich irgendwann die Gewalt über mich verlieren werde. Vielleicht findet
ihr diesen Gedanken komisch für einen Mann Mitte 40. Aber ich habe das bei
meinem Vater erlebt und habe mich gefragt: Würde ich Gott vertrauen, dass er mich
auch dann tragen wird, wenn ich nicht mehr klar denken kann?
Mit Gottvertrauen leben heisst, dass ich mein Leben und diese Welt in die Hände
Gottes lege. Wir tun, was wir können, gehen aber ruhig in die Zukunft. Gott wird mich
führen. Er wird mich niemals verlassen. Und Gott wird auch diese Welt niemals
aufgeben. Dieses Vertrauen in Gott trägt uns, wenn das Gefühl der Unsicherheit
zunimmt.
3. Freudenboten und Hoffnungsquellen
Aber ich denke, Gott möchte mit uns noch einen Schritt weiter gehen. Wir haben eine
Aufgabe an dieser verunsicherten und hoffnungsarmen Welt. Wir brauchen Hoffnung
– dass Gott auch heute noch Menschen berührt und eine Gemeinde bauen kann.
Dass es mit Kindern oder Enkeln, die in der Krise sind, einen guten Weg gibt. Dass
eine schwierige Ehe eine Zukunft hat. Usw.
Jesus hat gesagt: „Ihr seid das Licht der Welt!“ (Matth.5,14). Das hat mit dem Wesen
von Gott zu tun. Von ihm heisst es: „Vor dir ist Freude die Fülle.“ (Ps.16,11a). Paulus
schreibt, dass Gott ein „Gott der Hoffnung“ ist (Röm.15,13). Die Grundstimmung in
der Gegenwart Gottes ist Freude und Hoffnung. Deshalb habe ich auch das Bild von
Christen als Freudenboten und Hoffnungsquellen. Christen, die Licht verbreiten, die
von einer Atmosphäre der Hoffnung umgeben sind, die mit ruhiger Freude und
Gelassenheit durch eine bewegte Welt gehen.
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Es ist klar, dass so Menschen ihrer Umgebung unglaublich gut tun. Sie sind ein
Segen für ihr Umfeld. Aber als ich das geschrieben habe, habe ich mich schon
gefragt: „Ist das nicht eine Überforderung für uns? Ist das wirklich möglich?“ Dazu
zwei Gedanken:
Der erste: Alles beginnt mit kleinen Schritten und schon diese kleinen Schritte
verändern viel. Worte z.B. haben Kraft. Sie können entmutigen. Wenn jemand von
einem neuen Plan erzählt und der andere sagt: „Vergiss es. Das funktioniert
niemals!“ Oder wenn eine Mutter mit ihrem Kind Mathe übt und dann sagt: „Ich sehe
schon – in Mathe wirst du nie gut sein.“
Aber genauso können Worte neu Mut machen. Wenn eines unserer Kinder im
Haushalt hilft, kann man ja auch nach einer kleinen Sache sagen: „Danke, du bist
wirklich hilfsbereit!“ So Worte schaffen eine Realität. Oder wenn jemand in einer
schwierigen Beziehung sagt: „Ich glaube daran, dass wir es schaffen werden.“ Oder:
„Gott wird mit dir sein.“ Da haben wir als Eltern und Grosseltern eine Aufgabe.
Niemand kann so gut ermutigen, wie Grosseltern!
Im Jakobusbrief heisst es von unseren Worten: „Fliesst denn aus einer Quelle
gleichzeitig frisches und ungeniessbares Wasser?“ (Jak.3,11). Wenn unser Mund wie
eine Quelle ist. Welches Wasser soll aus ihr fliessen? Ärger, Kritik, Entmutigung –
oder Worte der Hoffnung und Zuversicht?
Der zweite Gedanke: Es genügt nicht, zu sagen: „Rede hoffnungsvoll!“ Worte
spiegeln ja nur wider, wie wir eine Situation oder Person sehen. Aus eigener Kraft ist
es schwer, Licht, Freude und Hoffnung auszustrahlen. Unsere grosse Chance ist es,
sich von diesem Gott der Hoffnung und der Freude berühren zu lassen. Wir können
eine Hoffnungsquelle werden, wenn diese Hoffnung von Gott in uns hineinfliesst.
Dort, wo ich Gott Zeit gebe, mich zu berühren, werde ich fähig, hoffnungsvoll, fröhlich
und vertrauensvoll zu sein. Es geht nicht darum, ein bisschen religiös zu sein,
sondern diesem Gott der Hoffnung, vor dem Freude die Fülle ist, zu begegnen.
Das gilt aber nur, wenn wir darauf achten, WIE wir beten. Natürlich dürfen wir Gott
unser Herz ausschütten. Aber wenn wir im endlos lange das Problem schildern und
am Schluss sagen: „Ach, Gott, du kannst da auch nichts machen!“ – dann ist die
Hoffnung in uns noch nicht gewachsen. Im Jakobusbrief (Kp.1,6) heisst: „Betet nicht
mit Zweifeln, sondern mit grosser Zuversicht!“ Irgendwann im Gebet soll unser Gebet
hoffnungsvoll und zuversichtlich werden. Dass wir mit der Haltung beten: „Gott, du
kannst alle Dinge verändern. Ich glaube, dass du etwas machen kannst.“
Alles aus den Fugen – wir haben gravierende Probleme. Aber noch geht die Welt
nicht unter. Früher war alles noch viel schlimmer. Und, ehrlich gesagt denke ich: Es
tut uns sogar gut, wenn wir nicht andauernd das Gefühl haben, wir hätten alles im
Griff. Als Christ fordert uns dieses Gefühl der Verunsicherung heraus. Und so möchte
ich ein Mensch werden, der mit ruhigem Vertrauen zu seinem Gott durchs Leben
geht. Ja, sogar noch einen Schritt weiter kann es gehen: Dass wir zu Freudenboten
und Hoffnungsquellen werden. Jesus hat es so auf den Punkt gebracht: „Ihr seid das
Licht der Welt.“ AMEN.
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