Der Spiegel (negativ) Für diesen Idylliker namens Adam, der mit seinen Affären, seinen Zigarren und ein paar Bieren am Abend im eigenen Gärtchen rundum glücklich war, wurde der Untergang der DDR, wie man sich denken kann, zum größten anzunehmenden Unheil - und Adams Erfinder, der Schriftsteller Ingo Schulze, lässt uns schmerzlich im Ungewissen, ob sein Held sich von dieser Lebenskatastrophe je erholen wird … Ingo Schulzes neuer Roman "Adam und Evelyn" setzt sich mit verführerischem Schwung in Bewegung. Schulzes Neigung, als Erzähler möglichst unauffällig zu bleiben, gibt seinen Figuren zwar den Raum, sich im Dialog lebhaft zu entfalten, erlaubt ihnen aber auch, sich reichlich breitzumachen, bis endlich jemand im Interesse des Lesers eingreift: "Können wir das jetzt lassen, ja? Bitte!" Schlank und dicht erzählt, fände die Geschichte von Adam und Evelyn gut auf 200 statt auf gut 300 Buchseiten Platz … Weithin vergessen ist wohl die Ankündigung des Berlin Verlags vom Herbst 2005, in "einer aufsehenerregenden Buchreihe" würden fortan "weltbekannte Autoren große Mythenstoffe neu erzählen und deuten", weltweite Übersetzung durch zwei Dutzend Partnerverlage war eingeplant. Nicht von kreativem Drang, vielmehr von Marketing-Blabla beflügelt, ist Ingo Schulze in diese paradiesische Globalisierungsfalle getappt; nun haben wir die Bescherung, und der Autor rettet sich und seine Figuren nur mit Mühe daraus. Berliner Tageszeitung (negativ) Nullpunkt 1989 also. Man hört von den Botschaften, die überfüllt sind, von den Aufnahmezeltlagern jenseits der Grenze. Der Umbruch liegt in der Luft. Als alle wieder beisammen sind, beginnt das Verwirrspiel erst richtig: Wer gehört zu wem? Adam zu Evelyn? Michael zu Evelyn? Adam zu Katja? Oder Adam zur ungarischen Vermieterin? Oder zu deren Tochter? Und vor allem - wo gehört man hin? Wo findet das Leben statt? In den Westen gehen oder zurück in die DDR fahren? Wo ist, um im biblischen Kontext zu bleiben, das Paradies? Wird man gerade daraus vertrieben oder eröffnet sich die Chance, genau jetzt eben dorthin zu kommen? All diese Fragen lässt Schulze seine Figuren überwiegend in der wörtlichen Rede verhandeln. Das macht in diesem Fall eindeutig den Schwachpunkt des Romans aus ... Es ist als Phänomen durchaus interessant und mag dem Geist jener Wendezeit entsprechen, dass sehr viel geredet, sehr viel gehandelt und sehr wenig nachgedacht wurde, doch in "Adam und Evelyn" wäre dringend eine Instanz vonnöten gewesen, die dem plappernden Personal einmal Einhalt gebietet. Schulze, das ist hier nicht anders als in seinen vorangegangenen Büchern, mag seine Figuren; eine zu respektierende Haltung. Und doch ist es geboten, diesen Menschen etwas entgegenzusetzen … Man darf Ingo Schulze zugute halten, dass er wusste, was er tat, als er die Entscheidung getroffen hat, von dieser Zeit auf diese Weise zu erzählen, in kleinen, leicht konsumierbaren, beinahe privatistischen Kapitelhäppchen von jeweils drei, vier Seiten. Nur lassen sie eben ein hohles Gefühl zurück. Satt wird man davon nicht. Leselust (neutral) Ein großer Teil dieses Romans ist in Dialogform abgefasst. Das ist über weite Strecken ganz amüsant; es wirkt sehr leichtfüßig, wie da die Handlung vorangeplaudert wird. Und es mangelt auch durchaus nicht an Situationskomik. Ich war beim Lesen nahe dran an diesen Menschen, die da mit wenig Gepäck und vielen Hoffnungen unterwegs waren; auch wenn ich ja nichts darüber weiß, wie authentisch das nun wirklich ist, aber für mich entstand ein sehr lebhaftes Bild, ich konnte eine fast riechen und schmecken, wie es sich angefühlt haben mag in jenen Tagen da in Ungarn. Dieser Teil ist Ingo Schulze in meinen Augen wirklich großartig gelungen; alles ist offen, die Entscheidungen sind noch nicht getroffen. Es ist der Zustand im Paradies vor dem Sündenfall; denn mit diesem Schöfpungsmythos verbindet der Autor den Roman. Immer wieder stellt er Verbindungen her zur ursächlichen Vertreibung aus dem Paradies; er zeigt die Versuchung, und auch, wie wenig man sich im Vorfeld vorstellen kann, was es heißt, tatsächlich vom Baum der Erkenntnis gegessen zu haben. Adam geht mit Evelyn in den Westen. Aber er kommt dort nicht ganz an; und als dann die Wende kommt, ist auch klar, dass er auch, wenn er geblieben wäre, keine Zukunft mehr in dieser Form gehabt hätte. Aber so, wie Adam nun der Elan fehlt, so hatte ich auch den Eindruck, dass dem Roman ein wenig die Luft ausgeht. Schon in der letzten Zeit in Ungarn tritt alles auf der Stelle, gibt es nur noch ein und noch ein und noch ein Liebesgeplänkel; nach der Wende plätschert für mich dann alles nur noch so vor sich hin. Es ist ein Buch, das sich durch die schlichte Sprache und die kurzen Kapitel sehr schnell liest; ich fühlte mich meist ganz gut unterhalten, aber zur Begeisterung hat es bei mir nicht ausgereicht. Neue Züricher Zeitung (positiv) «Adam und Evelyn» ist ein virtuoses Spiel mit Zitaten, eine Tragikomödie aus Ost und West, aus Paradies und Sünde. Wenn Ingo Schulze mit dem grossen Stoff von Adam und Eva spielt, dann misst er ihn bald kalauernd, bald mit vollem Ernst an seinen Figuren und an ihrer Gegenwart. War Gott der Herr nicht selbst ein früher Damenschneider, als er aus Adam die erste Dame schnitt? Umgekehrt ist auch Schulzes Ost-Couturier ein Schöpfer, weil er mit feinen Stoffen die Frauen zu dem macht, was sie sein könnten. Dass diese professionelle Hybris bisweilen im Sündenfall eines erweiterten Kundendienstes endet, gehört zum metaphorischen Programm des Romans und ist überdies sein erzählerischer Ausgangspunkt … Ein Autor der grossen politischen Conclusio ist Ingo Schulze in «Adam und Evelyn» nicht. Die Frage, was es denn bedeutet, dass die Ereignisse so gekommen sind, will er in seinem Roman nicht selbst beantworten. Deshalb lässt er seine Figuren reden. Er erfindet Zwiegespräche, deren seitenlanges Stakkato die subtile Psychologie der Zeit besser offenbart, als es jedes allwissende Erzählen könnte. Im geschäftigen Schwätzen modulieren sich die Stimmen von Ingo Schulzes Figuren, das ewige Für und Wider, das fast zwanzig Jahre nach dem Fall des Eisernen Vorhangs noch nicht verstummt ist Die Welt (positiv) ... Schulze wurde darüber nicht zu einem politischen Romancier, zumindest nicht zu einem, der Romane über das politische Milieu schreibt. Er wurde vielmehr zu einem Dichter der Versuchung und Verführung und Verlockung, zu einem Moralisten ohne dogmatisches moralisches Koordinatensystem, zu einem Erzähler, der seine Figuren vor immer neue, hoch ambivalente Lebensentscheidungen stellt, auf die es für sie nie die einzig richtige Antwort gibt. Schulze liefert sie den schrecklichsten Versuchungen aus, um dann zu beobachten, ob ihre Kraft und ihr Mut so groß ist, ihnen nachzugeben oder so klein, ihnen zu widerstehen … "Adam und Evelyn" ist eine Serie von 55 betont lakonischen Kurzgeschichten, die sich auf das Handeln und Reden der Figuren konzentrieren, deren Gedanken aber fast immer verschweigen ... Bei welcher Gelegenheit Evelyn ihrer Freundin den Cousin ausspannt und weshalb sie ihn wieder verlässt, warum Adam seine Evelyn zurückgewinnt und wann er sich doch entschließt, mit ihr in den Westen zu fahren und dort zu bleiben - all das wird von Schulze durch seine hüpfende Erzählweise ausgespart und so der Neugier und Fantasie der Leser überlassen. Er liefert keine mehr oder minder schlüssigen psychologischen Beschreibungen, sondern stellt das Verhalten seiner Figuren zu Beobachtung aus … Indem Schulze das Verhalten seiner Figuren nie kommentiert und ihre Meinungen mit Gegenmeinungen anderer Figuren wie ein meisterlicher Dramatiker fein ausbalanciert, legt er dem Leser kein bestimmtes Urteil über sie nahe, sondern sorgt dafür, dass die Urteile über sie wechseln, je nachdem aus welcher Perspektive man sie betrachtet … Mit "Adam und Evelyn" hat Ingo Schulze nach "Neue Leben" (2005) einen zweiten wunderbar lesbaren und zugleich literarisch hoch komplexen Roman über die Wiedervereinigung geschrieben Textem (positiv) Kaum ein Autor trifft den Ton des ost-west-deutschen Dialogs besser als Ingo Schulze. In seinem neuen Roman rückt er die Flucht aus der DDR in die Nähe einer Vertreibung aus dem Paradies und macht dabei deutlich, wie es heute um die deutsch-deutschen Verhältnisse steht. … „Adam und Evelyn“ schafft Erkenntnis über die deutsch-deutschen Zustände, indem er in angenehm leichter Manier Befindlichkeiten offen legt, die zu lange unberücksichtigt geblieben sind. Er legt die Hoffnungen und Erwartungen ebenso offen wie die Bedenken, Ängste und Sorgen der Menschen – die der Wendezeit und die aktuellen. Wer etwas über die Tage der Wiedervereinigung und über den Zustand unserer vereint-gespaltenen Gesellschaft erfahren möchte, der greife zu Schulzes neuem Roman. Der Leser kann sich nicht gegen die Wirkung dieses Romans verwehren, der nicht nur Erkenntnis schafft, sondern auch Lust auf mehr macht. „Adam und Evelyn“ ist in seiner Leichtigkeit und in der in den unzähligen Dialogen verursachten sprachlichen Bescheidenheit nicht unbedingt Schulzes bestes Buch. Aber es ist ein zutiefst menschliches Buch. Seine Nominierung für den Deutschen Buchpreis 2008 macht darüber hinaus mehr als deutlich, dass Schulze einer der besten Geschichtenerzähler unseres Landes ist