Was mir an dem Roman Adam und Evelyn gefällt 1) Die Charaktere sind Menschen, nicht fiktive Erdichtungen. Der Erzähler lässt die Figuren ihr eigenes Leben führen. Oft habe ich den Eindruck, der Erzähler selber weiß nicht, warum die Figuren so handeln und denken. Nur ab und zu fällt es uns auf, dass diese Geschichte eigentlich erzählt, und nicht nur vor Augen aufgeführt wird. Hier spielt auch das offenen Ende eine Rolle: anscheinend weiß der Erzähler selber nicht, wie die Zukunft für Adam und Evelyn und Katja aussieht. Sind sie aus dem Paradies freiwillig gewandert oder sind sie in dem Paradies angelangt? Oder ist der Gedanke an einem Paradies eine Chimäre? Wir können unsere eigene Zukunft nicht voraussagen; diese Figuren sind in der selben Lage wie wir! 2) Der natürliche Dialog. Die Figuren führen echte Gespräche. Jede Figur hat ihre eigene Art und Weise, Gedanken zum Ausdruck zu bringen (d.h. Adam spricht nicht wie Evelyn und Michael, und umgekehrt). Manchmal werden Sätze und Gedankengänge plötzlich abgebrochen, um ein ganz anderes Thema anzuschneiden, oder damit man ein gewisses Thema verschweigt—wie in einem ganz normalen Gespräch 3) Die subtilen Hinweise auf historische Begebenheiten und Entwicklungen. Mit Ausnahme von Katja und Michael (und vielleicht auch noch Marek) interessieren sich keine Figuren für die Revolution, die sich damals in der DDR anbahnt. Hier und da hört man von den Ereignissen in Berlin oder in Leipzig, aber diese spielen sich vorwiegend in dem Hintergrund ab. Die Figuren im Roman sind Alltagsmenschen und als solche interessieren sich vor allem für ihre eigenen (kleinen) persönlichen Angelegenheiten und weniger für das, was bald eine ganz neue Weltordnung mit sich bringt Dabei darf man nicht übersehen, dass die revolutionäre Stimmung stets vorhanden ist. Wir erfahren von Herrn Angyals Teilnahme an der ungarischen Revolution im Jahre 1956; von Onkel Eberhards Kampf gegen die Regierung und anschließender Verhaftung in Bautzen; von dem passiven Widerstand, den Adams Vater geleistet hat; von den Bürgern in Leipzig und Berlin, die im September und Oktober 1989 demokratische Rechte und Freiheiten forderten. Das Heldenhafte ist auch ein großes Thema im Roman: man muss sich fragen, inwiefern Adam oder Katja oder Evelyn sich heldenhaft verhalten, selbstverständlich im kleinen, privaten Bereich 4) Die Unsicherheit und Verdächtigungen, die immer wieder auftauchen. Schon von Anfang an wird von Spionen gesprochen, sei es auch nur sarkastisch gemeint. Überall im Roman stößt man auf Figuren (vorwiegend fremde Männer), die man für Spione oder Stasi-Agenten hält. Verdacht wird auf Michael und Adam gelenkt. Es wird übrigens nie erklärt, ob irgendwer als Spion oder Stasi oder inoffizieller Mitarbeiter tätig war— vielleicht war es keiner, vielleicht waren es alle! 5) Die Symbolik. Die Andeutungen auf das erste Kapitel der Bibel liegen auf der Hand: überall hört man von Paradies, Gärten, Feigen und anderen Früchten, und einige Kapitel später im Roman sind diesem ersten Kapitel gewidmet. Adam stiehlt sogar eine Kopie der Bibel aus dem Hotel, und der Name „Lilli“ weist auf Adams erste Frau hin („Lillith“). Tiere spielen eine nicht zu unterschätzende Rolle, besonders die Schildkröte und die Elster. Die Musik ist auch erwähnenswert. Im zweiten Kapitel spielt Adam Haydns „Die Schöpfung“ (noch eine Andeutung auf die Bibel und auf das Paradies!); im letzten Kapitel behauptet Adam, er habe diese Musik gehabt, bevor man in sein Haus eingebrochen war. Und schließlich: Kleidungsstücke wandern von Figur zu Figur. Wer trägt wessen Kleidungsstück wann und warum? Diese reichhaltige Symbolik verlieht dem Roman eine Tiefe, die sich wohl erst nach mehrmaligem Lesen aufschließen lässt 6) Die Struktur des Romans. Die erste Hälfte des Romans rückt Adam in den Vordergrund: er ist die große Mitte, um die sich alles dreht. Kapitel 23 und 33 bilden den Wendepunkt im Roman: von diesen Seiten an wird Adam immer mehr in den Hintergrund gedrängt, als Evelyn und Katja sich immer kräftiger durchsetzen. Evelyn ist viel mehr redseliger als Adam, also in den letzten Kapitel erfahren wir mehr Konkretes über die zwei Figuren als vorher. Vielleicht will der Erzähler damit auf den Generationsunterschied zwischen den älteren Männern und den jüngeren Frauen aufmerksam machen? 7) Der embryonische Ossi-Wessi Konflikt, der sich erst nach der Vereinigung zu beobachten ist: Im großen und ganzen kann Adam Michael gar nicht leiden, weil er das Schlechte an dem Westen darstellt. Michael versteht auch nicht die Verhaltensweise seiner ostdeutschen Bekannten. Auch von Interesse: Es ist immer noch unklar, wer der Vater des Kindes ist: Westdeutscher oder Ostdeutscher? Darf man also dem Kind einen symbolischen Wert beimessen, als Vertreter der neuen Generation, die von der schmerzlichen deutschen Trennung nichts (oder wenig) erfahren wird? Was mir an dem Roman Adam und Evelyn nicht gefällt 1) Mona bleibt eine Schattenfigur. Wir erfahren nur wenig über Mona, auch wenn sie anscheinend großen Einfluss auf Evelyn ausübte. Ihr Verhältnis zu Michael bleibt auch einigermaßen im Dunkeln 2) Der Erzähler erwähnt und beobachtet vieles, was nichts zur Handlung beiträgt. In fast jedem Kapitel werden alltägliche Details beschrieben, die ins Nichts führen. Zum Beispiel, Evelyn hatte eine Gänsehaut (48), oder Adam beobachtet, wie die Frau an der Rezeption die Pflanzen begoss (66), oder ein paar Spritzer Ketchup landeten auf dem Tisch (90). Der Roman wimmelt von solchen nichtssagenden Details