Liebe Gemeinde, „Katholiken sind anders als normale Menschen

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Liebe Gemeinde,
„Katholiken sind anders als normale Menschen, weil sie schlechter
sind!“
„Protestanten und Atheisten kommen in die Hölle!“ – so einfach
ist die Welt. Die einen sind schlecht und nicht normal, die andern
kommen gleich in die Hölle.
Und was meinen Sie zu uns? – zum Glück kommen diese
Aussagen aus Nordirland und aus Kindermund – was es nicht
besser macht. Aber mal unter uns – es ist noch nicht so lange
her, da verprügelten sich auch bei uns, die Evangelen und
Katholen – auf dem Weg zur Schule und überhaupt.
Wenn es also um Toleranz geht, dann sind wir die richtigen oder
eben nicht. Wir, die Kirchenvertreter wissen, wovon wir reden,
denn wir haben einen Ballast an Schuld und Verantwortung
mitzutragen. Und ich höre schon wie uns die Stichworte
Kreuzzüge, Inquisition, Hinrichtung von Ketzern und Hexen zu
recht entgegen geschmettert werden. Sind wir nicht die
Institutionen, die sich jahrhundertelang die Intoleranz geradezu
auf die Fahnen geschrieben hatten? Toleranz und Kirche,
evangelisch oder katholisch, da muss man erst mal drauf
kommen. Das liegt nicht auf der Hand. Aber, wir sind darauf
gekommen, und das nicht erst heute.
Wie Sie wissen, nähern wir uns in großen Schritten dem
Reformationsjubiläum im Jahr 2017. Bis dahin gibt es in jedem
Jahr einen anderen thematischen Schwerpunkt. Die Vereinigten
Kirchenkreise nehmen seit einigen Jahren diese Themen auf und
es ist ein guter Brauch geworden, sie beim Reinoldustag
ökumenisch zu bedenken. Vor allem in diesem Jahr, denn das
Thema der Toleranz geht uns alle auch als Bürgerinnen und
Bürger dieser Stadt in besonderer Weise an.
Tolerant zu sein ist nichts besonderes, eher Zeichen der Zeit,
modern, will eigentlich jeder, jede sein, gehört dazu. Man ist eben
tolerant – klar. Warum auch nicht. Wir alle sind locker und
entspannt, immer gut drauf. Die kleinen Unterschiede dürfen sein
und wenn der Nachbar den Schnee nicht bis 08.00 Uhr
weggeschaufelt hat. „Ach, das passt scho!“ – ist in vielen Fällen
eine gern gegebene Antwort, die sich durch ihre Ausdrucklosigkeit
immer größerer Beliebtheit erfreut. „Passt schon!“ – ein Verhalten
wird hingenommen, weil man keine Lust hat sich aufzuregen,
keine Lust hat auf Diskussionen, weil vieles auch schlichtweg egal
ist. Das allerdings, liebe Gemeinde, hat nichts mit Toleranz zu
tun. Wenn alles eigentlich egal ist, dann ist im Umkehrschluss
auch nichts wirklich wichtig und weist auf einen großen Mangel an
eigenen Wertvorstellungen hin. Toleranz in diesem Sinne ist
nichts anderes als Prinzipienlosigkeit.
„Alles egal“ und Toleranz haben nichts miteinander zu tun.
Toleranz im eigentlichen Sinne dagegen kommt von dem
lateinischen Wort „tolerare“ und meint, dass ein bestimmtes
Verhalten eines anderen Menschen oder einer anderen Gruppe zu
ertragen sei. Und in diesem Wort „ertragen“ schwingt mit, dass es
mir eben nicht leicht fällt, andere Ansichten und Positionen als
legitim zu akzeptieren. Aber ich tue es – ich ertrage es, trag es
mit. Und eben in diesem Schritt bin ich gefordert, genau da wird
es anstrengend. Wir haben versucht in knappen Sätzen
zusammenzufassen was Toleranz für uns bedeutet, und nennen
es das Dortmunder Toleranzedikt. Wir haben es im
Gottesdienstablauf abgedruckt. Sie können es dort lesen.
Wenn wir als Kirchen von der Toleranz reden, dann schwingt auch
immer das Ringen um die Wahrheit mit. „Religion, die nicht wahr
sein will, verpflichtet zu nichts und lohnt die Mühe nicht“ schreibt
der ZEIT Redakteur Jan Roß. Wer aber um die Wahrheit ringt,
nach Wertvorstellungen sucht, und sich mit seinen Postionen in
die politische Debatte einbringt, der kann und muss dennoch
tolerant sein.
Toleranz ist vielleicht nicht das Kennzeichen der christlichen
Religionen. Die Bibel enthält dennoch ein großes
Toleranzpotential, das sich im Wesentlichen auf den Umgang
Gottes mit uns Menschen bezieht. Wir sind, bei Weitem, nicht
perfekt. Und doch bleiben wir Gottes Geschöpfe, von ihm geliebt
und bejaht. Wie heißt es in der Bergpredigt provokativ: „Liebt
eure Feinde und bittet für die, die euch verfolgen, damit ihr
Kinder seid eures Vaters im Himmel. Denn er, Gott, lässt seine
Sonne aufgehen über Böse und Gute und lässt regnen über
Gerechte und Ungerechte.“ Gottes Toleranz, liebe Gemeinde, ist
grenzenlos. Und wir?
Es gibt einen kleinen Vers in der Bibel, auch Bergpredigt, der
unter der Überschrift „Die goldene Regel“ zusammen gefasst ist:
„Alles nun, was ihr wollt, dass euch die Leute tun sollen, das tut
ihnen auch. Das ist das Gesetz und die Propheten.“ (Mt 7,12).
Vielen bekannt ist die adaptierte Form dieses Verses: „Was du
nicht willst, dass man dir tu, das füg auch keinem anderen zu.“ „Was du nicht willst, dass man dir tu!“ - Sie merken, liebe
Gemeinde, dass das Sprichwort, das seine Wurzeln in dem
Bibelvers aus dem Matthäusevangelium hat, passiv besetzt ist. Es
geht darum, wie man vom anderen behandelt werden möchte,
bzw. – und darum ist das Sprichwort auch nicht nur passiv,
sondern auch negativ besetzt – wie man NICHT behandelt werden
möchte. Es geht also um ein Vermeiden von Handlungen, die mir
selbst schaden könnten. Und damit ich keinem Schaden
ausgesetzt werde, füge ich das negative Handeln auch keinem
meiner Mitmenschen zu.
Der Bibelvers hingegen, ist positiv besetzt. Nicht umsonst steht er
am Ende der Bergpredigt und fasst alles, was darin beschrieben
wird, in den Worten zusammen: „Alles nun, was euch die Leute
tun sollen, tut ihnen auch.“ Darin steckt eine
Handlungsanweisung, auch eine Zumutung Gottes. Denn es
kommt darauf an, sich in die Situation des anderen
hineinzuversetzen. Man könnte von daher die Goldene Regel auch
umformulieren: Was du willst, das ein anderer dir tun möge,
wenn du in seiner Situation bist, das tue du ihm! In diesem Sinne
könnte man die Goldene Regel auch eine Einfühlungs- oder
Empathieregel nennen. Was für diese Empathie notwendig ist,
hat Jesus uns vorgelebt: echtes Interesse gehört dazu, ebenso
wie ein gutes Zuhören und das Bemühen um ein Verstehen.
Augenhöhe im Dialog ist wichtig, eine Bereitschaft, auf das
eigene, vorschnelle Urteil zu verzichten und vor allem: immer
auch um die eigene Unvollkommenheit zu wissen. Und es gehört
dazu, dass wir uns bewusst machen, dass wir alle aus Gottes
Zuwendung leben. Das wirkt wie ein fromme Formulierung, ist sie
auch. Aber vielleicht erreicht sie uns, wenn wir einmal für einen
kleinen Augenblick uns klarmachen, dass wir als Menschen immer
zuerst Empfangende sind. Gott nimmt uns so, wie wir sind – eben
als gerechte oder ungerechte. Das kann sehr entlastend sein.
Und wenn wir das so sehen und glauben können, dann, liebe
Gemeinde, können wir uns in den anderen hineinversetzen und
die goldene Regel im Sinne der Toleranz anwenden. Zum Beispiel
im interreligiösen Dialog. Ich versuche mich in die Position des
anderen hineinzudenken, versuche zu verstehen, zu tolerieren,
was fremd bleibt, und bleibe im Gespräch, ohne mich selbst zu
verleugnen.
Diese Toleranz auf der empathischen Basis der Goldenen Regel,
dass sich Hineindenken in den anderen, eröffnet Gespräche,
öffnet verhärtete Fronten. Ich denke an die Debatte im die
Standorte der Forensik. Wir wollen sie alle, die sichere
Unterbringung kranker Gewalttäter – doch nicht bei uns.
Da hat die Toleranz Grenzen. Und es kommt auf uns an nun die
Diskussion sachlich und einfühlsam zu führen, im Sinne der
Menschen, die sicher untergebracht werden sollen, die Menschen
sind, ja, die eine Menschenwürde haben, und im Sinne
derjenigen, die Angst haben, die sich Sorgen machen. Toleranz im
Sinne von dulden und ertragen kommt da schnell an ihre Grenzen
und es ist gut wenn wir als Kirchen das Gespräch suchen und
fördern.
Oder der Umgang mit den Neonazis in unserer Stadt. Null
Toleranz heißt da das Stichwort. Doch auch hier müssen wir im
Gespräch bleiben, dürfen wir die Neonazis als Menschen nie
aufgeben. Sie sind gefährlich. Sie sind gewalttätig. Sie sind
Rassisten und ewig gestrige, die den menschenverachtenden
Nationalsozialismus am liebsten wieder einführen würden. Ich
mag nicht daran zu denken, wenn diese Menschen Einfluss und
Macht bekämen.
Und dennoch, wir müssen mit ihnen reden, uns immer wieder
anbieten. Und auch für sie gilt. „Alles nun, was ihr wollt, dass
euch die Leute tun sollen, das tut ihnen auch.“
Deshalb ist es oft ein langer und mühsamer Weg, etwas oder
jemanden zu tolerieren. Und am Ende dieses Weges kann auch
die Erkenntnis stehen, dass etwas fremd bleibt und meine
Toleranz an ihre Grenzen stößt.
Als christliche Kirchen wollen wir uns in unserer Stadt um
Toleranz bemühen. Das ist bisweilen anstrengend, manchmal für
uns, manchmal auch für andere. Toleranz wächst aus unserem
Glauben. Und manchmal sagen deshalb andere: „Der Glaube
stört, die Religion ist schwierig, die Kirche nervt.“ Aber: Das ist
gut so! Es geht darum, dass wir uns einmischen, wo ein Urteil zu
schnell gefällt wird oder eine Entscheidung nicht nachvollziehbar
ist. Da, wo Menschen sich in die Enge getrieben fühlen und
andere sich ausgestoßen. Da, wo Mauern gebaut und Freiheiten
eingeschränkt werden. Immer da, wo der Friede der Menschen
und der Friede unserer Stadt bedroht wird. Auch wenn es
anstrengend ist – Toleranz ist nicht nur ein Segen für uns,
sondern auch für unsere Stadt. Amen
Nachtrag für die, die es noch nicht wissen: Wir, die Katholiken
und Protestanten, wie verhauen uns nicht mehr, wir sind
inzwischen tolerant.
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