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Fachgruppe Bildung & Wissenschaft
Gedanken zum politischen Mensch und zum
aufrechten Gang
Oskar Negt
Samstag, 3. Oktober 2015, 10.30 – 12.30, Pavillon Volksgarten, Graz
Oskar Negt gilt als einer der bedeutendsten Sozialphilosophen im deutschsprachigen Raum. Er
studierte bei Horkheimer und Adorno, war Assistent bei Habermas und wichtiger Denker der
Frankfurter Schule. Legendär und breitenwirksam wurden seine gemeinsamen Arbeiten mit dem
Filmemacher Alexander Kluge. Bis zu seiner Emeritierung 2002 war er Professor für Soziologie an
der Universität Hannover. In seinen zahlreichen Büchern und Veröffentlichungen der letzten Jahre
beschäftigte er sich vor allem mit Fragen zur menschlichen Arbeit, Würde und Gerechtigkeit im
Zeitalter der sogenannten Globalisierung.
Negt leitet mit der Feststellung ein, dass wir in einer Zeit einschneidender Umbrüche und
gesellschaftlicher Verwerfungen leben. Zum aktuellen Flüchtlingsphänomen verweist er eindringlich
darauf, dass in der Diskussion darüber die verursachenden Wirkfaktoren des Kapitalismus stets
unterschlagen werden. Solange vor allem asiatische und afrikanische Staaten am globalen Markt in
sozialdarwinistischer Manier behandelt werden, können sie auch nicht längerfristig wettbewerbsund lebensfähig werden. Was können die Menschen dort daher anderes tun als zu fliehen?
Negt benennt drei maßgebliche „Entwertungen“, die ein alles dominierender und überlagernder
Kapitalismus mit sich bringt: Es sind diese jene der Bindung, der Erfahrung und der Erinnerung.
Bindungslosigkeit führt zu Ort- und Orientierungslosigkeit, Erfahrungsentwertung entwertet das
Individuum zur Gänze und ohne Erinnerung ist die Besinnung auf die Vergangenheit nicht möglich.
Negt formuliert eine Kapitalismuskritik, die diese Entwertungen beachtet und einbezieht.
Im Weiteren verweist Negt in seinem Vortrag auf die ursprünglichen Ideen eines Vereinten
Europas. 70 Jahren Frieden in Europa machten vor allem auch nachhaltige historische Lernprozesse
möglich. Der Blick auf die Sozialstaatlichkeit öffnete und veränderte sich entscheidend. Vor allem
diese nahm den Menschen die Angst und sicherte so die Demokratie. Die immer stärker werdenden
Tendenzen der gesellschaftlichen Polarisierung, der individuellen Flexibilisierung und der
Abkoppelung von Menschen und Gesellschaften gleichermaßen, bergen daher auch immense
Gefahren für unsere Sicherheit und Demokratie. Negt wendet sich gegen den Anspruch der
Alternativlosigkeit und dem des „Bunkers“, mit dem Europa verteidigt werden müsse.
Negt schließt mit dem Gedanken, dass die Förderung der autonomen Urteilsfähigkeit der Menschen
nicht mehr betrieben wird. Normen, die früher von außen kamen, findet man nun oftmals bereits
vollkommen internalisiert. Der neue unternehmerische Mensch verstrickt sich so immer mehr und
kontinuierlich in Konkurrenzkämpfe, die nur Gewinner oder Verlierer kennt und hervorbringt. Der
„Angstrohstoff“ in der Gesellschaft wächst damit kontinuierlich. Dies sei eine der Erklärungen dafür,
dass die psychischen Erkrankungen in den letzten Jahren einen dramatischen Anstieg erlebt haben.
Für das Individuum müsse Bildung mehr denn je Hilfe zur Selbsthilfe bedeuten und vor allem die
Autonomiefähigkeit des Einzelnen stärken. Auf volkswirtschaftlicher Ebene gehe es vor allem
darum, im Sinne einer solidarischen Ökonomie andere Länder nicht zu schwächen – wie dies mit
Griechenland geschehen ist - sondern sie zu stärken.
Prof. Dr. Elgrid Messner und HR Dr. Joachim Gruber
Leiter/innen der Fachgruppe Bildung & Wissenschaft
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