Wohin mit meiner Wut?

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Predigt „Wohin mit meiner Wut?“
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12. April 2015; Pfr. B. Botschen
Wohin mit meiner Wut?
In der Bibel gibt es ein spannendes Beispiel für Wut. Saul war der erste König des Volkes
Israel. Sein Problem mit dem Zorn beginnt, als der junge David auftaucht und Goliath
besiegt. Zuerst erkennt Saul das Potenzial in David und macht ihn zum obersten Heerführer.
Er profitiert von diesem begabten jungen Mann. Aber nach einem besonders erfolgreichen
Kriegszug von David singen die Frauen auf der Strasse: „Saul hat tausend erschlagen, aber
David zehntausend.“ Da wird Saul zornig und rastet komplett aus.
1. Was steckt hinter der Wut?
Grundsätzlich heisst es in der Bibel: „Seid langsam zum Zorn.“ (Jak.1,19b). Natürlich ist es
für niemanden lustig, wenn die Frauen so etwas auf der Strasse singen. Aber bei Saul wird
das Ganze dramatisch, weil sich hier ein Problem bei ihm zeigt. Sein Wert hängt davon ab,
dass er der Beste ist. Wehe, jemand ist erfolgreicher als er. Sein ganzes Fundament gerät
ins Wanken. Die Situation macht ihn so wütend, weil er unsicher ist.
Wenn man häufig wütend wird, dann stellt sich die Frage: „Warum werde ich so schnell
zornig? Was löst diesen Zorn aus? Warum habe ich so schnell das Gefühl, jemand trampelt
auf mir herum?“ Dahinter kann die Angst stecken, nicht geachtet und respektiert zu werden.
Wenn mein Wert davon abhängt, dass mich andere respektieren, reagiere ich bei jeder
Kleinigkeit, bei der ich in Frage gestellt werde, mit Zorn. Ich nehme Dinge schnell persönlich.
Wut kann Ausdruck von Hilflosigkeit sein. Bei körperlicher Gewalt in einer Ehe oder Kindern
gegenüber ist das oft der Fall. Ich weiss nicht mehr, was tun. Ich fühle mich überfordert. Ich
habe Angst, nicht ernst genommen zu werden. Deshalb werde ich schnell laut, damit man
mich ernst nimmt. Deshalb schlage ich zu.
Der Unterschied zwischen Saul und David ist so gross, weil man bei David spürt, dass er in
Gott verwurzelt ist. Gott gibt ihm seinen Wert. Nach diesem Lied der Frauen degradiert Saul
ihn. Er gibt ihm einen lächerlichen Posten und macht ihn zum Chef über tausend Mann. Aber
das ändert nichts am Verhalten von David. Es heisst: „Und David zog aus und ein vor dem
Kriegsvolk und richtete all sein Tun recht aus.“ (1.Sam.18,5-16). David tut einfach seine
Pflicht. Was Saul macht, verändert nichts an seinem Wert.
Das ist die erste Frage in dieser Geschichte: Wenn jemand ein Problem mit Zorn hat – was
steckt dahinter? Ist es eine Frage unseres Wertes? Warum haben wir es nötig, so schnell
laut zu werden? Darf Gott der sein, der uns unseren Wert zuspricht?
2. Die Wut herauslassen?
Schauen wir uns nun an, was passiert, wenn jemand seinen Zorn einfach heraus-lässt. Saul
rastet komplett aus. Als David bei ihm ist, packt er einen Speer und versucht, ihn
aufzuspiessen. Eine unglaubliche Szene! Etwas später macht Saul genau das, was auch uns
immer wieder passiert. Er verletzt mit seinen Worten seine nächsten Angehörigen. Weil Saul
merkt, dass sein Sohn Jonathan sich gut mit David versteht, beschimpft er ihn aufs Übelste:
„Da packte Saul der Zorn; er schrie Jonatan an: „Du Sohn einer ehrlosen Mutter! Ich weiss
sehr wohl, dass du zu diesem hergelaufenen Kerl hälst. Schande über dich und deine
Mutter!“ Wie verletzend muss das für Jonatan gewesen sein!
Dieser Moment vom Zorn kann verheerend sein. Das gilt besonders für die Worte, die man in
der Wut anderen an den Kopf wirft. „Du bist so ein Versager!“, und ähnliches. Und wenn man
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12. April 2015; Pfr. B. Botschen
fünf Mal nachher dieser Person sagt „Ich liebe dich“, kann man die verheerende Kraft von so
Worten nicht ungeschehen machen. Deshalb warnt Jesus eindringlich vor der Wirkung
unserer Worte: „Ich sage euch aber, dass die Menschen Rechenschaft geben müssen am
Tag des Gerichts von jedem nichtsnutzigen Wort, das sie geredet haben.“ (Matth.12,36).
Wer im Zorn die Beherrschung verliert, zerstört viel. In der Bibel heisst es deshalb: „Wenn
ihr zornig seid, sündigt nicht!“ (Eph.4,26). Die biblische Linie ist klar: Zuerst heisst es „Seid
langsam zum Zorn.“ Wir sollen nicht Menschen sein, die schnell zornig werden. Aber wenn
wir zornig werden, dann sollte bei uns ein Warnlämpchen aufleuchten. Achtung, jetzt ist die
Gefahr, Beziehungen kaputt zu machen, so gross wie niemals sonst!
Im Moment vom Zorn ist es wichtig, zu wissen, wie man am besten damit umgeht. Ich kenne
jemanden, der dann einfach geht. Er hat sich dann nicht mehr unter Kontrolle. Er weiss
genau, wenn er jetzt am Familientisch bleiben würde, dann würde er in seinem Zorn Dinge
sagen, die andere verletzen. Es ist besser, er macht einen Spaziergang und beruhigt sich
zuerst einmal.
So eine Auszeit hilft auch, wenn man sich in einer Diskussion mit dem Partner nur noch
anschreit. Dann ist es besser, zu sagen: „Wir brauchen eine Auszeit!“ Ich habe mir das bei
E-Mails, die mich ärgern, angewöhnt, mindestens eine Nacht darüber zu schlafen, bevor ich
reagiere.
Diese Pausen sind auch eine Chance, Gott ins Boot zu holen. Wenn ich mit Gott darüber
rede, sehe ich das Ganze oft noch etwas anders. Ich versuche, andere Menschen mit seinen
Augen zu sehen. Ich versuche, ihnen zu vergeben. Ich spüre besser, welche Fehler ich
gemacht habe.
Zu all dem ist Saul nicht fähig. Zuerst beschimpft er Jonatan. Dann schreit er: „David muss
sterben.“ Jonatan wagt es noch, nachzufragen: „Warum muss David sterben? Was hat er
getan?“ Da zückt Saul den Spiess, um Jonatan zu durchbohren. (1.Sam.20,24ff)
Unglaublich, dass sich die Sache mit dem Speer beim eigenen Sohn wiederholt.
Psychologen sagen, dass man, wenn man die Schwelle zum Zorn nicht kontrolliert, die WutVerbindungen im Gehirn, stärkt. Mit jedem Mal, in dem man schnell zornig wird, steigt die
Wahrscheinlichkeit, dass man in der nächsten Situation wieder wütend wird. Wie häufig man
wütend wird, können wir beeinflussen. Wenn man einmal den anderen angeschrien hat, geht
es beim zweiten Mal schon schneller. Wer einmal zugeschlagen hat, macht es einfacher
auch ein zweites Mal. Die „Wutbahn“ ist vorbereitet.
Wenn das Herauslassen des Zorns wenigstens den inneren Druck lösen würden. Aber
Psychologen schreiben - zumindest in den Artikeln, die ich als Vorbereitung für diese Predigt
gelesen habe: Alle Menschen wissen „Zorn herunterschlucken ist ungesund“. Aber dass es
noch ungesünder ist, Zorn immer Raum zu geben, ist nicht bekannt. Wenn man
Aggressionen auslebt, wird kein Stress abgebaut, sondern er nimmt noch zu. Die
Gesundheit wird fast noch mehr geschädigt, als wenn man den Zorn herunterschluckt.
3. Die unterdrückte Wut
Eine Alternative ist, seinen Zorn einfach hinunter zu schlucken. Ein Vers in dieser
Geschichte gibt mir zu denken: Als Jonatan von seinem Vater vor allen Leuten beleidigt wird,
steht da: „Voller Zorn stand er vom Tisch auf und ass an diesem Tag keinen Bissen mehr. Er
war tief getroffen, weil sein Vater seinen Freund David so beschimpft hatte.“ (1.Sam.20,34).
Irgendwie stimmt da etwas nicht. Ich habe extra den Bibeltext genau angeschaut. Saul hat in
dieser Szene gar nicht David beschimpft. Er hat Jonatan aufs Gröbste beleidigt und zu ihm
gesagt: „Du Sohn einer ehrlosen Mutter!“ Andere übersetzen mit: „Du Hurensohn!“ Jonatan
empfindet zwar Zorn, aber nur wegen David. Und was ist mit ihm?
Predigt „Wohin mit meiner Wut?“
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12. April 2015; Pfr. B. Botschen
Als junger Erwachsener dachte ich mir: „Ein Christ wird nicht zornig!“ Mein Vater war sehr
sanftmütig. Ich kann mich nicht daran erinnern, ihn jemals zornig erlebt zu haben. Er war
mein Vorbild. Dann wurde ich auch noch bewusst Christ und dachte mir: „Genau so sollte
man eigentlich sein, wenn man als Christ leben möchte!“ Ich wurde zu einem jungen Mann,
der von sich gedacht hat: „Ich bin eigentlich nie zornig!“ Irgendwann habe ich begonnen,
mich zu fragen: „Bin ich wirklich nicht zornig? Oder fühle ich es einfach nicht?“ Für mich war
es ein richtiger Lernprozess, Zorn überhaupt zu fühlen.
In der Bibel wird nicht erwartet, dass wir Wut unterdrücken. Denn wenn es in der Bibel heisst
„Seid langsam zum Zorn“ , wird Zorn damit nicht komplett verboten. Wir sollen grundsätzlich
freundlich und geduldig sein. Aber es gibt Situationen, in denen es angemessen ist, zornig
zu sein.
Auch Jesus wurde einmal zornig, als er zum Tempel kam. Der Tempel sollte der Ort sein, an
dem man Gott sucht und zu ihm betet. Stattdessen hatten sich Händler eingenistet, um ihre
Geschäfte zu machen. Da heisst es: „Jesus machte eine Geissel aus Stricken und trieb sie
alle zum Tempel hinaus samt den Schafen und Rindern und schüttete den Wechslern das
Geld aus und stiess die Tische um.“ (Joh.2,15). Jesus hat sich nicht vor die Händler
hingestellt und gesagt: „Versteht ihr nicht? Was ihr macht, ist schon nicht so ideal. Da sollten
wir eine Lösung suchen.“ Jesus wurde zornig und energisch, er warf Tische um und
schüttete Geld aus.
Es gibt einen richtigen Rahmen für Zorn. Gefühle zu unterdrücken, löst das Problem nicht.
Sie sind immer noch da. Sie können kann krank machen und zu Depressionen führen, wenn
sich die Aggressionen dann gegen innen richten.
Für eine Partnerschaft ist es heikel, wenn einer immer unter die Räder kommt, aber nie
wütend wird. Ein Beispiel: Die Frau fühlt sich schlecht von ihrem Partner behandelt. Er sagt
oft abschätzige Dinge, die sie verletzen. Sie schluckt alles herunter. Nach aussen wirkt das
sehr geduldig. Aber tief in ihr staut sich der Groll und die Verbitterung. Eine unsichtbare,
trennende Mauer zu ihrem Partner wächst in die Höhe.
Jemand hat geschrieben: „Menschen, die ihre Wut unterdrücken, verlieren mit den Jahren
die Verbindung zu dem, was ihnen eigentlich wichtig ist; sie entfremden sich den eigenen
Bedürfnissen und Wünschen.“ Die Wut wäre für diese Menschen wichtig, weil sie ihnen
helfen würde, endlich mit Nachdruck zu sagen, was ihnen wichtig ist.
Ja, die Bibel sagt: „Seid langsam zum Zorn.“ Aber manche Menschen müssen sich fragen:
„Kontrolliere ich meinen Zorn so perfekt, dass ich ihn schon gar nicht mehr wahrnehme?
Lasse ich Sachen zu, bei denen ich schon längst reagieren müsste? Kann ich Wut
wahrnehmen? Habe ich es gelernt, sie auch auszudrücken?“ Zu einem gesunden
Menschsein gehört auch das dazu!
Das Beispiel von Saul stellt uns vor ein paar Fragen: Werde ich oft zornig? Habe ich mir
einfach angewöhnt, zornig zu werden, weil das so bequem für mich ist? Wenn ich oft zornig
werde, was steckt dahinter? Im Moment des Zorns: Haben wir Wege gefunden, so zornig zu
sein, dass wir nicht sündigen? Oder verletzen wir andere mit unseren Worten? Und zuletzt:
Nehme ich mich richtig wahr? Spüre ich Zorn? Kann ich ihn auch ausdrücken?
Das Ziel ist in der Bibel klar und besteht aus zwei Sätzen: „Seid langsam zum Zorn.“ Und:
„Wenn ihr zürnt, sündigt nicht.“ AMEN.
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