Lies das doch mal richtig!

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Political Correctness
Stereotype in Kinderbüchern
Verfassen Sie eine textgebundene Erörterung.
Situation: Auf Anregungen Ihrer Deutschlehrerin nehmen Sie mit einem Beitrag über (Geschlechter)Stereotype in Kinderbüchern am diesjährigen Gendersymposion der Hertha Firnberg Schulen teil. Die Organisatorin dieser Veranstaltung möchte heuer erstmals eine Nachlese
herausgeben, in der alle Symposionsbeiträge in schriftlicher Form verfügbar sind. Daher verfassen Sie nun zu Ihrem Thema eine textgebundene Erörterung.
Lesen Sie den Essay „Lies das doch mal richtig!“ aus der deutschen Wochenzeitung der Freitag
vom 22. August 2012 (Textbeilage 1).
Verfassen Sie nun die textgebundene Erörterung und bearbeiten Sie dabei die folgenden Arbeitsaufträge:
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Fassen Sie kurz zusammen, welchen Umgang die Autorin mit Stereotypen in Kinderbüchern empfiehlt.
Analysieren Sie die Argumente und Beispiele, die Katrin Rönicke anführt, um ihren
Standpunkt zu stützen.
Setzen Sie sich kritisch mit der Argumentation der Verfasserin auseinander und stellen
Sie Ihre eigene Position zu dem Thema dar.
Schreiben Sie zwischen 400 und 500 Wörter. Markieren Sie Absätze mittels Leerzeilen.
Aufgabe 1/Textbeilage 1
Genderkolumne
LIES DAS DOCH MAL RICHTIG!
Der Umgang mit Kinderbüchern und Filmen, die nicht politisch korrekt sind, ist
schwierig - es braucht aber nicht andere Figuren, sondern Eltern, die sie ein- Kurzzusammenfassung des
ordnen können
Absatzes (auch Stichworte
möglich)
Von Katrin Rönicke
1 Inspiriert durch den Podcast Märchenstunde von Björn Grau und Max Winde
über Aschenputtel, geht es diesmal um die Frage: Wie sollen wir Erwachsenen
damit umgehen, dass Kinderbücher voller Stereotype und fragwürdiger, etwa
diskriminierender Botschaften sind?
2 Angefangen bei den alten Märchen kann sicherlich gesagt werden: Vorsicht
vor den Jahrhunderte alten Gender-Stereotypen. Die Auswüchse können
schlimm sein: In der Geschichte Rumpelstilzchen, die es unter anderem auch als
kleines Pixi-Büchlein gibt, kommt es quasi zu einer Vergewaltigung der Müllerstochter durch den König. Das habe ich einmal nichtsahnend vorgelesen – danach ist es sofort in den Müll gewandert. Natürlich spielen die Märchen zu einer
völlig anderen Zeit. Die Gepflogenheiten und die Rollen waren noch viel fester,
starrer und für uns heute kaum nachvollziehbar. Gewalt fand in einem gänzlich
größeren Ausmaß statt. So gesehen sind Märchen vielleicht ohnehin besser geeignet für ältere Kinder und Jugendliche. Wann auch immer diese eben dazu in
der Lage sind, sie durch unsere Hilfe zu kontextualisieren1.
3 Es einordnen und die „anderen Zeiten“ berücksichtigen, in denen ein Werk
entstanden ist, das ist eine recht wichtige Methode im Umgang mit Geschichten,
die man heute so nicht mehr erfinden oder erzählen würde. Ein recht bekanntes
und pikantes, emotional aufgeladenes Beispiel ist in diesem Zusammenhang der
Streit über die Verwendung des Wortes Neger in den Pippi-Langstrumpf-Geschichten. Der Sprachwissenschaftler Anatol Stefanowitsch hat sich intensiv mit
der Frage auseinandergesetzt, wie der beste Umgang damit wäre. Dabei hat er
zuerst beim Vorlesen selbst interveniert2 und aus der Negerprinzessin eine Südseeprinzessin gemacht. Pragmatisch und zielführend. Wie aber geht man verantwortungsvoll mit der Fernsehserie um?
4 Sie nicht schauen, weil die Bücher ausreichend sind, ist eine Methode. Doch
wenn einem die Serie ans Herz gewachsen ist und man die filmische Umsetzung
auch an seine Kinder weitergeben will? Anatol Stefanowitsch würde antworten:
Schicken wir Pippi doch in den Ruhestand. Sie sei so voller Diskriminierungen,
dass es keine gute Methode gebe, sie Grundschul- oder gar Kindergartenkindern
zu zeigen. Das Problem ist: Spätestens bei dieser Forderung steigen ganz viele
VorleserInnen und Erwachsene aus der Diskussion aus. Pippi von Bord gehen zu
lassen – das bringen wir nicht übers Herz.
5 "Barbamama" ist Hausfrau
Wo wir gerade bei den Fernsehserien sind: Eine Zeichentrickserie, die gerade
ein kleines Revival erlebt, sind die Barbapapas. Das sind bunte Wesen, die sich
in alles verwandeln können, was sie wollen. Viele Kinder lieben diese Familie.
Aber: Der Held ist fast immer „Barbapapa“, er rettet viele Menschen. Seine Frau,
„Barbamama“, ist eine Hausfrau. Die Serie ist in den Siebzigern entstanden. Dass
hier heteronormativ3 die Kleinfamilie abgebildet wird, war damals fast die Regel.
Doch die Stereotype in Barbapapa sind heute schmerzhaft. Die Kinder sind klar
entlang von Mädchen- und Jungen-Rollen konstruiert. Was also tun?
6 Hier ist es wichtig, den Fokus nicht zu sehr auf eine einzelne Geschichte zu
legen, sondern eine Vogelperspektive darauf zu werfen, womit man die Kinder
„beschallt“. Ist das ein buntes Angebot mit vielfältigen Geschlechterrollen und
Familienbildern? Dann sehe ich an Barbapapa nichts Dramatisches. Als ein Angebot, eine Geschichte von vielen, ist es nicht mehr so schlimm. Andere und
weniger normative4 Rollenbilder sind vorhanden.
7 Nicht geschlechtslos
Willi Wiberg zum Beispiel hat einen Papa, keine Mama. Sein Papa ist sehr fürsorglich und liebevoll. Zusammen erleben sie ganz alltägliche Mini-Dramen, die
viel Spaß machen und ein positives Menschenbild vermitteln. Ein weiteres schönes Rollenbild ist Die kleine Hexe von Lieve Baeten. Sie ist zwar ein Mädchen,
eine Hexe eben, aber sie ist ein Kind, mit dem sich alle Kinder identifizieren können. Das vergessen übrigens wir Erwachsenen gerne, wenn wir Kinderbücher
kritisch hinterfragen: Dass Identifikationsfiguren für alle Kinder nicht geschlechtslos sein müssen (wie dies oft in Tiergeschichten versucht wird), sondern dass sie sich so verhalten müssen. Kinder denken oft viel freier und weniger
eng und kategorisiert, als Erwachsene. Da kann sich auch ein Junge mit Pippi
Langstrumpf identifizieren. Ein Mädchen fühlt sich als Seppel (einer der beiden
Hauptfiguren in Otfried Preußlers Räuber Hotzenplotz).
8 Das ist für Kinder häufig noch keine Frage von Belang. Im Gegenteil: Wir Erwachsenen sollten bei unserer Überaufmerksamkeit die Vorstellungskraft der
Kinder nicht unterschätzen und sie schlimmstenfalls durch unsere Sorgen einschränken, indem wir laut Dinge sagen wie „Aber der Seppel ist doch ein Junge
– wie schade, dass es bei Otfried Preußler keine Mädchen gibt, die den Räuber
zur Rechenschaft ziehen.“ Im Gegenteil: Unsere Aufgabe ist es, sie zu bestärken,
sich mit allem zu identifizieren, womit sie wollen – jenseits von unseren eigenen
Normen in Bezug auf Geschlecht.
9 Sei wie du bist, Kind
Und auch für diskriminierungsfreies Denken sind Kinder offener. Auch hier kann
ihre Fähigkeit, sich mit allem Möglichen zu identifizieren, genutzt werden. In
Ganz toll! von Trish Cooke hat die Hauptrolle ein schwarzes Kind und es wird
eine Atmosphäre durch das Erzählen geschaffen, in die sich alle Kinder hineinfühlen und hineinfantasieren. Ähnlich die Geschichte Das kleine Ich bin Ich von
Mira Lobe. Es ist bunt und sieht aus wie kein anderes Tier auf der bunten Blumenwiese und in den Gewässern. Zuerst ist es deswegen traurig, aber dann lernt
es, sich so zu akzeptieren, wie es ist.
10 Sei wie du bist, Kind – so heißt die durchgehende Botschaft Astrid Lindgrens
und die vieler anderer AutorInnen, etwas Kirsten Boie. In dieser Haltung sehe
ich die entscheidende Brücke, zwischen Political Correctness (Ich benutze den
Begriff hier nicht abwertend! Im Gegenteil) und dem Wunsch, GeschichtenSchätze nicht zu vergraben, sondern weiterzugeben. Wir Erwachsenen müssen
es in unserer Haltung gegenüber Kindern schaffen, ihnen als Grundwert und
Rüstzeug mit auf den Weg zu geben, dass alle Menschen das gleiche Recht auf
ihre Würde haben. Dazu müssen unsere Kinder am eigenen Leibe die Erfahrung
machen können, sein zu dürfen, wie sie sind. Das ist der erste und wichtigste
Schritt im Sinne einer diskriminierungsfreien Pädagogik. Wenn sie das an sich
selbst nachspüren können, werden sie besser in der Lage sein, auch andere so
zu behandeln.
11 Über Geschichten sprechen
Es kommt also weniger auf die Politische Korrektheit der Geschichten an, als auf
all jene, die vorlesen und mit daran beteiligt sind, Kindern Werte vorzuleben. Es
kommt weniger auf die Inhalte von Büchern an, als auf unsere Art zu lesen und
mit den Kindern über die Geschichten zu sprechen. […] Wir haben nämlich immer noch auch selbst in der Hand, wie unsere Kinder mit Geschichten umgehen
– wir sind nicht bloß ausgeliefert und fremdbestimmt. Genauso wenig wie unsere Kinder – zumindest im Idealfall.
Quelle: https://www.freitag.de/autoren/katrin/lies-doch-mal-richtig
1
kontextualisieren = eine Äußerung in einen Sach- und Situationszusammenhang stellen, aus dem heraus sie
verstanden werden muss
2
intervenieren = eingreifen, sich einschalten
3
Heteronormativität beschreibt eine Weltsicht, die Heterosexualität als soziale Norm und Homosexualität dementsprechend als Abweichung auffasst
4
normativ = eine Regel, einen Maßstab für etwas darstellend
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