Was ist ein gutes Therapiegespräch? Carl Rogers (1902 – 1987) war Psychologe und Psychotherapeut und hatte einen Lehrauftrag als Professor für Psychologie und Psychiatrie. Er war einer der großen Autoren und Praktiker der Gesprächspsychotherapie. Seine Arbeiten wirken in viele Bereiche der angewandten Psychologie, Soziologie, Pädagogik und andere Bereiche kommunikativer Arbeit hinein. Insbesondere geht auf ihn die Entwicklung der Gesprächstherapie zurück. Dieser von ihm geschaffene patientenzentrierte Ansatz ist heute u. a. sowohl fester Bestandteil der Gesprächsführung im Rahmen von Therapiegesprächen, als auch in der generellen Gesprächsführung der alltäglichen pädagogischen Arbeit mit Patienten und auch der professionellen Gesprächsführung im wirtschaftlichen Bereich. Das gleiche gilt übrigens auch für die Axiome von Paul Watzlawick und Mitarbeitern, die wir im letzten Kapitel vorgestellt haben. Sein letztes Lebensjahrzehnt widmete Rogers vielfältigen Aktivitäten zur Friedenssicherung. Psychotherapie geht von einigen Grundgedanken aus, aus denen sich Forderungen an die Haltung des Therapeuten ergeben. Diese Grundgedanken von Carl Rogers, die den Rahmen eines Therapiegespräches darstellen, innerhalb dessen die therapeutischen Prozesse ablaufen, basieren auf langjähriger Erfahrung mit der gesprächstherapeutischen Arbeit. ● Dem Menschen ist die Tendenz zu Eigen, die ihm innewohnenden Möglichkeiten zu entfalten, konstruktiv und sozial verbindend, sowohl in geistiger wie in körperlicher Hinsicht. ● Dem Menschen sind seine Erlebnisse grundsätzlich zugänglich. Seine Erinnerungen müssen nicht gedeutet oder interpretiert werden. Alles, was ihn ausmacht, ist hier und jetzt anwesend, es bedarf keiner darüber hinaus gehender Annahmen, um ihn zu verstehen. ● Therapie findet im realen Zusammentreffen mit dem Therapeuten statt. ● Die Persönlichkeit des Therapeuten hat eine wichtige Funktion. Daraus ergibt sich die Forderung nach Echtheit des Therapeuten. ● Persönlichkeit des Patienten und Therapie befinden sich in einem Prozess. Es gibt nicht die eine, alles entscheidende Persönlichkeitsstruktur. ● Das Erleben des Therapieverlaufs hat eine heilende Wirkung. Daraus ergibt sich die Forderung nach Akzeptanz des Patienten. Interessant ist nach Rogers das „Wie“ von Veränderung, nicht das „Warum“ von Problemen. Damit ist er auch an den Grundlagen der konstruktivistischen und systemischen Therapien beteiligt. 1.1.1 Die Voraussetzungen Nach Ansicht vieler psychotherapeutischer Richtungen von der Psychoanalyse bis zu den neuesten Zweigen der Verhaltenstherapie ist eine tragfähige therapeutische Beziehung die Grundlage eines Therapieerfolges. Hier herrscht weitgehende Einigkeit. Drei Begriffe kennzeichnen ein gutes Therapiegespräch: das Vorhandensein von Empathie, Akzeptanz und Kongruenz. Schauen wir uns diese drei Begriffe einmal etwas genauer an. 1.1.1.1 Empathie Empathie, bezeichnet man die Fähigkeit eines Menschen, sich kognitiv in einen anderen Menschen hineinzuversetzen, dessen Gefühle nachzuvollziehen und sich damit über sein Denken und Handeln klar zu werden. Sie bezeichnet das Einfühlungsvermögen eines Menschen. Eine indianische Redensart, die sich auf die Empathie bezieht, lautet: „Urteile nie über einen anderen, bevor Du nicht einen Mond lang in seinen Mokassins gegangen bist“: sich in seine Rolle, seine Perspektive einfühlen Sie ist eine grundlegende Einstellung. Sie bedeutet, dass der Therapeut ist in der Welt des Patienten zu Hause ist. Er entwickelt ein Gespür für die innere Welt des Patienten. Das funktioniert am einfachsten, indem er lernt, seine Sprache zu sprechen, die Welt mit dessen Augen zu sehen. Damit bewirkt er eine Spiegelung der Emotionen des Patienten. Der kann das Verständnis und die 1 / 36 Akzeptanz als ein bestärkendes Erlebnis wahrnehmen. Daraus wachsen Selbstvertrauen und Selbstbewusstsein. 1.1.1.2 Akzeptanz Akzeptanz, aus dem Lateinischen, accipere für annehmen, übernehmen, billigen, gutheißen. Ein alternativer Begriff ist Wertschätzung. Im Therapiegespräch bedeutet Zuwendung, die frei von Beurteilung und Bewertung der Gedanken, Gefühle und Handlungen des Patienten ist. Es bedeutet so viel wie annehmen, anerkennen, einwilligen, hinnehmen, billigen, mit jemandem oder etwas einverstanden sein. Der Therapeut hat keinen Argwohn, dass der Patient im Grunde ganz anders ist und sich verstellt. Dadurch gewinnt der Patient eine verbesserte Möglichkeit zur Selbstexploration. Sie wird unterstützt durch die unbedingte positive Wertschätzung des Patienten in seinem Entwicklungsprozess. 1.1.1.3 Kongruenz Kongruenz, aus dem Lateinischen congruens für übereinstimmend, passend, bezeichnet die Übereinstimmung von Fühlen, Denken und Handeln. Ein alternativer Begriff ist die Echtheit. In der Geometrie werden zwei Flächen als kongruent bezeichnet, wenn sie zur Deckung gebracht werden können. Kongruenz ist die grundlegendste Einstellung und wichtigste Eigenschaft einer unterstützenden Kommunikation. Der Therapeut ist er selbst, ohne Fassade oder Maske. Er zeigt sich offen und ehrlich, ist sich dabei seines Erlebens und Empfindens gewahr. So wie die Begegnung von Patient und Therapeut eine direkte Begegnung von Mensch zu Mensch. Dies sind einerseits Ansprüche von einem hohen moralischen, ethischen und menschlichen Niveau, andererseits aber auch andererseits Grundhaltungen, die einem therapeutisch arbeitenden Menschen abgefordert werden sollten. Zum Nachdenken ● ● ● Können Sie sich an eine Erfahrung erinnern, in der Ihnen Empathie, Akzeptanz oder Kongruenz begegnet sind? Denken Sie beispielsweise an Ihre Großeltern. Was hat diese Begegnung in Ihnen ausgelöst? Was hat sie mit Ihnen gemacht? Woran können Sie sich noch erinnern? Wie haben Sie sich in diesem Moment gefühlt? Die Zielsetzung dieser Grundhaltungen, die mit einigen Risiken behaftet zu sein scheinen, da sie ja vom Therapeuten den vollen Einsatz seiner Fähigkeiten und Persönlichkeit verlangen, lässt sich folgendermaßen darstellen: ● Es wird eine Aktualisierungstendenz angestrebt, die Einstellung auf neue Gegebenheiten mit Anpassung der Einschätzung und des Verhaltens. Diese Neujustierung soll für den Patienten ganzheitlich befriedigend sein. ● Der Patient soll erkennen, dass sein Selbstkonzept ein änderbares Muster bezüglich der eigenen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft darstellt. Die Geschichte ist nicht auf eine definierte und unveränderliche Art und Weise, sondern Bestandteil seiner Selbsteinschätzung. Damit erfährt sie eine Neubewertung, was allerdings ein mit Erschütterungen verbundener Prozess sein kann. ● Es geht um die Entwicklung einer voll funktionsfähige Persönlichkeit, die gekennzeichnet ist durch die Eigenschaften der ○ Offenheit gegenüber Erfahrungen ○ Übereinstimmung von Selbstbild und Erfahrung ○ Wertschätzung des eigenen Selbst ○ unverzerrten Realitätswahrnehmung sowie ○ reifer, befriedigender sozialer Interaktionen. Ein gutes Gespräch ist durch den Erfolg definiert. Woran ist der Erfolg eines Gespräches zu messen? Was der eine für ein gelungenes Gespräch hält, reicht dem anderen noch lange nicht aus. Die Vorstellungen davon, was ein gutes Gespräch ausmacht, sind von Mensch zu Mensch und von Fall zu 2 / 36 Fall verschieden. Das abendliche Gespräch im Freundeskreis unterliegt anderen Ansprüchen als das Fachgespräch mit dem persönlichen Banker, Ihrem Computerexperten oder das therapeutische Gespräch. Ein gutes Therapiegespräch setzt kommunikative Kompetenz voraus. „Kommunikative Kompetenz meint nicht das Erreichen irgendeiner Art von Perfektion, kommunikativ kompetent zu sein bedeutet vielmehr, emotionale Fallen und Rückschläge vermeiden und Schaden, der nicht zu vermeiden war, wieder in Ordnung bringen zu können.“ Carl Rogers beschreibt die Entwicklung der Persönlichkeit, sowohl innerhalb eines Therapiegespräches als auch innerhalb des eigenen Lebens, als in sieben Stufen ablaufend, die sich in der Kommunikation und auch dem Sprachgebrauch widerspiegeln. Er beschreibt sie als einen Prozess, der durch kongruentes Verhalten und kongruente Kommunikation gefördert wird, also durch ein Verhalten, das mit dem Individuum übereinstimmt und bei dem keine Notwendigkeit besteht, sich zu verstellen. Die Beschreibung der Stufengliederung ist hierarchisch und wertend, von der untersten zu höchsten Stufe verlaufend. Die sieben Stufen der Persönlichkeitsentwicklung Stufe Status quo 1 Die Ausgangssituation ● ● ● 2 ● ● ● ● 3 ● ● ● ● 4 ● ● ● Veränderungsdimension Gefühle Das Selbst- und Weltbild ist rigide, von außen bestimmt und vom eigenen Erleben entfernt. „Was sollen die Anderen denken?“ Der Wunsch nach Änderung ist nicht bewusst, Probleme werden nicht erkannt. „Uns geht’s doch gut. Wir haben keine Probleme.“ In diesem Stadium ist die Prognose auf einen Therapieerfolg schlecht. Externe Probleme werden abstrakt beschrieben: „Das Leben Welterleben ist eben ...“. Die eigenen Gefühle sind dem Menschen fremd. „Das stört mich überhaupt nicht.“ Es findet keine Unterscheidung zwischen Einstellungen und Tatsachen statt. „Wenn der Arzt / Pfarrer / Direktor das sagt, ist das so.“ Die Sprache ist bestimmt von Begriffen wie „nie, immer, nur, ist einfach so...“ Es tritt eine Lockerung, eine Befreiung ein. „Es könnte ja sein, Persönliche Konstrukte ...“ Änderungen treten ein. Gefühle und ihre persönliche Bedeutung werden beschrieben. „So richtig wohl fühle ich mich damit nicht ...“ Die erkannte Rolle ist nicht etwas Feststehendes, sondern veränderbar. „Früher war das anders bei mir.“ Selbst- und Weltbild bekommt Risse. Das Wachstum ist mit Krisen verbunden. Gefühle werden geäußert oder brechen im so genannten Äußerungen Nervenzusammenbruch hervor. „Ich halte das einfach nicht mehr aus.“ Das eigene Erleben wird aus geringer zeitlicher Distanz wahrgenommen. „Sofort kriege ich Herzklopfen.“ Eine Lockerung der Konstruktionen tritt ein, sie werden 3 / 36 ● 5 ● ● ● ● ● ● 6 ● ● ● ● 7 ● ● ● ● durchschaut. „Der tut doch nur so.“ Es kommt zu einem Bewusstwerden des eigenen Anteils an Problemen. Ein Gewinn von Sicherheit in der Lebenssituation tritt ein. „Ich mag so etwas nicht.“ Gefühle werden als unmittelbar und gegenwärtig geäußert. „Das lasse ich mir nicht mehr gefallen.“ Empfindungen und persönliche Bedeutungen werden voll erlebt, bisweilen mit Angst, Misstrauen und Erstaunen. „Ich wundere mich, dass ich das so lange ertragen habe, aber jetzt ist Schluss damit.“ Es entsteht der Wunsch nach Selbstkongruenz: ich will so sein (dürfen), wie ich bin. Es stellt sich ein Verständnis dafür ein, dass man Teil eines Problems als auch Teil der Lösung sein kann. Die Diskrepanz zwischen Selbstbild und Erleben wird erfahrbar: „Ich kann mich da nicht mehr selbst betrügen.“ Kopf und Herz werden gemeinsam erlebt. Es tritt ein voll akzeptiertes, unmittelbares Erleben von Gefühlen ein, oft begleitet von psychosomatischen Reaktionen. „Da reagieren meine Fühler sofort, ich gehe sofort in Hab-AchtStellung.“ Die eigenen Konstrukte werden als solche erkannt. „Ich habe ja meinen Teil dazu beigetragen.“ Oft tritt eine allgemeine Verunsicherung ein. „Ich weiß gar nicht, ob ich das nicht selbst verschuldet habe.“ Der Patient befindet sich in einem beständigen Prozess der Veränderung bezüglich seines Selbst- und Weltbildes. Die eigenen Gefühle werden unmittelbar und nuancenreich erlebt. Der Patient weiß, was ihm gut tut und was nicht, und er handelt entsprechend. Das Selbsterleben wird zum Bezugspunkt. Er richtet sich in seinen Entscheidungen und in Übereinstimmung mit seinen Werten nach seiner persönlichen Weltsicht. Der Mensch entwickelt aufgrund Erfahrung ein beständiges Vertrauen in sich selbst. Das Selbstbild und das Selbsterleben stimmen überein. Beziehungen zu Problemen Zwischenmenschliche Beziehungen Die Zusammenkunft aller Dimensionen der Persönlichkeit 4 / 36 Warum sollten sich Menschen der Mühsal einer solchen Entwicklung unterziehen, die von mancherlei Unsicherheiten und Risiken begleitet ist? Diese Entwicklung ist wünschenswert im Sinne des Zugewinns von Lebensqualität. Sie wird durch unterstützende Kommunikation und unterstützendes Feedback von begleitenden Menschen gefördert. Entsprechend dieser Entwicklung, die der Patient auch im Rahmen einer Therapie mitmachen kann, stellen sich auch notwendige Veränderungen ein, die unterschiedliche Lebensbereiche betreffen. In der 1. Stufe sind das Veränderungen im Bereich der Gefühle, die sich in der Selbstwahrnehmung von nicht zu sich selbst zugehörig bis hin zu einer differenzierteren Wahrnehmung entwickeln werden. In der 2. Stufe stellen sich Veränderungen im Erleben der Welt und der Mitmenschen ein, das sich von distanziert bis hin zu unmittelbar entwickeln wird. Die 3. Stufe ist gekennzeichnet durch Veränderungen in den persönlichen Konstrukten, die sich von starr und rigide hin zu fließend und beweglich entwickeln. In der 4. Stufe treten die Veränderungen bei den Selbstäußerungen ein: von der Abneigung, persönlich Stellung zu beziehen, bis hin zur unmittelbaren Äußerung. Die 5. Stufe weist Veränderungen in der Beziehung zu Problemen auf. Es beginnt mit nicht erkannten Beziehungen und reicht bis zu verantwortlichen Beziehungen zu Schwierigkeiten und Problemen. In der 6. Stufe der Entwicklung zeigen sich Veränderungen in den zwischenmenschlichen Beziehungen, die von Vermeidung bis zur umfassenden Fähigkeit dazu reichen. In der 7. und letzten Stufe kommt es zu einer Verbindung der bisher genannten Entwicklungen zu einer einheitlichen Persönlichkeit. Bedenken Sie bitte, dass jede Veränderung einer Lebenssituation für den Betroffenen eine Krise bedeutet, mit der Chance auf einen positiven Ausgang, allerdings auch mit einer gefühlten und gefürchteten Chance auf einen Misserfolg. Die in dem Modell der Persönlichkeitsentwicklung erwähnten Veränderungen weisen kaum eine Chance auf einen Misserfolg auf, aber der Patient fürchtet den Misserfolg, und allein diese Tatsache bedeutet, dass er, wenn er sich wirklich auf den Weg des Wachstums begibt, mancherlei Unterstützung braucht. Zum Nachdenken ● Erinnern Sie sich bitte an Kommunikationsprozesse mit Menschen in unterschiedlichen Entwicklungsstufen der Persönlichkeitsentwicklung. ● Machen Sie sich klar, welches Echo diese verschiedenen Kommunikationen in Ihnen hinterlassen haben. ● Mit welchem der Menschen, die Ihnen einst begegnet sind, würden Sie gerne noch einmal einen Abend lang unter vier Augen sprechen? ● Wo würden Sie diesen Menschen auf der Skala der Persönlichkeitsentwicklung einordnen? 5 / 36 1.2 Die wichtigsten Kommunikationstipps Die folgenden Kommunikationstipps beziehen sich auf die Kommunikation im therapeutischen Gespräch. Sie sind nicht so gemeint, dass am Anfang eines Gespräches die Liste mit Tipps von den Gesprächspartnern unterzeichnet wird mit dem Versprechen, sich an sie zu halten, sondern als eine Unterstützung, die das Gespräch erleichtern und effizienter machen soll. Die Tipps sind zum Teil an Sie als Therapeut gerichtet, zum Teil sollte ihre Einhaltung beim Patienten unterstützt werden, auch wenn diese Unterteilung in Therapeuten- und Patiententipps nicht endgültig oder eindeutig ist. Wenn Sie feststellen, dass ein Patient die Kommunikationstipps verlässt, leiten Sie ihn sanft, nicht dirigistisch zu den Tipps zurück. Diese Tipps lassen sich übrigens auch gut und mit dem Erfolg der Kommunikationsverbesserung innerhalb einer Partnerschaft umsetzten. 6 / 36 1.2.1 Für den Therapeuten Sprechen Sie nicht per „man", „du" oder „wir", sondern sprechen Sie per „ich“. Die Wahl von man, du oder wir ist eine Methode, Verantwortung für die eigenen Aussagen zu vermeiden. Es ist eine Methode, sich von dem Gesagten zu distanzieren. Wenn Sie per ich sprechen, wird Ihr Kontakt zum Kommunikationspartner näher, vertrauen erweckender. ● Machen Sie persönliche Aussagen, stellen Sie keine inquisitorischen Fragen. Inquisitorische Fragen verdeutlichen dem Gefragten seine unterlegene Position. ● ● ● ● Interpretieren Sie nicht die Worte Ihres Patienten, sondern zeigen Sie persönliche Reaktionen. So ist sichergestellt, dass niemand stark verletzt wird. Interpretationen beschreiben nur die Sichtweise des Empfängers, nicht aber die des Senders; sie sind Quelle vielfältiger Missverständnisse und führen oft zu Streit. ● ● Sagen Sie nicht: „Man muss Verständnis dafür haben“, sondern sagen Sie: „Ich verstehe Sie recht gut.“ Sagen Sie nicht: „Das macht einen total fertig“, sondern sagen Sie: „Das macht mich total fertig.“ Sagen Sie nicht: „Da musst du dich doch fragen...“, sondern sagen Sie: „Da frage ich mich...“ Fragen Sie nicht: „Was würden Sie an meiner Stelle machen?“, sondern sagen Sie: „Ich habe Schwierigkeiten, das zu verstehen. Können Sie mir das erklären?“ Fragen Sie nicht: „Warum sind Sie so verschlossen mir gegenüber?“, sondern sagen Sie: „Es macht mich unsicher, dass Sie sich so schweigsam verhalten. Mache ich etwas falsch?“ Sagen Sie nicht: „Sie schweigen wahrscheinlich, weil Sie sich ertappt fühlen“ oder „weil Sie Angst haben, zu versagen“, sondern sagen Sie: „Ich finde es schade, dass Sie schweigen.“ Sagen Sie schon gar nicht: „Sie wollen ja nur Aufmerksamkeit“, denn es ist grundsätzlich fraglich, warum das Bedürfnis nach Aufmerksamkeit mit dem Wörtchen „nur“ diskreditiert werden sollte („Das Kind will ja nur seinen Willen durchsetzen“ oder „Der Suizidversuch war doch nur ein Ruf nach Aufmerksamkeit“: manche Menschen haben es noch nicht besser gelernt, haben aber trotzdem Rechte), sondern sagen Sie: „Es fällt mir auf, dass Sie diese Situation immer wieder beklagen.“ 7 / 36 Störungen haben Vorrang. Störungen beeinflussen den Fluss der Kommunikation oftmals nachhaltig und untergründig, so dass er Richtungen nimmt, die nicht beabsichtigt waren und oft nicht mehr überschaubar sind. Den meisten Menschen ist die Frage vertraut: „Wie kommen wir eigentlich jetzt auf dieses Thema?“ In einem Gespräch unter Freunden ist das völlig in Ordnung, in einem Gespräch zwischen Patient und Therapeut kann es ein Hinweis auf eine Störung sein. ● Fragen Sie ihren Patienten, ob es etwas gibt, was ihn stört. Stellen Sie keine Warum-Fragen, sondern Was-, Wann- und Wie-Fragen. Die Frage nach dem Warum richtet die Aufmerksamkeit auf spekulative Ursachen, die in der Vergangenheit liegen und nicht zu verändern sind. Warum-Fragen können manipulieren und heimlich kritisieren. ● Fragen Sie nicht: „Was ist die Ursache dieser Störung?“, sondern fragen Sie (entweder sich selbst oder Ihren Patienten): „Welches gegenwärtige Verhalten ist für die Störung verantwortlich?“ Fragen Sie nicht: „Wer ist daran schuld?“, sondern fragen Sie: „Was ist mein Anteil an dem Geschehen?“ Fragen Sie nicht: „Was steckt in Wirklichkeit dahinter?“, sondern fragen Sie: „Was geht hier eigentlich vor? Fragen Sie nicht: „Warum sind Sie so schlecht gelaunt?“, sondern fragen Sie: „Ich habe das Gefühl, dass sich Ihre Stimmung verändert. Täusche ich mich da? Möchten Sie mir sagen, was gerade geschieht?“ Fragen Sie nicht: „Warum sind Sie Alkoholiker?“ Sie könnten die Antwort bekommen: „Weil ich als Kind keine Gefühle zeigen durfte.“ Das ist ein Glaubenssatz, der unwiderlegbar ist, und damit ist die Diskussion beendet. Sagen Sie nicht: „Bei erwachsenen Männern ist das eben so“, sondern sagen Sie: „Ich habe damit Schwierigkeiten.“ Sagen Sie nicht: „Ich finde unser Gespräch unproduktiv“, sondern sagen Sie: „Ich würde dazu gerne auch Ihre Meinung hören.“ Sagen Sie nicht: „Ich finde so etwas feige“, sondern sagen Sie: „Ich habe den Eindruck, dass Ihnen das Angst verursacht. Stimmt das? Mögen Sie mir sagen, was Ihnen diese Angst verursacht?“ Diese so genannten Warum-Fragen müssen nicht mit dem Wort warum beginnen. Sie können uns in unterschiedlichem Gewand begegnen. Ihnen ist gemeinsam, dass sie die Ursache oder Schuld eines Zustandes ergründen wollen. Ludwig Wittgenstein drückte es so aus: „Wenn wir die Frage „warum“ unterdrücken, werden wir oft erst der wichtigen Tatsachen gewahr, die dann in unseren Untersuchungen zu einer Antwort führen.“ Vermeiden Sie verallgemeinernde Klischees. Verallgemeinerungen sind Ausdruck der Bequemlichkeit und lassen den Kontakt zwischen den Gesprächspartnern abreißen. Wenn Sie konkret sind, sind Sie viel eher im Kontakt mit Ihrem Patienten. ● ● ● ● ● ● ● 8 / 36 9 / 36 1.2.2 Für den Patienten Sie können die folgenden Kommunikationstipps an den Patienten weitergeben und ihn darin unterstützen, sie einzuhalten. Besonders wichtig ist das beim ersten Kommunikationstipp für Therapeuten: Sprechen Sie nicht per „man", „du" oder „wir", sondern sprechen Sie per „ich“. Auch für den Patienten gilt, dass die Verwendung von man, du oder wir eine Art von Sicherheitsabstand darstellt, der er sich nicht bedienen sollte, da er in der therapeutischen Situation in einer Ausnahmesituation ist: er ist geschützt. Hier braucht mancher Patient eine langfristigere Unterstützung. Berücksichtigen Sie Ihre Gefühle und geben Sie ihnen Ausdruck. Setzen Sie ihre Gefühle in Sprache um. Intellektualisieren Sie nicht, das ist eine Methode, sich von seinen Gefühlen zu distanzieren. Gefühle steuern unser Leben zu mindestens 60 Prozent. Meinungen und Gedanken sind oft nur die notdürftige Verkleidung von Gefühlen. ● ● Sagen Sie nicht: „Ich finde das ziemlich albern von mir“, sondern sagen Sie: „Ich staune darüber, dass ich solche Gefühle habe.“ Sie können als Therapeut nach dem emotionalen Hintergrund hinter den intellektuellen Sätzen Ihrer Patienten fragen. Sagen Sie nicht: „Frauen machen so etwas eben nicht gerne“, sondern sagen Sie: „Ich habe Angst davor.“ Sie können als Therapeut die Sätze Ihrer Patienten vorsichtig in Gefühle übersetzen. Störungen haben Vorrang. Auch hier gilt es, eventuelle Störungen zu erspüren und von der Seite des Therapeuten her gegebenenfalls anzusprechen. Nicht immer fällt es Patienten leicht, ihre Störungen zu registrieren und zu artikulieren. Es stellt sich manchmal auf Therapeutenseite das Gefühl ein, dass mit dem Patienten irgendetwas nicht stimmt, dass er irritiert ist oder abgelenkt, dass ihn etwas mehr oder weniger bewusst stört. Sprechen Sie den Patienten daraufhin an. Beachten Sie die nonverbale Kommunikation bei sich selbst und anderen. ● ● ● ● Meistens bedeutet Gähnen nicht mehr als Übermüdung oder Sauerstoffmangel, aber man kann auch beobachten, wie bei einem bestimmten Thema plötzlich alles Gähnen vorbei ist. Oder anfängt, je nach dem. Was bedeutet es, dass der Gesprächspartner immer wieder zur Uhr schaut? Hat er einen wichtigen Termin oder kann er das Ende des Gespräches nicht erwarten? Die Sitzhaltung des Kommunikationspartners ist meistens variabel. Wenn er nicht motorisch eingeschränkt ist, was bedeuten dann die übergeschlagenen Knie, die vor der Brust verschränkten Arme, der ausweichende Blick? Ist er Motoriker? Geben Sie Ihrem Gegenüber ein Feedback über das, was Sie wahrnehmen und fragen Sie nach, wenn Sie wissen wollen, ob es etwas bedeutet und was es bedeutet. 10 / 36 Jeder Mensch kann jederzeit Nein sagen, kann „ich will nicht“ sagen. Dies ist ein notwendiges Korrektiv für Prozessgeschwindigkeiten oder falsche Richtungen. Es ist für den Patienten wichtig, zu wissen, dass er über die Möglichkeit verfügt, einen Therapievorschlag oder eine Aufgabe abzulehnen. Er kann jederzeit sagen: „Nein, das möchte ich nicht, dafür fühle ich mich nicht sicher genug.“ Es kann sinnvoller sein, einmal nein zu sagen und damit seinen Standort zu bestimmen als sich auf jeden Fall auf jedes Abenteuer einzulassen, sehe es auch noch so lohnend aus. Wenn Sie als Therapeut das Nein eines Patienten nicht ertragen können, sollten Sie sich darüber klar werden, was das eigentlich für Sie bedeutet. Jeder Mensch besitzt ein gewisses Maß an Selbstverantwortlichkeit. Dieser Begriff ist vielschichtig. Im Gespräch mit seinem Therapeuten sollte ein Patient eigentlich jede Möglichkeit haben, die er braucht, sich über alles zu äußern. Der therapeutische Rahmen bietet idealerweise den Freiraum dafür. Jede Kommunikation bietet Chancen zu neuen Erfahrungen. Nun ist es Sache des Patienten, Mittel und Wege zu finden, die Chancen zu nutzen. Er bekommt mindestens so viel, wie er investiert, fast immer mehr. Daher sollte das Gespräch mit einem Kommunikationsprofi über den Einsatz von Engagement und Experimentierfreude eine Bereicherung sein. 11 / 36 1.2.3 Für beide Seiten Mit dieser Empfehlung sind Sie schon auf der therapeutischen Schiene: Verzichten Sie auf die Satzbestandteile „Ich kann nicht“ und „Ich weiß nicht“. Sagen Sie stattdessen: „Ich will nicht“ und „Es ist mir noch nicht bewusst“. Fangen Sie damit jetzt an und führen Sie diesen Versuch für mindestens eine Woche durch. Beobachten Sie, was geschieht und was sich verändert. Es ist nur ein Versuch, sie müssen nichts aufgeben oder riskieren. Wenn Ihnen der Versuch nicht mehr gefällt, können Sie jederzeit aufhören. 12 / 36 Übung Machen Sie ein Experiment: Ersetzen Sie, mindestens gedanklich, für eine Woche die beiden ersten Satzteile durch die zweiten Satzteile. Ich kann nicht → Ich will nicht. Ich weiß nicht → Es ist mir noch nicht bewusst. Verstehen Sie diesen Austausch bitte nicht als Einladung zur Unhöflichkeit oder zum Unfreundlichsein. Wenn ihr Partner Sie fragt, ob Sie ihm den Zucker geben können, müssen Sie nicht sagen: „Will ich nicht!“ Und es ist in Ordnung, zu sagen: „Ich weiß nicht, wie der Erste Hauptsatz der Thermodynamik lautet“ oder „Ich kann nicht acht Meter weit springen.“ Wenn ein Patient Sie fragt, ob Sie ihm die Schmerzen nehmen können, dann müssen Sie nicht sagen: ich will nicht. Wir sind nicht allmächtig. Was wir meinen, ist die Tendenz, sich mit den Satzteilen „ich kann nicht“ und „ich weiß nicht“ zum hilflosen Opfer der Wechselfälle des Lebens zu erklären. Das hat den Charakter einer selbst erfüllenden Prophezeiung. Der Sinn dieses Austausches besteht im Wesentlichen darin, anders über sich selbst zu denken. Dadurch verändert sich das Handeln, dadurch verändert sich die Wirklichkeit. Wir können nicht wissen, wie viel von dem, was wir tun, in unserer alleinigen Verantwortung liegt. Die Frage „Wo liegt die Grenze zwischen Schicksal und Entscheidung?“ ist unbeantwortet. Solange wir aber handeln oder denken, als hätten wir einen Einfluss auf den Verlauf der Ereignisse, werden wir unsere individuellen Möglichkeiten nutzen. Ob wir Opfer der Wechselfälle sind oder nicht, können wir nicht beantworten, es ist eine Frage der Weltanschauung und des Glaubens. Aber die Annahme, wir seien an der Verantwortung nicht beteiligt, führt jedenfalls in einen Fatalismus, dem das Kriterium der Unveränderlichkeit zu Eigen ist. Und der Fatalismus braucht keinen Therapeuten, sondern nur die im Schoß gefalteten Hände. Übungen ● ● ● ● Fragen Sie Ihren Partner/Ihre Partnerin bei der nächsten Gelegenheit, ob ihm/ihr aufgefallen ist, dass Sie bestimmte sprachliche Angewohnheiten haben, die Ihnen vielleicht noch nicht bewusst geworden sind. ○ Achten Sie dabei darauf, wie es Ihnen geht, wenn Sie fragen. ○ Achten Sie auch darauf, was die Antwort bei Ihnen auslöst. ○ Kommentieren Sie die Antworten Ihres Partners für 24 Stunden nicht. ○ Nehmen Sie in der gewünschten Weise Einfluss auf diese Angewohnheiten. Nehmen Sie einmal bewusst einen Menschen wahr, den Sie zum ersten Mal sehen und für eine kurze Zeit beobachten können. Achten Sie bitte auf die Reaktionen, die dieser Mensch bei Ihnen auslöst. Differenzieren sie möglichst, welcher Teil der Reaktion Ihr eigener Persönlichkeitsanteil ist und welcher durch den anderen Menschen ausgelöst wurde. Beobachten Sie, wann Menschen beim Sprechen von Ich-Aussagen zu Man- oder WirAussagen wechseln. Stellen Sie eine wenn auch spekulative Verknüpfung zwischen der Aussage und dem emotionalen Hintergrund her. Befinden Sie sich mit dieser Beobachtung in einem therapeutischen Prozess, so geben Sie dem Patienten ein Feedback und fragen Sie ihn, was der Wechsel zu bedeuten hat. Verzichten Sie für eine Woche mindestens in Gedanken auf folgende Satzbestandteile: „Ich kann nicht“ und „Ich weiß nicht.“ Sagen Sie sich stattdessen, mindestens im Stillen: „Ich will nicht“ und „Es ist mir noch nicht bewusst.“ Beobachten Sie, was sich dadurch in Ihrem Leben verändert. 13 / 36 FEEDBACK – Spiel 1.2.4 Checkliste für Feedback-Geber Folgende Überlegungen können als grundlegende Checkliste für ein Feedback betrachtet werden. Sie helfen, das Feedback auch für denjenigen, der es gibt, zu einem Gewinn zu machen, da es sich um ein „gespiegeltes Spiegelbild“ handelt. ● ● ● ● ● ● ● 1.2.5 ● ● ● ● Ich habe das Verhalten des Feedback-Partners beschrieben, indem ich das, was ich gesehen, gehört, gefühlt habe, meine persönliche Wahrnehmung, aufgezählt habe. Ich habe bei mir, als ich die Beobachtungen bei meinen Mitmenschen machte, folgende Reaktionen wahrgenommen: … Ich habe mein Feedback direkt im Anschluss auf meine Beobachtungen geben dürfen. Mein Feedback war vom Partner/in erfragt, erbeten. Ich habe den für den Feedback-Partner günstigsten und förderlichsten Zeitpunkt abgewartet. Ich habe es bei der Beschreibung belassen, da ich weiß, dass sonst Druck zu einer Veränderung besteht, ein Druck, den ich aus meinen Veränderungsprozessen als bedrängend empfand. Ich habe den Feedback-Nehmer über den Zweck meines Feedbacks aufgeklärt. Checkliste für Feedback-Nehmer Ich habe meinem Feedback-Geber genau beschrieben, über welchen Verhaltensbereich er/sie Rückmeldung geben soll. Ich habe mir Notizen über das Feedback gemacht ohne es zu bewerten. Ich habe das Feedback nicht kommentiert oder mich entschuldigt. Ich habe die 24-Stunden-Regel (keine Aussprache über Feedback weder mit Geber noch mit Außenstehendem) eingehalten. 14 / 36 1.3 Gutes Zuhören Gutes oder Aktives Zuhören erleichtert dem Patienten in einer schwierigen Situation das Sprechen. Woran erkennt man aktives Zuhören? Zustimmende Geräusche: sogar am Telefon können Sie Ihrem Gesprächspartner das Gefühl geben, dass Sie ihm aufmerksam zugehört wird, indem Sie diese kleinen, kaum wahrnehmbaren Geräusche machen, die mit „Mhm“, „aha“ oder ähnlichen Lauten beschrieben werden. Lächeln: einigen Menschen gelingt es sogar, am Telefon so zu lächeln, dass der Anrufende das spürt. Lächeln Sie, behalten Sie mit ruhigem Blick ihren Gesprächspartner im Auge und lächeln Sie ihn hin und wieder an. Wenn Sie das mit einem kleinen, fragenden „ja?“ verbinden, gewinnen Sie das Herz Ihres Gesprächspartners, bevor ihm das bewusst wird. Feedback: „Verstehe ich Sie richtig…?“ ist eine Frage, die den Kontakt zum Gegenüber hält und dafür sorgt, dass Sie auf einer Wellenlänge bleiben. Geben Sie das Gehörte kurz und mit eigenen Worten wieder, so fühlt sich der Patient verstanden. Gestik und Mimik, die Empathie erkennen lassen: Sie werden von Lebensgeschichten zu hören bekommen, die manches Mal traurig oder tragisch sind, immer aber dazu geführt haben, dass Ihnen dieser eine Mensch nun gegenüber sitzt. Lassen Sie ihn erkennen, dass Sie mitempfinden. Fragen Sie. Fragen Sie Ihren Patienten, was er dabei empfunden hat, was er daraufhin getan hat. wie es ihm ergangen ist, was danach geschah, ob er eine Erklärung für die Ereignisse hat und so weiter. Damit geben Sie einem Menschen am ehesten das Gefühl, dass Sie an seinem Bericht interessiert sind und dass Sie mehr davon hören wollen. Fragen stellen ist eine der wichtigsten Strategien unseres Berufes: wir brauchen so viele Informationen wie möglich, um sicher sein zu können, dass wir die Situation eines Patienten richtig einschätzen. Eine falsche Diagnose aufgrund einer nicht gestellten Frage macht, dass wir eine Myasthenia gravis als ein Burn-Out-Syndrom behandeln und damit eindeutig einen Kunstfehler begehen. Fragen Sie die Verhältnisse auch noch einmal von der anderen Seite und aus einer neuen Perspektive heraus ab. Meistens leiden die Patienten unter einer Störung der Befindlichkeit, und wir können uns in Ruhe der Therapie zuwenden. Aber manchmal liegen auch Krankheiten vor, die einer schnellen, fachärztlichen Behandlung bedürfen. Pauschal gesagt lässt sich Aktives Zuhören beschreiben als die Fähigkeit, auf den Ebenen der Sachinformation, der Selbstoffenbarung, der Beziehungsebene und der Appellebene im richtigen, das heißt vom Patienten, dem Sender gewünschten Maße zu hören. Drei erlernbare Faktoren kennzeichnen gutes Zuhören: Rapport, Pacing und Leading Rapport ist der gute Draht zum Gesprächspartner. Der Zuhörer stellt sich auf die Welt des Sprechers ein, er versucht nur, ihn zu verstehen. Dieses Zuhören wird durch den Blickkontakt dokumentiert, der aufmerksam und trotzdem ungezwungen ist. Pacing ist eine Art von Spiegeltechnik, die z. B. auch beim Flirten gut funktioniert. Der Zuhörer spiegelt den Sprechenden, indem er mit einer kleinen zeitlichen Verzögerung die Bewegungen und Haltungen des Sprechers nachvollzieht. Dies so erscheinen zu lassen, dass es sich nicht um ein nachäffen handelt, was es natürlich auch nicht sein soll, ist Übungssache. Menschen berichten davon, dass sich das Pacing bei einem ernst gemeinten Flirt von selbst einstellt und als Zeichen der Übereinstimmung gefühlt wird. Leading bedeutet, den Sprecher langsam und behutsam zu einer neuen Art des Denkens, Fühlens und Handelns zu führen, beispielsweise, indem Sie dem Sprecher Anekdoten aus Ihrer Erfahrung erzählen, in denen die Geschichte des Patienten vorkommt, die aber ein ungewohntes und positives Ende genommen hat. Beim Aktiven Zuhören, der Königsdisziplin, erfasst der Zuhörer nicht nur das inhaltlich Gesagte, sondern auch das tatsächlich Gemeinte sowie die mitschwingenden Gefühle des Sprechenden und gibt alles in eigenen Worten wieder, um den anderen zu signalisieren, dass und was alles (vollständig) angekommen ist. Aktives Zuhören ist die Hohe Kunst des Zuhörens, es gibt dem Sprecher nicht nur das Gefühl, dass er gehört wurde, sondern auch, dass er mehr sagen konnte, als er vorher wusste. 15 / 36 Michael Ende beschreibt in seinem Buch „Momo“ ein Mädchen, dessen besondere Stärke es war, Menschen so zuzuhören, dass sie befriedet heimgingen. Häufig sind es Kleinigkeiten, die Aktives Zuhören ausmachen. Der Aktive Zuhörer imitiert die Haltung des Sprechenden, beobachtet dessen Gesicht, stellt weiterführende und effektive Fragen, wechselt zwischen Nähe und Distanz zum Sprecher, je nachdem, wie der Sprechende an seinem Thema ist, er lässt kleine Geräusche der Aufmerksamkeit hören und so weiter. Wesentliche Elemente des Aktiven Zuhörens nach Rogers sind die folgenden drei Bedingungen: ● Empathische und offene Grundhaltung, ● Authentisches und kongruentes Auftreten sowie ● Akzeptanz und bedingungslose positive Beachtung der anderen Person. Die Autoren Alan J. Reiman und Lois Thies-Sprinthall haben 1997 in Mentoring and Supervision for Teacher Development, acht Leitlinien für die Anwendung des aktiven Zuhörens in der Lehrerausbildung entwickelt, die wir für die Arbeit des Therapeuten umformuliert haben: 16 / 36 ● Machen Sie sich bewusst, dass Patienten wahrscheinlich viele starke Gefühle hegen, wenn sie ihre Reise antreten. Wenn der Therapeut das Vertrauen des Patienten gewinnen kann, stellen sich viele Gelegenheiten zum aktiven Zuhören ein. ● Versuchen Sie herauszufinden, wann aktives Zuhören gut ist. Wenn die Mitteilung des Patienten keine besondere Besorgnis erkennen lässt, ist aktives Zuhören vielleicht gar nicht notwendig. Es ist jedoch wichtig, wenn Sie ihm bewusst und ernsthaft helfen wollen. ● Fassen Sie sich immer so kurz wie möglich, wenn Sie Ihr Verständnis der Gedanken, Gefühle oder Sorgen Ihres Patienten ausdrücken oder Nachfragen stellen. Weniger ist mehr. Die bloße Wiederholung der Worte des anderen ist oft wenig hilfreich. ● Seien Sie sich bewusst, dass die Fähigkeit zum aktiven Zuhören Zeit benötigt, um sich zu entwickeln. Am Anfang kommt man sich oft sehr hölzern und ungemütlich in seiner Rolle vor. Akzeptieren Sie dieses Gefühl als Teil des Lernprozesses. ● Lernen Sie, sorgenvollen Äußerungen von Patienten aktiv zuzuhören und ihnen notwendige Rückmeldungen zu geben. Wenn Ihnen keine notwendige und wichtige Information einfällt, dann hören Sie lieber schweigend zu, statt Überflüssiges zu sagen. ● Respektieren Sie Vertraulichkeit. Aktives Zuhören ermutigt Patienten, sich zu öffnen. Machen Sie sich klar, dass das, worüber geredet wird, vertraulich ist. ● Vertrauen Sie auf die Fähigkeit Ihrer Patienten, Probleme selbst zu lösen. Es ist wichtig, durch das Stellen von Fragen Lernprozesse 17 / 36 anzuregen und durch Beratung zu unterstützen; aber zum effektiven Lernen gehört, Problemlösungen selbst zu suchen und auszuprobieren. ● Machen Sie sich klar, dass aktives Zuhören Kraft kostet. Wenn Ihre Batterien gerade schwach sind, wird Ihnen aktives Zuhören sehr schwerfallen. In einem solchen Fall ist es weise, sich für einen anderen Zeitpunkt zu verabreden. 18 / 36 1.3.1 Irrtümer über das Aktive Zuhören Es gibt eine Reihe von Irrtümern über das Aktive Zuhören, die Prof. Lyman K. Steil 1986 beschrieben und durch psychologische Untersuchungen widerlegt hat. Zugleich beschreiben sie, was Aktives Zuhören auch ist. ● ● ● ● ● ● ● 1.3.2 Zuhören ist vor allem eine Sache der Intelligenz Mit Hilfe von Untersuchungen konnte diese These nicht bestätigt werden. Es wurde allerdings festgestellt, dass sehr aktive und einsatzfreudige Menschen auf Grund ihrer intensiven Zielstrebigkeit häufig die schlechteren Zuhörer sind. Zuhören ist eng mit dem Hörvermögen verbunden. Nur bei erheblichen Einschränkungen des Hörvermögens wird die Fähigkeit des Zuhörens stark beeinträchtigt. Hiervon betroffen sind in der Regel jedoch nur Menschen mit alters- oder krankheitsbedingten physischen und/oder psychischen Defekten im Hörapparat. Tägliches Zuhören ersetzt das Üben. Obwohl das Zuhören für beinahe jeden Menschen normal ist, wird die durchschnittliche Leistung des Zuhörens nur mit ca. 25 Prozent beziffert. Diese kann auch durch vermehrtes Zuhören nicht signifikant verbessert werden, wenn nicht gleichzeitig die dahinter stehenden Kommunikationsgewohnheiten grundsätzlich geändert werden. Da der gebildete Mensch in schulischer Ausbildung bereits Aufmerksamkeit, Lesen und Schreiben gelernt hat, wissen wir auch, wie man richtig zuhört. Diese Annahme führt dazu, dass die Fähigkeit zum effektiven Zuhören als erlernbare Fähigkeit von den Bildungssystemen vernachlässigt wird. Lesen zu lernen ist wichtiger als Zuhören zu lernen. Der Mensch nimmt auditiv etwa drei Mal mehr Informationen auf als per Schrift. Da der menschliche Hörapparat an sich im Gegensatz zum Auge zudem in der Lage ist, ohne Ermüdung ununterbrochen Signale aufzunehmen und weiterzuleiten, vertieft die pädagogische Betonung des geschriebenen Wortes den falschen Kanal. Gutes Zuhören ist eine Sache des Willens. Willenskraft ist für Empathie und Verständnis nicht elementar erforderlich. Die willentliche und bewusste Auseinandersetzung mit dem Gegenüber weist vielmehr einen starken Zusammenhang mit Freundlichkeit und innerer Zuwendung auf. Zuhören ist passiv und erfordert weder Geschick noch Anstrengung. Das Gelingen einer guten Kommunikation hängt zu 51 Prozent vom Zuhörer ab. Wird unter Zuhören nicht nur die rein akustische Aufnahme der Botschaft verstanden, sondern auch das inhaltliche Erfassen, dann wird deutlich, dass das Zuhören ein ebenso aktiver (und anstrengender) Prozess ist wie der des Sprechens. Erweitertes Aktives Zuhören Die Erfahrung, dass Fragen oft etwas Bohrendes haben, lässt uns für das aktive Zuhören plädieren. Um das Verfahren zu beschleunigen, plädieren wir für das erweiterte aktive Zuhören, was allerdings die Gefahr der Unterstellung in sich birgt. Der nicht adäquaten Unterstellung kann und soll der Patient widersprechen, dennoch steht der Patient unter Stress und tut dies sicher nicht immer. Die Erweiterung des aktiven Zuhörens kann auch anhand von Leitfragen erfolgen, die wir am Beispiel verschiedener innerbetrieblicher Kommunikationsprozesse vorstellen wollen. Versetzen Sie sich in die Situation eines psychologisch orientierten Therapeuten, der Mitarbeiter eines Betriebes wegen des kritischen Betriebsklimas berät. 19 / 36 Beispiele Beispiel 1: Patient: „Der Mitarbeiter wurde von jetzt auf gleich freigestellt. Niemand, auch ich nicht als sein Chef, konnte eingreifen, die Zahlen, die im Meeting präsentiert wurden, waren angeblich zum 3. Mal inakzeptabel. Das hat mich sehr aufgeregt und verunsichert!“ Der Therapeut stellt sich folgende Leitfrage: Wer regt sich hier über was genau auf? – Dies kann die Aufregung über die Freistellung sein; über das Unerwartete der Freistellung; über seine nicht Anhörung bei der Freistellung; es können die „schlechten“ Zahlen bei der Präsentation oder etwa die guten Zahlen sein usw. Hierbei lässt sich unschwer erkennen wie fehlleitend eine Frage sein könnte!“ Seine erweiterte Form des aktiven Zuhörens könnte durch vorweggenommene Antwort auf die Leitfrage lauten: „Es hat sie die schnelle unvorangekündigte Freistellung aufgeregt, die Art und Weise mit einem Menschen so zu verfahren, zumal sie sich auch als sein Chef vor den Kopf gestoßen fühlen müssen, das ist sicher auch aufregend. Die Zahlen, von denen ich jetzt mal annehme, dass sie negative Auswirkungen haben, kommen noch hinzu. Die Situation sorgt bei ihnen sicher für Verunsicherung, da sie nicht wissen, wie ihre Stellung jetzt ist!“. Patient: “Ja, ich bin doch sehr über meine jetzige Stellung bei meinen Vorgesetzten verunsichert, wenn sie so mit mir verfahren!“ Beispiel 2: Patient: „ Es hat sich noch Tage und Wochen hingezogen. Als wir uns dann schließlich trennten, hat die traurige Situation mich doch sehr berührt. Therapeut: (stellt sich die Leitfrage: „Für wen war die Situation traurig?“ – ruhig den Widerspruch einbeziehend macht er eine erweiterte Paraphrase (Umschreibung) und Verbalisation1, den Bestandteilen des aktiven Zuhörens.) „Ihre Frau und sie selbst waren also sehr traurig über das Ende ihrer Beziehung nach vielen Jahren des Zusammenlebens, das war schon ein trauriger Moment für sie und ihre Frau!“ Patient: Eigentlich hat mir meine Frau schon sehr leid getan, ich war ja der ging, der schon lange nichts mehr an der Beziehung fand!“ Beispiel 3: Patient: „Unangenehmerweise wollte unser Chef bei den Präsentationen im Seminar zuhören!“ Therapeut stellt sich die Leit-Frage, „Für wen war es unangenehm und macht folgende erweiterte Paraphrase und Verbalisation. „Sie haben es als unangenehm für sich empfunden, dass ihr Chef ihnen bei ihrer Präsentation zuhören wollte, es stellt sie unter Stress so auf dem Präsentierteller stehen zu müssen.“ Patient: „Nein, nein, ich hatte meinen Vortrag schon hinter mich gebracht, es war mir einfach sehr unangenehm, ja fast peinlich meine Kollegen zittern zu sehen, da geht es mir auch schlecht! Aber man muss seinem Chef schon den Gefallen tun.“ Die Verbalisation bezeichnet den Prozess der Übersetzung von nonverbaler in verbale Kommunikation. 1 20 / 36 Therapeut: Auch hier kann die Leitfrage gestellt werden, was würde geschehen, wenn man seinem Chef nicht den Gefallen tun würde, gefallen wollte? – Auch hier paraphrasiert der Therapeut mit folgender Erweiterung. „Sie und ihre Kollegen wollen ihrem Chef schon gefallen, den Gefallen tun, sicher haben sie schon Erfahrungen gemacht, wenn man dies nicht tut, dann ist er gekränkt oder ärgerlich, er verlangt schon einiges in dieser Richtung! Patient: „Ja, er kann sehr abwertend werden, wenn man sich vor Aufgaben drückt. Vor allem wenn er uns ein Seminar schenkt, erwartete er Dankbarkeit. Beispiel 4: Patient: „Dass mein Chef die Mitarbeiter mit seinen Supervisionen drangsaliert, kann ich nicht verstehen!“ Therapeut stellt sich die Leitfrage, „Was hindert den Patienten daran, seinen Chef zu verstehen?“ und macht folgende erweiterte Paraphrase und Verbalisation. „Sie sind schon der Ansicht, dass Supervision ein nützliches Instrument ist, meinen andererseits, dass wenn viel Angst und Stress erzeugt wird, es den positiven Effekt aufhebt!“ Beispiel 5: Patient: „Die Ablehnung meines Chefs macht mich sehr unzufrieden.“ Therapeut stellt sich die Leitfrage, wen oder was genau lehnt er ab? Therapeut: „Dass ihr Chef sie links liegen lässt, wie ich vermute oder nicht beachtet, nur beiläufig grüßt, ist schmerzlich für sie, weil sie von ihm Anerkennung wünschen.“ Patient. „Ja, er hat immer viel zu tun, ist immer in Begleitung von mehreren Mitarbeitern und beachtet mich dann kaum, na, ja, wie sollte er auch in diesem Trubel!“ Beispiel 6: Patient: „In dieser Firma bringen die vielen Meetings nichts als bla, bla. Da werden Protokolle erstellt, die niemand liest. Da passiert nichts. Ich habe die Hoffnung lange aufgegeben!“ Therapeut: Die Leitfrage für den Therapeut lautet, worauf hofft der Patient nicht mehr und macht folgende erweiterte Paraphrase und Verbalisation. „Sie haben die Hoffnung aufgegeben, dass Meetings sich verändern, besser gesagt die Ergebnisse, die sie erwarten. Auch dass sich Auswirkungen in ihrem Arbeitsalltag tun, die sie sich wünschen, da helfen auch keine Protokolle, die niemand liest.“ Patient: „Ja, vor allem habe ich schon mehrere Veränderungsvorschläge gemacht, die Gestaltung von Meetings zu verändern, da tut sich nichts, da habe ich die Hoffnung aufgegeben, dass unser viel zu weicher Chef etwas anders strukturiert. Beispiel 7: Patient: „Den Azubi werde ich nicht übernehmen, seine dauernden Fragereien nerven mich sehr!“ Therapeut stellt sich die Leitfrage, „was genau fragt der Azubi!“ und macht die folgende erweiterte Paraphrase und Verbalisation. „Es nervt sie im Routinestress und der Vielzahl der Aufgaben, Larifari-Fragen wegen allem und jedem gefragt zu werden, sie wollen einen entscheidungsmutigen jungen Mann, der auch mal was 21 / 36 entscheidet!“ Patient: „ Ja, genau genommen, kann er es ja auch alles nicht wissen, aber die Umstrukturierung der Abteilung lässt mir wirklich keine Zeit mich um ihn zu kümmern!“ Beispiel 8: Patient: „Dass sie (Ehefrau) jeden Mittwoch unterwegs ist, stört mich sehr. Sie geht mit ihren Freundinnen weg, aber was sie manchmal bis 1 Uhr nachts macht, weiß ich nicht. Na ja, man muss die Bedürfnisse eines Menschen ernst nehmen, auch wenn es schwer fällt!“ Therapeut stellt sich die Leitfrage bei der Verallgemeinerung „man muss die Bedürfnisse eines Menschen ernst nehmen, auch wenn es schwer fällt!“, welche Bedürfnisse sind es genau, wessen Bedürfnisse sind ihre, welche sind seine? Der Therapeut paraphrasiert und verbalisiert erweiternd: „Sie ärgern sich und sind misstrauisch, dass ihre Frau so eigene Wege geht, manchmal macht es sie auch eifersüchtig, weil sie nicht wissen, wo sie solange bleibt. Die Bedürfnisse auch ihr individuelles Leben führen zu können, mit Freundinnen auch so genannte Frauenthemen besprechen zu können, auch Abstand von der Ehe zu nehmen, wollen sie schon akzeptieren, andererseits werden sie wahrscheinlich sexuelle Bedürfnisse außerhalb der Ehe zu befriedigen, nicht zulassen wollen.“ Beispiel 9: Patient. „Jeder in unserer Familie glaubt machen zu können, was er will. Da hält sich wirklich keiner an irgendwelche Regeln!“ Therapeut steht bei diesen Generalisierungen, „keiner“, „jeder“, vor der Aufgabe herauszufinden, was genau gemeint ist. Die das Gespräch führende Leitfrage könnte lauten, wer genau stört den Patienten und hält sich in seinen Augen nicht an welche Regeln. Therapeut: „Ihr 18jähriger Sohn ist fast erwachsen und definiert sein Leben in seinen Regeln. Ihr „kleiner“ 12jähriger Sohn rebelliert, wie es Kinder in der Pubertät tun, es überrascht sie im Grunde genommen nicht, aber ab und zu wünschen sie sich weniger Sololäufe und mehr Absprachen und Informationen!“ 22 / 36 1.4 Frageformen Heilpraktiker für Psychotherapie brauchen normalerweise viele Informationen, um eine zutreffende Diagnose stellen zu können. Wie kommen sie an die heran? Durch Laboruntersuchungen und Fragen. Das heißt nicht einfach nur, eine Frage stellen. Es gibt eine Reihe verschiedener Frageformen, und einige von ihnen sind wenig empfehlenswert. Wer fragt, führt, heißt es, und das bedeutet, dass Sie durch die Fragen an Ihren Patienten die Richtung bestimmen, in der sich das Gespräch entwickeln soll. Wir unterscheiden fünf Fragetypen: ● ● ● ● ● 1.4.1 Offene Fragen: Die Antwort bleibt vollständig dem Gefragten überlassen, er kann sagen, was er sagen will. Zum Beispiel: „Was kann ich für Sie tun?“ Die Antwort kann je nach Patient sehr umfangreich ausfallen, und jeder Therapeut kennt Patienten, die regelmäßig gebremst werden müssen, weil ihr Bedürfnis nach sprachlichem Ausdruck ausgeprägt ist. Diese Frageform erschafft Vertrauen. Offene Fragen mit Suggestion: in der Frage ist eine Suggestion enthalten. „Bei welchem Problem kann ich Ihnen helfen?“ Hier haben wir zwei Suggestionen: Der Gesprächspartner hat ein Problem und ich kann ihm helfen. Geschlossene Fragen: „Haben Sie das Problem oder hat es Ihr Partner?“ Es wird keine Alternative gelassen. Diese Fragen sind zeitsparend und setzen einen erfahrenen Zuhörer voraus, da der Fragende die Alternativen aufgrund seiner Beobachtungen aus dem bunten Strauß der Möglichkeiten auswählt. Ja-Nein-Fragen: „Haben Sie das schon länger?“ Diese Art der Frage ist eine reine Sachinformationsfrage. Suggestive Fragen: „Möchten Sie das nicht allmählich loswerden?“ Dies ist schon kaum noch eine Frage, eher eine rhetorische Frage, da die Antwort eigentlich vorausgesetzt werden kann. Zugleich wird vermittelt, es sei lediglich eine Sache der Zustimmung, dass der Gefragte sein Problem loswird. Trotzdem wird dem Patienten bei der Beantwortung dieser Frage die Verantwortung für seine Entscheidung zugeschoben. Suggestive Fragen Eine Suggestion ist ein Vorschlag. Ein Hypnosetherapeut arbeitet mit Suggestionen, das heißt er macht seinem Patienten einen Vorschlag zu seiner gegenwärtigen oder zukünftigen Entwicklung, und zwar auf dem Hintergrund der Annahme, dass ein Vorschlag, der auf Zustimmung stößt, Kräfte aktiviert, diesen Vorschlag in die Realität umzusetzen. Macht er dagegen einen Vorschlag, der nicht den Interessen des Patienten entspricht, so muss der ablehnen. Das tut er üblicherweise nicht gerne. Eine Suggestion wird am Anfang mit vielen Aussagen arbeiten, die eine Zustimmung ermöglichen: ihre Arme werden schwer, die Lider werden schwer, sie fühlen sich entspannt und so weiter. Der Therapeut kann davon ausgehen, dass der Patient innerlich zustimmt und ja sagt. Wenn er aber schon einmal dabei ist, ja zu sagen, dann kann er den nächsten Suggestionen ja auch gleich zustimmen: sie sind gesund, es geht ihnen gut, ihr Körper hilft sich selbst. Beispiele für Suggestivfragen (mit einem bisweilen provokativen Anteil) sind: „Schlagen Sie sich mit diesem Problem nicht schon viel zu lange herum?“ Mit dem entsprechenden Unterton ausgesprochen, muss man schon recht selbstbewusst sein, um „Nein!“ zu antworten. „Finden Sie das nicht auch eigenartig?“ – „Doch, irgendwie schon“ zu antworten, liegt nahe. Der Antwortende hat gesagt, was der Fragende hören wollte. „Meinen Sie nicht auch, dass langsam mal Schluss sein könnte?“ Wie soll man da noch nein sagen! Übrigens war das eine Suggestivfrage mit rhetorischem Hintergrund, auch wenn ein Fragezeichen und nicht ein Ausrufungszeichen am Ende des Satzes steht. Spüren Sie nicht auch den Druck, der von diesen Fragen ausgeht? (Auch dies ist eine suggestive Frage. Es geht also sogar schriftlich.) Wann immer ein Mensch eine dieser Fragen verneinen will, muss er sich gegen den Fragenden 23 / 36 stellen. Wenn das aber sein Therapeut ist, dann befindet er sich in einem Konflikt: er muss Nein sagen zu dem Menschen, von dem er im Grunde das große Ja haben will: Ja, es wird alles gut! Suggestivfragen sind eine Möglichkeit der Fragestellung, aber sie sind mit Vorsicht zu handhaben, da man sehr häufig die Antwort bekommt, die man hören wollte, und das ist nicht immer die zutreffende Antwort. Ihr Platz ist dann gegeben, wenn der Patient in bestimmte Richtung gelenkt werden soll, nicht aber, wenn es um eine sachgerechte Antwort geht. Vor deutschen Gerichten („Einspruch, Euer Ehren!“) haben suggestive Befragungen beispielsweise von Kindern im Zeugenstatus keinen Bestand. Der Inbegriff der perfiden Suggestivfragen ist: „Haben Sie aufgehört, Ihre Frau zu schlagen?“ Was immer der Gefragte innerhalb des gefragten Rahmens antwortet, er wird sich selbst in Schwierigkeiten hineinmanövrieren. Er muss sich bewusst werden, dass er einer Fragestellung mit falschen Alternativen ausgesetzt ist, um sich hier herauszureden. Und dann achten Sie einmal darauf, welche Assoziation das Wort Herausreden bei Ihnen weckt. Die impliziten Annahmen machen einem so Gefragten das Antworten eigentlich unmöglich. 1.4.2 Rhetorische Fragen Rhetorik ist die Redekunst. Auf rhetorische Fragen erwarten wir üblicherweise keine Antwort. Eine rhetorische Frage zu stellen bedeutet, beim Zuhörer die Antwort vorauszusetzen. Rhetorische Fragen können über den Mechanismus der Einbeziehung des Zuhörers in den Gedankengang des Sprechers ein starkes Mittel zur Manipulation sein. „Ist das nicht ein Wahnsinn?“ ist ein Beispiel für eine starke rhetorische Frage, mit der ein geschickter Redner den oder die Zuhörer mit der starken Vokabel Wahnsinn schnell auf seine Seite ziehen kann. Die unausgesprochene Antwort lautet auf jeden Fall Ja. Wer hier anders antwortet, muss schon wahnsinnig sein. „Ist das nicht von Anfang an klar gewesen?“ ist als Frage weniger stark und kann schon eher einmal verneint werden. Da die Antwort einer rhetorischen Frage nicht abgewartet wird, sondern der Sprecher normalerweise schnell weiter spricht, kann er mit seiner rhetorischen Frage beim Zuhörer schnell seine Reflexionsprozesse außer Kraft setzen, was dazu führt, dass der Zuhörer die Frage innerlich unreflektiert beantwortet. Die Fragen müssen so angelegt sein, dass die gegebene Antwort sehr leicht in die gewünschte Richtung geht. Einige Beispiele: „Wollen wir nicht alle finanziell unabhängig sein? Wären wir da nicht deutlich erleichtert? Wäre das nicht auch für unsere Kinder das Beste?“ Kunstpause. Keiner sagt oder denkt „Nein, also ich habe da keine Lust drauf.“ Und nun kommt der Clou: „Wäre es da nicht besser, wenn Sie all Ihr Geld mir geben?“ Da die Zuhörer schon mal beim Ja-Sagen sind, werden sie jetzt einfach weitermachen. Die Antwort wird unkritisch ausfallen. „Kann man sich so etwas vorstellen?“ – „Ja!“ Na also! 1.4.3 Provokative Fragen Provokation heißt Hervorrufung. Der Provokateur will etwas bewirken mit der Art oder dem Inhalt seines Sprechens oder Handelns, und zumeist hat der Provokateur eine Vorstellung davon, was er provozieren will. Denkbar sind: Zustimmung, Ablehnung, Entwertung oder Symptombildung. Schauen wir uns diese Ziele einer Provokation einmal an. Zustimmung heißt, der Provokateur will, dass ihm Recht gegeben wird, dass man anerkennt, was er ist oder will, dass seinen Vorschlägen gefolgt wird. „Das wollen Sie doch auch, nicht wahr?“ Ablehnung ist gegen Ideen, Verhaltensweisen, Gruppen oder Einzelne gerichtet: „So etwas können wir doch nicht dulden, oder?“ Die Provokation von Ablehnung ist eine Kunstform, beispielsweise die „Publikumsbeschimpfung“ von Peter Handke (1966). Entwertung geht ebenfalls gegen Gedanken, Verhalten oder Menschen: „Kann man so jemanden noch wie einen Menschen behandeln?“ oder „Das ist doch nicht Ihr Ernst?“ Mit dem entsprechenden 24 / 36 Unterton ist sogar die möglicherweise neutrale Frage „Ist das Ihr Ernst?“ eine Provokation. Und wenn Sie finden, dass es merkwürdig klingt, dass der Provokateur eine Symptombildung beabsichtigt, dann genießen Sie folgenden Satz: „Davon muss einem zivilisierten Menschen doch schlecht werden, oder?“ Der suggestive Anteil dieser Frage tut jedenfalls in Verbindung mit der Provokation seine Wirkung. FOLIEN: 25 / 36 Grundannahmen ● Dem Menschen ist die Tendenz zu Eigen, die ihm innewohnenden Möglichkeiten zu entfalten, konstruktiv und sozial verbindend, sowohl in geistiger wie in körperlicher Hinsicht. ● Dem Menschen sind seine Erlebnisse grundsätzlich zugänglich. Seine Erinnerungen müssen nicht gedeutet oder interpretiert werden. Alles, was ihn ausmacht, ist hier und jetzt anwesend, es bedarf keiner darüber hinaus gehender Annahmen, um ihn zu verstehen. ● Therapie findet im realen Zusammentreffen mit dem Therapeuten statt. ● Die Persönlichkeit des Therapeuten hat eine wichtige Funktion. Daraus ergibt sich die Forderung nach Echtheit des Therapeuten. ● Persönlichkeit des Patienten und Therapie befinden sich in einem Prozess. Es gibt nicht die eine, alles entscheidende Persönlichkeitsstruktur. ● Das Erleben des Therapieverlaufs hat eine heilende Wirkung. Daraus ergibt sich die Forderung nach Akzeptanz des Patienten. Zum Nachdenken Empathie – Akzeptanz – Kongruenz ● Können Sie sich an eine Erfahrung erinnern, in der Ihnen Empathie, Akzeptanz oder Kongruenz begegnet sind? Denken Sie 26 / 36 beispielsweise an Ihre Großeltern. ● Was hat diese Begegnung in Ihnen ausgelöst? Was hat sie mit Ihnen gemacht? ● Woran können Sie sich noch erinnern? Wie haben Sie sich in diesem Moment gefühlt? 27 / 36 Die sieben Stufen der Persönlichkeitsentwicklung Stufe Status quo 1 Die Ausgangssituation ● ● ● 2 ● ● ● ● 3 ● ● ● ● 4 ● ● ● ● Veränderungsdimension Gefühle Das Selbst- und Weltbild ist rigide, von außen bestimmt und vom eigenen Erleben entfernt. „Was sollen die Anderen denken?“ Der Wunsch nach Änderung ist nicht bewusst, Probleme werden nicht erkannt. „Uns geht’s doch gut. Wir haben keine Probleme.“ In diesem Stadium ist die Prognose auf einen Therapieerfolg schlecht. Externe Probleme werden abstrakt beschrieben: „Das Leben Welterleben ist eben ...“. Die eigenen Gefühle sind dem Menschen fremd. „Das stört mich überhaupt nicht.“ Es findet keine Unterscheidung zwischen Einstellungen und Tatsachen statt. „Wenn der Arzt / Pfarrer / Direktor das sagt, ist das so.“ Die Sprache ist bestimmt von Begriffen wie „nie, immer, nur, ist einfach so...“ Es tritt eine Lockerung, eine Befreiung ein. „Es könnte ja sein, Persönliche Konstrukte ...“ Änderungen treten ein. Gefühle und ihre persönliche Bedeutung werden beschrieben. „So richtig wohl fühle ich mich damit nicht ...“ Die erkannte Rolle ist nicht etwas Feststehendes, sondern veränderbar. „Früher war das anders bei mir.“ Selbst- und Weltbild bekommt Risse. Das Wachstum ist mit Krisen verbunden. Gefühle werden geäußert oder brechen im so genannten Äußerungen Nervenzusammenbruch hervor. „Ich halte das einfach nicht mehr aus.“ Das eigene Erleben wird aus geringer zeitlicher Distanz wahrgenommen. „Sofort kriege ich Herzklopfen.“ Eine Lockerung der Konstruktionen tritt ein, sie werden durchschaut. „Der tut doch nur so.“ Es kommt zu einem Bewusstwerden des eigenen Anteils an Problemen. 28 / 36 5 ● ● ● ● ● ● 6 ● ● ● ● 7 ● ● ● ● Ein Gewinn von Sicherheit in der Lebenssituation tritt ein. „Ich mag so etwas nicht.“ Gefühle werden als unmittelbar und gegenwärtig geäußert. „Das lasse ich mir nicht mehr gefallen.“ Empfindungen und persönliche Bedeutungen werden voll erlebt, bisweilen mit Angst, Misstrauen und Erstaunen. „Ich wundere mich, dass ich das so lange ertragen habe, aber jetzt ist Schluss damit.“ Es entsteht der Wunsch nach Selbstkongruenz: ich will so sein (dürfen), wie ich bin. Es stellt sich ein Verständnis dafür ein, dass man Teil eines Problems als auch Teil der Lösung sein kann. Die Diskrepanz zwischen Selbstbild und Erleben wird erfahrbar: „Ich kann mich da nicht mehr selbst betrügen.“ Kopf und Herz werden gemeinsam erlebt. Es tritt ein voll akzeptiertes, unmittelbares Erleben von Gefühlen ein, oft begleitet von psychosomatischen Reaktionen. „Da reagieren meine Fühler sofort, ich gehe sofort in Hab-AchtStellung.“ Die eigenen Konstrukte werden als solche erkannt. „Ich habe ja meinen Teil dazu beigetragen.“ Oft tritt eine allgemeine Verunsicherung ein. „Ich weiß gar nicht, ob ich das nicht selbst verschuldet habe.“ Der Patient befindet sich in einem beständigen Prozess der Veränderung bezüglich seines Selbst- und Weltbildes. Die eigenen Gefühle werden unmittelbar und nuancenreich erlebt. Der Patient weiß, was ihm gut tut und was nicht, und er handelt entsprechend. Das Selbsterleben wird zum Bezugspunkt. Er richtet sich in seinen Entscheidungen und in Übereinstimmung mit seinen Werten nach seiner persönlichen Weltsicht. Der Mensch entwickelt aufgrund Erfahrung ein beständiges Vertrauen in sich selbst. Das Selbstbild und das Selbsterleben stimmen überein. Beziehungen zu Problemen Zwischenmenschliche Beziehungen Die Zusammenkunft aller Dimensionen der Persönlichkeit Zum Nachdenken ● Erinnern Sie sich bitte an Kommunikationsprozesse mit Menschen in unterschiedlichen Entwicklungsstufen der Persönlichkeitsentwicklung. ● Machen Sie sich klar, welches Echo diese verschiedenen Kommunikationen in Ihnen hinterlassen haben. ● Mit welchem der Menschen, die Ihnen einst begegnet sind, würden Sie gerne noch einmal einen Abend lang unter vier Augen sprechen? ● Wo würden Sie diesen Menschen auf der Skala der Persönlichkeitsentwicklung einordnen? 29 / 36 Sprechen Sie nicht per „man", „du" oder „wir", sondern sprechen Sie per „ich“. Die Wahl von man, du oder wir ist eine Methode, Verantwortung für die eigenen Aussagen zu vermeiden. Es ist eine Methode, sich von dem Gesagten zu distanzieren. Wenn Sie per ich sprechen, wird Ihr Kontakt zum Kommunikationspartner näher, vertrauen erweckender. ● Machen Sie persönliche Aussagen, stellen Sie keine inquisitorischen Fragen. Inquisitorische Fragen verdeutlichen dem Gefragten seine unterlegene Position. ● ● ● ● Interpretieren Sie nicht die Worte Ihres Patienten, sondern zeigen Sie persönliche Reaktionen. So ist sichergestellt, dass niemand stark verletzt wird. Interpretationen beschreiben nur die Sichtweise des Empfängers, nicht aber die des Senders; sie sind Quelle vielfältiger Missverständnisse und führen oft zu Streit. ● ● Sagen Sie nicht: „Man muss Verständnis dafür haben“, sondern sagen Sie: „Ich verstehe Sie recht gut.“ Sagen Sie nicht: „Das macht einen total fertig“, sondern sagen Sie: „Das macht mich total fertig.“ Sagen Sie nicht: „Da musst du dich doch fragen...“, sondern sagen Sie: „Da frage ich mich...“ Fragen Sie nicht: „Was würden Sie an meiner Stelle machen?“, sondern sagen Sie: „Ich habe Schwierigkeiten, das zu verstehen. Können Sie mir das erklären?“ Fragen Sie nicht: „Warum sind Sie so verschlossen mir gegenüber?“, sondern sagen Sie: „Es macht mich unsicher, dass Sie sich so schweigsam verhalten. Mache ich etwas falsch?“ Sagen Sie nicht: „Sie schweigen wahrscheinlich, weil Sie sich ertappt fühlen“ oder „weil Sie Angst haben, zu versagen“, sondern sagen Sie: „Ich finde es schade, dass Sie schweigen.“ Sagen Sie schon gar nicht: „Sie wollen ja nur Aufmerksamkeit“, denn es ist grundsätzlich fraglich, warum das Bedürfnis nach Aufmerksamkeit mit dem Wörtchen „nur“ diskreditiert werden sollte („Das Kind will ja nur seinen Willen durchsetzen“ oder „Der Suizidversuch war doch nur ein Ruf nach Aufmerksamkeit“: manche Menschen haben es noch nicht besser gelernt, haben aber trotzdem Rechte), sondern sagen Sie: „Es fällt mir auf, dass Sie diese Situation immer wieder beklagen.“ 30 / 36 Störungen haben Vorrang. Störungen beeinflussen den Fluss der Kommunikation oftmals nachhaltig und untergründig, so dass er Richtungen nimmt, die nicht beabsichtigt waren und oft nicht mehr überschaubar sind. Den meisten Menschen ist die Frage vertraut: „Wie kommen wir eigentlich jetzt auf dieses Thema?“ In einem Gespräch unter Freunden ist das völlig in Ordnung, in einem Gespräch zwischen Patient und Therapeut kann es ein Hinweis auf eine Störung sein. ● Fragen Sie ihren Patienten, ob es etwas gibt, was ihn stört. Stellen Sie keine Warum-Fragen, sondern Was-, Wann- und Wie-Fragen. Die Frage nach dem Warum richtet die Aufmerksamkeit auf spekulative Ursachen, die in der Vergangenheit liegen und nicht zu verändern sind. Warum-Fragen können manipulieren und heimlich kritisieren. ● Fragen Sie nicht: „Was ist die Ursache dieser Störung?“, sondern fragen Sie (entweder sich selbst oder Ihren Patienten): „Welches gegenwärtige Verhalten ist für die Störung verantwortlich?“ Fragen Sie nicht: „Wer ist daran schuld?“, sondern fragen Sie: „Was ist mein Anteil an dem Geschehen?“ Fragen Sie nicht: „Was steckt in Wirklichkeit dahinter?“, sondern fragen Sie: „Was geht hier eigentlich vor? Fragen Sie nicht: „Warum sind Sie so schlecht gelaunt?“, sondern fragen Sie: „Ich habe das Gefühl, dass sich Ihre Stimmung verändert. Täusche ich mich da? Möchten Sie mir sagen, was gerade geschieht?“ Fragen Sie nicht: „Warum sind Sie Alkoholiker?“ Sie könnten die Antwort bekommen: „Weil ich als Kind keine Gefühle zeigen durfte.“ Das ist ein Glaubenssatz, der unwiderlegbar ist, und damit ist die Diskussion beendet. Sagen Sie nicht: „Bei erwachsenen Männern ist das eben so“, sondern sagen Sie: „Ich habe damit Schwierigkeiten.“ Sagen Sie nicht: „Ich finde unser Gespräch unproduktiv“, sondern sagen Sie: „Ich würde dazu gerne auch Ihre Meinung hören.“ Sagen Sie nicht: „Ich finde so etwas feige“, sondern sagen Sie: „Ich habe den Eindruck, dass Ihnen das Angst verursacht. Stimmt das? Mögen Sie mir sagen, was Ihnen diese Angst verursacht?“ Diese so genannten Warum-Fragen müssen nicht mit dem Wort warum beginnen. Sie können uns in unterschiedlichem Gewand begegnen. Ihnen ist gemeinsam, dass sie die Ursache oder Schuld eines Zustandes ergründen wollen. Ludwig Wittgenstein drückte es so aus: „Wenn wir die Frage „warum“ unterdrücken, werden wir oft erst der wichtigen Tatsachen gewahr, die dann in unseren Untersuchungen zu einer Antwort führen.“ Vermeiden Sie verallgemeinernde Klischees. Verallgemeinerungen sind Ausdruck der Bequemlichkeit und lassen den Kontakt zwischen den Gesprächspartnern abreißen. Wenn Sie konkret sind, sind Sie viel eher im Kontakt mit Ihrem Patienten. ● ● ● ● ● ● ● 31 / 36 Berücksichtigen Sie Ihre Gefühle und geben Sie ihnen Ausdruck. Setzen Sie ihre Gefühle in Sprache um. Intellektualisieren Sie nicht, das ist eine Methode, sich von seinen Gefühlen zu distanzieren. Gefühle steuern unser Leben zu mindestens 60 Prozent. Meinungen und Gedanken sind oft nur die notdürftige Verkleidung von Gefühlen. ● ● Sagen Sie nicht: „Ich finde das ziemlich albern von mir“, sondern sagen Sie: „Ich staune darüber, dass ich solche Gefühle habe.“ Sie können als Therapeut nach dem emotionalen Hintergrund hinter den intellektuellen Sätzen Ihrer Patienten fragen. Sagen Sie nicht: „Frauen machen so etwas eben nicht gerne“, sondern sagen Sie: „Ich habe Angst davor.“ Sie können als Therapeut die Sätze Ihrer Patienten vorsichtig in Gefühle übersetzen. Störungen haben Vorrang. Auch hier gilt es, eventuelle Störungen zu erspüren und von der Seite des Therapeuten her gegebenenfalls anzusprechen. Nicht immer fällt es Patienten leicht, ihre Störungen zu registrieren und zu artikulieren. Es stellt sich manchmal auf Therapeutenseite das Gefühl ein, dass mit dem Patienten irgendetwas nicht stimmt, dass er irritiert ist oder abgelenkt, dass ihn etwas mehr oder weniger bewusst stört. Sprechen Sie den Patienten daraufhin an. Beachten Sie die nonverbale Kommunikation bei sich selbst und anderen. ● ● ● ● Meistens bedeutet Gähnen nicht mehr als Übermüdung oder Sauerstoffmangel, aber man kann auch beobachten, wie bei einem bestimmten Thema plötzlich alles Gähnen vorbei ist. Oder anfängt, je nach dem. Was bedeutet es, dass der Gesprächspartner immer wieder zur Uhr schaut? Hat er einen wichtigen Termin oder kann er das Ende des Gespräches nicht erwarten? Die Sitzhaltung des Kommunikationspartners ist meistens variabel. Wenn er nicht motorisch eingeschränkt ist, was bedeuten dann die übergeschlagenen Knie, die vor der Brust verschränkten Arme, der ausweichende Blick? Ist er Motoriker? Geben Sie Ihrem Gegenüber ein Feedback über das, was Sie wahrnehmen und fragen Sie nach, wenn Sie wissen wollen, ob es etwas bedeutet und was es bedeutet. 32 / 36 Jeder Mensch kann jederzeit Nein sagen, kann „ich will nicht“ sagen. Dies ist ein notwendiges Korrektiv für Prozessgeschwindigkeiten oder falsche Richtungen. Es ist für den Patienten wichtig, zu wissen, dass er über die Möglichkeit verfügt, einen Therapievorschlag oder eine Aufgabe abzulehnen. Er kann jederzeit sagen: „Nein, das möchte ich nicht, dafür fühle ich mich nicht sicher genug.“ Es kann sinnvoller sein, einmal nein zu sagen und damit seinen Standort zu bestimmen als sich auf jeden Fall auf jedes Abenteuer einzulassen, sehe es auch noch so lohnend aus. Wenn Sie als Therapeut das Nein eines Patienten nicht ertragen können, sollten Sie sich darüber klar werden, was das eigentlich für Sie bedeutet. Jeder Mensch besitzt ein gewisses Maß an Selbstverantwortlichkeit. Dieser Begriff ist vielschichtig. Im Gespräch mit seinem Therapeuten sollte ein Patient eigentlich jede Möglichkeit haben, die er braucht, sich über alles zu äußern. Der therapeutische Rahmen bietet idealerweise den Freiraum dafür. Jede Kommunikation bietet Chancen zu neuen Erfahrungen. Nun ist es Sache des Patienten, Mittel und Wege zu finden, die Chancen zu nutzen. Er bekommt mindestens so viel, wie er investiert, fast immer mehr. Daher sollte das Gespräch mit einem Kommunikationsprofi über den Einsatz von Engagement und Experimentierfreude eine Bereicherung sein. 33 / 36 FEEDBACK 1.4.4 Checkliste für Feedback-Geber Folgende Überlegungen können als grundlegende Checkliste für ein Feedback betrachtet werden. Sie helfen, das Feedback auch für denjenigen, der es gibt, zu einem Gewinn zu machen, da es sich um ein „gespiegeltes Spiegelbild“ handelt. ● Ich habe das Verhalten des Feedback-Partners beschrieben, indem ich das, was ich gesehen, gehört, gefühlt habe, meine persönliche Wahrnehmung, aufgezählt habe. ● Ich habe bei mir, als ich die Beobachtungen bei meinen Mitmenschen machte, folgende Reaktionen wahrgenommen: … ● Ich habe mein Feedback direkt im Anschluss auf meine Beobachtungen geben dürfen. ● Mein Feedback war vom Partner/in erfragt, erbeten. ● Ich habe den für den Feedback-Partner günstigsten und förderlichsten Zeitpunkt abgewartet. ● Ich habe es bei der Beschreibung belassen, da ich weiß, dass sonst Druck zu einer Veränderung besteht, ein Druck, den ich aus meinen Veränderungsprozessen als bedrängend empfand. ● Ich habe den Feedback-Nehmer über den Zweck meines Feedbacks aufgeklärt. 1.4.5 Checkliste für Feedback-Nehmer ● Ich habe meinem Feedback-Geber genau beschrieben, über welchen Verhaltensbereich er/sie Rückmeldung geben soll. ● Ich habe mir Notizen über das Feedback gemacht ohne es zu bewerten. ● Ich habe das Feedback nicht kommentiert oder mich entschuldigt. ● Ich habe die 24-Stunden-Regel (keine Aussprache über Feedback weder mit Geber noch mit Außenstehendem) eingehalten. 34 / 36 ● Machen Sie sich bewusst, dass Patienten wahrscheinlich viele starke Gefühle hegen, wenn sie ihre Reise antreten. Wenn der Therapeut das Vertrauen des Patienten gewinnen kann, stellen sich viele Gelegenheiten zum aktiven Zuhören ein. ● Versuchen Sie herauszufinden, wann aktives Zuhören gut ist. Wenn die Mitteilung des Patienten keine besondere Besorgnis erkennen lässt, ist aktives Zuhören vielleicht gar nicht notwendig. Es ist jedoch wichtig, wenn Sie ihm bewusst und ernsthaft helfen wollen. ● Fassen Sie sich immer so kurz wie möglich, wenn Sie Ihr Verständnis der Gedanken, Gefühle oder Sorgen Ihres Patienten ausdrücken oder Nachfragen stellen. Weniger ist mehr. Die bloße Wiederholung der Worte des anderen ist oft wenig hilfreich. ● Seien Sie sich bewusst, dass die Fähigkeit zum aktiven Zuhören Zeit benötigt, um sich zu entwickeln. Am Anfang kommt man sich oft sehr hölzern und ungemütlich in seiner Rolle vor. Akzeptieren Sie dieses Gefühl als Teil des Lernprozesses. ● Lernen Sie, sorgenvollen Äußerungen von Patienten aktiv zuzuhören und ihnen notwendige Rückmeldungen zu geben. Wenn Ihnen keine notwendige und wichtige Information einfällt, dann hören Sie lieber schweigend zu, statt Überflüssiges zu sagen. ● Respektieren Sie Vertraulichkeit. Aktives Zuhören ermutigt Patienten, sich zu öffnen. Machen Sie sich klar, dass das, worüber geredet wird, vertraulich ist. ● Vertrauen Sie auf die Fähigkeit Ihrer Patienten, Probleme selbst zu lösen. Es ist wichtig, durch das Stellen von Fragen Lernprozesse 35 / 36 anzuregen und durch Beratung zu unterstützen; aber zum effektiven Lernen gehört, Problemlösungen selbst zu suchen und auszuprobieren. ● Machen Sie sich klar, dass aktives Zuhören Kraft kostet. Wenn Ihre Batterien gerade schwach sind, wird Ihnen aktives Zuhören sehr schwerfallen. In einem solchen Fall ist es weise, sich für einen anderen Zeitpunkt zu verabreden. 36 / 36