Beratung

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1
1
Beratung zum Darmkrebsscreening in
2
der Hausarztpraxis: Eine Übersicht
3
Gesine Weckmann, Jean-François Chenot
4
5
6
1
7
Greifswald
Abteilung Allgemeinmedizin, Institut für Community Medicine, Universitätsmedizin
8
9
10
11
Korrespondenzadresse
12
Dr. med. Gesine Weckmann
13
Abteilung Allgemeinmedizin
14
Institute für Community Medicine
15
Universitätsmedizin Greifswald
16
Ellernholzstraße 1-2
17
17487 Greifswald
18
Tel: 03834-8622282
19
[email protected]
20
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23
2
24
Zusammenfassung
25
26
Dieser
Artikel
soll
einen
Überblick
über
die
Screening-Optionen
für
das
27
Kolorektalkarzinom (KRK) für die Beratung in der Hausarztpraxis vermitteln und
28
berücksichtigt die Konsultationsversion der neuen S3-Leitlinie „Kolorektales Karzinom“.
29
Gesetzlich Versicherte haben Anspruch auf Darmkrebsfrüherkennung mittels eines
30
Tests auf Blut im Stuhl (FOBT, fecal occult blood test) ab dem 50. Lebensjahr und auf
31
eine Screening-Koloskopie ab dem 55. Lebensjahr. Darmkrebsfrüherkennung kann die
32
darmkrebsbedingte Mortalität senken, aber eine Lebensverlängerung konnte bisher
33
nicht belegt werden. Nur ein geringer Teil der Anspruchsberechtigten nimmt die
34
Möglichkeit zur FOBT (16%) oder Koloskopie (2-3%) wahr. Die Vor- und Nachteile der
35
Optionen: Verzicht auf Screening, Screening mittels FOBT oder mittels Koloskopie
36
werden besprochen. Individuelles Risiko und Patientenpräferenzen sollten bei einer
37
gemeinsamen Entscheidungsfindung berücksichtigt werden.
38
39
Schlüsselwörter
40
Kolorektalkarzinom, Früherkennung, Darmkrebsscreening, Hausarzt
41
Counseling for Colorectal Carcinoma Screening in Family
42
Practice
43
Abstract
44
This paper aims to give an overview of current evidence based knowledge on screening
45
options for colorectal carcinoma (CRC) to help family practitioners counsel their
46
patients. The preliminary version of the new German S3-guideline „colorectal
47
carcinoma“ has been taken into account.
48
Patients with statutory health insurance are entitled to CRC screening by fecal occult
49
blood test (FOBT), beginning at the age of 50 and by colonoscopy at the age of 55.
3
50
Screening for colorectal cancer can reduce CRC caused mortality, but an effect on all-
51
cause mortality has not been demonstated yet. Only a minority of the eligible population
52
actually undergoes FOBT (16%) or colonoscopy (2-3%).The advantages and
53
disadvantages of the options: no screening, screening by FOBT or screening by
54
colonoscopy, are discussed. Personal CRC risks and patients’ preferences should be
55
included in shared decision making.
56
57
Keywords
58
Colorectal carcinoma, cancer screening, family practice
59
4
60
Ziel und Methode
61
Ziel
62
Darmkrebsfrüherkennung zu vermitteln, um Patienten in der Hausarztpraxis zu den
63
Optionen optimal zu beraten. Grundlage ist die sich zurzeit noch in der
64
Konsultationsphase
65
onkologischen Leitlinienprogramm [1] und eine selektive Literaturrecherche.
66
Epidemiologie
67
Kolorektalkarzinome (KRK) sind die zweithäufigste tumorbedingte Todesursache in
68
Deutschland. Von den ca. 8% der Männer und 6% der Frauen, die an KRK erkranken,
69
werden ca. 40% an der Krankheit versterben [2]. Die Inzidenz des KRK steigt mit
70
zunehmendem Alter von 12,9 pro 100.000 in der Altersgruppe von 40-44 Jahren bis zu
71
531 pro 100.000 in der Altersgruppe der über 85-jährigen an (Tabelle 1) [2]. Tumoren,
72
die erst in einem fortgeschrittenen Stadium diagnostiziert werden, haben geringere
73
Heilungschancen [2]. Das KRK entwickelt sich über Vorstufen (Adenom-Karzinom-
74
Sequenz) in ca. 7-10 Jahren. Während dieser Latenzzeit kann durch Entfernung der
75
Vorstufen eine weitere maligne Entartung verhindert werden. Wichtige Risikofaktoren
76
sind Alter, männliches Geschlecht, entzündliche Darmerkrankungen und familiäre
77
Krebssyndrome [1, 3, 4, 5]. Zusätzlich werden Lebensstilfaktoren wie stammbetonte
78
Adipositas [6, 7 8, 9,10], Rauchen [11, 12, 13, 14,15], Bewegungsmangel [16] und
79
Ernährung [17, 18, 19, 20, 21] als Risikofaktoren diskutiert [22] (Tabelle 2).
80
Bei Symptomen besteht keine Screeningsituation mehr. In der Hausarztpraxis hat Blut
81
im Stuhl für Personen ab 50 Jahre einen positiv-prädiktiven Wert (PPW) für KRK von
82
ca. 8%, Anämie von 7% und Bauchschmerzen von 3,3% [23, 24]. Veränderungen im
83
Stuhlgang, die nicht im Verlauf von einigen Wochen verschwinden, sollten abgeklärt
84
werden um ein KRK auszuschließen [25, 26].
dieses
Fortbildungsartikels
befindliche
ist
es,
Leitlinie
den
aktuellen
„Kolorektales
Kenntnisstand
Karzinom“
aus
zur
dem
5
85
Rahmenbedingungen der gesetzlichen Krankenversicherung
86
Gesetzlich Versicherte haben im Alter von 50 bis 54 Jahren Anspruch auf einen
87
jährlichen Test auf Blut im Stuhl (FOBT, fecal occult blood test). Ab dem Alter von 55
88
Jahren kann Patienten eine Screening-Koloskopie angeboten werden, die nach 10
89
Jahre einmal wiederholt werden kann. Wenn Versicherte die Koloskopie nicht in
90
Anspruch nehmen, können sie alternativ alle zwei Jahre einen FOBT durchführen
91
lassen. Zu Darmkrebsscreening kann einmal eine abrechenbare Beratung durchgeführt
92
werden (EBM-GOP 01740, Darmkrebsfrüherkennungsberatung) [27].
93
94
Optionen bei der Darmkrebsfrüherkennung
95
Kein Screening
96
Mehr
97
Früherkennungsuntersuchungen nicht wahr. Etwa 16% der Berechtigten nimmt den
98
FOBT in Anspruch (Abbildung 1) und 2-3% unterzieht sich einer Koloskopie
99
(Abbildung 2) [28]. Das absolute Risiko an einem KRK zu versterben liegt ohne
als
80%
der
um
Bevölkerung
ca.
1-3%
nimmt
höher
im
die
gesetzlich
Vergleich
zum
vorgesehenen
100
Darmkrebsscreening
Risiko
unter
101
Inanspruchnahme der FOBT und der Koloskopie (Tabelle 3) [2, 29, 30, 31].
102
Stuhltests
103
Es gibt mehrere Arten von Tests, um Blut oder spezifische Eigenschaften von
104
Darmkrebszellen im Stuhl nachzuweisen. Der im Moment in Deutschland dazu am
105
häufigsten benutzten und als einziger von der gesetzlichen Krankenversicherung
106
erstatteten Test, ist der Guajakbasierte FOBT. Die anderen Tests werden teilweise als
107
IGeL-Leistung angeboten.
108
FOBT
109
Testeigenschaften
6
110
Die Darmkrebsfrüherkennung durch einen Test auf okkultes Blut im Stuhl (EBM-GOP
111
01734) senkt die darmkrebsbedingte Mortalität bei den Teilnehmern um ca. 25% (15-
112
33%). Eine Reduktion der Gesamtmortalität würde aber nicht nachgewiesen [32]. Der in
113
Deutschland benutzte Test basiert auf einer Reaktion von Guajak-Harz auf dem
114
Teststreifen mit Wasserstoffperoxid-Reagenz. In Anwesenheit von Häm tritt eine blaue
115
Verfärbung auf. Die Angaben zur Sensitivität (Anteil der Erkrankten mit positivem Test)
116
des in Deutschland benutzten Tests liegen zwischen 7 und 38% bei einer Spezifizität
117
von ca. 94%. Die Durchführung an 3 verschiedenen Stuhlproben erhöht die Chance, ein
118
Zeitfenster zu erfassen, in dem der Tumor blutet. Etwa 1173 Menschen müssen
119
untersucht werden, um einen Todesfall durch KRK in 10 Jahren vorzubeugen (number
120
needed to screen, NNS). [1, 29, 30, 32, 33, 34, 35, 36, 37]
121
Fehlerquellen beim FOBT
122
Nahrungsmittel
123
Vitamin-C-Supplemente und große Mengen rotes Fleisch können die Testgüte
124
beeinflussen. Die Spezifizität des FOBTs wird aber von speziellen Diätmaßnahmen
125
kaum beeinflusst. Aufgrund dessen sowie aufgrund eines möglichen negativen
126
Einflusses auf die Teilnahmerate sind Diätvorschriften umstritten [38, 39, 40, 41, 42].
127
Medikamente
128
Medikamente, die die Blutgerinnung beeinträchtigen (ASS, orale Antikoagulantien)
129
erhöhen die Rate der positiven Testergebnisse. Weil auch mehr blutende KRK entdeckt
130
werden, ist die Rate an Falsch-positiven nicht höher, sodass ein Absetzen der
131
Medikamente nicht notwendig ist [40, 43].
132
Mangelndes Follow-up
133
Wenn auch nur ein Testfeld positiv ist, sollte nachfolgend eine Koloskopie durchgeführt
134
werden um den positiven Test abzuklären.
135
Wiederholung senkt die Wahrscheinlichkeit, dass ein KRK vorliegen könnte nicht. Es ist
136
bekannt, dass bei etwa 10%-40% der Untersuchten mit positivem Befund keine
137
adäquate weitere Abklärung stattfindet [1, 44, 45,46].
Ein negatives Testergebnis bei
7
138
Alternative Stuhltests
139
Immunochemischer Test
140
Es gibt verschiedene Tests, die humanes Blut im Stuhl immunochemisch nachweisen
141
(FIT, fecal immunochemical test) [1]. Die Sensitivität ist variabel und liegt zwischen 33-
142
91% bei einer Spezifizität von 91-99% [1, 32, 47, 48, 49, 50, 51]. Aufgrund dieser
143
Eigenschaften wird erwartet, dass Screening mit dem FIT die Darmkrebsbedingte
144
Mortalität senken kann. Der definitive Nachweis wird zukünftig in Studien erbracht
145
werden müssen. Der Preis liegt leicht über dem des FOBT. In einigen Europäischen
146
Ländern (Niederlande, Belgien, Italien) wurde der FIT als Standardtest für die
147
Darmkrebsfrüherkennung gewählt [52, 53]. Die in Deutschland zugelassenen Tests
148
werden von einigen privaten Krankenkassen und von einzelnen gesetzlichen
149
Krankenkassen erstattet (z.B. von der BKK im Rahmen des Aktionsbündnisses gegen
150
Darmkrebs).
151
Test auf tumorspezifische Pyruvatkinase
152
Dieser
153
tumorspezifischen Pyruvatkinase (M2-PK). Der Test ist in Deutschland zugelassen, wird
154
aber nicht von den Krankenkassen erstattet. Die Sensitivität liegt bei 22-28% und die
155
Spezifizität bei 82-86%. Zum Darmkrebsscreening wird dieser Test nicht empfohlen. [1,
156
54]
157
Genetische Tests
158
DNA-basierte Tests weisen eine Tumor-spezifische Methylierung bestimmter Gene
159
nach. Untersuchungsmaterial für den Nachweis ist Stuhl oder Serum. Ein auf dieses
160
Verfahren
161
Kassenleistung wurde bisher kein derartiger Test anerkannt. Die Spezifizität und
162
Sensitivität liegen bei bis zu 90% bei einem Preis von über 100 €. Studien zum Nutzen
163
als Screening Test fehlen bisher [55, 56, 57, 58].
Test
beruht
auf
den
basierender Bluttest
Nachweis
einer
wurde 2009
in
erhöhten
Konzentration
Deutschland
zugelassen.
einer
Als
8
164
Koloskopie
165
Verfahren
166
Die Koloskopie gilt als Goldstandard in der Diagnostik des KRK und wurde 2002 auch
167
zum Screening in Deutschland eingeführt. Verdächtige Läsionen können häufig noch
168
während der Untersuchung entfernt oder biopsiert werden. Die Sensitivität der
169
Koloskopie wird mit 93% bis 100% angegeben [59, 60, 61, 62]. Sie hängt unter
170
anderem von der Patientenvorbereitung ab, da die vollständige Beurteilung der
171
Darmschleimhaut nur nach einer guten Darmreinigung möglich ist. Die Vorbereitung
172
mittels Nahrungseinschränkung und Flüssigkeitseinnahme kann für ältere Patienten
173
beschwerlich sein. Bei Personen älter als 65 Jahre können durch die Vorbereitung der
174
Nahrungskarenz leichte Elektrolytstörungen oder Kreislaufprobleme auftreten [63, 64].
175
In Deutschland wird gemäß den Leitlinien bei fast allen Koloskopien Sedierung mittels
176
Propofol oder Midazolam angewandt [65, 66]. Im Durchschnitt gehen durch die
177
Koloskopie inklusive Vor- und Nachbereitung 1,4 Arbeitstage verloren und die
178
Untersuchten brauchen eine Begleitung für den Heimweg [67]. Nach der Koloskopie
179
treten bei 17% der Untersuchten Bauchschmerzen, bei 6% geringer Blutverlust und bei
180
5%
181
Screeningskoloskopie bei ca. 1 auf 323 Untersuchten vor [32, 68, 69, 70, 71]. (Tabelle
182
4). Komplikationen kommen bei Personen über 80 Jahre häufiger vor als bei Personen
183
unter 80 Jahre und Eingriffe wie Polypektomien erhöhen das Risiko 3- bis 9-mal [72, 73,
184
74, 69, 70, 75, 76, 77].
185
In bis zu 10% der Screeningskoloskopien kann das Kolon nicht bis zum Coecumpool
186
eingesehen werden [78, 79]. Wenn die Koloskopie nicht vollständig durchgeführt wurde,
187
sollte, wenn der Patient das wünscht, eine CT- oder MR-Kolonographie erfolgen [1].
188
Intramurale Karzinome und sehr kleine Neubildungen können bei der Koloskopie
189
übersehen werden [80]. Auch Intervallkarzinome kommen selten vor [80]. Das Risiko,
190
an einem KRK zu erkranken, ist nach einer negativen Koloskopie verringert. In einer
191
Amerikanischen Beobachtungsstudie erkrankten in den 5 Jahren nach einer negativen
veränderter
Stuhlgang
auf.
Schwere
Komplikationen
kommen
bei
einer
9
192
Koloskopie 0,65% der Untersuchten an KRK [82]. 10 Jahre nach einer negativen
193
Koloskopie war die Darmkrebsrate um mehr als die Hälfte niedriger als in der
194
Normalbevölkerung
195
darmkrebsbedingte Mortalität wird erst im Rahmen zukünftiger randomisierter Studien
196
erbracht werden können. Aufgrund der aktuell vorliegenden Daten wird geschätzt, dass
197
aufgrund des Screenings mittels Koloskopie die Chance an KRK zu sterben etwa 60-
198
70% geringer sein könnte, als ohne Screening [83]. Ein Effekt auf die Gesamtmortalität
199
konnte bisher nicht nachgewiesen werden [32].
[31].
Der
endgültige
Nachweis
eines
Effektes
auf
die
200
201
Sigmoidoskopie
202
Die Sigmoidoskopie ist ein mit der Koloskopie vergleichbares Verfahren, bei der
203
lediglich der distale Teil des Kolons untersucht wird. Die Sensitivität der Sigmoidoskopie
204
ist mit 58-75% etwas geringer als die der Koloskopie, weil das proximale Kolon nicht
205
eingesehen werden kann [32]. Vorteil des Verfahrens ist, dass
206
Darmvorbereitung auf Abführmittel oder ein Klysma beschränkt. Weil ca. 70% der
207
Adenome im Rektosigmoid lokalisiert sind, kann ein großer Teil der relevanten Läsionen
208
entdeckt
209
Darmkrebsbedingte Mortalität um bis zu 52%. Ca. 360 Menschen müssen untersucht
210
werden,
211
Gesamtmortalität ist nicht beobachtet worden [84, 85, 86, 87]. Ernstzunehmende
212
Komplikationen kommen bei der Sigmoidoskopie bei ca. 1 auf 3000 Untersuchten vor
213
[32]. In anderen Ländern, wie z.B. Groß Britannien und in den USA wird die
214
Sigmoidoskopie als Screeningoption benutzt. In Deutschland kann die Sigmoidoskopie
215
zu Screeningzwecken nicht abgerechnet werden und ist daher im Moment keine Option.
216
Alternative Bildgebende Verfahren
217
Zum Screening mittels Kapselkoloskopie oder MRT gibt es keine kontrollierten Studien
218
und
sie
und
um
sind
behandelt
einen
kein
werden
Todesfall
Teil
der
[80].
durch
Die
KRK
gesetzlichen
Sigmoidoskopie
zu
vermeiden.
Früherkennung
reduziert
Eine
[1].
sich die
die
verringerte
Die
Kolon-
10
219
Doppelkontrastuntersuchung ist aufgrund der Strahlenbelastung in Kombination mit der
220
geringeren Sensitivität heute obsolet [88]. Die CT-Kolonografie hat für größere
221
Adenome (>6 mm) eine mit der Koloskopie vergleichbare Sensitivität. Die Vorbereitung
222
der Untersuchung ist ähnlich der Koloskopie mittels Diät und Laxantien [88]. Bei ca. 20-
223
30% der Untersuchten veranlassen die Befunde zusätzlich eine diagnostische oder
224
therapeutische Koloskopie. Bei bis zu 27% der Untersuchten werden Zufallsbefunde
225
außerhalb des Kolons Anlass zu weiterer Diagnostik oder Therapie geben [32]. In einer
226
Niederländischen Studie wurde eine höhere Akzeptanz für dieses Screeningsverfahren
227
als für die Koloskopie gefunden (34% versus 22%) [89].
228
Patienten mit erhöhtem Risiko
229
Bei bestimmten Personen liegt ein individuell erhöhtes Risiko vor, an KRK zu
230
erkranken. In diesen Fällen sollte eine Koloskopie bevorzugt werden.
231
Zu den Risikogruppen gehören Personen mit:
232
-
Entzündlichen Darmerkrankungen
233
-
Familiären Darmkrebssyndromen
234
-
KRK bei Verwandten ersten Grades
235
-
KRK oder adenomatösen Polypen in der Vorgeschichte.
236
Entzündliche Darmerkrankungen
237
Für Patienten mit entzündlichen Darmerkrankungen wie Colitis ulcerosa oder Morbus
238
Crohn wurde eine bis zu 8-mal höheres Risiko für KRK berichtet [90, 91]. In den letzten
239
Jahren sind Studien publiziert worden, die dieses sehr hohe Risiko relativieren
240
(RR1,60) [92, 93] oder sogar ein mit der Allgemeinbevölkerung vergleichbares Risiko
241
beobachteten [94, 95, 96, 97]. Es wird vermutet, dass das Risiko an KRK zu erkranken
242
mit Ausbreitung und Aktivität der zugrunde liegenden inflammatorischen Prozesse
243
zusammenhängt [98, 99,100]. Des Weiteren scheint dieses Risiko durch bessere
244
Behandlungs- und Screeningsmethoden beeinflussbar zu sein [101, 102, 103,104]. Ein
11
245
höheres Risiko haben Patienten, die schon vor dem Erwachsenenalter erkrankten und
246
Patienten mit langer Krankheitsdauer oder Pankolitis [105]. Zusätzlich erhöhen eine
247
positive Familienanamnese sowie das männliche Geschlecht das Risiko [106, 107].
248
Patienten, die in den letzten 5 bis 10 Jahren keine Koloskopie erhalten haben, sollten
249
individuell beraten werden [1].
250
Familiäre und hereditäre KRK
251
Bis zu 20% der Patienten mit KRK haben einen oder mehrere Verwandte mit KRK. Nur
252
in einem Bruchteil dieser Familien sind bekannte genetische Syndrome nachweisbar.
253
Bei einem betroffenen Verwandten ersten Grades ist die Wahrscheinlichkeit, an KRK zu
254
erkranken zweifach erhöht [108, 109, 110]. Dieses Risiko kann sich bis zu vierfach
255
erhöhen, wenn mehrere Verwandte betroffen sind (Tabelle 2) [108, 119]. Hausärzte, die
256
oft die ganze Familie betreuen, können bei der Identifizierung eine größere Rolle
257
übernehmen [111].
258
Angaben zum Anteil von erblich bedingtem KRK schwanken von 3-25%. Hereditäre
259
Ursachen im engeren Sinne werden bei 3-5% der KRK vermutet [112]. Hierzu gehören
260
folgende
261
Darmkrebsrisiko
262
humangenetische Beratung überwiesen werden:
263
Familiäre Adenomatöse Polyposis (FAP)
264
Die genetische Ursache dieser meistens autosomal dominant vererbten Erkrankung
265
liegt an einer Mutation eines Tumorsuppressor-Gens. Personen mit dieser Erkrankung
266
bilden im Laufe Ihres Lebens Polypen im Kolon, die mit hoher Wahrscheinlichkeit
267
maligne Entarten. Dieses Syndrom ist insgesamt sehr selten. Bei weniger als 1% der
268
Patienten mit KRK liegt eine FAP vor [113]. Patienten mit FAP sollen ab dem 10.
269
Lebensjahr mittels Rekto-Sigmoidoskopie
270
festgestellt werden, soll jährlich (bis zur Proktokolektomie) eine Koloskopie erfolgen [1].
271
Hereditäres non-polyposis-assoziiertes Kolorektales Karzinom (HNPCC)
monogenetische
Syndromen
einhergehen.
Bei
die
mit
einem
entsprechendem
untersucht
sehr
Verdacht
stark
sollte
werden. Wenn
erhöhten
in
die
Adenome
12
272
Bei dieser genetischen Veranlagung, auch Lynch-Syndrom genannt, kommt es durch
273
genetische Defekte in den DNA-Reparaturmechanismen (Mikrosatelliten-Instabilität) zu
274
einem erhöhten Risiko, Tumoren zu entwickeln. Träger dieses Gendefekts entwickeln
275
mit einer Wahrscheinlichkeit von 50 bis 80% ein KRK [4,114]. Dies betrifft in
276
Deutschland ca. 2-3% der Darmkrebspatienten [115]. Von den Darmkrebspatienten
277
unter 50 Jahren konnte bei 10% HNPCC nachgewiesen werden, gegenüber 3% bei den
278
Patienten über 60 Jahren [116]. Jeder Patient mit HNPCC hat in Durchschnitt 3
279
Familienangehörige mit der Erkrankung, die potentiell von Screening profitieren
280
könnten. Als Hilfe, um Familien mit HNPCC besser erkennen zu können, dienen die
281
Bethesda-Kriterien (Tabelle 5) mit denen etwa 70% der Mutationsträger erkannt werden
282
können
283
Endometriumkarzinom [114, 4]. Ein erhöhtes Entartungsrisiko besteht auch bei anderen
284
Organen, wie Ovarien, Leber, Magen und Dünndarm (Abbildung 2).
285
Bei nachgewiesenem HNPCC soll der Patient engmaschig kontrolliert werden [1]:
286

118].
Betroffene
Frauen
erkranken
oft
(40-60%)
an
einem
Jährlich eine komplette Koloskopie ab dem 25. Lebensjahr oder ab 5 Jahren vor
dem niedrigsten Erkrankungsalter in der Familie.
287
288
[117,

Bei Frauen soll jährlich eine gynäkologische Untersuchung vorgenommen
289
werden mit transvaginaler Ultraschall und ab 35 Jahre zusätzlich eine jährliche
290
Endometriumbiopsie.
291

1-mal jährlich Oberbauchsonographie und Urinzytologie
292

Bei
293
Magenkarzinom
in
der
Familie
soll
jährlich
eine
Ösophagogastroduodenoskopie durchgeführt werden.
294
Beratung
295
Die Beratung zu den Screening-Optionen für KRK (kein Screening, FOBT oder
296
Darmspiegelung) ist eine Aufgabe von Hausärzten und Gynäkologen im Rahmen der
297
Früherkennungsuntersuchungen. In Frühstadien behandelte KRK-Patienten haben eine
298
bessere Überlebensprognose, aber bisher konnte für das Darmkrebsscreening nur eine
299
Senkung
der
Darmkrebsmortalität
und
keine
Verlängerung
der
Lebenszeit
13
300
nachgewiesen werden. Das Drängen zu einer bestimmten Entscheidung ist keine
301
Beratung und widerspricht der Autonomie des Beratenen. Der Einschluss der Option
302
kein Screening auf KRK wurde in einer kleinen amerikanischen Studie untersucht.
303
Menschen, denen auch die Option kein Screening angeboten wurde, empfanden die
304
Beratung als ausgewogener [119]. Der Einschluss der Option kein Screening führt nicht
305
generell zu einer niedrigeren Teilnehmerrate [120]. Viele Anspruchsberechtigte haben
306
sich bereits eine Meinung gebildet, oder haben kein Interesse. Die Meinungsbildung
307
wird zum Teil durch unausgeglichene Informationen in Medien beeinflusst (z.B.
308
http://www.darmkrebs.de/, http://www.aus-liebe-zur-vorsorge.de/). Es sollte individuell
309
geklärt werden, ob beim Patienten ein Beratungsbedarf besteht. Dann sollte geprüft
310
werden, ob eine Screeningsituation vorliegt. Dies ist zum Beispiel nicht der Fall, wenn
311
bereits Symptome vorliegen, in den letzten 5-10 Jahren eine Darmspiegelung
312
durchgeführt wurde, oder wenn die voraussichtliche Lebenserwartung subjektiv als zu
313
kurz eingeschätzt wird.
314
Auch Personen unter 50 Jahren haben ein geringes Risiko an KRK zu erkranken. Durch
315
die Testeigenschaften des momentan in Deutschland verwenden Tests und die niedrige
316
Prävalenz bei Personen unter 50 Jahren ist der positiv-prädiktiver Wert des FOBTs in
317
dieser Altersgruppe sehr niedrig [1, 29]. Bei Risikokonstellationen (Tabelle 2) kann
318
auch vor dem 50 Lebensjahr eine früher beginnendes Screening sinnvoll sein [121].
319
Liegt eine Screeningsituation vor, sollten Menschen, die das wünschen, über Nutzen
320
und Risiken der Screeningmethoden aufgeklärt werden (Tabelle 3, 4). Für eine
321
individualisierte Beratung ist eine Erfassung des persönlichen Risikos hilfreich. Um die
322
Entscheidungsfindung zu erleichtern, kann das individuelle Krankheitsrisiko abgeschätzt
323
werden. Informationen, die in absoluten Zahlen, statt als relative Risiken dargestellt
324
werden, können von Patienten besser verstanden werden [122, 123]. In einer
325
amerikanischen Studie änderten ca. 9% der Personen nach Beratung ihre Meinung
326
[124]. Bei Anspruchsberechtigten ohne Risikofaktoren, sollte jede Entscheidung des
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Patienten respektiert werden, da ein Nutzen in Bezug auf Lebenserwartung bisher nicht
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nachgewiesen worden ist. Bei Personen mit Risikokonstellationen, die sich gegen ein
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329
Screening entscheiden, sollte überprüft werden, ob diese Person sowohl ihr Risiko, als
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auch die Vor- und Nachteile der Screeningoptionen (Tabelle 6) verstanden hat.
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Erfahrungsgemäß ist ein Teil der Anspruchsberechtigten mit der Entscheidungsfindung
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überfordert, und richtet sich nach der Empfehlung des Arztes. In dieser Situation kann
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der Arzt unter Berücksichtigung der individuellen Situation des Beratenen eine freie
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Entscheidung treffen.
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Als Hilfe, um zusammen mit dem Patienten zu einer informierten Entscheidung zu
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kommen, kann Informationsmaterial verwendet werden, das zu diesem Zweck
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zusammengestellt worden ist, wie zum Beispiel die bekannte Informationsbroschüre
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‚Darmkrebs Screening‘ von Steckelberg und Mühlhauser [125]. Eine neue Variante wird
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das sich in Entwicklung befindende Darmkrebsmodul von arriba-Lib. Dieses interaktive
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Programm erlaubt es Arzt und Patienten, gemeinsam das persönliche Darmkrebsrisiko
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zu ermitteln und auf verständliche Weise über die Vor- und Nachteile der
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Screeningmöglichkeiten zu beraten.
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Schlussfolgerungen
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Darmkrebsscreening ist geeignet, um die Darmkrebsmortalität zu senken, aber eine
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Verlängerung der Lebenszeit ist bisher nicht erwiesen. Die Evidenz über die optimale
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Screeningstrategie
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Anspruchsberechtigen zu einer bestimmten Option zu drängen. Daher sollte im
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Rahmen der gesetzlichen Vorgaben eine differenzierte Beratung über die Optionen,
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kein
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Entscheidungsfindung durchgeführt werden. Dabei sollten das individuelle Risikoprofil
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und die Patientenpräferenzen berücksichtigt werden.
Screening,
erlaubt
FOBT
noch
oder
keine
starke
Screening-Koloskopie
Empfehlung,
für
eine
um
alle
gemeinsame
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