Implizites Lernen Implizites Lernen umfasst mehrere Formen des Lernens, die ohne Beteiligung des Bewusstseins und häufig beiläufig und ohne gezielte Lernabsicht ablaufen. Dabei besteht das entscheidende Kriterium im fehlenden Zugang zum Bewusstsein, nicht in der Lernabsicht. Implizites Lernen kann beiläufig erfolgen, muss aber nicht (z. B. das Üben erfolgt gezielt, der eigentliche Vorgang des Lernens wird dem Bewusstsein jedoch nicht zugänglich). Begriffserklärung: Explizites Wissen intentional: gezielt erworbenes Wissen (Studienfach) Explizites Wissen intentional: gezielt erworbene Fertigkeiten (Schwimmen) Implizites Wissen inzidentell: beiläufig erworbenes Wissen Implizites Wissen inzidentell: beiläufig erworbene Fertigkeiten (Sprechen lernen) Vergleiche mit anderen Konzepten: Prozedurales Lernen: Verbesserung der Leistung ohne bewusstem Zugang zum zugrunde liegenden Wissen, Aneignung kognitiver und motorischer Fertigkeiten. Latentes Lernen: Aneignung von Wissen ohne Reaktionen, ohne vorangegangene Verstärkung, das erworbene Wissen äußert sich erst dann im Verhalten, wenn eine Verstärkung erwartet wird, kann dem Bewusstsein zugänglich gemacht und verbal ausgedrückt werden. Inzidentelles Lernen: unabsichtliche od. beiläufige Lernvorgänge (z. B. beim ziellosen Durchblättern einer Zeitung). Intentionales Lernen: absichtlich, geplante und gezielte Lernvorgänge (z. B. Prüfungsvorbereitung) Besonderheiten: Der Lernprozess folgt eigenen Gesetzmäßigkeiten. Die Gedächtnisinhalte sind nicht bewusstseinsfähig. Das Verhalten wird durch implizites Wissen unabhängig von den Intentionen des Lernenden gesteuert. Die Gedächtnisleistung kann auf nur indirekte Weise erfasst werden. Eigene Gesetzmäßigkeiten. Die Behaltensleistung hängt von der Häufigkeit der Wiederholungen ab. Implizites Wissen bleibt über lange Zeiträume erhalten und ist nur schwer löschbar. Implizites Lernen hängt stark von der Sinnesmodalität ab. Ist der Reiz z. B. visuell od. akustisch, dann kann der Lernerfolg nur in derselben Sinnesmodalität geprüft werden. Es ist weniger abhängig vom Alter der kognitiven Leistungsfähigkeit und von der Beanspruchung durch andere Aufgaben. Fehlende Zugänglichkeit zum Bewusstsein. Der Lerner verfügt nicht über Wissen darüber, was und wie viel er bereits gelernt hat. Einflüsse auf das Verhalten. Implizites Wissen steuert das Verhalten unabhängig von den Absichten oder Zielen des Lerners (z.B. Entscheidung bei Auswahlaufgaben). Der Lerner kann die Wirkung nicht bewusst kontrollieren. Indirekte Erfassung der Lernleistung. Die Ergebnisse impliziter Lernvorgänge können nicht auf direktem Weg (z.B. durch Abfragen) überprüft werden, sondern nur auf indirektem durch Steigerung der Effizienz im Umgang mit Lerninhalten (z.B. eine Leistungssteigerung nach einigen Durchgängen bei einem Computerspiel). Zusammenfassend ist implizites Wissen eine gänzlich andere Art von Wissen mit weniger kontrollierbaren Auswirkungen auf Verhalten und Handeln des Lernenden. Es kann von verwandten Konzepten dadurch abgegrenzt werden, dass es ohne Beteiligung des Bewusstseins abläuft. Diese Lernform folgt anderen Gesetzmäßigkeiten als explizites Lernen. Der Lernerfolg kann nur durch die Häufigkeit der Wiederholungen gesteigert werden. Das Lernen wird wenig durch das Alter, die kognitive Leistungsfähigkeit oder die aktuelle Beanspruchung des Lerners beeinflusst. Diese Form des Lernens führt dazu, dass die gelernten Regeln erfolgreich angewendet werden, ohne dass sie verbal beschrieben werden können. Die Gedächtnisleistung kann nur auf indirekte Weise geprüft, aber nicht direkt erfragt werden. Implizites Wissen steuert das Verhalten unabhängig von den Intentionen des Lernenden, es kann also weder vorgetäuscht noch unterdrückt werden. Es ist nur schwer löschbar. Implizites Regellernen Das implizite Regellernen ist eine spezielle Form des impliziten Lernens und bezieht sich auf den Erwerb von Regelwissen oder Wissen über regelhafte Struktur komplexer Systeme. Es erfolgt ohne bewusste Lernabsicht, ohne bewusste Steuerung der Aufmerksamkeit, ohne bewusste Wahrnehmung der Komponenten des Systems oder Regewerks. Als Resultat werden die gelernten Regeln, ohne dass sie verbalisiert werden können, erfolgreich angewendet. Die Frage, ob implizites Regellernen immer unbewusst abläuft, ist jedoch noch nicht endgültig geklärt. Bsp. Erwerb der Muttersprache: Alle Kinder lernen in frühem Alter geradezu beiläufig die komplexen Regeln zur Benutzung der Sprache. Dieses Lernen erfolgt ohne bewusste Absicht, aber höchst effizient. Nach wenigen Jahren werden unzählige Regeln der Muttersprache sicher beherrscht, ohne dass sie erklärt werden könnten. Forschung: Da implizites Lernen dem Bewusstsein nicht zugänglich ist erfordert eine Untersuchung indirekte und verhaltensbezogene Methoden zur Erfassung der Lernleistung anstelle von Befragungen des Lerners. Diese Methoden sind: Sequenzlernaufgaben (serielle Reaktionszeitmessung): Die Reaktionszeiten der Teilnehmer werden bei einer scheinbar zufälligen Abfolge von Reizen kürzer, auch wenn ihnen nicht bewusst ist, dass sich die Abfolge der Reize wiederholt. Die Verkürzung der Reaktionszeiten belegt, dass implizites Wissen über die Abfolge der Reize gewonnen wurde. Künstliche Grammatik: Teilnehmern werden Buchstabenfolgen (Zahlen, Symbole, Kunstwörter) vorgelegt, die auf Basis einer künstlichen Grammatik konstruiert wurden. Es wird ihnen nicht mitgeteilt, dass ein Regelwerk existiert. Sie können jedoch nach einer Lernphase die künstlich erlernte Grammatik mit überzufälligem Erfolg auch auf andere Buchstabentests übertragen. Computerunterstützte Steuerung komplexer Systeme: In Form von motivierenden Computerspielen werden Teilnehmern schwer durchschaubare Regelsysteme präsentiert. Bei den Teilnehmern ist nach mehreren Durchgängen eine Leistungssteigerung feststellbar. Prozedurales Lernen Prozedurales Lernen ist ein stufenartiger Prozess, der sich auf alle Veränderungen im Bewegungsrepertoire einer Person bezieht. Dabei werden kognitive oder motorische Fertigkeiten durch Übung und Wiederhohlung schrittweise erworben, indem bewusste Prozesse allmählich durch unbewusste Prozesse ersetzt werden. Erwerb motorischer Fertigkeiten: Motorisches Lernen bedeutet den Erwerb der Fähigkeit, Bewegungen präzise und flexibel den aktuellen Erfordernissen anzupassen, indem Intensität, Richtung und Dauer der Bewegung gemäß den Anforderungen der Umwelt variiert werden. Dazu gehören Sportarten, handwerkliche Arbeiten und künstlerische Ausdrucksformen. Motorische Fertigkeiten besitzen immer perzeptive (Wahrnehmung), motorische und kognitive Komponenten. Motorisches Lernen vereinigt Merkmale des deklarativen (bewusste Absicht zu lernen und Wirkung von Selbstkontrolle und Zielsetzung) und des prozeduralen Lernens (dem Bewusstsein und der verbalen Beschreibung meist nicht zugänglich – man kann nicht erklären, wie man es tut). Eine Messung des Lernfortschrittes erfolgt mit standardisierten Tests (z. B. Pursuit Roboter, Schreiben in Spiegelschrift). Die beiden Faktoren Übung und Rückmeldungen bestimmen den Lernfortschritt wesentlich. Beim Üben spielen häufiges Üben und die Verteilung der Übungseinheiten eine wichtige Rolle. Die Geschwindigkeit motorischer Abläufe nimmt mit der Anzahl der Wiederholungen, allerdings nicht linear, zu. Nach anfänglich schnellem Lernzuwachs werden zunehmend mehr Wiederholungen nötig. Viele kurze Übungseinheiten wirken sich günstiger auf den Lernfortschritt aus als wenige lange. Längere Zeiträume zwischen den Übungen scheinen den Lernerfolg zu vergrößern (ev. durch Erholung). Rückmeldungen über den Erfolg sind bei komplexeren Tätigkeiten (z. B. Autofahren) notwendig, um beim nächsten Versuch Korrekturen vornehmen zu können (ähnlich wie Verstärkung beim Konditionieren). Zu Beginn eines Lernprozesses sind häufige, zeitnahe (besser einige Sekunden verzögerte als unmittelbare) Rückmeldungen lernförderlich. Anschließend ist auf häufige Rückmeldung zu verzichten, um die Selbstständigkeit bei der Beurteilung der eigenen Leistung und die Transferfähigkeit zu fördern. Erwerb kognitiver Fertigkeiten: Kognitive Fertigkeiten sind Mechanismen, mit deren Hilfe Menschen kognitive Probleme lösen (z.B. mathematisches Problem, Reparatur eines techn. Gerätes, Kreuzworträtsel). Sie werden auch durch häufiges Üben verbessert, automatisiert und ohne bewusste Kontrolle durchgeführt. Zur Lösung solcher Probleme können entweder Standardprozeduren (durch Instruktion erworben und immer auf die gleiche standardisierte Weise durchgeführt) oder heuristische Strategien (flexible Such- und Finde-Verfahren für verschiedenen Standardprozeduren zur Problemlösung komplexerer Alltagsprobleme wie z. B. das Planen einer Urlaubsreise mit Familie), verwendet werden. Vom deklarativen zum prozeduralen Lernen Deklaratives (explizites) Wissen: Wissen über die Welt, das dem Bewusstsein zugänglich ist, Fakten (Ereignisse aus dem Leben) Prozedurales (implizites) Wissen: Handlungswissen, das dem Bewusstsein nicht unbedingt zugänglich ist (Binden einer Schleife) Beiden Wissenstypen liegen unterschiedliche Lernmechanismen zugrunde. Deklaratives Wissen wird durch Prozesse der verbalen Enkodierung erworben. Prozedurales Wissen wird auf der Basis von viel Übung und korrigierenden Rückmeldungen aufgebaut. Beide Lernformen lassen sich nicht immer scharf trennen, da sich bei fast allen komplexeren Lernvorgängen beide Prozesse vermischen. ACT-Modell von Anderson (Adaptive Control of Thought): Bei der Aneignung von Fertigkeiten findet ein Übergang vom deklarativen zum prozeduralen Lernen statt. Zu Beginn wird explizites Wissen über die Aufgabe und über die Regeln erworben (Arbeitsgedächtnis). In der nächsten Phase des prozeduralen Lernens durch praktischen Erprobung und Übung kommt es zur nach und nach zu einer Automatisierung (Langzeitgedächtnis). In der dritten Stufe erfolgt eine Feinanpassung (Tuning). Durch Generalisierung und Unterscheidungslernen werden die erworbenen Fertigkeiten auf andere Bereiche übertragen. Rein implizite Lernprozesse: Handlungsregeln können auch vollständig ohne bewusste Beteiligung gelernt werden, da beim expliziten und impliziten Lernen unterschiedliche Hirnregionen beteiligt sind (Patienten mit Gedächtnisstörungen können motorische Fertigkeiten erlernen). In manchen Fällen entsteht verbalisierbares Wissen erst aus der Reflexion über das Handlungswissen.