Unterrichtseinheit: Wahlen – Alle Macht dem Volke? Schülerinnen und Schüler erwerben die Fähigkeit, - anhand verschiedener, ineinandergreifender Aspekte unterschiedlicher Wahlsysteme zum "demokratischen" Charakter dieser im Spannungsfeld von Effizienz und Partizipation differenziert Stellung nehmen zu können - einen eigenen, reflektierten Demokratiebegriff formulieren zu können (Vertiefung Politik Sek II) Stunde(n) 1 (+ 1) Inhalt Wahlen in repräsentativen Demokratien – warum wählen? 2 3 Das Mehrheitswahlrecht – einfach (und) ungerecht? Das Verhältniswahlrecht – abschreckend kompliziert? 2+3 ggf. arbeitsteilig parallel Mehrheits- vs. Verhältniswahl – stabile Mehrheiten oder exakte Repräsentation des Wählerwillens? 4 (+ 1) 5+6 Sek II Sek II - Repräsentation, Machtkontrolle, ewige Regeln/ Effizienz, Schnelligkeit, Mehrheitswille Das Bundestagswahlrecht – ein "demokratisches" Wahlrecht? Muss Demokratie kompliziert sein? Überhang- und Ausgleichsmandate - nicht nur kompliziert, sondern auch undemokratisch? 5%-Klausel – geniale Korrektur des Verhältniswahlrechts oder „Umkehr des Wählerwillens“?/ Bundesverfassungsgericht schafft 5%-Klausel ab – ein guter Tag für die Demokratie? Schwerpunkt/ Materialien Wahlrechtsgrundsätze, Bedeutung und Funktion der Wahl, Volkssouveränität Mehrheitswahlrecht Verhältniswahlrecht ggf. Einführung: Transaktionskosten Diskriminierungskosten Erst- und Zweitstimme DEMOKRATIE? Überhang- und Ausgleichsmandate Möglichkeit für Sek II 5%-Klausel Ggf. positive Begründung und Ergebnis der BTW bis 2009 Dann in Sek II Stunde BTW 2013 verkehrtes Ergebnis? ausgewählte Quellen: Kurze Erklärungen als Videodateien der Bundeszentrale für politische Bildung zu folgenden Inhalten: 5%-Hürde, Erst- und Zweitstimme, Überhang- und Ausgleichsmandate http://www.bpb.de/mediathek/614/fuenf-prozent-huerde http://www.bpb.de/mediathek/599/erst-und-zweitstimme http://www.bpb.de/mediathek/618/ueberhang-und-ausgleichsmandate https://www.youtube.com/watch?v=h-VNt832hhg (Briten stimmen über Wahlsystem ab – Abschaffung des Mehrheitswahlrechts) https://www.youtube.com/watch?v=dAVLoZz1c2A (Fünf-Prozent-Klausel bei Europawahlen gekippt) http://www.tagesschau.de/multimedia/video/video1375510.html (Bundesverfassungsgericht kippt 3%-Hürde für Europawahl) http://www.bpb.de/lernen/unterrichten/grafstat/142592/projekt-bundestagswahl-2013 (Umfangreiche Materialsammlung samt Stundenverlaufsplänen zum Gegenstand Wahlen) Seine Majestät der Wähler (Karikatur) Seine Majestät der Wähler (© Sepp Buchegger) (Anmerkung: ggf. deutlicher machen, dass Bildunterschrift Ausspruch der Personen im Hintergrund ist. Einstieg lässt später auch Überleitung zur UE zu Parteien zu.) Volkssouveränität in der repräsentativen Demokratie (Tafelbild) Volkssouveränität in der repräsentativen Demokratie Bedeutung und Funktionen der Wahl In demokratischen Staaten wählt sich das Volk seine Regierung selbst – direkt oder indirekt. Regelmäßig wiederkehrende Wahlen drücken also die Volkssouveränität aus, das Selbstbestimmungsrecht des Volkes. Aus konkurrierenden Angeboten werden diejenigen Personen und Parteien ausgesucht, von denen eine Mehrheit im Volk meint, dass sie in Zukunft – für eine begrenzte Zeit – das Land regieren sollten. Wahlen werden auch in Diktaturen veranstaltet. Aber bei ihnen gibt es nichts auszuwählen. Sie sollen lediglich die Verbundenheit der Bevölkerung mit der Führung demonstrieren. Neben Wahlen zum Europäischen Parlament finden in Deutschland allgemeine Wahlen statt zum Bundestag, zu den Parlamenten der Bundesländer und zu den Parlamenten in Städten, Kreisen und Gemeinden sowie in zahlreichen Bundesländern außerdem Direktwahlen von Landräten, Bürgermeistern und Oberbürgermeistern (Kommunalwahlen). Da die Wahltermine überall verschieden sind, wird in jedem Jahr in Deutschland irgendwo gewählt. Die Öffentlichkeit deutet die Ergebnisse dann gern als allgemeines politisches Stimmungsbarometer. Aus: Eckart Thurich: pocket politik. Demokratie in Deutschland, Neuausgabe 2006, Bonn: Bundeszentrale für politische Bildung 2011, S.112. Voraussetzungen der Wahl Jede Wahlentscheidung setzt eine Auswahl voraus. Nach allgemeinem Sprachgebrauch heißt wählen, zwischen mehreren tatsächlich vorhandenen Möglichkeiten sachlicher oder personeller Art zu entscheiden. Es müssen verschiedene miteinander konkurrierende Personen, Personengruppen (Parteien) und Sachprogramme vorhanden sein, zwischen denen der Wähler eine Auswahl treffen kann. Ist eine Konkurrenzsituation nicht gegeben, liegt kein Wahlakt, sondern allenfalls eine Akklamation im Sinne einer totalen Zustimmung vor. Die der Wahl innewohnende Konkurrenz setzt freilich gleiche Chancen aller um die Gunst des Wählers wetteifernden Personen und Gruppen voraus. Das heißt, jede Person, jede Partei und jedes Sachprogramm muss im Grundsatz in der Lage sein, sich in der Konkurrenz mit- und gegeneinander durchzusetzen. Wo das nicht möglich ist, kann man von Wahlen nicht sprechen. Versteht man unter Wahl eine Auswahl unter mehreren Möglichkeiten, so gehört dazu auch die Wahlfreiheit des Wählers. Er muss sich frei, d.h. eigenverantwortlich und ohne Druck oder Zwang entscheiden können. Um die gewählten Repräsentanten an den Willen ihrer Wähler zu binden, ist zudem unverzichtbar, dass sie sich in periodischen Abständen erneut zur Wahl stellen müssen, sodass die Wählerinnen und Wähler die Möglichkeit behalten, ihre einmal getroffene Entscheidung zu überprüfen, zu erneuern oder zurückzunehmen. Nur dadurch können die Gewählten genötigt werden, die Überzeugungen und Interessen ihrer Wählerinnen und Wähler zu respektieren. Funktionen der Wahl in einem repräsentativen Regierungssystem Die Wahl gibt den Bürgern die Möglichkeit zur Teilnahme an der politischen Willensbildung. Unter den verschiedenen Mitwirkungsformen des Bürgers in der Demokratie sind die Wahlen die allgemeinste und die wichtigste: die allgemeinste, weil alle Staatsbürger daran teilhaben können, und die wichtigste, weil es in den Wahlen um politische Macht geht. Durch ihre Stimmabgabe beeinflussen die Wählerinnen und Wähler die Zusammensetzung der Volksvertretung und damit (indirekt) die Auswahl des politischen "Führungspersonals" sowie die programmatische Ausrichtung, d.h. die Inhalte und Beschlüsse der künftigen Regierungspolitik. Durch die Wahlentscheidung soll eine klare Mehrheit im Parlament geschaffen werden, aus der eine handlungsfähige Regierung hervorgeht. Die gewählte Mehrheit, also die Partei(en) mit den meisten Stimmen, ist berechtigt (legitimiert) und beauftragt (autorisiert), für eine begrenzte Zeit die Regierung zu führen, für die Gesamtheit der Staatsbürger verbindliche Entscheidungen zu treffen und Macht auszuüben. Wahlergebnisse sind Handlungsauftrag und Machtzuweisung auf Zeit. Durch die Wahl soll auch gewährleistet werden, dass unterschiedliche Meinungen und Interessen im Parlament repräsentiert werden. Während die gewählte Mehrheit zur befristeten Machtausübung befugt ist, übernimmt die Minderheit die wichtige Rolle der Opposition. Wahlen sollen nicht nur für eine handlungsfähige Regierung, sondern ebenso für eine starke Opposition sorgen. Deren Aufgabe ist es, die Regierung zu kontrollieren, indem sie die Mehrheitspartei(en) ständig zwingt, ihr politisches Handeln vor der Öffentlichkeit zu erläutern und zu begründen. Die regierende Mehrheit kann sich der Pflicht, Rechenschaft abzugeben, nicht entziehen, wenn sie das Vertrauen und die Zustimmung ihrer Wählerinnen und Wähler nicht verlieren will. Ist es in der Zeit zwischen den Wahlen in erster Linie Aufgabe der Oppositionspartei(en) und der öffentlichen Meinung, die Regierung zu kontrollieren und darüber zu wachen, dass die durch Wahlentscheidung übertragene Macht nicht missbraucht wird, so erhält das Volk in der Wahl unmittelbar eine Möglichkeit der Machtkontrolle. Die Wählerinnen und Wähler können ihre einmal getroffene Wahlentscheidung bestätigen, wenn sie mit der Regierung und der von ihr vertretenen Politik einverstanden sind, oder sie können ihre Entscheidung korrigieren und damit die Machtzuweisung und den Handlungsauftrag an die Parteien ändern, wenn das nicht der Fall ist. Periodische Wahlen (beim Bundestag im Abstand von vier Jahren) sollen die Chance des Machtwechsels offenhalten und dafür sorgen, dass die Regierung den Wählern verantwortlich bleibt. Eigener Text nach: Walter Gensior und Volker Krieg: Kleine Wahlrechts-Fibel. Wahlrecht und Wahlverfahren in der Bundesrepublik Deutschland und im Lande Nordrhein-Westfalen, 4. Aufl., Leverkusen/ Opladen: Heggen-Verlag 1984, S. 16 ff. Walter Besson und Gotthard Jasper: Das Leitbild der modernen Demokratie. Bauelemente einer freiheitlichen Staatsordnung. Schriftenreihe der Bundeszentrale für politische Bildung Bd. 300, überarb. und aktual. Neuausg., Bonn 1990, S. 25. Dieter Nohlen: Wahlen/ Wahlfunktionen, in: Uwe Andersen und Wichard Woyke (Hrsg.): Handwörterbuch des politischen Systems der Bundesrepublik Deutschland, Bonn: bpb 1997, S. 597 ff. Eckart Thurich: pocket politik. Demokratie in Deutschland, Neuausgabe 2006, »www.bpb.de/popup/popup_lemmata.html?guid=7PI56A« (27.07.2012). Arbeitsaufträge: • Erläutere, welcher Einfluss den Bürgern durch das Wahlrecht zugesprochen wird. • Erkläre, was Wahlen gewährleisten sollen. • Liste die Voraussetzungen auf, die für eine Wahl gegeben sein müssen. • Benenne die Aufgaben der Parteien. • Fasse die gesammelten Informationen in einem Schaubild zusammen. M 2 Die Mehrheitswahl Im Laufe der Zeit haben sich zwei verschiedene Grundtypen von Wahlsystemen herausgebildet, die beide jeweils bestimmte Vorteile und Nachteile mit sich bringen: das Mehrheitswahlsystem und das Verhältniswahlsystem. Bei einem Mehrheitswahlsystem wird das Land, für das ein Parlament gewählt werden soll in eine gewisse Anzahl von Wahlkreisen unterteilt. Dabei entspricht in der Regel die Anzahl der gebildeten Wahlkreise der Anzahl der zu vergebenden Sitze im Parlament. Sollen also 200 Volksvertreter in das Parlament gewählt werden, dann wird das Land in 200 Wahlkreise eingeteilt. In jedem der Wahlkreise treten verschiedene Kandidaten unterschiedlicher Parteien (mitunter aber auch parteilose Bewerber) gegeneinander an. Wer bekommt den Platz im Parlament? Beim relativen Mehrheitswahlsystem, wie es beispielsweise in Großbritannien angewendet wird, ist die Sache ziemlich einfach. Nehmen wir an in einem Wahlkreis treten vier Bewerber (A, B, C und D) gegeneinander an. Am Ende des Wahltages wird das Ergebnis ausgezählt: A: 14.137 Stimmen B: 18.231 Stimmen C: 6.539 Stimmen D 17.967 Stimmen Wer von den vier Kandidaten wird wohl ins Parlament einziehen? Natürlich B, denn er konnte die meisten Stimmen erringen. Genauso wird in den anderen 199 Wahlkreisen verfahren. Am Ende des Wahltages hat in jedem Wahlkreis derjenige Kandidat gewonnen, der die Mehrheit der Stimmen erzielt hat. Die Stimmen für die Kandidaten der anderen Parteien gehen gänzlich verloren und werden dementsprechend bei der Sitzverteilung im Parlament nicht berücksichtigt. Quelle: http://www.bpb.de/popup/popup_grafstat.html?url_guid=EAYOKW M 3 Beispiel für die Mehrheitswahl: Großbritannien Großbritannien ist das Paradebeispiel für die relative Mehrheitswahl. Das Wahlsystem hat sich dort in einem langen historischen Prozess entwickelt. Das Wahlrecht, das noch fast unverändert gilt, stammt aus dem Jahr 1945. 1969 wurde das Wahlalter auf 18 gesenkt. Im Jahr 1987 ergab sich bei den Wahlen zum Britischen Unterhaus im Wahlkreis Stockton South folgende Stimmverteilung: Ian Wrigglesworth (Social Democratic Party): 20.059 Stimmen, Timothy Devlin (Conservative Party) 20.833 Stimmen, John Scott (Labour Party) 18.600 Stimmen Der Kandidat der Konservativen, Devlin, erhielt die meisten Stimmen und zog ins Unterhaus ein. In Großbritannien gewinnt in der Regel eine der beiden großen Parteien (Konservative oder Labour Party) die absolute Mehrheit der Parlamentssitze. Die Mehrheitspartei kann die Regierung stellen, ohne dass eine Koalition gebildet werden muss. Eine absolute Mehrheit (mehr als 50 Prozent der Stimmen) erlangt dabei gewöhnlich keine Partei. Erst das Mehrheitswahlsystem verwandelt einen kleinen Stimmenvorteil in eine deutliche Mehrheit. Dieser mehrheitsbildende Effekt führte z.B. dazu, dass die Labour Party bei den Wahlen am 5. Mai 2005 35 Prozent der Stimmen in 55 Prozent der Mandate verwandeln konnte. Weil die Mehrheiten erst durch das Wahlsystem geschaffen werden, spricht man von künstlichen Mehrheiten (manufactured majorities). Der mehrheitsbildende Effekt kommt den großen Parteien zugute und geht zu Lasten der kleineren Parteien. Das betrifft in Großbritannien vor allem die dritte politische Kraft, die Liberal Democrats. Ihr Anteil an den Mandaten ist stets wesentlich niedriger als ihr Stimmenanteil. Der Grund dafür ist, dass sie zwar landesweit einen gewissen Anteil der Wählerstimmen erhält, ihre Wähler jedoch nicht regional konzentriert sind, so dass sie nur wenige Wahlkreise erringen kann. Der nationale Stimmenanteil wird nicht in Mandate umgerechnet. Wegen der Benachteiligung kleinerer Parteien spricht man von der Feindlichkeit der Mehrheitswahl gegen Drittparteien. Es können sich gewöhnlich nur zwei große Parteien etablieren. […] Gelegentlich führt das Mehrheitswahlsystem dazu, dass die nach der Zahl der insgesamt abgegebenen Stimmen zweitstärkste Partei die Mehrheit im Parlament erhält. Diese Erscheinung wird "bias" genannt. Zum "bias" kommt es, wenn die letztendlich unterlegene Partei ihre Stimmen in Hochburgen des politischen Gegners "verschenkt" und/oder die Wahlbeteiligung in den Wahlkreisen des Gewinners niedrig ist. Diese Ungerechtigkeit liegt auf der Hand. Eine besondere Bedeutung bei der Wahl in Einpersonenwahlkreisen kommt der Einteilung der Wahlkreise zu. Das Land wird in 646 Wahlkreise (Anzahl der Abgeordneten im Unterhaus) eingeteilt: Werden sie nach politischen Gesichtspunkten gezogen, ist das Wahlergebnis moralisch anstößig, denn es lässt sich effektiv manipulieren. Zwei Strategien sind möglich: Zum einen können die Wahlkreisgrenzen so gezogen werden, dass starke Wählerschaften des politischen Gegners durch starke eigene Wählerschaften neutralisiert werden, andererseits lassen sich Hochburgen bilden. Dieses Verfahren wird auch nach Elbridge Gerry (1812, ehemaliger Gouverneur von Massachusetts), der es besonders virtuos beherrschte, "gerrymandering" genannt. Um Manipulationen zu verhindern, ist also eine unabhängige Kommission notwendig, die über faire Wahlkreisgrenzen wacht. Die ständige Anpassung der Wahlkreisgrenzen ist auch deshalb notwendig, weil immer Migrationsprozesse stattfinden und das Bevölkerungswachstum verschieden schnell verläuft. Variiert die Anzahl der Wahlberechtigten pro Wahlkreis zu stark, kann dem Gebot der Stimmengleichheit nicht mehr entsprochen werden. Bei Einpersonenwahlkreisen sind also ständige Anpassungen der Wahlkreisgrenzen notwendig. Diese Aufgabe obliegt in Großbritannien der "Boundary Commission". Nach frühestens zehn und spätestens 15 Jahren überprüft je eine "Boundary commission" für England, Schottland, Wales und Nordirland die Größe der Wahlkreise. Nach allgemeiner Auffassung erfüllt diese ihre Aufgabe effizient. Das britische Wahlsystem hat von 1945 bis 1970 sehr gut funktioniert. Mit ihm wird ein klarer Regierungsauftrag für eine Partei erteilt. Die gleichmäßige Repräsentation der Stimmen hat sich diesem Ziel unterzuordnen. Konservative und Labour Party kämpften um die Gunst des Wählers und wechselten sich in der Regierungsverantwortung ab. Seit 1974 zeigt das Zweiparteiensystem aber Auflösungserscheinungen. Die Zustimmung zu den großen Parteien schwindet. Die Liberal Democrats erhalten seit 1974 konstant um 20 Prozent der Stimmen, sind aber im Parlament kaum vertreten. Auch Regionalparteien spielen eine größere Rolle. Es gibt daher eine Diskussion über eine Reform des Wahlsystems. Die Verzerrungen, die beim Verhältnis von Sitzen und Mandaten auftreten, sind seit Längerem ins Blickfeld der Öffentlichkeit gerückt. Das Wahlsystem wird von der Labour Party und natürlich von den Liberal Democrats, die es am stärksten benachteiligt, in Frage gestellt. Aus: Karl-Rudolf Korte: Wahlen in der Bundesrepublik Deutschland, http://www.bpb.de/themen/ULTS6O,0,0,Mehrheitswahl.html (29.08.2008). M 4 Vorzüge und Auswirkungen der Mehrheitswahl Vorzüge der Mehrheitswahl: • Verhütung der Parteienzersplitterung: Das System der relativen Mehrheit enthält eine versteckte "Sperrklausel": Parteien, welche die relative Mehrheit der Wählerstimmen nicht auf sich vereinigen können, scheiden automatisch aus. Minderheitenparteien haben daher nur in ihren Hochburgen die Chance, ein Mandat zu erlangen. • Stabile Regierungen: Ein Mehrheitswahlsystem führt tendenziell zu Zweiparteiensystemen und somit zur Bildung stabiler Regierungen. • Förderung politischer Mäßigung: Da die Wähler der Mitte eine Wahl entscheiden, sind die konkurrierenden Parteien gezwungen, sich in ihrer Programmatik an der gemäßigten Wählerschaft der Mitte zu orientieren. • Förderung des Wechsels in der Regierungsausübung: Bereits kleine Veränderungen in den Stärkeverhältnissen der Parteien nach Wählerstimmen können durch den Disproportionseffekt große Veränderungen an Mandaten auslösen. • Personenwahl: Aufgrund der Einteilung des Wahlgebietes in Wahlkreise entsteht eine enge Verbindung zwischen Wähler und Kandidat. Der Wähler entscheidet bei seiner Stimmabgabe eher über Personen als über Parteien. • Direkte Wahl der Regierung: Der Wähler entscheidet bei der Wahl unmittelbar über Regierung und Opposition, so dass nicht die Parteien in Koalitionsverhandlungen die Regierungsführung aushandeln. • Unabhängigkeit des Abgeordneten gegenüber seiner Partei: Durch die direkte Wahl im Wahlkreis wahrt der Abgeordnete eine unmittelbare Verbindung zum Wähler. Auswirkungen der Mehrheitswahl: • Zweiparteiensystem • Parteiliche Mehrheitsbildung • Stabile Regierungen • eindeutige Zurechnungsfähigkeit der politischen Verantwortung Aus: Wichard Woyke: Stichwort Wahlen. Wähler, Parteien, Wahlverfahren, 10. aktualisierte und erweiterte Auflage, Opladen: Leske und Budrich 1998, S. 38f. M 5 Arbeitsblatt: Die Mehrheitswahl Aufgabenteil 1 (Einzelarbeit): Ein sehr kleines Land mit 1800 Einwohnern will ein Parlament mit neun Abgeordneten nach dem relativen Mehrheitswahlrecht wählen. Eine Kommission unterteilt das Land also in neun Wahlkreise, mit je 200 wahlberechtigten Einwohnern. In jedem der Wahlkreise treten fünf Kandidaten von fünf verschiedenen Parteien an. Am Ende des Wahltages zeigt sich, wie viele Stimmen die Kandidaten in den verschiedenen Wahlkreisen erringen konnten: Arbeitsaufträge: • Bestimme die durchschnittlichen Stimmenanzahlen jeder Partei über alle Wahlkreise hinweg. • Berechne wie sich das gewählte Parlament zusammensetzt. Wie viele Sitze konnten die Parteien jeweils erringen? • Im Text M 3 wird die Möglichkeit einer so genannten "Bias"-Situation geschildert. Was ist damit gemeint? Versucht, die Zahlen in der Ergebnis-Tabelle so zu verändern, dass eine solche Situation auftritt. Aufgabenteil 2 (Partnerarbeit): Erstellt eine Übersicht, mit deren Hilfe ihr das Mehrheitswahlrecht in seinen Grundzügen erläutern könnt. Bezieht dabei auch das Fallbeispiel aus Aufgabe 1 ein. 1 Folie: Zitat zur Bedeutung des Wahlrechts "Das Heil der Demokratien, von welchem Typus und Rang sie immer seien, hängt von einer geringfügigen technischen Einzelheit ab: vom Wahlrecht. Alles andere ist sekundär." Jose Ortega y Gasset, spanischer Philosoph (1883 – 1955). zitiert nach: http://www.wahlrecht.de/index.htm (29.08.2008) M 2 Die Mehrheitswahl (Einstieg) Beim relativen Mehrheitswahlsystem, wie es beispielsweise in Großbritannien angewendet wird, ist die Sache ziemlich einfach. Nehmen wir an in einem Wahlkreis treten vier Bewerber (A, B, C und D) gegeneinander an. Am Ende des Wahltages wird das Ergebnis ausgezählt: A: B: C: D 14.137 18.231 6.539 17.967 Stimmen Stimmen Stimmen Stimmen Wer von den vier Kandidaten wird wohl ins Parlament einziehen? M 2 Das Verhältniswahlsystem Grundvorstellung Die Grundvorstellung der Verhältniswahl ist, dass im Parlament alle gesellschaftlichen Gruppen gemäß ihrem Anteil an Wählerstimmen vertreten sind. Es soll die "Landkarte" der Gesellschaft sein. Deshalb ist die Anzahl der Sitze, die jede Partei erhält, proportional zu der Anzahl ihrer Stimmen. So gehen nicht wie bei der Mehrheitswahl Stimmen verloren. Sie zählen alle gleich und haben den gleichen Erfolgswert. Obwohl die Verhältniswahlsysteme in diesem Punkt übereinstimmen - "das" Verhältniswahlsystem gibt es nicht. Verschiedene Regelungen können dazu führen, dass • kleine Parteien ausgeschlossen werden, • große Parteien Vorteile haben, • die größte Partei Vorteile hat, • ein konzentrierender Effekt auf das Parteiensystem eintritt, • die parlamentarische Mehrheitsbildung durch eine Partei gefördert wird. Stimmenverrechnung Zunächst variiert die Wirkung der Verhältniswahl durch unterschiedliche mathematische Verfahren zur Umrechnung von Stimmen in Mandate. Über sie wurde nachgedacht, seit es die Verhältniswahl gibt. […] Verfahren nach Hare/Niemeyer Thomas Hare, ein Engländer, und der deutsche Mathematiker Horst Niemeyer haben verschiedene Rechenwege gefunden, die zu genau dem gleichen Ergebnis führen. Das Verfahren wird deshalb als "Hare/Niemeyer" bezeichnet. Die Anzahl der Sitze, die eine Partei erhält, ergibt sich zunächst, indem die Stimmenanzahl einer Partei durch die Zahl der insgesamt gültigen Stimmen dividiert und dann mit der Gesamtzahl der Sitze multipliziert wird. Das Problem ist, dass so nicht alle Sitze vergeben werden. In der Bundesrepublik werden die restlichen Sitze nach der Größe des Restes aufgeteilt. Die Parteien mit den höchsten Nachkomma-Anteilen erhalten folglich die restlichen Mandate. Dieses Verfahren bringt also den (geringfügigen) Nachteil mit sich, dass nicht alle Mandate auf einmal vergeben werden und zwei Rechengänge notwendig sind. Außerdem begünstigt es im Zweifelsfall kleinere Parteien. Dieses Verfahren gibt es in vielen weiteren Variationen. Doch sollte man die Bedeutung der Umrechnungsverfahren nicht überschätzen. Sie liefern bei einer großen Zahl von Mandaten kaum unterschiedliche Ergebnisse. Die Mehrheitsverhältnisse im Parlament müssen extrem knapp sein, wenn das Verrechnungsverfahren darüber entscheidet, wer die Regierung stellt. Da mit solchen Wahlausgängen jedoch immer zu rechnen ist, hat "Hare/Niemeyer" weiterhin Zukunft. Sperrklauseln Einen weitaus größeren Einfluss auf die Auswirkungen eines Verhältniswahlsystems hat eine Sperrklausel. Sie bestimmt, wie viel Prozent der Stimmen eine Partei mindestens erreichen muss, um überhaupt bei der Mandatsvergabe berücksichtigt zu werden. In der Bundesrepublik sind das bei der Bundestagswahl und bei Landtagswahlen fünf Prozent. Sperrklauseln verhindern, dass sehr kleine Parteien ins Parlament kommen. Sie stabilisieren das Parteiensystem und schützen vor Parteienzersplitterung. Dies ist wesentlich für die parlamentarische Mehrheitsbildung und damit für die Funktionsfähigkeit des parlamentarischen Systems. […] Bei den Bundestagswahlen muss eine Partei fünf Prozent der Stimmen im gesamten Bundesgebiet erreichen. Eine Ausnahmeregelung gilt allerdings dann, wenn die Partei mindestens drei Direktmandate gewinnt. In diesem Fall greift die Fünfprozentklausel nicht […]. Aus: Karl-Rudolf Korte: Wahlen in der Bundesrepublik Deutschland, http://www.bpb.de/themen/YEO74J,2,0,Verh%E4ltniswahl.html#art2 (08.09.2008). M 3 Vorzüge und Auswirkungen der Verhältniswahl Vorzüge der Verhältniswahl • Gerechtigkeit: Das Verhältniswahlsystem zeichnet sich durch große Gerechtigkeit aus, da a) jede Stimme den gleichen Erfolgswert aufweist. b) Minderheitengruppen entsprechend ihrer tatsächlichen Stärke repräsentiert werden und c) kein Wähler durch einen Abgeordneten repräsentiert wird, den er nicht gewählt hat. • Spiegelbild der Wählerschaft: Bei reinem Verhältniswahlsystem entsteht ein getreues Abbild der in der Wählerschaft bestehenden politischen Präferenzen. • Keine Wahlkreisgeometrie: Durch die Verrechnung auf Wahlgebietsbasis besteht keine Möglichkeit der Manipulation von Wahlergebnissen durch Wahlkreiseinteilung im Interesse bestimmter Gruppen. • Erforderliche Experten: Die für jedes Parlament notwendigen Experten können über Landeslisten besser abgesichert werden. • Bessere Möglichkeiten für neue Parteien: Die Verhältniswahl ermöglicht neuen Parteien eher den parlamentarischen Zugang und verhindert ein Kartell der bestehenden Parteien. • Verhinderung extremer politischer Umschwünge: In der Verhältniswahl ist es außerordentlich selten, dass extreme Veränderungen im Parteiensystem sich sehr schnell niederschlagen. Auswirkungen der Verhältniswahl • Koalitionsregierungen • Gerechte Repräsentation • Chancen für neue politische Strömungen Aus: Wichard Woyke: Stichwort Wahlen. Wähler, Parteien, Wahlverfahren, 10. aktualisierte und erweiterte Auflage, Opladen: Leske und Budrich 1998, 38f. M 4 Arbeitsblatt: Die Verhältniswahl M 5 Kategorien zur Beurteilung von Wahlsystemen So wichtig die politische Stabilität einer Demokratie ist, so schwer ist es abzuwägen, wie sie vom Wahlsystem gefördert und wie sie gehemmt wird. Ein Vielparteiensystem gefährdet zweifellos die parlamentarische Demokratie - vielleicht führt aber ein Mehrparteiensystem zur Integration der Gesellschaft und zur Kontinuität der Regierungsausübung? In Großbritannien hat die Mehrheitswahl Stabilität gefördert. In Liberia dagegen trug sie zum Bürgerkrieg mit bei, weil ethnische Minderheiten keine Repräsentanten ins Parlament entsenden konnten, ihre Rechte verletzt sahen und schließlich zu den Waffen griffen. Allgemeine Antworten auf die Frage nach dem Zusammenhang zwischen Wahlsystem und der Stabilität des politischen Systems sind nicht möglich. Viele Vorurteile in der öffentlichen Auseinandersetzung über Wahlrechtsänderungen bestimmen den politischen Diskurs. Wahlsysteme haben Auswirkungen auf die Verteilung der politischen Macht. Änderungen sind jedoch nicht mit Manipulationen gleichzusetzen. Das jeweilige Wahlrecht lässt bestimmte Ergebnisse erwarten. Ob diese gerecht sind, ist eine ethische, keine politische Kategorie. Die mathematischen Verrechnungsverfahren müssen jedoch durch eine demokratisch legitimierte Legislative beschlossen worden sein. Bei der Bewertung von Wahlsystemen lassen sich grundsätzlich zwei Maßstäbe anlegen: • Gerechtigkeit: Ein Wahlsystem soll vor allem gerecht sein. Das Parlament soll die Verhältnisse der Gesellschaft möglichst exakt widerspiegeln. Der Maßstab zur Bewertung des Wahlrechts ist daher die Gerechtigkeit. • Funktionalität: Eine Demokratie soll vor allen Dingen funktionieren. Das geht am besten, wenn es zwei große Parteien gibt, die um die Macht konkurrieren müssen und sich in der Regierungsverantwortung immer wieder abwechseln. Die Wahl soll deshalb einer Partei zu einer stabilen Mehrheit verhelfen, so dass eine stabile Regierung gebildet werden kann. Sie soll zudem den Regierungswechsel fördern. Aus: Hans-Rudolf Korte: Wahlen in der Bundesrepublik Deutschland, http://www.bpb.de/themen/YKG5PB,0,0,Politische_Stabilit%E4t_und_Bewertung.html (08.09.2008). Leistungsanforderungen an Wahlsysteme An Wahlsysteme werden, dem Wahlsystemforscher Dieter Nohlen zufolge, vor allem fünf Leistungsanforderungen gerichtet: • Repräsentation: Alle relevanten gesellschaftlichen Gruppen sollen in den gewählten Vertretungsorganen vertreten sein. Die abgegebenen Wählerstimmen sollen sich proportional in Abgeordnetenmandaten niederschlagen. • Konzentration: Die Zahl der Parlamentsparteien soll reduziert und die Bildung stabiler parlamentarischer Mehrheiten gefördert werden. • Partizipation: Die Wähler sollen große Beteiligungschancen haben, insbesondere neben der Parteienwahl auch eine personelle Wahl treffen können. • Einfachheit: Die Wähler sollen die Funktionsweise des Wahlsystems verstehen. Der Wahlvorgang soll transparent sein. • Legitimität: Das Wahlsystem und seine Ergebnisse sollen allgemein akzeptiert sein. Jede dieser Anforderungen ist zwar für sich in bestmöglicher Weise realisierbar; dementsprechend lässt sich der Realisierungsgrad einzelner Anforderungen in unterschiedlichen Wahlsystemen miteinander vergleichen. Allerdings können in keinem Wahlsystem alle Anforderungen gleichzeitig voll erfüllt werden. Aus: Volker von Prittwitz: Vollständig personalisierte Verhältniswahl. Reformüberlegungen auf der Grundlage eines Leistungsvergleichs der Wahlsysteme Deutschlands und Finnlands. In: Aus Politik und Zeitgeschichte (APuZ 52/ 2003), http://www.bpb.de/publikationen/JQIM0Q,1,0,Vollst%E4ndig_personalisierte_Verh%E4ltniswahl.ht ml#art1 (08.09.2008). Thema der Unterrichtseinheit: Wahlen – alle Macht dem Volke? Thema der Unterrichtsstunde: Fehlende Funktionalität des Verhältniswahlrechts (VW) - Brauchen wir das Mehrheitswahlrecht (MW)? Thema der letzten Unterrichtsstunde: Das Verhältniswahlrecht – abschreckend kompliziert? Hauptintention: Die Schülerinnen und Schüler (SuS) können Argumente für und gegen das Verhältnis- bzw. das Mehrheitswahlrecht erläutern und gegeneinander abwägen und sich auf Basis dieser Argumente ein kategoriales und kriteriengeleitetes Urteil dazu bilden, inwiefern sie eines der beiden Wahlsysteme bevorzugen (Urteilskompetenz). Geplanter Unterrichtsverlauf Zeit Phase Inhalt/Lehrimpulse erwartete Schüleraktion Soz.form Material/ Medien 5 Einstieg L präsentiert Karikatur (vgl. Anhang I) und bittet SuS, diese zu beschreiben und mit Bezug auf die vorbereitende HA und den Titel zu problematisieren. UG OHP, Folie mit Karikatur 15 Erarbeitung (T)PS + GA M1 – M3, M5 Kärtchen, Stifte 12 Auswertung 11 Vertiefung L teilt die Klasse in zwei Gruppen und teilt ihnen die Arbeitsbögen zur Vorbereitung einer kontroversen Diskussion aus. L bittet die SuS, aus ihrer vorgegebenen Rolle heraus zu argumentieren und moderiert die Diskussion. L fordert SuS aus, sich aus ihrer vorgegebenen Rolle zu lösen und ihr persönliches Urteil abzugeben. L fragt ggf., ob bzw. wie sich die eingangs dargestellte Situation auflösen ließe. Langwierige und schwierige Regierungsbildung; (zu) viele Autos/Parteien; Wahlsystem führt zu Lähmung, mangelnde Funktionalität; Missstände evtl. durch MW zu beheben. SuS notieren Argumente aus Texten (vgl. Anhang II und III), auf Kärtchen, gewichten diese und formulieren ein Eingangsstatement für die Diskussion. Jeweils eine Gruppe argumentiert für die reine Verhältniswahl bzw. die relative Mehrheitswahl. 2 HA L teilt HA aus und verabschiedet sich. GA Tafel, Kärtchen, Patafix SuS beurteilen kriteriengeleitet und kategorial (Gerechtigkeit, Repräsentation, Handlungsfähigkeit, Verständlichkeit, …), warum bzw. inwiefern sie ein Wahlsystem dem anderen vorziehen würden. UG Tafel, Kärtchen, (M1 – M3, M5), SuS nehmen AB für HA entgegen und verabschieden sich. LV OHP, Folie mit Karikatur M4 Folie/Karikatur: Das Wahlrecht in der Diskussion Quelle: Christel Löscher: Das Wahlrecht in der Diskussion www.cornelsen.de/teachweb (letzter Aufruf am 20.10.2010). Anmerkung: Um eine bessere Lesbarkeit zu erreichen, wurden bei der in der Stunde verwendeten Darstellung die Nummernschilder der Autos vergrößert. Die SuS haben die Arbeitsbögen für die vorbereitende Hausaufgabe mit Zeilenzählung erhalten. M1: Warum wir das Mehrheitswahlrecht brauchen - von Hans-Ulrich Jörges Das Denkverbot ist gebrochen. Nicht bei uns. Noch nicht. Aber bei unseren Nachbarn. In Österreich, von einer Großen Koalition nicht weniger gequält und gelähmt als Deutschland, bekennt sich die konservative ÖVP zu einer einschneidenden Reform des Wahlrechts: zum Mehrheits- anstelle des Verhältniswahlrechts, wie es in beiden Ländern bisher gilt. Das bedeutet: Nur die vom Volk direkt gewählten Kandidaten in den Wahlkreisen ziehen ins Parlament ein, wie in Großbritannien oder Frankreich, niemand über Listen, deren Aufstellung die Parteien nach Gutdünken diktieren. Das bedeutet aber auch und vor allem: Schluss, für alle Zeit, mit Großen Koalitionen, denn das Mehrheitswahlrecht beschert in der Regel einer der großen Volksparteien allein eine regierungs- und damit gestaltungsfähige Mehrheit. Und falls es allein nicht reicht, dann im Bündnis mit einer kleinen Partei, nicht mit zweien oder dreien, was in Deutschland die Alternative zur Großen Koalition wäre. […] [Dies] sollte zum Vorbild werden für Deutschland – und auch hier eine Debatte anstoßen. Die Große Koalition in Berlin, sie demonstriert das gerade, ist schon nach der Hälfte ihrer Regierungszeit erschöpft, am Ende mit ihren Gemeinsamkeiten, bis aufs Blut gereizt von Wut und Widersprüchen. Dennoch muss sie womöglich nach 2009 fortgesetzt werden. Denn eine schwarz-gelbe Mehrheit ist höchst fraglich. Und die denkbaren Dreier-Bündnisse sind erstens nicht minder zweifelhaft und versprechen zweitens keine Erlösung durch stringenteres Regieren. Im Gegenteil: Jede dieser Konstellationen würde wohl die Qual noch unerträglicher machen, weil die Gegensätze und der Zwang zur Profilierung permanenten Aufruhr versprechen statt Klarheit und Stetigkeit. Die stabile Verankerung der Linkspartei hat das parlamentarische System dramatisch verändert. Mit fünf Fraktionen und sechs Parteien – inklusive CSU – ist die Seligkeit stabiler Zweierkoalitionen Geschichte, zunehmend auch in den Ländern. Lähmung und Instabilität aber bergen das Risiko einer permanenten Krise des Parlamentarismus, mit wachsender Wahlenthaltung und einem notleidenden Land, dem Gestaltung verweigert wird. Ein Ausweg ist das Mehrheitswahlrecht. Zum einen hat der Bürger unmittelbaren Einfluss auf seinen Abgeordneten - und der ist unabhängiger von seiner Partei. Zum anderen ist der faule Kompromiss passé. Hätte es das Mehrheitswahlrecht 2005 gegeben, könnte die Union mit knapper Mehrheit allein regieren. Und Hessen würde heute von der SPD allein regiert, denn die hat 29 der 55 Wahlkreise gewonnen. Der dramatische Swing der Wählerstimmung fände seinen angemessenen Ausdruck. Die FDP wäre aus dem - halb so großen! - Bundestag verschwunden. Das ist ein starker Einwand gegen das Mehrheitswahlrecht, aber kein schlagender. In Großbritannien sitzen auch die Liberaldemokraten komfortabel im Unterhaus. Kleine Parteien müssen eben populäre Kandidaten aufstellen - als Ein- Mann-Show sind sie verloren. […] Quelle: stern, 5/2008, Mehrheitswahlrecht/610364.html http://www.stern.de/politik/deutschland/:F%FCnf-Parteien-System-Brauchen- Quelle: Riedel, Hartwig: Politik & Co. Wirtschaft/Politik für das Gymnasium. Schleswig-Holstein. C.C. Buchners Verlag, Bamberg 2011. Aufgaben: • Lest den Text und notiert Argumente für die Einführung eines Mehrheitswahlrechts. • Prüft die Argumente mit Hilfe von M5, gewichtet sie für euch persönlich und notiert die Reihenfolge. M2: Das Mehrheitswahlrecht ist keine Lösung - von Alfred Grosser […] Es stimmt nicht, dass beim Mehrheitswahlrecht der Bürger unmittelbaren Einfluss auf seine Abgeordnete hat und dieser unabhängig von seiner Partei ist. Ganz im Gegenteil: Der britische Abgeordnete stimmt im Parlament, wie es seine Partei beschlossen hat. Verfügt seine Partei über die Mehrheit, hängt sein Stimmverhalten vom Beschluss der Regierung ab. Die "whips", die Einpeitscher seiner Partei, zwingen ihn, "richtig" abzustimmen. Sollte er rebellieren, stellt die Partei in seinem Wahlkreis künftig einen anderen Kandidaten auf - und dieser wird, obgleich bisher unbekannt, den Abtrünnigen besiegen. In Frankreich hat es unter Nicolas Sarkozy bisher kein Mitglied der Mehrheitsfraktion gewagt, gegen den Befehl des Präsidenten zu stimmen, aus Angst, bei der nächsten Parlamentswahl nicht mehr mit dessen Unterstützung kandidieren zu dürfen. Nur wenige sind sich ihres Wahlkreises so sicher, dass sie sich ein unabhängiges Votum erlauben. Auch ist es falsch, wie Hans-Ulrich Jörges schreibt, dass die britischen Liberalen "komfortabel" im Unterhaus sitzen. Der Tiefpunkt war für sie erreicht, als sie mit 20 Prozent der Stimmen nur zwei Prozent der Sitze erhielten. In Frankreich haben die Rechtsextremen unter Jean-Marie Le Pen nicht ein einziges Direktmandat durchgebracht, sie sind nicht in der Nationalversammlung vertreten. Das freut die politischen Gegner. Aber ist es gerecht, dass der Wille von 10 bis 15 Prozent der Wähler keinen Ausdruck findet? Das Verhältniswahlrecht stärkt die kleinen Parteien, mitunter fällt ihnen die Rolle des Schwanzes zu, der mit dem Hund wedelt. 1982 wechselte die FDP zu Helmut Kohl - und betrieb dort jene Aufrüstungspolitik weiter, für die Helmut Schmidt von seiner Partei erdolcht worden war. Die FDP war in Deutschland ein entscheidender Spieler und wird es nach dem Ende der Großen Koalition womöglich wieder sein. […] Quelle: stern, 5/2008, http://www.stern.de/politik/deutschland/:F%FCnf-Parteien-System-BrauchenMehrheitswahlrecht/610364.html M3: Soll das Mehrheitswahlrecht eingeführt werden? NEIN! - von Heiner Geissler Das Verhältniswahlrecht stellt sicher, dass die Stimme eines CDU-Wählers im „roten“ Duisburg für die Zusammensetzung des Bundestags genau so viel Gewicht hat wie die eines CDU-Wählers im „schwarzen“ Cloppenburg. Das Mehrheitswahlrecht hätte zur Folge, dass sich die Arbeit der Parteien und Wahlkämpfe auf hart umkämpfte Stimmkreise konzentrierten. In sicheren Wahlkreisen fände Konkurrenz praktisch nicht mehr statt. Konsequenz wäre die parteipolitische Regionalisierung des Deutschen Bundestags: starke Unionsgruppen aus dem Süden, nur noch SPD-Abgeordnete aus dem Ruhrgebiet, ganze Landstriche ohne Oppositionsvertreter, regionale Staatsparteien und Erbhöfe. Das Verhältniswahlrecht stellt sicher, dass sich die Parteien flächendeckend um das Vertrauen breiter Wählerschichten bemühen müssen, weil jede Stimme zählt. […] Quelle: Geissler, Heiner: Soll das Mehrheitswahlrecht eingeführt werden? Nein! Kommentar zu dem Artikel Das Kreuz mit den Wahlen. Focus, 06/1994 vom 07.12.1994. Aufgaben: • Lest den Text und notiert Argumente für das Verhältniswahlrecht. • Prüft die Argumente mit Hilfe von M5, gewichtet sie für euch persönlich und notiert die Reihenfolge. Arbeitsaufträge für die Erarbeitungsphase Im Anschluss an die Phase erfolgt eine Diskussion, in der ihr euch für die Einführung des Mehrheitswahlrechts aussprechen sollt. Bearbeitet zur Vorbereitung auf die Diskussion folgende Aufgaben: Aufgaben: • Tauscht zunächst in 4er-Gruppen eure in der Hausaufgabe gesammelten Argumente aus und einigt euch auf eine Hierarchie der Argumente. Notiert die Argumente als Schlagwörter gut leserlich auf den dafür vorgesehenen Karten. (5 min.) • Einigt euch innerhalb der gesamten Gruppe auf die in der anschließenden Diskussion anzuführenden Argumente und gewichtet diese. (5 min.) • Formuliert ein Eingangsstatement für die anschließende Diskussion und einigt euch auf eine Person, die die Argumente im Verlauf der Diskussion an die Tafel heftet. (5 min.) M 4: Hausaufgabe (optional) Quelle: Christel Löscher: Das Wahlrecht in der Diskussion www.cornelsen.de/teachweb (letzter Aufruf am 20.10.2014). Aufgaben: • Erörtert schriftlich, inwiefern ihr eines der beiden behandelten Wahlsysteme bevorzugt. • Entwickelt ein Konzept für ein Wahlsystem, mit Hilfe dessen sich die Probleme der beiden behandelten Wahlsysteme beheben ließen. Erwartungshorizont/erwartetes Tafelbild: Argumente für das Verhältniswahlrecht und das Mehrheitswahlrecht Vorzüge der Mehrheitswahl Vorzüge der Verhältniswahl Stabile Regierungen: Ein Mehrheitswahlsystem führt tendenziell zu Zweiparteiensystemen und somit zur Bildung stabiler Regierungen. Gerechtigkeit: Das Verhältniswahlsystem zeichnet sich durch große Gerechtigkeit aus, da a) jede Stimme den gleichen Erfolgswert aufweist. b) Minderheitengruppen entsprechend ihrer tatsächlichen Stärke repräsentiert werden und c) kein Wähler durch einen Abgeordneten repräsentiert wird, den er nicht gewählt hat. Die politische Verantwortung ist eindeutig Spiegelbild der Wählerschaft: Bei reinem zuzuordnen. Verhältniswahlsystem entsteht ein getreues Abbild der in der Wählerschaft bestehenden politischen Präferenzen. Verhütung der Parteienzersplitterung: Bessere Möglichkeiten für neue Parteien: Die Das System der relativen Mehrheit enthält eine Verhältniswahl ermöglicht neuen Parteien eher den versteckte "Sperrklausel": Parteien, welche die relative parlamentarischen Zugang und verhindert ein Kartell Mehrheit der Wählerstimmen nicht auf sich vereinigen der bestehenden Parteien. können, scheiden automatisch aus. Minderheitenparteien haben daher nur in ihren Hochburgen die Chance, ein Mandat zu erlangen. Förderung politischer Mäßigung: Verhinderung extremer politischer Umschwünge: In Da die Wähler der Mitte eine Wahl entscheiden, sind der Verhältniswahl ist es außerordentlich selten, dass die konkurrierenden Parteien gezwungen, sich in ihrer extreme Veränderungen im Parteiensystem sich sehr Programmatik an der gemäßigten Wählerschaft der schnell niederschlagen. Mitte zu orientieren. Erforderliche Experten: Die für jedes Parlament Förderung des Wechsels in der Regierungsausübung: notwendigen Experten können über Landeslisten Bereits kleine Veränderungen in den Stärkeverhältnissen der Parteien nach Wählerstimmen besser abgesichert werden. können durch den Disproportionseffekt große Veränderungen an Mandaten auslösen. Personenwahl: Aufgrund der Einteilung des Wahlgebietes in Wahlkreise entsteht eine enge Verbindung zwischen Wähler und Kandidat. Der Wähler entscheidet bei seiner Stimmabgabe eher über Personen als über Parteien. Keine Wahlkreisgeometrie: Durch die Verrechnung auf Wahlgebietsbasis besteht keine Möglichkeit der Manipulation von Wahlergebnissen durch Wahlkreiseinteilung im Interesse bestimmter Gruppen. Direkte Wahl der Regierung: Der Wähler entscheidet bei der Wahl unmittelbar über Regierung und Opposition, so dass nicht die Parteien in Koalitionsverhandlungen die Regierungsführung aushandeln. Unabhängigkeit des Abgeordneten gegenüber seiner Partei: Durch die direkte Wahl im Wahlkreis wahrt der Abgeordnete eine unmittelbare Verbindung zum Wähler. Stabilität, Handlungsfähigkeit exakte REPRÄSENTATION, evtl. höhere Partizipation Anmerkung: In der Stunde sollen jeweils nur die kursiv gedruckten Elemente als kurze und prägnante Schlagwörter auf den Karten notiert werden. AB BTW (Aufgabe 1 bis 3 = vorbereitende Hausaufgabe) Aufgaben: 1) Erkläre – ggf. mit Hilfe der Materialien aus der UE - die Wahlrechtsgrundsätze jeweils in einem knappen Satz! (M1) 2) Erkläre das Bundestagswahlrecht in Bezug auf folgende Aspekte: (M19) - Wie viele Sitze erhält welche Partei? - Auf welche Weise werden diese verteilt? - Wann wird bei der Sitzverteilung nach Landeslisten gegangen, wann wird das Bundesergebnis betrachtet? 3) Nimm Stellung, welche Stimme (Erst- oder Zweitstimme) die entscheidende bei einer Bundestagswahl ist! 4) Nimm mit Bezug auf die Wahlrechtsgrundsätze und auf eigene Kriterien (nennen) zum demokratischen Charakter des Bundestagswahlrechts Stellung! M 1 Die Wahlrechtsgrundsätze des Artikels 38 (1) GG Die Abgeordneten des Deutschen Bundestages werden in allgemeiner, unmittelbarer, freier, gleicher und geheimer Wahl gewählt. Sie sind Vertreter des ganzen Volkes, an Aufträge und Weisungen nicht gebunden und nur ihrem Gewissen unterworfen. M 19 Das "personalisierte Verhältniswahlsystem" in Deutschland Quelle: Riedel, Hartwig (Hrsg.): Politik & Co. Sozialkunde für das Gymnasium. Rheinland-Pfalz. C.C. Buchners Verlag, Bamberg 2014. Thema der UE: Thema der Stunde: Vor-/Folgestunde: Wahlen – alle Macht dem Volke? Das Bundestagswahlrecht – ein "demokratisches" Wahlrecht? MW vs. VW – stabile Mehrheiten versus exakte Repräsentation des Wählerwillens Hauptintention: Schüler erwerben die Fähigkeit, - ausgehend von den Wahlrechtsgrundsätzen und deren Umsetzung im Bundestagswahlrecht ein erstes, differenziertes Urteil (je nach Grundsatz erfüllt) zum "demokratischen" Charakter des Bundestagswahlrechts formulieren zu können (Spannungsfeld: Exakte Repräsentation vs. Transparenz und Effizienz) Zeit 10 25 Didaktische Funktion/ Sozialform Einstieg: LSG Inhalt/ Lehrimpulse Material/ Medien Erwartete Antworten/ LZ „Zweitstimme FDP!“ - Materialarbeit PC Beamer Wahlplakat FDP -Wahlplakat (FDP) - wirbt mit „Zweitstimme“ FDP - vermutlich bei Wählern anderer Parteien Verwirrung, Intransparenz? Oder sinnvolle Aufteilung, z.B. CDU/ FDP? = „gemischte Wahl“? (un-) demokratisch? Gelenk: LV Prüfung des Bundestagswahlrechts in mehreren Schritten. Heute „die Zweitstimme“ im Vordergrund, in den nächsten beiden Stunden weitere Spezialitäten des deutschen Bundestagswahlrechts… 1) Erklären Sie die Wahlrechtsgrundsätze jeweils in einem knappen Satz! (M1) 2) Erklären Sie das Bundestagswahlrecht in Bezug auf folgende Aspekte: (M2, M3) - Wie viele Sitze erhält welche Partei? - Auf welche Weise werden diese verteilt? - Wann wird bei der Sitzverteilung nach Landeslisten gegangen, wann wird das Bundesergebnis betrachtet? AB BTW Tafel Siehe Tafel Auswertung/ Sicherung: LSG 25 Erarbeitung: GA 30 Vertiefung/ Transfer: SSG 3) Nehmen Sie Stellung, welche Stimme (Erst- oder Zweitstimme) die entscheidende bei einer Bundestagswahl ist! 4) Nehmen Sie mit Bezug auf die Wahlrechtsgrundsätze und auf eigene Kriterien (nennen) zum demokratischen Charakter des Bundestagswahlrechts Stellung! Ergänzungen 1. und 2. Aufgabe 3 (sehr knapp als Festigung) Aufgabe 4 Aufgabe 4 sowohl bei 4.1 als auch bei 4.2 zu intensiver Reflexion des Demokratiebegriffs nutzen, ggf. Impulse: Muss Demokratie Stimmengleichheit bedeuten (one man, one vote)? Absolut oder relativ? Mehrheit? Absolut oder relativ? Welche Kategorie ist hier als Kriterium wichtig bzw. am wichtigsten? Ggf. Impuls: Vergleich mit GB/ F! HA: Tafelbild: siehe nächste Seite OHP Folien-kopie Sitzverteilung aus Buch 3 Zweitstimme wegen Verteilung der Plätze, aber: "Überhangmandate" ist das SO demokratisch? Dazu Grundsätze hinterfragen und abgleichen AB BTW Tafel 1a Auch ungleich könnte gerecht sein 1b Gerechtigkeit ist mehr als Gleichheit (auch relative Gleichheit, auch Effizienz…) 1c Ist das im BTWR überhaupt gleich? Tafelbild: "Personalisiertes Verhältniswahlrecht" – eine (un-) demokratische Mischung? Allgemein - ja (außer Alter) Frei - ja Unmittelbar - ja Gleich -?- Geheim Ja muss "gleich" auch "gerecht" sein? ist das BTWR überhaupt ein "gleiches" Wahlrecht? was ist ein gerechtes, was ein "demokratisches" Wahlrecht? (erste Kriterien) Kursive Ausführungen erst zu Aufgabe 4.1(Platz lassen) 2. und 3. Erststimme (Wahlkreise) Zweitstimme (Listen) Mehrheitswahl, Kandidat im Bundestag Eventuell "Überhandmandate" in einzelnen Ländern Bestimmt die Sitze insgesamt (Bund) Verteilt Sitze auf Landeslisten (Land) 4.2 Transparenz für den Bürger? gering, viele kennen den Unterschied nicht genau Partizipation vieler Bürger? ja, viele Möglichkeiten der Ausdifferenzierung! Effektivität des Wahlverfahrens? eher gering gegenüber MW, vielleicht besser als reines VW? Repräsentation des Wählerwillens? teilweise, wäre nur mit VW deutlicher Demokratie = ??? Quelle: http://www.welt.de/politik/wahl/bundestagswahl/article120214639/FDP-Zweitstimmenkampagne.html (letzter Seiten aufruf am 26.02.2015) Ergänzungen zu Aufgabe 4 4) Nehmen Sie mit Bezug auf die Wahlrechtsgrundsätze und auf eigene Kriterien (nennen) zum demokratischen Charakter des Bundestagswahlrechts Stellung! 1. Prüfen Sie besonders den Wahlrechtsgrundsatz „gleiche Wahl“ und entscheiden Sie sich, ob er – ggf. in welchem Maß – überhaupt erfüllt sein müsste (was ist z. B. mit Minderjährigen oder mit Menschen, die ausschließlich von staatlichen Zahlungen leben bzw. die selbst nicht arbeiten/keine Steuern für das Gemeinwesen zahlen?) 2. Überlegen Sie sich Kriterien für „Demokratie“ (z. B. Partizipation aller/vieler Bürger, Durchblick der Wähler bei Wahlverfahren, (absolutes) Mehrheitsprinzip, klare Mehrheiten oder exakte Repräsentation des Wählerwillens oder…) und entscheiden Sie sich, ob das „personalisierte Verhältniswahlrecht“ eine gute, ggf. sogar die beste Wahlrechtsvariante ist! Bedenken Sie: Das Entscheidende ist nicht, dass eine Partei im Bundestag ist – sondern dass Sie (mit-) regieren kann! Thema der Stunde: Thema der UE: Vor-/Folgestunde: BVG schafft 5-%-Klausel ab – "ein guter Tag für die Demokratie"? Demokratie – Identität, Repräsentation, Konkurrenz? Das Bundestagswahlrecht – ein demokratisches Wahlrecht? Hauptintention: Die Schülerinnen und Schüler erwerben die Fähigkeit, - am Beispiel der 5%-Klausel beim Bundestagswahlrecht zum "demokratischen" Charakter dieses Wahlrechts im Spannungsfeld von Partizipations- und Stabilitäts-/ Effizienzmaximierung reflektiert Stellung nehmen zu können, HI - dabei den eigenen Demokratiebegriff verdeutlichen und reflektieren zu können Zeit 7 Didaktische Funktion/ Sozialform Einstieg: LSG Inhalt/ Lehrimpulse Material/ Medien Erwartete Antworten/ LZ Materialarbeit zum Clip, ggf. kleinschrittiger: Videoclip Süddeutsche -Abschaffung 5%-Hürde gut: - kleine Parteien besser gestellt dadurch mehr Wettbewerb mehr Bürgerbeteiligung, weniger "Abgehobenheit mehr Demokratie (?) + ist das so? welche Kriterien? Ist auch nur Europaebene … Ergebnisse HA: AB Tafel Siehe Tafel 1) Gegenstand des Clips! 2) Aussage des Klägers! 3) Infragestellung! Gelenk: LV 20 Auswertung/ Sicherung: LSG 8 Erarbeitung: GA 10 Vertiefung/ Transfer: SSG HA: Tatsächlich auf die Bundesebene gehen, da ja in der HA auch Forderungen laut wurden, dies auf Bundesebene durchzusetzen. Dabei Demokratiebegriff verdeutlichen und reflektieren. Aufgabe 1: Dabei nur - Quelle - Gegenstand - Hauptthese -------------------------------------------------------------------- zentrale Aussagen der Parteien/Betroffenen -------------------------------------------------------------------Aufgabe 2: Beurteilung der Positionen knapp (Interessen, leitende Kategorien bei Demokratiebegriffen) 3) Abschließende Position zu Forderungen Arnims und der Linkspartei hinsichtlich Abschaffung der 5-%-Klausel auf Bundesebene unter Verdeutlichung eigenen Demokratiebegriffs mit Gewichtung der Kriterien! Aufgabe 3 kurzer Austausch/eigene Position im Diskurs festigen Aufgabe 3 Ggf. Impuls: "Guter Tag für die Demokratie"? Verschriftlichung Aufgabe 3 AB AB Tafel Zentral: Interessengeleitete Argumentationen Aber auch: Betonung ganz bestimmter Kategorien für Demokratiebegriff eigener Demokratiebegriff im Spannungsfeld DK vs. EFK … … bzw. Partizipationsmaximierung vs. Effizienz-/ Stabilitätsmaximierung AB Tafelbild: BVG schafft 5-%-Klausel ab – ein guter Tag für die Demokratie? BVG: Nur bei Wahlen zum Europaparlament keine 5%-Klausel, weil dort weniger Gesetzgebung und keine Regierungswahl Von Arnim (Kläger) 1) Mehr Alternativen = mehr Demokratie 2) Exakte Gleichheit der Stimmen ist Demokratie (Repräsentation, Gleichheit, Partizipation, Konkurrenz) Linkspartei "Verzerrung" ist "undemokratisch" Grüne Gleichheit ist Gerechtigkeit Verein "Mehr Demokratie" Taktisches Wahlverhalten ist undemokratisch (Exakte Repräsentation) (Gleichheit) - ggf. "tiefe CG"? (Partizipation) DEMOKRATIE im Spannungsfeld: Diskriminierungskosten versus Entscheidungsfindungskosten Partizipation max Stabilität/Effizienz max AB (Aufgabe 1und 2 = vorbereitende Hausaufgabe) Aufgaben: 1) Strukturierte Materialarbeit: - Quelle und Gegenstand - Position des BVG - Positionen weiterer Personen/Gruppen 2) Beurteilen Sie die verschiedenen Reaktionen (also nicht das Urteil des BVG) – auch unter Berücksichtigung der sie vertretenden Interessen – mit Rückgriff auf Kenntnisse und Fachmethodik! 3) Nehmen Sie selbst zu den Forderungen Arnims und der Linkspartei hinsichtlich Abschaffung der 5-%-Klausel auf Bundesebene unter Verdeutlichung Ihres eigenen Demokratiebegriffs Stellung! M 1 Urteil in Karlsruhe – Fünf-Prozent-Klausel bei EU-Wahl verfassungswidrig. In: Süddeutsche Zeitung, 09.11.11 (abgerufen am 30.11.11 von http://www.sueddeutsche.de/politik/bvg-o-fuenf-prozent-klauselbei-eu-wahl-gekippt-1.1184981) Die in Deutschland geltende Fünf-Prozent-Sperrklausel bei Europawahlen verstößt gegen das Grundgesetz. Das entschied das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe. Die bisherige Regelung verletzt die Chancengleichheit der Parteien sowie den Grundsatz der Wahlrechtsgleichheit. Das Urteil der Richter fiel denkbar knapp aus - mit fünf zu drei Richterstimmen. Zwei Richter gaben eigens ein Sondervotum ab. Die entsprechende Vorschrift im Europawahlgesetz, das deutsches Bundesrecht ist, erklärte das Gericht damit für verfassungswidrig und nichtig. Dem Urteil zufolge bewirkt die Fünf-Prozent-Hürde eine "Ungleichgewichtung der Wählerstimmen". Denn die Stimmen für Parteien, die an der Sperrklausel gescheitert sind, blieben letztlich ohne Erfolg. Das Gericht folgte damit der Argumentation des Staatsrechtlers Hans Herbert von Arnim, der zusammen mit zwei Wählern gegen die Klausel geklagt hatten. Dadurch, dass Parteien, die weniger als fünf Prozent der abgegebenen Stimmen erhalten, keine EU-Abgeordneten entsenden dürften, seien bei der Europawahl 2009 etwa 2,8 Millionen deutsche Wählerstimmen unter den Tisch gefallen, argumentierte der Staatsrechtler. (…) Bei den Wahlen zum Europäischen Parlament bestimmt jeder Mitgliedstaat die Regeln selbst. Mehrere EU-Staaten haben niedrigere oder überhaupt keine Sperrklauseln. Staatsrechtsprofessor von Arnim sprach von einem "guten Tag für die Demokratie": Dass die Sperrklausel nun gefallen sei, belebe den Wettbewerb der politischen Parteien, sagte der Beschwerdeführer nach der Urteilsverkündung in Karlsruhe. Seiner Meinung nach kann das Urteil "auch Auswirkungen haben für die Beurteilung von Bundestagswahlen". Kleine Parteien seien für den Wähler "oft die einzige Alternative, wenn man den großen Parteien nicht mehr glaubt". Stimmen für kleine Parteien fielen nun nicht mehr unter den Tisch. (…) Die Linkspartei forderte als Konsequenz aus dem Urteil, auch bei Bundestagswahlen die Sperrklausel abzuschaffen. Dieses "undemokratische Relikt" passe nicht in die Zeit, verzerre Wahlergebnisse und verstärke Politikverdrossenheit, erklärte Bundesgeschäftsführer Werner Breibus. Die Grünen begrüßten, dass das Verfassungsgericht auf Chancengleichheit der Parteien und den Grundsatz der Wahlrechtsgerechtigkeit abhebe. (…) Der Verein Mehr Demokratie erklärte, ohne Fünf-Prozent-Hürde werde das taktische Wahlverhalten eingedämmt. Bisher hätten viele Wähler ihre Stimme eher etablierten Parteien gegeben aus Angst, sie ganz zu verschenken, wenn sie kleine Parteien ankreuzten, sagte Vorstandssprecher Michael Efler. Der Senat unter Gerichtspräsident Andreas Voßkuhle verwies in der Urteilsbegründung allerdings auf die strukturellen Unterschiede zwischen dem EU-Parlament und dem Bundestag. Das EU-Parlament wähle keine Regierung, die auf seine andauernde Unterstützung angewiesen sei. Darüber hinaus sei die EU-Gesetzgebung nicht von einer gleichbleibenden Mehrheit im Parlament mit einer stabilen Koalition abhängig. Dass die Arbeit des Parlaments durch den Einzug weiterer Kleinparteien unverhältnismäßig erschwert werde, sei nicht zu erkennen.* (…) * Bei zahlreichen europäischen Gesetzgebungen hat das Parlament weder die Möglichkeit, Gesetze einzubringen noch von anderen EU-Institutionen eingebrachte Vorschläge endgültig zu verhindern. Arbeitsauftrag: Prüfen Sie, inwiefern in der vorliegenden Einheit, zumindest aber in den Stunden zum Mehrheits- und Verhältniswahlrecht Grundlagen im Bereich Politik gelegt werden und verdeutlichen Sie dies anhand der Folien aus dem Eingangsvortrag zu dem heutigen Landesfachtag. Mögliche Unterrichtssequenzen für die Sekundarstufe II im Bereich Politik 2. UE: Demokratie – Identität, Repräsentation, Konkurrenz? - anhand verschiedener, ineinandergreifender Aspekte der politischen Ordnung in Deutschland zum "demokratischen" Charakter im Spannungsfeld von Identität und Repräsentation differenziert Stellung nehmen zu können - einen eigenen, reflektierten Demokratiebegriff formulieren zu können (vorab, Vertiefung 2. UE) Nr. 9 Thema der Doppelstunde 10 Demokratie – Wahrheitserkenntnis oder Spiel nach Regeln? Politik – Identität, Repräsentation, Konkurrenz? Schwerpunkt: Gegenstand Identitätstheorie(n), Konkurrenztheorie(n) s. o. – Grundsätze und Anwendung 3. UE: Die Bundestagswahl – Kompliziertheit als "gute" Demokratie? (Vertiefung TB5, Sek I) - anhand verschiedener, ineinandergreifender Aspekte der politischen Ordnung in Deutschland zum "demokratischen" Charakter im Spannungsfeld von Identität und Repräsentation, Effizienz und Partizipation differenziert Stellung nehmen zu können - einen eigenen, reflektierten Demokratiebegriff formulieren zu können (vorab, Vertiefung 2. UE) Nr. 11 Thema der Doppelstunde 12 5%-Klausel – geniale Korrektur des Verhältniswahlrechts oder „Umkehr des Wählerwillens“? Überhang- und Ausgleichsmandate - nicht nur kompliziert, sondern auch ineffizient und undemokratisch? Schwerpunkt: Gegenstand Überhang- und Ausgleichsmandate 5%-Klausel, Spannungsfeld von Partizipations- und Stabilitäts-/ Effizienzmaximierung