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K. Heidrich
Entwicklung des politischen Strafrechts in der DDR
3209229
Die Entwicklung des politischen Strafrechts in der DDR
-Eine Überblicksdarstellung-
Universiteit Utrecht
Faculteit Geesteswetenschappen
Departement Geschiedenis en Kunstgeschiedenis
Masterthesis voor de Master „Internationale betrekkingen in historisch perspectief“
Auteur:
Studentnummer:
Karoline Heidrich
3209229
Begeleider:
J. Pekelder
- Utrecht, Augustus 2010 -
1
K. Heidrich
Entwicklung des politischen Strafrechts in der DDR
3209229
Inhaltsangabe
Einleitung
5
I
Theoretische Grundlagen
8
1.1
Das sozialistische Rechtsverständnis
8
Marx, Engels und Lenin als theoretische Grundlage für das sozialistische Rechtsverständnis
8
Sozialistische Gesetzlichkeit als Kernprinzip des Rechtsverständnisses
13
1.2
Die Rechtsordnung der DDR im Vergleich zur
Bundesrepublik Deutschland
15
II
Das politische Strafrecht der DDR
20
2.1
Strafrechtliche Entwicklungen in der Sowjetischen Besatzungszone (SBZ)
21
SMAD-Befehl Nr. 160 und Änderung der Wirtschaftsstrafverordnung (WStVO)
23
Kontrollratsdirektive Nr. 38
25
2.2
Strafrechtsbestimmungen zur politischen Strafverfolgung in der DDR
1949-1968
29
Artikel 6 der DDR-Verfassung 1949
29
Verordnung über die Rückgabe Deutscher Personalausweise
bei Übersiedlung nach Westdeutschland oder Westberlin 1952
33
Gesetz zur Änderung des Paßgesetzes der DDR 1957
33
Das Strafrechtsergänzungsgesetz 1957
35
2
K. Heidrich
2.3
Entwicklung des politischen Strafrechts in der DDR
Das DDR-Strafgesetzbuch von 1968
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50
Verbrechen gegen die Deutsche Demokratische Republik
(Kapitel 2, Besonderer Teil)
52
Straftaten gegen die staatliche Ordnung (Kapitel 8, Besonderer Teil)
61
Schlussfolgerung
68
Bibliografie
73
3
K. Heidrich
Entwicklung des politischen Strafrechts in der DDR
„Das ist keine schlechte Justiz.
Das ist keine mangelhafte Justiz.
Das ist überhaupt keine Justiz.“
(Kurt Tucholsky, Berlin 1922)1
1
K. Tucholsky, Politische Justiz, (Hamburg 1970), 105.
4
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Entwicklung des politischen Strafrechts in der DDR
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Einleitung
Im Jahr 2010, nunmehr zwanzig Jahre nach der deutschen Wiedervereinigung kann man
bisweilen den Eindruck bekommen, dass die Erinnerung an die DDR immer mehr zu verblassen
scheint. Mauern wurden eingerissen und das Gedenken an die daran verbundenen Schicksale
vieler Tausender Menschen, die eng mit diesen Mauern verbunden waren, versiegt mit den
Jahren. Eine umfassende Studie zum Wissen von Gymnasiasten in Ost und West über die DDR
aus dem Jahr 20072 machte deutlich, dass in den Köpfen der neuen Generation eine große
Wissenslücke klafft. Viele Jugendliche im Osten, vor allem in Berlin und Brandenburg haben eine
nostalgische Vorstellung von einem idealisierten sozialistischen Staat, wie es ihn nie gegeben hat.
Die Filmindustrie und idealisierte persönliche Erinnerungen der Eltern schaffen zum Teil
verklärte Bilder von einer Gesellschaft, in der soziale Gerechtigkeit, Sicherheit und Ordnung
herrschten. Diese Bilder lassen wenig Raum für politische Verfolgung, Unterdrückung und
Repression. Genau diese drei Schlagwörter aber sind es, die den Alltag von vielen DDR-Bürgern
bestimmten. Dies belegen nicht zuletzt die Zahlen zu poltischen Gefangenen in der SBZ/DDR.
Die entsprechenden Studien gehen für die Periode zwischen 1945 und 1989 von etwa 280.000
Gefangenen aus, die wegen eines Delikts mit politischem Einschlag zu einer Freiheitsstrafe
verurteilt wurden.3 Dabei sind Untersuchungshäftlinge noch nicht mitgezählt. Zwar beinhaltete
auch die Gesellschaftsordnung der DDR im Alltag viele Aspekte eines modernen Rechtsstaates,
es fehlten aber einige nicht unbedeutende Elemente, wodurch die Bezeichnung „ordentlicher
Rechtsstaat“ nicht ganzheitlich zutreffend ist. Ein solcher Rechtsstaat kennzeichnet sich durch
die Merkmale Gewaltenteilung, Messbarkeit des staatlichen Handelns und eine garantierte
Freiheitssphäre.4 In der DDR fehlte im Gegensatz zur Bundesrepublik Deutschland jedoch ein
eigenständiger Gerichtszweig, der sich mit den Klagen der Bürger gegen Entscheidungen des
Staates beschäftigte – die Verwaltungsgerichte. Damit ist die Messbarkeit des staatlichen
Handelns bereits erheblich eingeschränkt. Auch hinsichtlich des Aspekts der Gewaltenteilung
finden sich wesentliche Mängel
und eine freiheitliche Atmosphäre scheint auf Grund der
poltischen Strafverfolgung und der damit verbundenen Menschenrechtsverletzungen eher Utopie
Studie des Forschungsverbundes SED-Staat, November 2007. Siehe Artikel Spiegel-Online vom 27.12.2007: M.
Flohr, „Ach, wie schön war’s in der DDR.“, sowie die daran zugrundeliegenden Ergebnisse der Studie.
http://www.spiegel.de/schulspiegel/wissen/0,1518,525541,00.html, 19.07. 2010, 12.59 Uhr.
33 W. H. Schröder/ J. Wilke, „Politische Strafgefangene in der DDR. Versuch einer statistischen Beschreibung.“,
Historical Social Research, Vol. 23, Nr.4 (1998), 3-78.
4 Vgl. hierzu: Rechtswörterbuch: Rechtsstaat: Ein Rechtsstaat ist ein Staat, der auf Schaffung und Erhaltung eines
gerechten Zustandes gerichtet ist. Die daraus folgenden Anforderungen sind für den Bund teilweise in Art. 20 II S. 2
und Art. 20 III GG und für die Länder in Art. 28 I S. 1 GG geregelt. Merkmale des Rechtsstaates sind die
Gewaltenteilung, die Messbarkeit des staatlichen Handelns und die garantierte Freiheitssphäre.
http://www.rechtswoerterbuch.de/recht/r/rechtsstaat/, 20.07.10, 13.26 Uhr.
2
5
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als Wirklichkeit. Mit eben dieser politischen Strafverfolgung bzw. den daran zugrundeliegenden
Gesetzen setzt sich diese Arbeit auseinander.
Von Anfang an ging der Aufbau des sozialistischen Staates einher mit einem gnadenlosen
Vorgehen gegen alles und jeden, der ein Hindernis in diesem Prozess darstellen könnte. Allzu
häufig jedoch handelte es sich dabei nicht so sehr um radikale politische Gegner im eigentlichen
Sinne des Wortes, sondern um politisch Andersdenkende, Künstler und Akademiker, aber auch
Arbeiter und Bauern - eben ganz normale Bürger. Jeder vermeintliche Widersacher des neuen
Staates und dessen Führung sollte strafrechtlich zur Verantwortung gezogen werden können. Die
DDR diktierte ihren Bürgern den ideologischen und politischen Kurs und sie tat dies konsequent
und mit aller Härte. Wenn Historiker und Rechtswissenschaftler daher im Zusammenhang mit
der DDR von einem Unrechtsstaat sprechen, dann beruht dies zumeist auf der Art und Weise wie
in dem SED-Staat – im Namen des Rechts – politische Justiz ausgeübt wurde. Dies geschah zu
Beginn, um die Macht der SED zunächst durchzusetzen und danach zu festigen und zu sichern.5
Als Politische Justiz bezeichnet man nach einer Definition des Staats- und
Verfassungsrechtlers Otto Kirchheimer eben diese Vorgehensweise, also gerichtliche Verfahren,
die der Durchsetzung von Herrschaftsansprüchen und deren Sicherung mit Hilfe von
Rechtsmitteln gelten.6 Sie dient dabei auf repressive Art und Weise der Etablierung und Wahrung
der Ideologien, Werte und Normen des jeweiligen Herrschaftssystems und kann somit als eine
aktive Form der Justiz bezeichnet werden.7 Eben diese Konsolidierung der Macht mit den
Mitteln des Rechts und im speziellen mittels des politischen Strafrechts soll in dieser Arbeit
untersucht werden. Dem Strafrecht hatte dabei die Aufgabe die sozialistische die Staats- und
Rechtsordnung zu schützen. Diese Tatsache an sich stellt aber keinesfalls eine Besonderheit der
DDR dar. Im Gegenteil – das Strafrecht hat in jedem Rechtsstaat die Aufgabe die jeweilige
Staats- und Rechtsordnung zu schützen. Legitime Vorwürfe gegen den Einsatz strafrechtlicher
Normen zum Schutz dieser Ordnung könnten sich demnach nicht schlechthin auf den bloßen
Einsatz der Normen selbst richten, sondern entweder gegen die dadurch geschützten Werte oder
Institutionen oder die Methoden, mit denen der strafrechtliche Schutz erfolgt.8 Entsprechend
dieser These liegt der Fokus dieser Arbeit auf dem politischen Strafrecht der DDR – dessen
Normensystem und Entwicklung im Laufe der Jahre, sowie dessen Handhabung und praktische
Auswirkung auf Betroffene.
Vgl. F. Werkentin, Recht und Justiz im SED-Staat. (Bonn 2000), 6.
Vgl. O. Kirchheimer, Politische Justiz – Verwendung juristischer Verfahrensmöglichkeiten zu politischen Zwecken. (Neuwied
und Berlin 1965), 11.
7 Vgl. S. Rehmke, „Politische Justiz“, Forum Recht - Sonderausgabe Wozu Jura studieren? (2002/2003), 26-27. Online
verfügbar unter: http://www.forum-recht-online.de/erstinfos/erst2/erst2rehmke.htm, 20.07.10, 17.27 Uhr.
8 Vgl. F.-C. Schroeder, Das Strafrecht des realen Sozialismus. Eine Einführung am Beispiel der DDR. (Opladen 1983), 56.
5
6
6
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Zur Untersuchung dieses politischen Strafrechts in der DDR wurden die entsprechenden
Gesetzestexte analysiert und Quellen studiert sowie die einschlägige sekundäre Literatur zu Rate
gezogen. Die Darstellung der Rechtsnormen mit politischem Charakter erflogt chronologisch
und formt den Kern dieser Arbeit. Obwohl sie in historischer Betrachtungsweise geschieht, sind
juristische
Elemente
unvermeidlich.
Die
Thematik
formt
eine
Schnittstelle
im
Forschungsinteresse von sowohl Historikern als auch Rechtswissenschaftlern und ist nicht zuletzt
gerade deshalb von wissenschaftlichem Interesse.
Die Betrachtung der politischen Paragrafen des Strafrechts der DDR geht dabei der Frage
nach, in wie weit man anhand der Gesetzestexte Rückschlüsse auf die daran zugrundeliegenden
politischen Strategien und Ziele der DDR-Führung ziehen kann. Während dieser Betrachtung
stehen die folgenden Fragen zentral:
Wie hat sich das politische Strafrecht in der DDR entwickelt? Was für Anpassungen wurden innerhalb der Jahre
vorgenommen? Welche Folgen resultierten daraus? Lassen sich die Entwicklungen unter Umständen an
gesellschaftliche oder politische Prozesse koppeln?
Nicht zu unterschätzen sind in diesem Zusammenhang auch mögliche Erkenntnisse rund
um Transfers aus dem russischen bzw. sowjetischen Rechtsverständnis auf die Situation des
Aufbaus einer neuen Gesellschaftsstruktur in der DDR. Dazu soll das politische Strafrecht
überblicksartig dargestellt und wo möglich auf Ursprünge und Veränderungen eingegangen
werden. Da aber Theorie in praktische Anwendung teilweise unterschiedlich sein können sollen
an verschiedenen Stellen Beispiele aus der Justizpraxis hinzugezogen werden, um so ein
umfassenderes Bild der strafrechtlichen Realität zu erhalten. Zur Veranschaulichung und
Darstellung der justiziellen Verfahrensweise und der damit verbundenen der Folgen für die
Betroffenen dienen kurze Beschreibungen von Fällen, die mithilfe von Quellendokumentationen
über entsprechende Urteile der DDR-Justiz erarbeitet worden sind. Ziel dessen war es, den
statischen und theoretischen Charakter der Gesetzestexte durch die Illustration mit persönlichen
Schicksalen lebendiger und dadurch greifbarer zu machen. So entsteht ein eindrucksvolles
Gesamtbild des politischen Strafrechts in der DDR, dessen strategischer Anwendung und der
damit verbundenen Auswirkungen für die Bevölkerung.
7
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I
Entwicklung des politischen Strafrechts in der DDR
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Theoretische Grundlagen
Im ersten Teil dieser Arbeit sollen die theoretischen rechtswissenschaftlichen Grundlagen zur
Betrachtung der politischen Justiz in der DDR dargelegt werden. Zum Verständnis des
politischen Strafrechts in der DDR und dessen Entwicklung sollen in diesem Teil der Arbeit eine
Analyse des sozialistisch-kommunistischen Rechtsverständnisses und der dazugehörigen
Rechtsordnung, sowie eine Auseinandersetzung mit dem Begriff der sozialistischen
Gesetzlichkeit erfolgen. Darauf aufbauend folgt eine Darstellung und Auseinandersetzung mit
dem politischen Strafrechts der SBZ/DDR.
1.1
Das sozialistische Rechtsverständnis
Kern der vorliegenden Arbeit ist, wie in der Einleitung bereits umfassend geschildert, die
Entwicklung des politischen Strafrechts der DDR. Da für eine detaillierte Betrachtung dieses
Problems eine einführende Darlegung des sozialistischen Rechts unerlässlich ist, sollen im
Folgenden eben jene rechtlichen Grundlagen erläutert werden. Eine umfassende und vollständige
Darstellung des Rechtssystems der DDR ist im Rahmen dieser Arbeit nicht möglich und
entspricht darüber hinaus nicht ihrer Zielsetzung. Vielmehr sollen mithilfe einer überblicksartigen
Skizzierung die wichtigsten Aspekte des sozialistischen Rechts erläutert werden, da diese für ein
grundlegendes Verständnis der Strafverfolgung und Behandlung von politischen Straftaten im
SED-Staat unumgänglich sind.
Marx, Engels und Lenin als theoretische Grundlage für das sozialistische
Rechtsverständnis
Die intellektuelle Basis für das in der DDR angewandte Recht findet sich in den Grundideen des
Kommunismus, also der Abschaffung von Privat- und Bildung von Gemeineigentum.9 Die Ideen
von Karl Marx und Friedrich Engels zur kommunistischen Gesellschaft und deren
Weiterentwicklung durch Lenin formen den ideologischen Ausgangspunkt für das sozialistische
Recht der DDR. An dieser Stelle sollen daher diejenigen marxistisch-leninistischen Theorien zu
Staat und Justiz, die die sozialistische Rechtsordnung entscheidend geprägt haben,
zusammenfassend erläutert werden. Da für die DDR als Satellitenstaat der Sowjetunion vor allem
Vgl. hierzu: Lexikon Bundeszentrale für politische Bildung, Kommunismus: K. ist 1) eine sozial-philosophische
Utopie, 2) eine politisch-ökonomische Lehrmeinung und Ideologie und 3) eine politische Bewegung und
Herrschaftsform. Grundlegende Idee des K. ist die Abschaffung des privaten Eigentums und die Bildung von
Gemeineigentum. http://www.bpb.de/popup/popup_lemmata.html?guid=HM9ULE, 11.03.10, 16.50 Uhr.
9
8
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Entwicklung des politischen Strafrechts in der DDR
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die Weiterentwicklung des Marxismus, also der Marxismus-Leninismus von entscheidender
Bedeutung ist, werden die Ideen Lenins zum Recht und zur Rechtsordnung im Vordergrund
stehen. Im Sinne einer zielgerichteten Analyse des politischen Strafrechts, werden vor allem
Theorien zur strafrechtlichen Handhabung im kommunistischen Staat behandelt.
Das sozialistische Recht bzw. dessen Rechtstheorie basiert zum einen, wie bereits erwähnt, auf
den Ideen von Marx und Engels, nämlich dem historischen Materialismus10, welcher gemeinsam
mit dem dialektischen Materialismus11 die geschichtsphilosophische Grundlage für den
Kommunismus
bildet.
Darüber
hinaus
formen
die
herrschenden
ökonomischen
Produktionsverhältnisse in sozialistischen Staaten wie der DDR, also die Abschaffung des
Privateigentums und Bildung einer staatlich-genossenschaftlichen Eigentumsstruktur, sowie die
wirtschaftliche, politische und ideologische Leistungstätigkeit dieser Staaten einen entscheidenden
Ausgangspunkt für das sozialistische Recht.12 Die Rechtswissenschaftler Reich und Reichel
führen zudem an, dass die ständige Ablehnung der bürgerlichen, reformistischen und
revisionären Positionen als weiterer Aspekt der sozialistischen Rechtstheorie betrachtet werden
muss. Diese kategorische Ablehnung spiegelt sich in allen Bausteinen des juristischen Überbaus
wieder: also den juristischen Institutionen, Normen, Ideologien und wissenschaftlichen
Kontroversen innerhalb der sozialistischen bzw. kommunistischen Staaten. „Sie gründet sich auf
eine
umfassende
Kritik
der
bürgerlichen
Gesellschaft
in
ihren
verschiedenen
Entwicklungsstadien, als deren Überwindung sich die sozialistische Gesellschaft versteht.“13
In den Werken von Marx und Engels finden sich nur wenig Hinweise zur spezifischen
Bedeutung des Rechts in der marxistischen Lehre, wohl aber wird das Recht als solches
thematisiert. Staat und Recht erhalten dabei institutionell und ideologisch keine Selbstständigkeit,
Vgl. hierzu: Gabler Wirtschaftslexikon, historischer Materialismus: Von Marx und Engels auf der Basis des
dialektischen Materialismus konzipierte Lehre über die allgemeinen Entwicklungsgesetze der Gesellschaft. Als
Ursache des zwangsläufigen Geschichtsprozesses wird im Marxismus die dialektische Spannung zwischen den
Produktionsverhältnissen und den Produktivkräften angesehen: Letztere entwickeln sich durch den technischen
Fortschritt immer weiter und geraten dabei in zunehmenden Widerspruch zu den augenblicklich vorherrschenden
Produktions-, d.h. Eigentumsverhältnissen. Folgen dieses „Grundwiderspruchs” sind eine Hemmung des
technischen Fortschritts, immer heftigere ökonomische Krisen und gesellschaftliche Spannungen. Die sozialen
Konflikte weiten sich aufgrund des zunehmenden Klassenkampfes zwischen den Produktionsmitteleigentümern und
-nichteigentümern (Klassentheorie) so lange aus, bis in einem dialektischen Sprung die Produktionsverhältnisse
revolutionär so umgestaltet werden, dass sie dem erreichten Stand der Produktivkräfte entsprechen. Irgendwann
geraten die Eigentumsverhältnisse wieder in Widerspruch zu den sich fortentwickelnden Produktivkräften; die Folge
ist eine neuerliche revolutionäre Umwälzung. http://wirtschaftslexikon.gabler.de/Definition/historischermaterialismus.html, 12.03.10, 16.50 Uhr.
11 Vgl. hierzu: Gabler Wirtschaftslexikon, dialektischer Materialismus: allgemein-philosophische Grundlage des
Marxismus zur Ableitung von Entwicklungsgesetzmäßigkeiten in Natur und Gesellschaft. Dialektik als Methode
bedeutet Denken in Widersprüchen. Eine ausführliche Erläuterung findet sich auf der Internetseite:
http://wirtschaftslexikon.gabler.de/Definition/dialektischer-materialismus.html, 12.03.10, 17.02 Uhr.
12 Vgl. N. Reich/H.-C. Reichel, Einführung in das sozialistische Recht ( München 1975), 1-2.
13 Ibidem, 2.
10
9
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sondern werden als „determiniert von bestimmten gesellschaftlichen Verhältnissen“14 betrachtet,
wobei diese gesellschaftlichen Verhältnisse entsprechend des historischen Materialismus
interpretiert werden. Geht man also vom historischen Materialismus und dessen Interpretation
der Gesellschaft und der darin entstehenden Konflikte aus, so gelangt man hinsichtlich der Rolle
des Rechts zu einer funktionell-instrumentalen Rechtsbetrachtung. In der bürgerlichen
Gesellschaft, die gekennzeichnet ist von Klassenkampf zwischen Produktionseigentümern und
Produzenten – also Lohnarbeitern – verkörpert das Recht damit nur den Willen der besitzenden
Klasse und wird von ihr instrumentalisiert, um Interessen durchzusetzen. Demenstprechend
ergeben sich laut dieser Theorie Verstöße gegen das herrschende Recht aus den bestehenden
Ungleichheiten zwischen den Klassen. So schreibt Marx im Manifest der kommunistischen Partei über
das Recht:
„Eure Ideen selbst sind Erzeugnisse der bürgerlichen Produktions- und Eigentumsverhältnisse,
wie euer Recht nur der zum Gesetz erhobene Wille eurer Klasse ist, ein Wille, dessen Inhalt
gegeben ist in den materiellen Lebensbedingungen eurer Klasse. Die interessierte Vorstellung,
worin ihr eure Produktions- und Eigentumsverhältnisse aus geschichtlichen, in den Lauf der
Produktion vorübergehenden Verhältnissen in ewige Natur- und Vernunftgesetze verwandelt, teilt
ihr mit allen untergegangenen herrschenden Klassen.“15
Recht spiegelt laut Marx und Engels also auch immer die ökonomischen Verhältnisse einer
Gesellschaft wieder und kann dementsprechend besser sowie schlechter bzw. gerechter oder
ungerechter sein.16 Geht man davon aus, dass die Produktionsverhältnisse im Kommunismus und
dessen Vorstufe, dem Sozialismus, gerecht verteilt sind, so ändern sich Aufgabe und
Notwendigkeit des Rechts. Marx und Engels glaubten demnach, dass in der kommunistischen
Gesellschaft ungerechtfertigte Gegensätze zwischen den einzelnen Mitgliedern dieser
Gemeinschaft aufgehoben werden und sich damit die Notwendigkeit des Regelverstoßes aufhebt.
In einer Gesellschaft, in der jeder hat, was er zum Leben braucht, erscheinen Straftaten somit
unwahrscheinlich bis unmöglich, wodurch Umfang und Bedeutung von Recht und
Justizbehörden erheblich verringert werden. Engels propagiert in diesem Sinne in der „ersten
Rede im Ebersfeld“:
Ibidem, 3.
Marx/F. Engels, “Manifest der kommunistischen Partei.”, in: K. Marx/F. Engels, Werke (Berlin/DDR 1972),
459-493, 447/448. http://www.mlwerke.de/me/me04/me04_459.htm, 08.03.10, 16.40 Uhr.
16 Vgl. hierzu auch die Ausführungen von Engels in: F. Engels, “Ludwig Feuerbach und der Ausgang der klassischen
deutschen Philosophie”, in: K. Marx/F. Engels, Werke ( Berlin/DDR 1975), 291- 307, 301/302.
http://www.mlwerke.de/me/me21/me21_291.htm, 08.03.10, 16.17 Uhr.
14
15K.
10
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„Wir heben den Gegensatz des einzelnen Menschen gegen alle anderen auf – wir setzen dem
sozialen Krieg den sozialen Frieden entgegen, wir legen die Axt an die Wurzel des Verbrechens
und machen dadurch den größten, bei weitem größten Teil der jetzigen Tätigkeit der
Verwaltungs- und Justizbehörden überflüssig. […] Die Verbrechen gegen das Eigentum fallen
von selbst da weg, wo jeder erhält, was er zur Befriedigung seiner natürlichen und geistigen Triebe
bedarf, wo die sozialen Abstufungen und Unterschiede wegfallen. Die Kriminaljustiz hört von
selbst auf, die Ziviljustiz, die doch fast lauter Eigentumsverhältnisse oder wenigstens solche
Verhältnisse, die den sozialen Kriegszustand zur Voraussetzung haben, behandelt, fällt ebenfalls
weg; Streitigkeiten können dann nur seltene Ausnahmen sein, wo sie jetzt die natürliche Folge der
allgemeinen Feindschaft sind, und werden sich leicht durch Schiedsrichter schlichten lassen.“17
Wo also gerechte Verhältnisse herrschen und die Gegensätze zwischen den einzelnen
gesellschaftlichen Gruppen (=Klassen) aufgehoben sind, werden in den Augen von Marx und
Engels Gesetzesbrecher die Ausnahme sein und Unstimmigkeiten schnell behoben werden
können. Marx fügt dem noch folgende beinahe pathetische Aussage hinzu: „Unter menschlichen
Verhältnissen dagegen wird die Strafe wirklich nichts anderes sein als das Urteil des Fehlenden
über sich selbst.“18
Die oben aufgeführten Grundideen zur Rolle des Rechts und insbesondere des Strafrechts von
Marx und Engels sind von Lenin später aufgegriffen und weiterentwickelt worden.
Lenin geht in seinem Werk Staat und Revolution spezifischer auf die Rolle des (Straf-)Rechts
im sozialistischen bzw. kommunistischen Staat ein. Er setzt sich darin mit der Frage auseinander,
welche staatlichen Institutionen und Funktionen erhalten bleiben, wenn die bürgerlichkapitalistische Gesellschaft in eine kommunistische umgewandelt wird. Während dieser
Umwandlung lassen sich laut Lenin drei Phasen benennen, nämlich der Übergang vom
Kapitalismus zum Kommunismus, die erste Phase des Kommunismus, auch Sozialismus genannt
und die höhere Phase des Kommunismus.
Die erste Phase kennzeichnet sich dabei durch eine Periode der revolutionären
Umwandlung, in der der Staat sich als „Diktatur des Proletariats“ entpuppt. In dieser Phase trage
die Gesellschaft sozusagen noch „den Stempel der alten Gesellschaft“19 und sei die
Unterdrückung und damit einhergehend die alte Rechtsordnung noch existent, ja sogar
notwendig, jedoch mit dem Unterschied, dass dann eine „Unterdrückung der Minderheit der
F. Engels, Erste Rede im Ebersfeld “Über den Kommunismus”, in: K. Marx/ F. Engels, Werke (1972), 536-557,
541-542. http://www.mlwerke.de/me/me02/me02_536.htm, 10.03.10, 14.22 Uhr.
18 K. Marx, “Die Heilige Familie” in: K. Marx/F. Engels, Werke (1972), 2-223, 190.
http://www.mlwerke.de/me/me02/me02_172.htm, 10.03.10, 15.37 Uhr.
19
W. I. Lenin, Staat und Revolution (Berlin 1933), 71.
17
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Ausbeuter durch die Mehrheit der Ausgebeuteten“20 herrsche. Im weitesten Sinne kann die
Periode der SBZ als solche Phase des Übergangs zum Kommunismus gesehen werden, da in
dieser Zeit noch keine neue Verfassung existierte und zum größten Teil noch das Recht des
Deutschen Reichs angewendet wurde. In der sozialistischen Literatur allerdings ist auch viel
später noch die Rede von der Diktatur des Proletariats, was den Schluss zulässt, dass die erste
Phase der Umgestaltung aus Sicht der Führungsriege der DDR nie überwunden wurde.
Wie auch Marx und Engels geht Lenin davon aus, dass das herrschende Recht einer Gesellschaft
unmittelbar an die in ihr existenten wirtschaftlichen Verhältnisse gekoppelt ist, dementsprechend
kann das Recht auch „nie höher sein als die ökonomische Gestaltung und dadurch bedingte
Kulturentwicklung der Gesellschaft“.21 Daraus ergibt sich die eben genannte Beibehaltung des
„alten“ Rechts während der Phase der Umwälzung, aber auch die nur teilweise Abschaffung des
ungerechten bürgerlichen Rechts im Sozialismus, entsprechend des Grades der bereits erreichten
ökonomischen Umgestaltung, d.h. also nur in Bezug auf die Produktionsmittel.22 In der höheren
Phase des Kommunismus wird entsprechend dieses Denkens die Konstruktion des Staates und
seines juristischen Überbaus weitestgehend wegfallen.
In Bezug auf das Strafrecht, zieht Lenin dahingehend folgende Schlüsse:
„Denn wenn a l l e gelernt haben werden, selbstständig die gesellschaftliche Produktion zu leiten
und sie in der Tat leiten werden, selbstständig die Kontrolle der Schmarotzer, der
Herrensöhnchen, der Gauner und ähnlicher „Traditionshüter des Kapitalismus“ verwirklichen
werden, so wird die Umgebung dieser vom ganzen Volke durchgeführten Registrierung und
Kontrolle unvermeidlich so ungeheuer schwierig werden, eine so höchst seltene Ausnahme bilden
und wahrscheinlich eine so rasche und ernsthafte Bestrafung nach sich ziehen (denn die
bewaffneten Arbeiter sind Menschen des praktischen Lebens und keine sentimentalen
Intelligenzler, und werden kaum mit sich spaßen lassen, daß die N o t w e n d i g k e i t der
Einhaltung der unkomplizierten Grundregeln für jedes menschliche Zusammenleben sehr bald
zur Gewohnheit werden wird.“23
Interessant hierbei ist, dass Lenin deutlich auf die Notwendigkeit des Erziehungsprozesses
eingeht, der dem Erreichen der höheren Phase des Kommunismus und der damit verbundenen
Selbstverständlichkeit der Einhaltung der Grundregeln, vorausgeht. Hierin unterscheiden sich die
Ibidem, 69/70.
Ibidem, 72/73.
22 Vgl. Ibidem. 73.
23 Ibidem, 79. Vgl. auch: F.-C. Schroeder, Strafrecht, 19.
20
21
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Ausführungen Lenins hinsichtlich des (Straf-)Rechts in kommunistischen Gesellschaften
wesentlich von denen Marx’ und Engels’. Sie gehen in ihren Werken eher von Umdenken der
Gesellschaft als natürliche Folge der veränderten Gesellschaftsordnung aus, wohingegen Lenin
bewusst eine das Element der notwendigen Umerziehung der Staatsbürger auf dem Weg zum
Kommunismus einkalkuliert.
Sozialistische Gesetzlichkeit als Kernprinzip des Rechtsverständnisses
Neben den ideologischen Grundgedanken von Marx und Engels und deren Weiterentwicklung
zum Marxismus-Leninismus kennzeichnet sich das Rechtssystem der DDR durch einen weiteren
Begriff – die sozialistische Gesetzlichkeit. Da eine Analyse des Rechtssystems der DDR und der
Normen aus denen es sich zusammensetzt ohne eine vorherige Auseinandersetzung mit diesem
Begriff unvollständig und dementsprechend zu einer vorschnellen oder gar falschen
Interpretation führen muss, sollen in einigen Absätzen die Elemente, aus denen sich die
sozialistische Gesetzlichkeit zusammensetzt, erläutert werden.
Der Begriff sozialistische Gesetzlichkeit setzt sich aus zwei Elementen zusammen: die strikte
Einhaltung der Gesetze und anderer Rechtsnormen, sowie Parteilichkeit bzw. Forderung nach
Übereinstimmung mit den objektiven Erfordernissen der gesellschaftlichen Entwicklung.24 Das
erste Element bezeichnet die allgemeine Verbindlichkeit des Rechts, wie sie auch in der BRD
oder anderen Rechtsstaaten besteht. Das Element der Parteilichkeit beeinflusst das
Rechtsverständnis und die daraus resultierende Rechtshandhabung dahingegen entscheidend und
bildet damit einen maßgeblichen Unterschied zum Rechtsverständnis anderer demokratischer
Staaten. Parteilichkeit „beinhaltet die Forderung, die Rechtsnormen so zu formulieren und
anzuwenden, daß sie der Verwirklichung der Ziele dienen, die von der Partei jeweils für
maßgeblich erklärt werden.“25 Rechtsnormen in der DDR dienen demnach nicht allein der
Sicherung der staatlichen Autorität und der Aufrechterhaltung der Ordnung im Staat, sondern
auch und vor allem der Durchsetzung der ideologischen Ziele der Partei. Im folgenden Zitat aus
einem Artikel der in der DDR publizierten juristischen Zeitschrift Staat und Recht kommt dies
eindeutig zum Ausdruck:
„Die sozialistische Gesetzlichkeit ist ein Prinzip der Politik der Arbeiterklasse und ihrer Partei, ist
Tätigkeits- und Organisationsprinzip der Diktatur des Proletariats. Ihre strikte Einhaltung ist
24
25
Vgl. G. Brunner, Einführung in das Recht der DDR. (München 1979), 3.
Ibidem.
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letztlich Kampf um die Verwirklichung der im Recht ausgedrückten Politik der Arbeiterklasse und
ihrer Partei. Sie dient der Durchsetzung der Gesetzmäßigkeiten, wie sie in ihrer konkreten
Wirksamkeit in den Parteibeschlüssen analysiert und dargestellt sind. So verstanden, sind
Verletzungen der sozialistischen Gesetzlichkeit stets Verletzungen der Parteibeschlüsse.[…] Die
sozialistische Gesetzlichkeit ist eine Methode […], die durch den Erlaß und die Verwirklichung
der Gesetze und sonstigen Rechtsakte zur Gestaltung sozialistischer Gesellschaftsverhältnisse
beiträgt.“26
Da die Zielsetzungen und Prämissen im Parteiprogramm der SED ökonomischen und
gesellschaftlichen Schwankungen unterlegen sind, kann man in jenen Programmen auch eine
unterschiedliche Akzentuierung der beiden Elemente sozialistischer Gesetzlichkeit feststellen. In
Perioden mit einem deutlich ideologischen Schwerpunkt innerhalb des innenpolitischen Kurses,
lässt sich dementsprechend eine kategorische Akzentuierung auf das Element der Parteilichkeit
feststellen.27
Das Prinzip der sozialistischen Gesetzlichkeit wirkt sich vor allem wegen des Merkmals
der Parteilichkeit sowohl auf die Rechtsetzung als auch die Rechtsanwendung aus.
Auf
dem
Gebiet
der
Rechtssetzung
erfordert
die
sozialistische
Gesetzlichkeit
eine
Normengestaltung (Gesetzgebung), die dafür sorgt, dass die herrschende Rechtsordnung mit den
Zielsetzungen der Partei übereinstimmt und diese Ziele sichert. Wie bereits angesprochen,
unterliegen diese Vorhaben politischen Schwankungen und sind deshalb dynamisch. Um diese
Dynamik in einem eigentlich eher statischen Normengerüst zu erreichen, finden sich im DDRRecht außergewöhnlich viele Rahmenregelungen und unbestimmte Rechtsbegriffe. „Die gesetzlichen
Regelungen sind teilweise so vage, daß sie ohne die Ausführungsbestimmungen der zuständigen
Exekutivorgane
gar
nicht
anwendbar
sind.
Auf
diese
Weise
wird
für
die
Rechtsanwendungsorgane ein breiter Auslegungsspielraum geschaffen, der nach den Richtlinien
der Spitzenorgane der betreffenden Organisationseinheiten ausgefüllt wird.“28 Dieser Spielraum
verschafft den zuständigen Behörden weitreichende Macht in ihren Entscheidungen. Das
entstandene Interpretationsvakuum wird dann mit subjektiven Faktoren gefüllt, welches in der
Rechtsprechung zu Unvorhersehbarkeit und Willkür führt. Jenen weitgefassten und vagen
Gesetzesregelungen und dem damit verbundenen Interpretationsspielraum wird der Leser im
Rahmen dieser Arbeit noch häufiger begegnen. Sie formen einen Aspekt des DDR-Rechts, der
G.Bley/U. Dähn, „Aktuelle Probleme der Verwirklichung der sozialistischen Gesetzlichkeit durch die örtlichen
Organe der Staatsmacht.“, Staat und Recht 5 (1972), 693-694.
27
Vgl. hierzu auch: G. Brunner, Einführung, 3.
28
Ibidem.
26
14
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sich wie ein roter Faden durch die Gesetzestexte und die daraus resultierenden Entscheidungen
der entsprechenden juristischen Instanzen zieht.
In Bezug auf die Rechtsanwendung wirkt sich das Prinzip der sozialistischen Gesetzlichkeit
folgendermaßen aus. In der Rechtspraxis findet eine Auswahl derjenigen Rechtsnormen statt, die
scheinbar in hohem Maße dazu beitragen können, die von der Partei formulierten Vorhaben zu
erreichen. Darüber hinaus bildet die politische Zweckmäßigkeit der Interpretation der Rechtsnormen
einen Grundsatz in der Rechtsanwendung der DDR, d.h. alle Rechtsnormen sollen entsprechend
der Ansprüche des jeweiligen gesellschaftlichen Entwicklungsstandes gedeutet und gehandhabt
werden. Dies bedeutet auch, dass gesellschaftlich veraltete Rechtsnormen für obsolet erklärt
werden können, wenn dies dem Kurs der Partei entspricht.29
Im Prinzip der sozialitischen Gesetzlichkeit spiegelt sich also der zu Beginn angesprochene
Instrumentalcharakter der sozialistischen Rechts wieder. Das Recht verkörpert im sozialistischen
Staat im übertragenen Sinne ein ungemein wichtiges Werkzeug zum Aufbau und Erhalt der
kommunistischen Gesellschaft. Nach sozialistischem Selbstverständnis dient das Recht also der
führenden Partei als Mittel zur Durchsetzung der sozialistischen Ideologie und dem daraus
resultierenden politischen Kurs und dessen Sicherung. Diese Tatsache darf bei der Betrachtung
des politischen Strafrechts in der DDR nicht vernachlässigt werden.
1.2
Die Rechtsordnung der DDR im Vergleich zur Bundesrepublik Deutschland
Befasst man sich mit dem Rechtssystem und dem daran zugrunde liegenden Recht eines Staates
ist es unerlässlich die diesem Recht übergeordnete Rechtsordnung ebenfalls näher zu belichten
und so ein ausgewogenes Bild des vorliegenden Systems zu erlangen. Gerade im Hinblick auf die
DDR ist dies im Zusammenhang mit der Diskussion um die Bezeichnung Unrechtsstaat von
Bedeutung. Vor allem in den 90er Jahren wurde diese Debatte von Historikern und
Rechtswissenschaftlern in Deutschland aktiv geführt.30 Der folgende Abschnitt erläutert einige
grundlegende Eigenschaften der Rechtsordnung der DDR. Dabei wird als Vergleichskader die
Rechtsordnung der Bundesrepublik herangezogen. Die sich aus den folgenden Absätzen
ergebenden Schlüsse können an späterer Stelle einer Beurteilung des Rechtssystems der DDR
dienen.
Vgl. Ibidem, 4-6.
Vgl. hierzu z.B. H. Wentker, Die Justiz in der SBZ/DDR 1945-1953. Transformation und Rolle ihrer zentralen Institutionen.
Einleitung des Autors. (München 2001) 1-14; sowie: H. Sendler, „Die DDR – ein Unrechtsstaat – ja oder nein?“,
Zeitschrift für Rechtspolitik 26 (1993), 1-5; „Über Rechtsstaat, Unrechtsstaat und anderes. Das Editorial der Herausgeber
im Meinungsstreit“, Neue Justiz 45 (1991), 379-382.
29
30
15
K. Heidrich
Entwicklung des politischen Strafrechts in der DDR
3209229
Die Rechtsordnung eines Staates „umfaßt die Gesamtheit der Rechtsnormen, die in
einem bestimmten Bereich – der Bundesrepublik Deutschland, einem Bundesland, einer
Gemeinde usw. [oder eben der DDR] – zu einer bestimmten Zeit – [...] effektiv gelten und deren
Durchsetzung von der staatlichen Autorität garantiert wird.“31 Das Recht dieses Staates setzt sich
zusammen aus den ihm zugrunde liegenden, geltenden Rechtsnormen. Dabei ist die Aufgabe
dieser Normen das friedliche Zusammenleben der in dem jeweiligen Staat lebenden Menschen zu
sichern; sie dürfen aber keinesfalls gleichgesetzt werden mit ethischen oder sittlichen Normen.
Rechtsnormen enthalten also Regelungen darüber, wie Konflikte zwischen den Bürgern des
Staates sowie den Bürgen und dem Staat selbst bzw. dessen staatlichen Institutionen gelöst
werden sollen. Sie müssen dementsprechend so formuliert sein, dass sie mithilfe von
Typisierungen eine Vielzahl von Einzelfällen abdecken.32 Der Jurist und Rechtswissenschaftler
Hermann Avenarius kommt hieraus konkludierend zu folgender Definition des Begriffes
Rechtsnorm: „Eine Rechtsnorm ist demnach eine generell-abstrakte hoheitliche Anordnung, die
sich an eine unbestimmte Vielzahl von Personen (generell) zur Regelung einer unbestimmten
Vielzahl von Fällen (abstrakt) wendet. Sie ist dadurch gekennzeichnet, daß sie eine Rechtsfolge an
einen Tatbestand knüpft.“33 Aus dieser Definition lässt sich eine Doppelfunktion der Normen
ableiten, die für ihre Interpretation Gefahren bürgt. Sie müssen einerseits so allgemein formuliert
sein, dass sie eine große Anzahl von Fällen benennen, andererseits dennoch so eindeutig und
zugespitzt sein, dass nicht zu viel Interpretations- bzw. Ausdehnungsraum entsteht. Genau dann
nämlich, wenn die in der Rechtsnorm verwendeten Begriffe viel Raum zur Interpretation lassen,
können Probleme bei der Rechtsprechung auftreten. Ist eben jener Interpretationsspielraum sehr
weit gefasst, können subjektive Faktoren – also ethische, soziale oder politische
Gesetzmäßigkeiten – in die Rechtsanwendung einfließen. Die Judikative eines Staates besitzt in
solchen Fällen erhebliche Macht.34
Die Definition der Rechtsnormen, aus denen letztendlich die Rechtsordnung eines Staates
besteht ist prinzipiell auf alle demokratischen Staaten35 anwendbar. Entscheidend für die
Rechtssicherheit der in dem jeweiligen Staat lebenden Bürger ist, neben eindeutig formulierten
Rechtsnormen, das Prinzip des Rechtsstaats. Die daran verbundenen Gesetzmäßigkeiten sind jedoch
nicht für alle Staaten gleichbleibend.
H. Avenarius, Die Rechtsordnung der Bundesrepublik Deutschland. Eine Einführung (Berlin 1995), 4.
Vgl. Ibidem, 4.
33 Ibidem, 4-5.
34 Vgl. Ibidem, 6.
35 Es gilt hierbei zu beachten, dass der Begriff „Demokratie“ bzw. „demokratisch“ nicht ganzheitlich definiert ist,
d.h. es keine global anerkannte und anwendbare Definition gibt.
31
32
16
K. Heidrich
Entwicklung des politischen Strafrechts in der DDR
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Spricht man von einem Rechtsstaat, so beinhaltet dies den Primat des Rechts für die gesamte
staatliche Tätigkeit. Die damit verbundenen Merkmale sind die Gesetzmäßigkeit der Verwaltung, der
Gerichtsschutz, die Gewaltenteilung und die Rechtssicherheit. Diese vier Elemente des Rechtssystems der
Bundesrepublik bilden den entscheidenden Unterschied zur DDR und sollen an dieser Stelle
daher kurz erläutert werden. Gesetzmäßigkeit der Verwaltung bedeutet, dass die vollziehende Gewalt
(Exekutive) nicht gegen geltendes Recht, insbesondere Verfassung und Gesetze verstoßen darf;
Eingriffe in die Rechts- und Freiheitssphäre des Einzelnen bedürfen der Grundlage eines
förmlichen Gesetzes; die Gewährleistung des Gerichtsschutzes bietet demjenigen Bürger, der sich
durch Maßnahmen der öffentlichen Gewalt in seinen Rechten eingeschränkt oder verletzt fühlt,
die Möglichkeit dagegen bei den unabhängigen Gerichten zu klagen. Das Prinzip der
Gewaltenteilung zügelt die Macht des Staates und schützt zusätzlich die Freiheit der Bürger durch
die Zuteilung staatlicher Aufgaben und Funktionen auf unterschiedliche Organe mit begrenzten
Kompetenzen. Zuletzt bietet der Grundsatz der Rechtssicherheit ein Maß an Vorhersehbarkeit und
Meßbarkeit der staatlichen Maßnahmen.36
Das sozialistische Rechtsverständnis handhabt jedoch andere Rechtsgrundlagen. Über allem steht
zunächst der Anspruch der Volksherrschaft und der damit verbundene Schutz des
Volkseigentums, der an die Stelle des individuellen Eigentums (in der BRD) tritt. Die Behandlung
des Eigentums bildet daher den wesentlichen Unterschied zum bürgerlich-liberalen
Rechtsverständnis, wie es in der Bundesrepublik angewandt wird. Der Schutz des
Volkseigentums und das Postulat der Volksherrschaft sind im sozialistischen Rechtsverständnis
oberstes Prinzip und haben direkten Einfluss auf die oben beschriebenen vier Elemente des
bürgerlichen Rechtsstaates. Im sozialistischen Rechtsverständnis der DDR wird der
Gewaltenteilung und der Gewährleistung des Gerichtsschutzes abgeschworen und schrumpft das
vierstufige Rechtssystem auf lediglich zwei Stufen, nämlich die der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung
und der Rechtssicherheit. Jedoch sind Zweifel auch hinsichtlich der Gewährleistung dieser beiden
Prinzipien nicht unbegründet. Zwar bedurfte ein Eingriff in die Rechts- und Freiheitssphäre des
Einzelnen theoretisch auch in der DDR eines Gesetzes – die Schutzfunktion dieses Prinzips
scheint in einem zentralistisch regierten Staat jedoch zur Farce zu verkommen. Gleiches gilt auch
für das Prinzip der Rechtssicherheit, das ohne das Prinzip der Gewaltenteilung und der
Gewährleitung der Gerichtssicherheit wie eine leere Hülle erscheint. Der wesentliche Faktor für
mangelnde Gewaltenteilung, sowie unzureichende Gerichtssicherheit findet sich im Fehlen des
Verwaltungsrechts. Dieses Recht ermöglicht dem Bürger die Kontrolle der staatlichen Institutionen.
Nach sozialistischem Rechtsverständnis jedoch vertritt der Staat als eine Art zentrale
36
Vgl. H. Avenarius, Die Rechtsordnung, 21-22.
17
K. Heidrich
Entwicklung des politischen Strafrechts in der DDR
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Aufsichtsbehörde die Interessen aller Bürger und ist es demnach überflüssig ein unabhängiges
kontrollierendes Instrument zu instruieren. Ein Widerspruch gegenüber Verordnungen und
Gesetzen war nur in Form einer Eingabe (Bittschrift) möglich. Im Bereich der Judikative fehlen
dementsprechend die Verwaltungsgerichte und darüber hinaus das Verfassungsgericht. Zudem
fehlten für arbeits- und zivilrechtliche Fragen die ordentlichen Gerichte und wurden an deren
Stelle Schiedskommissionen, bestehend aus Laien, eingesetzt. Im Übrigen ist das Einsetzen von
Laien in diesen Fragen ganz im Sinne des Rechtsverständnisses von Marx und Engels nach denen
derartige Meinungsverschiedenheiten in einem gerechten Staat nur die absolute Ausnahme bilden
und demnach ohne großen Aufwand durch einfache Schiedsrichter geschlichtet werden können.37
Jedoch bezieht sich diese Annahme auf eine Gesellschaft, die sich bereits in der höheren Phase
des Kommunismus befindet – ein Stadium, dass in der DDR nie erreicht wurde.
Damit herrschte in der DDR also eine unvollständige Gerichtslandschaft, die ohne entscheidende
unabhängige Widerspruchsinstanzen auskommen musste.
Das Prinzip der zentralistischen Demokratie der DDR sorgt darüber hinaus für einen weiteren
Unterschied in der Rechtsordnung des sozialistischen Staates im Vergleich zur Bundesrepublik.
In beiden Staaten gilt zwar ein staatliches Rechtsmonopol, also ist festgelegt, dass allein der Staat die
herrschenden Gesetze formulieren und festsetzen kann, dennoch sind die Auswirkungen in
beiden Staaten verschieden. In der DDR existiert nämlich neben dem staatlichen Rechtsmonopol
auch das Führungsmonopol der zentralistischen Partei. Dies sorgt in seiner Verbundenheit mit dem an
früherer Stelle beschriebenen Instrumentalcharakters des Rechts dafür, dass Parteibeschlüsse den
erlassenen
Rechtsnormen
übergeordnet
sind.
Obwohl
Parteibeschlüsse
keine
realen
Rechtsquellen sind, so wird in ihnen der gesellschaftliche Kurs vorgegeben und ebenso die dafür
notwendigen Mittel. Daraus ergibt sich unmittelbar eine Vorgabe der Richtlinien zur
Interpretation
und
Anwendung
der
existierenden
Rechtsnormen.
Die
jeweilige
Schwerpunktlegung auf entweder das eine oder das andere Element der sozialistischen
Gesetzlichkeit spiegelt sich in diesen Parteibeschlüssen wieder und hat damit automatisch
Einfluss auf die jeweilige Rechtsanwendung.38
Die SED legte, als Partei der Arbeiterklasse, in ihren Parteibeschlüssen den zu fahrenden Kurs
für die DDR und deren gesamte Bevölkerung fest und übte damit direkten Einfluss auf die
Rechtsprechung im Land aus – eine Praxis, die sich aus dem Prinzip der sozialistischen
Gesetzlichkeit ergibt. Das DDR-Recht ist „ein Instrument, mit dem die gesellschaftliche
37
38
Vgl. Zitat Engels auf Seite 11.
Vgl. G. Brunner, Einführung DDR-Recht, 8-9.
18
K. Heidrich
Entwicklung des politischen Strafrechts in der DDR
3209229
Entwicklung gestaltet wird und die komplizierten politischen, ökonomischen und sozialen
Aufgaben des sozialistischen Staates gelöst werden.“39 Es diente also der konsequenten
Durchsetzung der politischen und ideologischen Ideen und Ziele der Staatspartei und hatte daher
eine andere Funktion, als das Recht der Bundesrepublik Deutschland, dass die Autorität und
Ordnung im Staat sichern soll. Interessant ist hierbei, dass, betrachtet man die SED und deren
Funktionäre als herrschende Klasse der DDR, das Recht der Durchsetzung derer Interessen galt
und in dieser Funktion exakt dem entspricht, wovon sich der Kommunismus in der idealen
Vorstellung von Marx gegenüber der bürgerlichen Gesellschaft abkehren sollte.
Das Recht ist, in einem Rechtsstaat wie der Bundesrepublik, dem politischen Prozess
übergeordnet. Dieser kann sich demnach nur in Bahnen entfalten, die von der herrschenden
Rechtsordnung vorgegeben sind. Die politischen Akteure sind an das Recht gebunden, woraus
sich eine Berechenbarkeit des staatlich-politischen Handelns ergibt. Hierdurch entsteht ein Maß
an
Rechtssicherheit.
„Demgegenüber
ist
das
Recht
in
einer
totalitären
Diktatur
sowjetkommunistischer Prägung, wie die DDR es ist, nicht oberster Maßstab und
Ordnungsfaktor für die Vorgänge im politischen Gemeinwesen.“40 Der Primat in der DDR
gebührt der Politik und nicht dem Recht. Die zentralistische Partei SED und deren Mitglieder
repräsentieren die „fortschrittlichsten Angehörigen“ der Arbeiterklasse und seien daher im
Stande die nötigen Anforderungen der Gesetzmäßigkeiten der Gesellschaft und den damit
verbundenen Willen des Volkes zu erkennen. Das Recht wird nach dem oben beschriebenen
sozialistisch-kommunistischen Rechtsverständnis von der Partei instrumentalisiert und zur
Verwirklichung der gesetzten Ziele benutzt.41 Aus diesem Verständnis heraus leitet sich im
Übrigen auch das Führungsmonopol der SED ab.
Innerhalb der Rechtsordnung der DDR fehlten also zentrale Elemente des Prinzips der
Rechtsstaatlichkeit. Große Defizite finden sich diesbezüglich im Bereich des Verwaltungsrechts,
dass höchstens rudimentär vorhanden war und demzufolge das Element der Gewährleistung des
Gerichtsschutzes maßgeblich eingeschränkte. Laut sozialistischem Rechtsverständnis ist eine
zentralistische Ordnung mit dem Führungsmonopol der Arbeiterpartei im Sinne des Volkes und
wird Gewaltenteilung nicht uneingeschränkt angestrebt. Unter dieser Auffassung hatte auch das
Element der Rechtssicherheit in der DDR zu leiden. Darüber hinaus gab es auch bezüglich des
Gesetzmäßigkeit der Verwaltung als Element des Rechtsstaates erhebliche Mängel. Dies wird bei
der Betrachtung des Strafrechts an späterer Stelle noch verdeutlicht werden. Dementsprechend
G. Bley/U. Dähn, „Aktuelle Probleme“, 697.
G. Brunner, Einführung DDR-Recht, 1.
41 Vgl. Ibidem.
39
40
19
K. Heidrich
Entwicklung des politischen Strafrechts in der DDR
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weist die Rechtsordnung der DDR auf allen Niveaus des rechtsstaatlichen Prinzips erhebliche
Mängel auf. Bereits an dieser Stelle kann man also zu dem Schluss kommen, dass auf Grund des
sozialistischen Rechtsverständnisses das Prädikat „Rechtsstaat“ für die DDR zumindest in seiner
gängigen Definition nicht zutreffend ist.
II
Das politische Strafrecht der DDR
Die vorliegende Arbeit beschäftigt sich mit einem spezifischen Bereich des Strafrechts der DDR,
nämlich dem politischen Strafrecht. Nach einer Definition des Juristen Wolfgang Schuller handelt
es sich dabei um „diejenigen Vorschriften, welche Taten mit Strafe bedrohten, in denen das
DDR-Regime eine Gefährdung seiner Existenz erblickte.“42
Wie in den vorangegangen Abschnitten bereits dargelegt, war dieses Strafrecht Teil einer
Rechtsordnung, die gekennzeichnet ist von einem zentralistisch geführten Staat mit einer
unvollständigen Gerichtslandschaft sowie einem fehlenden Verwaltungs- und Verfassungsgericht.
Auf dieser Grundlage erhielten die Justizorgane der DDR mittels einer Vielzahl von
Rahmenregelungen und unbestimmten Rechtsbegriffen eine beherrschende Freiheit und Macht
in ihren Entscheidungen mit weitreichenden Folgen für die Betroffenen. Gleichzeitig waren ihre
Entscheidungen entsprechend des Prinzips der Sozialistischen Gesetzlichkeit an den politischen
Kurs der Partei gebunden. Auch dies wirkte sich maßgeblich auf die Gesetzgebung und –
Handhabung aus, im Folgenden veranschaulicht werden soll.
Das folgende Kapitel veranschaulicht die Entwicklung und damit verbundenen Konsequenzen
des politischen Strafrechts in der DDR. Die Betrachtung erfolgt chronologisch und beginnt
bereits in der Periode der Besatzung direkt nach dem zweiten Weltkrieg unter der Führung der
Sowjetischen Militäradministration (SMAD). Eine Periode, in der Grundsteine bezüglich der
strafrechtlichen Entwicklungen gelegt wurden, die nicht vernachlässigt werden dürfen. Die
Betrachtung beschränkt sich zudem auf diejenigen Paragrafen, die am exemplarischsten und
folgenreichsten waren für das politische Strafrecht und erhebt, trotz des teilweise ausführlichen
Charakters, keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Im Rahmen dieser Arbeit ist ein solcher
Anspruch leider nicht möglich gewesen.
42
W. Schuller, Geschichte und Struktur des politischen Strafrechts der DDR bis 1968. (Ebelsbach 1980), 7.
20
K. Heidrich
2.1
Entwicklung des politischen Strafrechts in der DDR
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Strafrechtliche Entwicklungen in der Sowjetischen Besatzungszone (SBZ)
In der rechtswissenschaftlichen DDR-Literatur beginnt die Auseinandersetzung mit dem
Strafrecht erst mit der dem Gründungsjahr des sozialistischen Staates 1949.43 In den Jahren zuvor
haben unter der Leitung der Sowjetischen Militäradministration Deutschland (SMAD) jedoch
entscheidende Entwicklungen stattgefunden, die auch das spätere politische DDR-Strafrecht
geprägt haben, daher soll auch auf die Periode der SBZ eingegangen werden. Zwar waren die
Eingriffe in das Normensystem des Besatzungsgebietes zwischen 1945 und 1947 auf Grund von
übergeordneten gesamtdeutschen Überlegungen noch verhältnismäßig gering, dennoch „lassen
sich im Wirtschaftsstrafrecht wie in dem dazugehörigen Prozeßrecht bereits seit 1945/46
sowjetische Interventionen ausmachen.“44 Dass gerade auf dem Gebiet des Wirtschaftsstrafrechts
Eingriffe festzustellen sind, ist angesichts der Notwendigkeit der Wiederherstellung einer
funktionierenden deutschen Wirtschaft nicht ungewöhnlich. Der Historiker Herman Wenkter
weist zudem darauf hin, dass es sich hierbei nicht um ein spezifisch sowjetisches Vorgehen
handelt, sondern eine verstärkte Bekämpfung von Wirtschaftsverbrechen auch in den Westzonen
zu konstatieren ist.45
Der Aufbau eines strafrechtlichen Grundgerüsts in der SBZ/DDR fiel im Land der
Besatzungsmacht in eine Epoche, die auch als „dunkelste Epoche des sowjetischen Strafrechts“ 46
bezeichnet werden kann. Um eventuelle Folgen des sowjetischen Einflusses für das DDRStrafrecht herauszuarbeiten, soll zunächst ein kurzer Überblick über die entscheidenden
strafrechtlichen Entwicklungen in der Sowjetunion gegeben werden.
Das sowjetische Strafrecht weist bereits in seiner ersten Form von 1919 große
Auslegungsspielräume für die Richter auf. Die grundlegenden Leitsätze dieses ersten
Gesetzbuches sind zum einen die kommunistische Auffassung, dass Straftaten ein Spiegel des
Zustandes der gesellschaftlichen Beziehungen sind47 und darüber hinaus wurden sie als
gefährliche Handlung oder Unterlassung für das herrschende System eingestuft und machten
daraus resultierend den Kampf der Staatsgewalt gegen den oder die Täter erforderlich. Zudem
waren auch Strafen ohne Schuld möglich, welche dem Staat als „zweckmäßige Schutzmaßnahme“
dienten. Zuletzt entscheidet die Klassenzugehörigkeit des Täters über die Höhe des Strafmaßes.
Täter die aus der besitzenden Klasse stammten erhielten entsprechend dieses Prinzips weitaus
Vgl. hierzu: H. Benjamin u.a., Zur Geschichte der Rechtspflege der DDR 1945-1961. (Berlin/DDR 1980).
H. Wentker, Justiz, 173.
45 Ibidem.
46 F.-C. Schroeder, Strafrecht, 26.
47 Hierin findet sich im Übrigen die direkte Verarbeitung der marxistisch-leninistischen Theorie zum Strafrecht. Vgl.
das Zitat von Lenin auf Seite 12.
43
44
21
K. Heidrich
Entwicklung des politischen Strafrechts in der DDR
3209229
höhere Strafen als Arbeiter und Bauern. An dieser Unterscheidung der Klassenzugehörigkeit bei
der Bemessung des Strafmaßes wird erneut die kommunistische Theorie deutlich, dass Straftaten
aus gesellschaftlichen Verhältnissen resultieren. Ein ausgebeuteter Bauer wird dementsprechend
zu einer kriminellen förmlich Tat gezwungen und daher milder bestraft. Ein Zugehöriger der
besitzenden Klasse hingegen habe keine gesellschaftliche Veranlassung Straftaten zu begehen und
müsse darum härter bestraft werden.
Da in Gesetzestext keine Beschreibungen der jeweiligen Straftatbestände enthalten waren, lag die
Ermittlungsgewalt über Schwere und Gefährlichkeit der Delikte vollends beim Richter.48 In den
Gesetzesbüchern von 1922 und 1926 waren zwar wieder Umschreibungen von Straftatbeständen
aufgenommen, dennoch blieb die Möglichkeit der willkürlichen Verurteilung bestehen, da der
Grundsatz „nulla poena sine lege“49 abgeschafft und dadurch die Möglichkeit der Bestrafung
ohne Tatbestand geschaffen wurde.50 Der Rechtswissenschaftler Friedrich-Christian Schroeder
stellt darüber hinaus fest, dass ab 1926 der Akzent stets mehr auf den Grad der Gefährlichkeit
anstelle der Schuld gelegt und der Begriff „Strafe“ durch „Maßnahme des Gesellschaftsschutzes“
ersetzt wurde. Diese Maßnahmen waren auch schon bei Personen zulässig, die noch keine Tat
begangen hatten, sondern nur in Kontakt standen zu einem kriminellen Umfeld oder eine
derartige Vergangenheit hatten.51 Obwohl man davon ausgehen hätte können, dass sich diese
rücksichtslose Härte des sowjetischen Strafrechts gegenüber System- und Klassenfeinden in dem
Maße verringert, indem die Anzahl der (potentiellen) Gegner weniger wird und die Gesellschaft
sich zur kommunistischen Gesellschaft entwickelt, trat genau dies nicht ein. Mehr noch – das
Gegenteil war der Fall: „auch das ursprüngliche Verständnis gegenüber straffälligen Arbeitern
und Bauern wurde nunmehr aufgegeben und schlug geradezu um in eine moralische Empörung
darüber, daß die Täter ohne den Zwang der kapitalistischen Verhältnisse nach wie vor Straftaten
begingen
und
das
an
sich
optimistische
Menschenbild
des
Marxismus-Leninismus
enttäuschten.“52 Ab Ende der 20er und in den 30er Jahren wurde das sowjetische Strafrecht
gnadenlos verschärft und alle bisherigen Strafmilderungsmöglichkeiten verschwanden. Es
basierte von da an vor allem auf dem Prinzip der totalen Abschreckung: selbst auf Schwarzfahren
mit der Eisenbahn stand ein Jahr Zuchthaus.
Vgl. F.-C. Schroeder, Strafrecht, 19/20.
Keine Strafe ohne Gesetz.
50 Vgl. F.-C. Schroeder, 20.
51 Vgl. Ibidem, 21.
52 Ibidem, 22/23.
48
49Rechtsgrundsatz:
22
K. Heidrich
Entwicklung des politischen Strafrechts in der DDR
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Daran änderte sich laut Schroeder auch nach dem Zweiten Weltkrieg nichts. Wohl aber führte
diese Kriminalpolitik zu der interessanten Gegebenheit gut gefüllter Straflager in der
Sowjetrepublik, deren Wirtschaftskraft nicht zu unterschätzen ist.53
SMAD-Befehl Nr. 160 und Änderung der Wirtschaftsstrafverordnung (WStVO)
Eben dieses schonungslose Strafrecht und die dazugehörige Kriminalpolitik nach
sowjetischen Vorbild beherrschten auch die ersten Jahre der SBZ, in denen die ostdeutschen
Gerichte sowie sowjetischen Militärtribunale mittels Befehl Nr. 160 der SMAD „über die
Verantwortung für Sabotage- und Diversionsakte“54 vom 3. Dezember 1945 zahlreiche Personen
zu langjährigen Gefängnisstrafen bis zu 15 Jahren und in besonders schweren Fällen selbst zur
Todesstrafe verurteilten. Die Begriffe Sabotage und Diversion sind dabei neu im deutschen
Strafrecht. Sie entstammen direkt dem Strafgesetzbuch der Besatzungsmacht, was auch an den
Interpretationsschwierigkeiten dieser Begriffe in den zuständigen deutschen Justizbehörden zu
erkennen ist. Wentker weist darauf hin, dass die Rechtsabteilung der SMAD während der
gesamten Hoheitsperiode mit der Umsetzung des Befehls unzufrieden blieb.55 Zunächst einmal
kann hierfür die fehlende Veröffentlichung des Originaltextes des Befehls verantwortlich
gemacht werden, die wahrscheinlich sogar zur inhaltlichen Vertauschung beider Begriffe führte. 56
Im Regierungsblatt für das Land Thüringen wurde folgende Übersetzung veröffentlicht:
„Befehl
des Hauptchefs der SMA, Oberkommandierender der Gruppe der Sowjet-Okkupations-Truppen
in Deutschland, Nr. 160
Berlin, 3. Dezember 1945
Betrifft: Verantwortung für Sabotage und Diversionsakte
Zwecks Unterbindung der verbrecherischen Tätigkeit einzelner Personen, welche auf den
Abbruch des wirtschaftlichen Aufbaues der deutschen Selbstverwaltungsorgane gerichtet ist,
befehle ich:
1. Personen, denen auf den Abbruch der wirtschaftlichen Maßnahmen der deutschen
Selbstverwaltungsorgane oder der deutschen Verwaltungen gerichtete Diversionsakte
Vgl. Ibidem, 23/24.
Der genaue Wortlaut des Befehls wurde nie veröffentlicht, wodurch die Fassungen in den deutschen
Gesetzestexten der einzelnen Länder und Provinzen abweichen. Vgl. W. Schuller, Geschichte, 8-10.
55 Vgl. H. Wentker, Justiz, 183.
56 Wentker erläutert dazu: Der Begriff der Diversion wird in den deutschen Texten im ersten Absatz „als
Durchkreuzung von wirtschaftlichen Maßnahmen der deutschen Selbstverwaltungsorgane oder der deutschen
Verwaltungen und im zweiten Absatz Sabotage als Handlung bezeichnet […], die die Arbeit von
Wirtschaftsbetrieben beeinträchtige bzw. zerstöre.“ Im Sowjetrecht seien diese beiden Begriffe jedoch genau
andersherum definiert. Vgl. H. Wentker, Justiz, 174.
53
54
23
K. Heidrich
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nachgewiesen sind, werden einer Gefängnisstrafe bis 15 Jahre und in besonders schweren
Fällen der Todesstrafe unterworfen.
2. Derselben Strafe unterliegen Personen, welche sich der Sabotage schuldig gemacht haben, um
die Tätigkeit von Unternehmen aufzuhalten, sie zu beschädigen oder zu vernichten…“57
Auffällig an dieser Veröffentlichung ist beispielsweise, dass nicht definiert wird, was unter
sogenannten „Diversionsakten“ verstanden wird. Darüber hinaus wird hier deutlich, dass dieses
Gesetz ursprünglich nur als Wirtschaftsgesetz vorgesehen war. In der Praxis jedoch wurde es sehr
bald als politisches Strafrecht angewendet, nämlich zum Schutz „des Aufbaus unseres
demokratischen Staates“ bzw. der „antifaschistisch-demokratischen Ordnung“58 und füllte damit
die nach der Aufhebung der politischen Straftatbestände des StGB durch den Kontrollrat 59
entstandene Lücke im politischen Strafrecht der Besatzungszone.
Einige der Prozesse um Befehl Nr. 160 sollten zur gezielten Abschreckung als Schauprozesse
abgehalten werden. Eine Praxis, die im deutschen Strafrecht bis dahin unüblich war und von
Seiten der deutschen Justizbehörden auf wenig bereitwillige Unterstützung stieß.60 „Die Prozesse
sollten nicht nur die Hauptverantwortlichen streng bestrafen, sondern auch zur Vorbeugung
weiterer Sabotagefälle dienen.“61 Ein Vielfaches der politischen Delikte wurde dementsprechend
bis zum Stationierungsabkommen vom 12.03.195762 unter Leitung der SMAD nach sowjetischem
Recht abgehandelt.
Im Bereich des Wirtschaftsstrafrechts finden sich noch zwei weitere entscheidende
Eingriffe, die auf Grund ihrer politischen Auslegung zum Bereich des politischen Strafrechts
gezählt werden müssen. Mittels der Verordnung über die Bestrafung von Verstößen gegen die
Wirtschaftsordnung (WStVO) vom 23.09.1948 wurde zum ersten Mal erstrebt, Versuch und
Vorbereitung als Vollendung der Tat zu betrachten. Die Begründung hierfür sah ein zuständiges
Gericht in der Art der Wirtschaftsverbrechen selbst, die in ihren Folgen den Aufbau des Staates
und der Ordnung besonders schwer schädigen.63 Charakteristisch für die zunehmende politische
Einfärbung des Wirtschaftsstrafrechts ist laut Schuller auch § 10 (1) der WStVO, wonach
Vermögenseinziehung
Strafgesetzbuch für das Deutsche Reich in der Fassung des Thüringischen Anwendungsgesetzes vom 1.
November 1945 mit strafrechtlichen Einzelgesetzen, zitiert nach: W. Schuller, Geschichte, 9.
58Oberstes Gericht (OG), Urteil vom 29.4. 1950, Neue Justiz (NJ) 1950, 306 ff. (312) und Hilde Benjamin, NJ 1951,
542; zitiert nach: W. Schuller, Geschichte, 7.
59 Kontrollratsgesetz Nr. 11 (30. Januar 1946), http://www.verfassungen.de/de/de45-49/kr-gesetz11.htm, 05.06.10,
11.07 Uhr.
60 Vgl. H. Wentker, Justiz, 179 ff.
61 Ibidem, 178.
62 In diesem Abkommen zwischen der DDR und der Sowjetunion wurde die Stationierung sowjetischer Truppen in
der DDR festgelegt.
63 Vgl. W. Schuller, Geschichte, 13.
57
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„auch gegen Inhaber oder Leiter des Geschäftsbetriebes festgesetzt werden [konnte], wenn diese
nicht nachweisen, daß sie die im Verkehr erforderliche Sorgfalt zur Verhütung der strafbaren
Handlung angewendet haben“.
und die damit verbundene Umkehrung der Beweislast.64 Im Allgemeinen lässt sich demnach
festhalten,
dass das nach
der Machtübernahme
der Besatzungsmächte entstandene
Gesetzesvakuum auf dem Gebiet des politischen Strafrechts zunächst durch Bestimmungen des
Wirtschaftsstrafrechts aufgefüllt wurde. Diese erhielten relativ zügig eine deutlich politische
Einfärbung, indem Wirtschaftsverbrechen schnell als Verbrechen gegen die neue demokratische
Ordnung interpretiert werden. Darüber hinaus wurden im deutschen Strafrecht bis dahin
unbekannte Begriffe und Bestimmungen eingeführt, die dem sowjetischen Recht entlehnt sind
und dementsprechend Auslegungs- und Anwendungsschwierigkeiten mit sich brachten.
Kontrollratsdirektive Nr. 38
Am 12.10.1946 erließ der Kontrollrat für Gesamtdeutschland die Direktive Nr. 38 gegen
Nationalsozialismus und Militarismus. Artikel III A III darin lautete:
„Aktivist ist auch, wer nach dem 8.5.1945 durch Propaganda für den Nationalsozialismus oder
Militarismus oder Erfindung tendenziöser Gerüchte den Frieden des deutschen Volkes oder den
Frieden der Welt gefährdet hat oder möglicherweise noch gefährdet.“65
Die Formulierung der Direktive ist so vage, dass sie von der Regierung der SBZ „völlig ungeniert
als Schutz ihres eigenen politischen Systems angesehen und angewendet“66 werden konnte und
als solche auch als erstes „rein politisches Regimeschutzgesetz“67 angewendet wurde.
Aus dem Gesetz sind fünf objektive Tatbestände abzuleiten: Nationalsozialismus, Militarismus,
Propaganda, Gerüchteverbreitung und Friedensgefährdung. Da die Rechtsprechung zu dieser
Direktive in der SBZ substantiell anders verlief als in den übrigen westlichen Besatzungszonen,
lohnt sich eine genauere Betrachtung der Interpretationspraxis der obengenannten Tatbestände.
Bezüglich des Tatbestandes Nationalsozialismus ist festzuhalten, dass man von der Gegnerschaft
des Nationalsozialismus gegen die Demokratie ausging, den Kommunismus dahingegen mit
dieser identifizierte und dementsprechend eine Gegnerschaft zum Kommunismus mit dem
Oberlandesgericht (OLG) Dresden, Urteil vom 25.1. 1951, NJ 1952, 191; zitiert nach: W. Schuller, Geschichte, 14.
Kontrollratsdirektive Nr. 38 (12. Oktober 1946), http://germanhistorydocs.ghidc.org/docpage.cfm?docpage_id=3011, 30.05.10, 16.00 Uhr.
66 F.-C. Schroeder, Strafrecht, 26.
67 W. Schuller, Geschichte, 25.
64
65
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Nationalsozialismus gleichsetzte. In diesem Sinne konnte dann auch der Westen als
antikommunistisch, also antidemokratisch und demnach nationalsozialistisch bezeichnet
werden.68 Ähnliches gilt für den Militarismus. Militarismus wurde in den Urteilen der SBZGerichte ohne Umschweife mit Krieg gleichgesetzt und man ging davon aus, dass der Westen
den Krieg vorzubereiten und herbeizuführen beabsichtige. Die Gegnerschaft des Westens zum
Kommunismus wurde in diesem Sinne auch als Militarismus bezeichnet. Unter beiden
Tatbeständen konnten so das bloße Sympathisieren mit dem Westen, oder das Lesen westlicher
Tageszeitungen strafrechtlich verfolgt werden.69 Unter den Tatbestand der Propaganda fiel eine
Fülle von möglichen Aktivitäten, mittelbar und unmittelbar – Taten also, die quasi in irgendeiner
Weise begangen werden konnten: mündliche und schriftliche Äußerungen, das Versenden und
Weitergeben von Zeitungen oder Flugblättern usw., aber auch aktive Taten, die mit dem Inhalt
der Propaganda in Zusammenhang stehen, wurden als Propaganda bestraft.70 Schuller schildert
einen Fall, bei dem eine leitende Angestellte einer Spielwarenfabrik wegen nationalsozialistischer
Propaganda verurteilt wurde, da in der Fabrik Faschingsmasken hergestellt wurden, die das
Gericht als antisemitisch klassifizierte.71 Der Tatbestand der Gerüchteverbreitung sollte der
Verbreitung von Unwahrheiten entgegenwirken. Er war bereits erfüllt, „wenn ein unwahrer
Sachverhalt geäußert wurde, ohne daß es auf die mit dieser Äußerung verbundene Absicht, auf
die Motive, […] angekommen wäre“.72 Die Friedensgefährdung durch eine Tat wurde von den SBZGerichten
meist
im
Zusammenhang
mit
den
Tatbeständen
der
Propaganda
und
Gerüchteverbreitung festgestellt. Schroeder schildert einen Fall, in dem das Schreiben des Wortes
„Freiheit“ an eine Mauer vom Landgericht Potsdam als „Gerücht“ bezeichnet wurde, das in
höchstem Maße die Freiheit des deutschen Volkes gefährde. In einem anderen Fall wurde die
Abholung eines Lebensmittelpakets aus Westberlin als Verbreitung des Gerüchts bestraft, in der
sowjetischen Besatzungszone würden die Menschen Hunger leiden.73
Die Verurteilung des Direktors des volkseigenen Betriebes Deutsche Schifffahrts- und
Umschlagsbetriebszentrale Berlin (DUS) Julius Brose für diesen Tatbestand fiel noch
verhältnismäßig glimpflich aus. Brose hatte laut Anklageschrift des Landgerichts Potsdam im
April 1950 eine HO-Gaststätte aufgesucht und dort „im betrunkenen Zustand tendenziöse
Vgl. W. Schuller, Geschichte, 28.
Vgl. Ibidem, 28-29.
70 Vgl. Ibidem, 30.
71 Vgl. Ibidem.
72 Ibidem, 32.
73 Vgl. F.-C. Schroeder, Strafrecht, 26/27; sowie: Dokument Nr. 160, Unrecht als System. Dokumente über planmäßige
Rechtsverletzungen im sowjetischen Besatzungsgebiet, Bd. 2, (Bonn 1955), 137/138. Das Dokument zeigt das Urteil des
Bezirksgerichts Dresden gegen eine Frau, die wegen Abholung eine Lebensmittelpaktes aus dem Westsektor nach
Art. 6 (2) und KRD 38 wegen der Verbreitung „tendenziöser friedensgefährdender Gerüchte“ zu einem Jahr und
sechs Monaten Gefängnis verurteilt wurde.
68
69
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K. Heidrich
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Gerüchte“ verbreitet. Er hatte erklärt, „die Aktivisten sind Idioten, denen fehlte der sechste Sinn,
denn sie merken nicht wie sie ausgebeutet werden“.74 Darüber hinaus sei „der Staatskapitalismus
ein Ausbeutersystem“ und der Privatkapitalismus besser. Desweiteren führte er laut Anklage an,
dass Arbeiter früher nicht ausgebeutet wurden, nun aber wohl und alle Kommunisten seien
Verbrecher. Gegen Brose wurde deshalb am 10.08.1950 Anklage wegen Gefährdung des Friedens
des Deutschen Volkes durch Verbreitung tendenziöser Hetzreden erhoben – ein Verbrechen
nach Abschnitt II Artikel III A III der Kontrollratsdirektive 38.75 Im Urteil vom 6. Oktober 1950
verhängte das Gericht 25.000 DM Geldstrafe und im Nichteintreibungsfall für je 80 DM 1 Tag
Gefängnis. Das Gericht rechnete dem Angeklagten in seiner Begründung mildernde Umstände
an. Der Tatbestand nach KRD Nr. 38 wäre zwar eindeutig erfüllt, es hätte bei Brose zur Zeit der
Tat aber eine „Bewußtseinsstörung“ vorgelegen, die durch den „fahrlässigen Genuß geistiger
Getränke hervorgerufen wurde“. Daher sah das Gericht von einer Freiheitsstrafe ab.76 Das Urteil
bedeutete für den Unternehmen zwar erhebliche finanzielle Verluste, das unbedachte Kundgeben
seiner Meinung hätte ihn jedoch im Hinblick auf seine Freiheit wahrhaftig noch teurer zu stehen
kommen können.
Auch der Lehrer Martin Ulbricht machte sich 1950 laut Auffassung des
Schnellschöffengerichts Berlin eines Verstoßes gegen Abschnitt II Artikel III A III KRD 38
schuldig. Er wurde im Februar zu 6 Jahren Gefängnisstrafe mit sogenannten Sühnemaßnahmen 77
verurteilt. Ulbricht hatte laut Gericht „in der Schule den Kindern antidemokratische und
Dokument Nr. 3, Unrecht als System, Bd. 1, (Bonn 1952), 11
Vgl. Ibidem.
76 Vgl. Dokument Nr. 4, Ibidem, 11/12.
77 Die sogenannten Sühnemaßnahmen wurden innerhalb der mit der KRD 38 festgesetzt, für Artikel III galten
folgende Regelungen:
„1. Sie können auf die Dauer bis zu 10 Jahren in einem Gefängnis oder in einem Lager interniert werden, um
Wiedergutmachungs- und Wiederaufbauarbeiten zu verrichten. Internierung aus politischen Gründen nach dem 8.
Mai 1945 kann angerechnet werden.
2. Ihr Vermögen kann als Beitrag zur Wiedergutmachung ganz oder teilweise eingezogen werden. Bei teilweiser
Einziehung des Vermögens sind insbesondere die Sachwerte einzuziehen. Die notwendigen Gebrauchsgegenstände
sind ihnen zu belassen.
3. Sie dürfen kein öffentliches Amt einschließlich Notariat und Anwaltschaft bekleiden.
4. Sie verlieren alle Rechtsansprüche auf eine aus öffentlichen Mitteln zahlbare Pension oder Zuwendung.
5. Sie verlieren das aktive und passive Wahlrecht, das Recht, sich irgendwie politisch zu betätigen oder Mitglied einer
politischen Partei zu sein.
6. Sie dürfen weder Mitglieder einer Gewerkschaft noch einer wirtschaftlichen oder beruflichen Vereinigung sein.
7. Es ist ihnen auf die Dauer von mindestens fünf Jahren nach ihrer Freilassung untersagt:
a) In einem freien Beruf oder selbständig in irgendeinem gewerblichen Betriebe tätig zu sein, sich an einem
solchen zu beteiligen oder dessen Aufsicht oder Kontrolle auszuüben.
b) In nicht selbständiger Stellung anders als in gewöhnlicher Arbeit beschäftigt zu sein.
c) Als Lehrer, Prediger, Redakteur, Schriftsteller oder, Rundfunk-Kommentator tätig zu sein.
8. Sie unterliegen Wohnraum- und Aufenthaltsbeschränkungen.
9. Sie verlieren alle ihnen erteilten Approbationen; Konzessionen und Vorrechte sowie das Recht, ein Kraftfahrzeug
zu halten.
10. Nach Ermessen der Zonenbefehlshaber können in die Zonengesetze Sühnemaßnahmen aufgenommen werden,
die es den Belasteten untersagen, eine Zone ohne Genehmigung zu verlassen.“; KRD 38, Artikel IX: Sühnemaßnahmen
gegen Belastete, http://www.verfassungen.de/de/de45-49/kr-direktive38.htm, 31.07.10, 18.47 Uhr.
74
75
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Entwicklung des politischen Strafrechts in der DDR
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antisowjetische Hetze vorgetragen und […] auch außerhalb der Schultätigkeit betrieb er diese
Hetze indem er seine Cousine in Thüringen mit Ausschnitten aus westlichen Hetzzeitungen
versorgte“.78 Aus der Anklageschrift geht hervor, dass der Lehrer anhand des Satzes „Etwas
Gutes haben wir nach der Wahl nicht zu erwarten.“ die Satzbildung erklärte und in diesem
Zusammenhang die Wahlen im Westen als besser bezeichnete sowie die demokratische
Einrichtung der Jungpioniere verächtlich gemacht und die Sowjet-Union diffamiert habe. Er habe
sich somit als „Provokateur und Propagandist im Sinne der anglo-amerikanischen
Kriegsverbrecher betätigt“.79 Diese Beispiel zeigt, dass unachtsame Meinungsäußerungen in der
noch jungen DDR durchaus schwerwiegende Konsequenzen haben konnten. Im Fall dieses
Lehrers bedeutete dies nicht nur eine lange Freiheitsstrafe, sonder aufgrund der verhängten
Sühnemaßnahmen neben dem Einbüßen von bürgerlichen Ehrenrechten80 ebenfalls ein
langjähriges Berufsverbot.
Obwohl es die Aufgabe der Kontrollratsdirektive Nr. 38 sein sollte, nationalsozialistischer
und
militaristischer
Propaganda
entgegenzuwirken,
sorgte
der
weitgefasste
Interpretationsspielraum des Gesetzestextes dafür, dass die Direktive in der SBZ uns später der
DDR zur Einschränkung der freien Meinungsäußerung und zur strafrechtlichen Verfolgung von
vermeintlichen Systemgegnern im Allgemeinen benutzt werden konnte. Die entsprechenden
Urteile zeigen sogar, dass dafür nicht einmal wahre Systemgegnerschaft nötig war, sondern
beispielsweise positive Auslassungen über die westlichen Verhältnisse, der bloße Kontakt zu
westlichen Sektoren, oder das Lesen von westlichen Zeitungen bereits als eine solche
Gegnerschaft interpretiert werden konnte. Schroeder erkennt hierin eine von Anfang an
gehandhabte Instrumentalisierung des Strafrechts der SBZ/DDR zur Sicherung der Ideologie des
Systems.81 Darüber hinaus ist hieran eine frühe Tendenz zur Abschottung der DDR von
westlichen Einflüssen sichtbar.
Darüber hinaus lässt sich ein Unterschied bezüglich der formellen Abhandlung in der SBZ zu
den anderen drei Besatzungszonen feststellen. Strafsachen zur KRD Nr. 38 wurden in der
Sowjetischen Besatzungszone von der ordentlichen Gerichtsbarkeit in ordentlichen Prozessen
abgehandelt. In den westlichen Zonen hingegen hatte man sogenannte Spruchkammern errichtet,
die sich mit den entsprechenden Fällen beschäftigen sollten.82 Die Behandlung der Verfahren zur
Dokument Nr. 9, Unrecht als System, Bd. 1, 14.
Dokument Nr. 8, Ibidem, 13/14.
80 Unter bürgerlichen Ehrenrechten versteht man Rechte, die einem Bürger auf Grund seiner Staatsbürgerschaft
zustehen, also z.B. das aktive und passive Wahlrecht oder das Recht auf Ausübung eines öffentlichen Amtes.
81 Vgl. F.-C. Schroeder, Strafrecht, 27.
82 Vgl. W. Schuller, Geschichte, 25/26.
78
79
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KRD 38 in ordentlichen Gerichtsverfahren impliziert, dass man den entsprechenden
Tatbeständen in der SBZ bzw. DDR eine höhere Schwere beimaß.
2.2
Strafrechtsbestimmungen zur politischen Strafverfolgung in der DDR 1949-1968
Am 7. Oktober 1949 tritt in Ost-Berlin der zweite deutsche Volksrat als Reaktion auf
vorangegangene Gründung der Bundesrepublik Deutschland zusammen und ruft die Deutsche
Demokratische Republik aus. Das Verfassungsdokument, dass der Gründung zugrunde liegt
entstand fast gleichzeitig mit dem der BRD. Ein auffälliger Unterschied zwischen beiden
Dokumenten findet sich jedoch bereits im ersten Teil der Verfassungen. Wohingegen die
Verfassung der BRD zunächst universal geltende Menschenrechtsbestimmungen benennt,
werden im Dokument der DDR zunächst die Grundlagen der Staatsgewalt festgelegt.83 Die
Tatsache, welche verfassungsmäßigen Gesetzmäßigkeiten an welcher Stelle innerhalb einer
Verfassung festgelegt werden hat an sich zwar keinen Einfluss auf die weitere Gesetzgebung,
kann aber als Indikation für die Prioritäten eines Staates gewertet werden. Für die Thematik
dieser Arbeit ist jedoch vor allem ein Artikel der Verfassung von großer Bedeutung. Die
gesetzliche Tragweite und juristische Handhabung von Artikel 6 sind bezeichnend für den
Umgang mit Rechtsnormen auf dem Gebiet des politischen Strafrechts in der DDR.
Artikel 6 der DDR-Verfassung von 1949
Der Artikel 6 bestimmte jahrelang die politische Justiz der DDR und ist in seiner Bedeutung
nicht zu unterschätzen. Er bildete, ohne in juristischem Sinne Strafgesetz zu sein, eine Art
Sammeltatbestand mit weitreichenden Folgen.
Artikel 6 der Verfassung lautet:
„(1) Alle Bürger sind vor dem Gesetz gleichberechtigt.
(2) Boykotthetze gegen demokratische Einrichtungen und Organisationen, Mordhetze gegen
demokratische Politiker, Bekundung von Glaubens-, Rassen-, Völkerhaß, militaristische
Propaganda sowie Kriegshetze und alle sonstigen Handlungen, die sich gegen die
Gleichberechtigung richten, sind Verbrechen im Sinne des Strafgesetzbuches. Ausübung
demokratischer Rechte im Sinne der Verfassung ist keine Boykotthetze.
Diese Vorgehensweise findet sich im Übrigen auch in der Verfassung der Weimarer Republik, worin erst im
zweiten Hauptteil die Grundrechte der Deutschen benannt werden.
83
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(3) Wer wegen Begehung dieser Verbrechen bestraft ist, kann weder im öffentlichen Dienst noch
in leitenden Stellen im wirtschaftlichen und kulturellen Leben tätig sein. Er verliert das Recht, zu
wählen und gewählt zu werden.“84
Absatz 2 dieses Artikels wurde als Strafgesetz benutzt85 und „zu einem der uferlosesten und
übelsten Strafgesetze aller Zeiten aufgebaut“.86 Dass der Absatz überhaupt als Strafgesetz benutzt
wurde, ist an sich schon ungewöhnlich. Schließlich befindet sich im Verfassungsartikel keine
Strafandrohung, sondern nur die Behauptung, dass die genannten Begriffe Straftaten im Sinne
des StGB seien. In einem Urteil gegen Mitglieder der Zeugen Jehovas vom 4.10.1950 entschied
das Oberste Gericht jedoch, dass Artikel 6 der Verfassung unmittelbar als Strafgesetz
anzuwenden sei. Das Gericht begründete dies wie folgt:
„[Der Artikel] enthält selbst zwar keine Strafdrohung, spricht jedoch aus, daß die in ihm
genannten Handlungen Verbrechen im Sinne des Strafgesetzbuches sind. Die Verfassung der
Deutschen Demokratischen Republik bringt im allgemeinen – und im besonderen in ihrem Art.
144 – zum Ausdruck, daß alle ihre Bestimmungen geltendes Recht sind87. Es würde deshalb im
Widerspruch zu diesem entscheidenden Grundsatz unserer Verfassung stehen, wenn gerade dem
Art. 6 als einem der wichtigsten Schutzgesetze unserer Ordnung unmittelbare Wirkung versagt
würde. Die in ihm selbst nicht enthaltenen Strafbestimmungen sind daher dem allgemeinen
Strafgesetzbuch zu entnehmen. Dieses droht für Verbrechen als Strafe an: Todesstrafe,
lebenslängliche Zuchthausstrafe und zeitige Zuchthausstrafe. Alle diese Strafen finden für die
Verstöße gegen den Art. 6 der Verfassung je nach Schwere der Tat Anwendung.“88
Gemäß dieses Paragrafs konnten nebst politischen Witzen, kritischen Äußerungen gegen Staat
und/oder Partei und ähnlichen Delikten auch nahezu alle vorstellbaren politisch motivierten
Straftaten, wie (versuchter) Hochverrat, Organisation in oder Kontakt zu staatsfeindlichen
„Verfassung der Deutschen Demokratischen Republik vom 7. Oktober 1949“, in: H. Hildebrandt, Die deutschen
Verfassungen des 19. Und 20. Jahrhunderts. (Paderborn 1979), 198.
85 Im Prinzip galt das deutsche Strafgesetzbuch des Deutschen Reiches aus 1871 noch als juristische Grundlage. Vor
allem für politisch motivierte Straftatbestände versuchte man in der SBZ/DDR mit ergänzenden Paragrafen
Handlungsverfügungen im Sinne des neuen sozialistischen Systems zu schaffen. So konnte man den Zeitraum
überbrücken, bis ein eigenes Strafgesetz verfasst sein würde.
86 F.-C. Schroeder, Strafrecht, 28.
87 Artikel 144 der DDR-Verfassung (1949): „Alle Bestimmungen dieser Verfassung sind unmittelbar geltendes Recht.
Entgegenstehende Bestimmungen sind aufgehoben. Die an ihre Stelle tretenden, zur Durchführung der Verfassung
erforderlichen Bestimmungen werden gleichzeitig mit der Verfassung in Kraft gesetzt. Weitergeltende Gesetze sind
im Sinne dieser Verfassung auszulegen. Die verfassungsmäßigen Freiheiten und Rechte können nicht den
Bestimmungen entgegengehalten werden, die ergangen sind und noch ergehen werden, um den Nationalsozialismus
und Militarismus zu überwinden und das von ihnen verschuldete Unrecht wiedergutzumachen.“, in: H. Hildebrandt,
Verfassungen, 231.
88 NJ, 1950, 454; sowie: Dokument Nr. 19, Unrecht als System., Bd. 1, 25.
84
30
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Verbindungen, Spionage und Terrorhandlungen verurteilt werden. Und eben dies geschah zu
Hauf. Darüber hinaus wurden nach dieser Vorschrift aber auch Beschädigung öffentlichen
Eigentums und Kontakt zu Flüchtlingsorganisationen in Westberlin bestraft. Nach Aufhebung
des SMAD-Befehls Nr. 16089 wurden auch die Tatbestände Sabotage und Diversion mittels
Artikel 6, Absatz 2 der Verfassung abgehandelt. Seit Beginn der 50er Jahre wurde auch
(versuchte) Republikflucht und ab 1955 Hilfe bei der Flucht aus der DDR als Boykotthetze
verfolgt. Bezüglich des Tatbestandes der Boykotthetze selbst ist festzuhalten, dass nie eine
eindeutige Definition dessen durch die Justizbehörden gegeben wurde, was eigentlich
Boykotthetze darstellt. Die Auslegung des Tatbestandes durch eben jene Behörden verdeutlicht
dahingegen sehr wohl, dass er nicht etwa durch die von der Verfassung garantierten
Freiheitsrechte begrenzt wurde, wie man es anlässlich der Formulierung „Ausübung
demokratischer Rechte im Sinne der Verfassung ist keine Boykotthetze“ vermuten könnte. Im
Gegenteil – diese Rechte galten als missbraucht, wenn der Tatbestand der Boykotthetze vorlag.
Schuller kommt nach ausführlicher Untersuchung der entsprechenden Urteile zu dem Schluss,
dass die DDR-Justiz jeden wegen Boykotthetze bestrafte, der mündlich, schriftlich oder durch
aktives Handeln gegen das Regime in seiner Gesamtheit, oder auch nur einem Teil davon
vorging.90 Auch bei den anderen genannten Tatbeständen Kriegshetze und Bekunden von Hass
kommt er auf Grund der entsprechenden Urteile zur Schlussfolgerung, dass im Prinzip jegliche
Form von Kritik oder Opposition gegen die DDR oder die Sowjetunion und ihre Politik , auch in
ihrer passivsten Form, unter diesen Tatbeständen subsummiert wurde. Die geschilderten
Tatbestände wurden von den Behörden jedoch mehr als ein Tatbestand mit verschiedenen
„Begehungsformen“ verstanden.91
Der Straftatbestand konnte von Artikel 6 (2) konnte trotz der weitläufigen Formulierungen aber
auch zusammen mit einem anderen Straftatbestand, z.B. der KRD 38, mittels ein und derselben
Tat erfüllt sein. Dies bestätigt das folgende Beispiel:
Der Bücherrevisor Hans Klette wurde vom Landgericht Eberswalde im Februar 1951
wegen des Verstoßes gegen Artikel 6 (2) in Verbindung mit KRD 38, Abschnitt II Artikel III A
III zu 5 Jahren Gefängnis als Sühnemaßnahme und 10 Jahren Zuchthaus verurteilt. Darüber
hinaus wurden ihm die bürgerlichen Ehrenrechte auf die Dauer von fünf Jahren aberkannt sowie
sein Vermögen eingezogen.92 In seiner Urteilsbegründung kommt das Gericht zu dem Schluss,
der Angeklagte in seiner Funktion als Kreisverbandsleiter der Liberal-Demokratischen Partei
(LDP) bei Versammlungen öffentlich tendenziöse Gerüchte erfunden und verbreitet und
Befehl Nr. 160 wurde am 6. August 1954 außer Kraft gesetzt. Vgl. Schuller, Geschichte, 105.
Vgl. W. Schuller, Geschichte, 37-43.
91 Vgl. Ibidem, 43-57.
92 Vgl. Dokument Nr. 10, Unrecht als System, Bd. 1, 14.
89
90
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dadurch den Frieden des Deutschen Volkes und der gesamten Welt gefährdet habe, weil er in der
Zeit vom Juni bis August 1950 gegen die Wahlen im Oktober 1950, sowie die Regierung der
DDR und die Pflichtabgaben der Bauern agiert haben soll. Klette hatte vor allem seine Meinung
öffentlich kund getan und den demokratischen Gehalt der Wahlen mittels Einheitslisten, sowie
die Abgabenregelung für Bauern kritisiert.93 Auch bei diesem Fall ging es den Justizbehörden also
vor allem darum, Systemkritikern den Mund zu verbieten.
Gleiches galt aber auch für vermeintliche Systemkritiker – Menschen die sich während einer
Tat nicht einmal davon bewusst waren, die sie etwas strafbares taten. Nicht nur die bewusst
politische Meinungsäußerung wurde von der neuen sozialistischen Justiz als „Boykotthetze“ oder
„Friedensgefährdung“ hart bestraft. Man ging mit ebenso uneingeschränkter Härte gegen
Menschen vor, die sich bei einer Handlung gar nichts dachten, oder wegen eines übermäßigen
Alkoholgenusses nicht einmal mehr dazu in der Lage waren, sich etwas dabei zu denken. Dies
macht der folgende Fall deutlich:
Einige Arbeiter aus Leipzig hatten im März 1953, an einem offiziellen Trauertag wegen
Stalins Tod nach einer durchzechten Nacht in einem Wirtshaus lauthals Lieder gesungen und sich
dabei in den Augen des Bezirksgerichts Leipzig der „Boykotthetze gegen demokratische
Einrichtungen und Organisationen sowie dem Völkerhaß“94 schuldig gemacht. Sie wurden wegen
Verstoßes gegen die Kontrollratsdirektive Nr. 38 in Verbindung mit dem Verfassungsartikel 6 (2)
zu jeweils 4 und 6 Jahren Zuchthaus verurteilt. Dass die Angeklagten während der Tatzeit
betrunken waren, wurde dabei von den Richtern nicht als tatbeeinflussender Faktor verstanden.95
Trunkenheit und Unbeholfenheit hatten in diesem Fall ernsthafte Konsequenzen.
Für die Verurteilungen wegen Verstoßes gegen Artikel 6 (2)
ist darüber hinaus
festzuhalten, dass die Tatbestände nicht erst mit der Vollendung erfüllt waren, sondern bereits die
Vorbereitung und der Versuch strafbar waren. Hieraus ergibt sich ein noch größeres Spektrum
möglicher Straftaten. Eine erste Tendenz dieser Entwicklung des politischen Strafrechts war, wie
an früherer Stelle erläutert, bereits bei der Wirtschaftsstrafverordnung von 1948 sichtbar.
Ein weiterer Tatbestand, der mittels Artikel 6 geahndet wurde war die sogenannte
Republikflucht.96 Obwohl die Artikel 8 und 10 der Verfassung von 1949 garantieren, dass jeder
Bürger berechtigt sei, frei zu entscheiden an welchem Ort er sich niederlassen möchte und
Vgl. Ibidem, 14/15.
Dokument Nr. 157, Unrecht als System, Bd. 2, (Bonn 1955), 134.
95 Vgl. Dokument Nr. 157, Unrecht als System, Bd. 2., 135.
96 Der Begriff wurde in der DDR selbstverständlich nicht mit dem unfreiwillig erzwungenem Verlassen des Landes
verbunden, wie es in der Bundesrepublik der Fall war. Vielmehr war der Begriff negativ konnotiert und verband man
mit dem Wort das „abtrünnig werden“ bzw. „Im Stich lassen“ seines Landes. Die Flüchtenden wurden daher auch
als „Republikflüchtige“ und nicht als „Flüchtlinge“ bezeichnet. Das Verlassen des Landes bzw. die Flucht wurde in
diesem Sinne als „Verrat“ an der DDR bzw. dem Sozialismus von der DDR-Justiz kriminalisiert. Vgl. hierzu: D. van
Melis, Republikflucht. Flucht und Abwanderung aus der SBZ/DDR 1945-1961. (München 2006), 15.
93
94
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darüber hinaus die Berechtigung habe auszuwandern97, erließ die DDR-Regierung im Laufe der
50er Jahre mehrere Gesetze und Verordnungen, die jeden Bürger des Landes kriminalisierten,
wenn dieser das Land verlassen wollte. An diesem Beispiel wird besonders deutlich welche
Folgen eine die unvollständige Gerichtslandschaft in der DDR hatte. Die Anwendung von
Artikel 6 der Verfassung gegen Menschen, die versuchten das Land zu verlassen verstößt
eindeutig gegen die eben genannten Artikel 8 und 10 derselben Verfassung. Eine Klage beim
Verfassungsgericht war aber nicht möglich, da ein derartiges unabhängiges Gericht nicht
existierte. Durch die justizielle Praxis bezüglich Artikel 6 wurde gleichzeitig jahrzehntelang gegen
drei der vier rechtsstaatlichen Prinzipien verstoßen – die Gesetzmäßigkeit der Verwaltung, die
Gewährleistung des Gerichtsschutzes sowie den Grundsatz der Rechtssicherheit.
Bevor die vom Staat ungewollte bzw. unberechtigte Grenzüberschreitung mittels Artikel 6
(in manchen Fällen auch der KRD Nr. 38) bestraft wurde, hatte man bereits auf dem Wege der
Ausweis- und Meldevorschriften versucht der steigenden Abwanderung entgegenzuwirken. Die
erste Verordnung, die diesbezüglich für ein nichtgenehmigtes Überschreiten der innerdeutschen
Grenze eine Strafandrohung enthielt, war die Verordnung über die Rückgabe Deutscher Personalausweise
bei Übersiedlung nach Westdeutschland oder Westberlin vom 25. Januar 1951. Hiernach konnte das
Nichtabmelden bei der jeweiligen Meldestelle und damit das Nichtabgeben des ausgehändigten
Personalausweises mit drei Monaten Gefängnis und/oder einer Geldstrafe geahndet werden. 98
Ursprünglich sollte mit Hilfe dieser Vorschrift die Zu- und Abwanderung von und in die
Bundesrepublik registriert werden. Schnell wurde jedoch hiermit die Flucht in den Westen „ –
über den Umweg des nicht rechtmäßig abgelieferten Personalausweises – sanktioniert“.99 Im
Prinzip stellte die Republikflucht bis Ende 1957 keinen eigenen Tatbestand dar, da sie als solches
in keinem Strafgesetz definiert war. Dennoch wurden die Betroffenen über dem Umweg anderer
Gesetze strafrechtlich verfolgt. Der Historiker van Melis, der sich ausgiebig mit dem Phänomen
der Abwanderung aus der Ostzone beschäftigt hat, bezeichnet dieses Vorgehen der DDR-Justiz
als kennzeichnend im Umgang mit den sogenannten „Republikflüchtigen“.100 Das Gesetz zur
Änderung des Paßgesetzes der DDR vom 11. Dezember 1957 füllte schließlich diese Lücke im DDRStrafrecht und benannte in § 8 die Republikflucht als eigenständigen Tatbestand:
Artikel 8 der DDR-Verfassung (1949): „Persöhnliche Freiheit, Unverletzlichkeit der Wohnung, Postgeheimnis und
das Recht, sich an einem beliebigen Orte niederzulassen, sind gewährleistet. Die Staatsgewalt kann diese Freiheiten
nur auf Grund der für alle Bürger geltenden Gesetze einschränken oder entziehen.“
Artikel 10 der DDR-Verfassung (1949): „[…] Jeder Bürger ist berechtigt, auszuwandern. Dieses Recht kann nur
durch Gesetz der Republik beschränkt werden.“; in: H. Hildebrandt, Verfassungen, 199.
98 Vgl. Gesetzblatt der DDR, Nr. 10, 2.2.1951, 53, zitiert nach: D. van Melis, Republikflucht, 137.
99 D. van Melis, Republikflucht, 48.
100 Vgl. Ibidem.
97
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„§1
§ 8 des Paßgesetzes erhält folgende Fassung:
(1) Wer ohne erforderliche Genehmigung das Gebiet der Deutschen Demokratischen Republik
verläßt oder betritt oder wer ihm vorgeschriebene Reiseziele, Reisewege oder Reisefristen oder
sonstige Beschränkungen der Reise oder des Aufenthaltes hierbei nicht einhält, wird mit
Gefängnis bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.
(2) Ebenso wird bestraft, wer für sich oder einen anderen durch falsche Angaben eine
Genehmigung zum Verlassen oder Betreten des Gebietes der Deutschen Demokratischen
Republik erschleicht.
(3) Vorbereitung und Versuch sind strafbar.“101
Van Melis signalisiert nach dem Inkrafttreten des Paßänderungsgesetzes ein schärferes Vorgehen
gegen
Ausreisewillige:
„Allein
in
den
ersten
beiden
Monaten
nach
Erlaß
des
Paßänderungsgesetzes am 11. Dezember 1957 wurden 1095 Ermittlungsverfahren und 340
Festnahmen wegen des verschärften Republikfluchtparagrafen 8 angestrengt, von denen 854
Ermittlungsverfahren und 223 Festnahmen angebliche Vorbereitungen und Versuche zur
Republikflucht betrafen.“102 Die DDR-Regierung versuchte mit den verschärften strafrechtlichen
Maßnahmen gegen die Republikflucht gezielt erzieherisch vorzugehen und eventuelle
„Nachahmer“ abzuschrecken. Dies geht aus einem Urteil aus dem Jahr 1958 des Kreisgerichts
Weimar-Stadt hervor, wonach ein Ehepaar wegen „gemeinschaftlicher Vorbereitung zum
Verlassen der DDR gem. dem Gesetz zur Änderung des Paßgesetzes […] zu einer
Gefängnisstrafe von 3 – drei – Monaten verurteilt [wurde].“103 In seiner Begründung erklärt das
Gericht: „Diese Strafe dient der Erziehung der Angeklagten. Sie hat aber nicht nur diesen Zweck,
sondern sie soll auch erzieherisch und zugleich abschreckend auf die ganze Gesellschaft
einwirken. Das ist das Ziel jeder Bestrafung in der Deutschen Demokratischen Republik.“ 104
Dementsprechend dienten die Urteile nach Auffassung der Justiz also auch immer der
Abschreckung der Bevölkerung.
Wie bereits dargelegt, wurde der Tatbestand Republikflucht auch mittels Artikel 6 und der
Kontrollratsdirektive Nr. 38 bestraft105, was angesichts der konnotativen Auslegung des Begriffes
nicht verwundert. Warum man jedoch zunächst auf dem Umweg anderer Gesetze versuchte die
„Fluchtkriminalität“ einzudämmen, bleibt weitestgehend offen. Schuller spekuliert, dass man die
Gesetzblatt der DDR, Nr. 78, 23.12.1957, 650.
D. van Melis, Republikflucht, 49.
103 Dokument Nr. 205, Unrecht als System, Bd. 3, (Bonn 1958), 147.
104 Ibidem, 148.
105 Die KRD Nr. 38 wurde durch Beschluss des sowjetischen Ministerrats für die DDR und den Sowjetsektor von
Berlin am 19.9.1955 außer Kraft gesetzt. Vgl. Schuller, Geschichte, 107.
101
102
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in Artikel 6 und KRD Nr. 38 schlummernden Möglichkeiten wohl noch nicht entdeckt hatte. 106
Konkrete Hinweise für das inkonsequente Vorgehen der Justizbehörden finden sich in der
entsprechenden Literatur jedoch nicht. Betrachtet man das Vorgehen der Behörden im Umgang
mit Tatbeständen und Strafen und der in einigen Fällen damit verbundenen Politisierung von
Handlungen, lassen sich im Allgemeinen wenig bis keine klaren Linien aufzeigen. Dazu kommen
die oft schlecht eingegrenzten Tatbestände, die den Justizbehörden die Möglichkeit boten, ein
und dieselbe Handlung unter mehreren Paragrafen zu verbuchen. Dementsprechend ist ein
gewisses Maß an Willkür, dass die fehlende Kontinuität erklärt, wahrscheinlich.
Das Strafrechtsergänzungsgesetz vom 11. Dezember 1957 (StEG)
Nach dem Wegfallen des SMAD-Befehls Nr. 160 und der KRD Nr. 38 wurde Artikel 6 der
Verfassung zur einzigen Staatsschutzbestimmung in der DDR. Schuller bemerkt in diesem
Zusammenhang eine nahezu logische Verschmelzung der einzelnen Tatbestände in den
entsprechenden Urteilen ab 1955. Demzufolge finde man in jenen Gerichtsurteilen immer
häufiger sogenannte Mischsachverhalte. Die Angeklagten wurden also wegen sowohl
Boykotthetze, als auch Spionage und Kriegshetze strafrechtlich verfolgt, wobei alle drei
Tatbestände in den Augen der Justiz mittels einer Tat erfüllt sein konnten.107 Durch den Wegfall
von Befehl 160 entbehrte es theoretisch der strafrechtlichen Grundlage für den Tatbestand der
Sabotage. Aber auch hier wendete die DDR-Justiz das Mittel der Subsummierung an und
verbuchte Sabotage kurzerhand ebenfalls unter dem Begriff Boykotthetze, der als Sammelbegriff
bestens geeignet war. Die Boykotthetze beinhaltete nun, laut Schuller, „jegliches den Grundlagen
des Staates gefährliches Verhalten“.108
Ab 1955 wurde ein weiterer Tatbestand als Boykotthetze pönalisiert – die sogenannte
Abwerbung. Die Tat bestand darin, in einer Person den Entschluss hervorzurufen, die DDR zu
verlassen oder den bereits bestehenden Wunsch zu bekräftigen. Selbstverständlich musste es sich
dabei um eine illegale Ausreise, also ohne Zustimmung der Behörden, handeln. In den Urteilen
war im Zusammenhang mit der Abwerbung häufig die Rede von abgeworbenen Facharbeitern,
„als sei nur ein bestimmter hochqualifizierter Personenkreis in Frage gekommen.“109
Betrachtet man die Gesetzeslage des politischen Strafrechts in der DDR Ende 1957, so
fällt auf, dass trotz des noch immer fehlenden sozialistischen Strafgesetzbuches, staatsfeindliches
Verhalten jeglicher Form geahndet werden konnte und auch geahndet wurde. Der
Vgl. W. Schuller, Geschichte, 71.
Vgl. Ibidem, 107.
108 W. Schuller, Geschichte, 113.
109 Ibidem, 117.
106
107
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Verfassungsartikel 6 bot durch weitläufige Interpretationsmöglichkeiten den Justizbehörden die
Möglichkeit, so ziemlich jede erdenkliche Tat mit politischem Hintergrund strafrechtlich zu
verfolgen.
Dennoch sah sich die DDR-Justiz offenbar gezwungen, gerade den Bereich des politischen
Strafrechts mit weiteren Paragrafen zu erweitern und auszubauen. Gleichzeitig mit dem
Passänderungsgesetz trat das Gesetz zur Ergänzung des Strafgesetzbuches am 11. Dezember 1957 in
Kraft. Es stellte aber in den Augen der Verfasser nie eine Veränderung bzw. Neuerung dar,
sondern lediglich eine Art Verfeinerung bzw. Spezialisierung.110 Artikel 6 blieb in seiner
Rechtsgültigkeit weiterhin bestehen und wurde nicht im Geringsten eingeschränkt. Aus der
jahrelangen Spruchpraxis der DDR-Gerichte wurden nun also rechtliche Normierungen. Die
Besonderheit dieses Strafrechtsergänzungsgesetzes besteht dann auch in der Prägung neuer
Begriffe, die in ihm aufgenommen wurden, inhaltlich aber eigentlich schon über Jahre hinweg
mittels Artikel 6 bestraft worden waren. Im Folgenden sollen die wichtigsten Paragrafen des
Strafrechtsergänzungsgesetzes, d.h. diejenigen Paragrafen, die für die Entwicklung des politischen
Strafrechts in der DDR charakteristisch waren und häufig zum Einsatz kamen, besprochen
werden.
Einer der neuen Begriffe im StEG war der Begriff des Staatsverrats, der in § 13 festgelegt
und wie folgt formuliert war:
„Wer es unternimmt,
1. Die
verfassungsmäßige
Staats-
oder
Gesellschaftsordnung
der
Deutschen
Demokratischen Republik durch gewaltsamen Umsturz oder planmäßige Untergrabung
zu beseitigen,
2. mit Gewalt oder durch Drohung mit Gewalt die verfassungsmäßige Tätigkeit des
Präsidenten der Republik, der Volkskammer oder der Länderkammer oder des
Ministerrates oder ihrer Präsidien oder eines ihrer Mitglieder unmöglich zu machen oder
zu behindern,
3. das Gebiet der Deutschen Demokratischen Republik einem anderen Staat einzuverleiben
oder einen Teil desselben von ihr loszulösen,
wird wegen Staatsverrats mit Zuchthaus nicht unter fünf Jahren und Vermögenseinbeziehung
bestraft.“111
Vorbereitung und Planung waren hinsichtlich § 13 strafbar. Laut Justiz müsse sich die praktische
Begehung der Straftaten nach § 13 notwendigerweise nur auf die Vorbereitung und höchstens
110
111
Vgl. W. Schuller, Geschichte, 162.
Gesetzblatt der DDR, Nr. 78, 23.12.1957, 644.
36
K. Heidrich
Entwicklung des politischen Strafrechts in der DDR
3209229
den Versuch beschränken, da eine Vollendung des Staatsverrats, also ein gelungener Umsturz des
Regimes quasi undenkbar sei: „Eine Vollendung würde einen Erfolg der Konterrevolution
voraussetzen, der objektiv ausgeschlossen ist.“112 Darüber hinaus ist im Zusammenhang mit der
Verurteilung wegen Staatsverrats interessant, dass im Wortlaut zwar die Rede ist von einem
Verstoß gegen die verfassungsmäßige Ordnung der DDR als Straftat, in der Praxis aber auch
oppositionelle Aktivitäten gegen die Politik der SED als Staatsverrat geahndet wurden und man
daher
korrekterweise
anstelle
eines
Gesetzes
zum
Schutz
der
verfassungsmäßigen
Herrschaftsverhältnisse eher von einem Gesetz zur Konsolidierung der tatsächlichen
Herrschaftsverhältnisse sprechen kann.113
Neben dem bereits bekannten Tatbestand der Spionage, der in § 14 StEG erläutert wird114,
benennt das Strafrechtsergänzungsgesetz unter § 15 auch die Sammlung von Nachrichten als Straftat.
Unter Spionage verstand man innerhalb der DDR-Justiz seit der Einführung des StEG alle
„Handlungen, die für das Ausliefern oder den Verrat von geheimzuhaltenden Tatsachen günstige
Bedingungen oder Voraussetzungen schaffen […].“115 Diese Erklärung des Tatbestandes trifft im
Übrigen die tatsächliche Justizpraxis weitaus mehr, als die Umschreibung der Tat im
Gesetzestext. Verurteilungen wegen tatsächlicher Spionage waren demnach auch relativ selten.
Die meisten Fälle entsprachen eher einer Art Verrat.116 Im Unterschied zur Spionage musste es
sich bei der Sammlung von Nachrichten nicht um Informationen handeln, die als geheim
klassifiziert waren.
§ 15 lautete wie folgt:
„Wer Nachrichten, die geeignet sind, die Arbeiter- und-Bauern-Macht oder andere friedliebende
Völker gerichtete Tätigkeit der in § 14 genannten Stellen oder Personen zu unterstützen, für sie
sammelt oder ihnen übermittelt, wird mit Zuchthaus bis zu zehn Jahren bestraft.“117
Stiller/Frenzel, Neue Justiz, 1961, 707, zitiert nach: W. Schuller, Geschichte, 165.
Vgl. K. W. Fricke, Politik und Justiz in der DDR. Zur Geschichte der politischen Verfolgung 1945-1968. Bericht und
Dokumentation. (Köln 1979), 377.
114 § 14 StEG: „Wer es unternimmt, Tatsachen, Gegenstände, Forschungsergebnisse, oder sonstige Nachrichten, die
im politischen oder wirtschaftlichen Interesse oder zum Schutze der Deutschen Demokratischen Republik
geheimzuhalten sind, an andere Staaten oder deren Vertreter, an Organisationen oder Gruppen, die einen Kampf
gegen die Arbeiter-und-Bauern-Macht oder andere friedliebende Völker führen, oder deren Vertreter oder Helfer
auszuliefern oder zu verraten, wird wegen Spionage mit Zuchthaus nicht unter drei Jahren bestraft; auf
Vermögenseinziehung kann erkannt werden.“, Gesetzblatt der DDR, Nr. 78, 23.12.1957, 644.
115 G. Stiller, Die Staatsverbrechen (Berlin/DDR 1959), 77, zitiert nach: W. Schuller, Geschichte, 171.
116 Vgl. K.W. Fricke, Politik und Justiz, 398.
117
Gesetzblatt der DDR, Nr. 78, 23.12.1957, 644.
112
113
37
K. Heidrich
Entwicklung des politischen Strafrechts in der DDR
3209229
Im Prinzip konnte es sich hierbei um Informationen jeglicher Art handeln. Nach dieser
Bestimmung konnte so ziemlich alles für den „Feind“ von Interesse sein. Den Akten zu Folge
waren das z.B. Berichte über Veranstaltungen gesellschaftlicher Organisationen, Mitteilungen
über Mangelwaren, Warenstauungen, Preise, das Verhältnis zwischen Arbeitern und ihren
Vorgesetzten, ausgesprochene Bestrafungen von Bürgern, die Übergabe von Zeitungen, Telefonund Adressbüchern oder auch Stadtplänen.118 Informationen eben, die allgemein und ohne
Schwierigkeiten für jeden zugänglich waren. Auffällig ist neben der allgemeinen Absurdität dieses
Paragrafens das hohe Strafmaß im Vergleich zum Tatbestand der Spionage. Woraus sich diese
unterschiedliche Einschätzung der Schwere ergibt wird leider aus der vorhandenen Literatur nicht
ersichtlich. Selbst Schuller, der die strafrechtliche Entwicklung in der DDR in Bezug auf
politische Straftaten sehr ausführlich untersucht hat, geht auf diesen Aspekt des StEG leider nicht
ein. Wohl aber weist er auf die Problematik der Abgrenzung von § 15 zu § 14 hin, welche
offensichtlich auch unter den ostdeutschen Rechtswissenschaftlern nicht einheitlich definiert war
und dementsprechend als unbefriedigend empfunden wurde. Das Oberste Gericht der DDR
machte jedoch in einem Urteil aus dem Jahr 1958 deutlich, dass der „Tatbestand des Sammelns
von Nachrichten für eine in § 14 StEG genannte Organisation […] sowohl durch das Sammeln
selbst als auch das schriftliche Festhalten von als Nachrichten geeigneten Vorkommnissen und
Fakten erfüllt [ist], und zwar auch dann, wenn sie vom Täter zur Zeit der Wahrnehmung noch
nicht als Nachricht für die genannte Organisation in seinem Gedächtnis eingeprägt und für
diesen Zweck vorgesehen war.“119 Diese Erläuterung macht einmal mehr deutlich, dass die
mangelnde Präzision in den Rechtsnormen der DDR dazu führte, dass die Interpretation der
gesetzlichen Tatbestände so weitläufig sein konnte, dass, wie in diesem Fall, bereits eine Straftat
vorlag, wenn der Täter nur für sich selbst und nicht für Dritte Informationen gesammelt hatte –
ja, er sogar noch nicht einmal mit dem Gedanken der Weitergabe einer bestimmten Information
gespielt hatte. Das bloße Sammeln von Zeitungsartikeln ohne näher bestimmten Zweck konnte
also einen Straftatbestand nach §15 StEG darstellen. Dieser Paragraf bildet daher meiner Ansicht
nach
ein Paradebeispiel
für die
teilweise
offenkundige
Absurdität der politischen
Strafgesetzgebung und der damit verbundenen Möglichkeit zur Willkür für die DDR-Justiz. Für
sowohl § 15 als auch § 14 StEG gilt daher ein Grundsatz, den der Historiker Fricke
folgendermaßen formuliert: „Im ganzen ließ die einschlägige Strafrechtsprechung wie gehabt die
Absicht erkennen, das Bekanntwerden der Wahrheit über politische und wirtschaftliche Zustände
und Mißstände in der DDR mit justiziellen Mitteln zu unterbinden. Nur zu einem geringen Teil
118
119
Vgl. W. Schuller, Geschichte, 173/174.
OG, Urteil vom 16.5.1958 – 1 b Ust 27/28 – , Neue Justiz 1958, 492, zitiert nach: W. Schuller, Geschichte, 175.
38
K. Heidrich
beruhte
das
Entwicklung des politischen Strafrechts in der DDR
Geheimhaltungsbedürfnis
der
Herrschenden
auf
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verständlichen
Sicherheitserwägungen.“120
Das Bezirksgerichts Potsdam verurteilte im Dezember 1958 beispielsweise einen Mann,
der mehrfach an katholischen Diskussionsrunden in Westberlin teilgenommen und sich im
Rahmen einer dieser Zusammenkünfte über die Stimmung innerhalb der DDR-Bevölkerung und
Versorgungsschwierigkeiten bei bestimmten Produkten geäußert hatte wegen Verstoßes gegen §
15 StEG zu 2 ½ Jahren Zuchthaus. Das Gericht begründete dies damit, dass die verbreiteten
Nachrichten zwar nicht geheim zu halten, jedoch geeignet seien, die gegen die „Arbeiter-undBauern-Macht“ gerichtete Tätigkeit der in § 14 genannten Stellen zu unterstützen.121 Das bloße
Ansprechen eines Zustandes ohne jegliche Wertung, denn davon ist in der Urteilsbegründung
keine Rede, reichte also aus, um eine mehrjährige Haftstrafe verbüßen zu müssen.
Zuletzt gehörte auch noch § 16 StEG zur Gruppe der eben beschriebenen sogenannten
Verratsdelikte. Dieser Paragraf bestrafte die Verbindung zu verbrecherischen Organisationen oder
Dienststellen.122 Zur Erläuterung wird dabei erneut auf die in § 14 genannten Institutionen
verwiesen. Eine Kontaktaufnahme zu diesen Stellen, die bis zum Mauerbau 1961 für jeden DDRBürger prinzipiell problemlos möglich war, stellte laut dieses Absatzes eine Straftat dar, sobald
sich der Täter der „feindlichen Gesinnung“ jener Organisationen bewusst war. Die Tätigkeit
durfte nur in der Verbindungsaufnahme bestehen. Sobald es zur Informationsvermittlung kam,
griffen die Paragrafen 14 und 15. Eine Kombination mit § 14 war leicht möglich, da dieser ein
Unternehmensdelikt123 darstellte und damit den Justizbehörden die Möglichkeit bot eine
Kontaktaufnahme zu westlichen Organisationen als Vorbereitungshandlung für eine Spionage zu
betrachten.
Ein weiterer neuer Tatbestand war § 17 StEG, dieser bestrafte Staatsgefährdende Gewaltakte und
lautete:
„Wer es unternimmt, durch Gewaltakte oder durch Drohung mit Gewaltakten die Bevölkerung in
Furcht und Schrecken zu versetzen, um Unsicherheit zu verbreiten und das Vertrauen zur
Vgl. K.W. Fricke, Politik und Justiz, 398.
Vgl. Dokument Nr. 176, Unrecht als System, Bd. 4, (Bonn und Berlin 1962), 111-114.
122 § 16 StEG: „Wer zu den in § 14 genannten Stellen oder Personen in Kenntnis ihrer gegen die Arbeiter-undBauern-Macht oder andere friedliebende Völker gerichtete Tätigkeit in Verbindung tritt, wird mit Gefängnis bis zu
drei Jahren bestraft.“, Gesetzblatt der DDR, Nr. 78, 23.12.1957, 644.
123
Von einem Unternehmensdelikt spricht man bei Delikten bei denen der Versuch (das "Unternehmen") des
Delikts der Vollendung gleichgestellt ist (siehe § 11 Abs. 1 Nr. 6 StGB), so dass die für den Versuch vorgesehen
Strafmilderung (§ 23 Abs. 2 StGB) und die Möglichkeit zum Rücktritt (§ 24 StGB) nicht anwendbar sind.
http://www.lexexakt.de/glossar/unternehmensdelikt.php, 23.06.10, 18.14 Uhr.
120
121
39
K. Heidrich
Entwicklung des politischen Strafrechts in der DDR
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Arbeiter-und-Bauern-Macht zu erschüttern, wird mit Zuchthaus, in minderschweren Fällen mit
Gefängnis nicht unter sechs Monaten bestraft.“124
Dieser Paragraf ist vor allem deshalb interessant, da seit dem 13. August 1961 auch die
Republikflucht oder die Fluchthilfe mittels Grenzdurchbruchs unter Anwendung von
Gegengewalt zu den Staatsgefährdenden Gewaltakten gezählt wurden. Eine solche Gegengewalt
konnte bereits in der bloßen Mitnahme von Schlag- und/oder Schusswaffen bestehen.125 Sie
brauchten dabei nicht zur Anwendung gekommen sein. Ebenfalls als staatsgefährdenden
Gewaltakt betrachtete das Stadtgericht Groß-Berlin das Abschrauben von Lampenköpfen, so
geht aus dem entsprechenden Urteil vom September 1961 hervor. Der Angeklagte – ein
Jugendlicher im Alter von 16 Jahren – hatte während einer Fahrt mit der S-Bahn im August
desselben Jahres mehrfach versucht Lampenköpfe im Abteil abzuschrauben, was ihm bei einem
der Köpfe gelang. Darüber hinaus hatte er sich des „rowdyhaften Verhaltens“ schuldig gemacht.
Hinsichtlich des Alters des Angeklagten, verteidigte das Gericht die harte Strafe damit, dass er
zwar noch jung, jedoch reif genug sei, selbst zu denken und sich für ein Leben als ehrlicher
Bürger oder das Verbrechen zu entscheiden. Unter Berücksichtigung „der großen
Gesellschaftsgefährlichkeit“ und der notwendigen Erziehung und Abschreckung, entschieden die
Richter sich für eine Zuchthausstrafe von 2 Jahren.126
Auch § 17 war im Übrigen als Unternehmensdelikt festgesetzt und daher auch der Versuch als
vollendeter Gewaltakt strafbar.
Eine der am häufigsten angewendeten Vorschriften war § 19 Staatsgefährdende Propaganda und Hetze,
dessen Wortlaut folgendermaßen aussah:
„(1) Wer
1. den Faschismus oder Militarismus verherrlicht oder propagiert oder gegen andere Völker
und Rassen hetzt,
2. gegen die Arbeiter-und-Bauern-Macht hetzt, gegen ihre Organe, gegen gesellschaftliche
Organisationen oder gegen einen Bürger wegen seiner staatlichen oder gesellschaftlichen
Tätigkeit
oder
seiner
Zugehörigkeit
zu
einer
staatlichen
Einrichtung
oder
gesellschaftlichen Organisation hetzt, Tätlichkeiten begeht oder sie mit Gewalttätigkeiten
bedroht,
wird mit Gefängnis nicht unter drei Monaten bestraft. Der Versuch ist strafbar.
Gesetzblatt der DDR, Nr. 78, 23.12.1957, 644.
Vgl. W. Schuller, Geschichte, 178.
126 Vgl. Dokument Nr. 189, Unrecht als System, Bd. 4, 125/126.
124
125
40
K. Heidrich
Entwicklung des politischen Strafrechts in der DDR
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(2) Ebenso wird bestraft, wer Schriften oder andere Gegenstände mit einem derartigen Inhalt
herstellt oder mit dem Ziele der Hetze einführt oder verbreitet.
(3) In schweren Fällen, insbesondere, wenn die Tat im Auftrage der in § 14 genannten Stellen
oder Personen oder wenn sie planmäßig begangen wird, ist auf Zuchthaus zu erkennen.“127
Mittels dieses Paragrafs wurden Taten bestraft, die nach Annahme der Justizbehörden darauf
gerichtet waren in Wort, Schrift oder Bild Bürger der DDR entweder für den Faschismus zu
begeistern oder gegen den Staat oder staatliche Organe und Institutionen aufzubringen. 128
Straftaten also, die vorher mittels Artikel 6 der Verfassung oder der Kontrollratsdirektive Nr. 38
bestraft worden waren. Die Tat konnte natürlich in vielfältiger Weise begangen werden, so gab es
Verurteilungen nach § 19 wegen Hetze gegen mangelnde Glaubwürdigkeit der Kommunisten, die
wirtschaftlichen Verhältnisse, die Armee, die wesentlichen Grundlagen des Arbeiter-und-BauernStaates, aber auch die Absperrmaßnahmen vom 13. August 1961.129 Betrachtet man die
entsprechenden Verurteilungen, kann man schlussfolgern, dass auch diese Vorschrift ähnlich wie
die Paragrafen 14, 15 und 16 letztendlich vor allem darauf gerichtet war, jegliche Kritik am
sozialistischen Staat und dessen Regierung zu unterbinden, ebenso wie jegliche Kritik an Zu- und
Missständen in der DDR. Häufig wurden genau darum wegen staatsgefährdender Propaganda
und Hetze auch Bürger verurteilt, die westliche Rundfunk- oder Fernsehsender verfolgten. Dies
zeigt auch der folgende Fall, bei dem ein Laubenbesitzer wegen des Empfangs eines westlichen
Radiosenders nach § 19 Abs. 1 Ziff. 2 zu neun Monaten Gefängnis verurteilt wurde:
Der Angeklagte hatte 1958 in seiner Laube ein Radio mit Lautsprecher aufgestellt und
empfing damit regelmäßig westdeutsche Rundfunksender. Laut Gericht spielte das Gerät so laut,
dass die Sendungen auch in den Nachbargärten und angrenzenden Wohnhäusern zu hören
waren. Es wurden Nachrichten, Kommentare und andere „Sprechsendungen“ übertragen, wovon
der Inhalt jedoch nicht feststellbar war. Dennoch ging man davon aus, dass „in Verbindung mit
dem V. Parteitag gegen führende Staatsmänner [der DDR], gegen Spitzenfunktionäre [der SED],
gegen die FDJ und die Jugenderziehung in der Deutschen Demokratischen Republik gehetzt“130
worden sei. Diese Feststellung ist angesichts der Tatsache, dass das Gericht den Inhalt der
Sendungen nicht eindeutig feststellen konnte, natürlich völlig absurd. Als wäre dies nicht schon
genug, stellte das Gericht obendrein fest, der Angeklagte habe mit unbedingtem Vorsatz
gehandelt. Er habe gewusst, dass er „Hetzsendungen“ im Radio einstellte und dass andere
Bewohner diese ebenfalls hören könnten. Somit habe er „die in der Umgebung wohnenden
Gesetzblatt der DDR, Nr. 78, 23.12.1957, 645.
Vgl. W. Schuller, Geschichte, 183-187.
129 Ibidem, 182.
130 Dokument Nr. 179, Unrecht als System, Bd. 4, 116.
127
128
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K. Heidrich
Entwicklung des politischen Strafrechts in der DDR
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Bürger bewusst der Beeinflussung durch die Ideologie der Feinde unseres Staates ausgesetzt und
damit selbst gegen die Arbeiter-und-Bauern-Macht gehetzt.131 Das bloße Hören von
Unterhaltungssendungen konnte demnach bereits einen staatsgefährdenden Akt darstellen,
sobald es sich dabei um Unterhaltung aus dem Westen handelte.
Die Betrachtung der Tatbestände aus den §§§ 14, 15 und 19 verdeutlicht Problematik des
politischen Strafrechts der DDR, dem man bei der Untersuchung der entsprechenden Quellen
häufiger begegnet. Es besteht in der Abgrenzung einiger Straftatbestände zueinander. Vor allem
die Spruchpraxis der DDR-Gerichte macht deutlich, dass sich gleichende Tathergänge unter
verschiedenen Tatbeständen verbucht und schlussendlich verurteilt werden konnten. Die
Verbreitung von Nachrichten über Mangelwaren konnte, wie der zuvor geschilderte Fall zeigt,
ebenso als Kombination der §§ 14 und 15 verfolgt werden, wie als Hetze gegen die
wirtschaftlichen Verhältnisse gesehen und dann mittels § 19 unter Strafe gestellt werden. Diese
Diskrepanz ist eine direkte Folge der undefinierten weitgefassten Rechtsnormen im politischen
Strafrecht. Gleiches gilt im Übrigen auch für die Abgrenzung von § 19 zu folgendem Tatbestand:
§ 20 beschäftigte ahndet die Staatsverleumdung132, welche im Unterschied zur
Staatsgefährdenden Propaganda und Hetze nach Ansicht der Justizbehörden keine
staatsfeindliche Absicht beim Täter voraussetzte. Objektiv betrachtet ist diese Vorschrift
verhältnismäßig milde, Fricke bemerkt jedoch zurecht, dass eben dieser § 20 ungeahnten
Freiraum zur justiziellen Willkür bot. Schließlich konnte hiermit jegliche noch so beiläufige
kritische Bemerkung gegen das Regime zur Anklage gebracht und bestraft werden. So konnte
bereits das Herunterreißen einer DDR-Flagge, die Beleidigung eines Funktionärs oder Kritik an
den Zeitungen der SED mittels Paragraf 20 bestraft werden.133 Aber eben auch, ähnlich wie in
der Handhabung von § 19, politische Witze, wie das folgende Beispiel zeigt:
Das Kreisgericht Bad Langensalza hatte 1958 einen Schädlingsbekämpfer gemäß § 20
wegen Staatsverleumdung zu zehn Monaten Gefängnis verurteilt, weil dieser in einer Kneipe
beim Skatspielen einen politischen Witz erzählt hatte, der nicht „den Grundlagen der
sozialistischen Moral und Ethik entsprach“, so die Richter. Der Witz richtete sich gegen die
führenden Repräsentanten der SED – u.a. Walther Ulbricht – und der Angeklagte habe damit
Ibidem.
§ 20 StEG: “Wer 1. Die Maßnahmen oder die Tätigkeit staatlicher Einrichtungen oder gesellschaftlicher
Organisationen öffentlich verleumdet oder entstellt, 2. einen Bürger wegen seiner staatlichen Tätigkeit oder seiner
Zugehörigkeit zu einer staatlichen Einrichtung oder gesellschaftlichen Organisation öffentlich verleumdet oder
verächtlich macht, wird mit Gefängnis bis zu zwei Jahren bestraft.“, Gesetzblatt der DDR, Nr. 78, 23.12.1957, 645.
133 Vgl. K.W. Fricke, Politik und Justiz, 409-412.
131
132
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„eine negative, wenn nicht feindliche Einstellung“ zum sozialistischen Staat zum Ausdruck
gebracht und somit den Tatbestand der Staatsverleumdung erfüllt.134 Von Meinungsfreiheit kann
hinsichtlich derartiger Gesetze und der damit verbundenen Urteile wohl kaum noch gesprochen
werden. Derartige Vorschriften stellen einen tiefen Eingriff in die persönliche Freiheit der Bürger
dar. Darüber hinaus ist absolut nicht ersichtlich, auf Grund von welchen Erwägungen hier die
Abgrenzung zum Tatbestand der Staatfeindlichen Hetze geschah.
Ähnlich wie bei den bereits besprochenen Vorschriften wurde auch bezüglich des
Straftatbestands der Abwerbung, der bisher durch Artikel 6 geahndet wurde, die Gesetzeslage
mittels des Strafrechtsergänzungsgesetzes verfeinert. § 21 ahndete nun die Verleitung zum Verlassen
der Deutschen Demokratischen Republik. Der Tatbestand und die daraus resultierenden Strafen
wurden folgendermaßen festgelegt:
„(1) Wer es unternimmt, eine Person
1. im Auftrage von Agentenorganisationen, Spionageagenturen oder ähnlichen Dienststellen
oder von Wirtschaftsunternehmen oder
2. zum Zwecke des Dienstes in Söldnerformationen zum Verlassen der Deutschen
Demokratischen
Republik
zu
verleiten,
wird
mit
Zuchthaus
bestraft;
auf
Vermögenseinziehung kann erkannt werden.
(2) Wer es unternimmt, einen Jugendlichen oder einen in der Berufsausbildung stehenden
Menschen oder eine Person wegen ihrer beruflichen Tätigkeit oder wegen ihrer
besonderen Fähigkeiten oder Leistungen mittels Drohung, Täuschung, Versprechen, oder
ähnlichen die Freiheit der Willensentscheidung beeinflussenden Methoden zum Verlassen
der Deutschen Demokratischen Republik zu verleiten, wird mit Gefängnis nicht unter
sechs Monaten bestraft.“135
Als Hintergrund für diesen Straftatbestand kann, ebenso wie für das angesprochene
Passänderungsgesetz, ein stets grösser werdenden Problem der DDR-Regierung gesehen
werden– die stetig steigende Abwanderung der Bevölkerung in den Westen. Van Melis beschreibt
in diesem Zusammenhang, dass innerhalb der Führungsspitze bereits seit 1955 ein erhöhtes
„Problembewusstsein gegenüber der erneut ansteigenden Fluchtwelle“136 signalisiert wurde. Von
Seiten der Volkspolizei wurde Ende 1955 und 1956 mehrfach auf das Problem der
Republikflucht hingewiesen und es kam die deutliche Forderung nach schärferen Maßnahmen
Vgl. Dokument Nr. 165, Unrecht als System, Bd. 4, 98/99.
Gesetzblatt der DDR, Nr. 78, 23.12.1957, 645.
136 D. van Melis, Republikflucht, 56.
134
135
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K. Heidrich
Entwicklung des politischen Strafrechts in der DDR
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gegen die illegale Auswanderung.137 Das Passänderungsgesetz und die Aufnahme des § 21 als
neuer Tatbestand in das StEG können als direkte Folge dieser Entwicklungen gesehen werden.
Die SED-Führung sah sich gezwungen zu handeln.
Dem Tatbestand der Abwerbung, wie er in § 21 beschrieben wird liegt ein weiterer
spezieller Aspekt der Fluchtwelle(n) zugrunde. Besonders viele Mediziner, Hochschullehrer sowie
andere Fachleute und Spezialisten verließen die DDR. Deren Verlust hatte auf Dauer jedoch für
die Wirtschaftskraft des sozialistischen Staates dramatische Folgen. Dementsprechend richteten
sich einige Aktivitäten der Regierung gezielt auf diese Gruppe.138 Vor dem Mauerbau war die
illegale Ausreise über Berlin noch relativ leicht möglich und für die Fachkräfte waren eventuelle
materielle Einbußen durch attraktive Arbeitsangebote im Westen einfach zu kompensieren. In
den Augen der DDR-Regierung lag eben dort im Westen auch die eigentliche Ursache der
Abwanderung ihrer Spezialisten. Sie sah die Ursache in den feindlichen Machenschaften des
Westens. So fasst der Vizepräsident des Obersten Gerichts Gustav Jahn in einem Artikel für die
wissenschaftliche Zeitschrift der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg zusammen: „Im
Zuge der Organisierung des kalten Krieges gegen das sozialistische Lager und die Deutsche
Demokratische Republik durch die imperialistischen Westmächte, wurde, namentlich seit der
völkerrechtswidrigen Spaltung Deutschlands, die selbst Ausdruck des kalten Krieges ist, von
diesen eine permanente Abwanderung aus der Deutschen Demokratischen Republik
organisiert.“139 Die DDR verteidigte das harte Auftreten gegen Abwanderung und diejenigen, die
Bürger in diesem Unternehmen unterstützten damit, dass jene eine Taktik des Westens sei, um
den Staat gezielt zu schwächen. Man sprach darum im Zusammenhang mit § 21 StEG auch von
einer „Schutzbestimmung“.140 Tatsächlich aber war für die angesprochene Gruppe der Fachleute
die politische Stimmung in der DDR viel entscheidender.141 Obwohl die Verfassung der DDR in
Artikel 8 und 10 die freie Wahl des Wohnortes und die Möglichkeit der Auswanderung
garantiert142, wurden diese Rechte stetig mehr pönalisiert. Jahn gibt in seinem Artikel hierfür
ebenfalls eine Erklärung: „Da im Kapitalismus die Auswanderung die Flucht vor der Ausbeutung
ist, kann ein sozialistischer Staat im Interesse seiner von der Ausbeutung befreiten Staatsbürger
eine solche nicht zulassen. Die Ablehnung der dem bürgerlichen Arsenal entstammenden
„Auswanderungsfreiheit“ ist Ausdruck des humanistischen Gehalts unserer Staats- und
Rechtsordnung.[…] Die Rolle des Strafrechts in der Wanderungspolitik der Deutschen
Vgl. Ibidem.
Vgl. Ibidem, 57.
139 G. Jahn, „Das Verbrechen der Verleitung zum Verlassen der Deutschen Demokratischen Republik“,
Wissenschaftliche Zeitschrift der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg 8 (1959), 1175-1182, 1175.
140 Vgl. Ibidem, 1176.
141 Vgl. D. van Melis, Republikflucht, 58.
142 Vgl. hierzu die Ausführungen in dieser Arbeit auf Seite 32 und 33.
137
138
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K. Heidrich
Entwicklung des politischen Strafrechts in der DDR
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Demokratischen Republik besteht im wirklichen Schutz der Bevölkerung vor den Verlockungen
der imperialistischen Menschenhändler.“143 Mit anderen Worten: diese Gesetze, die die
persönliche Freiheit der DDR-Bürger einschränkten, wurden in den Augen der Regierung
gemacht, um eben jene Bürger vor dem feindlichen Einfluss des Westens zu schützen. Hier wird
die streng ideologische Färbung des politischen Strafrechts besonders deutlich.
§ 21 stellt zudem eine eindeutige Verschärfung der Gesetzeslage dar. Wie bereits dargelegt
wurde der Straftatbestand der Abwerbung bis zu diesem Zeitpunkt mittels Artikel 6 unter dem
Mantel der Boykotthetze bestraft. Dabei musste es sich allerdings eindeutig um die Anstiftung
zur illegalen Auswanderung handeln. In § 21 dahingegen ist eindeutig festgelegt, dass nun auch
die Anstiftung zum legalen Verlassen der Republik strafbar ist. Jahn motiviert dies wir folgt: „Die
Beschränkung der Strafbarkeit nur auf die illegale Verleitung würde daher zur Folge haben, daß
unter dem Aspekt des legalen Verlassens jedwede zersetzende Beeinflussung zum Zwecke des
Verlassens der Deutschen Demokratischen Republik straflos erfolgen könnte. Ganz abgesehen
von den Beweisschwierigkeiten, die dadurch entstehen würden, daß der Täter nur anzugeben
brauchte, er habe zum legalen Verlassen verleitet, wäre aus dieser Konzeption die
Schlussfolgerung logisch, legales Verlassen […] sei ohne Einschränkung möglich.“144 Auffällig ist
hierbei, dass Jahn offensichtlich die schwierige Beweislast als Motivation sieht, jegliches Verleiten
unter Strafe zu stellen, darüber hinaus würde eine Beschränkung der Strafbarkeit in Anbetracht
der strengen Genehmigungspraxis zur legalen Ausreise „nur zu sonst vermeidbarer
Unzufriedenheit führen“.145 Jede Art der politisch-ideologischen Einflussnahme auf einen DDRBürger, die zum (Versuch des) Verlassen(s) des Landes führt, wurde als Akt der Verleitung
angesehen. Jahn hat dazu eine nahezu unerschöpfliche Liste von möglichen Mitteln zur
Verleitung aufgestellt, die von der „indirekten oder konspirativen Aufforderung“ bis hin zur
Drohung oder dem Zwang reichen.146 Angesichts der Auffassung, dass die Verleitung der DDRBürger zum Verlassen des Landes von westlicher Hand organisiert und gesteuert wurde, konnte
schon ein positiver Hinweis zur Bundesrepublik oder eine wohlwollende Schilderung der Lebensund Wirtschaftsverhältnisse dort als strafbar gelten, insoweit durch sie eine eventuelle Flucht
bestärkt oder hervorgerufen wurde.147 Fricke weist darauf hin, dass eben genau dies auch durch
die Spruchpraxis der DDR-Justiz bestätigt wurde. Der weitgefasste Tatbestand und die daraus
G. Jahn, „Das Verbrechen“, 1176.
Ibidem, 1180.
145Ibidem.
146 Vgl. W. Schuller, Geschichte, 200/201. Vgl. auch: G. Jahn: Das Verbrechen der Verleitung zum Verlassen der Deutschen
Demokratischen Republik, Dissertation jur. (Halle 1959).
147 K.W. Fricke, Politik und Justiz, 410/411.
143
144
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resultierenden Interpretationsmöglichkeiten boten dem Gesetzgeber auch hier erneut die
Möglichkeit zur nahezu absoluten Willkür zum Zwecke der notwendigen Machtkonsolidierung.
Die signalisierte Verschärfung hinsichtlich des Auftretens gegen die Flüchtlingsströme
zeigt sich nicht nur am Bau der Mauer. Auch der Ton innerhalb der staatlichen Propaganda gegen
die angeblich vom Westen organisierte „Massenflucht“ verdeutlicht die angespannte Stimmung
So bezeichnet die SED-Presse nach den Absperrmaßnahmen von 1961 Fluchthelfer fortan
immer häufiger nur noch als „Menschenhändler und Kopfjäger“.148
Als einer dieser sogenannten „Menschenhändler“ wurde auch der 56-jährige
niederländische Handelsvertreter Henri Pierrot 1961 vom Berliner Stadtgericht zu 3 ½ Jahren
Gefängnis verurteilt. Pierrot unterhielt Geschäfte mit dem ostdeutschen Unternehmen „DIAKulturwaren“ und befand zu diesem Zweck häufiger geschäftlich in Ost-Berlin, Leipzig und Jena.
Während seiner Reisen hatte er eine junge Sekretärin des Ministeriums für Innen- und
Außenhandel der DDR kennengelernt und schließlich ein Verhältnis mit ihr begonnen. Im Zuge
dieser Liaison hatten beide im April 1961 versucht mit Hilfe des gefälschten Passes von Pierrots
niederländischer Frau den Grenzübergang für Ausländer an der Friedrich-/Ecke Zimmerstraße
nach Westberlin zu passieren.149 Aus Unterlagen des niederländischen Außenministeriums geht
hervor, dass der gefälschte Pass von den Grenzposten zunächst gar nicht bemerkt worden war.
„Man hat[te] ihn [Pierrot] im Zuge der ersten Ausländerkontrollen, die an diesem Tage
einsetzten, einfach angehalten und seine Akten durchsucht. Erst als man darin die Zeugnisse von
Frl. Jäger [der besagten Sekretärin] fand und nähere Erklärungen darüber von ihm verlangte,
verwickelte er sich in Widersprüche.“150 Daraufhin wurde Pierrot festgehalten und auch Fräulein
Jäger befragt. Im Prinzip waren beide also nicht einmal auf frischer Tat ertappt worden. Dennoch
eignete sich die Sache vorzüglich für die Propaganda der DDR-Behörden, die das Bild von der
aus dem Westen organisierten Abwerbung gut ausgebildeter Bürger zu verhärten, um die
Absperrmaßnahmen vom August öffentlich zu rechtfertigen suchten. Ein Artikel zum Prozess im
sozialistischen Blatt „Neues Deutschland“ vom 27.09.1961 bestätigt dies. Laut dieses Artikels
baute Pierrot „systematisch einen ausgeklügelten Plan auf, um sein verbrecherisches Ziel, einen
Bürger der DDR abzuwerben, zu erreichen.“151
Ein solcher „Plan“ scheint angesichts der
Tatsache, wie unvorbereitet Pierrot am Grenzübergang erschien jedoch völlig aus der Luft
gegriffen. Im gleichen Prozess waren darüber hinaus fünf weitere Ausländer, worunter vier
Studenten, ebenfalls wegen Menschenhandels verurteilt worden – auch sie hatten versucht
148
149
Vgl. dazu die Dokumente 202-207, Unrecht als System, Bd. 4, 138-144.
Vgl. Nationalarchiv, Den Haag, „Ministerie van Buitenlandse Zaken: Code-Archief 1955-1964“, Zugangsnummer 2.05.118,
Inventarnummer 27190, Dok.-Nr.: 13547/2847GS/2951.
150 Ibidem.
151
Dokument Nr. 206, Unrecht als System, Bd. 4, 143; sowie: NL-HaNA, „Buitenlandse Zaken /Code-Archief 55-64“,
2.05.118, Inv.-Nr. 27190, Dok.-Nr.: G 4962/127GS/261 (Beilage).
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K. Heidrich
Entwicklung des politischen Strafrechts in der DDR
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Menschen über die Grenze zu verhelfen. Ein Prozess, in dem gleich mehrere dieser
„Menschenhändler“ bestraft werden erwirkt in der Öffentlichkeit natürlich den Eindruck, dass
die Anstrengungen des Westens diesbezüglich von großem Ausmaß waren.
Auch bei den niederländischen mit der Sache vertrauten Stellen gewann man übrigens
eher den Eindruck, dass Pierrot sich durch Naivität in diese Lage gebracht hatte und es den
Justizbehörden in der DDR vor allem darum ging, ihn als Mittel zur Verbreitung ihrer
Propaganda zu benutzen. So schreibt der stellvertretende Konsul J. D. Fledderus in einem
Schreiben an den niederländischen Botschafter H. van Vredenburch in Bonn am 28.9.61:
„Slechts de ontstellende naïviteit van een heer Pierrot is bij een en ander tragisch. […] Een leer
voor potentiële navolgers van de heer Pierrot is, dat men dergelijke escapades beter niet in een
achter-gordijns-land kan volvoeren.“152 Jedoch ist der Konsul bereits ein paar Tage nach der
Urteilsvollstreckung guter Dinge, dass Pierrot baldigst begnadigt werden könnte. So schreibt er
weiter: „Nu het propagandistische effect is bereikt is het zeer wel denkbaar, dat den heer Pierrot
na verloop van enige tijd om redenen van “humaniteit” amnestie zal worden verleend aangezien
immers “der Mohr nun Seine Schuldigkeit getan hat”.153
Diese Amnestie für ihre Staatsbürger erreichten die ausländischen Stellen zumeist über
die Bemühungen des Ost-Berliner Rechtsanwalts Wolfgang Vogel. Dieser übernahm seit Anfang
der 1960er Jahre die Verteidigung vieler ausländischer politischer Gefangener, aber auch DDRBürger und erwirkte zumeist eine Freilassung nach Ablauf eines Teils der verhängten Strafe. Er
unterhielt gute Kontakte zum Ministerium für Staatssicherheit und war deshalb in einer
ausgezeichneten Position die Verhandlungen hinter geschlossenen Türen auf diskrete Weise zu
führen. Seit 1963 entwickelte sich dies zu einem florierendem Geschäft. Der Freikauf von
politischen Häftlingen durch ausländische Autoritäten entfaltete sich zu einer Art professionellen
Handel mit Millioneneinkünften für den SED-Staat.154 Auch Im Fall von Pierrot übernahm Vogel
die Verteidigung und reichte bereits im Dezember 1961 ein Gnadengesuch beim
NL-HaNA, „Buitenlandse Zaken /Code-Archief 55-64“, 2.05.118, Inv.-Nr. 27190, Dok.-Nr.: G
4962/127GS/261; Übersetzung: „Nur die entsetzliche Naivität des Herrn Pierrot ist bei dem ein oder anderen
tragisch. [..] Eine Lehre für potentielle Nachfolger des Herrn Pierrot ist, das man derartige Eskapaden besser nicht in
einem Land ausführen sollte, dass sich hinter dem Vorhang befindet.“
153 Ibidem, Übersetzung: „Nun, da der propagandistische Effekt erzielt wurde, ist es sehr wohl denkbar, dass Herr
Pierrot nach einiger Zeit aus „humanitären Gründen“ Amnestie gewährt werden wird. Nun, da „der Mohr seine
Schuldigkeit getan hat.“
154 Mit Geldern der Bundesrepublik Deutschland wurden durch die Vermittlung von Rechtsanwalt Vogel bis 1989
33.755 politische Häftlinge (inklusive ausländischer Staatsbürger) aus DDR-Gefängnissen freigekauft und 215.019
weitere Familienzusammenführungen arrangiert. Dafür kassierte Vogel für den SED-Staat eine Gesamtsumme von
3.464.900.000 DM. Die Zahlungen wurde allesamt über Geldkanäle der EKD (Evangelische Kirche Deutschland)
abgewickelt. Im Falle von Freikäufen von Menschen ohne deutsche Staatsbürgerschaft wurde vor allem seit den
1970er Jahren mit Listen gearbeitet, die bei z.B. Staatsbesuchen ausgetauscht wurden. Vgl. dazu z.B. im Falle der
Niederlande: J. Pekelder, Nederland en de DDR. (Utrecht 1998); Vgl. zu den Freikäufen mittels Rechtsanwalt Vogel: G.
Whitney, Advocatus Diaboli. Wolfgang Vogel. Anwalt zwischen Ost und West. (Berlin 1993), 16; sowie: L. A. Rehlinger,
Freikauf – die Geschäfte der DDR mit politisch Verfolgten 1961-1989. (Berlin 1991).
152
47
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Entwicklung des politischen Strafrechts in der DDR
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Staatsratspräsidenten Walther Ulbricht ein, der jedoch abgewiesen wurde. Nach einem weiteren
Gnadengesuch vom Januar 1962, diesmal auf Anraten Vogels mit Unterstützung der
niederländischen „Kamer van Koophandel“ (Industrie- und Handelskammer)155, kam Pierrot
schließlich im Juni 1962 frei.156 Außer eines Belegs über die Vergütung des Anwaltshonorars für
Vogel wird findet sich in den Akten des niederländischen Außenministeriums jedoch kein
Hinweis auf eventuell geleistete weitere Zahlungen. Sehr wohl geht aber aus den Akten hervor,
dass die DDR-Behörden versuchten eine mögliche Freilassung Pierrots an konsularische
Konsequenzen und eine Fortschritte bezüglich der völkerrechtlichen Anerkennung durch die
Niederlande knüpften.157 Der Fall Pierrot verdeutlicht sehr gut, dass ausländische Staatsbürger
oft die Konsequenzen ihres Handels unterschätzten und so durch Naivität in die Fänge der
DDR-Justiz gerieten. Auch die anderen Angeklagten im angesprochenen Prozess angeklagten
Ausländer hatten mit gefälschten Pässen und auf leichtfertige Weise versucht DDR-Bürger über
die Grenze zu schleusen. Vor allem in den 50er und 60er Jahren, als die DDR von den meisten
westlichen Ländern noch nicht völkerrechtlich anerkannt und damit keine diplomatischen
Beziehungen unterhielt, war die Betreuung und Vertretung der Interessen politischer Häftlinge
für Konsuln und Botschafter des jeweiligen Landes oft schwierig und geschah auf Umwegen.
Die Paragrafen 22 und 23 ahndeten die bereits an früherer Stelle erläuterten
Straftatbestände der Diversion (§ 22) und Sabotage (§ 23). Sowohl inhaltlich als auch in ihrer
Handhabe änderte sich mit dem StEG bezüglich dieser Paragrafen jedoch nichts Wesentliches,
weshalb an dieser Stelle auch nicht näher darauf eingegangen werden soll.158
In der Periode des Entstehens des StEGs betrachtete die Regierung die Sicherung des
Friedens und der Errungenschaften des sozialistischen Aufbaus als Prämisse. Man müsse das
Land und die Bürger vor dem „Angriff der aggressiven Kräfte des westdeutschen
Monopolkapitals auch unter den Bedingungen der offenen Grenze“159 schützen. In diesem Sinne
erachtete die Regierung es für notwendig, die Gesetzeslage zu verschärfen und führte daher elf
Einzeltatbestände ein. Schroeder weist zurecht darauf hin, dass allesamt bereits in Artikel 6 unter
Strafe gestellt wurden und diejenigen neuen Tatbestände auf eine ebenso fast strategische Weise
unscharf formuliert waren, „so daß das Gesetz [StEG] die gesamte uferlose Anwendung des
Vgl. NL-HaNA, „Buitenlandse Zaken /Code-Archief 55-64“, 2.05.118, Inv.-Nr. 27190, Dok.-Nr.:
G 137/4GS/15 und 649/149 GS/201.
156 Ibidem, Dok.-Nr.: G 1761/112 GS/113.
157 Vgl. Ibidem, Dok.-Nr.: Memorandum No. 203 – 5 juli 1962.
158 Vgl. die Ausführgen zum SMAD-Befehl Nr. 160 auf den Seiten 23-25 in dieser Arbeit.
159 H. Benjamin, M. Becker u.a., „Zur Herausbildung des sozialistischen Strafrechts in der Deutschen
Demokratischen Republik (2)“, Staat und Recht 18 (1969), 1278-1287, 1278.
155
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Artikel 6 Abs. 2 der Verfassung erfasste.“160 Er geht zudem davon aus, das Artikel 6 neben dem
neuen Strafgesetz bestehen blieb, es sich also nur um ein Ergänzungs- und nicht
Änderungsgesetz handelte, um eventuelle Lücken mittels des Verfassungsartikels schließen zu
können.161 Artikel 6 (2) fungierte nebenher nun noch als eine Art Auffangtatbestand162, unter dem
alle womöglich nicht erfassten politisch-motivierten Straftaten erfasst werden konnten. Das
Strafrechtsergänzungsgesetz stellte trotz weniger Neuerungen eine weitere Verschärfung des
politischen Strafrechts dar, gerade die kleine Änderungen und Zusätze gaben einen
ausschlaggebenden Impuls und eben diese bisweilen unauffällig erscheinenden Paragrafen, so z.B.
die Paragrafen 15, 17 und 20, sorgten für noch mehr Raum für eine justizielle Willkür im Sinne
der Staatsinteressen. Auch die DDR-Führung selbst maß dem Gesetz hohe Bedeutung bei und
stellte im Rahmen des 20-jährigen Staatsjubiläums fest, dass mit dem Strafrechtsergänzungsgesetz
für „wesentliche und grundsätzliche Teile des Strafrechts Gesetzesbestimmungen sozialistischen
Charakters geschaffen wurden.“163 Damit war vor allem die nach sozialistischer Überzeugung
gerechte Unterscheidung zwischen zwei Gruppierungen von Straftätern gemeint, die laut DDRFührung die beiden Säulen des sozialistischen Strafrechts darstellt und im StEG ihren Ausdruck
gefunden hat: die Unterscheidung zwischen solchen Tätern, „die, obwohl sie gegen unsere
Gesetze verstießen, doch nicht als außerhalb unserer sozialistischen Ordnung stehend betrachtet
werden können, sondern die aus Undiszipliniertheit, aus Mangel an Verantwortungsbewußtsein
einen Rechtsbruch begangen haben, und zwischen jenen, die sich bewusst außerhalb unseres
Staates stellten und als Staatsverbrecher die Fundamente unseres Staates angriffen.“164 Man kann
davon ausgehen, dass die Regierung hierbei vor allem auf die Milderungsmöglichkeiten von § 9
StEG abzielte. Dieser lautete:
„Eine Bestrafung erfolgt nicht,
1. wenn zur Zeit der Durchführung des Strafverfahrens die Tat nicht mehr als
gesellschaftsgefährlich anzusehen ist,
oder,
2. wenn nach der Tat im gesamten Verhalten des Täters eine grundlegende Wandlung
eingetreten ist, die erwarten läßt, daß er die sozialistische Gesetzlichkeit achten wird.“165
F.-C. Schroeder, Strafrecht, 31.
Vgl. Ibidem.
162 Von einem Auffangtatbestand spricht man bei einer gesetzlichen Regelung, die alle die Fälle erfassen soll, die von
den Tatbeständen der Spezialregelungen nicht erfasst werden. Vgl.
http://www.lexexakt.de/glossar/auffangtatbestand.php, 15.07.10, 15.10 Uhr.
163 H. Benjamin, M. Becker u.a, „Zur Herausbildung“, 1280.
164 Ibidem, 1281.
165 Gesetzblatt der DDR, Nr. 78, 23.12.1957, 644.
160
161
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Schuller weist darauf hin, dass Ziffer 1 § 9 StEG in den zugänglichen Quellen nie auftaucht und
nur in wenigen Fällen Ziffer 2 der Vorschrift angewendet wurde.166
Nach sozialistisch-kommunistischer Auffassung wird das objektive Gewicht von Taten
entsprechend der gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Situation des Landes eingestuft.
Gleiches findet man auch im sowjetischen Recht. Hält man sich das vor Augen, so gelangt man
zur logischen Schlussfolgerung, dass das entsprechende Strafmaß stark von der politischen und
wirtschaftlichen Situation in der DDR abhängig war. So erklärt sich beispielweise auch die
Verschärfung der Bestrafung von Republikflucht und Abwerbung Ende 1957, als das Problem
der abwandernden Bevölkerung unumgänglich wurde. In Zeiten politischer Spannung schnellten
nicht nur die Verurteilungen, sondern auch die Strafen in die Höhe. Schuller veranschaulicht in
diesem Zusammenhang z.B. angesichts des Tatbestands der Abwerbung, dass die Strafen im
ersten Jahr nach der Einführung des StEG noch verhältnismäßig milde ausfielen, um den 13.
August 1961 lässt sich bereits ein rapider Anstieg des Strafmaßes für das gleiche Verbrechen
signalisieren und nach dem Bau der Mauer wurde Anstiftung zur Flucht wegen der größeren zu
überwindenden Hindernisse mit erheblich höheren Strafen belegt. So wurde der Straftatbestand
nach § 21 StEG zunächst mit durchschnittlich ein bis eineinhalb Jahren Gefängnis bestraft,
wohingegen ähnliche Vergehen
mittels dieses Paragrafs
nach
dem
Mauerbau
mit
Gefängnisstrafen zwischen 3 und 15 Jahren bestraft wurden.167
2.3
Das DDR-Strafgesetzbuch von 1968
Seit Anfang der 1960er Jahre ist in den strafrechtlichen wissenschaftlichen Diskussionen der
Sowjetunion eine Tendenz hin zu erzieherischen Maßnahmen als Mittel zur Bekämpfung der
Kriminalität zu verzeichnen. Eine Entwicklung, die auch in der DDR spürbar ist und sich auf den
Entwurf zum neuen Strafgesetzbuch auswirkt. Die politische und ökonomische Lage des Landes
schienen sich nach dem Bau der Mauer zunächst zu festigen, was die DDR-Führung in der
Ansicht bestärkte, dass „auch die Möglichkeiten, Menschen, die unsere Gesetze verletzen, zu
erziehen, anstatt zu strafen, heute bei weitem größer [sind] als – sagen wir einmal – vor zehn
Jahren.“168 Diese Entwicklung geht auf Nikita Chruschtschow zurück, der seit 1958
Ministerpräsident der Sowjetunion war. Dieser gab den Ideen von Marx und Lenin über das
Absterben von Staat und Recht im Kommunismus durch die Verhängung „gesellschaftlicher“
Vgl. W. Schuller, Geschichte, 229.
Vgl. entsprechende Urteile bei W. Schuller, Geschichte, 232-235.
168 Walther Ulbricht, „Wie verwirklicht sich die sozialistische Demokratie?“ Rede vor dem Nationalkongress am
17.06.1962, Neue Justiz (1962), 393 f., zitiert nach: F.-C. Schroeder, Strafrecht, 37.
166
167
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Sanktionen
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mittels
„gesellschaftlicher
Gerichte“
Form.169
Hiermit
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sind
sogenannte
Schiedskommissionen und -gerichte gemeint, die bei kleineren Delikten mittels einer Auferlegung
von erzieherischen Maßnahmen die Täter zur Besserung erziehen sollten. Sie kamen vor allem bei
Konfliktsituationen in Betrieben zum Einsatz. Auf der anderen Seite standen bei dieser
Entwicklung die weitaus härteren Strafen für Wiederholungstäter und schwere Verbrechen. Für
das politische Strafrecht traf das letztere zu. Die eben angesprochenen milden Strafen, mit denen
sich das sozialistische Strafrecht schmückte, standen der vollen Härte der Justiz bei schweren
Delikten, also z.B. den Staatsverbrechen, gegenüber. Hierin zeigt sich die schon angesprochene
Zweiteilung des sozialistischen Strafrechts erneut.
Bereits 1959 lag ein Entwurf für das DDR-Strafgesetzbuch vor, der laut Schroeder eben
wegen der oben genannten Entwicklungen in der Sowjetunion zurückgezogen und überarbeitet
werden sollte.170 Bis zum endgültigen Entwurf des neuen StGB vergingen weitere 8 Jahre, in
denen eine Kommission mit mehr als 60 Mitgliedern, worunter sich 16 Juristen und
Rechtswissenschaftler befanden, mit der Hilfe von weiteren Subkommissionen die neuen
Rechtsnormen und deren Wortlaut erarbeitete. Erst am 27. Januar 1967 wurde der endgültige
Entwurf zur Diskussion gestellt. Das daraus resultierende erste sozialistische Strafgesetzbuch trat
schließlich am 12. Januar 1968 in Kraft. Die oben geschilderten rechtswissenschaftlichen
Grundsatzentwicklungen spiegeln sich in § 1 StGB wieder, in dem die Einstufung von
Verfehlungen, Straftaten und Verbrechen nach sowjetischem Vorbild – also nach dem Grad ihrer
Gesellschaftsgefährdung – formuliert ist.171 Zunächst fällt jedoch auf, dass die Autoren mit
Nachdruck den „sozialistischen Charakter“ des neuen Strafgesetzbuches betonen wollten. Beim
Lesen der Präambel taucht die Bezeichnung „sozialistisch“ dann auch zu Hauf (nicht weniger als
15 Mal) auf. Schroeder verweist in diesem Zusammenhang auch darauf, dass kurz nach dem
Erscheinen des neuen StGB’s diese Tatsache selbst in den kommunistischen Staaten als
übertrieben empfunden wurde.172 Im ersten Kapitel des allgemeinen Teils, welches die
Grundsätze des sozialistischen Strafrechts erläutert, taucht das Wort nämlich weitere 19 Mal auf.
Dieser Umstand führte wohl auch dazu, dass in der Neufassung der Präambel von 1977 die
Häufigkeit des Wortes merkbar reduziert wurde.173 Für die Untersuchung der des neuen
Strafrechts wurde eine Ausgabe des StGB der DDR von 1981 verwendet, in der die Änderungen
Vgl. F.-C. Schroeder, Strafrecht, 34/35.
Vgl. Ibidem, 36.
171 Vgl. Kommentar StGB DDR (Berlin 1981), § 1, 39.
172 Vgl. F.-C. Schroeder, Strafrecht, 11.
173 Vgl. Ibidem.
169
170
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von 1977 und 1979 bereits verarbeitet sind.174 Auf diese Änderungsgesetze wird daher nicht
gesondert eingegangen.
Die Rechtsnormen, die zum politischen Strafrecht zu zählen sind, finden sich im
sogenannten „Besonderen Teil“. Dieser ist in neun Kapitel unterteilt, wovon zwei für diese
Arbeit interessant sind. Die darin enthaltenen Paragrafen mit politischem Charakter sollen im
Folgenden besprochen werden. Dabei liegt der Fokus auf den äquivalenten Rechtnormen zum
Strafrechtsergänzungsgesetz, sowie eventuellen Verschärfungen und/oder Neuerungen. Zudem
wurden Normen, die selten zur Anwendung gekommen sind, weitestgehend vernachlässigt.
Verbrechen gegen die Deutsche Demokratische Republik (Kapitel 2, Besonderer Teil)
Am klassischen Tatbestand Hochverrat (§ 96 StGB) wird einmal mehr deutlich, dass das politische
Strafrecht in der DDR gekennzeichnet ist von schwammigen, weitläufigen Tatbeständen. § 96
lautet:
„(1) Wer es unternimmt,
1. Die sozialistische Staats- oder Gesellschaftsordnung der Deutschen Demokratischen
Republik durch gewaltsamen Umsturz oder planmäßige Untergrabung zu beseitigen oder in
verräterischer Weise die Macht zu ergreifen;
2. das Gebiet der Deutschen Demokratischen Republik einem anderen Staat einzuverleiben
oder einen Teil desselben von ihr loszureißen;
3. einen Angriff auf Leben oder Gesundheit eines führenden Repräsentanten der Deutschen
Demokratischen Republik zu begehen;
4. mit Gewalt oder durch Drohung mit Gewalt die verfassungsmäßige Tätigkeit der führenden
Repräsentanten der Deutschen Demokratischen Republik unmöglich zu machen oder zu
behindern,
wird mit Freiheitsstrafe nicht unter zehn Jahren oder mit lebenslänglicher Freiheitsstrafe bestraft.
(2) In besonders schweren Fällen kann auf Todesstrafe erkannt werden.“175
Im Vergleich zu dem entsprechenden Gesetzestext des gleichen Tatbestandes in der
Bundesrepublik Deutschland weist Schroeder darauf hin, dass der Tatbestand im Strafrecht der
DDR entscheidend erweitert wurde. Wohingegen in der BRD nur Gewalt oder Drohung mit
Gewalt als Mittels des Hochverrats gesehen werden, zählen in der DDR auch „planmäßige
Untergrabung“ und „verräterische Weise“ dazu. Obwohl sich dieser Paragraf auf den Schutz der
1977 und 1979 wurden Strafrechtsänderungsgesetze erlassen, die neben weiteren Verschärfungen der Strafen auch
textuelle Anpassungen enthielten.
175 Kommentar StGB DDR 1981, § 96, 285/286.
174
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„sozialistischen Staats- und Gesellschaftsordnung“ bezieht (in der BRD im Übrigen nur auf den
Schutz der verfassungsmäßigen Ordnung), wird ein Angriff auf einen Repräsentanten des Staates
auch als Hochverrat eingestuft, auch wenn damit die Gesellschaftsordnung nicht automatisch
angriffen sein muss. Darüber hinaus verweist Schroeder auf Milderungsmöglichkeiten bezüglich
des Strafmaßes in der BRD, wohingegen das Mindeststrafmaß in der DDR zehn Jahre beträgt.176
Verglichen mit dem bis dahin gültigen § 13 StEG177 fällt vor allem auf, dass nunmehr nicht die
„verfassungsmäßige“ sondern die „sozialistische Staats- und Gesellschaftsordnung“ geschützt
werden soll. Hierunter fallen, so wird im zugehörigen Kommentar erläutert, auch die
„Produktions- und andere grundlegende Gesellschaftsverhältnisse“178, Gegebenheiten also die im
Prinzip außerhalb der Staatsordnung liegen, wodurch der Tatbestand entscheidend ausgeweitet
wird. Darüber hinaus wurde das Strafmaß erweitert und musste ein Täter mit einer Freiheitsstrafe
nicht unter zehn Jahren oder lebenslänglich rechnen. Im StEG war das Höchstmaß noch fünf
Jahre.
Die darauffolgenden einzelnen Tatbestände § 97 Spionage, § 98 Anwerbung zur Spionage, § 99
Landesverräterische Nachrichtenübermittlung und § 100 Landesverräterische Agententätigkeit werden im
StGB alle unter dem Überbegriff Landesverrat zusammengefasst. Hiermit führt die DDR in ihrem
Strafgesetzbuch von 1968 die „überholte“ Unterscheidung zwischen Hochverrat (=Angriff auf
die Verfassung) und Landesverrat (=Angriff auf die Existenz des Landes) wieder ein. Schroeder
konstatiert, dass diese Entwicklung erneut auf Vorgänge in der Sowjetunion und den dortigen
Strafrechtsentwicklungen zurückzuführen ist. Demnach habe in der UdSSR nach der Revolution
eine deutliche Abkehr von „dem Schutz bestimmter innenpolitischer Werte zugunsten eines
massiven Schutzes der staatlichen Macht als solcher“179 stattgefunden. § 97 bestraft das Sammeln
von Nachrichten und Informationen, die der Geheimhaltung unterliegen als Spionage180. Der
genaue Gesetzestext unterscheidet sich trotz textlicher Anpassungen inhaltlich bis auf einen
Punkt nicht wesentlich von dem des Strafrechtsergänzungsgesetzes. Das Strafmaß ist jedoch
wesentlich höher im neuen Gesetz. Wohingegen derselbe Tatbestand bisher mit „Zuchthaus
nicht unter drei Jahren“181 geahndet wurde, verlangte das neue Strafrecht nun eine
„Freiheitsstrafe nicht unter fünf Jahren“. In beiden Gesetzen war die Verhängung einer
Vgl. F.-C. Schroeder, Strafrecht, 79/80.
Vgl. hierzu die Ausführungen auf S. 35/36 in dieser Arbeit.
178 Vgl. Kommentar StGB DDR 1981, § 96, 286.
179 Vgl. F.-C. Schroeder, Strafrecht, 85.
180 § 97 StGB: „(1) Wer Nachrichten oder Gegenstände, die geheimzuhalten sind, zum Nachteil der Interessen der
Deutschen Demokratischen Republik für eine fremde Macht, deren Einrichtungen oder Vertreter oder für einen
Geheimdienst oder für ausländische Organisationen sowie deren Helfer sammelt, an sie verrät, ihnen ausliefert oder
in sonstiger Weise zugänglich macht, wird mit Freiheitsstrafe nicht unter fünf Jahren bestraft. (2) Vorbereitung und
Versuch sind strafbar. (3) In besonders schweren Fällen kann auf lebenslängliche Freiheitsstrafe oder Todesstrafe
erkannt werden.“, Kommentar StGB DDR 1981, § 97, 287/288.
181 Vgl. § 14 StEG, Fußnote 112, S. 36.
176
177
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lebenslänglichen Freiheitsstrafe oder der Todesstrafe in besonders schweren Fällen möglich. § 98
zählt zu den Spionagetätigkeiten, erfasste aber einen neuen Tatbestand, nämlich das „Sich
anwerben lassen“ zur Spionage und lautete wie folgt:
„Wer sich von den im § 97 Absatz 1 genannten Stellen oder Personen zum Zwecke der
Sammlung, des Verrats oder der Auslieferung von geheimzuhaltenden Nachrichten zum Nachteil
der Interessen der Deutschen Demokratischen Republik anwerben läßt, wird ebenfalls wegen
Spionage bestraft.“182
Vorbereitung und Versuch sind hier ebenfalls strafbar und konnten mittels Adressbeschaffung
von ausländischen Instanzen erfüllt sein. Darüber hinaus ergaben sich strafrechtliche
Konsequenzen für eventuelle resultierende Handlungen aus dem Anwerbungsverhältnis aus
Ausführungen in § 97.183
Die Landesverräterische Nachrichtenübermittlung in § 99 bildet den äquivalenten Straftatbestand
zu § 15 im StEG von 1957. Zwar wurden im Wortlaut Änderungen vorgenommen184, dennoch
bleibt der Inhalt ähnlich dem Fall des Tatbestandes Spionage der gleiche. Wiederum ist die
Erhöhung des Strafmaßes von minimal zwei bis zu zwölf Jahren Gefängnisstrafe auffällig. Der
letzte unter Landesverrat fallende Paragraf ist § 100, der die Landesverräterische Agententätigkeit unter
Strafe stellt185. Auch dies ist kein neuer Tatbestand. Bisher wurde er mittels § 16 StEG bestraft.
Der Kommentar im StGB macht deutlich, dass die Strafbarkeit dieser Tat auf der
„verfassungsmäßigen Treupflicht der Bürger der DDR“186 beruht, keine Verbindung zu
ausländischen Instanzen aufzunehmen, die für die DDR schädlich sein könnten. Prägnant ist,
dass eine eventuelle Verbindungsaufnahme zu den in Paragraf 97 genannten Stellen auch als
Vorbereitung bzw. Versuch zu eben diesem Paragrafen bzw. § 98 bestraft werden konnte. Eine
genaue Abgrenzung der Tatbestände erweist sich dann auch als schwierig und wird im
Kommentar auch nicht verdeutlicht. Die Ungenauigkeit und damit verbundene Schwierigkeit in
der Tatbestandsabgrenzung passt aber in das Bild der DDR-Strafgesetzgebung, dass sich dem
Leser bei der Betrachtung der Gesetzesblätter und –bücher bietet und welches auch im Rahmen
StGB DDR, 291.
Vgl. Kommentar StGB DDR 1981, § 98, Anm. 4, 291/292.
184 § 99 StGB: “(1) Wer der Geheimhaltung nicht unterliegende Nachrichten zum Nachteil der Interessen der
Deutschen Demokratischen Republik an die im § 97 genannten Stellen oder Personen übergibt, für diese sammelt
oder ihnen zugänglich macht, wird mit Freiheitsstrafe von zwei bis zu zwölf Jahren bestraft. (2) Vorbereitung und
Versuch sind strafbar.“, Kommentar StGB DDR 1981, § 99, 292.
185 § 100 StGB: „(1) Wer zu den im § 97 genannten Stellen oder Personen Verbindung aufnimmt oder sich zur
Mitarbeit anbietet oder diese Stellen oder Personen in sonstiger Weise unterstützt, um die Interessen der Deutschen
Demokratischen Republik zu schädigen, wird mit Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren bestraft. (2)
Vorbereitung und Versuch sind strafbar.“, Kommentar StGB DDR 1981, § 100, 293.
186 Kommentar StGB DDR 1981, § 100, Anm. 1, 293.
182
183
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dieser Arbeit mehrfach signalisiert wurde. Eine gab große Anzahl von teilweise sehr ungenauen
Einzeltatbeständen, die in Kombination mit Auffangtatbeständen dazu führen, dass nahezu jede
Tätigkeit eines Bürgers pönalisiert und kriminalisiert werden konnte, sobald sie von der Justiz,
abhängig von der jeweiligen politischen und wirtschaftlichen Situation des Landes als
„gesellschaftsgefährdend“ eingestuft wurde. Die vier oben genannten Paragrafen dienen unter
dem Deckmantel des Landesverrats eigentlich der „totalen Abschottung gegenüber dem
Ausland“.187 Auch das neue Strafgesetzbuch versuchte – nun mit noch größerer Härte – gegen
Bürger vorzugehen, die eventuelle Missstände in der DDR signalisieren bzw. anzuprangern
versuchten. Schroeder verweist in diesem Zusammenhang darauf, dass auch § 106 Staatsfeindliche
Hetze, § 219 Ungesetzliche Verbindungsaufnahme und § 220 Öffentliche Herabwürdigung eben diesem
Zweck dienten. § 106 soll deshalb auch bereits an dieser Stelle besprochen werden, auch wenn
dies nicht der Chronologie entspricht. Die anderen beiden Strafrechtsbestimmungen kommen im
Abschnitt über die sogenannten Verbrechen gegen die staatliche Ordnung im Anschluss an dieses
Kapitel zur Sprache.
§ 106 geht auf § 19 StEG zurück und ist nicht nur ausgeweitet worden188, sondern hat
eine Akzentverlagerung erhalten, in der sich der beabsichtigte Schutz des sozialistischen Staates
und seiner Machthaber mittels dieses Strafgesetzes eindeutig wiederspiegelt. Der wörtliche
Gesetzestext lautet:
„(1)
Wer
die
verfassungsmäßigen
Grundlagen
der
sozialistischen
Staats-
und
Gesellschaftsordnung der Deutschen Demokratischen Republik angreift oder gegen sie
aufwiegelt, indem er
1. die gesellschaftlichen Verhältnisse, Repräsentanten oder andere Bürger der Deutschen
Demokratischen Republik wegen deren staatlicher oder gesellschaftlicher Tätigkeit
diskriminiert;
2. Schriften, Gegenstände oder Symbole zur Diskriminierung der gesellschaftlichen
Verhältnisse, von Repräsentanten oder anderen Bürgern herstellt, einführt, verbreitet oder
anbringt;
3. die Freundschafts- und Bündnisbeziehungen der Deutschen Demokratischen Republik
diskriminiert;
4. Verbrechen gegen den Staat androht oder dazu auffordert, Widerstand gegen die
sozialistische Staats- und Gesellschaftsordnung der Deutschen Demokratischen Republik zu
leisten;
5. den Faschismus oder Militarismus verherrlicht oder Rassenhetze treibt,
187
188
F.-C. Schroeder, Strafrecht, 85.
Vgl. dazu die Ausführungen auf den Seiten 39-41 in dieser Arbeit.
55
K. Heidrich
Entwicklung des politischen Strafrechts in der DDR
3209229
wird mit Freiheitsstrafe von einem bis zu acht Jahren bestraft.
(2) Wer zur Durchführung des Verbrechens mit Organisationen, Einrichtungen oder Personen
zusammenwirkt, deren Tätigkeit gegen die Deutsche Demokratische Republik gerichtet ist oder
das Verbrechen planmäßig durchführt, wird mit Freiheitsstrafe von zwei bis zehn Jahren bestraft.
(3) Versuch und Vorbereitung sind strafbar.“189
Aus den ursprünglich zwei Ziffern des ersten Absatzes sind nun fünf Ziffern geworden. Dabei
wurde die zweite Ziffer von Absatz (1) § 19 StEG ausgeweitet und die einzelnen Taten expliziter
gemacht und Absatz (2) taucht nun als Ziffer 2, Absatz (1) wieder auf. Insgesamt ergibt sich eine
größere Straftatendeckung. Darüber hinaus ist auch bei diesem Paragrafen das Strafmaß von
„nicht unter drei Monaten Gefängnis, in schweren Fällen Zuchthaus“ auf „ein bis zu acht Jahren
Gefängnis und in schweren Fällen zwei bis zehn Jahre“ erhöht worden. Der Kommentar
erläutert, dass der Tatbestand „dem Schutz vor subversiven feindlichen Angriffen, mit denen vor
allem über die Verbreitung antisozialistischer Anschauungen und Lebensweisen die
verfassungsmäßigen Grundlagen der sozialistischen Staats- und Gesellschaftsordnung geschädigt
bzw. gegen sie aufgewiegelt werden soll“190 dient. Als kriminelle Mittel werden „Verleumdung,
Beleidigung, Gerüchte etc.“191 angeführt – Meinungsäußerungen also, die abhängig von der
jeweiligen Interpretation als Hetze klassifiziert werden. Interessant hierbei ist, dass im
Kommentar ebenfalls darauf hingewiesen wird, dass der Tatbestand sich „gegen feindliche
Handlungen [richtet], nicht aber gegen andere Auffassungen“192. Dieser Hinweis erscheint
angesichts der vorherigen Benennung der kriminellen Mittel absurd und macht einmal mehr
deutlich, dass die Einschränkung der Meinungsfreiheit durch das politische Strafrecht in der
DDR zwar objektiv absolut gegeben war, die Auslegung der Gesetzeslage durch die Justizorgane
jedoch vom Drang das Gegenteil zu beweisen geprägt war. Absatz (1), Ziffer 2 verbietet durch
die Pönalisierung der Einfuhr von ausländischem Schriften jeglicher Art darüber hinaus die
Möglichkeit der freien Meinungsbildung. Dementsprechend wurden Bürger auch nach der
Einführung des neuen StGB’s wegen des Einführens von westlichen Zeitschriften oder dem
Verfolgen von westdeutschen Radio- bzw. TV-Programmen wegen staatsfeindlicher Hetze
verfolgt. Paragraf 106 ermöglichte durch seine angesprochene Uferlosigkeit die Bestrafung so
ziemlich jeder vermeintlich systemkritischen Handlung und wurde dementsprechend von der
DDR-Justiz gern gegen unliebsame Bürger eingesetzt, wie der folgende Fall veranschaulicht, den
Kommentar StGB DDR 1981, § 106, 302.
Ibidem, § 106, Anm. 1, 302/303.
191 Vgl. Ibidem.
192 Ibidem, 303.
189
190
56
K. Heidrich
Entwicklung des politischen Strafrechts in der DDR
3209229
der Historiker Johannes Raschka im Zuge seiner Untersuchung zur politischen Repression
zwischen 1971 und 1989 in der DDR schildert.
Karl-Heinz Nitschke hatte bereits in den 1960er Jahren wegen Republikflucht eine
Haftstrafe verbüßt und sah seit 1975 seine Chance darin das Land mittels eines Ausreiseantrages
auf legalem Wege verlassen zu können. Die DDR war seit 1973 Mitglied der UNO hatte 1975 die
KSZE-Schlussakte von Helsinki unterzeichnet. Darüber hinaus trat 1976 der UN-Pakt über
bürgerliche und politische Rechte in Kraft. Diese Tatschen bekräftigen Nitschke und tausende
andere DDR-Bürger in der Annahme, dass die DDR sich nun ihrem Ausreisegesuch nicht mehr
verwehren könne. Die Wirklichkeit der politischen Justiz im SED-Staat sah jedoch anders aus.
Nitschke hatte seit 1975 dreizehn Anträge auf Übersiedlung gestellt und 1976 eine Petition „Zur
Erlangung der Menschenrechte“ aufgestellt, welche er von anderen Ausreisewilligen
unterschreiben hatte lassen.193 Daraufhin wurde er 1976 wegen Verstoßes gegen die §§ 100 und
106 verhaftet und verbrachte etwa ein Jahr in Untersuchungshaft. 1977 wurde Anklage gegen
Nitschke erhoben – nun wegen Verstoßes gegen die §§§ 98, 100 und 106. Ein bis ins Detail
erarbeiteter Vorschlag zur Durchführung des Prozesses inklusive einem angesetztem Strafmaß
(Freiheitsstrafe von 8-10 Jahren) anschließender Pressemitteilung lag den Richtern vor.194 Nur
dem massiven öffentlichen Interesse an der Verhaftung Nitschkes in der Bundesrepublik ist es
wahrscheinlich zu danken, dass der Prozess nie stattfand und im August 1977 auf „zentrale
Anweisung“, also Mielkes oder Honeckers, veranlasst wurde den Prozess auszusetzen und
Nitschke nach West-Berlin ausreisen zu lassen. Nur einen Monat später wurde das Verfahren
eingestellt.195
Die von Raschka dargestellten detaillierten Anweisungen des Ministeriums für
Staatssicherheit (MfS) bezüglich des Prozesses gegen Nitschke beweisen eindeutig, dass die
politische Justiz und die damit einhergehende Beeinflussung der Verfahren in den späteren
Jahren der DDR unter Honecker nicht weniger wurde, sondern genauso aktiv ausgeübt wurde.
Diese
Praxis,
in
der
von
oberster
Stelle
den
entsprechenden Gerichten
nahezu
unterzeichnungsfertige Urteile vorgelegt wurden und der eigentliche Prozess anstelle des Mittels
der Beweisaufnahme und Beweisführung nur noch eine reine Formalität darstellte, war auch in
der Ära Ulbricht üblich. Die „Waldheimer Prozesse“196 von 1950 formen in dieser Hinsicht den
Vgl. J. Raschka, „Zwischen Überwachung und Repression – Politische Verfolgung in der DDR 1971 bis 1989.“ Am Ende des
realen Sozialismus, Bd.5. (Opladen 2001), 102.
194 Vgl. Ibidem, 103.
195 Vgl. Ibidem.
196 Bei den Waldheimer Prozessen wurden innerhalb weniger Wochen nahezu unter Ausschluss der Öffentlichkeit
und ohne ordentliche Verfahren insgesamt 3.392 Personen wegen nationalsozialistischer und kriegsverbrecherischer
Tätigkeiten zu Freiheitsstrafen zwischen 5 und 25 Jahren, sowie der Todesstrafe verurteilt. Vgl. F. Werkentin, Recht
und Justiz, 12-17.
193
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K. Heidrich
Entwicklung des politischen Strafrechts in der DDR
3209229
Beginn einer unerhörten justiziellen Vorgehensweise, die von der Kontrolle des Verfahrens durch
die zentrale Parteiführung geprägt ist. Von dieser Praxis wurde, solange das SED-Regime stand
hielt, nie abgewichen. Dass also innenpolitisch – auf dem Gebiet der politischen Justiz – unter
Honecker keinesfalls von eine Phase der Entspannung gesprochen werden kann, wird neben der
weiterhin ausgeübten Kontrolle über politische Verfahren aber auch aus der weiteren
Verschärfung des politischen Strafrechts in den entsprechenden Gesetzen deutlich.
§§ 103 und 104 bestrafen die bereits bekannten, aus dem sowjetischen Recht entlehnten
Tatbestände Diversion und Sabotage. Angesichts des Tatbestandes der Diversion kann man außer
der textuellen Anpassung des Textes aus dem StEG keine wichtigen Veränderungen feststellen,
weshalb hierauf nicht weiter eingegangen werden soll. Der Tatbestand der Sabotage ist jedoch
sehr wohl entscheidend erweitert worden; er wird im StGB von 1968 wie folgt umschrieben:
„§ 104
Sabotage
(1) Wer
1. die planmäßige Entwicklung der Volkswirtschaft oder einzelner ihrer Zweige oder Betriebe
oder die Erfüllung der Volkswirtschaftspläne;
2. die Tätigkeit der Organe des Staates oder gesellschaftlicher Organisationen;
3. die Verteidigungskraft oder die Verteidigungsmaßnahmen der Deutschen Demokratischen
Republik;
4. die Außenwirtschaftsmaßnahmen des sozialistischen Staates
unter Mißbrauch seiner Funktion oder beruflichen Stellung oder unter Umgehung der sich daraus
ergebenden
Pflichten
oder
durch
Irreführung
der
zuständigen
staatlichen
oder
volkswirtschaftlichen Organe oder durch andere Handlungen durchkreuzt oder desorganisiert, um
die sozialistische Staats- und Gesellschaftsordnung der Deutschen Demokratischen Republik zu
untergraben oder zu schwächen, wird mit Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren bestraft.
(2) Vorbereitung und Versuch sind strafbar.
(3) In besonders schweren Fällen kann auf lebenslängliche Freiheitsstrafe oder Todesstrafe
erkannt werden.“197
Auch hier zeigt sich erneut deutlich, dass die Strafbestimmungen im StGB vor allem erweitert
und textuell auf den ersten Blick expliziter gemacht wurden198, womit keinesfalls eine faktische
Kommentar StGB DDR 1981, § 104, 298.
Zum Vergleich: § 23 StEG Schädlingstätigkeit und Sabotage: „Wer mit dem Ziele, die Tätigkeit der staatlichen
Organe oder die Volkswirtschaft der Deutschen Demokratischen Republik zu untergraben oder den Aufbau des
Sozialismus zu stören, es unternimmt, staatliche oder genossenschaftliche Einrichtungen oder Betriebe in ihrer
197
198
58
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Entwicklung des politischen Strafrechts in der DDR
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Eingrenzung des Tatbestandes, sondern im Gegenteil eine Ausweitung erreicht wurde. Zunächst
erscheint der Text konkretisiert worden zu sein, bei genauerer Betrachtung jedoch, wird es
schwer die eigentlich strafbare Handlung zu finden. Schroeder bezeichnet § 104 als Paradebeispiel für
bewusste Unschärfe bzw. „eine Anhäufung von abstrakten und unscharfen Begriffen“199 Es
bleibt beispielsweise absolut unklar, was genau eine „Umgehung der sich [aus der beruflichen
Tätigkeit] ergebenden Pflichten“ oder auch der „Mißbrauch seiner beruflichen Stellung“ genau
beinhaltet. Jegliche nur denkbare Handlung wird hingegen mittels der Formulierung „oder durch
andere Handlungen“ pönalisiert. Hierdurch werden im Prinzip alle anderen Beschreibungen
zuvor hinfällig, was erneut an Absurdität grenzt. Ebenso unscharf ist die Beschreibung dessen,
was durch jegliche Handlung durchkreuzt werden kann. Von der planmäßigen Entwicklung eines
kleinen Betriebes bis hin zur gesamten Volkswirtschaft oder den Außenwirtschaftsmaßnahmen die Angaben sind so vage und damit schier unbegrenzt, dass der kreativen Interpretation der
Justizorgane keine Grenzen gesetzt sind. „Wenn man will, „durchkreuzt“ jeder kleine Schmuggel
die Außenwirtschaftsmaßnahmen, jede kleine Flapsigkeit gegenüber einem Volkspolizisten die
Tätigkeit der Staatsorgane und jede Nichterfüllung von Planaufgaben die planmäßige
Entwicklung der Betriebe.“200 Das entscheidende Kriterium für die Einstufung einer Tat als
Straftat
ist
dem
Gesetzestext
entsprechend
„um
die
sozialistische
Staats-
und
Gesellschaftsordnung zu untergraben oder zu schwächen“. Es wird demnach keine wirkliche
Schädigung verlangt, sondern es reichen eine Schwächung oder Untergrabung, wodurch die Anzahl der
möglichen strafbaren Handlungen entscheidend angehoben wird. Schroeder verweist in diesem
Zusammenhang zudem darauf, dass eine Untergrabung oder Schwächung vor allem in
Kombination mit der Unschärfe des gesamten Paragrafens einfach zu konstruieren ist.201
Der darauffolgende § 105 bestraft den sogenannten Staatsfeindlichen Menschenhandel – hier findet
sich also die Weiterentwicklung des § 21 StEG. Bereits der Titel des Straftatbestandes lässt eine
Verschärfung erkennen. Aus der „Verleitung zum Verlassen der DDR“ ist nun also
Menschenhandel mit staatsfeindlichem Hintergrund geworden und damit ging selbstverständlich
auch eine Erhöhung des Strafmaßes einher. Der Wortlaut des neuen Paragrafen lautete wie folgt:
geordneten Tätigkeit zu behindern, wird mit Zuchthaus bestraft; auf Vermögenseinziehung kann erkannt werden.“,
Gesetzblatt der DDR, Nr. 78, 23.12.1957, 645.
199 Vgl. F.-C. Schroeder, Strafrecht, 82/83.
200 Ibidem, 83.
201 Ibidem, 84.
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„(1) Wer
1. um die Deutsche Demokratische Republik zu schädigen;
2. im Zusammenhang mit den in § 97 genannten Stellen oder Personen Bürger der Deutschen
Demokratischen Republik ins Ausland abwirbt, verschleppt, ausschleust oder deren Rückkehr
in die Deutsche Demokratische Republik verhindert oder in sonstiger Weise an der Tat
mitwirkt, wird mit Freiheitsstrafe nicht unter zwei Jahren bestraft.
(2) Vorbereitung und Versuch sind strafbar.
(3) In besonders schweren Fällen kann auf lebenslängliche Freiheitsstrafe erkannt werden.“202
Bezüglich des Strafmaßes wird deutlich, dass im Vergleich zum Gesetz von 1957, eine
Minimumstrafe von zwei Jahren angesetzt wird und nun auch die Möglichkeit der besonderen
Schwere mit lebenslänglicher Freiheitsstrafe eingeräumt wird. Dies war bisher nicht möglich.
Darüber hinaus ist der Wortlaut im Vergleich zu § 21 StEG203 entscheidend verkürzt, aber im
Ton verschärft. Aus dem „Verleiten“ bzw. Anwenden von „beeinflussenden Methoden“ ist nun
ein „Verschleppen“ und „Ausschleusen“ geworden, wodurch der Tatbestand als solches weitaus
krimineller erscheint. Die Tat muss laut Gesetzestext „im Zusammenhang mit den in § 97
genannten Stellen oder Personen“ erfolgen, also eine ausländische Instanz jeglicher Art; ein
Nachweis der staatsfeindlichen Gesinnung dieser Instanz und der damit in Verbindung
stehenden Personen jedoch, so erläutert der Kommentar, „ist nicht erforderlich“.204 Diese
Erläuterung entkräftet jedes Argument für einen staatsfeindlichen Charakter des Tatbestands und
beweist zudem, dass mittels dieses Paragrafs vor allem Fluchthelfer und nicht staatsfeindliche
Menschenhändler bestraft werden sollten. Eine staatsfeindliche Gesinnung brauchte nicht
bewiesen zu werden und kann daher auch nicht Hintergrund der Verordnung sein. Dennoch
wurde dem Tatbestand ein äußerst staatsfeindlicher Charakter zugeschrieben.
Der letzte Paragraf, der zu den Verbrechen gegen die Deutsche Demokratische Republik
gezählt wird und der an dieser Stelle genannt werden soll, ist § 107. Er stellt den
verfassungsfeindlichen Zusammenschluss unter Strafe. Auch hier wird die uferlose Gesetzgebung des
neuen StGB deutlich. Die Verordnung lautet folgendermaßen:
„(1) Wer einer Vereinigung, Organisation oder einem sonstigen Zusammenschluß von Personen
angehört, die sich eine verfassungsfeindliche Tätigkeit zum Ziele setzen, wird mit Freiheitsstrafe
von zwei bis zu acht Jahren bestraft.
Kommentar StGB DDR 1981, § 105, 300.
Vgl. hierzu die Ausführungen auf den Seiten 42-48 in dieser Arbeit.
204 Kommentar StGB DDR 1981, § 105, Anm. 1, 301.
202
203
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Entwicklung des politischen Strafrechts in der DDR
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(2) Wer einen verfassungsfeindlichen Zusammenschluß herbeiführt oder dessen Tätigkeit
organisiert, wird mit Freiheitsstrafe von drei bis zu zwölf Jahren bestraft.
(3) Wer einen verfassungsfeindlichen Zusammenschluß fördert oder in sonstiger Weise
unterstützt, wird mit Freiheitsstrafe von einem bis zu fünf Jahren bestraft.
(4) Der Versuch ist strafbar.“205
Laut Gesetzgeber richtet sich der Tatbestand gegen die „oft vom imperialistischen Ausland
gesteuerte“206 Bestrebung, Zusammenschlüsse jeglicher Art mit verfassungsfeindlichem
Hintergrund herbeizuführen, konsequent zu unterbinden. Der Tatbestand ist aber erneut so
weitgefasst, dass eher davon auszugehen ist, dass er ebenso wie viele der zuvor besprochenen
Tatbestände vor allem dazu gedacht war, Politisch-Andersdenkenden, den Mund verbieten zu
können und sie hart zu bestrafen. Schroeder merkt an, dass mittels dieser Rechtsnorm bereits
zwei Personen, die sich an einem Abend treffen, um über Politik zu diskutieren wegen des
Verstoßes gegen § 107 verhaftet und verurteilt werden könnten.207 Ein Zusammenschluss
entstehe nämlich bereits beim Zusammentreffen zweier Personen zum Zwecke einer
Einzelaktion.208
Straftaten gegen die staatliche Ordnung (Kapitel 8, Besonderer Teil)
Die in diesem Kapitel aufgenommenen politischen Tatbestände erscheinen bei genauerer
Betrachtung als allesamt Auffangtatbestände für die oben genannten Staatsverbrechen aus dem
zweiten Kapitel. Die Autoren des neuen Strafgesetzbuches haben hier noch „Zusatztatbestände
geschaffen, die äußerlich ähnliche Verhaltensweisen erfassen“.209
§ 213 ahndet den Ungesetzlichen Grenzübertritt und bildet damit zugleich eine der
prägnantesten Gesetzesvorschriften. Der Bau der Mauer am 13. August 1961 sollte das Problem
der Abwanderung in der DDR, das bis dahin stetig größer wurde und dadurch schließlich
unumgänglich, ein für alle Mal lösen. Sie unterstützte darüber hinaus die ideologisch beabsichtigte
totale Abschottung gegenüber dem Westen. Jeglicher (versuchte) unerlaubte Grenzübertritt
bedeutete daher einen Schlag ins Gesicht der Arbeiter-und-Bauern-Macht, die auf diese Weise
versuchte, ihrer Macht zu konsolidieren. Daher ist es nicht verwunderlich, dass für das
Staatsverbrechen § 105 Staatsfeindlicher Menschenhandel auch ein Auffangtatbestand geschaffen
Kommentar StGB DDR 1981, § 107, 306.
Kommentar StGB DDR 1981, § 107, Anm. 1, 306.
207 Vgl. F.-C. Schroeder, Strafrecht, 89.
208 Vgl. Kommentar StGB DDR 1981, § 107, Anm. 2, 306.
209 F.-C. Schroeder, Strafrecht, 81.
205
206
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Entwicklung des politischen Strafrechts in der DDR
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wurde. Die bloße Menge von Absätzen und zugehörigen Ziffern in der Verordnung lassen bereits
auf weitläufige ungenaue Regelungen schließen, unter der möglichst viele strafbare Handlungen
subsummiert werden konnten:
„(1) Wer widerrechtlich die Staatsgrenze der Deutschen Demokratischen Republik passiert oder
Bestimmungen des zeitweiligen Aufenthalts in der Deutschen Demokratischen Republik sowie
des Transits durch die Deutsche Demokratische Republik verletzt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu
zwei Jahren oder mit Verurteilung auf Bewährung, Haftstrafe oder mit Geldstrafe bestraft.
(2) Ebenso wird bestraft, wer als Bürger der Deutschen Demokratischen Republik rechtswidrig
nicht oder nicht fristgerecht in die Deutsche Demokratische Republik zurückkehrt oder staatliche
Festlegungen über seinen Auslandsaufenthalt verletzt.
(3) In schweren Fällen wird der Täter mit Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu acht Jahren
bestraft. Ein schwerer Fall liegt insbesondere vor, wenn
1. die Tat Leben oder Gesundheit von Menschen gefährdet;
2. die Tat unter Mitführung von Waffen oder unter Anwendung gefährlicher Mittel oder
Methoden erfolgt;
3. die Tat mit besonderer Intensität durchgeführt wird;
4. die Tat durch Urkundenfälschung (§ 240), Falschbeurkundung (§ 242) oder durch Mißbrauch
von Urkunden oder unter Ausnutzung eines Verstecks erfolgt;
5. die Tat zusammen mit anderen begangen wird;
6. der Täter wegen ungesetzlichen Grenzübertritts bereits bestraft ist.
(4) Vorbereitung und Versuch sind strafbar.
Anmerkung: Zuwiderhandlungen gegen die gesetzlichen Bestimmungen oder auferlegte
Beschränkungen über Ein- und Ausreise oder Aufenthalt können in leichten Fällen als
Ordnungswidrigkeit verfolgt werden.“210
Die Verordnung diente, wie bereits erwähnt, dem Schutz der Staatsgrenze.211 Vor allem aber
sollte sie die Abwanderung verhindern, wie aus den Absätzen 1 und 2 hervorgeht. Absatz 3
bestraft die sogenannte Republikflucht, die unter dem Deckmantel des ungesetzlichen
Grenzübertritts verschleiert wird. Die Strafandrohung von bis zu acht Jahren Freiheitsstrafe
macht deutlich, dass es sich hier nicht um einen harmlosen Verstoß gegen Ordnungsmaßnahmen
handelt.212 Unter Absatz 3 werden in nicht weniger als sechs Ziffern die Möglichkeiten
aufgezählt, die den ungesetzlichen Grenzübertritt zu einer Tat mit besonderer Schwere machen
können. Die Formulierungen sind schon sehr weit gefasst, aber der Kommentar macht deutlich,
Kommentar StGB DDR 1981, § 213, 504/505.
Vgl. Ibidem, § 213, Anm. 1, 505.
212 Vgl. auch: F.-C. Schroeder, Strafrecht, 90.
210
211
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dass die Möglichkeiten „nicht erschöpfend aufgezählt“213, also quasi unerschöpflich sind. Diese
Formulierung ebnet auch bezügliche dieses Tatbestand den Weg für rechtliche Willkür. Die
Erhöhung der Strafen für das Verlassen der Republik oder der Fluchthilfe spiegeln die sukzessive
Einschränkung der Menschenrechte in der DDR wieder, die sich im Zuge der
Machtkonsolidierung der Regierung vollzog. Schroeder bezeichnet den Umgang der staatlichen
Behörden mit dem Problem Abwanderung in der DDR dann auch als „die [Vorstellung] des
feudalen Absolutismus, bei der dem Fürsten ein „Bestand an Untertanen“ gehörte.214 So ist es
dann auch nicht verwunderlich, dass nach diesem Paragrafen in den 70er und 80er Jahren die
meisten politischen Häftlinge abgeurteilt wurden.215
§ 214 stellte die Beeinträchtigung staatlicher und gesellschaftlicher Tätigkeit unter Strafe. Dabei
handelt es sich laut des Gesetzestextes um die „Beeinträchtigung der Tätigkeit der staatlichen
Organe durch Gewalt oder Drohung“ oder das „öffentliche Bekunden einer bzw. Auffordern zur
Missachtung von Gesetzen“216. Die Tat wurde mit Freiheitstrafe bis zu drei Jahren geahndet, bei
Mittäterschaft einer zweiten Person selbst mit bis zu fünf Jahren. Bereits der Versuch war
strafbar. Der Paragraf selbst ist in seinen Formulierungen erneut eine Anhäufung undeutlicher
Begriffe217, bei denen es schwer fällt zu erkennen, was genau unter Strafe gestellt wird. In jedem
Fall musste die Handlung eine sein, die die „öffentliche Ordnung gefährdet“218. Laut Kommentar
bezieht sich diese Formulierung auf „solche Fälle, in denen der Täter in der Öffentlichkeit oder
gegenüber staatlichen Organen und deren Vertretern in demonstrativer Weise, kategorisch und
provokatorisch die Gesamtheit oder einzelne Gesetze der DDR herabwürdigt und z.B.
ankündigt, sie als ungültig bzw. für ihn nicht verbindlich zu betrachten.“219 Es sollen also die
neuen Gesetze vor öffentlicher Kritik geschützt werden. Anhand der praktische Implementierung
dieser Verordnung durch die Justizorgane wird ersichtlich, dass auch § 214 erneut zur
Eindämmung der Fluchtbewegung eignete bzw. als Abschreckung für Bürger gelten sollte, die
Kommentar StGB DDR 1981, § 213, Anm. 7, 507.
F.-C. Schroeder, Strafrecht, 90.
215 Vgl. J. Raschka, Überwachung, 81.
216 Vgl. Kommentar StGB DDR 1981, § 214, 510.
217 § 214 StGB: „(1) Wer die Tätigkeit staatlicher Organe durch Gewalt oder Drohungen beeinträchtigt oder in einer
die öffentliche Ordnung gefährdenden Weise eine Mißachtung der Gesetze bekundet oder zur Mißachtung der
Gesetze auffordert, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Verurteilung auf Bewährung, Haftstrafe,
Geldstrafe oder mit öffentlichem Tadel bestraft. (2) Ebenso wird bestraft, wer gegen Bürger wegen ihrer staatlichen
oder gesellschaftlichen Tätigkeit oder wegen ihres Eintretens für die öffentliche Ordnung und Sicherheit mit
Tätlichkeiten vorgeht oder solche androht. (3) Wer zusammen mit anderen eine Tat nach den Absätzen 1 oder 2
begeht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren bestraft. (4) Ist die Tatbeteiligung von untergeordneter Bedeutung,
kann der Täter mit Verurteilung auf Bewährung, Haftstrafe oder Geldstrafe bestraft werden. (5) Der Versuch ist
strafbar., Kommentar StGB DDR 1981, § 214, 510.
218 Vgl. Kommentar StGB DDR 1981, § 214, 510.
219 Ibidem, § 214, Anm. 4, 511.
213
214
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eine Ausreise oder Flucht planten bzw. sie in Erwägung zogen. Der Historiker Johannes Raschka
weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass § 214 auf „Ausreiseantragssteller zielte, die
öffentlich für ihr Anliegen eingetreten waren.“220 So kam es z.B. zu Demonstrationen von
Ausreisewilligen. Dabei ist es wichtig zu wissen, dass die bürokratische Prozedur der eines
solchen Ausreiseantrags sich über Jahre hinziehen konnte.
Der Paragraf bildet neben § 220, der ebenfalls noch besprochen werden wird, einen
Auffangtatbestand für minder schwere Fälle, bei denen die Klassifizierung als Staatsverbrechen
nicht möglich war und somit § 106 wegen Staatsfeindlicher Hetze nicht angewendet werden
konnte. Auch das Höchststrafmaß weist darauf hin.
§ 218 bestrafte den Zusammenschluss zur Verfolgung gesetzeswidriger Ziele und bereits der Name
macht deutlich, dass dieser Paragraf einen Auffangtatbestand für § 107 bildete. Auch der
Wortlaut der Verordnung unterstreicht diese „Verwandtschaft“:
„(1) Wer eine Vereinigung
oder Organisation bildet oder gründet oder einen sonstigen
Zusammenschuß von Personen herbeiführt, fördert oder in sonstiger Weise unterstützt oder
darin tätig wird, um gesetzeswidrige Ziele zu verfolgen, wird, sofern nicht nach anderen
Bestimmungen eine schwerere Strafe vorgesehen ist, mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren,
Verurteilung auf Bewährung, mit Haftstrafe oder mit Geldstrafe bestraft.
(2) Rädelsführer werden mit Freiheitsstrafe von einem bis zu acht Jahren bestraft.
(3) Der Versuch ist strafbar.
Anmerkung: Eine andere unbefugte Gründung oder Förderung der Tätigkeit von Vereinigungen
ohne gesetzeswidrige Zielstellung kann als Ordnungswidrigkeit verfolgt werden.“221
Die Verordnung diene dem „strafrechtlichen Schutz sowohl vor nicht zugelassenen organisierten
Personenzusammenschlüssen […] als auch vor Ausnutzung eines legalen Zusammenschlusses zu
gesetzeswidriger Tätigkeit“222, so der Kommentar. Mit anderen Worten: Jegliche unliebsame
Vereinigung soll mit rechtlichen Mitteln bekämpft werden können. Die Abgrenzung zu § 107
ergäbe sich aus der Zielstellung des Täters223, d.h. wenn keine eindeutig staatsfeindliche
Motivation nachgewiesen werden kann, so kann mittels dieser Vorschrift dennoch Anklage
erhoben werden, was die Charakteristik eines Auffangtatbestandes eindeutig wiedergibt. Darüber
hinaus kann man sogar davon ausgehen, dass die Formulierung „sofern nicht nach anderen
J. Raschka, Überwachung, 81.
Ibidem, § 218, 520.
222 Ibidem, § 218, Anm. 1, 520.
223 Vgl. Ibidem, § 218, Anm. 7, 521.
220
221
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Bestimmungen eine schwerere Strafe vorgesehen ist“ bereits im Gesetzestext auf das
Staatsverbrechen nach § 107 verweist.
§ 219 bildete einen Auffangtatbestand für die §§ 99 und 100, indem es die Ungesetzliche
Verbindungsaufnahme wie folgt unter Strafe stellt:
„(1) Wer zu Organisationen, Einrichtungen oder Personen, die sich eine gegen die staatliche
Ordnung der Deutschen Demokratischen Republik gerichtete Tätigkeit zum Ziele setzen, in
Kenntnis dieser Ziele oder Tätigkeit in Verbindung tritt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf
Jahren, Verurteilung auf Bewährung oder mit Geldstrafe bestraft.
(2) Ebenso wird bestraft
1. wer als Bürger der Deutschen Demokratischen Republik Nachrichten, die geeignet sind, den
Interessen der Deutschen Demokratischen Republik zu schaden, im Ausland verbreitet oder
verbreiten läßt;
2. wer Schriften, Manuskripte oder andere Materialien, die geeignet sind, den Interessen der
Deutschen Demokratischen Republik zu schaden, unter Umgehung von Rechtsvorschriften an
Organisationen, Einrichtungen oder Personen im Ausland übergibt oder übergeben läßt.
(3) Der Versuch ist im Falle des Absatzes 2 Ziffer 2 strafbar.“224
Auch dieser Paragraf besteht fast ausschließlich aus vagen Formulierungen, die eine uferlose
Rechtsprechung zulassen. Im Prinzip werden hier die gleichen Taten unter Strafe gestellt wie in
den §§ 99 und 100, mit dem Unterschied, dass die Beschreibung der jeweils notwendigen
Bestandteile, um von einer Straftat sprechen zu können, noch weitläufiger und ungenauer
formuliert worden sind, so dass sich die Verordnung auf ein größeres Spektrum von Handlungen
anwenden lässt. Klare Bedingungen, die im Falle einer Straftat erfüllt sein müssen sucht man hier
vergeblich. Ebenso vage fällt dann auch die Erklärung der Kommentars aus, der zur Abgrenzung
zu den oben genannten Staatsverbrechen lediglich besagt, dass diese sich aus „den Adressaten
und den Tatmotiven“225 ergibt. Sehr wohl deutlich wird aus dem Kommentar, dass diese
Bestimmung, dem Zwecke dient, jegliche Art von Verbindung zu unterbinden, die ungeachtet
ihrer Motivation in irgendeiner Weise einen staatsfeindlichen Zweck erfüllen könnte.226 In diesem
Sinne ist es dann auch nicht erforderlich, dass durch die Verbreitung von Nachrichten nach
Absatz 2 Ziffer 2 bereits ein Schaden entstanden sei227 – die Möglichkeit bilde das entscheidende
Kommentar StGB DDR 1981, § 219, 521.
Ibidem, § 219, Anm. 8, 523.
226 Vgl. Kommentar StGB DDR 1981, § 219, Anm. 1, 522.
227 Vgl. Ibidem, § 219, Anm. 4, 522.
224
225
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Kriterium. Der hierdurch vom Gesetzgeber festgelegte Interpretationsspielraum kann also nur als
absolute Willkür bezeichnet werden.
§
220
Öffentliche
Herabwürdigung228
formte,
wie
bereits
erwähnt,
einen
der
Auffangtatbestände für § 106, der staatsfeindliche Hetze unter Strafe stellt. Auch dieses Gesetz ist
überaus ausschweifend formuliert – den vielen Worten steht jedoch wenig Konkretes im Inhalt
gegenüber. Den Unterschied zur Hetze leitet der Gesetzgeber aus der Art der Handlung ab.
Während bei Hetze, „aufgewiegelt“ bzw. „diskriminiert“ wird, besteht die Tat bei § 220 nur im
„Herabwürdigen“ der gleichen öffentlichen Instanzen bzw. Personen, wie sie auch in § 106
benannt werden. Dabei definiert der Kommentar „Diskriminieren“ als „die feindliche gezielte
Herabwürdigung“229
der
im
Gesetz
benannten
Personen
bzw.
Organisationen
und
„Herabwürdigen“ wiederum als „die in Wort und Schriftform oder in sonstiger Weise (Ton, Bild,
Gestik) zum Ausdruck gebrachte Darlegung von Unwahrheiten“230. Sie sei somit „eine Art
Verächtlichmachung, die auch durch Verleumden begangen werden kann“231. Eine klare
Abgrenzung wird vom Gesetzgeber nicht gegeben und ist angesichts dieser Definitionen auch
unmöglich. Wann genau „diskriminiert“ und wann „herabgewürdigt“ wird bleibt absolut unklar
und gibt damit erneut viel Raum zur individuellen Interpretation.
Der Fall von Gudrun L. verdeutlicht, dass auch § 220 gegen jegliche Art von Kritik
eingesetzt wurde. Frau L. wurde 16. August 1979 vom Stadtgericht-Berlin Lichtenberg zu einer
einjährigen Freiheitsstrafe ohne Bewährung verurteilt. Sie hatte im April desselben Jahres in
einem Interview mit einem ARD-Reporter ihre Unzufriedenheit über die Einführung der
sogenannten „Forum-Schecks“232 geäußert. Das Interview wurde ausgestrahlt und ein Kollege
erkannte Gudrun L, woraufhin er die Staatssicherheit informierte und Gudrun L. wegen
„Öffentlicher Herabwürdigung“ verhaftet wurde. Die Unterlagen des MfS bestätigen, dass
ähnlich wie im Fall von Karl-Heinz Nitschke der Prozessverlauf einschließlich des Urteils der
§ 220 StGB DDR: „(1) Wer in der Öffentlichkeit die staatliche Ordnung oder staatliche Organe, Einrichtungen
oder gesellschaftliche Organisationen oder deren Tätigkeit oder Maßnahmen herabwürdigt, wird mit Freiheitsstrafe
bis zu drei Jahren oder mit Verurteilung auf Bewährung, Haftstrafe, Geldstrafe oder mit öffentlichem Tadel bestraft.
(2) Ebenso wird bestraft, wer Schriften, Gegenstände oder Symbole, die geeignet sind, die staatliche oder öffentliche
Ordnung zu beeinträchtigen, das sozialistische Zusammenleben zu stören oder die staatliche oder gesellschaftliche
Ordnung verächtlich zu machen, verbreitet oder in sonstiger Weise anderen zugängliche macht. (3) Ebenso wird
bestraft, wer in der Öffentlichkeit Äußerungen faschistischen, rassistischen, militaristischen oder revanchistischen
Charakters verwendet, verbreitet oder anbringt. (4) Wer als Bürger der Deutschen Demokratischen Republik die Tat
nach Absatz 1 oder 3 im Ausland begeht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren, Verurteilung auf Bewährung
oder mit Geldstrafe bestraft.“, Kommentar StGB DDR 1981, § 220, 523.
229
Kommentar StGB DDR 1981, § 106, Anm. 5, 303.
230 Ibidem, § 220, Anm. 3, 524.
231 Ibidem.
232„Forum Schecks“ konnten ab den 16. April 1979 bei den Banken der DDR gegen D-Mark erworben werden, um
sie in den Intershops gegen Waren einzutauschen. Zuvor war der Einkauf in diesen Läden auch mit Bargeld möglich.
228
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einjährigen Freiheitsstrafe bereits vor Prozessbeginn festgesetzt war.233 Von einer unabhängigen
Justiz kann angesichts dieser Kasus keine Rede sein. Dabei darf nicht außer Acht gelassen
werden, dass diese Fälle nicht etwa Ausnahmen bilden, sondern exemplarisch sind für die
alltägliche Justizpraxis in der DDR.
Resümierend lässt sich für das Strafgesetzbuch von 1968 festhalten, dass neben einer
allgemeinen Erhöhung der jeweiligen Strafmaßnahmen, für das politische Strafrecht vor allem die
folgenden Auffälligkeiten festzustellen sind: Klassische Tatbestände, wie z.B. Hochverrat sind
ausgeweitet worden und erfassen dadurch eine größere Anzahl von strafbaren Handlungen.
Neuartige Tatbestände wurden aus dem sowjetischen Recht übertragen. Hierzu zählen die
Tatbestände „Sabotage“ und „Diversion“, die seit der Zeit der Besatzung zur Anwendung
kamen, aber nun mit der Aufnahme in das erste Strafgesetzbuch vollends etabliert wurden. Die
politischen Straftatbestände werden nahezu generell als Unternehmensdelikte klassifiziert, bei
allen hier besprochenen Straftatbeständen sind Vorbereitung und Versuch bzw. nur der Versuch
strafbar. Eine Entwicklung, die seit der ersten Bestrebungen im Wirtschaftsstrafrecht 1948 im
Strafrecht, und speziell im hier untersuchten politischen Strafrecht, konsequent fortgesetzt und
ausgebaut wurde. Hieraus kann man eine auf Gesinnung des Täters und weniger auf Vollendung
der Tat und dem daraus entstandenen Schaden ausgerichtete Entwicklung des politischen
Strafrechts erkennen. Zum Vergleich: In der Bundesrepublik Deutschland ist lediglich der
Hochverrat (§ 83) als Unternehmensdelikt festgesetzt.234 Darüber hinaus wurden für das neue
StGB scheinbar unpolitische Auffangtatbestände geschaffen, die unter dem Deckmantel der
Ordnungsverletzungen festgelegt wurden, deren Strafmaß jedoch deutlich macht, dass es sich
nicht bloß um derartige Verstöße handelt. Die politischen Straftatbestände in den sogenannten
Staatsverbrechen sind gekennzeichnet von einer auffälligen Unschärfe, die der Justiz einen schier
unendlichen Handlungsspielraum eröffnen und die Möglichkeit der Willkür einräumt. Diese
allgemeine Unschärfe wird durch die Weitläufigkeit der Formulierungen in den entsprechenden
Auffangtatbeständen noch zusätzlich vergrößert. Zuletzt ist aus den politischen Straftatbeständen
die Absicht der totalen Abschottung gegenüber dem westlichen Ausland erkennbar.
Vgl. Raschka, Überwachung, 104.
Vgl. Beck`sche Kurz-Kommentare, Strafgesetzbuch und Nebengesetze, Bd. 10, (München 2003), Besonderer Teil, § 83
Vorbereitung eines hochverräterischen Unternehmens, 710.
233
234
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Schlussfolgerung
Zusammenfassend lässt sich für die Entwicklung des politischen Strafrechts in der DDR
festhalten, dass die ersten politisierten Paragrafen während der Periode der SBZ dem
Besatzungsrecht (SMAD-Befehl 160 und Kontrollratsdirektive 38) und dem Wirtschaftsstrafrecht
entstammten. Bereits in dieser Phase konnten die Verordnungen auf Grund undeutlicher
Tatbestandsabgrenzungen und der damit verbundenen Interpretationsspielräume für die
Justizorgane für politische Zwecke genutzt werden. Dabei ist auffällig, dass die sowjetische
Besatzungsmacht den in den Vorschriften gewährleisteten Handlungsspielraum nahezu direkt
politisierte und zur Konsolidierung des neuen kommunistischen Systems nutzte. Hinzu kamen
Interpretationsschwierigkeiten bei den aus dem russischen Recht entlehnten Tatbeständen
„Diversion“ und „Sabotage“ bei den ostdeutschen Justizorganen, welche eine willkürliche
Auslegung
dieser
Wirtschaftsrechts
Tatbestände
ist
begünstigte.
festzuhalten,
dass
Bezüglich
dieses
das
der
nach
politischen
dem
Krieg
Färbung
des
entstandene
„Gesetzesvakuum“ auf dem Gebiet der politischen Justiz ausfüllten sollte. Wirtschaftsverbrechen
wurden von der Besatzungsmacht dementsprechend schnell als Verbrechen gegen die neue
demokratische Ordnung interpretiert und erhielten so eine politische Einfärbung. Die
Kontrollratsdirektive Nr. 38 füllte das angesprochene Gesetzesvakuum hinsichtlich des
politischen Strafrechts dann vollends aus und kann auf Grund ihrer Auslegung und Anwendung
in der Ost-Zone als das erste rein politische Regimeschutzgesetz verstanden werden. Von Anfang
an ist damit am Agieren der Führung der Ostzone erkennbar, dass diese einen Einsatz der
strafrechtlichen Möglichkeiten zur Durchsetzung und späteren Sicherung ihrer Macht benutzte
und damit das Strafrecht zum Werkzeug ihrer Politik instrumentalisierte.
Angesichts des sozialistisch-kommunistischen Rechtsverständnisses und dessen obersten
Prinzip der Sozialistischen Gesetzlichkeit ist diese Instrumentalisierung jedoch nicht
ungewöhnlich, sondern vielmehr selbstverständlich. Sie wird sogar aus dem diesem
Rechtsverständnis heraus gerechtfertigt. Das Prinzip der sozialistischen Gesetzlichkeit beinhaltet
diese Instrumentalisierung des Rechts im Allgemeinen und somit auch des Strafrechts zur
Durchsetzung parteipolitischer Interessen. Das Recht hatte die Aufgabe, die in der DDR
lebenden Bürger zu aktiven Mitglieder der sozialistischen Gemeinschaft zu erziehen. Die
Grundlagen dafür wurden durch die Parteibeschlüsse und die darin formulierten Ziele
geschaffen. Das Recht hatte sich an den daraus resultierenden Anforderungen zu orientieren.
Subjektive, im Verwaltungsrecht geregelte, einklagbare Rechte werden aus dieser Theorie
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bedeutungslos. Der stark politisierte, erzieherische und ermahnenden Charakter des Strafrechts
hingegen formt die logische Konsequenz dieser Auffassung.
Die vorliegende Arbeit zeigt trotz ihres überblicksartigen Aufbaus, dass die SED als
Inhaber der Macht in der DDR sich dieses Prinzip gänzlich zu eigen machte und in konsequent
anwendete. Bis zum Inkrafttreten des ersten DDR-Strafgesetzbuches, dass dieses Prinzip der
sozialistischen Gesetzlichkeit in all seinen Vorschriften beinhaltete, sollten zwar noch mehr als 20
Jahre seit der Gründung der DDR vergehen – bis dahin behalf sich die DDR-Justiz jedoch mit
dem Verfassungsartikel 6 (2), der auf Grund der unpräzisen Tatbestandswidergabe schier
unendliche Möglichkeiten der politischen Strafverfolgung bot und auch dementsprechend gegen
wahre und vermeintliche Systemgegner eingesetzt wurde. Der Verfassungsartikel sollte mit seinen
harten Strafmöglichkeiten die „innere Läuterung“ derjenigen bewirken, die offenbar noch keine
guten Sozialisten geworden waren oder dies nicht werden wollten. Die in dieser Arbeit
geschilderten Fälle können dabei nur einen bescheidenen Eindruck der tatsächlichen uferlosen
politischen Justiz geben, die mittels dieses Artikels ausgeübt wurde.
Das 1957 eingeführte Strafrechtsergänzungsgesetz schaffte schließlich mithilfe von
weiteren ungenauen Tatbeständen noch mehr Raum für die bereits maßlose justizielle Willkür
„im Namen des Sozialismus“ und sorgte für eine weitere Politisierung der Straftatbestände.
Neben einer Verschärfung der Gesetzeslage findet sich im StEG erstmals auch eine Zweiteilung
der
Tätergruppen
entsprechend
ihrer
Gesellschaftsgefährlichkeit
nach
sozialistischem
Verständnis: nämlich solchen, die noch zu guten sozialistischen Bürgern erzogen werden können
und jenen Tätern, die sich gegen die Gesellschaftsordnung gewendet haben und somit die volle
Härte der Justiz zu spüren bekommen. Diese Zweiteilung verdeutlicht zudem den deutlich
erzieherischen Zweck des Strafrechts im Sozialismus. Entsprechend dieser Auffassung
kennzeichnet sich das politische Strafrecht der DDR zudem durch eine Koppelung des Gewichts
einer Straftat an die entsprechenden wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Verhältnisse. Die
Darstellung der Entwicklung der politisch gefärbten strafrechtlichen Paragrafen hat in diesem
Zusammenhang gezeigt, dass in Zeiten, in denen die politische Führung der DDR unter Druck
stand, die Justizapparat mit einer ideologischen Verschärfung der Gesetzeslage sowie dem
Ausschöpfen der maximalen Strafzumessung bzw. einer Erhöhung der entsprechenden Strafen
reagierte. Dies gilt nicht nur für die Regierungsperiode unter Walter Ulbricht, die vorrangig als
Periode der politischen Unterdrückung verstanden wird, sondern auch die die Zeit der
politischen Entspannung unter Erich Honecker ab 1971. Denn obwohl die DDR in dieser Zeit
auf dem internationalem Parkett politische Anerkennung erwarb und sich z.B. mittels der
Unterzeichnung der KSZE-Schlussakte von Helsinki 1975 zur Achtung international erklärter
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Menschenrechte verpflichtete, zeigen zahlreiche Schicksale von beispielsweise ausreiswilligen
DDR-Bürgern, dass innerhalb der Staatsgrenzen des SED-Staates keinesfalls von Entspannung
gesprochen werden kann. Im Gegenteil – in dieser Phase funktionierte der indoktrinierte
Staatsapparat bezüglich der Bekämpfung von „Systemgegnern“ ausgezeichnet, schließlich waren
dieser Periode doch bereits Jahre intensiver ideologischer Erziehung vorausgegangen und
funktionierte
der
Behördenapparat
ausgezeichnet.
Die
entsprechenden
Maßnahmen
konzentrierten sich in dieser Periode zwar zunächst auf die „Zersetzung“ politischer Gegner
bereits im Vorfeld einer politischen Strafverfolgung, also z.B. durch berufliche oder
bildungstechnische Sanktionen.235 Wenn dies aber nicht den gewünschten erzieherischen Effekt
hatte, dann setzt die SED-Führung wie gehabt auf die politische Justiz.
Kennzeichnend für alle politischen Strafrechtsparagrafen, also auch die der späteren
Jahre, ist die mehrfach angesprochene Uferlosigkeit, die den Behörden schier unbegrenzten
Handlungsspielraum bot und für die Betroffenen zusätzlich für Unsicherheit sorgte, da sie bis
zum Prozess oft nicht wussten, wegen welchen Verbrechens sie angeklagt werden würden –
schließlich gab es vor allem seit der Einführung des Strafgesetzbuches 1968 mehrere Paragrafen,
die sich ähnelnde Delikte pönalisierten.
Die signalisierte kontinuierliche Verschärfung des politischen Strafrechts im Laufe der Jahre
verkörpert in daher die stetig wachsende Instrumentalisierung des Strafrechts durch die
Machthaber, die sich an den Erfordernissen der Gesellschaft orientierten. Die Neuerungen und
Ausweitungen der entsprechenden Verordnungen im politischen Strafrecht spiegeln somit den
immer größer werdenden Kontroll- und Abschreckungszwang der DDR-Regierung wieder, der
sich auf Grund der sich nicht bessernden innenpolitischen Stimmung der Bevölkerung ergab. Die
SED-Führung musste immer wieder feststellen, dass ihre Bürger mit dem „sozialistischen
Paradies“ unzufrieden waren und die Stimme erhoben oder das Land zu verlassen suchten. Weil
selbst hohe Mauern und Stacheldraht diesem Problem keine befriedigende Abhilfe schaffen
konnten und ihrer Bürger nicht vor den „Verlockungen des Westens“ bewahrten, versuchte die
verzweifelt schon früh und mit wachsender Intensität auch den Geist ihren Bürger mit den
Mitteln des Strafrechts buchstäblich „einzumauern“ und so eine totale Abschottung
herbeizuführen. Dabei machte sie sich von je her massiver Menschenrechtsverletzungen schuldig.
Das politische Strafrecht der DDR schützte somit mit repressiven und unmenschlichen
Maßnahmen eine Gesellschaftsordnung, die entgegengesetzt ihres Bestimmung nicht zum Schutz
des Volkes fungierte, sondern zum Schutz der Macht der selbsterwählten Hüter dieser Ordnung.
235
Vgl. J. Raschka, Überwachung, 129-131.
70
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Aus den Analysen dieser Arbeit geht hervor, dass die Verschärfung des politischen
Strafrechts in der DDR gekoppelt war an gesellschaftliche und politische Entwicklungen. Die
stetig größer werdende Pönalisierung der Ausreisegesuche von DDR-Bürgern sind hierfür
exemplarisch. Stellte das Strafrecht zunächst nur die illegale Ausreise unter Strafe, so wurde auf
Grund der steigenden Ausreiseantragssteller und Fluchtversuche sukzessive auch die legale Bitte
um Ausreise strafrechtlich verfolgt, so dass Mitte der 1970er Jahre sowohl die (versuchte) Flucht,
die Beihilfe zur Flucht als auf der legale Antrag auf Ausreise strafbar waren. Die vorliegende
Arbeit konnte sich aufgrund ihrer Zielstellung jedoch nicht ausgiebig dem Aspekt der innensowie außenpolitischen Einflüsse auf das Strafrecht widmen. Es wäre daher interessant, in einer
Folgeuntersuchung genau dieser Frage nachzugehen. In wie weit also hatten innenpolitische
Entwicklungen und außenpolitische Faktoren Einfluss auf die Ausweitung und Anwendung des
politischen Strafrechts? Aus der hier vorgelegten Arbeit lassen sich Tendenzen erkennen –
beispielsweise die Zuspitzung der Ausreisebewegung und der entsprechenden Reaktion der Justiz
nach der Unterzeichnung der KSZE-Schlussakte. Generalisierende Aussagen sind aber aufgrund
der hier gewählten Herangehensweise schwierig und bedürfen einer umfangreicheren Studie.
Dafür sollten die Parteibeschlüsse der SED, die strafrechtlichen Entwicklungen und
internationale Ereignisse miteinander abgeglichen und auf eventuelle Zusammenhänge
untersucht werden.
Darüber hinaus bot der Rahmen dieser Arbeit nur geringfügigen Raum für die
Vorbildfunktion der sowjetischen Rechtspraktiken für die juristische Herausbildung des
sozialistischen Rechts in der DDR. Eine detaillierte Analyse dieses Aspekts könnte weiteren
Aufschluss über die Implementierung ursprünglich russischen Rechts in die ostdeutsche
Rechtspraxis bieten. Dieser Untersuchung dieses Aspekts eignet sich dabei ausgezeichnet für eine
transfergeschichtliche Betrachtungsweise. Dabei sollte die Frage zentral stehen, welche
rechtswissenschaftlichen Auffassungen dem sowjetischen Rechtsverständnis und Rechtssystem
entlehnt wurden und welche Konsequenzen sich daraus ergaben. Eine entsprechende
Untersuchung könnte sich dabei auf das (politische) Strafrecht konzentrieren, aber auch eine
umfassendere Betrachtung, einschließlich anderer juristischer Bereiche wäre denkbar. Auch die
Strafprozessordnung sollte hierbei nicht außer Acht gelassen werden, schließlich hat diese Arbeit
gezeigt, dass beispielsweise Schauprozesse aus der Rechtspraxis der russischen Besatzer in die
DDR transferiert wurden, obwohl diese im deutschen Recht nicht üblich waren.
Innerhalb der Transfergesichte könnten die Ergebnisse dieser Arbeit zudem für den
Vergleich der justiziellen Praxis bezüglich des politischen Strafrechts in den anderen SatellitStaaten der Sowjetunion dienen. Eine Untersuchung der strafrechtlichen Entwicklung in
71
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beispielsweise Tschechien oder Ungarn und eventueller sowjetischer Einflüsse diesbezüglich
könnte weitere Aufschlüsse über das sozialistische Rechtsverständnis und den damit
verbundenen Folgen für das politische Strafrecht geben. Darüber hinaus kann untersucht werden
ob die Besatzungsmacht einen ähnlichen Einfluss auf die Rechtsanwendung in anderen
osteuropäischen gehabt hat oder ob die rechtswissenschaftlichen Unterschiede aus der kulturell
näheren Verwandtschaft heraus, von geringerem Ausmaß sind. Die aus den oben genannten
Untersuchungsmöglichkeiten gewonnenen Erkenntnisse könnten selbst in eine allgemeine
komparative Studie zum politischen Strafrecht in den Mitgliedstaaten der Sowjet-Union münden.
Die Ergebnisse der vorliegenden überblicksartigen Darstellung der Entwicklungen
bezüglich des politischen Strafrechts als Instrument der Machtkonsolidierung geben angesichts
der
Fülle
von
interessanten
Aspekten
Anlass
zu
rechtswissenschaftlichen Untersuchungen auf diesem Gebiet.
72
weiteren
geschichts-
sowie
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