1/10 Wasser aus der Sicht der Chemie Die Reaktionen von Wasser Factsheet 1 Einführung Fast alle chemischen Vorgänge von Lebewesen finden im Wasser statt. In solchen, aber auch in vielen weiteren in wässrigem Milieu stattfindenden Reaktionen ist die Rolle des Wassers nicht auf die des Lösemittels für Reaktanden begrenzt, die dadurch in Kontakt kommen können. Wassermoleküle oder Bestandteile des Wassers (OH-- oder H+-Ionen) nehmen oft selber als Edukt oder als Katalysator an der Reaktion teil. Einige einfache Reaktionen mit alltäglicher Bedeutung werden nachfolgend erklärt. 2 Die Zersetzung von Wasser Wie bereits erwähnt ist der irdische Wasserstoff fast immer mit weiteren Elementen verbunden – am häufigsten mit Sauerstoff in Form von Wassermolekülen.1 Grund dafür ist die höhere Stabilität der Wasserstoff- und Sauerstoffatome in gebundener als in elementarer Form. Diese Tatsache kann gut aufgezeigt werden, wenn die Enthalpieänderung der Bildung von Wasser aus seinen Elementen untersucht wird: 2 H2 + O 2 → 2 H2O Die gewöhnliche Weise, Enthalpieänderungen im Verlauf einer Reaktion darzustellen, ist in Form eines Energiediagrammes: In einer solchen Graphik wird die Energie des reagierenden Systems (yAchse) gegen den Verlauf der Reaktion, was als Reaktionskoordinate bezeichnet wird ( x-Achse), aufgetragen. Die Reaktionskoordinate ist nicht mit der Zeit zu verwechseln. Für die Wassersynthese sieht das Energiediagramm wie folgt aus (Abb. 3-1). Übergangzustand Energie Ea 2 H 2 + O2 E = - 572 kJ/mol 2 H 2O Reaktionskoordinate Abb. 3-1. Energiediagramm der Synthese von Wasser aus seinen Elementen. Wie aus dem Diagramm hervorgeht, besitzt das Reaktionsprodukt (d.h. die zwei Wassermoleküle) weniger Energie als die Edukte (ein Sauerstoff- und zwei Wasserstoffmoleküle). In anderen Worten, die zwei Wassermoleküle besetzen ein niedrigeres Energieniveau als das Sauerstoff- und die zwei Wasserstoffmoleküle zusammen. Während der Reaktion muss also Energie (572 kJ/mol) in Form von Wärme aus dem System abgegeben werden. Die Synthese ist also ein exothermer Vorgang. Als Reaktionsenergie E wird die Gesamtdifferenz zwischen der Energie E der Produkte und derjenigen der Edukte bezeichnet: 1 Siehe „2 Die Elemente von Wasser“ im E-Dossier Wasser „Das Wassermolekül“ E-Dossier Wasser: Wasser aus der Sicht der Chemie PHBern 2012, www.phbern.ch 2/10 E = E (Produkte) – E (Edukte) E (2 H2O) ist niedriger als E (2 H2 + O2), infolgedessen ist E negativ bei einer exothermen Reaktion. Es gibt aber auch Reaktionen, in der die Energie der Produkte höher als die der Edukte ist. Die Reaktion ist endotherm mit einem positiven E-Wert. Auch wenn die Wassersynthese viel Energie freisetzt, verläuft die Reaktion bei Raumtemperatur nicht spontan. Eine Mischung aus Wasserstoff und Sauerstoff (Knallgas) benötigt eine kleine Aktivierung z.B. in Form eines Funkes oder einer Flamme zum Reagieren. Die ersten Sauerstoff- und Wasserstoffmoleküle, die zusammen reagieren, setzen innerhalb einer sehr kurzen Zeit so viel Energie frei, dass die weiteren Moleküle gleich aktiviert werden usw. Im Ganzen betrachtet verläuft die Gesamtreaktion innerhalb einiger Hundertstelsekunden unter Freisetzung einer riesigen Menge Energie, was soviel heisst, dass es explodiert! Die nötige Aktivierung einer Reaktion ist auch aus ihrem Energiediagram ersichtlich. Diese Aktivierungsenergie E a (auch Aktivierungsbarriere genannt) entspricht dem Unterschied zwischen der Energie der Ausgangssubstanzen und der des so genannten Übergangzustand (Zustand höherer Energie in einem Prozess). Die Aktivierungsenergie stellt eine Schwelle potentieller Energie zwischen Edukten und Produkten dar. Um eine Reaktion zu machen, muss das System diesen Potentialberg überwinden. Die riesige Menge Energie, die bei der Verbrennung von Wasserstoff freigesetzt wird, ist durch zwei Bilder im Gedächtnis der Menschheit behalten. Das größte und berühmteste Zeppelin-Luftschiff war die "Hindenburg". Sie explodierte am 6. Mai 1937 bei der Landung im US-amerikanischen Lakehurst (Bild links2). Das Space Shuttle "Challenger" zerbrach 73 Sekunden nach dem Start am 28. Januar 1986 (Bild rechts3). Eine kurze Video (2:54) erklärt in Details was in diesen 73 Sekunden passierte4. Um sich die Bedeutung der Reaktionsenergie der Wassersynthese (-572 kJ/mol) aus Wasserstoff vorzustellen, kann der Vergleich mit anderen bekannten Brennstoffen gemacht werden: Aus einer angegebenen Masse irgendeines bekannten Brennstoffes setzt nur die Kernreaktion von 235Uran mehr Energie frei als die Verbrennung von Wasserstoff (Tabelle 3-1). 2 Bild: http://web.ard.de/galerie/content/nothumbs/default/838/html/1121_7980.html (besucht am 20.03.2012) 3 Bild: http://beyrent.net/category/categories/shuttle (besucht am 20.03.2012) 4 Video: http://www.youtube.com/watch?v=4RMkA8j9rH0 (besucht am 20.03.2012) E-Dossier Wasser: Wasser aus der Sicht der Chemie PHBern 2012, www.phbern.ch 3/10 Tabelle 3-1. Vergleich der Reaktionsenergien ausgewählter Substanzen Substanz (Reaktion) Reaktionsenergie 235Uran (Kernreaktion) Wasserstoff (Verbrennung) Benzin (Hexan) (Verbrennung) Kohlenstoff (Verbrennung) Ethanol (Verbrennung) Holz (Zellulose) (Verbrennung) 72‘000‘000‘000 kJ/kg 143‘000 kJ/kg 48‘000 kJ/kg 33‘000 kJ/kg 30‘000 kJ/kg 18‘000 kJ/kg Diese Eigenschaft ist nicht die einzige, die Wasserstoff als Energiequelle so interessant macht. Seine Benutzung als Brennstoff produziert absolut keine Schadstoffe (nur Wasser!), solange Wasserstoff mit reinem Sauerstoff und nicht mit Luft verbrannt wird. Im letzten Fall kann die Temperatur etwa 2300°C erreichen. Ab einer Temperatur der Luft von ca. 500°C werden schon Stickstoffoxide (NO x) produziert: sie entstehen aus der Reaktion des Stickstoffes der Luft (ca. 80 %) mit dem Sauerstoff (ca. 20 %), welche durch die riesige freigesetzte Energie erst ermöglicht wird: N2 + O 2 N2 + 2 O 2 → 2 NO → 2 NO2 Eine saubere Verbrennung von Wasserstoff kann mit einer Brennstoffzelle erzielt werden, wobei elektrischer Strom produziert wird 5. Eine weitere Möglichkeit ist die Verbrennung von Wasserstoff mit reinem Sauerstoff: Im richtigen Verhältnis der beiden Elemente können Temperaturen über 3000°C erreicht werden. Wasserstoff kann fast überall eingesetzt werden, wo bis heute andere Gase benötigt werden. Elementarer Wasserstoff ist auf der Erde kaum vorhanden und muss also produziert werden, aber wie? Die grösste Wasserstoffquelle ist Wasser. Durch eine Zersetzung in seine Elemente, erhält man reinen Wasserstoff: 2 H2O → 2 H2 + O 2 Die Problematik besteht im hohen Energieaufwand, den diese Reaktion erfordert. Energiediagramm ist genau das Spiegelbild von dem der Wassersynthese (Abb. 3-2). Das Energie Übergangzustand 2 H 2 + O2 Ea E = + 572 kJ/mol 2 H 2O Reaktionskoordinate Abb. 3-2. Energiediagramm der Zersetzung von Wasser in seine Elemente. Wie aus dem Diagramm hervorgeht, ist die Reaktionsenergie gleich gross wie die der Wassersynthese jedoch mit entgegengesetztem Vorzeichnen, also positiv. Für jedes Mol produzierten Wasserstoffes müssen dem System also +572 kJ zugefügt werden. Zudem ist die Aktivierungsenergie sehr hoch. Für die thermische Zersetzung von Wasser müssen Temperaturen von ca. 2000°C erreicht werden. 5 http://www.bfe.admin.ch/themen/00507/00508/index.html?lang=de (besucht am 20.03.2012) E-Dossier Wasser: Wasser aus der Sicht der Chemie PHBern 2012, www.phbern.ch 4/10 Die Benutzung elektrischen Stromes ist zur Zersetzung von Wasser besser geeignet. Bei der Wasserelektrolyse wird mit Hilfe eines Generators und zwei Elektroden ein Stromfluss durch eine leitende wässrige Lösung erzeugt. August Wilhelm von Hofmann hat eine Apparatur (Abb. 3-36) zur Demonstration dieses Versuches entwickelt und in seinem Buch beschrieben 7. Mit einer leicht modifizierten Hofmannschen Apparatur wird noch heute die Wasserelektrolyse am besten demonstriert (Abb. 3-4).8 Da reines Wasser den Strom schlecht leitet, wird eine wässrige Lösung eines Elektrolytes (z.B. 1 M H 2SO4) für die Elektrolyse verwendet. In der linken sowie der rechten Säule befindet sich je eine Elektrode, gewöhnlich aus Platin, die mit einem externen Strom-Generator verknüpft ist. Abb. 3-3. Originale Hofmannsche Apparatur. Abb. 3-4. Schematische Darstellung der Wasserelektrolyse mit einer Hofmannschen Apparatur. Ohne Strom (Abb. 3-4a) passiert nichts. Sobald mit dem Generator eine Spannung erzeugt wird (Abb. 3-4b), bilden sich auf beiden Elektroden kleine Gasblasen, die in den entsprechenden Säulen hochsteigen. Nach einiger, von der Spannung abhängigen, Zeit ist in jeder Säule ein unterschiedliches Gasvolumen entstanden (Abb. 3-4c), das im Verhältnis 1:2 zueinander steht. Die Säule in der Mitte dient zur Ausdehnung der Flüssigkeit (wegen des Drucks der beiden Gasvolumina). Die beiden Gase können durch Öffnung des Hahnes z.B. in einem Reagenzglas gesammelt werden. Das Gas, welches in kleinerer Menge (linke Säule) vorhanden ist, kann als Sauerstoff (Glühspan Reaktion9) nachgewiesen werden. Das Gas, welches in grösserer Menge (rechte Säule) vorhanden ist, kann als Wasserstoff (Knallgas Reaktion 9) nachgewiesen werden. Die gleiche Stoffmenge irgendeines Gases wird bei identischen Bedingungen (Druck, Temperatur usw.) ein gleiches Volumen besetzen. Das Wasserstoffvolumen ist zweimal grösser als das des Sauerstoffes: Es hat sich also die doppelte Stoffmenge Wasserstoff im Vergleich zum Sauerstoff gebildet, was vollständig mit der Stöchiometrie der chemischen Gleichung übereinstimmt: 2 H2O → 2 H2 + O 2 6 Bild: http://www.sciencemuseum.org.uk/images/I014/10270082.aspx (besucht am 20.03.2012) A. W. von Hofmann, Introduction to Modern Chemistry: Experimental and Theoretic; Embodying …, Walton and Maberly, London, 1865. 8 Siehe Video „Wasserelektrolyse mit dem Hofmannschen Gerät“ im E-Dossier „Wasser aus der Sicht der Chemie“ 9 Siehe Video „Wasserelektrolyse mit dem Hofmannschen Gerät“ im E-Dossier „Wasser aus der Sicht der Chemie“ 7 E-Dossier Wasser: Wasser aus der Sicht der Chemie PHBern 2012, www.phbern.ch 5/10 Welche Reaktion findet aber auf der Oberfläche jeder Elektrode statt? An der positiven Elektrode (Anode) werden Elektronen e- aufgenommen, was Wassermoleküle zu Sauerstoff oxidieren lässt. An der negativen Elektrode (Kathode) werden Elektronen abgegeben, die Wassermoleküle zu Wasserstoff reduzieren: An der Anode: An der Kathode: → O2 + 4 H+ + 4 e2 H2O + 2 e- → H2 + 2 OH2 H2O Die Anzahl der abgegebenen Elektronen muss jene der aufgenommenen ausgleichen: Aus diesem Grund muss die Gleichung an der Kathode zunächst mit zwei multipliziert werden, damit im nächsten Schritt die zwei Gleichungen addiert werden können: An der Anode: An der Kathode: Addition: → O2 + 4 H+ + 4 e- │ 2 H2O + 2 e- → H2 + 2 OH- │∙2 2 H2O ──────────────────── 6 H2O + 4 e- → 2 H2 + O2 + 4 OH- + 4 H+ + 4 e- Die Gleichung wird vereinfacht, indem 4 e- und 4 H2O (4 OH- + 4 H+ = 4 H2O) auf jeder Seite gestrichen werden: 2 H2O → 2 H2 + O2 → d.h. genau die richtige Gleichung der Zersetzung. Es ist möglich, eine einfache Elektrolyse von Wasser mit Alltagsmaterial durchzuführen. Der Versuch wird später im Detail erklärt.10 Die Wasserelektrolyse ist derzeit, wegen ihrer Kosten im Vergleich mit anderen Methoden (z.B. Dampfreformierung11), nicht das Hauptverfahren zur Wasserstoffproduktion. 3 Reaktion mit Metallen Viele Metalle (M) sind auf der Erde nicht gediegen aber häufig als Metalloxide (MO) zu finden, d.h. in Verbindungen mit dem Sauerstoff-Ion O2-. Grund dafür ist die höhere Stabilität dieser Metalloxide. Sie können auf verschiedene Weise gebildet werden, unter anderem durch eine Reaktion mit Wasser. Nebst dem Metalloxid entsteht dabei gasförmiger Wasserstoff: M + H 2O → MO + H2↗ Mit der Bezeichnung “ ↗” gibt man an, dass die betreffenden Stoffe im gasförmigen Zustand gebildet werden und deswegen oft gleich entweichen. Anstelle von “ ↗” wird auch die Bezeichnung “(g)” (von engl. gaseous) gebraucht. Abhängig von der Wertigkeit der Metallelemente (+1, +2, +3, usw.) muss die Stöchiometrie der Reaktion angepasst werden: Beispiele: → Na2O + H2↗ Natrium (Na+): 2 Na + H2O Barium (Ba2+): Ba + H2O Eisen (Fe3+): 2 Fe + 3 H2O → BaO + H2↗ → Fe2O3 + 3 H2↗ Siehe Video „Wasserelektrolyse mit Alltagsmaterial“ im E-Dossier „Wasser aus der Sicht der Chemie“ 11 Siehe weiter im Text „7.1 Die Dampfreformierung“ 10 E-Dossier Wasser: Wasser aus der Sicht der Chemie PHBern 2012, www.phbern.ch 6/10 Je nach Metall verläuft die Reaktion sehr unterschiedlich: Elektropositive Metalle (d.h. solche mit sehr niedrigen Elektronegativitäten) wie Alkali- oder Erdalkalimetalle (Gruppe 1 und 2 des Periodensystems) reagieren bei Raumtemperatur mit Wasser spontan und teils heftig bis explosiv: Nur die Feuchtigkeit in der Luft reicht oft schon zur Reaktion. Andere Metalle, wie z.B. Eisen benötigen eine Aktivierung, meist in Form von Wärme, um mit Wasser reagieren zu können. Bei Edelmetallen (Gold, Platin usw.) jedoch, findet auch mit viel Wärme keine Reaktion statt. In Wirklichkeit ist das Endprodukt der Reaktion eines Metalls mit Wasser so gut wie nie ein Metalloxid. Grund dafür ist, dass Wasser fast immer in Überschuss vorhanden ist, und Metalloxide reagieren mit diesem Überschuss unter Entstehung eines Metallhydroxids gleich weiter 12. Eine meist nicht erwünschte chemische Reaktion von vielen Metallgegenständen ist ihre Korrosion, welche für viele (Umwelt)Katastrophen verantwortlich ist. Als Beispiele können die Explosion 1984 in Bhopal eines durch Korrosion beschädigten Lagertanks für Methylisocyanat (Zahl der Todesopfer: 5‘000 bis 10‘000) oder die Ölpest 1989 wegen des korrodierten Erdöltanks Exxon Valdez genannt werden. Bei der Metallkorrosion entstehen Verbindungen mit NichtMetallen, gewöhnlich mit Sauerstoff. Anders gesagt bilden am häufigsten Metalloxide. Am bekanntesten ist sicher die Rostbildung: 4 Fe + 3 O2 → 2 Fe2O3 (roter Rost) Auch wenn Wasser in dieser chemischen Gleichung nicht erscheint, spielt es eine zentrale Rolle in dieser Reaktion. In trockener Luft reagieren die Metalle erst bei hohen Temperaturen mit Sauerstoff. Die spontane Rostbildung bei Raumtemperatur wird von der Feuchtigkeit ermöglicht und besteht aus einer Reihenfolge mehrerer Schritte. Die beiden ersten Schritte sind Redox-Reaktionen, in denen aus dem Metall zunächst Eisen(II)- und danach Eisen(III)-Hydroxid gebildet werden: 2 Fe + O2 + 2 H2O → 2 Fe(OH)2 4 Fe(OH)2 + O2 + 2 H2O → 4 Fe(OH)3 Abhängig davon, ob die nachfolgende Wasserabspaltung vollständig oder nur teilweise verläuft, bildet sich schliesslich Rost entweder als Fe2O3 oder als FeO(OH). 2 Fe(OH)3 Fe(OH)3 → Fe2O3 + 3 H2O → FeO(OH) + H2O Die Korrosion von Metallgegenständen kostet viel: Pro Jahr werden über 30 Milliarden Franken ausgegeben, nur um korrodierte Metallelemente zu ersetzen. Ein Drittel der jährlichen Eisenproduktion wird nur für den Ausgleich der durch Rost entstandenen Verluste verwendet. 12 Siehe weiter im Text „4 Reaktion mit Metalloxiden“ E-Dossier Wasser: Wasser aus der Sicht der Chemie PHBern 2012, www.phbern.ch 7/10 4 Reaktion mit Metalloxiden Sofern Metalloxide zumindest leicht in Wasser löslich sind, reagieren sie mit diesem und bilden sogenannte Hydroxide, d.h. Verbindungen mit dem OH--Ion: MO + H2O ⇄ M(OH)2 Je nach Wertigkeit der Metallelemente (+1, +2, +3, usw.) muss die Stöchiometrie der Reaktion angepasst werden: Beispiele: K+ : K2 O + H 2 O ⇄ 2 KOH Sr2+: SrO + H2O ⇄ Sr(OH)2 Al3+: Al2O3 + 3 H2O ⇄ 2 Al(OH)3 Bei vielen dieser Reaktionen wird eine sehr grosse Menge Wärme freigesetzt. Ein berühmtes Beispiel eines solchen Oxids ist Calciumoxid CaO (auch als „gebrannter Kalk“ bekannt): CaO + H2O ⇄ Ca(OH)2 Die Reaktion setzt so viel Energie frei, dass in der Vergangenheit Schiffe aus Holz beim Transport des Calciumoxids auf dem Weg Feuer gefangen haben und gesunken sind13. Deswegen wurde die Reaktion mit Wasser vor dem Transport durchgeführt und das Calciumoxid als “gelöschter Kalk” Calciumhydroxid Ca(OH)2 transportiert. Nach der Fahrt konnte das Wasser mit Wärme wieder entfernt und das Calciumoxid zurückgewonnen werden. Nachdem Metalloxide mit Wasser Metallhydroxide gebildet haben, und wenn sie einigermassen in Wasser löslich sind, entsteht eine basische (alkalische), wässrige Lösung (wegen der gelösten Hydroxid-Ionen): M(OH)2 ⇄ M2+ (aq) + 2 OH- (aq) Mit der Bezeichnung “(aq)” gibt man an, dass die betreffenden Stoffe in Wasser (eng. aqueous) gelöst sind. 5 Reaktion mit Nichtmetallen Die meisten Nichtmetalle machen keine spontane Reaktion mit Wasser. Zu erwähnen sind nur die giftigen Halogene (Elemente der 17. Gruppe). Wenn gasförmiges Fluor, das Element mit der grössten Elektronegativität, durch Wasser geblasen wird, oxidiert das Wasser und nebst Flusssäure (Fluorwasserstoff) entsteht gasförmiger Sauerstoff: 2 F2 (g) + 2 H2O → 4 HF (aq) + O2↗ Die anderen Halogene sind nicht fähig, Wasser zu oxidieren. Durch Auflösen von Chlorgas (Cl 2) entsteht Chlorwasser, in welchem nun eine reversible Zersetzung des Chlors in Chlorwasserstoff HCl, besser bekannt als Salzsäure und hypochlorige Säure HOCl stattfindet: Cl2 (g) + H2O ⇄ H+ (aq) + Cl- (aq) + HOCl (aq) Die starke Salzsäure liegt in dissoziierter Form (H+ + Cl-) und die schwache hypochlorige Säure meist als HOCl Moleküle vor. Inwiefern sich das Chlor zersetzt, ist stark vom pH-Wert der Lösung abhängig. Je grösser der pH-Wert (basisches Milieu), desto vollständiger die Zersetzung. Es wurde ausführlich erklärt, wie Wasserstoff durch die Elektrolyse von Wasser produziert werden kann14. Durch eine Reaktion von Wasser mit Kohle kann auch Wasserstoff erzeugt werden: C (s) + H2O → CO (g) + H2 (g) Diese Reaktion verläuft jedoch nicht spontan und benötigt eine grosse Menge Wärme. 13 14 J. Harrington, Australian Historical Archeology, 1996, 14, 19. Siehe oben im Text „2 Die Zersetzung von Wasser“ E-Dossier Wasser: Wasser aus der Sicht der Chemie PHBern 2012, www.phbern.ch 8/10 6 Reaktion mit Nichtmetalloxiden Wenn Nichtmetalloxide wie Stickstoffoxide, Kohlendioxid, Phosphorsäure oder Schwefeloxide sich in Wasser lösen, reagieren sie mit diesem und bilden sogenannte anorganische Säuren wie z.B. Salpetersäure, Kohlensäure, Phosphorsäure oder Schwefelsäure: Salpetersäure aus Distickstoffpentoxid: Kohlensäure aus Kohlendioxid: Phosphorsäure aus Diphosphorpentoxid: Schwefelsäure aus Schwefeltrioxid: ⇄ 2 HNO3 (aq) CO2 (g) + H2O ⇄ H2CO3 (aq) P2O5 (s) + 3 H2O ⇄ 2 H3PO4 (aq) SO3 (g) + H2O ⇄ H2SO4 (aq) N2O5 (s) + H2O Nachdem Nichtmetalloxide mit Wasser anorganische Säuren gebildet haben, dissoziieren sie und setzen Hydronium-Ionen (H3O+) frei. Wenn die Konzentration der H3O+-Ionen steigt, wird die Lösung saurer und der pH-Wert sinkt. Wenn die Säure sich nahezu vollständig dissoziiert, wird sie als starke Säure bezeichnet (z.B. Salpetersäure oder Schwefelsäure). Wenn die Säure sich nur teilweise dissoziiert, wird sie als schwache Säure bezeichnet (z.B. Kohlensäure oder Phosphorsäure): Dissoziation der Schwefelsäure (starke Säure): → H3O+ + NO3H2SO4 + H2O → H3O+ + HSO4- Dissoziation der Kohlensäure (schwache Säure): H2CO3 + H2O Dissoziation der Salpetersäure (starke Säure): HNO3 + H2O Dissoziation der Phosphorsäure (schwache Säure): H3PO4 + H2O ⇄ ⇄ H3O+ + HCO3H3O+ + H2PO4- Auch wenn die wässrige Chemie der Atmosphäre komplizierter ist, können wir die Bildung von saurem Regen vereinfacht mit diesen Gleichungen erklären. Verbrennungen (Heizung, Motoren, Abfälle, usw.) produzieren gasförmige Oxide wie Stickstoffoxide (sogenannte NOx), Schwefeloxide oder Kohlenstoffoxide. In Anwesenheit von flüssigem Wasser (Wolken oder Nebel) lösen sich diese Oxide unter Bildung von anorganischen Säuren (wie oben beschrieben). Die wichtigste einzelne Spezies in Wolken und Niederschlag ist wahrscheinlich das Hydronium-Ion (H3O+), dessen Konzentration mit dem pH-Wert angegeben wird15. Fast alle atmosphärischen Wassertröpfchen in der Natur sind sauer (typische pH-Werte 4,5-5,0). Meistens hat Regen, der in der Nähe städtischer Gebiete fällt, eher pH-Werte um 4,0. Wassertröpfchen in Wolken und im Nebel sind fast immer saurer als Regen, anscheinend deshalb, weil eine längere Lebensdauer und geringere Tröpfchengrössen die Verdünnung der sauren Bestandteile verhindern. In manchen Nebeln wie in Los Angeles wurden sogar pH-Werte der Tröpfchen von 1,7 gemessen, also nahe dem Wert von Batteriesäure! Es ist kein Wunder, dass Materialien, die solchen Nebeln ausgesetzt sind, sich schnell zersetzen. 7 Reaktionen mit organischen Verbindungen Auch wenn Wasser sehr häufig in der organischen Chemie gebraucht wird, wird es selten als echtes Edukt von Reaktionen eingesetzt. Wasser wird meist am Ende der Reaktion eingesetzt, um die Hydrolyse der Produkte oder unverbrauchter Reagenzien zu bewirken. In diesem Abschnitt werden deswegen nur zwei Reaktionen mit grosser Alltagsbedeutung dargestellt, in denen Wasser als echtes Edukt gebraucht wird. 15 Siehe „3 Sauer oder basisch?“ im E-Dossier Wasser „Die pH-Skala“ E-Dossier Wasser: Wasser aus der Sicht der Chemie PHBern 2012, www.phbern.ch 9/10 7.1 Die Dampfreformierung In einer Reaktion mit Wasser können Kohlenwasserstoffe wie z.B. Erdgas oder Moleküle längerer Ketten aus Erdöl als Rohstoffe zur Produktion von Wasserstoff verwendet werden. Dieses Verfahren ist als Dampfreformierung bekannt und derzeit die am weitesten verbreitete Methode zur Erzeugung von Wasserstoff. Etwa 90% der gesamten Wasserstoffherstellung erfolgt auf diese Weise. Der Prozess verläuft in mehreren Schritten. Langkettige Kohlenwasserstoffe (ab ca. zehn Kohlenstoffatome) können schlecht direkt in der Dampfreformierung eingesetzt werden. In einem Pre-Reformer werden sie zunächst in Methan CH4, Wasserstoff H2, Kohlenmonoxid CO und Kohlendioxid CO2 umgewandelt. Diese Reaktion mit Wasser benötigt Wärme (450-500°C) und Druck (25-30 bar). Das so hergestellte Methan und die kurzkettigen Kohlenwasserstoffe (z.B. Heptan C7H16) können dann in der Dampfreformierung eingesetzt werden. Diese Reaktion zu Wasserstoff wird mit einem Katalysator (Nickel), unter Druck (25-30 bar) und bei 800-900°C durchgeführt. Die chemischen Gleichungen der Dampfreformierung von Methan und Heptan lauten: → CO + 3 H2 C7H16 + 7 H2O → 7 CO + 15 H2 CH4 + H2O Da Kohlenmonoxid sehr giftig ist, wird es anschliessend durch die Wassergas-Shift-Reaktion zu Kohlendioxid und Wasserstoff umgewandelt, was wieder einen Katalysator (Eisen(III)-oxid), Druck und Wärme benötigt. CO + H2O → CO2 + H2 Werden die zwei Schritte des Verfahrens für Heptan addiert, sieht die Gesamtgleichung so aus: → 7 CO + 15 H2 Wassergas-Shift-Reaktion: 7 CO + 7 H2O → 7 CO2 + 7 H2 Dampfreformierung: C7H16 + 7 H2O __________________________________________________ Gesamtreaktion: C7H16 + 14 H2O → 7 CO2 + 22 H2 Die chemische Gleichung der Verbrennung von Heptan lautet: C7H16 + 11 O2 → 7 CO2 + 8 H2O Es ist nun ersichtlich, dass die Dampfreformierung eines Kohlenwasserstoffes genauso viel Kohlendioxid produziert wie seine Verbrennung. Diese Tatsache wird oft nicht erwähnt, wenn Wasserstoff als Lösung des Klimawandels präsentiert wird: Auch wenn seine Benutzung als Treibstoff keine Schadstoffe (nur Wasser!) produzieren soll, ist es bei seiner Herstellung ganz anders. Nur wenn Biomasse anstelle von Erdöl als Quelle der Kohlenwasserstoffe bei der Dampfreformierung verwendet wird, kann die Klimabilanz verbessert werden: So wird gleich viel Kohlendioxid freigesetzt wie zuvor beim Wachstum der Pflanzen aus der Atmosphäre aufgenommen wurde. 7.2 Alkohol Produktion Der breiten Öffentlichkeit ist die Herstellung von Ethanol durch Gärung sicher bestens bekannt. Ethanol wird industriell auch durch Addition von Wasser (Hydratation) an Ethen (ein Erdölprodukt) in grossen Mengen synthetisiert: H H C C H + H2O H Ethen H H OH C C H H H Ethanol E-Dossier Wasser: Wasser aus der Sicht der Chemie PHBern 2012, www.phbern.ch 10/10 Diese Weise Ethanol zu produzieren hat ihren Ursprung am Anfang des 19. Jahrhunderts und wurde ständig verbessert. Alkohole längerer Kette können ähnlich synthetisiert werden, wobei die OH Gruppe häufig nicht am Ende der Kette andockt: H H C H H C C H + H2O H H Propen H H C C H C H H OH H C C C H H H H 2-Propanol (Isopropanol) H H H C + H2O H 1-Buten H H H OH H C C C C H H H H 2-Butanol E-Dossier Wasser: Wasser aus der Sicht der Chemie PHBern 2012, www.phbern.ch H