«Licht und Schatten» Beim Konzertmotto «Licht und Schatten» stellt

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«Licht und Schatten»
Beim Konzertmotto «Licht und Schatten» stellt sich unwillkürlich die Frage: Hören und
Sehen – wie geht das zusammen? Es gibt bekanntlich synästhetisch veranlagte
Menschen, die beim Hören von Tönen eindeutige Farben assoziieren, und der Visionär
Alexander Skrjabin hat 1910 in die Partitur seiner Orchesterkomposition Prométhée. Le
poème du feu sogar eine Stimme für «Farbenklavier» hineingeschrieben. Doch obwohl
die Neurowissenschaft inzwischen von Verknüpfungen der für die verschiedenen
Sinneswahrnehmungen zuständigen Gehirnareale weiss: Was sich da genau abspielt, ist
noch längst nicht erforscht. Umso fruchtbarer haben sich synästhetische Assoziationen
aber schon immer im Kunstbereich, in Dichtung, Malerei und Musik, ausgewirkt. Im der
Aufklärung – auf Französisch «Les lumières» – war das Licht die Metapher schlechthin
für den Fortschritt der Menschheit. Im romantischen 19. Jahrhundert – siehe Wagners
Tristan – wurde es zum Symbol einer ins Innere verlagerten poetischen Welterkenntnis,
im Impressionismus zum Mittel einer neuen Wahrnehmung der Aussenwelt. Und im 20.
Jahrhundert? Da hat zum Beispiel Stockhausen seinen monumentalen Zyklus Licht
komponiert, und Anton Webern vertonte in seiner Kantate Das Augenlicht die Worte:
«Durch unsere offnen Augen fliesst das Licht ins Herz und strömt als Freude sanft
zurück aus ihnen.» Die Zeilen von Hildegard Jone sind auf seinem Grabstein
eingemeisselt.
Zwischen diesen Polen – innere Symbolik und äussere Wahrnehmung – spannt sich auch
das Bedeutungsfeld des Konzertmottos «Licht und Schatten», wobei die Vorstellung des
Hellen in dialektischer Weise auch die dunkle Kehrseite mit einschliesst. Ganz der
Nachtseite zugewandt ist das Werk des 1953 im süditalienischen Lecce geborenen Ivan
Fedele, was sich schon im Titel ausdrückt. Sein Notturno für elf Spieler steht in der
Tradition der geisterhaften Nachtstücke des 19. Jahrhunderts, doch ergänzt es deren
reine Poesie mit Klängen von körperhafter Konkretheit. Das leise, atmos-phärisch dichte
Stück entführt in eine Welt zwischen Wachen und Träumen, und mit ihrem stockenden
Atem und gelegentlich aufzuckenden Akzenten scheint die Musik die unbewussten
Bewegungen nachzuzeichnen, mit denen ein Schlafender auf seinen Traum reagiert. Die
hingehauchten Melodiefetzen der Altflöte sind in die halligen Klänge von Harfe,
Schlagzeug und Klavier eingebettet und werden von den beiden Klarinetten schattenhaft
verlängert. Die Streicher hüllen das Ganze mit leisen, lange gehaltenen Noten in einen
geheimnisvollen Schleier. Und wenn wie aus weiter Ferne einige Glockenschläge hörbar
werden, verschmelzen Innen und Aussen zu einer unwirklichen Realität.
Das Ensemble-Buch I für Bariton und 19 Instrumente, das der 1931 geborene Rudolf
Kelterborn 1990 im Alter von 59 Jahren schrieb, hat die Form eines symmetrisch
angelegten Zyklus in neun Teilen. Zwei -instrumentale «Sonatas» bilden den Rahmen,
und zwischen die drei zent-ralen, mit «Lichtmusik I, II und II» betitelten Gesängen sind
zwei schwarze Nachtstücke, ebenfalls rein instrumental, eingefügt. Licht und Schatten
wechseln auf engstem Raum. Vorlage und Inspirationsquelle für das Werk sind Gedichte
der Aargauer Lyrikerin Erika Burkart (1922–2010). Die Musik hat ihren Gehalt
vollkommen in sich aufgesogen, was auch für die instrumentalen Stücke gilt – es sind
sozusagen «Lieder ohne Worte». Licht in allen Intensitätsgraden ist ein Leitmotiv in den
Gedichten, die sprachgewaltig vom Verbrennen und vom Selbstverlust des Ichs in einer
sonnendurchglühten Welt erzählen. Ein heimliches Motto liefern die Worte, die der
einleitenden Instrumental-Sonata zugrundeliegen: «Was mich am stärksten verwandelt
habe? Immer wieder die Liebe, die mich erhöht und erniedrigt hat.» Die Worte zur
abschliessenden Sonata sprechen dagegen von Abschied und vom Wissen, «sich
wiederzufinden in einer anderen Spirale dessen, was sich da abspult als Leben». Die
schier erdrückenden Sprachbilder fängt der Komponist in einer ausdrucksstarken Musik
auf. Bei aller Nähe zum Text verfällt sie jedoch nie dem Pathos, sondern gewährt durch
einen kammermusikalisch aufgelichteten, oft sogar zum Solo verdünnten Satz Raum
zum Nachdenken und Luft zum Atmen. Man spricht oft von DER zeitgenössischen Musik,
als ob das eine gut überschaubare, stilistisch einheitliche Welt wäre. Doch Oberbegriffe
sind immer blind, und über die Musik unserer Gegenwart, in der sich die individuellen
Standpunkte extrem ausdifferenziert haben, sagen solche Pauschalisierungen nichts aus.
Ein dezidierter Individualist, der sich jeder Einordnung entzog, war der italienische
Komponist Niccolò Castiglioni, der 1996 im Alter von 64 Jahren in Mailand starb. Er
liebte die Berge, und in vielen seiner Werke ist etwas spürbar vom klaren Licht und der
frischen Alpenluft des oberen Südtirol, in dem er sich so gerne aufhielt. Über seine Musik
sagte er, sie drücke die Freude am Klang aus, «ähnlich dem Vergnügen, das man
empfindet, wenn man hoch oben im Gebirge in einen Bergbach hineintaucht». Diese
Freude am Klang steigert sich in seiner Musik oft zum Ausdruck einer sinnlich-geistigen
Erhebung. Helle, leuchtende Klangfarben in hoher Lage herrschen vor und erzeugen
einen lichtdurchfluteten Klangstrom. In Quilisma für Klavier und Streichquartett,
komponiert 1977, nimmt das die Form einer beinahe mystischen Klangerscheinung an.
Die Musik kreist in sich, es gibt keine Entwicklung, die Lautstärke ist permanent leise.
Eingebettet in ein lebhaftes Gewusel hoher Streicher-flageoletts, vollführt die ebenfalls
in höchster Lage angesiedelte Klavierstimme mit ihren Ornamenten einen ekstatischen
und zugleich subtil gestalteten Tanz. Mit Ornament hat auch der Titel zu tun. Der Begriff
«Quilisma» stammt aus der frühmittelalterlichen Notenschrift, wie sie am Kloster Sankt
Gallen gepflegt wurde, und bezeichnet eine Neume (ein Notenzeichen) mit
Verzierungscharakter.
Der 1934 in Nordengland geborene Peter Maxwell Davies gehört wie sein
Studienkollege Harrison Birtwistle zur Generation der Pioniere, die der Neuen Musik in
England zum Durchbruch verhalfen. Experimentelle Werke mit provokanten Themen,
Einflüsse der Musik aus Mittelalter und Renaissance, musikerzieherische Aktivitäten
und grosse Sinfonik verbinden sich bei ihm zu einem imposanten Lebenswerk. Von
starker Wirkung auf sein Schaffen war die rauhe Natur auf den Orkney Islands im
Norden Schottlands, wohin es ihn Anfang der siebziger Jahre zog. Ein halb zerfallenes
Bauernhaus baute er eigenhändig um, um hier in der Einsamkeit seine Werke zu
schreiben. Auch seine Ensemblekomposition A Mirror of Whitening Light ist hier
entstanden. Der Titel «Ein Spiegel von weissfärbendem Licht» ist die Übersetzung des
alchemistischen «speculum luminis dealbensis» und bezieht sich auf den
Bleichungsprozess, durch den angeblich ein Metall in Gold verwandelt werden kann,
aber auch auf einen Reinigungsprozess der Seele. Davies hat sich oft mit esoterischen
Traditionen befasst und – auch hier – die Zahlenfolgen magischer Quadrate zur
Konstruktion verwendet. Doch es gibt noch andere Anregungen. Davies sagt, er habe die
Idee dieses Titels, den er in einem Buch von C. G. Jung gefunden habe, sofort auf das Bild
der dramatischen Wellenbewegungen in der Bucht vor seinem Fenster übertragen, wo
Atlantik und Nordsee aufeinanderprallen: «Ein Schmelztiegel des sich ewig wandelnden,
wunderbaren Lichts, das sich in den Wellen tausendfach spiegelt.» Das Stück eröffnet
eine langsame Einleitung mit lose in den Raum gestellten musikalischen Gedanken. Mit
einem Fagottsolo beginnt dann eine lange Steigerung, die zu einem entfesselten
Höhepunkt führt. Die Form wird stabilisiert durch isorhythmische Strukturen und
Cantus firmus-Techniken. Mit ihren virtuosen Partien und mit -permanenten
Taktwechseln wie im Finale von Strawinskys Sacre fordert die Musik von Dirigent und
Spielern ein Höchstmass an Konzentration. Dann besänftigt sich das Geschehen, bevor
sich zum Schluss noch einmal eine grosse Welle an Energie aufbaut, die in einer Kaskade
von gleissenden Klängen zerstäubt. (Texte: Max Nyffeler)
Christian Schumann, Leitung
Christian Schumann wurde 1983 in Freiburg im Breisgau als Sohn unga-rischer Eltern
geboren. Er studierte an der Musikhochschule «Franz Liszt» in Weimar Dirigieren und
Komposition und erhielt im Abschlussjahr 2007 den Ersten Preis beim internationalen
Dirigier-Wettbewerb im Rahmen der Meisterklasse Yuri Simonov beim Liszt-Wagner
Orchester in Budapest. Seine Ausbildung wurde u.a. von Lehrern wie Pierre Boulez,
George Hurst, Mikhail Jurowski oder Kurt Masur geprägt. -Schumann assistierte zudem
bei Christoph v. Dohnanyi, Gustavo Dudamel, Peter Eötvös, Esa-Pekka Salonen, David
Stern und Frank Strobel. 2008/2009 war Christian Schumann Stipendiat der
‹Internationalen Allianz Academy for Conductors›. In Konzerten dirigierte Christian
Schumann u.a. folgende Klangkörper: Philharmonia Orchestra London, London
Philharmonic Orchestra, -Trondheim Symphony Orchestra, Symphonie-orchester des
Bayerischen Rundfunks, Ensemble Resonanz, Österreichisches Ensemble für Neue Musik
(OENM), Nationales Sinfonieorchester des polnischen Rundfunks Katowice. In den
letzten Jahren gastierte Christian Schumann u.a. an der Bayerischen Staatsoper in
München (2010/2011), im Konzerthaus Wien (2012), in der Philharmonie Luxemburg
(2012), im Teatr Wielki in Warschau (2013) und im Opernhaus Wroclaw (2014).
Robert Koller, Bariton
Der Bassbariton Robert Koller wurde in Basel geboren, studierte daselbst Komposition
an der Musik-Akademie und Sologesang an der HdKZ bei László Polgár. Seine starke
Bühnenpräsenz führte ihn in zahlreiche renommierte Konzerthäuser weltweit. Er
bestritt umfang-reiche Solopartien wie beispielsweise die Missa Solemnis im Wiener
Musikverein, «pas à pas...» von György Kurtág an der Grande Opéra de Genève oder
«Lunea» von Heinz Holliger an der Alten Oper Frankfurt und übernahm Hauptrollen in
mehreren zeitgenössischen Opernproduktionen u.a. in «Extravagancia» von Rafael
Spregelburd am Teatro Colon in Buenos Aires, «Nacht» von G.-F. Haas am Lucerne
Festival, und «El Cimarron» von H.-W. Henze an der Semperoper Dresden. Dabei
arbeitete er mit Dirigenten unterschiedlichster Prägung wie Andrea Marcon, Heinz
Holliger, Emilio Pomárico oder Jordi Savall zusammen. 2015/16 zeigt beispielhaft
Robert Kollers musikalische Wandlungsfähigkeit: Im Frühjahr sang er den Bass-Solopart
in Beethovens 9. Sinfonie in der Berliner Philharmonie, war im Spätsommer mit
Schuberts «Winterreise» in Tokyo zu hören, trifft im Herbst unter Heinz Holliger in der
Tonhalle Zürich auf und singt im folgenden Frühjahr die «Walpurgisnacht» mit dem
Tonhalleorchester Zürich.
Das Ensemble Boswil
Das Ensemble Boswil wurde im Jahr 2005 von Bettina Skrzypczak gegründet und begibt
sich jeden Herbst auf eine schweizweite Konzerttournee. Es besteht aus
fortgeschrittenen Studierenden, denen auf diese Weise der Einstieg in die Konzertpraxis
mit zeitgenössischer Musik erleichtert werden soll – das Programm wird jeweils unter
der Leitung eines Dirigenten von internationalem Format erarbeitet und aufgeführt – so
haben bereits Persönlichkeiten wie Jürg Wyttenbach, Peter Hirsch, Rüdiger Bohn,
Pierre-Alain Monot, Beat Furrer oder Zsolt Nagy das Ensemble ein Stück auf seinem Weg
begleitet. Das Künstlerhaus Boswil begreift die musikalische Nachwuchsförderung als
ein Schwerpunkt innerhalb seiner Aktivitäten und bietet dem Ensemble Boswil den
idealen Nährboden: Die einwöchige Résidence im «Ort der Musik» ermöglicht einerseits
die vertiefte Auseinandersetzung mit dem Repertoire und fördert andererseits den
sozialen Austausch zwischen den aufstrebenden MusikerInnen aus verschiedenen
Landesteilen. Die Projekte des Ensemble Boswil entstehen in enger Kooperation mit den
schweizerischen Musikhochschulen.
Programm
Ivan Fedele (*1953)
Notturno für 11 Instrumente (1988 / 2004)
Rudolf Kelterborn (*1931)
Ensemble-Buch I – ein Zyklus für Bariton und Instrumente
mit Gedichten von Erika Burkart (1990)
Pause
Niccolò Castiglioni (1932–1996)
Quilisma für Klavierquintett (1977)
Peter Maxwell Davies (*1934)
A Mirror of Whitening Light
(Speculum Luminis Dealbensis) für 14 Instrumente (1976–77)
Musikerinnen und Musiker
Chloé Pigaglio
Flöten
Daniel Bondia Garcia
Oboe, Englischhorn
Xavière Fertin
Klarinette, Kontrabassklarinette
Barnabás Völgyesi
Klarinette, Bassklarinette
Alejandra Luque
Fagott
Jonathan Aaron Bartos
Horn
Milo Dordoni
Trompete
Miguel Esteve Doménech
Posaune
Asia Ahmetjanova
Klavier, Celesta
Rahel Schweizer
Harfe
Camille Émaille
Perkussion
David Krähenmann
Perkussion
Momoko Kawamoto
Violine
Katarzyna Seremak
Violine
Giuseppe D´Errico
Viola
Lisa Hofer
Violoncello
Anna Taddeo
Violoncello
Lino Mendoza Maldonado
Kontrabass
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