Feldpostbriefe ab 30.06.16 „30.6.16 Liebe Eltern, Der heiße

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Feldpostbriefe ab 30.06.16
„30.6.16 Liebe Eltern, Der heiße Sommer, von dem Vater sprach, ist also gekommen. Allerdings
wird’s schon wieder kühler. Die Engländer haben, nach den Zeitungen zu schließen, auf ungeheurer
Front angegriffen. Wie es anderswo steht, weiß ich nicht. Bei uns steht es sehr gut, und die Engländer
haben eine ungeheure Munition vergeblich verpulvert. Bis jetzt hat sich in unserem rasenden
Artilleriefeuer noch kein Angriff entwickeln können; und Anzeichen lassen darauf schließen, daß die
Sache auf dem absterbenden Ast ist. Mir geht es immer noch gut. Genaueren Bericht darf ich
natürlich nicht machen. Ich denke mir aber, daß es bei Verdun ähnlich zugeht. Hoffentlich fällt es
bald und wir können dann den Stiel hier umdrehen. – Einige Sachen habe ich minus gemacht und
bitte ich um Ergänzung in einer Woche. Meine gesamte Toilettrolle ist kaputt. Bis auf die Seife bitte
ich also, mir alles neu zu kaufen. Statt des Rasierapparates ein Messer mit Abziehriemen. Das ist Gott
sei Dank alles. An Kuchen oder Pasteten denkt Ihr? Nun herzl. Gr. Euer Hanns“
„5.7.16 aus P. Liebe Eltern, Aus dem Heeresbericht werdet Ihr wohl ersehen haben, daß es bei uns
sehr heiß hergegangen ist. Ich denke mir, daß es bei Verdun auch nicht schlimmer sein kann. Wir, die
26. R.D., haben unseren Kram gehalten und die Engländer unter colossalen Verlusten
zurückgeschlagen. Vor einem Infanterieregiment werden 4 – 5000 gefallene Engländer gezählt. Vor
der Companie eines anderen lagen 700 Tote. Ihr seht, es ist den Engländern verflucht ernst gewesen.
Bei O. stürmte eine ganze Division gegen ein deutsches Bataillon; die Commandeure zu Pferde
voraus. Die Engländer glaubten alles erledigt zu haben, da haben sie sich bitter getäuscht. Vor allem
war fast unsre gesamte Artillerie noch schießfähig und richtete mit ihrem Sperrfeuer furchtbare
Verheerung unter dem anstürmenden Feind an. Rechts von uns sieht es, wie der Heeresbericht auch
zugibt, weit ungünstiger aus. Näheres darf ich natürlich nicht schreiben. Es ist aber vorgesorgt, daß es
nicht noch schlimmer kommt. Im Gegenteil, mir geht es soweit noch gut, nur bin ich ziemlich
herunter und freuen wir uns sehr auf Ablösung. Es ist hier schon bedeutend ruhiger geworden. Ab
und zu flackert es mal wieder auf. Na, hoffentlich ist nach diesem Massenmord bald „Finis“. Schickt
also mal was zur Stärkung. Herzl. Gr. Euer Hanns.“
12.7.16 aus Pi. Liebe Eltern, Jetzt scheint die verfluchte Offensive aber wirklich abzuflauen. Nur ab
und an flackert das Artilleriefeuer nochmal wieder auf. Erreicht haben die Engländer im Verhältnis zu
ihrem maßlosen Verlusten und dem ungeheuren Munitionsverbraucht eigentlich fast nichts. Vorne
sieht es toll aus. Stelleinweise liegen die englischen Leichen 1 – 1 ½ m hoch aufeinander. Mit
Cavallerie haben sie angegriffen! Alles das liegt da nun unbestattet! Der Westwind, der – vom
militärischen Standpunkt aus – Gott sei Dank herrscht, trägt uns einen pestilenzartigen Gestank zu.
Schwerverwundete kommen überhaupt nicht fort. Mit einem Wort, es ist gräßlich und zuviel für
menschliche Nerven. Ihr macht Euch keine Vorstellung. Wenn man sich nun fragt, warum die
Engländer überhaupt so weit haben kommen können, so gibt es nur eine Antwort. Unsere Flieger
sind an allem schuld. Von denen läßt sich kauf einer sehen, oder sie fliegen weit hinter der Front auf
und ab, verschwenden Benzin und kosten Geld. Es herrscht eine maßlose Erbitterung auf diese
Gesellschaft. Da soll mir mal später einer kommen! Seit gestern ist es ziemlich ruhig geworden und
bleibt es hoffentlich so. Es scheint wie in Friedenszeiten. Von Ablösung ist noch nichts zu hören. Ich
hoffe aber stark, in einer Woche. Man kann uns doch nicht immer hierlassen. Wir sind so ziemlich
alle verbraucht. – Daß mein Heiratsprojekt so gedeihlichen Fortschritt macht, freut mich sehr zu
hören. Vielleicht langt es mir gerade noch hin, wenn am 17. August Schluß ist. Oder wir machen dann
im Herbst eine schöne Dampferfahrt auf dem Rhein und trinken eine Bowle wie in alten Zeiten. –
Jetzt dauert die Schweinerei schon 19 Tage. Nun herzl. Gr. Euer Hanns.“
16.7.16 Postkarte L.E., Es geht immer noch heiß zu hier. Die Saukerle können sich immer noch nicht
beruhrigen. Wir werden wahrscheinlich bald abgelöst. Es ist aber auch die höchste Zeit. Bis jetzt geht
es mir immer noch gut. Auf den Nerven bin ich natürlich total erledigt. Die Paketchen mit Mandeln,
Rosinen und Cigaretten erhalten. Herzlichst Euer Hanns.“
„23.7.16 aus Pi. Liebe Eltern, Herzlichsten Dank für Eure lieben Zeilen und die Paketchen, die ich alle
sehr pünktlich erhalte. Die Cölnische Ztg. Sogar immer vom Tag vorher. Wir hoffen hier jetzt nicht
mal mehr auf den 17. August, sondern schon auf den 1. August. An diesem Tage machen die
Franzosen Waffenstillstand; es sei denn, daß sie bis dahin noch durchbrechen sollten. Vater Theorie,
es könne noch bis zum November dauern, kann ich nicht teilen. Ihr könnt Euch allerdings auch keine
Vorstellung machen von dem Munitionsverbrauch und den Riesenverlusten der Engländer. Lange
kann es unmöglich noch dauern, das ist ausgeschlossen. Schon jetzt ist ein Abflauen festzustellen. Die
Kampfpausen werden schon immer größer. Gestern und heute haben sie sich wieder bei Pozières
versucht. Es ist ihnen auch gelungen, in einen Teil des Ortes einzudringen. Aber das sind nur
Teilunternehmungen, letzte Anstrengungen. – darüber wollen wir uns aber auch klar sein, daß es bei
uns ziemlich am Ende ist. Der Ersatz, den wir bekommen, ist ziemlich unglaublich. – Von meiner resp.
Unserer Meinung über die Flieger lasse ich mich nicht abbringen. Das ist die traurigste Waffe, die wir
haben. 10 km hinter der Front einen feindlichen Flieger abschießen, das nenne ich keine große
Leistung. Man sollte doch mit dem „Pour la mérite“ vorsichtiger sein und in den Berichten nicht so
prahlen. Hier ist jedenfalls jeder Soldat sehr erbittert und auch mit Recht. In den nächsten Tagen
komme ich wahrscheinlich in Ablösung, da werde ich dann mal den Eugen besuchen. Hoffentlich
kann man sich gut bei ihm erholen für einige Stunden. – In Welterod wünsche ich Euch viel
Vergnügen. Hoffentlich ist bis dahin die Sauerei zu Ende, und kann ich in Gedanken bei Euch und dem
lieben Besuch weilen. Noch lieber wäre ich selbst dort. Schick mir nur soviel Kuchen und Süßigkeiten,
wie Ihr bekommen könnt. Ich freue mich jetzt doppelt darüber. Nun herzl. Gr. Euer Hanns.“
24.7.16 aus Pi. Liebe Eltern, Endlich, endlich ist’s Wahrheit geworden, was wir so sehnlichst
herbeiwünschten. Wir sind abgelöst!! Könnt Ihr Euch vorstellen, was das heißt? Nach 30tägiger
Schlacht heim zu den Protzen. Querfeldein, an keine Straße sich haltend, unrasiert, ungewaschen,
mit langem, ungepflegten Haar, müde, daß die Beine einem fast den Dienst versagen, so bin ich mit
noch einem Canonier dahergestapft. Als ich in das Dorf einmarschierte, klangen aus der Kirche
friedliche Orgeltöne. Es wäre beinahe zuviel für mich gewesen, dieser Gegensatz! Noch liegen wir
zwar im Feuerbereich, aber morgen wird es wohl zurückgehen in Ruhequartiere. Ich denke mir, daß
wir dann wieder nördlich, wo es ziemlich ruhig ist, eingesetzt werden; aber daran will ich noch gar
nicht denken. Jetzt freue ich mich, daß ich mal aus dieser Sauerei mit heilen Knochen
davongekommen bin. Es ist ja ein Wunder, daß überhaupt noch einer von uns lebt. Die Verluste sind
ja leider groß genug. Zwei Offiziere und drei Unteroffiziere tot, ferner die Hälfte aller alten
Canoniere. Das ist für eine Batterie enorm. Erst gestern wurde ich von einem gütigen Schicksal
geleitet. 1 Von allen anderen 1000 Fällen, in denen es an einem Haar hing, will ich lieber gar nicht
schreiben. Gut, daß ich jetzt noch lebe. – Nach 4wöchigem Ansturm ist es den Engländern endlich
gelungen, Pozières zu nehmen. Jetzt sitzen die Schweine in unseren guten Unterständen, lassen
unser Grammophon spielen und trinken unseren Wein. Alles andere ist mir gänzlich wurscht, wenn
ich nur hier bin. Von Krieg will ich jetzt nichts mehr wissen! In diesem Sinne herzl. Gr. Euer Hanns.“
1
Siehe Bericht über die Somme-Schlacht 24.07.16
26.7.16 aus Frémicourt Liebe Eltern, Endlich sind wir also richtig in Ablösung. Man kann es noch gar
nicht richtig fassen. Meinen Abmarsch aus der Feuerstellung zu den Protzen beschrieb ich Euch ja
schon. Im Laufe des Nachmittags traf dann noch Herr Hauptmann und die beiden Leutnants ein. So
gut es ging, wurde ein Quartier hergerichtet und noch zu Abend gegessen; dann, unter dem
colossalen Donner der Canonen bis ich fest eingeschlafen. Erst um 9 Uhr wurde ich wieder wach. Ich
dachte vergangener Stunden und daran, wie gut es Heinrich doch hat. Wir schliefen beruhig und
fühlen uns sicher. Dabei stehen keine 900 m entfernt mehrere 21er. Wo mag sich da erst die L.M.K
aufhalten? Na, er mag sich freuen, daß es ihm so gut geht. – Den Tag benutzen wir, um uns
marschbereit zu machen; dann kam um 3 Uhr der Befehl zum Abrücken. Dieser Auszug war Geld
wert, anzusehen: Zunächst ein hochbeladener Landeswagen; es folgten 8 Canoniere, jeder eine Kuh
an der Hand führend! Ich marschierte mir meinem Zug, aber ohne Geschütze, an zweiter Stelle. Dann
kamen Munitionswagen und wieder mal ein Landeswagen, darauf Schweine grunzten und Hühner
gackerten, Hähne besorgt krähten. Einzelne Reiter folgten. Das war der Auszug der ruhmreichen
5ten!! – Vorne sieht man ja vom Kriege nicht als Granateinschläge und Schrapnellwolken.
Kriegsbilder sieht man erst hinten auf den Straßen. Da rasseln Motorräder, surren die dämeligen
deutschen Flieger. Es ist ein tolles Treiben. Mitten darin schwimmt man selbst. Nachts ist dies
Getriebe in verdoppeltem Maßstab und bei alledem passiert fast nichts. Je weiter rückwärts, um so
ruhiger wird es. Durch Bapaume ging’s im Trab, weil sie da manchmal reinschießen. Schließlich sind
wir fast allein auf der Straße. Nur Sanitätsautos begegnen wir noch. Nun sind wir hier in Frémicourt,
einem idyllischen nordfranzösischen Dörfchen. Unsere Pferde sind in einem Zeltstall untergebracht.
Die erst Nacht habe ich unter freiem Himmel tadellos geschlafen. Jetzt logiere ich bei einem reichen
Bauern. Eine Woche wird man uns wohl Ruhe gönnen, dann werden wir natürlich wieder eingesetzt.
Hoffentlich nicht zwischen Pozières und Somme, sondern nordwärts. Ich denke nicht an morgen,
sondern freue mich des Lebens. – An Kuchen und Cigaretten habt Ihr gedacht? Herzl. Gr. Euer Hanns
26. und 27.7.16 Postkarten
L.E., Sendet mir bitte umgehend meine Reithose mit dem Ganzlederbesatz.
L.E., Soeben gratulierte mir der Herr Abteilungs-Commandeur zur Beförderung (zum Leutnant). Was
lange währt, wird endlich gut. 2
15.09.16 aus Frémicourt In unserer Nähe ist mal wieder Krieg. Die Engländer schießen wie verfault in
unsere „frühere Heimst“ (Pozières), wo wir ja nicht mehr sind! – Momentan habe ich wieder einen
weiteren Schritt aufwärts zum Feldmarschall getan. Ich bin vertretungsweise Gruppen-Adjudant!
Collossal, was? Der andere Herr fährt in Urlaub. So lastet denn auf meinen schwachen Schultern die
enorme Verantwortung. Ja, da sind die Engländer in den letzten Tagen mal wieder unerhört
„vorgekommen“! Wir haben von hier aus durch’s Scherenfernrohr die ganze Schlacht mitgemacht.
Zuerst colossales Artilleriefeuer, dann Welle auf Welle in dichten Colonnen vorgehende Engländer.
Mann für Mann konnten wir sie unterscheiden. Als dann unsere 15er Kaliber über sie kamen, sind sie
feste gesprungen. Obwohl sie angeblich mit 22 Divisionen angegriffen haben, sind sie nicht
durchgebrochen. Der Eckpfeiler Thiepval steht noch immer ungebrochen da.
2
Kommentar: Hier endet meines Vaters Bericht über die Somme-Schlacht, die grausamste Schlacht des 1.
Weltkriegs nach Verdun. Insbesondere die Engländer hatten 35.000 Tote zu beklagen, die sinnlos für einen
Geländegewinn von etwa 14 km !!! geopfert wurden. Auf deutscher Seite ließen etwa 10.000 Soldaten ihr
Leben. In Thiepval steht ein Monument, auf dem die Namen der englischen Opfer verewigt wurden.
19.10.16 Endlich, endlich ist es doch wahr geworden: Wir sind aus dieser elenden Sauerei draußen
und an seeligem Ort. Um Euch nicht zu beunruhigen, habe ich nie etwas von der Somme-Schlacht
geschrieben. Nun muß ich doch mal mit der Wahrheit heraus. Wir haben schmerzliche, sehr
schmerzliche Verluste gehabt. Unser Hauptmann Burk3 ist vor zwei Wochen gefallen, eine Anzahl
Leutnants und Unteroffiziere ebenfalls gefallen oder verwundet. Wie ich Euch schon mal sagte, hat
sich die Offensive der Engländer, der wir in Pozières enteilt waren, wieder an uns herangefressen.
Finstere, ganz böse Tage haben wir von Neuem erlebt, je näher sich die englische Linie von Süden her
an uns heranschob. Beschießungen mit schwerstem Caliber usw. Da hat es denn auch unseren sehr
verehrten Hauptmann getroffen. Auf seiner Beobachtungsstelle saß er in seinem Tagesraum, als
gleich die erste Schwere hineinfuhr und alles zertrümmerte. Ein schöner Soldatentod, gleich aus. Den
Leichnam hab‘ ich auf einer Lafette nach Cambrai gefahren, und von dort führte sie sein Bruder heim.
– In dunkler Nacht zogen wir dahin. Die Pferde trappelten, die Lafette klapperte. Fern am Horizont
zuckten die Abschußblitze. Das Geschütz mit Kränzen überladen, so kamen wir mit unserem
Hauptmann auf dem Bahnhof an. Es war alles sehr traurig. Jammerschade, daß wir damit einen
unserer tüchtigsten Offiziere verloren haben. Im Krieg ist eben niemand vor dem Tod gefeit. Jetzt bin
ich noch der Einzige von den Alten, der noch lebt!
26.11.16 aus F. Schwere, schwere Tage liegen hinter mir! Dieses Mal hatte ich es aber nicht mit dem
Engländer, sondern einem anderen, schlimmeren Feind zu tun – dem Teufel Alkohol! Das ist der
Fluch der Ablösung. Es ist umgekehrt wie früher. In der Feuerstellung muß man sich von der Etappe
erholen! Paradox, was? Es ist jetzt aber auch zu nett hier hinten. Ein feiner Kintop und ein tadelloses
Offiziersheim. Da werden dann sog. „Hörnles“ gemacht. Ein „Hörnle“ ist ein Sektpfropfen. Diesen
bekommt der Spender an die Stirn, eben als Hörnle, gepappt. Mehr denn einmal wurde es 2/3 Uhr!
Selbst ein strammer Ritt zu den Schrapnellkutschern konnten die diversen Käterlein nicht vertreiben;
denn dort fing es ja wieder von neuem an. Die feine von Euch gesandte selbstgemachte Leberwurst
haben wir bei so einem Sektfrühstück verzehrt und fand allgemeine Bewunderung.
28.11.16 aus F. In den letzten Tagen hatten die Engländer die fürchterlichsten Verluste. Ich sprach
selbst mit Infanteristen eines unserer Regimenter, die dort den Kram geschmissen haben. Nur
zögernd gingen die Engländer vor. Die dichten Massen waren natürlich ein herrliches Fressen für
unser M.G.‘s und Infanterie. Engländer kamen in seren Graben und haben den Feldwebel, der mir
dies erzählte, die Backe gestreichelt und geheult wie die Schoßhunde. Riesige Verluste hatten die
Engländer durch die eigene Artillerie, die nicht wußte, wie weit sie vorgedrungen waren und wie
verfault in das Tälchen bei Beaucourt schoß, und eben hier gingen dichte Massen der Engländer vor.
– Allgemein herrscht die Meinung, daß der Engländer nur noch sehr schwer zum Vorgehen zu
bewegen ist. 30 – 40.000 Mann können sie sich wohl als Minus ankreiden. Wann wird diese
Schlachterei ein Ende nehmen? Das Schreien der Verwundeten wäre gräßlich.4
23.3.17 Endlich komme ich mal dazu, einen Brief abzulassen. Die dummen Tommies haben uns
unbemerkt, ohne einen Schuß zu verfeuern, abziehen lassen. Eines Morgens waren wir nicht mehr
da, und sie haben sicher noch längere Gesichter gemacht. In unglaublich dummer Weise rückten sie
dann nach und hatten stellenweise ziemliche Verluste. Wir hatten im wahren Sinne des Wortes
3
Kommentar: Mit Hauptmann Burk starb ein väterlicher Freund meines Vaters, der im Rahmen seiner
Möglichkeiten schützend seine Hand über ihn hielt und ihn mit Aufgaben betraute, die nicht so gefährlich
waren wie die eines Geschützführers.
4
Kurz danach kam die englische Offensive zum Erliegen. Zehntausende von Soldaten starben einen sinnlosen,
grauenvollen Tod!
dreckige Tage. Nachts um vier Uhr kam ich in meiner neuen Stellung an. Vorher grundlose Wege, 30
cm Schlamm, dann Frost von minus 3 – 4 Grad. So lag man da auf freiem Feld. Der Pelzmantel bei der
Bagage! Morgens um 7:00 h wachte ich vor Kälte in meiner Lehmkuhle auf und machte einen
Dauerlauf. Nun kam dauernde Tätigkeit. Unterstände bauen, Schießen, Telefonieren, Besuch hoher
und höchster Vorgesetzter.
Nun bin ich mal auf einige Tage in Ablösung bei unseren Protzen und habe ein märchenhaft schönes
Quartier in einer alten Villa. Ein lauschiges Himmelbett! In einer Feuerstellung habe ich mir
unterdessen einen feinen Unterstand zum Teil aus eigenen und des Burschen Kräften gebaut. Darin
läßt es sich schon aushalten. Bis zum Dach natürlich in die Erde versenkt. Der Engländer ist nicht so
gut dran wie wir. Straßen, Dörfer, Brunnen, Eisenbahn – alles von ihnen selbst zerstört. 5
12.6.17 Die flandrische Abwehrschlacht ist geschlagen! Wir gehen nun in die Etappe, um uns auf dem
Lorbeerhaufen auszuruhen. Hoffentlich läßt man uns möglichste lange hinten. Jetzt werde ich wieder
dem Urlaubsproblem nähertreten. Für mich bedeutete die Schlacht Tag und Nacht Telephon, Tage
und Nächste lang nur 2-3 Std. Schlaf. Immerhin besser zu ertragen als in der Batterie ohne
Unterstand. Minieren kann man hier nicht, da nach einem Spatenstich Wasser kommt! Und gegen
24er Kaliberlassen sich kauf sichere Betonbauten herstellen. Daher auch die großen Verluste auf
beiden Seiten. 6 Wir verbrachten in Belgien noch wundervolle Tage, Ostende, Brügge! Herrliche
Seebäder! Es fehlten uns aber sehr die kleinen Dämchen!
4.7.17 Meine Urlaubsaktien weisen leider eine stark fallende Tendenz auf. Durch die verfluchte
Russenoffensive ist die Möglichkeit eines Einsatzes doch sehr nahe gerückt.
17.7.17 aus Brunshaupten ( Postkarte)
In herrlichster Sommerstimmung die schönsten Grüße von hier. Hanns. Herzliche Grüße von Thesie
Brix… Ich bin umgezogen, meine Anschrift: Hotel Fürstenhof. Zur Vorsicht bitte ich noch mal um 100
Mark. Das Leben ist ja schrecklich teuer geworden!7
30.7.17 aus Vaulx
Heute morgen sind wir mit unseren Protzen wieder umgezogen nach Vaulx. Ich habe einen
anstrengenden Tag hinter mir. Man sollte nicht glauben, wieviel Arbeit es kostet, bis eine solche
Batterie mit all ihren Pferden und Leuten in halbwegs anständigen Quartieren untergebracht ist.
Heute nacht habe ich ein pic-feines Quartier: Weiße Bettbezüge!! Da staut Ihr, was? Das ist
Soldatendatenlos: Heute schläft man wie ein Fürst und morgen liegt man im Unterstand auf Stroh.
3.8.17 aus Vaulx
Mir geht es immer noch gut und besser! Gestern traf ich einen Cameraden von Jüterborg. Auf der
Stelle verabredeten wir eine Wagenfahrt nach Beugny ins Offiziershaus. Es war dort riesig nett. Ein
großer vornehmer Bauernhof ist in ein Restaurant umgewandelt worden. Im schönen kühlen Garten
5
Kommentar: Dieser taktische Stellungswechsel war der lächerliche Landgewinn, den die Briten unter so
großen Opern erreichten.
6
Im Krieg Herzogs Alba gegen die Niederlande (1567) entstand dieses Lied (Refrain): Flandern in Nooot in
Flandern reitet der Tod, in Flandern reitet der Tod! Nun hatte dieses Lied wieder eine traurige Aktualität
erlangt.
7
Trotz aller Schwierigkeiten gelang es meinem Vater immer wieder ein halbwegs erträgliches Leben zu führen,
aber nur durch die großzügigen Zuwendungen seiner Familie!
saß es sich bei der Bombenhitze sehr gemütlich, dazu noch eine feine kalte ente auf dem Tisch!
Abends wurde es direkt romantisch, als Kerzenlichter an einigen Tischen aufleuchteten. Im Hause
spielte ein kleines Streichorchester aus vergangenen Zeiten!!8
10.10.17 aus V.
Aus Deutschland kommt ja recht traurige, entmutigende Kunde. Nach den unglaublichen Reden
unserer dackelhaften Volksvertreter muß man unbedingt glauben, wir wären der Revolution nahe,
voll innerer Zwistigkeiten. Die Regierung soll doch den Laden einfach schließen. Jetzt steht der Kaiser
wieder so stark da, daß er es unbedingt wagen könnte. Ich wundere mich nur, daß da der Hindenburg
überhaupt noch mitmacht. Wofür alle Siege, all das vergossene Blut! Da ist es freilich besser, wir
machten heute noch Frieden. Das wird nur noch schlimmer, je länger es dauert. Ich und mit mir viele
andere sind ganz mutlos und unlustig. Na, genug von diesen unerfreulichen Sachen. 9
17.10.17 aus Aachen
In aller Eile: Ich bin also glücklich hier gelandet, mit Verspätung! Bei meinen Professoren habe ich
Besuch gemacht und wurde überall liebenswürdig empfangen, so daß ich hoffnungsvoll in die
Zukunft schaue. Voraussichtlich mach ich meine Clausur noch innerhalb der 4 Wochen und die
mündliche Prüfung nachdem ich vom Felde zurück bin. Mit dem Geld komme ich nicht aus, zumal ich
mir noch einige Zeichenutensilien kaufen muß. Ich bitte noch um 100 Mark. 10
29.11.17 aus Aalst
Jetzt liege ich also seit gestern im Lazarett in Aalst. Mein Bursche brachte mir noch bis zur
Sammelstelle meine Post nach, darunter Vaters stimmungsvolle Zeilen aus dem Hause Schäfer. – Hier
im Lazarett bin ich vorzüglich aufgehoben. Durch einige, allerdings sehr schmerzvolle Schnitte bin ich
von den Hauptplagegeistern befreit, liege nun im Bett und bin dich verbunden. Bis ich wieder geheilt
bin, können noch einige Tage vergehen. Danach hoffe ich zu kommen. Auf Wiedersehen, Euer Hanns
6.12.17 aus A.
Soeben bin ich in den Berliner V.L.Z. (Verletzten -Lazarett-Zug) verladen worden. Er geht nach Berlin!!
Vielleicht kommen wir am Sonntag durch Essen. Mir geht es sehr gut.
12.12.17 aus Berlin
Wir werden hier erstklassig verpflegt: Morgens guten Kaffee mit Zucker, Milch und Honigbrot, um 10
h Bouillon und Butterbrot, 1 h Suppe, Fleisch, Kartoffeln, Gemüse und zwar so reichlich, daß ich es
kaum zwinge und dann Pudding!!! Nachmittags Kaffee dann erscheint Base Thesis mit Äpfeln. Abend
Tee, belegte Brote, Kartoffelsalat und nochmals Pudding. Ich werde hier dick und fett. Meine
Reithose geht kaum noch zu! 11
8
Kommentar: Bei jeder Gelegenheit, insbesondere in der Etappe, feierte man die Tatsache, daß man noch am
Leben war.
9
Die sog. gutbürgerliche Gesellschaft war auch noch zu diesem Zeitpunkt vorwiegend kaisertreu.
10
Im letzten Drittel des Krieges war es tatsächlich möglich für Examina Urlaub zu bekommen. Man dachte wohl
schon an die Zeit nach dem Krieg.
11
Kommentar: Zum Ende des Krieges rückte das Thema Nahrung immer mehr in den Vordergrund. Die
Blockoade der Alliierten zeigte Wirkung.
22.12.17 aus Berlin
Soeben eröffnet mir der Arzt freudige Nachricht, daß ich am 21.12. entlassen werde. Wenn irgend
möglich, komme ich noch an diesen Tagen nach Essen und bleibe zwei – drei Tage dort, um dann zur
Front zu fahren. Ich verstehe Eure Sorge nicht; ich möchte ja gerade bei der Offensive gegen den
Tommy dabei sein. Außerdem auch den Posten als Ordensoffizier nicht verlieren. – Morgen haben
wir hier im Lazarett Bescherung. – Die Wäsche ist angekommen. Die anderen Sachen brauche ich
jetzt nicht mehr. Nun recht feierlich – frohe Weihnachtstage wünscht Euch Euer Hanns12
11.4.18 aus Tournay
Seit gestern such ich nach meiner Division. – Hier hörte ich die ersten Nachrichten von den glatten
Erfolgen zwischen Armentières und La Bassée. Morgens um 9 h begann der Sturm und schon
nachmittags waren wir über die 3. Stellung hinaus. Der Engländer war gänzlich überrascht. Mir
begegnete in Lille ein langer Trupp Portugiesen. Voran eine Anzahl Offiziere. Ganz bedeppert. Wie
ein Trauerzug sag das aus. Immer wieder kamen auf Lastwagen verwundete Engländer daher. Durch
die beiden flankenoffensiven scheint die ganze Front ins Wanken zu kommen. 13
27.4.18
Morgen oder übermorgen trete ich voraussichtlich meinen Posten als Verpflegungsoffizier bei der 2
Abt. an – Im Regiment ist eine äußerst gespannte Stimmung gegen den Commandeur. Sowohl unter
der Mannschaft wie unter den Offizieren. Er leistet sich Sachen, die nur einem Irrsinnigen
zugeschrieben werden können. Mehrere Offiziere sind schon fort, die es nicht mehr ausgehalten
haben. Mir persönlich tut er ja nichts.
14.5.18 aus Wildbad
Seit gestern bin ich nun in Wildbad. Essen, immer und kur habe ich kostenlos. Eventuell zahle ich
einen geringen Aufschlag. Das Frühstück ist allerdings etwas knapp. Wenn Ihr mir da von der
Welteroder Vorräten etwas Butter, Wurst und Eier abgeben könntet. 4-6 Wochen werde ich wohl
hierbleiben.
31.6.18 aus Berlin
Lieber Vater, Soeben habe ich eine Dame hier kennengelernt, die beste Beziehungen zu
Gutsbesitzern hat. Sie verspricht mir zu angemessenen Preisen Schinken, Wurst, Eier und Butter zu
besorgen, wenn sie dafür den Herren das Düngemittel „schwefelsaures Ammoniak“ besorgt. Wenn
es geht, ein Waggon! Je mehr natürlich, um so mehr Schinken gibt es ab. Das Schwierigste wird wohl
die Versendung sein, da die Güter bei Berlin liegen.
30.8.18 aus Ulm
Herzlichen Dank für Vaters lb. Brief und die 100 M, die ich heute erhielt. Wenn nicht vorher meine
Versetzung noch kommt, fahre ich am 3.9. nach Stuttgart zum pioniertechnischen Cursus. – Meiner
Schätzung nach kommt in den nächsten Wochen, wenn die Engländer sich weiter verblutet haben,
12
Bis auf einen kurzen Aufenthalt im Februar 18 an der Front verbrachte mein Vater bis Mitte April die Zeit in
diversen Lazaretten. Zuerst wegen einer Nervenentzündung und weiterer Furunkel.
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Nach dem Friedensvertrag mit Russland wurden dort Truppen frei für die letzte deutsche Offensive, bevor
die Amerikaner in die Krieg eintraten und unsere Niederlage besiegelten.
unsere Entscheidungsoffensive. Die Nachrichten, die man so von draußen bekommt und unter den
Offizieren umgehen, sind aber alles andre als erfreulich. ( Somme – Schlacht August 1918)14
2.10.18
Liebe Eltern, Ich möchte euch nur kurz berichten, daß ich nach tage- und nächtelanger Fahrt in einem
idyllischen Maas-Dörfchen gelandet bin. In Trier besuche ich Wolff und leerten wir verschiedene
Pullen Mosel im Civil-Casino. Ob Ihr mir hierher schreibt, hängt vom Waffenstillstand ab. Vielleicht
bin ich bald wieder in Ulm.
26.11.18 Telegramm aus Linz
Eintreffe Münchener ZUG = Hanns -
14
Zu diesem Zeitpunkt waren alle Kriegsparteien am ende. Mit Ausnahme der USA, die noch genügend
„Kanonenfutter“ zur Verfügung hatten!
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