Kapitel 1: Kongruenzabbildungen, Vorlesung 2/3: Typen von Bewegungen Elementargeometrie Skript zur gleichnamigen Vorlesung im WS 2008/2009 Vorlesung 2/3: Typen von Bewegungen Michael Gieding www.ph-heidelberg.de/wp/gieding Kapitel 1: Kongruenzabbildungen, Vorlesung 2/3: Typen von Bewegungen 1. Das Anliegen der Vorlesung In Vorlesung 1 wurde zunächst der Begriff der Bewegung allgemein als abstandserhaltende Abbildung der Ebene auf sich definiert. Ein derartiges abstraktes Vorgehen wäre in der Schule undenkbar, weshalb der Bewegungsbegriff durch die speziellen Bewegungen Geradenspiegelung, Drehung und Verschiebung illustriert wurde. Diese Typen von Bewegungen werden mehr oder weniger intensiv in der Schule behandelt. Häufig findet man dann die Idee der Bewegung in Schullehrbüchern in der folgenden Fassung des Bewegungsbegriffs: Unter Bewegungen versteht man Verschiebungen, Drehungen, Geradenspiegelungen oder die Nacheinanderausführung der genannten Bewegungen. Im Folgenden soll überprüft werden, ob diese schulische Fassung des Bewegungsbegriffs einer sauberen mathematischen Untersuchung standhält. Anders ausgedrückt: Nach den Übungsaufgaben der ersten Serie wissen wir definitiv, dass Geradenspiegelungen, Verschiebungen und Drehungen Bewegungen sind. Ebenso ist unmittelbar einsichtig, dass die Nacheinanderausführung von zwei Bewegungen ebenso eine Bewegung ist. Hinsichtlich einer mathematisch sauberen Untersuchung des schulischen Bewegungsbegriffs müssen wir uns allerdings die Frage stellen, ob es neben den Geradenspiegelungen, Drehungen, Verschiebungen und Nacheinanderausführungen dieser Bewegungen noch weitere abstandserhaltende Abbildungen der Ebene auf sich geben könnte, die keinem der genannten Bewegungstypen zuzuordnen wären. Dieser Untersuchung sei diese Vorlesung gewidmet. Diesbezüglich scheint es sinnvoll zu sein, weitere Eigenschaften von Bewegungen zu untersuchen. 2. Eigenschaften von Bewegungen 2.1. Unmittelbare Folgerungen aus der Starrheit Satz 2.1: Bei einer Bewegung π½ wird a) jede Gerade auf eine Gerade, b) jede Strecke auf eine Strecke, deren Endpunkte die Bilder der Endpunkte der Originalstrecke sind, sowie c) jede Halbgerade mit einem Anfangspunkt π auf eine Halbgerade mit dem Anfangspunkt π½(π) abgebildet. d) Falls zwei Geraden, Strecken, Halbgeraden oder zwei verschiedene dieser Figuren einen Punkt π gemeinsam haben, so haben die Bildfiguren den Punkt π½(π) gemeinsam. Satz 2.2: Bei jeder Bewegung β wird a) jede Halbebene mit einer Randgeraden π auf eine Halbebene mit der Randgeraden β(π) und b) jeder Winkel auf einen kongruenten Winkel sowie das Innere eines beliebigen Winkels auf das Innere des zugehörigen Bildwinkels abgebildet. Beweise: Übungsaufgabe Kapitel 1: Kongruenzabbildungen, Vorlesung 2/3: Typen von Bewegungen 2.2. Eindeutige Bestimmung von Bewegungen durch drei Punkte Satz 2.3: Μ Μ Μ Μ Μ Μ und dessen Bild Μ Μ Μ Μ Μ Μ Μ Μ Μ Jede Bewegung ist durch ein Dreieck π΄π΅πΆ π΄′ π΅′ πΆ ′ eindeutig bestimmt. Beweis: Es sei π ein beliebiger von π΄, π΅ und πΆ verschiedener Punkt der Ebene. Ferner sei π½ eine Bewegung, die das Dreieck Μ Μ Μ Μ Μ Μ π΄π΅πΆ auf Μ Μ Μ Μ Μ Μ Μ Μ Μ π΄′ π΅′ πΆ ′ abbildet. Zu zeigen haben wir jetzt, dass es genau einen Bildpunkt von π bei der Bewegung π½ gibt. Fall 1: π liegt auf π΅πΆ: P' P C' C A B A' B' Wir wissen bereits nach Satz 2.1, dass π′ auf π΅′ πΆ ′ liegt. Wegen der Abstandserhaltung von π½ gilt: |π΅π| = |π΅′ π′ | und |πΆπ| = |πΆ ′ π′ |. Diese beiden Eigenschaften erfüllt nur ein einziger Punkt auf π΅′ πΆ ′ . π′ ist damit eindeutig bestimmt. Fall 2: π liegt nicht auf π΅πΆ: P' P C' C A B A' B' Kapitel 1: Kongruenzabbildungen, Vorlesung 2/3: Typen von Bewegungen Nach Satz 2.2 wird der Winkel β‘πΆπ΅π auf einen kongruenten Winkel β‘πΆ ′ π΅′ π′ abgebildet. Es gibt nun genau zwei Möglichkeiten β‘πΆπ΅π an den Strahl π΅′ πΆ ′ anzutragen: Einmal liegt π′ in der Halbebene π΅′ πΆ ′ , π΄′+ und einmal liegt π′ in der Halbebene π΅′ πΆ ′ , π΄′− . Beides wäre bei π½ nicht möglich. Liegt π mit π΄ in derselben Halbebene bezüglich π΅πΆ, so muss auch π′ mit π΄′ bezüglich π΅′πΆ′ in derselben Halbebene liegen (Satz 2.2). Analoge Überlegungen ergeben sich für den Fall, dass π mit π΄ nicht in derselben Halbebene bezüglich π΅πΆ liegt. Der Rest des Beweises ergibt sich aus der Existenz und Eindeutigkeit des Streckenabtragens und der Abstandserhaltung von π½. 2.3. Fixpunktsätze Definition 2.1: (Fixpunkt einer Bewegung) Jeder Punkt der bei einer Bewegung auf sich selbst abgebildet wird, heißt Fixpunkt der Bewegung. Bemerkung: Das Drehzentrum einer Drehung wäre z.B. so ein Fixpunkt. Definition 2.2: (Fixgerade einer Bewegung) Eine Gerade, deren sämtliche Punkte Fixpunkte bei einer Bewegung sind, heißt Fixpunktgerade dieser Bewegung Satz 2.4: Sind die beiden Punkte π΄ und π΅ (π΄ verschieden von π΅) Fixpunkte einer Bewegung π½, so ist π΄π΅ eine Fixgerade bei π½. Beweis: Es seien π΄ und π΅ zwei verschiedene Fixpunkte der Bewegung π½. Wir haben jetzt zu zeigen, dass jeder Punkt der Geraden π΄π΅ ein Fixpunkt bei π½ ist. Wir führen den Beweis indirekt und nehmen an, dass es einen Punkt π der Geraden π΄π΅ gibt, der kein Fixpunkt bezüglich π½ ist. Dieser Punkt kann selbstverständlich weder mit π΄ noch mit π΅ zusammenfallen. Zunächst ist klar, dass das Bild der Geraden π΄π΅ die Gerade π΄π΅ ist: Nach Satz 2.1 werden Geraden auf Geraden abgebildet. Da die Punkte π΄ und π΅ auf sich selbst abgebildet werden und eine Gerade durch zwei verschiedene Punkte eindeutig bestimmt ist, muss π΄π΅ das Bild von π΄π΅ bei π½ sein. Hieraus folgt sofort, dass mit πππ΄π΅ auch π′ auf π΄π΅ liegen muss. Wegen der Abstandserhaltung von π½ muss |π΄π| = |π΄π′| und |π΅π| = |π΅π′| gelte. Dieses wiederum ist nur für π = π′ möglich. Die Annahme π ≠ π′ ist damit zu verwerfen. Satz 2.5: Hat eine Bewegung π½ drei nichtkollineare Fixpunkte π΄, π΅ und πΆ, so ist π½ die Identität. Beweis: Übungsaufgabe Definition 2.3: (Fixgerade) Wird eine Gerade bei einer Bewegung auf sich selbst abgebildet, so ist sie eine Fixgerade dieser Bewegung. Kapitel 1: Kongruenzabbildungen, Vorlesung 2/3: Typen von Bewegungen Bemerkung: Fixpunktgeraden sind Fixgeraden. Umgekehrt ist jedoch nicht jede Fixgerade auch eine Fixpunktgerade. 2.4. Aus den Fixpunkten auf den Typ der Bewegung schließen Für die Anzahl der Fixpunkte einer Bewegung gibt es prinzipiell die folgenden Möglichkeiten: 1. Fixpunktfreiheit Fixpunkte einer Bewegung 2. genau ein Fixpunkt 3. zwei Fixpunkte 3.1. je 3.2. drei drei nichtFixpunkte kollineare sind Fixpunkte kollinear Wir werden nun versuchen aus dem Auftreten der Fixpunkte auf den Typ der Bewegung zu schließen. Wir beginnen mit dem Fall, dass die eine Bewegung genau einen Fixpunkt hat. Aus Vorlesung 1 ist uns bekannt, dass es sich in diesem Fall um Drehungen handeln könnte. Die Frage lautet: Ist jede Bewegung mit genau einem Fixpunkt eine Drehung. Satz 2.6: Eine Bewegung ist genau dann eine Drehung verschieden von der Identität, wenn sie genau einen Fixpunkt besitzt. Beweis: Es sind zwei Beweise zu führen: (→) Wenn eine Bewegung eine Drehung verschieden von der Identität ist, dann besitzt sie genau einen Fixpunkt. (←) Wenn eine Bewegung genau einen Fixpunkt besitzt, so ist sie eine Drehung. Wir beweisen zunächst (→) Gegeben sei eine Drehung ππ,πΌ . Nach Definition wird π auf sich selbst abgebildet und ist damit ein Fixpunkt de Drehung ππ,πΌ . Wir nehmen jetzt an, dass ππ,πΌ einen weiteren von π verschiedenen Fixpunkt πΉ hat. Mit den beiden nichtidentischen Fixpunkten π und πΉ würde ππ,πΌ nach Satz 2.4 die Fixpunktgerade ππΉ besitzen. Weiter: Übungsaufgabe. Jetzt beweisen wir (←). Es sei π½ eine Bewegung mit dem Fixpunkt π. Wir haben zu zeigen, dass π½ eine Drehung ist. Mit π gibt es zunächst einen Punkt der bei π½ auf sich selbst abgebildet wird. Wenn wir zeigen können, dass für zwei beliebige Punkte π und π |β‘πππ′| = |β‘πππ′| gilt, sind wir fertig. Der Winkel β‘πππ′ wäre der gesuchte Drehwinkel. Kapitel 1: Kongruenzabbildungen, Vorlesung 2/3: Typen von Bewegungen Weiter: Übungsaufgabe. Nach dem Beweis von Satz 2.6 könnten wir den Begriff der Drehung auch wie folgt definieren: Eine Bewegung, die entweder die Identität ist oder genau einen Fixpunkt besitzt, ist eine Drehung. Satz 2.7: Eine Bewegung ist genau dann eine Geradenspiegelung, wenn sie genau eine Fixpunktgerade besitzt. Fixpunkt besitzt. Beweis: Es sind wiederum zwei Beweise zu führen: (→) Wenn eine Bewegung eine Geradenspiegelung ist, so hat sie genau eine Fixpunktgerade. (←) Wenn eine Bewegung genau eine Fixpunktgerade besitzt, so ist sie eine Geradenspiegelung Beweis: Übungsaufgabe. Nach dem Beweis der beiden Sätze 2.6 und 2.7 können wir unsere zu Anfang des Abschnitts betrachtete Tabelle wie folgt ergänzen: 1. Fixpunktfreiheit Verschiebung? Fixpunkte einer Bewegung 2. genau ein Fixpunkt Drehung 3. zwei Fixpunkte 3.1. je drei 3.2. drei Fixpunkte sind nichtkollinear kollineare Fixpunkte Geradenspiegelung Identität Die Tabelle beinhaltet bei der Fixpunktfreiheit eine Frage: Ist jede fixpunktfreie Bewegung eine Verschiebung? Da die Bearbeitung der anderen Fälle relativ „glatt“ lief, ist man schnell geneigt, obige Frage mit ja zu beantworten. Aber Vorsicht, es wird eine kleine Überraschung auf uns warten …. Zur Beantwortung der Frage, ob jede fixpunktfreie Bewegung eine Verschiebung ist, werden wir die Methodik der Untersuchung ändern. 2.5. Der Reduktionssatz Satz 2.8: Jede Bewegung ist die Nacheinanderausführung von zwei oder drei Geradenspiegelungen. Beweis: Wir wissen bereits, dass jede Bewegung π½ durch die Angabe eines Dreiecks und dessen Bildes eindeutig bestimmt ist. Gegeben sei also ein Dreieck Μ Μ Μ Μ Μ Μ π΄π΅πΆ und sein Bild Μ Μ Μ Μ Μ Μ Μ Μ π΄′π΅′πΆ′ bei π½. Kapitel 1: Kongruenzabbildungen, Vorlesung 2/3: Typen von Bewegungen C A C' B A' B' Μ Μ Μ Μ Μ Wir wissen bereits, dass die Mittelsenkrechte ππ΄π΄′ Μ Μ Μ Μ Μ der Strecke π΄π΄′ existiert. Bei einer Spiegelung an dieser Mittelsenkrechten wird π΄ auf π΄′ abgebildet: C A C' B A' mAA' B' Fall 1: Μ Μ Μ Μ Μ Μ Μ Μ π΄′π΅′πΆ′ liegt so, dass es das Bild von Μ Μ Μ Μ Μ Μ π΄π΅πΆ bei der Spiegelung an ππ΄π΄′ Μ Μ Μ Μ Μ ist: C C C' C' A A B B' mAA' A' B B' A' mAA' Μ Μ Μ Μ Μ Μ Μ Μ In diesem Fall würde Μ Μ Μ Μ Μ Μ π΄π΅πΆ durch die Spieglung an ππ΄π΄′ Μ Μ Μ Μ Μ auf π΄′π΅′πΆ′ abgebildet werden. Eine dreimalige Nacheinanderausführung dieser Spiegelung hätte dasselbe Ergebnis. In der Regel wird es nicht so sein, dass die Spiegelung an πΜ Μ Μ Μ Μ π΄π΄′ auch die Punkte π΅ und πΆ jeweils auf die Punkte π΅′ und πΆ′ abbilden wird. Kapitel 1: Kongruenzabbildungen, Vorlesung 2/3: Typen von Bewegungen Fall 2: Einer der beiden Punkte π΅ und πΆ wird durch die Spiegelung an ππ΄π΄′ Μ Μ Μ Μ Μ auf sein Bild bei π½ abgebildet: C C'* A B B' A' mAA' C' Sei dieses o.B.d.A. der Punkt π΅. Der Punkt B wir in diesem Fall nicht auf sein Bild πΆ′ bei π½ abgebildet, sondern auf einen von πΆ′ verschiedenen Punkt πΆ′∗. Jetzt wird durch die Spiegelung an der Μ Μ Μ Μ Μ Mittelsenkrechten πΜ Μ Μ Μ Μ Μ Μ πΆ′∗ πΆ′ der Strecke πΆπΆ′ der Punkt πΆ auf sein Bild πΆ′ bei π½ abgebildet: C C'* A mC'[*]C' B B' A' mAA' C' Wegen |πΆ′∗ π΄′| = |πΆ′π΄′| und |πΆ′∗ π΅′| = |πΆ′π΅′| sind auch die Punkte π΄′ und π΅′ Punkte der Mittelsenkrechten πΜ Μ Μ Μ Μ Μ Μ πΆ′∗ πΆ′ und werden deshalb bei einer Spiegelung an dieser auf sich selbst abgebildet. Fazit: Durch die Nacheinanderausführung zweier Geradenspiegelungen wird Μ Μ Μ Μ Μ Μ π΄π΅πΆ auf Μ Μ Μ Μ Μ Μ Μ Μ π΄′π΅′πΆ′ abgebildet. Fall 3: Keiner der Punkte π΅ und πΆ wird durch die Spiegelung an ππ΄π΄′ Μ Μ Μ Μ Μ auf sein Bild bei der Bewegung π½ abgebildet. Kapitel 1: Kongruenzabbildungen, Vorlesung 2/3: Typen von Bewegungen C C'* A C' B B' * A' mAA' B' π΅ möge bei der Spiegelung an ππ΄π΄′ Μ Μ Μ Μ Μ auf π΅′∗ abgebildet werden. πΆ′∗ sei das Bild von πΆ bei dieser Spiegelung. Μ Μ Μ Μ Μ Μ Μ Wir betrachten jetzt die Spiegelung an der Mittelsenkrechten der Strecke πΆ′ ∗ πΆ′: C mC'C'* C'* A C' B B' * A' mAA' B' Weil der Punkt π΄ sowohl zu πΆ′ als auch zu πΆ′∗ ein und denselben Abstand hat, ist er ein Punkt der Μ Μ Μ Μ Μ Μ Μ Mittelsenkrechten der Strecke πΆ′ ∗ πΆ′. Dementsprechend wird er bei einer Spiegelung an dieser Mittelsenkrechten auf sich selbst abgebildet. Der Punkt πΆ′∗wird bei dieser Spiegelung auf den Punkt πΆ′ abgebildet. Fall 3.1: Auch der Punkt π΅′∗ wird bei der Spiegelung an der Mittelsenkrechten von Μ Μ Μ Μ Μ Μ Μ πΆ′∗ πΆ′ auf den Punkt B‘ Μ Μ Μ Μ Μ Μ abgebildet: Das Dreieck π΄π΅πΆ wird durch die Nacheinanderausführung zweier Geradenspiegelungen auf das Dreieck Μ Μ Μ Μ Μ Μ Μ Μ π΄′π΅′πΆ′ abgebildet. Fall 3.2: Der Punkt π΅′∗ wird bei der Spiegelung an der Mittelsenkrechten von Μ Μ Μ Μ Μ Μ Μ πΆ′∗ πΆ′ nicht auf den Punkt B‘ abgebildet: Kapitel 1: Kongruenzabbildungen, Vorlesung 2/3: Typen von Bewegungen C B' mC'C'* C'* A C' B B' * A' mAA' B''* Μ Μ Μ Μ Μ Μ Μ π΅′′∗ sei das Bild von π΅′∗ bei der Spiegelung an der Mittelsenkrechten der Strecke πΆ′ ∗ πΆ′. Zunächst kann festgestellt werden, dass π΅′ und π΅′′∗ auf verschiedenen Seiten bezüglich der Geraden π΄′π΅′ Μ Μ Μ Μ Μ Μ wird durch die liegen müssen. Eine Spiegelung an π΄′π΅′ bildet jetzt π΅′′∗ auf π΅′ ab. Fazit: Das Dreieck π΄π΅πΆ Nacheinanderausführung dreier Geradenspiegelungen auf das Dreieck Μ Μ Μ Μ Μ Μ Μ Μ π΄′π΅′πΆ′ abgebildet. Mehr Fälle können nicht auftreten. 2.6. Klassifizierung der fixpunktfreien Bewegungen Der Reduktionssatz stellt uns jetzt ein Werkzeug zur Klassifizierung der fixpunktfreien Bewegungen zur Verfügung. Wir müssen nur untersuchen, welche fixpunktfreien Bewegungen sich durch die Nacheinanderausführung von zwei bzw. drei Geradenspiegelungen ergeben können. Fall 1: fixpunktfreie Nacheinanderausführungen zweier Geradenspiegelungen Es seien π π und π β zwei Geradenspiegelungen. Wir wissen, dass die Spiegelgeraden π und β Fixpunktgeraden sind, d.h. jeder Punkt der Spiegelgeraden wird auf sich selbst abgebildet. Das bedeutet, dass die Nacheinanderausführung zweier Geradenspiegelungen, deren Spiegelachsen irgendwelche Punkte gemeinsam haben, nicht fixpunktfrei sein kann. Wir betrachten also die Nacheinanderausführung π β °π π mit β β₯ π ∧ β ≠ π. C C' C'' A A'' A' B' B g B'' h Entsprechend der obigen Skizze liegt die Vermutung nahe, dass die Nacheinanderausführung π β °π π eine Verschiebung ergibt. Um dieses auch zu beweisen, zeigen wir zuvor den folgenden Satz: Kapitel 1: Kongruenzabbildungen, Vorlesung 2/3: Typen von Bewegungen Satz 2.9: Eine Bewegung verschieden von der Identität ist genau dann eine Verschiebung, wenn sie fixpunktfrei ist und jede Gerade auf eine zu ihr parallele Gerade abbildet. Beweis: (→) Es sei π£βββββ ππ eine Verschiebung verschieden von der Identität. Wir haben zu zeigen dass, π£βββββ ππ keinen Fixpunkt besitzt und jede Gerade auf eine zu ihr parallele Gerade abbildet. Würde π£βββββ ππ jede Gerade auf eine zu ihr parallele Gerade abbilden, könnte sie auch keinen Fixpunkt haben. Es genügt also zu zeigen, dass π£βββββ ππ Geraden auf parallele Geraden abbildet: B B' A' A Es π΄π΅ eine Gerade. Es gilt: π΄′ = π΄ + βββββ ππ =π΅ + βββββ ππ. Damit gilt: π΄π΄′ β₯ π΅π΅′ , Μ Μ Μ Μ Μ π΄π΄′ ≅ Μ Μ Μ Μ Μ π΅π΅′. Das Viereck Μ Μ Μ Μ Μ Μ Μ Μ Μ Μ π΄π΄′π΅′π΅ ist somit ein Parallelogramm. (←) Es sei π½ eine fixpunktfreie Bewegung, die jede Gerade auf eine zu ihr parallele Gerade abbildet. Weil π½ keine Fixpunkte hat, kann π½ nicht die Identität sein. Es sei nun π΄π΅ eine beliebige Gerade, die durch π½ auf die Gerade π΄′π΅′ abgebildet wird. Wegen π΄π΅ β₯ π΄′π΅′ Μ Μ Μ Μ ≅ Μ Μ Μ Μ Μ Μ und π΄π΅ π΄′π΅′ ist Μ Μ Μ Μ Μ Μ Μ Μ Μ Μ π΄π΄′π΅′π΅ ein Parallelogramm … . Aus Satz 2.9 folgt sofort: Satz 2.10: Die Nacheinanderausführung π β °π π mit β β₯ π ∧ β ≠ π ist eine Verschiebung. Beweis: Wir brauchen nur zu zeigen, dass π β °π π fixpunktfrei ist und eine beliebige Gerade auf eine zu ihr parallele Gerade abbildet. (Übungsaufgabe) Es liegt die Frage nahe, ob Jede Verschiebung auch durch die Nacheinanderausführung zweier Geradenspiegelungen dargestellt werden kann. Satz 2.11: Zu jeder Verschiebung π£ππ βββββ existieren Geradenspiegelungen π π , π π mit π£ππ βββββ = π π ° π π . Kapitel 1: Kongruenzabbildungen, Vorlesung 2/3: Typen von Bewegungen Beweis: Übungsaufgabe. Fall 2: fixpunktfreie Nacheinanderausführung dreier Geradenspiegelungen Zunächst lässt sich konstatieren, dass die Spiegelachsen der drei nacheinander auszuführenden Spiegelungen sich nicht in genau einem Punkt treffen dürfen. In diesem Fall wäre dieser Punkt nämlich ein Fixpunkt bei der Nacheinanderausführung der drei Geradenspiegelungen. Möglich wäre etwa die folgende Konstellation: C g A i h B Zunächst können wir nicht absolut sicher sein, dass die Nacheinanderausführung π π °π β °π π keinen Fixpunkt hat. Obschon kein Punkt einer der dreiSpiegelgeraden π, β, π auf sich selbst durch π π °π β °π π auf sich selbst abgebildet wird, könnte es vielleicht einen Punkt geben, der zwar bezüglich der einzelnen Geradenspiegelungen kein Fixpunkt ist, durch die Nacheinanderausführung der drei Bewegungen jedoch im Endeffekt auf sich selbst abgebildet wird. Derartige Überlegungen mögen zunächst keine Rolle spielen. Unser weiteres Vorgehen wird später rechtfertigen, das es einen derartigen Punkt nicht geben kann. Wir gehen im Folgenden also davon aus, dass unsere Spiegelgeraden π, β, π entsprechend obiger Skizze die Punkte π΄, π΅ und πΆ paarweise gemeinsam haben: π ∩ β = {π΄}, β ∩ π = {π΅}, π ∩ π = {πΆ}, π΄, π΅, πΆ paarweise verschieden. Je zwei der Spiegelachsen, die bezüglich unserer Nacheinanderausführung π π °π β °π π relevant sind, haben also genau einen Punkt gemeinsam. Die Nacheinanderausführung von Abbildungen ist assoziativ. Im speziellen Fall π π °π β °π π gilt also: π π °(π β °π π ) = (π π °π β )°π π . Es liegt nahe, dass komplexe Problem der Nacheinanderausführung dreier Geradenspiegelungen mit sich schneidenden Spiegelachsen auf das einfachere Problem einer Untersuchung der Nacheinanderausführung zweier Geradenspiegelungen zu reduzieren, deren Spiegelachsen sich in genau einem Punkt schneiden. Untersuchung der Nacheinanderausführung zweier Geradenspiegelungen mit sich in genau einem Punkt schneidenden Spiegelgeraden: Wir betrachten also das Produkt π β °π π zweier Geradenspiegelungen. Der gemeinsame Schnittpunkt der Spiegelachsen π und β sei der Punkt π΄. Kapitel 1: Kongruenzabbildungen, Vorlesung 2/3: Typen von Bewegungen A g h Unmittelbar einsichtig ist, dass π΄ ein Fixpunkt der Bewegung π β °π π ist. Es sei nun π΅ ein von π΄ verschiedener Punkt: h B'' B g A L1 L2 B' Wegen der Abstandserhaltung der beiden Spiegelungen π β und π π liegen die Punkte π΅, π΅′ und π΅′′ auf ein und demselben Kreis um π΄. Wegen der Winkeltreue von Bewegungen gilt (Bezeichnungen entsprechend obiger Skizze): (1) |β‘π΅π΄πΏ1 | = |β‘π΅′π΄πΏ1 | (2) |β‘π΅′π΄πΏ2 | = |β‘π΅′′π΄πΏ2 | Entsprechend der obigen Skizze gilt (3) β‘(π, β) = β‘πΏ1 π΄π΅′ + β‘π΅π΄πΏ2 Aus (1), (2) und (3) folgt: (4) β‘π΅π΄π΅′′ = 2β‘(π, β) Kapitel 1: Kongruenzabbildungen, Vorlesung 2/3: Typen von Bewegungen Der Zusammenhang (4) ergibt sich auch für andere Lagen von B bezüglich der Spiegelgeraden π und β (Man überzeuge sich davon, Übungsaufgabe!). Die vorangegangenen Überlegungen erlauben die Formulierung des folgenden Satzes: Satz 2.12: Die Nacheinanderausführung zweier Geradenspiegelungen π π und π β , deren Spiegelachsen genau den Punkt π΄ gemeinsam haben, ist eine Drehung mit dem Drehzentrum π΄ und dem Drehwinkel 2β‘(π, β). Die Überlegungen, die zu Satz 2.12. führten, setzen nur voraus, dass die beiden Spiegelgeraden π und β genau den Punkt A gemeinsam hatten. Natürlich war durch die spezielle Wahl der Spiegelgeraden dann der Winkel β‘(π, β) eindeutig bestimmt. Der Beweis selbst hätte genauso gut mittels zweier anderer Spiegelachsen geführt werden können, die den Punkt A gemeinsam haben. Vorausgesetzt, dass die beiden anderen Geraden ebenso einen Winkel der Größe des Winkels β‘(π, β) einschließen, hätten wir denselben Drehwinkel 2β‘(π, β) erhalten, also insgesamt dieselbe Drehung wie bei der Nacheinanderausführung π β °π π . Die folgenden Bilder illustrieren diesen Umstand: P' mοBAC = 52,00ο° mοQAQ'' = 104,00ο° R' Q' h C A R B g Q Q'' P P'' R'' mοBAC = 52,00ο° mοQAQ'' = 104,00ο° h Bg C A R Q Q'' Q' P' P R' R'' P'' Kapitel 1: Kongruenzabbildungen, Vorlesung 2/3: Typen von Bewegungen mοBAC = 52,00ο° mοQAQ'' = 104,00ο° R' gB Q' h R C P' A Q Q'' P P'' R'' Bemerkung: In der Regel ist es nicht egal, ob zuerst an π und dann an β gespiegelt wird oder umgekehrt. Nur in dem Fall, da g und h senkrecht aufeinander stehen gilt π β °π π = π π °π β (Übungsaufgabe 5, Serie 3). Unsere bisherigen Überlegungen beweisen diese Tatsache, denn wir wissen jetzt, dass π β °π π = π β′ °π π′ gilt, wenn der Schnittpunkt von π mit β derselbe wie der von π′ mit β′ ist und beide Geradenpaare einen Winkel derselben Größe einschließen. Wenn nun die beiden Geraden π und β senkrecht aufeinander stehen, dann gilt: π ∩ β = β ∩ π = {π}, |β‘(π, β)| = |β‘(β, π)|. Fazit: π β °π π = π π °π β . Satz 2.13: Zwei Geraden π und β stehen genau dann senkrecht aufeinander, wenn π β °π π = π π °π β .und π β’ β. Bemerkungen. Die obigen Herleitungen beweisen Satz 2.13 natürlich noch nicht vollständig (s. Beweis Übungsaufgabe 5 der Serie 3). Nach diesen Überlegungen zur Nacheinanderausführung zweier Geradenspiegelungen, deren Spiegelachsen genau einen Punkt gemeinsam haben, wenden wir uns wieder dem eigentlichen Problem, der Nacheinanderausführung dreier Geradenspiegelungen zu. Zur Erinnerung: π ∩ β = {π΄}, β ∩ π = {π΅}, π ∩ π = {πΆ}, π΄, π΅, πΆ paarweise verschieden. Wir betrachten π π °π β °π π bzw. genauer π π °(π β °π π ). C g A i h B Wir fällen zunächst das Lot β′ von π΄ auf die Gerade π. Der Fußpunkt dieses Lotes sei π·. Kapitel 1: Kongruenzabbildungen, Vorlesung 2/3: Typen von Bewegungen C g D A h' i h B An den Strahl π΄π· + wird ein Winkel der Größe von β‘(π, β) angetragen, die durch den angetragenen Winkel eindeutig bestimmte Gerade nennen wir π′. C g' g D A h' i h B Nach den Überlegungen zur Nacheinanderausführung zweier Geradenspiegelungen, deren Spiegelachsen genau einen Punkt gemeinsam haben gilt nun: π π °(π β °π π )=π π °(π β′ °π π′ ) Wegen der Assoziativität der Nacheinanderausführung von Abbildungen gilt ferner: π π °(π β °π π )=π π °(π β′ °π π′ ) = (π π °π β′ )°π π′ Die Drehung π π °π β′ können wir durch die Drehung π π′ °π β′′ mit π ′ ∩ β′′ = {π·}, π′ ⊥ β′′ ersetzen. β′′ wählen wir dabei derart, dass β′′ ⊥ π′ gilt. Der Schnittpunkt von β′′ mit π′ sei mit πΈ bezeichnet. Kapitel 1: Kongruenzabbildungen, Vorlesung 2/3: Typen von Bewegungen C g' g D h' h'' A E i i' h B Fazit: π π °π β °π π = π π′ °π β′′ °π π′ mit π ′ ⊥ β′′ , β′′ ⊥ π′ und damit π′ β₯ π′. g' D h'' i' E Wegen der Orthogonalitäten und der daraus resultierenden Kommutativität der Nacheinanderausführung zweier Geradenspiegelungen zuzüglich der Assoziativität der Nacheinanderausführung von Abbildungen gilt: π π′ °π β′′ °π π′ = (π π′ °π π′ )°π β′′ βββββ . Damit ist Wegen der Parallelität π′ β₯ π′ ist π π′ °π π′ eine Verschiebung mit dem Verschiebungsvektor 2πΈπ· (π π′ °π π′ )°π β′′ die Nacheinanderausführung einer Verschiebung und einer Geradenspiegelung: (π π′ °π π′ )°π β′′ = π£2πΈπ· ββββββ °π πΈπ· . Leicht zeigt man: π£2πΈπ· ββββββ °π πΈπ· = π πΈπ· °π£2πΈπ· ββββββ (Übungsaufgabe) Die Nacheinanderausführung einer Verschiebung mit einer Geradenspiegelung nennt man Schubspiegelung: Definition 2.4: (Schubspiegelung) Die Nacheinanderausführung einer Verschiebung mit einer Geradenspiegelung, die derart beschaffen sind, dass der Verschiebungsvektor parallel zur Spiegelachse ist, heißt Schubspiegelung. Kapitel 1: Kongruenzabbildungen, Vorlesung 2/3: Typen von Bewegungen