„Zwischen den Klippen grundsätzlicher Akklamation und grundsätzlicher Opposition“ Bischof Armin Härtel und das Selbstverständnis der Evangelischmethodistischen Kirche als „Kirche im Sozialismus“ Dr. Michel Weyer Étude parue dans Michel Weyer (éd.), Gottes erklärter Wille. Mélanges en l'honneur d'Armin Härtel, Stuttgart (Christliches Verlagshaus) 1993, p. 57-93. Elle retrace le rôle délicat que joua l'évêque méthodiste Armin Härtel pendant les années difficiles où il présida aux destinées de son église en République Démocratique Allemande. Als Bischof der Evangelisch-methodistischen Kirche (EmK) in der früheren DDR hat Armin Härtel den für seine - und mit seiner - Kirche angepeilten Kurs als „Weg zwischen den Klippen grundsätzlicher Akklamation und grundsätzlicher Opposition“ bezeichnet.1 Wie die meisten kirchenleitenden Persönlichkeiten im damaligen sozialistischen Staat der Arbeiter und Bauern hat auch Bischof A. Härtel die Kirche als „Kirche im Sozialismus“ verstehen wollen und hat sich stets darum bemüht, sie auf der Gratwanderung zwischen „Anpassung“ und „Verweigerung“ zu führen.2 Zur Ehrung des Jubilars sollen hier einige Aspekte jenes Weges beschrieben werden, der bei allem von ihm vertretenen „partnerschaftlichen Verständnis des Bischofsamtes“3 doch ganz wesentlich von ihm persönlich mitgeprägt worden ist. „Die Geschichte der Evangelisch-methodistischen Kirche in der DDR fordert von jedem, der sie einschätzen möchte, ein hohes Maß an Sensibilität“, meinte zu Recht ein Pastor der Ostdeutschen Jährlichen Konferenz dieser Kirche vor nicht allzulanger Zeit. 4 Das Leben und Handeln einer Kirche, die sich während der Zeit einer diktatorisch aufgezwungenen Gesellschaftsordnung weder anpassen noch verweigern wollte, mußte notwendigerweise an vielen Stellen Frag-würdiges und Ambivalentes aufweisen,5 das von Unbetroffenen oder Nachgeborenen im Namen des der Kirche aufgetragenen prophetischen Amtes nachträglich leicht zu kritisieren ist. Deshalb sind Demut und Bewußtsein für die eigene Schwäche wie für das eigene Versagen geboten, wenn man als Außenstehender den Weg seiner Brüder und Schwestern in einer so schwierigen Zeit nachzeichnen will. Vielleicht gehört auch eine Portion Mutes dazu, bedenkt man, welche 1 So in der Bischofsbotschaft an die Zentralkonferenz 1984, abgedr. in: EmK in der DDR. Informationen - Handreichungen - Amtsblatt II/1984,3-18. 2 Die beiden Ausdrücke in der (hektographierten) Bischofsbotschaft an die Zentralkonferenz der EmK in der DDR 1980,7. 3 Siehe Herbert Uhlmanns Beitrag in dieser Festschrift: Partnerschaftliches Dienstbewußtsein. 4 So der Zwickauer Pastor Herbert Uhlmann in "Wort und Weg" 25(1992), Nr. 43 (25.10.1992),13. 5 So hat z.B. Martin G. Kupsch in seiner Untersuchung zur Position der EmK-DDR zum Fragenkomplex "Krieg und Frieden" auf das hingewiesen, was nach seiner Meinung als "frag-würdig, wenn nicht zwiespältig" zu betrachten sei. Hier wird behauptet, daß bei der erwähnten Gratwanderung "zumindest in den siebziger Jahren die 'Anpassung' überwog": Martin G. Kupsch, Krieg und Frieden. Die Stellungnahmen der methodistischen Kirchen in den Vereinigten Staaten, Großbritannien und Kontinentaleuropa, 2 Bde, Frankfurt/Main 1992,880 u. 881. 2 Auseinandersetzungen in den deutschen evangelischen Kirchen seit der Wende von 1989 ausgebrochen sind, jedesmal wenn auf die DDR-Vergangenheit zurückgeblendet worden ist. Den meisten Kirchenleitungen ist ja in der politischen Debatte und in der Diskussion in den Medien nachträglich vorgeworfen worden, dem SED-Regime den gebührenden Widerstand nicht geleistet zu haben. 6 Die Reaktionen auf die ersten Versuche, eine Dokumentation im Blick auf die gebotene Kirchengeschichtsschreibung zusammenzustellen, lassen sichtbar werden, daß es auch im wissenschaftlichen Bereich nicht viel ruhiger zugeht, sobald der Weg der Kirchen in der früheren DDR unter die Lupe genommen wird.7 Als Armin Härtel 1970 zum ersten Bischof der eben gegründeten Zentralkonferenz der EmK in der DDR gewählt wurde, hatte seine Kirche, die frühere Bischöfliche Methodistenkirche (BMK), die sich zwei Jahre früher mit der Evangelischen Gemeinschaft zur Evangelisch-methodistischen Kirche vereinigt hatte, bereits eine 25jährige Geschichte mit der 1945 in Ostdeutschland entstandenen neuen Gesellschaftsordnung hinter sich. Es muß zunächst kurz daran erinnert werden, welche Entwicklungen bereits stattgefunden hatten, und wie die Situation aussah, in die der neue Bischof sich hineinzubegeben hatte, bevor seine Interpretation der Lage sowie sein Bemühen um einen angemessenen und verantwortbaren Weg zur Sprache gebracht werden können. 1 Die Jahre bis zur Verselbständigung (1945-1970) Die Entwicklung der politischen Verhältnisse nach Kriegsende in Ostdeutschland hat alle Kirchen überrascht. Auf die Schwierigkeit, vor die sie sich plötzlich gestellt sahen, ihr Zeugnis in einer vom marxistischen Atheismus geprägten Umwelt auszurichten, waren die meisten Pastoren und Laienmitarbeiter(innen) nicht vorbereitet. A. Härtel, der 1948 als Predigtamtskandidat zum Studium am methodistischen Frankfurter Theologischen Seminar angetreten war,8 hatte die Anfänge des Umbruchs miterlebt. Er gehörte zu denen, die sich bewußt auf die neue Situation vorbereiten konnten. Das hat er sogar, soviel wir beurteilen können, mit großem Ernst getan. Es dürfte in der Tat nicht zufällig sein, daß er während seines Studiums „Christentum und Sozialismus“ als Thema einer kirchengeschichtlichen Seminararbeit gewählt hatte. 9 Die Abhandlung, die ich vor Augen habe, steht unter dem Vorzeichen einer spürbaren existentiellen Betroffenheit durch „die Zeitereignisse“, die „über die alte Ansicht, daß das Christentum wenig mit der aufkommenden ‘sozialen Frage’ zu schaffen habe, schon längst zur Tagesordnung übergegangen“ seien. Der angehende methodistische Pastor A. Härtel schrieb seine wissenschaftliche Hausarbeit, wie er ausdrücklich bekannte, „aus der Überzeugung heraus“, daß „die Geschichte eine Lehrerin der Menschheit“ sein solle. „Die Zeitentwicklung“, meinte er, habe „die soziale Frage mit solcher Wucht auf die Tagesordnung aller Stände, aller Kreise, aller Völker, aller Staaten und auch aller Konfessionen gesetzt, daß sie geradezu das Problem unserer Tage geworden“ sei. Den 6 S. z.B. Bischof A. Schönherr, Weder Opportunismus noch Opposition. Kirche im Sozialismus - der beschwerliche Weg der Protestanten in der DDR, in: Die Zeit v. 7.2.1992; siehe auch das Gespräch zwischen der ZEIT, dem Bischof von Berlin-Brandenburg G. Forck und seinem Juristen M. Stolpe, in: Die Zeit v. 14.2.1992. 7 Man denke an die Kontroverse, welche die Materialsammlung von G. Besier und S. Wolf ausgelöst hat: "Pfarrer, Christen und Katholiken". Das Ministerium für Staatssicherheit der ehemaligen DDR und die Kirchen, Neukirchen 1991; siehe vor allem das Vorwort der Herausgeber zur 2., durchgesehenen und um weitere Dokumente vermehrten Auflage 1992. 8 W. Klaiber/M. Weyer (Hg.), 125 Jahre Theologisches Seminar der Evangelisch-methodistischen Kirche, 1858-1983, Stuttgart 1983,130. 9 Das Manuskript (32 Seiten), das Dr. Paulus Scharpff, dem damaligen Dozenten für Kirchengeschichte am Frankfurter Seminar, eingereicht wurde, trägt das Datum 12.4.1951 und befindet sich im Besitz des Verfassers. 3 Umbruch in seiner ostdeutschen Heimat brachte der junge Theologiestudent A. Härtel schon damals in Verbindung mit „dem erkärten Willen Gottes“: „Vielmehr ist es so, daß Gott alle Wege des öffentlichen und privaten Lebens und Wirkens unserer Tage so mit den Fragen und Forderungen, die das soziale Problem bilden, angefüllt hat, daß wir sie entweder einer befriedigenden Ordnung zuzuführen suchen oder aber mit unserer ganzen Kultur von ihnen erdrückt werden“. Schon damals war es also dem späteren Bischof ein brennendes Anliegen, daß die Kirche am erklärten Willen Gottes nicht vorbeigehe, und bereits zu diesem frühen Zeitpunkt war er fest davon überzeugt, Gott selbst habe seine Kirche in den unbequemen neuen Kontext einer sozialistischen Staatsordnung gestellt. Mit seiner kirchengeschichtlichen Abhandlung wollte der Dreiundzwanzigjährige der Kirche helfen, ihre „Bemühungen sowie auch ihre Versäumnisse auf diesem Gebiete (der sozialen Frage) zu beleuchten und aus dieser Geschichtsbetrachtung sachliche Konsequenzen für ihre Einstellung in der Gegenwart und Zukunft zu ziehen“. Der Weg der EmK in der DDR ist bereits Gegenstand erster skizzenhafter geschichtlicher Darstellungen gewesen, auf die hier zurückgegriffen werden kann. 10 Am Anfang der achziger Jahre schrieb der Kirchengeschichtler des Theologischen Seminars der Evangelisch-methodistischen Kirche in der DDR im Rückblick auf den von seiner Kirche schon zurückgelegten Weg, daß „auch bei der Suche nach einer gesellschaftlichen Orientierung“ die „Gemeinschaft mit den andern Kirchen“ sich „als hilfreich erwiesen“ habe, zumal die Evangelisch-methodistische Kirche „als kleine Freikirche von den kirchenpolitischen Vorgängen zwischen dem Staat und den Landeskirchen ohnehin direkt oder indirekt mitbetroffen“ gewesen sei.11 In der Frage des Verhältnisses der Kirche zum Staat und zur Gesellschaft sowie im Ringen der Kirche um ein theologisch verantwortbares Selbstverständnis als „Kirche im Sozialismus“ werden wir in der Tat eine weitgehende Übereinstimmung feststellen zwischen der Entwicklung in den evangelischen Landeskirchen und dem, was sich innerhalb der methodistischen Freikirche beobachten läßt. 1.1 1945-1949 Die Jahre 1945-1949 bilden eine erste Periode, die als „antifaschistisch-demokratische“ bezeichnet worden ist.12 Die Kirchenpolitik der neuen Machthaber in der sowjetischen Besatzungszone ist in den Jahren unmittelbar nach 1945 eine relativ milde gewesen. Es wurde manchmal sogar von „Konzilianz“ gesprochen. 13 Das Wort eignet sich auch für die Qualifizierung des Verhältnisses zwischen dem Methodismus und dem neuen sozialistischen Machtgefüge im östlichen Deutschland. So pflegte gleich nach Kriegsende die damalige Bischöfliche Methodistenkirche Kontakte zu staatlichen Stellen der sowjetischen Besatzungszone und zu den neuen gesellschaftlichen Institutionen, wodurch 10 Rüdiger Minor, Die Methodistenkirche im Gebiet der heutigen Deutschen Demokratischen Republik (1945-1970), in: K. Steckel/ C. Ernst Sommer (Hg.), Geschichte der Evangelisch-methodistischen Kirche, Stuttgart 1982,113-118; Karl Zehrer, Die EmK in der DDR von 1968 bis 1975 (unveröff. Manuskript im Besitz des Vf.); Karl Zehrer, Die Teilnahme der MK bzw. EmK in der DDR an der Suche nach dem Frieden für die Welt (1945-1978) (Referat zur Europäischen Regionalkonferenz der World Methodist Historical Society, gehalten am 27.6.1979 in Bad Klosterlausnitz, hektografiert); Martin G. Kupsch, Krieg und Frieden, a.a.O. (Die S. 869-895 dieser Bonner Dissertation behandeln eingehend die Positionsbestimmungen der EmK-DDR in der Friedensfrage zwischen 1968 und 1988). 11 So R. Minor, Die Methodistenkirche a.a.O., in: Steckel/Sommer, a.a.O.,118. 12 So Robert F. Goeckel, The Lutheran Church and the East German State. Political Conflict and Change under Ulbricht and Honecker, Ithaca-London (Cornell University Press) 1990,40. Auch im Folgenden werden wir uns an Goeckels Periodisierung anlehnen. 13 Dazu z.B. Horst Dähn, Konfrontation oder Kooperation? Das Verhältnis von Staat und Kirche in der SBZ/DDR, 1945-1980, Opladen (Westdeutscher Verlag) 1982,26-29; auch Goeckel, a.a.O.,40-44. 4 sie „mancherlei Hilfen und Erleichterungen“ erlangte.14 Man freute sich z.B. anläßlich der Jährlichen Konferenz der BMK von Mitteldeutschland 1947, daß auch in der „von der Roten Armee besetzten Zone Freiheit der Evangeliumsverkündigung“ herrschte. 15 Gelegentlich konnte eine methodistische Gemeinde von der neuen Verwaltung Ermunterung erfahren.16 Das alles darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, daß man gegenseitig auf Distanz blieb. Die SED hatte die Trennung von Kirche und Staat bereits im Sommer 1946 als Ziel erklärt, und ihre in die Wege geleitete Schulpolitik hatte die Ausschaltung des kirchlichen Einflusses im Bereich der Erziehung im Blick, was später zum Konflikt führen sollte. In dieser ersten Phase aber scheint es jedoch noch keine allzugroße Spannung gegeben zu haben. Es sieht so aus, als sei die FDJ in diesen ersten Jahren durchaus als Möglichkeit für junge Christen gesehen worden. 17 Die von der offiziellen Jugendorganisation vorwiegend „antifaschistische“ Grundhaltung war eine Ausrichtung, die die methodistischen Freikirchen nach dem Zusammenbruch von 1945 durchaus bejahen konnten. Im Großen und Ganzen kam es in dieser Anfangsperiode sogar zu einer Art Restauration der traditionellen Rolle und Rechte der Kirchen. 18 Diese betrachteten die Teilung Deutschlands in Besatzungszonen als ein Provisorium. So auch die Evangelische Gemeinschaft und die Bischöfliche Methodistenkirche, die den Wiederaufbau ihrer durch den Krieg teilweise zerstörten Arbeit auf einer gesamtdeutschen Basis gestalteten. 19 J.W.S. Sommer, der eben gewählte neue gesamtdeutsche Bischof der BMK, wurde 1947 auf der Jährlichen Konferenz von Mitteldeutschland von H. Georgi mit den Worten begrüßt: „Und wie wir von ganzem Herzen die politische und wirtschaftliche Einheit unseres Vaterlandes ersehnen, so sind wir fest entschlossen, über alle Zonengrenzen hinweg und trotz aller zur Zeit noch bestehenden, uns trennenden Schranken, die innere und äußere Geschlossenheit unserer Kirche in Deutschland unbedingt aufrecht zu erhalten“.20 Man wußte sich damit in Ost und West einig mit den Zielen der Politiker und wiederholte gerne das Bekenntnis zur Einheit der methodistischen Freikirche in Deutschland. Bis 1964 wird es gemeinsame Zentralkonferenzen der BMK in Deutschland geben. Aber die sich ständig weiterbildende sozialistische Gesellschaft im Gebiet der zukünftigen DDR und die allmähliche Entstehung zweier deutscher Staaten unterschiedlicher Prägung sollte bald zu einer wachsenden Verselbständigung der methodistischen Kirchen in Ostdeutschland führen. Schon 1960 konnten sich nur die Hälfte der Delegierten der BMK im Osten an der Zentralkonferenz von Pforzheim beteiligen. Das Verhältnis von Kirche und Staat hatte sich in der Tat nach 1949 wesentlich verschlechtert. 1.2 1949-1953 Im Jahre 1949 kam es zur Gründung der Deutschen Demokratischen Republik. Der junge, von der internationalen Gemeinschaft weitgehend nicht anerkannte Staat, ging dann zwischen 1949 und 1953 durch eine Periode systematischer Stalinisierung. Seine Verfassung stellte das Prinzip der Trennung von Kirche und Staat auf, garantierte 14 Verhandlungen der Jährlichen Konferenz der BMK von Mitteldeutschland 1946,31 (zitiert von R. Minor, Die Methodistenkirche, a.a.O., in: K. Steckel/C. Ernst Sommer, a.a.O.,303,A. 23). 15 Verhandlungen der Jährlichen Konferenz der BMK von Mitteldeutschland 1947,59. 16 Ebda,41. 17 Verhandlungen der Jährlichen Konferenz der BMK von Mitteldeutschland 1950,55. 18 Horst Dähn, a.a.O.,98-99; Reinhard Henkys, Kirche-Staat-Gesellschaft, in: R. Henkys (Hg.), Die Evangelischen Kirchen in der DDR, München (Kaiser V.) 1982,37-39. 19 5.-7.12. 1945: erste gemeinsame Kirchenvorstandssitzung der BMK in Frankfurt/M. mit den Vertretern aus dem östlichen Deutschland. 7.-11. November 1946: erste Zentralkonferenz nach dem Krieg (Frankfurt/M) unter Beteiligung vieler Vertreter der Gesamtkirche. S. dazu Steckel/Sommer, a.a.O.,108-109. 20 Verhandlungen der Jährlichen Konferenz von Mitteldeutschland der BMK 1947,12. 5 allerdings Religions- und Gewissensfreiheit und gab den Kirchen einen offiziellen Status.21 Prinzipiell waren jetzt alle Kirchen und Religionsgemeinschaften gleichgestellt. Die Landeskirchen hatten keine Privilegien mehr, und das neue Gleichheitsprinzip wurde von den Freikirchen - auch von den beiden methodistischen - „mit besonderer Befriedigung zur Kenntnis“ genommen.22 Es war aber die typische Ambivalenz der marxistisch-leninistischen Ideologie bezüglich der Religion.23 A. Härtel, der nach seinem Studium den EmK-Bezirk von Großenhain als erste Dienstzuweisung erhielt, war diesbezüglich völlig ohne Illusion. Seine schon erwähnte kirchengeschichtliche Seminarbeit läßt keinen Zweifel darüber bestehen, und manche Äußerungen werden das später immer wieder bestätigen. Der zukünftige erste Bischof der EmK in der DDR scheint jedoch frei von den Vorurteilen und Gefühlen gewesen zu sein, die vielen Christen damals den Zugang zur neuen Gesellschaft verbauten. Was das Verhältnis von Kirche und Staat in der DDR anbelangt, stellten die fünfziger Jahre de facto eine Wendung zur Härte dar.24 Der von einigen befürwortete „deutsche Sonderweg zum Sozialismus“ wurde abgelehnt, und das sowjetische Modell zum Vorbild erklärt. Trotz der in der Verfassung von 1949 verbürgten Rechte fing ein ideologischer Kampf gegen Religion und Kirchen an.25 Die Jahre 1952/53 brachten eine frontale Konfrontation mit der Jugend-und Studentenarbeit der Kirchen. Diese wurden deshalb bedeutend kritischer der staatlichen Politik gegenüber. In der DDR jedoch hielt sich diese Kritik in Grenzen. Sie kann nicht mit dem Verhalten der römisch-katholischen Kirche in Polen oder Ungarn verglichen werden. Die Erklärung liegt vielleicht darin, daß die erwähnte Stalinisierung in der DDR doch bedeutend weniger drastisch als in den anderen Satellitenstaaten der Sowjetunion durchgeführt wurde. Die christlichen Kirchen wurden vom SED-Staat nicht planmäßig zerstört. Dieser hörte z.B. nicht auf, evangelische Theologen in den theologischen Abteilungen seiner Universitäten auszubilden.26 Deshalb plädierte der ostdeutsche Protestantismus auch in dieser Phase der Verschärfung des Konfliktes nicht für den Widerstand gegen das Regime. Das gilt auch für die methodistischen Kirchen. Bei offiziellen methodistischen Zusammenkünften gebrauchte man schon am Anfang der 50er Jahre nicht mehr den Begriff „Ostzone“, sondern fing an von der „Deutschen Demokratischen Republik“ zu sprechen.27 So konnte Superintendent Hugo Georgi 1950 erklären: „Manche unserer jungen Leute arbeiten in der FDJ mit. Wir stellen das jedem jungen Menschen frei. Es wird niemand gehindert, sich politisch zu betätigen“.28 In seiner geschichtlichen Studie aus dem Jahre 1978 zur Teilnahme der EmK-DDR an der Suche nach dem Frieden für die Welt urteilt K. Zehrer, daß dies von den staatlichen Instanzen „im Rahmen des Möglichen mit Entgegenkommen und Hilfe honoriert“ worden sei. 29 Dabei war die Bischöfliche Methodistenkirche in der DDR am Anfang dieser fünfziger Jahre genauso wie alle 21 Hans-Gerhard Koch, Staat und Kirche in der DDR, Stuttgart (Quell Verlag) 1975,30-33. 22 Helmut Obst, Das Verhältnis zu den Religionsgemeinschaften in der DDR, in: H. Kirchner (Hg.), Kirchen, Freikirchen und Religionsgemeinschaft in der DDR. Eine ökumenische Bilanz in evangelischer Sicht, Berlin (Ev. Verlagsanstalt) 1989,48. 23 Dazu Goeckel, a.a.O.,23-28. 24 Hermann Weber, Kleine Geschichte der DDR, Köln (Verlag Wissenschaft und Politik) 1980,40-66. 25 Hans-Gerhard Koch, a.a.O.,39. 26 Horst Dähn, a.a.O.,37-39; Goeckel, a.a.O.,46. 27 Verhandlungen der Zentralkonferenz der BMK in Deutschland 1953, 16 (zitiert von Karl Zehrer, Die Teinahme, a.a.O.). 28 Verhandlungen der Jährlichen Konferenz der BMK von Mitteldeutschland 1950,55 (zitiert von Karl Zehrer, Suche nach Frieden, a.a.O.). 29 Karl Zehrer, Suche nach Frieden, a.a.O., mit Hinweis auf die Verhandlungen der Jährlichen Konferenz der BMK von Mitteldeutschland 1951,42f. 6 Landeskirchen vielfältigen Schickanen ausgesetzt, wie dieser Autor auch bemerkt.30 K. Zehrer stellt jedoch ein wachsendes gegenseitiges Vertrauen fest: „Aber das gegenseitige Vertrauen wuchs und man blieb miteinander im Gespräch. Dabei gab die MKiD ihrem Gegenüber einerseits zu verstehen, daß sie den Menschen ihrer Zeit nichts als das Wort zu bringen hat, und zwar das unverfälschte, nicht tendenziös ausgerichtete Wort, das Wort unseres Gottes in Christus Jesus geoffenbart. Andererseits erklärte sie:’Wir sind uns als Kirche der großen Aufgabe in unserer Zeit voll bewußt. Die Kirche ist nicht bedeutungslos, wie das gerne behauptet wird. Sie ist auch heute noch nach dem Wort der Bergpredigt Salz und Licht. Ihre Ausgeglichenheit, ihre Standhaftigkeit und ihre Treue sind Werte, die der ‘Vater Staat’ sehr wohl mit in Rechnung stellen darf’.“ 31 Seit 1950 hatte die BMK in der DDR ein eigenes Presseorgan, die „Friedensglocke“.32 Die Zeitschrift wird einen sehr vorsichtigen Weg einschlagen. Soviel wir sehen können, verzichtete das methodistische Sonntagsblatt systematisch auf alle Aussagen, die zu einem Konflikt mit dem Staat hätten führen können. Allerdings vermied es auch offene Loyalitätserklärungen. Gelegentlich wurde in jenen beginnenden fünfziger Jahren der „rein religiöse“ Charakter der methodistischen Arbeit hervorgehoben, was einem indirekten offiziellen Verzicht auf politische Einmischung gleichkam.33 Unter solchen Umständen verwundert es nicht, daß die Jährliche Konferenz der BMK von Mitteldeutschland 1958 im Rückblick auf die ersten Lebensjahre der „Friedensglocke“ feststellen durfte: „Es erfüllt uns immer wieder mit Dankbarkeit, daß wir im Laufe der vergangenen acht Jahre nicht ein einziges Mal eine Beanstandung des Inhalts von seiten der Behörden erfahren haben.“ R. Minor zitiert dies als Beleg dafür, daß die BMK schon damals eine „loyale Haltung gegenüber dem Staat“ eingenommen hätte. 34 Eine ausdrückliche Loyalitätserklärung war es allerdings nicht. Solche Erklärungen fehlten damals auch bei den evangelischen Landeskirchen. Das darf jedoch nicht als politische Neutralität ausgelegt werden, wie Robert F. Goeckel das für die Landeskirchen nachgewiesen hat.35 Diese Haltung läßt sich vielmehr dadurch erklären, daß man in allen protestantischen Kirchen weitgehend der Meinung war, die DDR werde nur ein Provisorium sein. Die Sowjetunion stärkte übrigens damals in sehr ambivalenter Art und Weise die Hoffnung auf eine Wiedervereinigung Deutschlands. Doch die Spannung wuchs. Die DDR faßte den Entschluß, ihren Studenten nicht mehr zu gestatten, sich in der BRD ausbilden zu lassen, was die damaligen beiden methodistischen Kirchen hart traf, da sie beide ihre Ausbildungsstätten in der BRD hatten. Die Evangelische Gemeinschaft sowie die Bischöfliche Methodistenkirche sahen sich gezwungen, ihre Kandidaten nicht mehr nach Reutlingen bzw. Frankfurt/M zur Ausbildung zu schicken. 36 Die zuständigen staatlichen Stellen ließen die beiden Kirchen wissen, sie müßten ein eigenes Seminar in der DDR gründen und ihnen dessen Lehrplan sowie die Zusammensetzung des Vorstandes und des Lehrerkollegiums vorlegen. So kam es 1952 zur Gründung des Theologischen Seminars von Bad Klosterlausnitz, in dem von nun an die Predigtamtskandidaten beider methodistischen Traditionen ausgebildet wurden. Die „Friedensglocke“ berichtete über die Eröffnung der theologischen Schule, ohne Hinweis auf die Hintergründe und auf die Tatsache, daß es keine selbständige Entscheidung der 30 Ebda,6, mit Hinweis auf die Verhandlungen der Jährlichen Konferenz der BMK von Mitteldeutschland 1950,52; 1951, 46.60;1952, 12.19.22.57 usw. 31 Ebda,7, mit Hinweis auf Verhandlungen der JK MK von Mitteldeutschland 1952,65f. 32 "Friedensglocke". Kirchenblatt der Evangelisch-methodistischen Kirche in der Deutschen Demokratischen Republik. 33 S. den Bericht des Superintendenten Georgi in den Verhandlungen der Jährlichen Konferenz der BMK von Mitteldeutschland 1950. 34 Steckel/Sommer, a.a.O.,302, A. 23. 35 Goeckel, a.a.O.,46f. 36 Dazu W. Klaiber/M. Weyer (Hg.), 125 Jahre Theologisches Seminar a.a.O., 40-41. 7 Kirche gewesen sei. Es hieß einfach: „Gemäß eines Beschlusses der Jährlichen Konferenz in Leipzig und unter Zustimmung der hierfür zuständigen Stellen der Regierung der DDR eröffnet die BMK in der DDR ... eine Theologische Schule zur Ausbildung ihres Predigernachwuchses“.37 Rückblickend erwies sich die Eröffnung eines eigenen Theologischen Seminars als ein wesentlicher Schritt auf dem Wege zur Verselbständigung der methodistischen Arbeit in der DDR. Es herrschte aber damals noch die einmütige Auffassung, „daß nach der Wiedervereinigung zwischen Ost und West die Seminaristen der Kirche in der DDR wieder nach Frankfurt gesandt werden“. 38 Auch die diakonischen Werke erhielten damals Leitungsgremien mit Sitz in der DDR. 39 Am 27.2.1953 wurde Bischof Dr. F. Wunderlich zum gesamtdeutschen Bischof der BMK gewählt. Von seiner Amtszeit gilt, was K.H. Voigt schreibt: „Die Frage der staatsrechtlichen Anerkennung der DDR einerseits und andrerseits der in der BRD lange Zeit vertretene Alleinvertretungsanspruch schufen viele Probleme. Aber selbst in der Zeit dieser politischen Entwicklung konnte Bischof Wunderlich als Bischof einer weltweiten Kirche regelmäßig in die DDR reisen und bei allen Konferenzen während seiner bis 1968 währenden Dienstzeit die Verpflichtungen erfüllen, die sich für ihn aus der Kirchenordnung ergaben“.40 1.3 1953-1958 So wie die Stalinisierung in der DDR milder und unvollständiger als in den anderen Ostblockstaaten durchgeführt worden war, so auch die nun darauffolgende Entstalinisierung nach 1953.41 Walter Ulbricht nützte bekanntlich die Angst der kommunistischen Machthaber vor einer möglichen Destabilisierung aus, um den alten politischen Kurs beizubehalten. Die Verwandlung der Gesellschaft im sozialistischen Sinne wurde unbeirrt weitergeführt, und die Spannung zwischen dem Staat und der Kirche wuchs. Die Verschlechterung der wirtschaftlichen Lage führte allerdings im Juni 1953 zu Konzessionen von seiten des Regimes. Die östliche Leitung der EKD kam am 10.6.1953 mit dem Ministerpräsidenten Otto Grotewohl zusammen.42 Das offizielle Communiqué läßt das gentlemen agreement sichtbar werden: Der Staat garantiert die von der Verfassung vorgesehene Existenz der Kirchen, und diese erklären sich ihrerseits bereit, „verfassungswidrige Angriffe und Beeinflussungen auf das politische und wirtschaftliche Leben zu vermeiden“.43 Der Aufstand der Arbeiter am 17. Juni wurde bekanntlich mit Hilfe der sowjetischen Truppen niedergeschlagen. Das methodistische Sonntagsblatt schwieg zum tragischen Ereignis, und der „Bericht des Ausschusses für Weltfrieden“ der Jährlichen Konferenz 1953 erwähnte ganz allgemein die „unheilvollen Spannungen in der Welt“, die „wir mit tiefem Schmerz feststellen müssen“. 44 Die für das Jahr 1953/4 definierten „Konferenzziele“ legten „das besondere Gewicht auf die Verinnerlichung unseres kirchlichen Lebens“.45 Ein deutlicher Rückzug auf religiöse Innerlichkeit dürfte für den ostdeutschen Methodismus dieser fünfziger Jahre 37 "Friedensglocke",1952,141. S. auch den ausführlichen Konferenzbericht, ebda,148-149. 38 Direktorbericht des Frankfurter Seminars 1951/2 (Zentralarchiv der Zentralkonferenz der EmK in der BRD, Reutlingen). 39 R. Minor, Die Methodistenkirche, a.a.O., in: K. Steckel/C. Ernst Sommer, a.a.O.,117. 40 K. Steckel/C. Ernst Sommer, a.a.O., 112. 41 Für diese Jahre siehe Hermann Weber, a.a.O.,71-94. 42 Hans-Gerhard Koch, a.a.O.,48-53; Horst Dähn, a.a.O.,47-50; Günter Köhler (Hg), Pontifex nicht Partisan: Kirche und Staat in der DDR von 1949 bis 1958: Dokumente aus der Arbeit der Bevollmächtigten des Rates der EKD bei der Regierung der DDR Propst D. Heinrich Grüber, Stuttgart (Evangelisches Verlagswerk) 1974,111-172. 43 Zitiert nach Goeckel, a.a.O.,49. 44 "Friedensglocke" 1953,99. 45 Ebda,103. 8 charakteristisch gewesen sein. Später wird es zu einer deutlichen Selbstkorrektur kommen.46 Die kirchliche Jugendarbeit wurde vorübergehend nicht mehr belästigt. Erich Honecker, damals noch Vorsitzender der FDJ, akzeptierte die kirchliche These, wonach die kirchlichen Jugendgruppen und die Jungen Gemeinden nicht als „Jugendorganisationen“, sondern als Sammlung von Jugendlichen im Rahmen der Kirche zu betrachten seien. Im Jahre 1954 erhielt A. Härtel seine neue Dienstzuweisung nach Grünhain. Er sollte bald Zeuge eines allmählichen Umdenkensprozesses in seiner Kirche sein, den R. Minor im Rückblick wie folgt beschrieben hat: „Hand in Hand mit diesen strukturellen Veränderungen ging ein Prozeß im Denken der Kirche und ihrer Glieder, der von bewußter Annahme der Situation über die theologische Bewertung bis zur konkreten Mitarbeit als Kirche im sozialistischen Staat reichte.“47 In diesen Jahren wurden die innerdeutschen Beziehungen bekanntlich problematischer. Auf beiden Seiten kam es zu einer größeren politischen Souveränität. Die Integration Westdeutschlands in die Europäische Gemeinschaft, die Wiederbewaffnung der BRD sowie der NATO-Vertrag trugen zur Verschärfung der Lage bei. 1954 anerkannte diplomatisch die UdSSR die DDR, und Khrustschow stellte seine Zwei-Staaten-Theorie auf, nach der die Wiedervereinigung nur unter dem Zeichen der sozialistischen Gesellschaftsordnung der DDR möglich sei. Die Nationale Volksarmee (NVA) wurde gegründet und die DDR in den Warschauer Pakt integriert. Noch im selben Jahr 1954 führte der SED-Staat die 1950 abgeschaffte „Jugendweihe“ wieder ein, was die Landeskirchen zu einer sehr klaren Linie bewog: sie sahen in der Jugendweihe keine bloße politische Loyalitätserklärung, sondern eine Glaubensfrage. Wer durch die Jugendweihe ging, wurde nicht konfirmiert. Auch wurden die neuen Einmischungen des Staates in die Angelegenheiten der kirchlichen Jugend schroff zurückgewiesen.48 Wie die innermethodistische Debatte zu diesen Problemen gelaufen ist, kann in diesem Rahmen nicht näher ausgeführt werden. In seinen Bemühungen, die Kirchen für seine Zwecke zu benützen, wandte sich der Staat schon damals gelegentlich auch an die methodistische Freikirche, wie z.B. anläßlich der Jährlichen Konferenz 1955 in Plauen. Der Ministerpräsident Otto Nuschke (CDU) sandte seine Grüße und sprach seine „Überzeugung“ aus, „daß diese Synode nicht nur wichtige innerkirchliche Fragen regeln, sondern eine gesamtdeutsche Manifestation sein und einen Beitrag zur Verständigung der Deutschen untereinander leisten wird“. Er machte auch die kleine Freikirche darauf aufmerksam, zu welcher Statusverbesserung das neue Regime für sie geführt habe: „Bei dieser Gelegenheit darf ich hervorheben, daß die Bischöfliche Methodistenkirche in der Deutschen Demokratischen Republik gleichberechtigt wie alle andern Kirchen betrachtet und behandelt wird.“49 Das Gesetz Benjamin von Februar 1956 gefährdete die finanzielle Stärke der Landeskirchen, die ihre Steuern nach wie vor mit Hilfe von staatlichen Listen eintreiben ließen.50 Die methodistischen Freikirchen waren von dem neuen Gesetz natürlich nicht 46 Besonders aufschlußreich für diese spätere Selbstkorrektur sind, neben pointierten Aussagen in A. Härtels Bischofsbotschaften, von denen noch die Rede sein soll, gezielte Ausdrücke im "Wort an die Gemeinden der EmK in der DDR zum 40. Jahrestag des Endes des 2. Weltkrieges", in: "Friedensglocke" 1985,45. 47 So R. Minor, Die Methodistenkirche, a.a.O., in: K. Steckel/C.Ernst Sommer, a.a.O.,118. 48 Goeckel, a.a.O.,50. 49 Ganzer Text mit der Antwort der Jährlichen Konferenz in: "Friedensglocke" 1955,79. 50 Goeckel, a.a.O.,50; Hans-Gerhard Koch, a.a.O.,53-56. Auch: Kurt Rommel, Religion und Kirche im sozialistischen Staat der DDR, Diss. Universität Kiel (Institut für Recht, Politik und Gesellschaft der sozialistischen Staaten) 1975,78,92,94. 9 betroffen. Das Gesetz Lange von 1958 schränkte die kirchliche Möglichkeit des Religionsunterrichts in den Schulen ein.51 Auch das traf den Methodismus nicht. Die Einführung der „Zehn Gebote sozialistischer Sittlichkeit“ 1958 durch Walter Ulbricht war ein weiterer Versuch, den Stellenwert der kirchlichen Tradition in der Gesellschaft zu mindern.52 Es kam auch zu einer Steigerung des Druckes auf einzelne Menschen, um sie zum Verlassen der Kirche zu bewegen. Die Hoffnung auf eine deutsche Wiedervereinigung schwand allmählich. Spätestens nach dem Scheitern der Genfer Außenministerkonferenz von 1955 war deutlich geworden: die DDR ist keine Eintagsfliege. Doch, wie Albrecht Schönherr es später einmal formulieren sollte, glaubten noch viele, daß „die Kirchen wenigstens die ‘nationale Klammer’ zwischen den beiden ‘Teilen Deutschlands’ bleiben“ sollten. 53 Diese Überzeugung läßt sich auch im ostdeutschen Methodismus jener Jahre belegen. Superintendent J. Thomas konnte noch 1958 bei der Begrüßung Bischof Wunderlichs sagen: „Wir sind eine Methodistenkirche in Deutschland. Es wird stets sichtbar in Ihnen, unserem Bischof (...) Möge Ihr Dienst zu dieser Jährlichen Konferenz beitragen, Brücke zu sein zwischen Ost und West.“ 54 Aber der Methodismus in der DDR hatte anscheinend schon damals seinen „Ort“ erkannt, wie J. Thomas’ weitere Ausführungen zeigen: „Wir tun unseren Dienst hier im Osten unseres Vaterlandes und erkennen immer wieder: Hier ist unser Platz.“ Theologisch reflektiert war die neue Situation allerdings noch nicht, aber eine größere Akzeptanz der DDR als der der Kirche von Gott zugewiesenen Wirkungsstätte war bereits deutlich. Das kam 1960 auch darin zum Ausdruck, daß die Bischöfliche Methodistenkirche in der DDR zum Tode des Staatspräsidenten Wilhelm Pieck in ihrem Sonntagsblatt offiziell kondolierte und sogar ihre Gemeinden anwies, am Sonntag, dem 11. September, „in ihrem Fürbittgebet in besonderem der trauernden Hinterbliebenen des verstorbenen Präsidenten, der Regierung der Deutschen Demokratischen Republik und des deutschen Volkes zu gedenken.“55 Was A. Schönherr, der spätere Vorsitzende des Bundes der Evangelischen Kirchen in der DDR rückblickend schreiben sollte, gilt auch vom ostdeutschen Methodismus jener Jahre: „Es wurde nun höchste Zeit, die Situation theologisch zu reflektieren und die Folgerungen zu ziehen“.56 Das Thema „Christ und Gesellschaft“, das bisher in der „Friedensglocke“ so konsequent umgangen worden war, mußte bei aller Brisanz, die es enthielt, nun auch im ostdeutschen Methodismus in Angriff genommen werden. Ein Methodist, der mit Sicherheit die Situation zu reflektieren bereits begonnen hatte, war A. Härtel, der 1959 eine neue Dienstzuweisung nach Schönheide erhielt. 1.4 Das einschneidende Jahr 1968 Der Rückzug ins Individualistische und rein Religiöse, den wir als Grundtendenz in all diesen Jahren beobachtet haben, wird in den sechziger Jahren zunehmend abgewiesen. Durch die jetzt einsetzende Friedensdiskussion wird auch innerhalb des ostdeutschen Methodismus der Blick auf die politischen und gesellschaftlichen Probleme dieser Welt gerichtet. Die „Erste Allchristliche Friedensversammlung“, die 1961 in Prag stattfand, gab Anlaß zu einer ausführlichen Berichterstattung in der „Friedensglocke“, die bei dieser Gelegenheit erklärte, ein „rechter Friedensbote“ werden zu wollen.57 Für die zunehmende 51 Goeckel, a.a.O.,51. 52 Hans-Gerhard Koch, a.a.O.,56-57; Horst Dähn, a.a.O.,69. 53 Albrecht Schönherr, Zum Weg der evangelischen Kirchen in der DDR, Berlin (Union Verlag) 1986,13. 54 Verhandlungen der Jährlichen Konferenz von Mitteldeutschland 1958,57, zitiert von R. Minor, a.a.O., in: K.Steckel/C.Ernst Sommer, a.a.O.,302, Anmerkung 14. 55 "Friedensglocke" 1960,107. 56 A. Schönherr, Zum Weg, a.a.O.,15. 57 "Friedensglocke" 1961,101ff. 10 Konkretisierung der Diskussion und das einsetzende, immer deutlicher werdende Ansprechen aktueller Konflikte verweisen wir auf die neueste Studie von Martin Gerhard Kupsch zum Thema „Krieg und Friede“ im Methodismus. Dieser Autor kommt zum Ergebnis, daß die Stellungnahmen der Methodisten in der DDR sich ganz im Einklang mit der staatlich deklarierten Friedenspolitik bewegten und zunächst auf kritische oder abweichende Aussagen verzichteten.58 Im Jahre 1968 vereinigten sich die Evangelische Gemeinschaft und die Bischöfliche Methodistenkirche auch in der DDR zur Evangelisch-methodistischen Kirche. In diesem Jahr wurde A. Härtel Superintendent des Dresdner-Distriktes seiner Kirche. Die erste Jährliche Konferenz der vereinigten Kirche plädierte für die Lösung der Deutschlandfrage durch eine Normalisierung der Beziehungen zwischen den beiden deutschen Staaten als jeweils souveräne Staaten,59 und ein Jahr später erklärte sie sich ausdrücklich „auf dem Weg zu einem neuen Denken“.60 Was im methodistischen Sonntagsblatt zur besonders bewegten Weltsituation des Jahres 1968 geschrieben und - wohl aus verständlicher Vorsicht - verschwiegen worden ist, bringt eine Einseitigkeit zum Ausdruck, die sich nur so erklären läßt, daß man es gerade in dieser Phase des Umdenkens nicht auf eine neue Konfrontation mit dem real existierenden Sozialismus ankommen lassen wollte. 61 In diesem Jahr wurde auch die definitive Verselbständigung der EmK-DDR in die Wege geleitet. Schon 1962 war es innerhalb der Bischöflichen Methodistenkirche zur Bildung einer „Kirchenleitung in der DDR“ gekommen. Sie bestand aus den in der DDR ansäßigen Mitgliedern des Kirchenvorstandes der gesamtdeutschen Zentralkonferenz. 62 Aber dem Staate war die weiterbestehende enge methodistische Connexio, die auch der „gesamtdeutsche“ Bischof symbolisierte, ein Dorn im Auge. Der Art. 38.1 der neuen Verfassung von 1968, die die Verfassung von 1949 ersetzen sollte, sah ja vor, daß die Kirchen ihre Angelegenheiten den DDR-Gesetzen entsprechend zu regeln hätten. Das wurde dahin interpretiert, daß die Kirchen in der DDR ihre organisatorischen Verbindungen zu den westdeutschen Kirchen aufzulösen hätten. Die staatlichen Grenzen sollten nun auch die Möglichkeiten der kirchlichen Organisationen begrenzen.63 Das führte zu einer Umstrukturierung des ostdeutschen Methodismus. K. Zehrer sieht den formalen Anlaß zur Verselbständigung der EmK in der DDR in einem Gespräch vom 26.2.1969 zwischen dem Staatssekretär für Kirchenfragen, H. Seigewasser, und dem Vorsitzenden des Geschäftsführenden Ausschusses der Jährlichen Konferenz, Superintendent B. Tröger. 64 In diesem Gespräch hat offenbar das Staatssekretariat gedrängt, die Angelegenheiten der EmK in der DDR nun endlich im Sinne früherer Gespräche und Wünsche zu regeln. Dies schien um so dringlicher, als eine 58 Martin Gerhard Kupsch, a.a.O., 894. 59 Ebda,876, mit Verweis auf die Verhandlungen der Jährlichen Konferenz 1968,137. 60 Verhandlungen der Jährlichen Konferenz 1969,133. 61 Beispiele für die oben angesprochene Selektivität in der Berichterstattung der "Friedensglocke" 1968: Der militärische Angriff des Warschauer Paktes auf die CSSR unter Beteiligung der DDR-NVA im August 1968 wird nicht erwähnt, während noch kurz vorher ausführlich über den Methodismus in der Tschekoslowakei und über den Besuch von tschechischen Methodisten in Zwickau berichtet worden war; das "Wort zum Frieden" dieses Jahres rügt den Vietnamkrieg, verschweigt aber die Gewalt im eigenen Lager; während ausführlich über die Weltkirchenkonferenz von Uppsala und über die Botschaft des Ökumenischen Rates referiert wird, wird den Lesern nicht mitgeteilt, wie aus dem viel näheren Bereich der Ökumene in der DDR vereinzelte Stimmen sich mit der CSSR solidarisch erklärten und gegen deren Invasion protestierten (s. Die Kirchen in der DDR und die Militäraktion gegen die CSSR, epd Grüner Dienst, Nr. 33 v. 19.9.1068,22-23; Goeckel, a.a.O.,141). 62 Verhandlungen der Jährlichen Konferenz der BMK von Mitteldeutschland 1962,27. 63 Für die in den evangelischen Landeskirchen ausgelösten unterschiedlichen Reaktionen, siehe Goeckel, a.a.O.,69 ff. 64 K. Zehrer, Die EmK in der DDR von 1968 bis 1975, a.a.O., 3. 11 Begegnung von Bischof Dr. Sommer mit den EmK-Pastoren der DDR am 28.10.1968 in der Friedenskirche in Zwickau von den staatlichen Stellen außerordentlich argwöhnisch beobachtet worden war. Eine außerordentliche Jährliche Konferenz, stellte am 6.12.1969 in Leipzig den Antrag an die Generalkonferenz, „ihr auf Grund der staatsrechtlichen Entwicklung und der kirchlichen Notwendigkeit alle Funktionen einer Zentralkonferenz zu gewähren“. Im darauffolgenden Jahr 1970 kam es zur Gründung der Zentralkonferenz der EmK in der DDR. Diese wählte den damals dienstjüngsten 42-jährigen Superintendenten A. Härtel zu ihrem Bischof. 2 Das Wendejahr 1970: Ein neuer Blick für die Zukunft Die Verselbständigung der EmK in der DDR, die jetzt einen eigenen Bischof besaß, stellte eine Zäsur dar. Für den ostdeutschen Methodismus hatte sich ein Blatt gewendet. Dezidiert wird er nun einer Zeit des nur zögernden Sich-auf-die-neue-Situation-Einlassens den Rücken kehren. Ohne aus der internationalen methodistischen Connexio auszutreten, wird er sich freier und intensiver auf die besondere Situation einer sozialsitischen Gesellschaft einstellen können. 2.1 „Wer glaubt, der flieht nicht“ Die erste Äußerung des Neugewählten vor den Pastoren und Laienabgeordneten seiner Kirche lautete: „Laßt mich nicht einsam sein!“ Sich der schwierigen Situation völlig bewußt, hatte er, wie er sagte, „schweren Herzens ein Ja“ auf die Wahl gefunden. 65 Überlegungen zu einem sogenannten „partnerschaftlichen Bischofsamt“ waren der Wahl vorausgegangen. Dieses Verständnis des Bischofsamtes wurde noch auf der Zentralkonferenz 1970 definiert und installiert. 66 An dieser Definition hatte A. Härtel selbst aktiv mitgearbeitet.67 Er war entschlossen, seiner Leitung einen dezidiert „koordinierenden Charakter“ zu verleihen. Von einer solchen Koordination versprach er sich „eine gute Ökonomie der Gaben, eine rechte Sondierung der Methoden und eine nüchterne Regulierung am Wort der Bibel“.68 Mit welcher wesleyanisch geprägten, offenen Hermeneutik er das „Wort der Bibel“ zu lesen pflegte, hat der neue Bischof nachträglich in einem Beitrag zur Arbeit des „Ausschusses für theologische Fragen“ seiner Kirche deutlich gemacht.69 Der letzte Superintendentenbericht des neuen Bischofs war von markanten Sätzen geprägt gewesen, die sowohl seine alte, von uns schon erwähnte Überzeugung aus seiner Zeit im Frankfurter Seminar in gereifter Form zum Ausdruck brachten, als auch eine der Hauptausrichtungen seines die Kirche prägenden Einflusses ankündigten: „Rechenschaftsablegung im Raum der Kirche darf den Hintergrund kirchlicher Arbeit nicht verschweigen, auf dem sie heute geschieht. Er besteht in einem grundlegenden Vorgang, der sich zunehmend über die ganze Welt erstreckt: in der Säkularisierung des gesamten Lebens. Kein Daseinsbereich - auch nicht der der Kirche - ist von ihr ausgenommen. Man mag die Verdiesseitigung verurteilen und gegen sie zu Felde ziehen, sie ist dennoch die Luft, die wir ein- und ausatmen. Die Säkularisierung ist nicht eine Theorie oder ein Programm neben anderen, sondern ein Sachverhalt, von dem wir auch dadurch nicht 65 "Friedensglocke" 1970,75. 66 Verhandlungen der Zentralkonferenz der EmK in der DDR 1970,19ff. 67 Bischofsbotschaft an die Zentralkonferenz 1976,3. 68 "Friedensglocke" 1970,75. 69 A. Härtel, Schriftverständnis - Wesentliche Gesichtspunkte zum Verständnis der Bibel, in: Zur theologischen Situation der Evangelisch-methodistischen Kirche in der DDR - Ein Arbeitspapier, 1980, 3-10 (hektografiert, dann abgedr. in: A. Härtel, In seinem Auftrag, a.a.O.,152-161). 12 ausgenommen sind, daß wir ihn beharrlich ignorieren. Es ist Gottes Wille, daß wir in dieser Zeit leben. Und es ist Gottes Wille, daß wir in dieser Zeit Christus erleben. Allerdings gilt es, sich von der Vorstellung freizumachen, Christus sei nur dort, wo die Kirche ist. Vielmehr geht es um die neutestamentliche Einsicht, daß die Kirche dort zu sein hat, wo Christus ist. Und er hat sich schon immer an Plätzen aufgehalten, an denen die Leute ihn oft nicht vermutet haben. Wenn Gott uns mittels des Säkularisierungsprozesses diese Tatsache plausibel macht, so sollten wir nicht ‘wider den Stachel ausschlagen’, sondern ‘hören, wie die Jünger hören’. Haben wir das in dem hinter uns liegenden Konferenzjahr redlich getan? Diese Frage muß in einem kirchlichen Arbeitsbericht den ihr gebührenden Platz einnehmen. Wir dürfen es uns nicht erlauben wollen, ihr auszuweichen. Zunächst gilt es klar zu erkennen, daß die Emigration der Kirche vor der konkreten Situation immer nach zwei Seiten möglich ist: sowohl nach innen, wie auch nach außen. Doch weder die Flucht in die Innerlichkeit, noch die Flucht in die Äußerlichkeit entspricht dem Willen unseres Herrn. Wer glaubt, der flieht nicht. Er wird seines Glaubens leben, aber dabei seinen Glauben praktizieren in seiner Umwelt. Und er wird in die Tagessituation eingehen, um darin mit seiner ganzen Existenz Zeuge seines Herrn zu sein...“70 Auch wenn die Formel „Kirche im Sozialismus“71 hier noch nicht gebraucht wird, haben wir es bereits mit der Sache, nämlich mit einem klaren Nein zur inneren Emigration 72 und mit einer mutigen Anerkennung des atheistischen Staates als des von Gott gegebenen Wirkungsortes der Kirche und als Möglichkeit der Christusbegegnung zu tun. Im landeskirchlichen Raum hatte sich diese neue Denkweise bereits klar artikuliert, wie ein Brief der Bischöfe an den Staatsvorsitzenden vom 15. Februar 1968 zeigt: „Als Bürger eines sozialistischen Staates sehen wir uns vor die Aufgabe gestellt, den Sozialismus als eine Gestalt gerechteren Zusammenlebens zu verwirklichen“. Diese Aussagen gehören sicherlich zur Vorgeschichte der Formel „Kirche im Sozialismus“. Wer an der Definition des Sozialismus als einer „Gestalt gerechteren Zusammenlebens“ Anstoß nehmen könnte, muß bedenken, was Richard Schröder später im Rahmen der Auseinandersetzungen nach der Wende richtigstellen wird: Die Bischöfe bezeichneten mit „Sozialismus“ eine Aufgabe, also ein Ziel oder ein Ideal, nicht den status quo, keine Anerkennung eines real existierenden Machtgefüges.73 Zu den ersten Gratulanten anläßlich der Wahl von A. Härtel zum Bischof zählte auch Gerald Götting, der Präsident der Volkskammer der DDR und Vorsitzende der CDU. 74 Dies erinnerte den neuen Bischof daran, wenn überhaupt nötig, daß der Staat nach wie vor nicht aufhören würde, das Tun und Lassen der Kirche genau zu beobachten, denn seine Einsetzung ins Bischofsamt fand zu einem äußerst kritischen Zeitpunkt statt. 2.2 Die Brisanz der von Bischof A. Härtel vorgefundenen Situation Die Initiativen der BRD-Regierung von Willy Brandt im Rahmen seiner Ostpolitik hatten im Jahre 1969 Hoffnungen in der ostdeutschen Bevölkerung geweckt, die für den SED-Staat eine Quelle großer Besorgnis waren. Das bewirkte eine Intensivierung der Abgrenzungspolitik der DDR. Daß der Staat nun alles in seiner Macht stehende tun 70 "Friedensglocke" 1970, 79. 71 Die Formel "Kirche im Sozialismus" geht nach Albrecht Schönherr auf die Bundessynode von Eisenach 1971 zurück: A. Schönherr, Zum Weg a.a.O.,32. 72 A. Härtels Abwehr jeglicher Emigration kommt auch in seiner späteren Ansprache anläßlich der Konferenz der Britischen Methodistenkirche am 3.7.1973 in Newcastle pointiert zum Ausdruck: Das missionarische Zeugnis der Evangelisch-methodistischen Kirche in der DDR, in: Armin Härtel, In seinem Auftrag, a.a.O.,127. 73 Die Zeit, Nr. 9, 21.2.1992, 62. 74 "Friedensglocke" 1970,75. 13 würde, um die Kirchen für seine Zwecke zu instrumentalisieren, war zu erwarten. Die Evangelischen Landeskirchen hatten sich schon im Juni 1969 von der EKD trennen müssen, um sich unabhängig von den westdeutschen Landeskirchen im Rahmen des „Bundes der evangelischen Kirchen in der DDR“ (BEK) zu organisieren. Der Staat wird den BEK erst im Februar 1971 anerkennen, weil der Art. 4.4. seiner Grundordnung eine „besondere Gemeinschaft“ mit den Kirchen in Westdeutschland vorsah. Das konnte die DDR-Regierung zunächst nicht akzeptieren. Später gab sie sich allerdings mit einer ihr günstigen Interpretation des betreffenden Artikels zufrieden.75 Auch auf die Evangelische Kirche der Union (EKU) übte der Staat einen Druck aus, doch hier war der Widerstand gegen ein Aufgeben der kirchlichen Einheit mit dem Westen wesentlich stärker. 76 Werner Krusche, der neue Bischof der Landeskirche von Sachsen-Magdeburg hielt am Bekenntnis zur gesamtdeutschen Einheit der EKU fest. Mit der Hilfe der Nationalen Front, der CDU und einiger CDU-nahen Theologen übte der Staat weiterhin seinen Druck aus. Die Synode der EKU von Mai 1970 zeigte eine Übermacht der Kräfte, die auf eine Verselbständigung aus waren.77 Gerald Götting, der schon immer für eine Trennung der DDR-Kirchen von der EKD gekämpft hatte, weil er in der kirchlichen Einheit mit den westlichen Kirchen eine „Waffe im kalten Krieg gegen die DDR“ erblickte, 78 fungierte als Handlanger des Staates, als er im Februar 1970 den Kirchen den Rat gab, es nicht bei der organisatorischen Trennung vom Westen zu belassen, sondern eine dezidierte und „bewußte Neuorientierung“ vorzunehmen. Die Kirchen, meinte Götting, sollten sich in ihrem sozialen Tun von nun an von der sozialistischen Verfassung ihres Landes leiten lassen. Der Staat erwartete von den Kirchen, sowohl innerhalb der DDR als auch auf internationaler ökumenischer Ebene, eine Unterstüzung der Kräfte des Friedens in der Welt und einen Beitrag zu einer echten europäischen Friedensordnung. Sie sollten ihren Einfluß in den Dienst einer Anerkennung der DDR und einer Unantastbarkeit der Grenzen von 1945 stellen, ihre Solidarität mit allen im antiimperialistischen Kampf verwickelten Völkern bekunden, d.h. die von der Sowjetunion gutgeheißenen Befreiungskämpfe unterstützen. Gerald Götting erwartete auch eine Neuorientierung im Verhältnis der Kirchen zur internen Frage des Aufbaus des Sozialismus, nämlich eine „intellektuelle Neuorientierung“ unter eindeutiger Berücksichtigung der unmittelbaren sozialistischen Umgebung.79 Das war im Grunde ein Plädoyer für eine Abgrenzung von der westlichen Theologie. Die Kirchen „unserer sozialistischen Gesellschaft“, meinte Götting, hätten es nicht nötig, die kirchlich-theologischen Entwicklungen des Spätkapitalismus mitzumachen. In diesem Zusammenhang wurde im Herbst 1970 Bischof Werner Krusche wegen seiner Vorstellung von „Versöhnung“ heftig angegriffen. 80 W. Krusche sah die Rolle der Kirche in einer Welt wachsender Interdependenz als „Versöhnungsdienst“. In seinen Augen schloß dies zwar die Konflikte nicht aus, wohl aber die damit verbundene Feindseligkeit. Das paßte dem Staat nicht, und die Antwort kam in Form eines frontalen Angriffes auf Werner Krusche. Daß der Angriff von einem in der CDU aktiven methodistischen Laien geführt wurde, war kein erleichtender Faktor in der schwierigen Situation, in der der neue Bischof der EmKDDR seine kirchenleitende Funktion übernahm. Dieser politisch und kirchlich engagierte 75 Goeckel, a.a.O.,87 ff., vor allem 94. 76 Goeckel, a.a.O.,96 f. 77 Goeckel, a.a.O.,98ff. 78 Aus einem Referat Gerald Göttings auf einer kirchenpolitischen Tagung der CDU in Jena am 9. Februar 1967, in: Reinhard Henkys (Hg.), Bund der Evangelischen Kirchen in der DDR: Dokumente zu seiner Entstehung, Witten-Berlin (Eckart Verlag) 1970,89-90. 79 R. Henkys, Bund der Kirchen, a.a.O.,194-195. 80 Goeckel, a.a.O.,144 f. 14 methodistische Mitarbeiter81 verfaßte einen Artikel in der „Neuen Zeit“ (19.12.1970), in dem er Krusches Ideen als typisches Beispiel der „Konvergenztheorie“ und des „Sozialdemokratismus“ an den Pranger stellte. Der Verfasser beschränkte die Versöhnung auf das Verhältnis von Gott und Mensch. Er meinte, Frieden sei eine Angelegenheit von politischer Vernunft und Einsicht. Das Gebot der Stunde erblickte er in Divergenz und Polarisierung, nicht in globaler Interdependenz. Und das hätten auch die Kirchen zu berücksichtigen, ihr Friedensdienst hätte im Kampf gegen den Imperialismus und nicht in der Versöhnung mit ihm zu geschehen. Auch wenn diese Anschauung für die Meinung der EmK-DDR nicht repräsentativ war, erleichterte eine solche Stellungnahme die Aufgabe der Kirchenleitung nicht, zumal der Angriff auf Bischof W. Krusche eine Welle der Entrüstung in den Kirchen auslöste.82 3 Die öffentlichen Stellungnahmen bis 1980 Es soll nun gezeigt werden, wie A. Härtel während seiner Amtszeit als Bischof sich zum Sprachrohr der EmK-DDR gemacht, wie er das Selbstverständnis seiner Kirche im Umfeld des real existierenden Sozialismus artikuliert, es aber gerade dadurch auch mitgeprägt hat. Dies soll unter bewußter Einschränkung auf seine Bischofsbotschaften und sonstige öffentliche Reden geschehen. Dabei darf nicht vergessen werden, daß die Artikulierung der Position einer Kirche in der damaligen DDR sich nicht auf offizielle Reden beschränken konnte - und tatsächlich nicht beschränkt hat. Es darf hier generell gesagt werden, daß veröffentlichte Texte damals meistens nur die Spitze des Eisbergs waren. Das, worauf der Kirchenvorstand der EmK-DDR einmal bezüglich des Umgehens mit der schwierigen Lage grundsätzlich aufmerksam gemacht hat, muß auch hier berücksichtigt werden: Zur Verdeutlichung von Positionen und zur Beilegung auftretender Schwierigkeiten haben sich meistens Gespräche und inoffizielle Verhandlungen hilfreicher erwiesen als die Abgabe von öffentlichen Erklärungen. 83 Bischof Dr. R. Minor, A. Härtels Nachfolger ab 1986, erinnerte nach der Wende in einer Rede beim traditionellen MesseMännerabend in der Leipziger Nikolaikirche an einen Aspekt der DDR-Vergangenheit, den wir hier wohl nie aus den Augen verlieren dürfen, wollen wir die Lage einigermaßen richtig einschätzen: Das leise, aber beharrliche Wort sei es gewesen, das sich schließlich gegen das großsprecherische Gerede der Mächtigen durchgesetzt habe. 84 Gleichwohl müssen wir jetzt von den Worten ausgehen, die laut genug gewesen sind, um vernehmbar zu sein. 3.1 „Kein bequemer Bischof“ In Anbetracht dessen, was von A. Härtel an Äußerungen bekannt ist, ist F. Schäfer, seinem damaligen Bischofskollegen aus der Schweiz, zuzustimmen, wenn er rückblickend in ihm einen Bischof sieht, der „gegenüber dem Staat und seinen Ansprüchen kein bequemer Bischof“ gewesen sei.85 Die Art und Weise, wie A. Härtel an den „Begegnungsstunden“ der Jährlichen Konferenzen, an denen Vertreter anderer Kirchen und des Staates empfangen wurden, auf die Grußworte der Vertreter der Staatsmacht antwortete, kann manchmal Bände sprechen. Er verstand es meisterhaft, den Staat, der die Kirche zu vereinnahmen und für seine eigenen Ziele zu instrumentalisieren versuchte, 81 Gemeint ist Carl Ordnung. Die Verbindung von kirchlichem und politischem Engagement zeigte schon seine frühere Schrift "Die Kirche vor der sozialen Frage. Eine Untersuchung zum sozialen Bekenntnis der Methodistenkirche" (Hefte aus Burgscheidungen der CDU "Otto Nuschke" in Verbindung mit der Parteileitung der CDU), o.O. 1960; noch im Juli 1970 hatte C. Ordnung als Referent im Vorbereitungsausschuß der 4. Europäischen Methodistischen Jugendkonferenz in Wien fungiert: "Friedensglocke" 1970,120. 82 Die Verweise auf die Reaktionen bei Goeckel, a.a.O.,144, Anmerkung 165. 83 Amtsblatt der EmK in der DDR, 2/3 1978,25. 84 "Friedensglocke" 1991,51. 85 S. den Beitrag von Bischof Franz W. Schäfer in der vorliegenden Festschrift. 15 in seine Schranken zu verweisen und auf die kirchliche Unabhängigkeit aufmerksam zu machen. So zum Beispiel in einer Replik anläßlich der Jährlichen Konferenz 1973 in Zwickau-Planitz, in der es hieß: „Meine Damen und Herren, in Ihren Grußworten haben Sie sehr oft das Pronomen ‘Wir’ verwandt hinsichtlich unseres Miteinanders. Das hat mich an eine uralte Fabel erinnert. Der griechische Weise Äsop hat sie schon vor mehr als zweitausend Jahren erzählt: Zwei gingen durch einen Wald. Da fand der eine ein Beil. ‘Sieh, was ich gefunden habe’, sagte er zu seinem Begleiter. Der antwortete: ‘Du darfst nicht sagen „Sieh, was ich gefunden habe“, sondern „Sieh, was wir gefunden haben!“. Bald kamen die Leute, denen das Beil abhanden gekommen war, holten sie ein und bedrohten sie. Da rief derjenige, der das Beil fand: ‘Weh uns, wir sind verloren!’ Der andere aber sprach: ‘Du solltest nicht sagen „Wir sind verloren“, sondern „Ich bin verloren, denn du hast das Beil gefunden!“. So kann man auf sehr verschiedene Art ‘Wir’ sagen. Und von dem Zusammenhang, in dem man es sagt, hängt es ab, ob man ein Opportunist ist oder nicht. Sehr zu Recht definiert das neue Lexikon (...) Opportunismus als Prinzipienlosikeit. Und Prinzipienlosigkeit ist nicht Christenart. Deshalb wird uns intensiv darum zu tun sein zu erkennen, in welchem Zusammenhang wir mit Ihnen ‘Wir’ sagen können, und in welchem nicht“. Diese Freiheit besaß A. Härtel in hohem Maße, weil er sich Gott verpflichtet wußte, und weil „Gottes erklärter Wille“ der „Maßstab für seinen Dienst“ war. 86 Seine Predigten87 zeigen, woran er sich selbst stets orientierte. Über diese alleinige Orientierung an Gottes Wort ließ er auch seine staatlichen Gesprächspartner nie im Zweifel. Daß Staatsordnung und Gesetze nur den Kontext bilden können, in dem es gilt, Gottes Willen zu suchen und zu tun, hat A. Härtel in vielen Variationen immer wieder deutlich gemacht. Gelegentlich konnte er es sehr pointiert ad hominem sagen, wie z.B. 1977 anläßlich der Jährlichen Konferenz in Plauen: „Sie, meine Damen und Herren, repräsentieren gewissermaßen den Kontext, in dem unsere kirchliche Arbeit geschieht. Das eingedeutsche Fremdwort ‘Kontext’ kommt bekanntlich aus dem Lateinischen und setzt sich zusammen aus der Vorsilbe ‘con-‘, das heißt ‘zusammen’ oder ‘mit’, und aus dem Stammwort ‘textus’, das heißt ‘Gewebe’. Ihre Kirchen und staatlichen Institutionen bilden also unser ‘Mitgewebe’ in unserem Land. Nun laufen in einem Gewebe ja immer Fäden sowohl parallel als auch quer zu einander. Nicht anders verhält es sich auch unter uns. Wer aber meint, die Querfäden hätten die Längsfäden eingebunden, der irrt. Denn wer in einem Gewebe die Fäden einbindet, ist letztlich der ‘Textor’, der Weber. Für uns ist das kein anderer als der lebendige Gott. Er hat Sie uns als unseren ‘Kontext’ gegeben. Und es wird sich erweisen, wie er mit dem Gewebe, in das er uns gegenseitig eingewoben hat, verfahren wird.“ Dieses profilierte Auftreten war A. Härtels höchst persönliche Art. Aber er sprach und handelte nie als Privatmensch allein, sondern wußte sich immer als Sprachrohr seiner Kirche, für die er stets den Konsens suchte, den er vor dem, was er selbst von Gottes erklärtem Willen verstand, verantworten konnte. Eine gewisse Pluralität in seiner Kirche machte diese Konsenssuche notwendig. Anläßlich des 25-jährigen Jubiläums des Theologischen Seminars Bad Klosterlausnitz hielt der Bischof ein Referat, das sehr aufschlußreich für seine Auffassung von legitimer und illegitimer Pluralität war. 88 Die EmK in der DDR erwartete verständlicherweise von ihrem Bischof eine hilfreiche Orientierung in einer Situation voller Gefahren und Klippen. Er blieb sie ihr nicht schuldig. Das wurde schon in der Erklärung deutlich, die er gleich zu Beginn seiner Amtszeit 86 Überschrift seiner Bischofsbotschaft an die Zentralkonferenz 1980. 87 Eine repräsentative Sammlung der Predigten von A. Härtel bietet der Predigtband "In seinem Auftrag", hg. v. der Pressestelle der EmK in der DDR, Dresden 1982. 88 A. Härtel, Pluralität in der Kirche als Chance und Gefahr, in: Einheit und Vielfalt theologischer Arbeit, hg. von der Pressestelle der Emk in der DDR, Dresden 1978,84-91. 16 anläßlich eines Empfangs am 21. Juli 1970 in Dresden abgab. Diese Rede, gehalten „im Zeichen des Dialogs“,89 hat über die „Friedensglocke“ auch eine breite innerkirchliche Öffentlichkeit gefunden.90 3.2 Die Dresdner Erklärung von 1970 Die „Friedensglocke“, in der „Das Wort des Bischofs“ mit einer Einleitung versehen erschien, meinte dazu: „Vom Evangelium her ist die Kirche Jesu Christi zum Engagement in der Welt gefordert. Kirche hat nur Verheißung, lebendig zu bleiben, wenn sie sich nicht in ein selbstgewähltes Ghetto begibt. Die EmK in der DDR wollte mit ihrer Konstituierung zur eigenen Zentralkonferenz innerhalb der Vereinigten Methodistenkirche deutlich werden lassen, daß sie gewillt ist, Kirche im Engagement zu sein. Diese Haltung unterstrich sie auch durch einen Empfang, den ihre Kirchenleitung für Vertreter der Staatsorgane und der Kirchen kurz nach der Konstituierung zur eigenen Zentralkonferenz gab. Zu ihm waren der Staatssekretär für Kirchenfragen, Hans Seigewasser, sowie sein Stellvertreter Fritz Flint, Vertreter der Räte der Bezirke Dresden und Karl-Marx-Stadt und des Hauptvorstandes der Christlich-Demokratischen Union erschienen. (...) Am Beginn dieses Empfangs (...) gab Bischof Armin Härtel eine danach in der Öffentlichkeit vielbeachtete Erklärung zum Verhältnis der Evangelisch-methodistischen Kirche zu den Staatsorganen und den anderen Kirchen ab.“ In seiner Rede, in der vieles geradezu programmatisch klingt, nannte A. Härtel die Konstituierung der Zentralkonferenz der Evangelisch-methodistischen Kirche in der DDR „eine einschneidende Umstrukturierung unserer Kirche in unserer Republik“. Bemerkenswert ist seine Betonung, daß die EmK in der DDR zu einer „weltweiten“ Kirche gehöre, und daß die „positive Behandlung unseres Antrages“ durch die Generalkonferenz vom 21.4.1970 in St. Louis (USA) „wesentlich mit darauf zurückzuführen ist, daß auch die Delegierten der Bundesrepublik, vor allem Bischof Dr. Sommer, Frankfurt/Main, und Superintendent Zeuner, Hamburg, ihn intensiv und warm befürworteten“. Das war damals eine durchaus nicht selbstverständliche Unterstreichung der kirchlichen Zusammengehörigkeit mit dem Westen. Es folgt ein Hinweis auf die Rolle des staatlichen Willens bei der vorgenommenen Umstrukturierung: „Deckungsgleichheit der kirchlichen Organisationsformen“ mit „den Grenzen unseres Staates“ seien verlangt worden. Daß der Bischof den „dringenden Wunsch der Jährlichen Konferenz der EmK in der DDR, in der brüderlichen und organisatorischen Gemeinschaft der Generalkonferenz zu bleiben“, erwähnte, war dem Staat gegenüber ein deutliches Signal, daß die EmK-DDR innerhalb der weltweiten methodistischen Connexio bleiben würde. Allerdings habe nun der Staat in der „EmK in der DDR“ eine „eigenverantwortliche und unabhängig gewordene“ Kirche. A. Härtel fügte aber betont sofort hinzu, „daß diese Umstrukturierung unserer Kirche nicht nur aus Gründen der Staatsräson, sondern vor allem wegen ihres Dienstes vollzogen worden“ sei. Die Unterschiedlichkeit der „Gesellschaftssysteme“ „in den beiden deutschen Staaten“ habe eine unterschiedliche Gestaltung des kirchlichen Dienstes notwendig gemacht. Um wirklich keinen Zweifel darüber bestehen zu lassen, daß der Schritt zur kirchlichen Selbständigkeit nicht politischer Natur gewesen sei, schärfte der Bischof seinen Gästen ein: „Die neue Organisationsform unserer Kirche würde daher mißverstanden, wollte man sie primär unter politischen Aspekten sehen. Vielmehr stellt sie in erster Linie ein Eingehen auf die Herausforderung des Evangeliums dar, das nach dem Auftrag unseres Herrn in die ganze Welt gebracht und allen Geschaffenen verkündigt werden will“. 89 So die Überschrift des Artikels, mit dem der Chefredakteur der "Friedensglocke" den historischen Empfang in Dresden beschrieb: "Friedensglocke" v. 30.8.1970,95. 90 "Friedensglocke" 1970,96-99: Das Wort des Bischofs. Der Text liegt auch vor in: Die Emk in der DDR, hg. von der EmK in der DDR, Dresden (Pressestelle der Emk in der DDR), 1971,10-15. 17 Nach dieser klaren Abschirmung gegen jegliches politische Mißverständnis, geht die Erklärung zum Positiven über: „Die Christen in verschiedenen Gesellschaftssystemen haben sich von ihrem Auftrag her gegenseitig freizugeben, um in ihre Gesellschaftsform im Dienste ihres Herrn konstruktiv mitgestaltend einzugehen“. Der Anlaß war günstig, um auf den traditionellen sozialen Akzent des Methodismus hinzuweisen. Wesley als Prediger von Buße und Bekehrung, von Rechtfertigung und Heiligung habe sich, „gerade deswegen ... auch Gedanken über die Welt, in der er lebte (gemacht)“, meinte der Bischof. „Armut“, „Sklaverei“ und „Krieg“ seien wichtige Themen seines Protestes gewesen, die die Methodisten voll übernommen hätten. Auch die frühe Ausformung eines methodistischen „Sozialen Bekenntnisses“ wird hervorgehoben und Formulierungen aus dessen neuer Fassung zitiert, um den Gästen deutlich zu machen, daß die EmK in der DDR aus ureigenster christlicher Tradition ihr Nein zu Ungerechtigkeit, Not, Krieg und Nationalismus sprechen wird.91 Nicht ohne leichte Ironie erwähnt die Erklärung, daß der Engländer John Wesley in seinem Protest gegen den englisch-amerikanischen Krieg von den „amerikanischen Brüdern“ gesprochen hatte. Das entsprach weder der Schwarzweißmalerei noch der aggressiven Art der damaligen DDR-Propaganda und zeigte die andere Denkweise der Kirche an. A. Härtel brachte auch das Engagement seiner weltweiten Kirche gegen Krieg, Rassismus und Elend zur Sprache, das sich in der Botschaft der Bischöfe an die Generalkonferenz in St. Louis Ausdruck verschafft hatte. Der Bischof beteuerte, daß die EmK-DDR dieses Engagement in Zukunft konkret wahrnehmen würde, und versicherte, daß schon jetzt „viele Glieder unserer Kirche ganz bewußt ihren Platz als mitarbeitende Staatsbürger in gesellschaftlichen Organisationen und sozialen Einrichtungen vorbildlich ausfüllen“. Auch die Gründung eines Arbeitsausschusses „Christ und Gesellschaft“ durch die Jährliche Konferenz wurde von ihm unterstrichen. Die Kirche habe den ihr von ihrem Herrn zugewiesenen Ort zu entdecken: „Er hat sie in unseren sozialistischen Staat gestellt“. Es folgt dann eine eindeutige Bejahung der in der DDR bestehenden Gesellschaftsordnung und der Staatsverfassung, die der Bischof aber sofort vor einem möglichen Mißverständnis schützen möchte. Die Kirche, meinte er, „unterstützt alle Bemühungen um soziale Gerechtigkeit, um die Verbesserung der Lebensbedingungen und um dauerhaften Frieden. Sie ist bewußt Kirche im sozialistischen Staat. Dabei versteht es sich sowohl auf Grund der Prinzipien des Marxismus-Leninismus wie auch der Lehre des Neuen Testamentes, daß sie nicht Kirche des sozialistischen Staates sein kann“. Damit waren Annerkennung und Solidarität ausgesprochen, gleichzeitig aber auch Grenzen gezogen. Eine ideologische Vereinnahmung der Kirche dürfte sich also der Staat nicht erhoffen. Doch bei allem Dissens im weltanschaulichen Grundsatz dürfte das Vertrauen zwischen Kirche und Staat wachsen: „Hingegen wird es ihr (scill.: der EmK) immer um ein vertrauensvolles Verhältnis zum Staat zu tun sein. Es ist ihr in dieser Verbindung bewußt, daß Vertrauen einer Brücke gleicht, die um ihrer Funktion willen immer auf zwei Brückenköpfe angewiesen ist. Wir wollen alles tun, um auf unserer Seite dem Brückenkopf des Vertrauens ein solides Fundament zu geben“. A. Härtel drückte seine Hoffnung aus, daß auch der Staat sich bemühen würde, ein Vertrauensverhältnis aufzubauen. Dazu sei „eine ständige Bereitschaft zum Dialog“ nötig, „die nicht von besonderen Anlässen abhängig“ sein dürfe. Bevor die Erklärung die ökumenischen Beziehungen ansprach, schloß sie den die Beziehung zum Staat betreffenden Teil mit 91 Die deutsche Übersetzung und Adaption des methodistischen Sozialen Bekenntnisses bzw. der Sozialen Grundsätze ist in all diesen Jahren ein Problem für die EmK-DDR gewesen, auf das in diesem Aufsatz nicht eingegangen zu werden braucht, da es M. Kupsch, a.a.O.,879f., ausführlich behandelt hat. Das Fazit bei Kupsch lautet: "Das Dilemma der EmK-DDR, an der Connexio festzuhalten und gleichzeitig in einem Gesellschaftssystem zu existieren und sich mit ihm zu arrangieren, das anderen Grundwerten verpflichtet war, als die Sozialen Grundsätze, führte letztlich de facto zum Verzicht auf die Sozialen Grundsätze, deren Adaption bis 1988 offenbar nicht abgeschlossen werden konnte". 18 einem Hinweis auf das „gemeinsame Anliegen“ ab, um dessen willen „sowohl der Staat wie auch die Kirche ... auf Zusammenarbeit angewiesen“ seien: „Dieses gemeinsame Anliegen ist der Mensch“. Hier knüpfte A. Härtel an den damals im Raum stehenden Begriff der „sozialistischen Menschengemeinschaft“ an. Er erklärte, die Christen fühlten sich hier „zur Mitverantwortung“ aufgerufen, und „begrüßte mit Genugtuung“, daß die neue Verfassung von 1968 das bereits von der Verfassung von 1949 den Christen zugestandene Recht, „zu Lebensfragen unseres Volkes von ihrem Standpunkt, das heißt vom Worte Gottes aus Stellung zu nehmen (...) nicht zurückgenommen“ habe. Die von der Verfassung zugesicherte „Glaubens- und Gewissensfreiheit“ habe der EmK „die Abänderung ihrer kirchlichen Organisationsform“ „wesentlich erleichtert“. In seiner Wiedergabe des „Wortes des Bischofs“ und dessen Erläuterung an die Adresse der methodistischen Gemeinden unterstrich der Herausgeber der „Friedensglocke“: „Der Empfang in Dresden ließ deutlich werden, daß die EmK in der DDR eine Kirche des Dialogs sein möchte. Die Rede des Bischofs ... brachte dies überzeugend zum Ausdruck“.92 Kirche im Dialog wollten damals alle Kirchen der DDR sein, wie das in der Ansprache von Kirchenpräsidenten Dr. Müller (Dessau), dem Vorsitzenden der Arbeitsgemeinschaft christlicher Kirchen in der DDR, zum Ausdruck kam. Der Redner sah „die Entwicklung in der EmK analog zu der der Landeskirchen, die sich zum Bund Evangelischer Kirchen in der DDR zusammengeschlossen haben“, und bezeichnete die Entscheidung als „unvermeidlich, notwendig und richtig“. Nach dieser programmatischen Dresdner Erklärung sollte A. Härtel eigentlich nicht mehr aufhören, jede größere und kleinere Gelegenheit auszunutzen, um deutlich zu machen, wie das Selbstverständnis der EmK-DDR als „Kirche im Sozialismus“ zu interpretieren sei. Er tat es im In- wie im Ausland.93 3.3 Interview nach einer Auslandsreise Die „Eindrücke einer Reise“, die er in einem Interview für die „Friedensglocke“ gab,94 zeigen, wie vorsichtig und klug der Bischof sich nach einer ersten Auslandsreise in seiner neuen Funktion äußern mußte. Wußte er doch, wie aufmerksam man in den Kreisen der Machthaber seine Äußerungen lesen würde. Im November 1970 nahm er zum ersten Mal an der jährlichen Sitzung des Bischofsrates der Kirche in Portland/Oregon teil. Während seines fast dreiwöchigen Aufenthaltes in den USA besuchte er auch eine Anzahl von methodistischen Gemeinden. Nach seiner Rückkehr drückte er seine Dankbarkeit darüber aus, daß die Teilnahme an der Sitzung des Bischofsrates überhaupt möglich gewesen sei. Eine Ausreisegenehmigung für DDR-Bürger war damals durchaus nicht selbstverständlich. Er unterstrich die Bedeutung seiner Reise als Inspiration „hinsichtlich unseres Dienstes an der Welt, die Gott liebt“, und stellte gerade die Aspekte des in Amerika Erlebten in den Vordergrund, die eine Chance hatten, von den Behörden als konstruktiv eingeschätzt zu werden. Er unterstrich z.B., daß er seine Besuche in deutschsprachigen Gemeinden in Amerika als Gelegenheit benützt habe, um „ein klareres Bild vom kirchlichen Leben in der DDR zu vermitteln und diesbezügliche Mißverständnisse und Vorbehalte abzubauen“.95 Das war übrigens nicht nur taktisch klug, sondern 92 Begegnung in Dresden: Im Zeichen des Dialogs, in: "Friedensglocke" 1970,95. 93 Siehe z.B. A. Härtels Ansprache anläßlich der Konferenz der Britischen Methodistenkirche im Juli 1973 in Newcastle: A. Härtel, Das missionarische Zeugnis der EmK in der DDR, in: Ders., In seinem Auftrag, a.a.O.,125ff. 94 "Friedensglocke" 1970,144. 95 Es scheint überhaupt ein starkes Anliegen gewesen zu sein, deutlich zu machen, daß solche Auslandsreisen, die das Regime bewilligte, dem Ruf der DDR im Ausland nur zugute kommen konnten. So unterstrich schon die "Friedensglocke" vom 8.11.1970 (S.122), daß Bischof A. Härtels Vortrag über die Evangelisch-methodistische Kirche in der DDR anläßlich seines Besuchs der Zentralkonferenz von 19 entsprach einem echten Bedürfnis der Zeit. Offensichtlich bemühte sich der Bischof auch darum, mögliche Vorbehalte des Regimes gegen den amerikanischen Teil der Kirche abzubauen, indem er die „Aufgeschlossenheit“ des international besetzten Bischofskollegiums seiner Kirche „für das kirchliche Werk in einer sozialistischen Gesellschaftsordnung“ hervorhob. Daß der Bischofsrat sich „mit Fragen des Weltfriedens“ beschäftigt hatte, durfte natürlich in der Berichterstattung nicht fehlen. A. Härtel betonte auch die progressive Haltung seiner weltweiten Kirche in der Frage der Rassenintegration, die damals ein brennendes Problem der amerikanischen Gesellschaft war. Es lag ihm offensichtlich am Herzen, die Tatsache nicht zu verschweigen, daß es auch in der nordamerikanischen Welt „soziale und gesellschaftliche Probleme“ gab, die es noch „zu bewältigen“ galt, und daß die Evangelisch-methodistische Kirche an der Bewältigung dieser Probleme aktiv mitbeteiligt sei. Ebenfalls lenkte er die Aufmerksamkeit seiner Leser auf den scharfen Protest der United Methodist Church gegen die Beschränkung der Bewegungsfreiheit des schwarzen methodistischen Bischofs Muzorewa, der damals erhebliche Schwierigkeiten mit der weißen Regierung Rhodesiens hatte. 3.4 Theologische Impulse Starke Impulse sind stets von Armin Härtel ausgegangen, welche die theologische Reflexion seiner Kirche bereichert haben.96 Seine Konferenz setzte sich ab 1971 stark mit grundsätzlichen Fragen der Evangelisation unter den besonderen gesellschaftlichen Umständen der DDR auseinander.97 Mit dem schon erwähnten Arbeitsausschuß „Christ und Gesellschaft“ und das von ihm stark geförderte Gespräch innerhalb seiner Konferenz erzielte der Bischof die theologisch reflektierte Ausformulierung aller konkreten Konsequenzen jener Neuorientierung, die stattgefunden und die er in seiner Dresdner Rede auf den Punkt gebracht hatte. In drei ausführlichen Arbeitspapieren zum Thema „Christ und Gesellschaft“, die laut K. Zehrer98 „teilweise auch in weiten Kreisen anderer christlicher Kirchen der DDR Beachtung fanden“, wurde der Versuch unternommen, die Aufgaben der Christen im marxistisch-leninistischen Staat konkret zu definieren. Anerkennung, Kritik und Zeugnis sind die Stichworte, die den Kurs der EmK als „Kirche im Sozialismus“ umschreiben sollten. Im wesentlichen standen diese Überlegungen im Einklang mit dem, was damals auch in anderen evangelischen Kirchen an Entwicklung festzustellen war. Bischof A. Härtel bemühte sich ja unermüdlich, seiner Kirche zu jener ökumenischen Existenz zu verhelfen, zu der sie sich grundsätzlich bekannte. 99 Den entscheidenden ökumenischen Schritt vom Dialog zur Kanzelund Nordeuropa in Kopenhagen dazu beigetragen habe, "falsche Vorstellungen und Mißverständnisse aus dem Wege zu räumen". 96 Siehe z.B. das Referat v. 12.10.71 auf der Distriktsversammlung des Dresdner Disktriktes: "Die Suche nach Diagnose und Therapie für unsere Kirche" (hektografiert zum innerkirchlichen Gebrauch), oder den Vortrag zur Distriktsversammlung der Pastoren des Dresdner Distriktes v. 29.9.1975: "Die Verantwortung des Pastors im Verkündigungsauftrag der Gemeinde" (Nachgedruckt in: A. Härtel, In seinem Auftrag, a.a.O.,137-151. A. Härtels hat auch an dem Ringen um eine angemessene Hermeneutik für die EmK-DDR teilgenommen: Anmerkung 69. 97 1971 werden von der Jährlichen Konferenz "Thesen für das missionarische Zeugnis der EmK in der DDR" verabschiedet, die ab 1974 unter der Überschrift "Grundsatzerklärung", die Grundlage bilden, auf der die Kirche ihre evangelistische Tätigkeit weiterzuführen gedenkt (Verhandlungen der Jährlichen Konferenz 1974,138f.) 98 Karl Zehrer, Die EmK in der DDR, a.a.O.,8. 99 Dazu sein mit anschließenden Thesen versehenes Referat anläßlich der Konferenz der Vereinigung Evangelischer Freikirchen 1979 in Hermsdorf/Thür.: "Ein Leib - viele Glieder (Zusammenarbeit der Kirchen in der DDR, Herausforderung - Grenzen - Impulse)", hektografiert. Schon 1972 kam es zu einer Vereinbarung zwischen der Ev.-Luth. Landeskirchen Sachsens und der EmK über das Verhältnis beider Kirchen zueinander im Hinblick auf Amtshandlungen und andere Begegnungen (s. Amtsblatt der Ev.-Luth. Landeskirche in Sachsen, 21-22/1972,85-87). 20 Abendmahlsgemeinschaft mit den Evangelischen Kirchen des Bundes hat er aktiv vorbereitet.100 3.5 Im Zeichen der Anerkennung und der Solidarität Am 15.4.1975 fand in Berlin eine Veranstaltung von kirchlichen Amtsträgern und Theologen anläßlich des 30. Jahrestages der Befreiung vom Hitlerfaschismus statt. Bischof A. Härtel vertrat das Bußwort der evangelischen Freikirchen in der DDR und sagte:101 „Aber für das ganze Ausmaß der Katastrophe und unserer Schuld waren wir damals noch blind. Die wenigsten von uns begriffen, welche weltgeschichtliche Wende sich vollzog und welche Verpflichtung zu Frieden und gesellschaftlicher Neugestaltung das auch für uns bedeutete. Erst heute erkennen wir in Zusammenbruch und Befreiung das Handeln Gottes, das das Gericht über unser Versagen einschließt“. A. Härtel erwähnte in seinem Diskussionsbeitrag „die Bedeutung, die der Methodismus seit seiner Entstehung dem christlichen Friedensdienst beimißt“. Er erinnerte daran, daß die methodistische Kirche in den USA, die schon 1943 eine Kampagne unter dem Motto „Für eine neue Weltordnung“ geführt, bereits damals „ den Willen und die Bereitschaft“ gezeigt habe, „internationale Zusammenarbeit nach Beendigung der Feindseligkeiten zu fördern und darüber zu wachen, daß die Völker nie wieder in selbstgefällige Isolation zurückkehren“. A. Härtel referierte das Wort der evangelischen Freikirchen in der DDR weiter, indem er deren Bereitwilligkeit unterstrich, am Aufbau „einer neuen, menschlichen Gesellschaft mitzuarbeiten“. „Auf diesem Wege“, sagte er, „sind wir an die Seite von Marxisten geführt worden. Das war für viele von uns nicht leicht, weil Vorurteile aufgegeben werden mußten und Vorbehalte die Schritte zueinander erschwerten“. Den Schluß seines Diskussionsbeitrags formulierte er wie folgt: „Wir sind auch in Zukunft bereit, zum Wohle der Menschen in der DDR tätig zu sein. Wir sind gewillt, mit den Kirchen in unseren Nachbarländern den Dienst in der sozialistischen Gesellschaft zu bedenken und als Friedensstifter für die Zusammenarbeit und die friedliche Koexistenz in Europa und in der Welt zu wirken“. Der gemeinsamen Erklärung der Freikirchen fügte der methodistische Sprecher noch persönlich hinzu: „Ich teile diese Haltung und bekräftige sie als Bürger der DDR voll und ganz“. 3.6 Solidarität um der Mission willen Eine Ordinationspredigt, die A. Härtel in Zwickau im Mai 1974 hielt, läßt den tiefen Grund seiner Solidaritätserklärung sichtbar werden.102 Das war bei ihm beileibe kein politischer Opportunismus, sondern ein um der Mission willen in großer innerer Freiheit gehaltenes Plädoyer für Solidarität und Partnerschaftlichkeit. Nur „Freiheit“ könne die „Grundlage der Partnerschaftlichkeit“ sein, stellte der Bischof in jener Predigt fest. Den zukünftigen Pastor(inn)en der Kirche schärfte er ein: „Weder kleinliche Gesetzlichkeit noch Menschengefälligkeit“ sollen diejenigen „erneut versklaven“, die Jesus Christus frei gemacht habe. Frei gewählte und furchtlose Partnerschaftlichkeit solle das alleinige Ziel 100 Die Gespräche, die 1983-1985 im Anschluß an den weltweiten Dialog zwischen dem Lutherischen Weltbund und dem Methodistischen Weltrat auch in der DDR geführt wurden, führten im Herbst 1985 zur Kanzel- und Abendmahlsgemeinschaft zwischen der EmK in der DDR und den Gliedkirchen des Bundes der Evangelischen Kirchen in der DDR. Die EmK wurde als "bekenntnisverwandte kirchliche Gemeinschaft" im Sinne von Art. 20 der Ordnung des Bundes erklärt. Dazu: EmK in der DDR. Informationen - Handreichungen - Amtsblatt II/III 1986. Heft 3. Siehe auch: Gemeinsame lutherisch-methodistische Kommission, Die Kirche: Gemeinschaft der Gnade, hg. v. Lutherischen Weltbund und dem Weltrat methodistischer Kirchen, Genf/Lake Junaluska 1984; Vom Dialog zur Kanzel-und Abendmahlsgemeinschaft. Eine Dokumentation der Lehrgespräche und der Beschlüsse der kirchenleitenden Gremien, hg. v. Lutherischen Kirchenamt u. von der Kirchenkanzlei der Evangelisch-methodistischen Kirche, Hannover-Stuttgart 1987. 101 Hektografierter Text im Besitz des Verfassers. 102 "Partnerschaftlichkeit als missionarisches Prinzip", in: A. Härtel, In seinem Auftrag, a.a.O.,17 ff. 21 verfolgen: „Auf alle Weise etliche retten!“. Unter Anwendung der paulinischen Formel „Allen alles werden!“ ermutigte der Bischof die Kirche, sich furchtlos der politischen und gesellschaftlichen Situation zu stellen, wie sie nun einmal war: „Wen das Evangelium ergriffen hat, der stellt sich als Verkündiger in die Wirklichkeit jedes Menschentums hinein, in welcher Himmelsrichtung, in welchem Kulturbereich, in welcher Gesellschaftsform und in welcher ideologischen oder religiösen Haltung sie auch immer vorgefunden werden mag“. Die Menschen draußen, sagte er der Gemeinde, hätten „im allgemeinen von uns Christen die Vorstellung, wir seien altmodische Käuze, jedenfalls unwissenschaftliche Menschen, unter Umständen sogar unzuverlässige Staatsbürger. Wollen wir an ihnen paulinisch handeln, so werden wir versuchen, ihnen das Gegenteil zu beweisen. Es gilt, ihnen in dem, was die menschlichen Existenzprobleme betrifft, solidarisch zu begegnen“. Da der Prediger aber auch um die diesbezüglichen unterschiedlichen Meinungen in den eigenen Reihen wußte, aktualisierte er die Botschaft seines Predigttextes (1 Kor 9,19-23) dahin: „Bestand damals das Problem zwischen den Starken und den Schwachen, so haben wir es heute innergemeindlich mit der Problematik zwischen den Progressiven und Konservativen zu tun. Die einen wollen das Alte verändern, die andern wollen es bewahren. Paulus hingegen lehrt uns, den eigenen Standpunkt nicht absolut zu setzen, sondern um des missionarischen Prinzips willen zu relativieren“. Der Prediger ignorierte allerdings nicht die Gefahr, die darin bestand, daß Verkündiger, die Allen alles sein wollen, „sich damit zwischen zwei Stühle setzen“. Deshalb fügte er hinzu: „Alles um des Evangeliums“ willen!“, das sei auch „die eigentliche Absicherung gegen die große Gefahr des Opportunismus (...) Die Botschaft interpretiert die Welt, nicht die Welt die Botschaft!“ Mit anderen Worten: „Es ist nicht möglich, daß Machtmittel oder Ideologien oder Gesellschaftsstrukturen den Inhalt des Evangeliums abwandeln dürfen. Paulus hat das Evangelium nicht modisch umgebaut, sondern es auf den Partner eingestellt“. A. Härtel hat es an Klarheit nicht fehlen lassen, um das von ihm vertretene Leitbild einer „Kirche im Sozialismus“ vor dem Mißverständnis zu schützen: „Solche Haltung ist weit davon entfernt, opportunistisch zu sein. Opportunismus ist Prinzipienlosigkeit. Partnerschaftlichkeit als missionarisches Prinzip ist jedoch Prinzipienklarkeit. Ihr Prinzip heißt nicht: alles um der Partnerschaftlichkeit willen, - sondern: alles um des Evangeliums willen“. Hier wird eindrücklich erkennbar, wie Härtels Kursbestimmung vom Kern des Evangeliums her theologisch legitimiert war. 3.7 Gottesdienst und Menschendienst - Keine Alternative!103 Eine weitere feste Überzeugung A. Härtels ist immer gewesen, daß die Kirche als „Kirche im Sozialismus“ in vermehrtem Maße den Akzent auf die praktische Diakonie legen solle. Nicht, daß Diakonie den Wortdienst ersetzen könnte, denn nur dann gehe es theologisch korrekt zu, wenn es zu einer grundsätzlichen „martyriologischen Integration der Diakonie“ komme, da Diakonie (zusammen mit dem Kerygma und der Koinonia) ein „wesentliches, unaufgebbares Element der martyria, des Zeugedienstes der Gemeinde“ sei. Diese Überlegungen stehen in einem Grundsatzreferat, in dem A. Härtels Theologie der Diakonie zu erkennen ist. Eine große Geistesverwandschaft läßt sich feststellen zwischen A. Härtels Verständnis von Diakonie und dem, was W. Krusche im Rahmen der Konferenz der Europäischen Kirchen in seinem viel beachteten Referat „Diener Gottes, Diener der Menschen“ 1971 vorgetragen hat.104 Auch hier kommt zum Ausdruck, wie stark die EmKDDR dieser Jahre offen war für theologische Impulse, die von den Landeskirchen der DDR ausgingen. 103 Dazu A. Härtel, Diakonie - Wesensäußerung der Gemeinde Christi. Referat, gehalten vor dem Ökumenischen Arbeitskreis in Halle am 13.3.1973 (Manuskript im Besitz des Verfassers). 104 In: Nyborg VI - Was geschah, Genf 1971. 22 Der Dienst, zu dem die einzelnen Christen und die Kirchen als solche berufen sind, bildete auch einen der Hauptpunkte der Bischofsbotschaft, die A. Härtel an die Zentralkonferenz 1976 unter dem Motto „Gott weist weiter“ richtete.105 Der Dienstgedanke bestimmte aber die Überlegungen zu praktisch allen in dieser Botschaft angesprochenen Themen. Zur „zunehmend an Bedeutung“ gewinnenden charismatischen Frage meinte der Bischof: „Nur was einerseits an Christus bindet und andererseits auf den Dienst der christlichen Gemeinde bezogen ist, kann Charisma sein. Wo also Selbstbespiegelung statt Christusgesinnung oder wo das Wunder statt der Dienst im Mittelpunkt stehen, kann es sich nicht um echte Gnadengaben handeln“. 106 Der Bischof sprach auch seine Zuversicht aus, daß Gott seine Kirche „auf dem Weg des Dienstes an seiner Welt“ weiter weisen werde.107 Unter Berufung auf die Generalkonferenz, die in Portland/USA stattgefunden hatte, erinnerte er die Kirche daran, daß „weder unser lebendiger Herr noch unser methodistisches Erbe“ „es uns gestattet“, „den Glauben als schützenden Hafen zu betrachten, in den man sich vor den Nöten der Welt flüchten kann. Denn es ist die Welt, die Gott liebt und für die er seinen Sohn gab“. Den entscheidenden Dienst an dieser Welt sah A. Härtel darin, daß wir den Menschen „den Dienst Jesu vergegenwärtigen“. 108 Und das sei sowohl Dienst durch verbales Zeugnis und als auch christusgemäßes, caritatives Handeln. In diesem Zusammenhang kam A. Härtel auf die konkreten politischen und gesellschaftlichen Bedingungen zu sprechen, in denen dieser Dienst zu erfüllen sei: „Christlicher Dienst geschieht im Koordinatensystem menschlichen Zusammenlebens und seiner Strukturen. Darum können uns die gesellschaftlichen Zusammenhänge, in denen er sich vollzieht, nicht gleichgültig bleiben“. Und er meinte, daß auch hier „Gott weiter weist“, nämlich „auf dem Weg menschlichen Zusammenlebens“. Hier brachte er die damals noch frischen Vereinbarungen von Helsinki zur Sprache. Die im August 1975 in Helsinki unterzeichneten Schlußdokumente der Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa bezeichnete er als „ein hoffnungsvolles Ereignis“. Mit der Versammlung der Konferenz Europäischer Kirchen (KEK) von Oktober 1975 in Buckow/DDR betonte er, daß die Schlußakte von Helsinki „keinen völkerrechtlichen Vertrag“ darstelle, sondern nur „moralische Autorität“ besitze, so daß sie „zu ihrer Verwirklichung um so mehr der öffentlichen Unterstützung“ bedürfe. Er rief deshalb seine Kirche im Sinne der KEK-Versammlung zu „einem Zeugnis“ in „ihrem gesellschaftlichen Kontext“ auf, „das konstruktiv - und kritisch! - im Interesse der Menschen formuliert und praktiziert“ werden müsse. A. Härtel bestätigte seiner Kirche, daß Gott sie weiterhin weisen möchte, „immer konkreter Partei zu ergreifen, wie Christus Partei ergriffen hat, nämlich ‘für den konkreten Menschen und für Menschlichkeit in concreto“. Die Formulierung übernahm er ausdrücklich vom landeskirchlichen Bischof W. Krusche (Sachsen-Magdeburg), der sie im Rahmen der KEK-Versammlung von 1971 geprägt hatte.109 Dann sprach er offen aus, was wohl alle seine Zuhörer nur zu gut wußten: „Der Umstand, daß es keine ideologische Koexistenz zwischen Christen und Marxisten erklärterweise und erklärlicherweise geben kann, macht das Engagement von Christen in der sozialistischen Gesellschaft problematisch“. Das bedeutete für den Redner jedoch nicht, daß Engagement nun als unmöglich zu betrachten sei, denn „unmöglich wäre es allerdings nur, wenn der ideologische der einzige Bereich wäre, in dem sich gesellschaftliche Mitverantwortung vollziehen könnte. Der sozialistische Alltag weist jedoch Wirkungsbereiche nach, in denen konstruktive Mitarbeit von Christen 105 "Gott weist weiter". Bischofsbotschaft an die 3. Tagung der Zentralkonferenz der EmK in der DDR, Karl-Marx-Stadt, 16. Juni 1976,5-6. Hektografierter Text im Besitz des Verfassers. 106 Ebda,2. 107 Ebda, 5ff. 108 Damit nahm A. Härtel das auf, was er in seinem Referat "Diakonie - Wesensäußerung der Gemeinde Christi" bereits deutlich gemacht hatte: a.a.O.,11. 109 W. Krusche, Diener Gottes - Diener der Menschen, in: Nyborg VI - Was geschah, Genf 1971,124. 23 unbeschadet ihrer glaubensmässigen Überzeugung möglich ist“. A. Härtel konnte sich dabei auf eine jüngste Erklärung des Parteitages der SED berufen: „Wir sehen diese Tatsache in dem vom IX. Parteitag der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands angenommenen Programm verbrieft, in dessen endgültige Fassung der Passus aufgenommen wurde: ‘Der sozialistische Staat garantiert ... die Gleichberechtigung der Bürger unabhängig von (...) Weltanschauung, religiösem Bekenntnis und sozialer Stellung’“ (Neues Deutschland, 25. Mai 1976, S.6).“ Der Bischof sah hier eine tragfähige Basis für eine konstruktive Mitarbeit am Aufbau einer menschlichen Gesellschaft im eigenen Land: „Auf solcher Basis sehen wir uns nicht zu Akklamation, sondern zum Aufbau einer menschlichen Gesellschaft aufgefordert. Und dazu wissen wir uns auch von unserem Glauben her gerufen, denn wir möchten uns von Gott weiterweisen lassen auf dem Wege menschlichen Zusammenlebens“. Es war dem Bischof natürlich bewußt, daß er mit dieser diakonisch-theologisch begründeten Ermutigung zu einer - kritischen - Kooperation einen heißen Weg einschlug. Er griff sofort selber den möglichen Einwand auf: „Was bedeutet dies jedoch für die Kirche als Institution? ‘Kirche muß Kirche bleiben’. Dieser Satz ist richtig. Doch kann er nicht dazu dienen, die Kirche ausschließlich auf ihren Binnenbereich zu orientieren oder in ihr nur Kultusdiener zu sehen. Gott weist uns weiter! Der Dienstauftrag der Kirche, den ihr Herr ihr gab, bezieht sich auf die Welt, in der sie lebt. Gerade weil Kirche Kirche bleiben muß, sind ihr hier keine Abstriche möglich. Denn sie würden ihren Identitätsverlust bedeuten“. Der Bischof, der wie alle führenden kirchlichen Persönlichkeiten der DDR im Gespräch mit dem Staat zu bleiben hatte, wußte, wie sehr ein Sich-einlassen der Kirche auf die Probleme der Welt das Klima der Gespräche beeinflussen konnte: „Für das Klima der Begegnungen mit Verantwortlichen des Staatsapparates ist es darum bedeutsam, daß das Gesprächsspektrum auch von den Fragen mitbestimmt wird, die der Kirche aus der Wahrnehmung ihres Auftrags über ihren Binnenbereich hinaus erwachsen“. Die Qualität solcher Gespräche mit Staatsvertretern erwähnte der Bischof gerade in diesem Zusammenhang dankbar: „Wir sind dankbar für eine Reihe von offenen und sachlichen Gesprächen, die diesbezüglich mit Vertretern des Staatssekretariats für Kirchenfragen sowie des Rates des Bezirkes Dresden geführt werden konnten. Denn Gott weist uns weiter auf dem Weg menschlichen Zusammenlebens“. Was A. Härtel in dieser ganzen Frage inspirierte, wird am Schluß seiner Rede unmißverständlich ausgesprochen. Es war das progressive Prinzip, das in seinen Augen in der christlichen Eschatologie begründet ist. Er meinte nämlich, Veränderung, dynamische Wandlung sei der bloßen Konservierung und Stabilisierung des status quo grundsätzlich vorzuziehen, weil der Geist der Bibel in diese Richtung weise: „Unbestreitbar besitzt sie (scill.: die Bibel) eine größere Nähe zum dynamischen Geschehen der Veränderung als zum statischen Prinzip der Konservierung. Darum bedeutet Christsein Wandlung auf ein Ziel hin statt Stabilisierung des status quo. Der Grund dafür liegt in der biblischen Eschatologie. Sie besagt, daß Gott den Lauf der Weltgeschichte auf ein Ziel hin lenkt. Die zentrale Gestalt der biblischen Eschatologie ist der Messias. In Christus ist der Messias unter uns getreten. ... Gott will, daß Christus unser Maß sei - nicht Traditionen, nicht Lehrmeinungen, nicht Konferenzen und Ordnungen. Diese taugen nur soviel, als sie von sich selbst wegweisen und in die Nachfolge Jesu Christi als des Herrn rufen. Laßt uns in diesem Sinn unsere methodistische Tradition sehen, unsere Meinungen äußern, unsere Konferenzen halten und unsere Ordnungen formulieren!“ Bischof A. Härtel, der es verstand, praktisch in allen Fragen die positiven Ansätze der eigenkirchlichen Tradition aufzuzeigen, verstand es auch, wie das hier ersichtlich wird, 24 über die Tradition hinaus, an das Evangelium selbst anzuknüpfen. Darin war er ein Schüler Bonhoeffers110 - und Wesleys. Neben „Anerkennung“ und „Zeugnis“ war auch „Kritik“ als Stichwort für den neuen Kurs der Kirche genannt worden. Die für den Evangelischen Kirchenbund von Heino Falcke 1972 geprägte Parole „kritische Solidarität“ oder die von Werner Krusche eingeführte Devise einer „kritisch unterscheidenden Mitarbeit“ kamen bisher ein wenig zu kurz. Die öffentlichen Reden lassen jedoch das kritische Element allmählich hörbarer werden. Genau genommen artikuliert sich die Kritik zu problematischen Entwicklungen in der DDR erst ab Ende der siebziger Jahre, aber dann immer eindeutiger. 111 4 Die kritischer werdenden Stellungnahmen der achtziger Jahre 4.1 Der „neue kalte Krieg“ und die staatliche Sorge vor einer Destabilisierung. Im Dezember 1979 drang die Rote Armee der Sowjetunion in Afghanistan ein. In diesem Jahr kam es auch zum Nato-Doppelbeschluß. Das war der Anfang eines neuen, die achziger Jahre charakterisierenden kalten Krieges. Er war, wie alle wissen, mit den ersten Anzeichen einer Destabilisierung des Ostblocks verbunden. 1980 und 1981 sind die Jahre der anfänglichen politischen Instabilität in Polen gewesen, und das DDR-Regime bekam es mit der Angst zu tun, daß das Beispiel von Solidarnosc Schule machen könnte. Auch innerhalb der DDR hatte sich seit einiger Zeit eine für das Regime gefährliche Gärung bemerkbar gemacht. Der Staat spürte den vielfältigen, wachsenden Widerstand in der Gesellschaft: Künstler wie Wolf Biermann, der 1977 ausgebürgert wurde, opponierten zunehmend, dissidentische Marxisten wie Rudolf Bahro kritisierten öffentlich die Überbürokratisierung und die entfremdenden Strukturen des real existierenden Sozialismus. Die Welle von Anträgen auf Auswanderung unter Berufung auf die Rechte, welche die Helsinki-Verträge garantierten, war für die Regierung ebenfalls beunruhigend. Im Oktober 1977 hatte das Berliner Rockkonzert Reaktionen ausgelöst, die das ganze Ausmaß des Unbehagens in der ostdeutschen Jugend offenbar gemacht hatten. 1981 entstand in der DDR sogar eine Friedensbewegung an der Basis. Die Staatsführung befürchtete verständlicherweise ein Zusammenfließen des vielfältigen gesellschaftlichen Unmutes mit einem kirchlichen Widerstand. Der moderate Ton der Kirchen war für sie eine Ermutigung, eine Öffnung zu wagen. Ihr Interesse lag nun in einer Vertiefung des Verhältnisses zu den Kirchen. 4.2 1978: Das neue Verhältnis von Kirche und Staat Am 6. März 1978 kam es zu Gesprächen zwischen Erich Honecker, dem Vorsitzenden des Staatsrates, und der Leitung des Bundes der Evangelischen Kirchen in der DDR.112 Sie führten zu einer deutlichen Verbesserung der äußeren Lage der Kirchen, die auch für die Freikirchen Konsequenzen haben sollte. Den Kirchen wurde eine viel größere Präsens in der Gesellschaft zugebilligt, was sich u.a. im Bereich der Medien und der Gefängnisseelsorge günstig auswirkte. Kirchliche Kongresse wurden jetzt vom Staat mehr unterstützt. Die internationalen Reisegenehmigungen für ökumenische Vertreter wurden großzügiger gehandhabt. Klaus Gysi, der neue Staatssekretär für kirchliche Fragen, erklärte 1981, der Staat wünsche ein konstruktiv-kooperatives Verhältnis in den Bereichen, wo Staat und Kirchen im Einverständnis stünden, Tolerierung der staatlichen 110 S. das von K. Zehrer in seinem Beitrag für die vorliegende Festschrift aufgeführte Bonhoeffer-Zitat: "Laßt dem toten Luther endlich seine Ruhe und hört das Evangelium!" 111 Auch M. Kupsch, a.a.O.,895, stellt dies fest. 112 Analyse in Goeckel, a.a.O.,241 ff. 25 Entscheidungen aber dort, wo es keinen Konsens gäbe. Das neue Verhältnis definierte nun Hans Seigewassers Nachfolger als „ein Verhältnis, in welchem jeder die Identität und die Unabhängigkeit des anderen respektiert“.113 A. Schönherr, der das Gespräch im Namen des Kirchenbundes geführt, hatte Wert darauf gelegt, daß die einzelnen Christen nicht mehr diskriminiert würden, und daß das neue Verhältnis von Kirche und Staat sich auch auf dieser Ebene zeige. In seinen Bemühungen um ein neues Verhältnis zu den Kirchen schlug der Staat sogar vor, die vollzeitlichen kirchlichen Mitarbeiter(innen) in das staatliche Pensionssystem aufzunehmen. Die Kirchen hatten ein Interesse daran, ihren Mitarbeitern eine fixe Pension zu sichern. Dem Staat erlaubte übrigens diese Neuerung, über unbequeme Diener der Kirche eine gewisse Kontrolle auszuüben, obwohl er sich verpflichtet hatte, kritischen Pfarrern die Pension nicht vorzuenthalten. Am 1.1.1980 wurde die Neuregelung der Finanzierung der Altersversorgung für die Gliedkirchen des Bundes Evangelischer Kirchen in der DDR offiziell eingeführt. Später wurde die Regelung auch der EmK-DDR angeboten. 4.3 Die Debatte über die Rentenversorgung in der EmK-DDR Die kontrovers geführte Debatte über die Rentenversorgung der kirchlichen Mitarbeiter soll hier kurz erwähnt werden, denn die Frage wurde von einem beträchtlichen Teil der Kirche als eine eminent theologische verstanden, die das Selbstverständnis der EmK tangiere. Es ist symptomatisch, daß diese Pensionsangelegenheit nicht nur in den für die finanziellen Fragen zuständigen Konferenzgremien verhandelt wurde, sondern auch im Ausschuß für theologische Fragen. Dieser stellte sogar ein Gutachten aus. 114 Im Jahre 1985 kam die Sache vor die Jährliche Konferenz, in der sie Anlaß zu einer lebhaften Diskussion gab.115 Der Antrag des Ausschusses für Gehalt und Versorgung lautete: „Die EmK in der DDR (...) schließt mit dem Staatssekretariat für Arbeit und Löhne beim Ministerrat der DDR eine Vereinbarung über die Rentenversorgung der Pastoren ab in Anlehnung an die ‘Vereinbarung über die Rentenversorgung für auf Lebenszeit angestellte Mitarbeiter der Evangelischen Kirchen und ihrer Hinterbliebenen’“. 116 Es gab aber keinen Konsens, weder in den Ausschüssen, die sich vorher mit der Frage beschäftigt hatten, noch im Konferenzplenum, das die Entscheidung zu fällen hatte. Der Ausschuß für theologische Fragen hatte in seinem Gutachten die Sache auf den Punkt gebracht. Es ging um die Frage, ob die Vereinbarung ein „Abhängigkeitsverhältnis“ zum Staat schaffe oder nicht, ob sie „an die Wurzeln des Selbstverständnisses“ der EmK rühre oder nicht. Laien und Pastoren beteiligten sich gleichermaßen an der Debatte. Viele vertraten die Meinung, hier sei die Bedeutung ihrer Ordination berührt, die den Pastor an das Schicksal der Kirche binde. In diesem Zusammenhang meinte ein Redner: „Wir sollten lernen, aus ganz anderen Quellen zu leben. Leben wir mit der Kirche, dann sterben wir auch mit ihr“. Der Ausschuß für theologische Fragen hatte das freikirchliche Prinzip dezidiert geltend gemacht: „Die von den Freikirchen betonte Unabhängigkeit vom Staat in Leitung, Finanzen und der Festlegung der Grenzen der Mitgliedschaft, stellt sie natürlich nicht außerhalb der Gesellschaft. Im Gegenteil gibt diese Freiheit von Bindungen die Freiheit für den Dienst in der Gesellschaft. (...) Um jenes Dienstes willen, der im Glauben als Auftrag erkannt war, verzichteten die Freikirchen auf gewisse gesellschaftliche Bindungen. So darf die Gebundenheit der Kirche in der Gesellschaft nur unter dem Aspekt des Dienstes, nicht aber unter dem Aspekt der Versorgung der eigenen Nöte und Befriedigung der eigenen Bedürfnisse gesehen werden“. Hier sah man in der Annahme des staatlichen Angebotes eine „Veränderung des Verhältnisses zum Staat“ 113 114 115 116 Henkys, Evangelische Kirchen a.a.O.,25. hektografiert (im Besitz des Verfassers). Verhandlungen der Jährlichen Konferenz DDR 1985,29-33 u.36-38. Verhandlungen der Jährlichen Konferenz DDR 1985, 143. 26 und wies eine Argumentationweise von Befürwortern des staatlichen Angebots mit den Worten zurück: „Die Tatsache, daß Pastoren der EmK als Bürger der DDR auch teilweise Nutznießer der bevölkerungs- und sozialpolitischen Maßnahmen des Staates sind (Kindergeld, Erziehungshilfen, Verrechnung der Krankheitskosten der Pastoren) rechtfertigt nicht die Bindung eines wesentlichen Teiles der kirchlichen Personalkosten an das staatliche Versorgungssystem. Eine Angliederung an das System der BEK führt aber zu staatlichem Einfluß auf Finanzierung (Zuschüsse aus dem Staatsunterhalt) und Festlegung (persönlicher Rentenbescheid durch Staatliche Versicherung) der Ruhegehälter“. Andere jedoch sahen die ekklesiologische Relevanz der Frage nicht ein. Auf jeden Fall ist, wie ein Teilnehmer nachträglich bemerkte, die Diskussion für die Konferenz eine „Stunde innerster und größter Bedeutung“ gewesen. Es wurde „namentlich“ abgestimmt. Mit 140 Ja-Stimmen gegen 100 Nein-Stimmen ging die EmKDDR schließlich auf das staatliche Angebot ein. 4.4 Das neue Verhältnis zum sozialistischen Staat auf dem Prüfstand117 Die oben erwähnte Verschärfung der politischen Situation auf internationaler Ebene und die Verschlechterung des Klimas innerhalb der Republik in den achziger Jahren stellten das neue Verhältnis von Kirche und Staat vor eine harte Probe. Schon im Januar 1980 hatte der Kirchenbund ein Wort zur politischen Situation der Welt veröffentlicht. Um das neue Vertrauensklima nicht zu gefährden, vermied er den erwarteten Hinweis auf Afghanistan!118 Doch schon im September 1980 kritisierte die Leitung des Kirchenbundes in ihrem Bericht an die Synode nicht nur die NATO-Nachrüstung, sondern auch die sowjetische Intervention in Afghanistan als Störfaktoren des Friedens. Auch die Behandlung der polnischen Krise in den DDR Medien wurde beanstandet.119 Die Tatsache, daß das an oberster Stelle neudefinierte Vertrauensverhältnis im Alltagsleben die erwartete Konkretisierung oft nicht fand, war ebenfalls Grund zur Kritik von seiten der Kirchen. Anlaß zum besonderen Protest war die neue, stark ideologisch geprägte Schulordnung von November 1979. Auch in der EmK-DDR meldete sich nun vielfach Mißbilligung und Tadel, wie dies die Bischofsbotschaft an die Zentralkonferenz 1980 zeigt. Der Problematik des Zusammenlebens in der sozialistischen Gesellschaft wird in dieser Rede mit der Überschrift „Gottes erklärter Wille - Maßstab für unseren Dienst“ ein Platz eingeräumt, wie dies bisher in dieser Zuspitzung noch nie geschehen war. Das Verhältnis von Kirche und sozialistischem Staat wird in einem Sonderabschnitt „Gottes erklärter Wille und unser Zusammenleben“ eigens thematisiert.120 Die grundsätzliche Bejahung der sozialistischen Gesellschaft und der Solidarität mit dem Staat um des Menschen willen tritt diesmal in etwa zurück, während der Hinweis auf die Eigenständigkeit der Kirche stärker in den Vordergrund gerückt wird. Es kommt sogar etwas von einer legitimen Empörung der Kirche über Mängel im Verhältnis von Kirche und Staat zum Ausdruck. In seiner Rede erinnerte A. Härtel zunächst an die Kontinuität seines Anliegens: Seit seiner Wahl zum Bischof der Kirche, habe er dafür gesorgt, daß die Formel „Kirche im sozialistischen Staat“ nicht dahin mißverstanden werde, als bedeutete sie „Kirche des sozialistischen Staates“. Die Formel dürfe nicht als bloße Zustimmungsformel aufgefaßt werden. Der Sozialismus als Ort des kirchlichen Zeugnisses und Dienstes wird in dieser Bischofsbotschaft gewiß nicht wieder in Frage gestellt, sondern bestätigt, aber der Bischof betont diesmal mit besonderem Nachdruck, daß „Anpassung“ ebenso „ungerechtfertigt“ 117 Dazu Goeckel a.a.O., Kap. 8: "Testing the New Relationship, 1978-1989. 118 Henkys, Evangelische Kirchen, a.a.O., 372f. u. 378. 119 Goeckel a.a.O.,259. 120 Bischofsbotschaft an die 4. Tagung der Zentralkonferenz der EmK in der DDR, Zwickau-Planitz, 4. Juni 1980,7-9 (Hektografierter Text im Besitz des Verfassers). 27 wäre wie die nicht in Frage kommende „Verweigerung“. Es gehe wirklich um eine Gratwanderung zwischen „zwei fortwährend unseren Weg begleitenden Gefahren“. In dieser Botschaft wird eindrücklich signalisiert, „wem wir die entscheidende Weisungsbefugnis für unsere Kirche zuerkennen: nicht dem Staat, sondern dem, der uns in unseren Staat gestellt hat, - Gott, der ‘will, daß allen Menschen geholfen wird und sie zur Erkenntnis der Wahrheit kommen’“. Dieser erklärte Wille Gottes müßte „also auch auf die in sozialistischen Ländern lebenden“ Menschen bezogen werden. A. Härtel verstand die göttliche Hilfe, welche die Kirche weiterzugeben habe, in einem umfassenden Sinne als Hilfe, die „den ganzen Menschen“ betreffe. „Gesicherte Arbeitsplätze, gewachsener Wohlstand, das Bemühen um sinnvolle Lebensgestaltung, die Förderung der Familie, sowie die Pflege kultureller Werte“ seien „Kennzeichen solcher Hilfe für den Menschen in der sozialistischen Gesellschaftsordnung“. Diese sozialen Aspekte wolle er, der Bischof, nicht ausgeklammert sehen, aber ebensowenig „das Anliegen, daß der Mensch in der sozialistischen Gesellschaft (...) zur Erkenntnis der Wahrheit komme“. Diese Wahrheit sei es, die die Kirche veranlasse, eine deutliche Kritik an der neuen Schulordnung vom 29. November 1979 auszusprechen. Diese forderte nämlich „die Vervollkommnung der kommunistischen Erziehung der Schuljugend“. A. Härtel wies in diesem Zusammenhang auf die in der Verfassung garantierte Glaubens- und Gewissensfreiheit. Das erklärte Ziel der neuen Schulordnung involviere, so der Bischof, „die Erziehung zu atheistischer Lebensauffassung“, aber hier bestehe „eine Diskrepanz zu der durch die Verfassung unseres Staates jedem Bürger zugesicherten Glaubens- und Gewissensfreiheit“. Das führte den Bischof zum mutigen Apostrophieren der staatlichen Instanzen: „Wir haben deshalb die Frage, ob gewährleistet ist, daß das zugestandene Recht auf Glaubens- und Gewissensfreiheit dem genannten Erziehungsziel vorgezogen wird. Auf eine klare Antwort von kompetenter Seite können wir ebensowenig verzichten wie darauf, in unserer Gesellschaft unablässig ‘der Stadt Bestes’ zu suchen (Jeremia 29,7)“. Dem Bischof ging es offenbar auch ganz generell darum, den Staat auf die Diskrepanz aufmerksam zu machen, die es zwischen den offiziellen Absprachen auf höchster Ebene und den schlechten Erfahrungen im Alltag vor Ort gab. Der Staat, den A. Härtel hier so deutlich zur Rede gestellt hatte, war aber gewillt, das neue Vertrauensverhältnis nicht zu gefährden. Das Grußwort, das Dr. Horst Dohle, der persönliche Referent des Staatssekretärs für Kirchenfragen, für die Staatsorgane an die Zentralkonferenz 1980 richtete ließ keine Zweifel darüber bestehen. Der Repräsentant des Staates erinnerte ausdrücklich an den „Geist des 6. März 1978“, der „auch verbindlich für die Haltung gegenüber der Evangelisch-methodistischen Kirche“ sei. Er drückte seine Freude aus, daß „der Christ in der DDR in zunehmendem Maße gelernt (habe), dieses Land als seine Heimat zu empfinden“, und versicherte die Konferenz, „daß der Christ hier nicht nur als eine produktive Kraft, als eine Arbeitskraft, sondern als ein Bürger mit seinem Glauben akzeptiert wird“ (worauf die Zentralkonferenz mit spontanem Beifall reagierte). Dr. Dohle beteuerte ebenfalls, daß die Partei und Staatsführung „an diesem Grundsatz nicht den geringsten Abstrich zulassen (würden) - auch nicht vor Ort“, weil man davon ausgehe, daß „dieses Land nicht das wäre, wenn es die Christen nicht mit gemacht hätten“. In seiner Replik erklärte sich A. Härtel dankbar „für die klare Aussage, daß der christliche Bürger mit seinem Glauben in unserer Gesellschaft akzeptiert werde, und zwar auch vor Ort“.121 4.5 Wachsende Eigenständigkeit und Profilierung Die Bischofsbotschaft an die 5. Zentralkonferenz der EmK in der DDR im Jahre 1984, 122 deren Thema „Gott dienen ein Leben lang“ durch das 200. Gründungsjahr der 121 122 "Friedensglocke" 1980,69. Abgedr. in: EmK in der DDR. Informationen - Handreichungen - Amtsblatt II/1984,3-18. 28 amerikanischen methodistischen Konferenz bestimmt war, weist eine Steigerung bezüglich der kritischen Distanzierung auf. Dem Jubiläumsanlaß drohte die Gefahr, sich in geschichtlichen Erinnerungen und in allgemeinen Worten zum christlichen Auftrag nach methodistischer Tradition zu verlieren. Doch nach gebührender Würdigung der Tradition aktualisierte A. Härtel das geschichtliche Erbe seiner Kirche auf eine Art und Weise, die bald zeigen sollte, wie wenig harmlos es sich auswirkt, wo methodistische Tradition wirklich ernstgenommen wird. Im Blick auf das Verhältnis der Kirchen zu der sozialistischen Gesellschaft sagte er: „Die Frage der Integration der Kirchen in sie ist differenziert zu sehen. Hinsichtlich des sozialistischen Systems können und dürfen die Kirchen nichts anderes sein als nicht integrierte Institutionen. In der Botschaft der Bischöfe an die diesjährige Generalkonferenz heißt es dazu mit großem Recht.: ‘Die Kirche ist weder kapitalistisch noch sozialistisch. Sie steht über allen Wirtschaftssystemen und beurteilt deren Handlungsweisen. Dabei ist ihr alleiniges Kriterium, inwieweit diese das umfassende Wohlergehen aller Menschen im Auge haben.’“ Auch hier merken wir, wie Bischof A. Härtel sich immer wieder bemühte, die Bischofsbotschaften der weltweiten EmK in seinem eigenen Lande zu Worte kommen zu lassen. Er fügte hinzu: „Das setzt für die Kirchen jedes Landes - auch des unsrigen - voraus, daß sie eigenständig und eigenprofiliert bleiben. Kirche im Sozialismus ist so wenig sozialistische Kirche, wie der Sozialismus kirchlich ist.“ Der Bischof wußte, daß diese stete Bemühung um das Wahren des eigenen, christlichen Profils bei allem dezidierten Dienst innerhalb der sozialistischen Gesellschaft einen hohen Preis forderte: „Der Preis für solche Eigenständigkeit besteht darin, daß die Kirche keine Privilegien beansprucht. Dazu hat sie jedoch vom Evangelium her auch keinerlei Veranlassung. Was sie sich hingegen in jeder Gesellschaftsordnung erbitten muß, ist das Recht, ihrem Herrn Jesus Christus ungehindert dienen zu können sowohl gottesdienstlich als auch bezüglich der christlichen Existenz ihrer einzelnen Glieder. Christen aus anderen Ländern fragen uns oft, ob wir dazu in unserem Land eine Chance haben. Von der sozialistischen Gesetzgebung her ist sie uns durchaus gegeben. Darüber hinaus ist uns wichtig: Als Christen haben wir immer und überall eine Chance, wenn wir uns auf den Weg Christi einlassen. Denn er ist bei uns, lebt in unserer Mitte und ist durch uns gegenwärtig. Darum haben wir nicht nur eine Chance, sondern wir sind zugleich eine Chance für unser Land“. Hier spricht gesundes christliches Selbstbewußtsein, das im Folgenden noch konkreter ausgedrückt wird: „Denn wir sind bereit, uns am Aufbau einer gerechten Gesellschaftsordnung unter dem Auftrag Christi tatkräftig zu beteiligen“. Aber sofort folgt die Abwehr des möglichen Mißverständnisses: „Und wir werden dabei in dem Maß unseren Weg zwischen den Klippen grundsätzlicher Akklamation und grundsätzlicher Opposition hindurch finden, indem wir der Proklamation dienen ‘Lasset euch versöhnen mit Gott!’ (2. Kor 5,20)“. A. Härtel verschweigt an dieser Stelle die Schwierigkeiten nicht, auf die die Kirche auf diesem Wege immer wieder stößt. „Dabei hat uns unser Herr nicht verheißen, daß wir glatte Wege geführt werden. Das kann schon deswegen nicht anders sein, als die sozialistische Gesellschaft der DDR unter der Führung einer Partei steht, für die Glauben an Gott ein entfremdetes und daher falsches Bewußtsein weltanschaulicher Art darstellt. Auf Grund dessen tritt neben die intensiven Bemühungen, die Absprachen des Vorsitzenden des Staatsrates mit namhaften Kirchenvertretern vom 6. März 1978 staatlicherseits zu realisieren, gelegentlich auch die Erfahrung, daß gesellschaftliche Funktionsträger der mittleren und unteren Ebene nicht immer willens oder in der Lage sind, differenziert zu denken. Die Folge davon sind hin und wieder Maßnahmen, die von unverhohlenem Mißtrauen christlichen Bürgern gegenüber zeugen.“ 123 Um nicht abstrakt zu bleiben, fügte der Bischof hinzu: „Beziehen sie sich auf Jugendliche und die Frage ihrer Zulassung zur Erweiterten Oberschule, zu Studienplätzen oder zu entsprechenden 123 Ebda, 16. 29 Lehrstellen, so können erwiesenermaßen leicht Trotzhaltungen erzeugt werden, die nicht nur schwer reparabel sind, sondern auch zu extremen Schritten führen können, die vermeidbar gewesen wären“. Dieser letzte Satz läßt aufhorchen. Die Kirchen der DDR waren seit 1978 der einzige Raum, in dem Widerstand möglich war, weil sie die einzigen vom „demokratischen Zentralismus“ unabhängigen Institutionen waren. Das hat aber nicht, wie z.B. in Polen dazu geführt, daß die Kirchen zum ausgesprochenen Ort des Widerstandes wurden. In der DDR haben die Kirchen bewußt oder unbewußt eine ambivalente Rolle gespielt. Einerseits waren sie ohne Zweifel der Freiraum, in dem sich Mißmut frei artikulieren konnte, andererseits konnten sie gelegentlich die Unzufriedenheit kanalisieren und domestizieren.124 A. Härtels letzte Äußerung zeugt interessanterweise von einer gewissen Sorge um den Staat. Möchte er ihm Schwierigkeiten mit der eigenen Jugend ersparen? Oder soll das nur das Folgende taktisch vorbereiten? Denn der Bischof kommt im Folgenden auf das schon 1980 geäußerte Bildungsanliegen zurück: „Darum bleibt unser permanentes Anliegen: Von allen Einrichtungen der Volksbildung muß das vom Staat erklärte Ziel der kommunistischen Erziehung so mit der staatlich zugesicherten Gleichberechtigung und Gleichachtung aller Bürger ausbalanciert werden, daß die Glaubensbindung von Kindern, Jugendlichen und Eltern durch alle am schulischen Erziehungsprozeß Beteiligten einfühlend respektiert werde. Gewissensbedrängungen bei der Vermittlung der Weltanschauung des Marxismus-Leninismus sollten auch bei der letzten Bildungseinrichtung unseres Landes durch wirksame zentrale Gegenmaßnahmen unterbunden werden. Ähnliches gilt für die hin und wieder beklagte Zurücksetzung von Christen bei mittleren und unteren Kadern in Wirtschaft und Wissenschaft“. Die Bischofbotschaft 1984 legte ein besonderes Gewicht auf die damals brennende Friedensfrage, aber ebenfalls auf die Friedensbewegung von unten, die in der DDR dem Staat ein Dorn im Auge war: „Der Abschreckungsfrieden stellt nicht den Frieden dar, dem vom Zeugnis der Heiligen Schrift her das Wort geredet werden muß. Ebensowenig können wir die Friedensbewegung auffassen als eine Entscheidung für ein Lager gegen das andere. Doch wir werden jeden Schritt auf Frieden und Gerechtigkeit - wer immer ihn auch tue - auf seine Aufrichtigkeit und Effektivität hin prüfen und, wenn es den Maßstäben des Neuen Testaments entspricht, ihn engagiert unterstützen. Wir treten dafür ein, daß auf feindselige, haßschürende Rhetorik verzichtet werde. Gegenseitige Verteufelungen müssen durch Bemühungen um gegenseitiges Verständnis ersetzt werden“. Doch die wachsende Kritik versteht sich im Rahmen einer grundsätzlichen Loyalität zur DDR, die nicht mehr in Frage gestellt werden sollte. Dementsprechend kommt es in A. Härtels Botschaft zu einer Würdigung der Zusicherung, die Erich Honecker noch im Januar des Jahres abgegeben hatte: Die Staaten des Warschauer-Paktes seien „sowohl auf nuklearem als auch auf konventionellem Gebiet zu radikalsten Schritten der Abrüstung bereit“. Auch im Vortrag, den er ein Jahr später vor der Friedenskonferenz des Weltrates Methodistischer Kirchen in London (23.-30. Juli 1985) halten wird, wird der Bischof positive Worte für die Friedensbemühungen seines Landes finden. 125 Was aber bei A. Härtel immer wieder auffällt, ist das sorgfältige Vermeiden jener Einseitigkeit in der Anklage, die in der damaligen Friedensbewegung bei vielen beinahe die Regel war. Bei der Klage über die militärischen Eingriffe der Großmächte rügte der Bischof sowohl die amerikanische Intervention in Grenada als auch den früheren Einmarsch der Roten Armee in Afghanistan. Diese bleibende, wenn auch nicht unkritische Loyalität kam auch im „Wort an die Gemeinden der EmK in der DDR zum 40. Jahrestag des Endes des 2. Weltkrieges“ zum 124 125 Dazu: Goeckel, a.a.O. 247ff., vor allem 255. Abgedr. in: EmK in der DDR. Informationen - Handreichungen - Amtsblatt IV/1985. 30 Ausdruck.126 In einem sehr ausgewogenen Bußwort verstand es der Kirchenvorstand in christlich verantwortbarer Weise Nähe und Distanz zur sozialistischen Gesellschaft miteinander zu verbinden. Aus der Zeit, die jenem 8. Mai 1945 vorausging, müsse die Kirche immer wieder lernen „das Evangelium von Jesus Christus nicht mit fremden Inhalten zu verklammern, ganz gleich ob es sich dabei um weltanschaulische Ideologien, gesellschaftliche Strukturen oder nationalistische Bestrebungen handelt. Geschieht es aber doch, verleugnen wir Jesus Christus als unseren Herrn.“ Soviel für die Distanz. Die Erklärung spricht aber auch die Zeit nach 1945 an und sieht eine Schuld in der hier oft beobachteten Solidaritätsverweigerung: „Der Versuchung, den Problemen auszuweichen, haben wir nicht genügend widerstanden. Der Wunsch nach Wohlstand und Bequemlichkeit hat uns vielfach gehindert, unseren Platz wirklich anzunehmen, auszufüllen und als gottgegebene Chance zu erkennen (...) Gottes Wille für uns ist, daß wir uns als Glieder christlicher Gemeinden nicht in einen Raum unpolitischer Innerlichkeit zurückziehen, sondern jeder nach seinen Möglichkeiten Verantwortung in der Gesellschaft übernimmt.“ Die steigende Anzahl der Antragssteller auf Entlassung aus der Staatsbürgerschaft der DDR und auf Ausreise versetzte alle Kirchen in eine Situation, die ihre Loyalität forderte. Superintendent Gericher meinte anläßlich der Jährlichen Konferenz 1985, 127 daß es bedauerlich sei, wenn auf diese Weise der EmK in der DDR Glieder verloren gingen, was auch „ein Verlust für unser Land“ sei. Ohne ein „Urteil“ über die persönliche Entscheidung zu fällen, wurde die Frage gestellt, ob die angegebenen Gründe immer berechtigt seien: „Wir haben einen Auftrag in der DDR (...) Christsein ist auch in der DDR möglich“. Der Superintendent ermutigte die Kirchenglieder, die Konflikte nicht zu scheuen, und bemerkte, daß, „das offene Gespräch mit den zuständigen staatlichen Stellen in den meisten Fällen zu einer positiven Klärung“ der anstehenden Konflikte führe. Die Welle der Ausreisenden ließ sich bekannterweise nicht aufhalten. Das führte zu einem Debakel des SED-Regimes und zum Ende der DDR. * * * Nach dem Zusammenbruch einer Diktatur gibt es im Rückblick immer wieder Versuche, das Verhalten von Menschen oder Institutionen zu heroisieren oder dämonisieren, sie entweder als erbitterte Gegner oder als feige Kollaborateure des Regimes zu stilisieren. Was wir beobachtet haben, ist ein Lehrstück nicht des politischen Widerstandes, aber auch nicht der feigen Anpassung, sondern kirchlicher Eigenständigkeit in theologischer Verantwortung. Die EmK-DDR hat versucht, bezüglich ihres Verhältnisses zum SED-Staat etwas Vernünftiges zu erreichen. Wer das in einer Diktatur erreichen will, gehört deshalb noch lange nicht auf die Seite der Diktatoren. Übrigens: Ist der Weg „zwischen den Klippen grundsätzlicher Akklamation und grundsätzlicher Opposition“ nicht der Weg, der auch für eine Kirche im Umfeld einer liberal-demokratischen Gesellschaft im Zeichen der Marktwirtschaft durchaus empfehlenswert sein könnte? Der 1984 von A. Härtel aufgestellte Grundsatz kann doch seine Gültigkeit nach der Wende nicht verloren haben: „Die Kirche ist weder kapitalistisch noch sozialistisch. Sie steht über allen Wirtschaftssystemen und beurteilt deren Handlungsweisen. Dabei ist ihr alleiniges Kriterium, inwieweit diese das umfassende Wohlergehen aller Menschen im Auge haben.“ 126 127 Text in der "Friedensglocke" 1985,45. Verhandlungen der Jährlichen Konferenz 1985,75-76.