Leseprobe

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Nervenverletzungen in der gerichtlichen Praxis
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I. Nervenschädigung infolge der Operation und Behandlungsfehler
Zuerst bedarf es der Feststellung, dass ein Nervenschaden überhaupt auf eine Operation zurückzuführen ist. Das
wird grundsätzlich bejaht, da eine Lähmung der betroffenen Gliedmaßen in den allermeisten Fällen direkt nach
der Operation auftrat.
1. Schwierigkeit der Ursachenfeststellung
Die Schwierigkeit besteht dann darin, die Ursache der Schädigung der betroffenen Nerven festzustellen, da bei
Nervenläsionen regelmäßig zahlreiche Ursachen in Betracht kommen. Die hauptsächlichen Ursachen sind:
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Druck aufgrund falscher oder zu lange andauernder Lagerung während der Operation
Zerrung oder Überdehnung wegen der benutzten Hohmann-Haken zum Aufhalten der
Operationsöffnung
Durchtrennung des Nervs
Kompression des Nervs durch eine blutstillende Naht
Hitzeeinwirkung (Koagulation)
falscher Verband
(...)
Eine Ausnahme von dieser Rechtsprechung macht eine äußerst patientenfreundliche Entscheidung des LG Itzehoe (Urt.v. 08.01.2004, Az.: 7 O 22/02). Dort kam es aufgrund einer blutstillenden Naht, die während einer Implantation eines Hüftgelenks gelegt worden war, unstreitig zu einer Kompression des Nervus ischiadicus, was zu
Dauerschäden in Form einer dauerhaften Gehbehinderung führte. Das Gericht urteilte, bei Empfindungsstörungen, wie sie die Klägerin gleich nach der Operation verspürt hatte, sei eine engmaschige Kontrolle erforderlich. Gerade im Hinblick auf die Schädigungsmöglichkeiten des Ischiasnervs sei bei Auftreten des geringsten
Hinweises für eine Nervenirritation eine regelmäßige ärztliche Verlaufskontrolle in zumindest sechs- bis
achtstündigen Abständen zu fordern, sei doch medizinisch allgemein bekannt, dass gerade Druckläsionen des
Nerven prognostisch einen umso besseren Spätverlauf hätten, je eher sie bemerkt und die Druckwirkung auf den
Nerven behoben würde. Vorliegend sei zwar am Nachmittag der Operation noch nicht sicher zu trennen
gewesen, ob die Erscheinungen Folge der Operation beziehungsweise der Narkose oder der Nervenläsion seien.
Spätestens am darauffolgenden Tag aber hätte dies weiter beobachtet und neurologisch abgeklärt werden
müssen. Durch das späte Handeln habe sich die Prognose bezüglich der Nervenregeneration in ganz
erheblichem Maße verschlechtert. Dass die Beklagtenseite es unterlassen habe, spätestens am auf die
Operation folgenden Tag mittags weitere diagnostische Maßnahmen zur Abklärung der Nervenläsion vorzunehmen, stelle einen groben Behandlungsfehler dar.
Rechtsanwältin Dr. Ulrike Wabnitz
Tätigkeitschwerpunkt Arzthaftungsrecht
Seite 1
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II. Lagerungsschaden
1. Was ist ein Lagerungsschaden ?
Nicht selten kann es aufgrund fehlerhafter oder zu lange andauernder Lagerung durch Überdehnung oder Druck
auf die Nerven zu entsprechenden Schädigungen kommen, die sich zum Teil in nicht reversiblen Lähmungen und
Taubheitsgefühlen insbesondere bei Armen („Armparese“), Beinen und Füßen („Fußheberparese“ oder auch
„Peronaeusläsion“) äußern. Tritt im Rahmen der Lagerung des Patienten ein solcher Nervenschaden ein, so
spricht man von einem sogenannten "Lagerungsschaden".
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Grundsätzlich obliegt dem Krankenhaus oder dem behandelnden Arzt der Beweis dafür, dass ein
Lagerungsschaden nicht durch eine falsche Lagerung während der Operation oder ein Versagen technischer
Geräte entstanden ist (...). Im Operationsbericht wird meist nur die Art der Lagerung – zum Beispiel „Rückenlage“
oder „Seitenlage“ festgehalten. Nach der Rechtsprechung genügt dies für die erforderliche Dokumentation (...).
Es muss nicht im einzelnen dokumentiert werden, welche Mittel wie zum Beispiel Gelkissen unter den Knien und
den Leisten, Beinschienen etc. verwendet wurden.
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III. Aufklärungsfehler
Am erfolgversprechendsten ist es für den Patientenanwalt, einen Aufklärungsfehler geltend zu machen. Hier gibt
es mehrere Entscheidungen, die wegen eines Aufklärungsmangels dem klagenden Patienten Schmerzensgeld
und Schadensersatz zusprachen.
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In einem Fall, der einem Urteil des OLG Koblenz (...) zugrunde lag, ging es um eine Umstellungsosteotomie des
linken Kniegelenks. Dabei wurde der Nervus peronaeus geschädigt, was zu einer dauerhaft verbliebenen
Fußheberlähmung führte. Das OLG Koblenz bejahte eine Haftung der Ärzte, da die Klägerin nicht über die
Gefahr eines Peronaeusschadens und die drohenden Dauerfolgen aufgeklärt worden sei. Eine Schädigung des
Nervus peronaeus sei nach den Feststellungen des Sachverständigen eine der häufigsten und folgenreichsten
Komplikationen bei einem derartigen Eingriff.
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Rechtsanwältin Dr. Ulrike Wabnitz
Tätigkeitschwerpunkt Arzthaftungsrecht
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BGH Urt.v.(...): Der Klägerin wurde 1986 bei einer Umstellungsosteotomie ein neues Hüftgelenk eingesetzt. Bei
der Operation kam es zu der Schädigung des Plexus lumbalis und des Nervus femoralis sowie in der Folgezeit zu
Nervenschäden am rechten Bein, die zu dessen fast vollständiger Lähmung geführt haben. Die Klägerin hatte vor
der Operation eine Einwilligungserklärung unterzeichnet, wonach sie laut handschriftlicher Eintragung des
aufklärenden Arztes unter anderem auf die Gefahr der Gefäß- und Nervenverletzung hingewiesen worden war.
Die Klägerin war fettleibig, weshalb eine erhöhte Gefahr der Druckschädigung der Nerven durch HohmannHaken bestand.
(...)
OLG Karlsruhe (Urt.v): Die klagende Patientin unterzog sich zum Zwecke der Behandlung einer Coxarthrose
einer Hüftgelenksoperation. Das rechte Hüftgelenk der Klägerin sollte mit einer zementfreien Totalendoprothese
versehen werden. Die Klägerin war bereits früher zwei Mal im gleichen Bereich operiert worden, was zu
Vernarbungen zwischen dem umgebenden Gewebe und den Nerven geführt hatte. Die Klägerin machte eine
mangelnde Aufklärung geltend. Sie war zwar im Merkblatt über eine mögliche Nervenschädigung mit einer mehr
oder weniger schweren Lähmung des Beines aufgeklärt worden. Man hatte sie auch mündlich über die
Möglichkeiten von Nervenverletzungen aufgeklärt.
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Rechtsanwältin Dr. Ulrike Wabnitz
Tätigkeitschwerpunkt Arzthaftungsrecht
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