Rejoice „Meine Schwester aus Syrien!?“ 1 25. Oktober 2015; Pfr. B. Botschen Meine Schwester aus Syrien!? Wie sollen wir uns in dieser Flüchtlingswelle als Christen und als christliche Nation verhalten? Sollen wir unsere Arme weit aufmachen, wie es Angela Merkel für einen Moment gemacht hat? Was ist, wenn wir dann mit Flüchtlingen überschwemmt werden? – Einfache Antworten wird es heute nicht geben. Zuerst bringe ich drei Bibelstellen zu dem Thema. 1. Aussagen der Bibel Die erste steht im Alten Testament, in 3.Mose 19,33-34: „Unterdrückt die Fremden nicht, die bei euch leben, sondern behandelt sie wie euresgleichen. Liebt sie wie euch selbst, denn auch ihr seid Fremde in Ägypten gewesen!“ Aussagen wie diese gibt es im Alten Testament einige. Immer wieder heisst es: Gott steht hinter den Schwachen. Er liebt die Waisen, die Witwen und die Fremdlinge. Der Anspruch ist enorm hoch. Gott fordert hier von seinem Volk: Ihr sollt die Fremden nicht nur akzeptieren, sondern ihr sollt sie lieben. Das ist fast so extrem wie das „Liebe deine Feinde“ von Jesus. Die zweite Stelle ist der barmherzige Samariter. Die Geschichte ist recht bekannt, aber wisst ihr auch, auf welche Frage Jesus mit dieser Geschichte Antwort gibt? Jesus hatte gesagt: „Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst“ und die Frage, die zurückkam, war: „Wer ist denn mein Nächster?“ (Lukas 10,29). Juden und Samariter haben sich regelrecht gehasst. Die Samariter waren ein Mischvolk und auch ihr Glaube war vermischt mit anderen Elementen. Der Samariter hatte alles Recht der Welt, an diesem Verletzten vorüberzugehen und zu sagen: „Der geht mich nichts an! Nicht mein Volk, nicht mein Glaube!“ Das Zentrum der Geschichte ist das: ‚Nächster‘ kennt keine Grenzen von Religion oder Volk. „Liebe deinen Nächsten“ kann man nicht auf Schweizer beschränken. Wenn man also sagt „Die Schweiz ist für die Schweizer da“, dann muss man als Christ dagegenhalten: Nein, so einfach ist es nicht. Wir haben eine Verantwortung für die Welt. Es genügt nicht, zu sagen: „Auch bei uns gibt es arme Leute!“ Bei uns muss niemand hungern, bei uns hat jeder im Winter warm, bei uns muss niemand Angst haben, dass er kein Geld mehr für eine nötige Operation hat. Aber auf dieser Welt gibt es viele Menschen, denen es so geht. Diese Menschen sind unsere Nächsten! Die dritte Stelle ist die grosse Spendenaktion in der Christenheit für die Gemeinde in Jerusalem. Auch in Mazedonien sammeln die Christen. Über sie schreibt Paulus: „Obwohl sie sehr arm sind, haben sie doch reichlich gegeben.“ (2.Kor.8,2). Später schreibt Paulus: „Es geht um einen Ausgleich. Heute habt ihr so viel, dass ihr ihnen helfen könnt. Ein andermal werden sie euch von ihrem Überfluss abgeben, wenn es nötig ist.“ (2.Kor.8,13b-14). Die Mazedonier hätten alles Recht gehabt, zu sagen: „Wir sind selber nicht gerade auf Rosen gebettet. Wir müssen selber kämpfen. Wenn wir einmal zu viel Geld haben, spenden wir gerne.“ Aber die Liebe denkt nicht so. Obwohl diese Christen arm sind, wollen sie unbedingt mithelfen. Rejoice „Meine Schwester aus Syrien!?“ 2 25. Oktober 2015; Pfr. B. Botschen Das bedeutet: Die Angst, wir müssten von unserem Reichtum etwas abgeben, darf uns nicht bremsen. Paulus spricht hier sogar von ‚Ausgleich‘. Das bedeutet: Man selber hat weniger, damit andere mehr haben. Es gehört zu unserer Gesellschaft dazu, dass wir immer das Gefühl haben: Es geht uns nicht gut, es könnte bergab gehen. Wir sind gefangen in der Angst um unseren Wohlstand und werden nie grosszügig an andere denken, wenn wir diese Angst nicht besiegen. Da sind wir allerdings nicht alleine: Es gibt nur ganz wenige Länder dieser Erde, die bei der Entwicklungshilfe keine 0% an erster Stelle haben. 2. Alles ist kompliziert Ist damit alles klar? Ich finde: Nein. Zur Zeit von Jesus war alles einfach: Da sitzt ein Bettler auf der Strasse. Man gibt ihm Geld und er kauft sich damit Brot zum Essen. Bei uns sitzt ein Bettler auf der Strasse. Man gibt ihm Geld und er kauft sich damit im nächsten Laden einen Liter billigen Wein. In Indien werden Kinder von der Schule ferngehalten, manchmal sogar misshandelt, weil sie die besseren Bettler sind. Gibt man so einem Kind mit hungrigen Kinderaugen etwas Geld, macht man alles falsch. Sollen wir alle Flüchtlinge aufnehmen? Ich finde, drei Millionen Syrer würde Europa schon verkraften. Das im Theaterstück war kein Witz: Die Einwohnerzahl von Deutschland wird sich bis zum Ende des Jahrhunderts um ein Drittel verringern. Von jetzt 81 auf 55 Millionen. Europa hat Mühe, seine Einwohnerzahl halbwegs zu halten. Die syrische Mentalität passt vielleicht gar nicht schlecht nach Europa. Aber da wäre auch noch Afrika. Man geht davon aus, dass sich die Bevölkerungszahl in Afrika bis zum Jahr 2100 vervierfachen wird. Von jetzt 1 auf 4 Milliarden. Wer möchte sich dann noch hinstellen und sagen: „Wir nehmen alle auf, denen es schlecht geht!“? Dazu kommt ein für mich unverständlicher Gegensatz, den wir zwischen jenseits der Grenze und diesseits der Grenze machen. Wenn in einem Flüchtlingslager in der Türkei unhaltbare Zustände herrschen, machen wir fast nichts. Aber wenn die Flüchtlinge einmal da sind, ist alles anders. Bis jetzt wurden von der Schweizer Flüchtlingshilfe erst 15 Flüchtlinge in privaten Haushalten untergebracht. Man kann gar keine Familie bei sich aufnehmen, wenn man keine Einliegerwohnung mit eigener Küche und WC anbieten kann. Man macht sich über unhaltbare Zustände keine Gedanken, wenn das nur weit genug weg ist und setzt plötzlich höchste Ansprüche, wenn eine Familie die Grenze zur Schweiz überschritten hat. So war es auch bei der Familie aus Eritrea, die vor einem Jahr die Gemeinde Hagenbuch im Kanton Zürich auf den Kopf stellte. 4 der 7 Kinder waren fremdplatziert, Sozialpädagogen mussten im Durchschnitt sechs Stunden pro Tag mit der Mutter einkaufen gehen, kochen und putzen – für 135 Franken pro Stunde. Am Schluss gab es Kosten von 60‘000 Franken pro Monat und die Volksseele hat gekocht. Das war so ein Moment, in dem ganz viele Leute gesagt haben: ‚Wir haben genug von Ausländern!‘ Wir haben unterschiedlichste Gefühle in uns: Einerseits Anteilnahme, wenn man die Not von Flüchtlingen über die Nachrichten mitbekommt. Ganz viele Leute sind bereit, zu helfen. Andererseits sind da massive Ängste vor Überfremdung, vor dem Islam, vor immer mehr Flüchtlingen. 3. Wie weiter? Rejoice „Meine Schwester aus Syrien!?“ 3 25. Oktober 2015; Pfr. B. Botschen Kehren wir noch einmal zu den Bibeltexten zurück. Was ist da gefragt? Liebe für Menschen, die wir nicht kennen. Eine Verantwortung, die nicht an den Grenzen dieses Landes haltmacht. Grosszügigkeit: Wir sind bereit, unseren Wohlstand zu teilen, auch wenn wir dann ein bisschen weniger haben. Meine persönlichen Schlussfolgerungen sehen so aus: 1. Effizient mit Geld umgehen. Wenn Empart, die Organisation in Indien, die wir unterstützen, ein Kinderheim macht, dann sieht das so aus: 10-15 Kinder, ein Zimmer, lauter Stockbetten. Die Kinder gehen in die Schule, sie erhalten genug zu essen, sie erleben Liebe. Wenn ich Geld für diese Arbeit spende, bewirke ich enorm viel. Es ist einfach nicht effizient, wenn man hier für eine Familie einen Betrag ausgibt, mit dem man vor Ort hundert Mal mehr bewirken könnte. 2. Grosszügig geben. Das „Wir helfen lieber vor Ort“ ist meistens eine Ausrede, um nichts zu tun. Lasst uns Menschen sein, die ihr Herz bewusst für diese Welt öffnen und grosszügig geben. Das kann man aber nur dann glaubwürdig vom Staat fordern, wenn man bereit ist, privat die ersten Schritte zu machen. 3. Dauerhaft helfen. Meine grosse Sorge ist die: Solange man die Flüchtlinge im Fernsehen sieht, haben alle Mitleid. Aber kaum ist die grösste Katastrophe vorbei, vergessen wir alles und denken nur noch über unser eigenes, kleines Leben nach. Dabei passieren an jedem einzelnen Tag in Afrika oder Indien Dinge, die das gegenwärtige Flüchtlingsdrama in den Schatten stellen. Ich wünsche mir, dass wir anhaltend helfen. Es fällt manchmal schwer, dauerhaft Anteil an etwas zu nehmen, das wir nicht sehen. Aber dann haben wir ja immer noch einen Kopf, der da bewusst Gegensteuer geben kann. Ich finde immer noch: Ohne Dauerauftrag geht das nicht. 4. Liebe statt Hass. Ein Deutscher, mit dem ich im Urlaub sprach, erzählte mir von seiner Sicht auf die Flüchtlinge. Hunderttausende Syrer in Deutschland! Er findet auch, dass man den Leuten helfen sollte. Aber er hat eine tiefe Abneigung gegen den Islam. Die Leute mit Kopftuch möchte er nicht sehen! Stellt euch vor, wir müssten in ein moslemisches Land wie die Türkei flüchten. Was würden wir über den Islam denken, wenn man uns sagen würde: „Wir wollen euch nicht. Ihr habt den falschen Glauben!“ Macht es denn nicht gerade unseren Glauben aus, dass wir wissen, dass jeder Mensch von Gott geliebt ist? Wenn wir Ausländer sehen und unfreundliche Gefühle in uns hochsteigen, haben wir unser Herz auf Irrwege entlassen. Es gibt kaum ein Thema, bei dem wir so sehr auf unser Herz achten müssen. Wir dürfen uns keinen Hass auf Menschen erlauben, bei denen Gott unsere Liebe fordert. 5. Raum für persönliche Berufung. In Österreich sind die Flüchtlinge aus Syrien ein Riesenthema. Meine Mutter hat mich gefragt: „Was kannst du eigentlich machen?“ Ich kümmere mich jetzt, wo sich so viele Person um die Syrien-Flüchtlinge sorgen, erst recht um Indien. Aber vielleicht würdet ihr gerne bei Syrien mithelfen. Wichtig ist: Gebt Gott Raum, dass er euch etwas aufs Herz legen kann. Seid für Syrer da, oder für Afrika, oder für Indien, oder für Roma in Ungarn. Lasst es zu, dass Gott euch etwas aufs Herz legt, das ihr dann über viele Jahre hinweg unterstützt. Jesus soll nicht umsonst gesagt haben: Ihr seid das Licht der Welt! AMEN.