Wie Gott um die Menschen trauert (Jeremia 8, 4-7) (geklaut von Christian Schwark) Liebe Gemeinde, heute ist Volkstrauertag. Heute gedenken viele Menschen der Opfer der Weltkriege. In Haigerseelbach ist heute noch die Gefallenenausstellung von Edeltraud Janzweert liebevoll zusammengestellt zu sehen. Vielleicht denkt jemand von Ihnen auch an einen Menschen, der Ihnen bekannt war und der im Zweiten Weltkrieg umgekommen ist. Wir trauern um Menschen, die ihr Leben lassen mussten, weil andere ihre Interessen durch Krieg und Gewalt durchsetzen wollten. Es ist gut, dass wir heute daran denken. So vergessen wir nicht, wie wichtig der Friede ist. Es ist gut und wichtig, für den Frieden zu beten und uns für den Frieden einzusetzen. Der Predigttext von heute ist ein "Volkstrauertag-Predigttext“. Allerdings in einem etwas anderen Sinne. Da ist nicht ein Volk, das trauert. Sondern da ist Gott, der um sein Volk trauert. Hören Sie, was er durch Jeremia in Jer.8,4-7 seinem Volk sagen lässt: 4 Sprich zu ihnen: So spricht der HERR: Wo ist jemand, wenn er fällt, der nicht gern wieder aufstünde? Wo ist jemand, wenn er irregeht, der nicht gern wieder zurechtkäme? 5 Warum will denn dies Volk zu Jerusalem irregehen für und für? Sie halten so fest am falschen Gottesdienst, dass sie nicht umkehren wollen. 6 Ich sehe und höre, dass sie nicht die Wahrheit reden. Es gibt niemand, dem seine Bosheit leid wäre und der spräche: Was hab ich doch getan! Sie laufen alle ihren Lauf wie ein Hengst, der in der Schlacht dahinstürmt. 7 Der Storch unter dem Himmel weiß seine Zeit, Turteltaube, Kranich und Schwalbe halten die Zeit ein, in der sie wiederkommen sollen; aber mein Volk will das Recht des HERRN nicht wissen. Liebe Gemeinde, Da ist nicht ein Volk, das trauert. Sondern da ist Gott, der um sein Volk trauert. Ja, Gott kann auch trauern. Er ist kein unnahbares Wesen, das keine Gefühle kennt. Gott trauert um die Menschen, die nicht mehr in der Gemeinschaft mit ihm leben. Wir spüren diese Trauer in unserem Text. Durch alle fragenden und anklagenden Worte hindurch kann man eine tiefe Trauer und eine Sehnsucht nach Veränderung hören. Manches an der Trauer Gottes ist mit unserer Trauer vergleichbar. Manches ist aber auch ganz anders. Schauen wir uns das genauer an, wie Gott um die Menschen trauert. 1. Gott trauert, weil das Verhalten der Menschen eigentlich unverständlich ist (V.4-5a+7) Haben Sie schon einmal einem kleinen Kind zugesehen, das laufen lernt? Ein kleines Kind, das versucht, einige Meter, leicht wackelnd, leicht verunsichert, zu gehen. Doch das Kind fällt immer wieder um. Aber es bleibt nicht lange liegen. Mit einem Lachen im Gesicht steht es sofort wieder auf und setzt seine mühsamen Übungen fort. Hinfallen ist nicht schlimm, aber liegen bleiben - nicht mehr aufstehen! Hinfallen gehört zum Erwachsenwerden. Es ist ein Teil des Großwerdens. Auch später fallen wir immer wieder hin - im übertragenen Sinn können wir stolpern und fallen. Im Prinzip gehört das Hinfallen zu unserem Leben. Kennen wir sie nicht alle, die Erfahrungen beispielsweise aus der Schulzeit, bei misslungenen Schulaufgaben? Oder eine abgelehnte Bewerbung? Die Ablehnung durch einen Partner, das Scheitern einer Beziehung oder gar eine Scheidung? Der Verlust von Freunden, von Arbeit, von lieb Gewonnenem? Hinfallen gehört zu unserem Leben, aber auch das Aufstehen, der Mut zum Weitergehen, zum Neuanfang! Hinfallen kann passieren – man darf nur nicht liegen bleiben. Und doch gibt es Situationen, in denen Menschen nicht mehr aufstehen. Genauso selbstverständlich ist es doch eigentlich auch, dass ich nach dem Weg frage, wenn ich mich verlaufen habe. Oder dass ich anhalte und auf die Karte gucke, damit ich mich orientieren kann und mir den Weg angucken kann, auf dem ich ans Ziel kommen kann. Eigentlich. Und doch gibt es Situationen, in denen Menschen den falschen Weg einfach weiter gehen. Da sind die Zugvögel. Sie wissen genau, wann ihre Zeit ist. Wir können es ja auch bei uns beobachten. Einige Vögel verlassen uns in der kalten Jahreszeit und kommen dann im Frühjahr wieder. Ich finde es immer beeindruckend, wenn ich große Vogelschwärme am Himmel sehe. Die Vögel kennen die Jahreszeiten. Fragen sie mal die Leute von der Vogelschutzgruppe in Niederbiel. Die können Ihnen das bestimmt genau erklären. Die Vögel, die hier als Beispiel genannt werden, müssen ihre Zeiten kennen. Sonst können sie nicht überleben. So auch bei den Menschen. Sie müssen die Gebote Gottes kennen und danach leben. Sonst können sie nicht überleben. Eigentlich ist es also völlig unverständlich, dass Menschen nicht nach Gottes Willen leben. Gott sieht sein Volk, wie es hinfällt und nicht mehr aufsteht, wie es in die Irre geht und nicht umkehrt. Warum mussten so viele Menschen in den beiden Weltkriegen sterben? Warum konnten die Verantwortlichen nur so grausam sein, diese Kriege anzuzetteln? Und warum gelingt es nicht, in Syrien oder Israel Frieden zu schaffen? Wenn wir uns diese und ähnliche Fragen stellen, dann wissen wir darauf keine Antwort. Dabei ginge es doch allen viel besser, wenn es keinen Krieg gäbe. So auch bei dem Menschen und Gott. Eigentlich ginge es den Menschen am besten, wenn sie mit Gott leben würden. Aber trotzdem wenden sie sich von ihm ab. Eigentlich unverständlich. Wenn es so unverständlich ist, dass einer ohne Gott leben will, bedeutet das doch auch: Es entgeht ihm vieles. Zwischen den Zeilen sagt uns also unser Text: Gott kann dich so reich beschenken! Du kannst etwas von ihm erfahren. Du kannst seine Nähe erfahren. Du kannst seine Liebe erfahren. Wieso suchst du woanders nach Sinn oder nach Befriedigung? Gott gibt dir alles, was du brauchst. Da hast du es gar nicht nötig, vor ihm wegzulaufen. In unserem Text wird das Leben mit Gott damit verglichen, dass einer wieder aufsteht. Wer aufsteht, hat wieder festen Boden unter den Füßen. Der hat sozusagen einen Standpunkt. So habe ich auch einen Standpunkt, wenn ich mit Gott lebe. Einen Standpunkt, der mich frei macht davon, mein Fähnchen nach dem Wind zu hängen. Einen Standpunkt, der mir eine klare Richtung für mein Leben gibt. Ich kann wissen, wo ich herkomme. Ich kann wissen, wozu ich lebe. Und ich kann wissen, wo es hingeht. Ein Standpunkt, das kann bedeuten: Ich kann auch dann stehen blieben, wenn der Wind des Lebens mir kräftig ins Gesicht bläst. Wenn wir zum Beispiel Angst haben vor einem Krieg, können wir uns an Gott halten und darauf vertrauen: Er lässt uns nicht allein. Mit Gottes Hilfe können wir unser Leben bestehen. Gott beschenkt seine Leute reichlich. Wer das erfahren hat, wird nicht verstehen, dass viele Leute nichts von Gott wissen möchten. Der wird auch bei sich selbst nicht verstehen, warum er immer wieder Dinge tut, die gegen Gott sind. Und der wird sich sehnen danach, wieder mit Gott ins Reine zu kommen. Denn ein Leben mit Gott ist das Beste, was uns passieren kann. 2. Gott trauert, weil die Menschen nicht nach seinem Willen leben (V.5b-6) Trauer hat immer einen Anlass. Da ist etwas passiert, was einen traurig macht. In unserem Text erfahren wir etwas über den Anlass von Gottes Trauer. Da lesen wir, dass das Volk am falschen Gottesdienst festhält. Wörtlich steht da, wo Luther mit "falscher Gottesdienst" übersetzt, "Trug". "Trug", das kann zum Beispiel heißen, dass man in die Kirche geht, aber das Leben sieht ganz anders aus. Oder auch, dass man sagt, man ist ja Christ, und in Wirklichkeit sind doch ganz andere Dinge wichtiger als Jesus. In Israel waren anscheinend zwei Dinge ein besonderes Problem. a) Da ist zum einen der Umgang mit der Wahrheit. In unserm Text lesen wir, dass die Leute nicht die Wahrheit reden. Man nahm das anscheinend nicht so genau damit. Das kennen wir auch. Richtig lügen, das machen wir nicht oder nur selten. Aber es gibt ja auch Halb und Viertelwahrheiten, wo die Grenze zur Lüge fließend ist. Da gab es vielleicht eine kleine Auseinandersetzung in einer Familie wegen irgendeiner Kleinigkeit. Nichts Großes, die Sache könnte am nächsten Tag vergessen sein. Aber der Nachbar hat etwas mitbekommen. Und er erzählt einem anderen: "Bei dem ist irgendetwas nicht in Ordnung in der Familie, ich hab' da so ein Geschrei gehört. Und der andere erzählt wieder einem anderen: "Der hat Probleme mit seiner Familie. Das ist bestimmt schon eine ganze Zeit so, und man hat es erst jetzt mitbekommen." Und der erzählt wiederum weiter: "In der Familie soundso gibt es nur Krach. Womöglich wird da auch getrunken, und die Kinder werden geschlagen. Vielleicht sollte man 'mal das Jugendamt benachrichtigen." Und so setzt sich die Sache fort, und am Schluss steht eine große Unwahrheit da. Keiner hat bewusst gelogen. Aber es sind Halbwahrheiten verbreitet worden. Es ist also gut, sich einmal kritisch zu fragen: Wie genau nehme ich es mit der Wahrheit? Besonders dann, wenn es um andere Menschen geht, kann das sehr schlimme Folgen haben, wenn ich nicht bei der Wahrheit bleibe. b) Ein anderes Problem in Israel war, dass die Leute die Gebote Gottes nicht beachteten. "Mein Volk will das Recht des Herrn nicht wissen", sagt Gott. Auch das erleben wir in unserer Zeit. Wer kennt schon noch alle 10 Gebote? Machen Sie mal den Test bei sich selbst. Kriegen sie noch alle 10 zusammen? Und selbst wenn man noch weiß, was Gott will, wer lebt denn danach? Natürlich, so in etwa halten sich viele an einzelne Gebote: Nur wenige stehlen und noch weniger Leute bringen andere um. Aber wenn man die Gebote insgesamt sieht, gibt es niemanden, der von sich sagen kann: "Ich halte immer alle Gebote". Nehmen wir mal nur das erste Gebot: Haben wir nie andere Götter? Ist uns nie etwas anderes wichtiger als Gott? Wenn wir einigermaßen ehrlich sind, dann sehen wir: Auch bei uns ist manches nicht in Ordnung. Auch über uns könnte Gott das sagen, was er hier bei Jeremia sagt. Nach außen mögen wir vielleicht den Eindruck erwecken, dass wir gute Menschen und geistlich lebendige Christen sind. Aber hinter der Fassade sieht es oft anders aus. Da gibt es auch in unserem Leben Dinge, die keiner wissen darf. Das ist wie bei einer Frucht, die von außen gut aussieht, aber innen schon faul geworden ist. Jeremia sah ein Volk, das nicht mehr nach dem Willen Gottes lebte. Er vergleicht sie mit einem Hengst, der zur Schlacht stürmt. Der also nicht mehr aufzuhalten ist. Nichts hindert die Menschen daran, an dem Willen Gottes vorbei zu leben. Gott zwingt niemanden. Aber er ist traurig. Darum hat er sozusagen seinen "Volkstrauertag". Auch bei unserem Volk könnte es so einen Volkstrauertag geben. Als Trauertag über die Menschen, die sich von Gott abgewendet haben und ihr Leben ohne ihn leben. Aber wir dürfen dabei nicht nur mit dem Finger auf andere zeigen. Sondern wir müssen uns selbst fragen: Wo ist auch bei mir "Trug" und "falscher Gottesdienst"? Was Jeremia hier sagt, geht uns alle an. 3. Gott trauert, aber wir können neu anfangen Bei Menschen führt die Trauer oft zu negativen Gedanken und Gefühlen. Man wird zornig auf andere. Noch heute erlebt man es in manchen Ländern, dass man als Deutscher nicht gern gesehen wird. Der Grund dafür sind die Erfahrungen des 2. Weltkriegs. Oft entstehen neue gewaltsame Auseinandersetzungen, weil Menschen trauern um ihre Verwandten und Freunde, um ihr Land oder um etwas anderes. Man könnte erwarten, dass das bei Gott auch so ist. Wenn die Menschen sich von ihm abwenden, wäre es verständlich, wenn er sagen würde: "Na gut, ihr wollt es nicht anders. Dann will ich aber mit euch jetzt auch nichts mehr zu tun haben! Und kommt dann bloß nicht irgendwann wieder an!" Wenn wir in unseren Text schauen, sehen wir etwas ganz anderes: An einigen Stellen schimmert nämlich ein großes Angebot Gottes durch. Das Angebot nämlich, dass die Menschen wieder zu ihm zurückkehren können. Dass sie einen Neuanfang mit ihm machen können. Da sagt Gott, dass es niemanden gibt, dem seine Bosheit leid tut. Das heißt doch: Wenn es Leute gäbe, denen ihre Bosheit leid tun würde, könnte bei ihnen die Sache wieder bereinigt werden. Und auch die Fragen am Anfang unseres Textes weisen in diese Richtung. Wenn Gott danach fragt, ob nicht der, der hinfällt, wieder aufstehen möchte, und der, der sich verirrt hat, wieder den Weg zum Ziel finden will, heißt das doch: Aufstehen, wieder auf den Weg zum Ziel kommen, das ist möglich. Gott schlägt die Tür zu den Menschen also nicht zu. Er bietet uns die Chance für einen Neuanfang: Dass wir umkehren, dass wir unseren Blick wenden, dass wir nicht mehr auf uns selbst, sondern auf Gott schauen und dass wir unser Leben nach ihm ausrichten. Auch wenn wir schon Christen sind, ist es gut, wenn wir uns immer wieder neu auf ihn ausrichten. Gott gibt uns eine offene Tür. Am nächsten Mittwoch ist Buß- und Bettag. Unser Predigttext weist schon auf diesen Tag hin. "Buße" heißt nämlich nichts anderes als "Umkehr". Und genau das will uns Gott heute Morgen zeigen: Wir können umkehren zu ihm. Wir können beten und sagen: "Herr, an diesem Tag möchte ich dir noch einmal alles sagen, was ich in der letzten Zeit falsch gemacht habe. Ich danke dir für deine Vergebung und möchte mich neu auf dich ausrichten." In diesem Sinne kann der "Volkstrauertag" Gottes, seine Trauer darüber, dass die Menschen sich von ihm abwenden, zu einer Vorbereitung auf den "Buß- und Bettag" werden. Wir können in diesen Tagen neu umkehren zu Gott und mit ihm im Gebet darüber sprechen. und im Abendmahl erleben, wie Gott uns neu seine Liebe zeigt. Amen. Gebet: Herr, hab Dank dafür, dass die Tür zu dir offen steht, obwohl wir so wenig nach deinem Willen leben. Zeig uns, wo wir uns von dir abgewandt haben. Und gib uns den Mut dazu, neu mit dir anzufangen. Amen.