Rede des Hörfunkdirektors Bernhard Hermann

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Bernhard Hermann / Abschiedskonzert Sir Roger Norrington, Konzert am 22.07.11 in der Stuttgarter Liederhalle
Verehrter, lieber Sir Roger,
eine meiner ersten Aufgaben als frischgebackener Hörfunkdirektor des neuen Senders
Südwestrundfunk war es im Oktober 1998, den neuen Chefdirigenten unseres RadioSinfonieorchesters in Stuttgart willkommen zu heißen. Sie waren mir damals fremd, aber
irgendwie gleich sympathisch. Heute sind Sie mir immer noch sympathisch, aber Sie sind
mit den Jahren zu einem Freund geworden, von dem ich in Sachen Musik unglaublich vieles
lernen durfte.
Es ist deshalb für mich eine große Freude und Ehre, Ihnen heute im Namen des Südwestrundfunks, im Namen unseres Intendanten Peter Boudgoust, des SWR2 Programmchefs Dr.
Johannes Weiß, der Musikchefin Dorothea Enderle, im Namen der Mitarbeiterinnen und
Mitarbeiter dieses Senders, nicht zuletzt aber im Namen vieler begeisterter Hörerinnen und
Hörer unseres Kulturprogramms ein herzliches Dankeschön zu sagen. Dieser Dank kommt
natürlich auch von meiner Frau und mir ganz persönlich. Und ich soll Sie ausdrücklich von
unserem jüngsten Sohn grüßen, der, nachdem er Sie am Montagabend beim Abschiedsessen bei uns zu Hause kennengelernt hatte, meinte: „Wow, super Typ!“ Ein Kompliment, das
Mitte-70-Jährige von Mitte-20-Jährigen eher selten zu hören bekommen. Danke also für 13
wunderbare Jahre mit diesem grandiosen Orchester. Wenn wir auf unser Kulturradio SWR2
seit Jahren stolz sein dürfen, dann auch auf Grund Ihrer Arbeit mit dem RadioSinfonieorchester Stuttgart.
Wer konnte es damals ahnen, als Sie 1998 mit dem RSO an den Start gingen, dass darauf
eine Ära von 13 Jahren folgen würde, die das Orchester in ganz besonderer und ungewöhnlicher Weise prägen würde. Man kannte Sie damals als Leiter eines von Ihnen selbst gegründeten Ensembles, den „London Classical Players“ und dem „Schütz Choir“. Sie hatten den
Ruf, experimentierfreudig und innovativ zu sein, ein unabhängiger Denker, der für seine
Ideen steht und kämpft und sich von Kritik nicht entmutigen lässt. Vor allem aber standen
Sie für das Aufbrechen verkrusteter Strukturen, für die musikalische Orientierung am Originaltext der Komponisten, an den historischen Quellen. Sie wollten die Erkenntnisse, die Sie
mit Ihren Ensembles auf historischen Instrumenten gewonnen und die Sie beim Studium in
Bibliotheken und Archiven vertieft hatten, auf ein modernes großes Sinfonieorchester übertragen.
Bernhard Hermann / Abschiedskonzert Sir Roger Norrington, Konzert am 22.07.11 in der Stuttgarter Liederhalle
Das war nicht ohne Risiko, einem solchen Individualisten ein Radio-Sinfonieorchester anzuvertrauen, dessen Musiker ja ebenfalls Individualisten sind, alles sensible Künstler, die überzeugt und nicht zu irgendetwas gezwungen werden wollen. Wenn Sie es dennoch geschafft
haben, mit diesem Orchester im Lauf der Jahre eine unverwechselbare, künstlerische Marke
zu entwickeln, die unter dem Schlagwort „Stuttgart Sound“ dem Orchester mit Ihnen und
Ihnen mit dem Orchester zu großer internationaler Beachtung verholfen hat, dann Dank
Ihres Einfühlungsvermögens, Ihrer auch bei den Konzerten immer spürbaren Begeisterungsfähigkeit, die auf das Orchester und die Zuhörer überspringt und nicht zuletzt auf Grund
Ihrer unbestreitbaren Führungsqualität.
Sie haben uns altbekannte Werke in neuer frischer Gestalt präsentiert. Beethoven, Brahms
oder heute Abend wieder einmal Mahler. Sie haben uns die – Vielen bisher unbekannte –
Musik aus Ihrer englischen Heimat nahe gebracht und diese Arbeit ist in den 13 Jahren in
über 50 CDs und DVDs auf unserem Label „SWR music“ bei Hänssler dokumentiert worden:
der ECHO Klassik Preis 2001, mehrere Preise der Deutschen Schallplattenkritik, die Nominierung für den Grammy für die Beethoven-Sinfonien im Jahr 2002. An Lob und Anerkennung fehlte es genauso wenig wie an Kritik, denn die Geschmäcker sind nun mal verschieden und das gilt auch für die Musik. Dennoch: die Zyklen der Sinfonien von Haydn und Mozart gehören zweifellos zum Besten, was das Radio-Sinfonieorchester Stuttgart je produziert hat. Die Gesprächskonzerte bei den Stuttgarter Musikfesten kommen mir in den Sinn,
Tourneen in die ganze Welt, in die Musikzentren Europas – allein viermal bei den BBCProms in London – die Reisen nach China und Japan, wo die Norrington-CDs zu einem Verkaufsschlager geworden sind. Nicht zu vergessen die vielen Auftritte bei den Schwetzinger
SWR Festspielen, im Speyrer Dom, dem Festspielhaus in Baden-Baden und natürlich hier in
der Stuttgarter Liederhalle.
Lieber Sir Roger, Sie haben mit unserem Orchester Musikgeschichte geschrieben! Wenn
eine so erfolgreiche Ära, wie die Stuttgarter Norrington-Ära zu Ende geht, dann ist das immer auch mit ein bisschen Wehmut verbunden. Aber in diese Wehmut mischt sich auch die
Vorfreude auf den Neuen, auf Stéphane Denève, den Sie kennen und den Sie schätzen. Und
diese Wehmut wird begleitet von einem geradezu lustvollen Erinnern des Vergangenen. Wir
alle werden uns an die Ära Norrington mit großer Lust, mit viel Dankbarkeit und mit Freude
erinnern.
Bernhard Hermann / Abschiedskonzert Sir Roger Norrington, Konzert am 22.07.11 in der Stuttgarter Liederhalle
Ich hoffe für Sie und wünsche es uns, dass auch Sie, wenn Sie auf Ihre Zeit in Stuttgart zurückblicken werden, diese Mischung aus leiser Traurigkeit und Lust empfinden, die man
gemeinhin Wehmut nennt. Denn dann bin ich sicher, dass Sie nicht nur im Spätjahr zurückkommen, um die Schubert-Sinfonien zu produzieren, sondern immer wieder auch in den
kommenden Jahren.
Es ist also durchaus auch egoistisch, wenn ich Ihnen zum Schluss wünsche: Lieber Sir Roger,
bleiben Sie gesund! Und ich verbinde diesen Wunsch mit einem nur leicht abgewandelten
englischen Sprichwort: „One Whisky a day, keeps the doctor away“!
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