Römisches Reich und das bellum iustum Das Römische Reich legitimierte seine Eroberungsfeldzüge, indem es sie mit dem kultischen Ritus der Fetialen eröffnete: Ein Priester hatte den jeweiligen Nachbarn der Römer nach einem genau festgelegten Protokoll über die römischen Forderungen aufzuklären, um nach einer bestimmten Frist mit einer Formel den Krieg zu erklären. Dabei nahmen die Römer an, nur ein bellum iustum genieße die Unterstützung der Götter. Eine Niederlage bedeutete für sie, dass die vor der Schlacht angerufenen Götter den Kriegsgrund als ungerecht ansahen, umgekehrt legitimierte ein Sieg rückwirkend auch die Kriegsgründe. Die Römer schlossen mit denjenigen niedergeworfenen Völkern, deren Gebiet sie nicht direkt annektierten, auch für sie selbst rechtsgültige Verträge (pacta sunt servanda). Sie betrachteten die Expansion ihres Reiches also als Einigung souveräner Kollektive. Cicero behandelte den Krieg in De officiis (I,11, 34ff) und De re publica (3, 23.35). Er ging von der Pflicht jedes Menschen aus, Gerechtigkeit im privaten und öffentlichen Leben herzustellen und zu wahren: auch dann, wenn einem Unrecht geschieht. Darum dürfe Politik Konflikte um konkurrierende Rechtsansprüche erst dann gewaltsam austragen, wenn zivile Auseinandersetzung (disceptatio) gescheitert sei. Auch müsse der Krieg nach dem heiligen Priesterrecht angekündigt (denuntiare) und erklärt (indicere) werden. Als gerechte Kriegsgründe nannte er die Strafe bzw. Rache für erlittenes Unrecht und die Vertreibung von Feinden als Selbstverteidigung oder Nothilfe für andere. Dabei sei aber stets Maß zu halten; die Kriegführung müsse Schuldige von der Menge unterscheiden. Nur Soldaten (miles) dürften sich an Kampfhandlungen beteiligen. Eide und Versprechen seien auch Feinden – nicht Verbrechern – gegenüber einzuhalten. Ziel müsse sein, ohne Ungerechtigkeit in Frieden zu leben (ut sine iniuria in pace vivatur). Damit formulierte Cicero fünf Grundbedingungen: Krieg muss 1. auf erlittenes Unrecht reagieren, 2. auf gescheiterte Verhandlungsversuche folgen, 3. von der politischen Zentralmacht geführt werden, 4. von sakralen Autoritäten formal legitimiert werden, 5. den verletzten Rechtszustand wiederherstellen (restitutio) und Schäden wiedergutmachen (repetitio). Krieg war also für ihn eine Art vollstrecktes Strafrecht (executio iuris) des römischen Staates gegen Angreifer von außen. Recht setzte er mit der Erhaltung des römischen Weltreichs im Sinne der Pax Romana gleich. Die Kriegsparteien waren für ihn also nicht gleichberechtigt, sondern standen sich wie Verbrecher und Richter gegenüber. Dieser „diskriminierende Feindbegriff“, also die Gleichsetzung von äußeren Angreifern mit Verbrechern gegen die eigene Rechtsordnung, bestimmte in der Folge alle mittelalterlichen Theorien des gerechten Krieges. Caesars Motive zum Helvetierkrieg Aspekt der Lesersteuerung: "Spätestens von M. Rambaud haben wir gelernt, Caesar als einen gewieften politischen Propagandisten zu sehen. In Bezug auf das erste Buch des ‘Bellum Gallicum’ wird das immer wieder so verstanden, als hätte Caesar es geschrieben, um sich zu rechtfertigen, um die ‘vom Zaun gebrochene’ Eroberung Galliens bzw. deren ersten Schritt als notwendig hinzustellen. John Collins hat diese Interpretation in ihre Schranken verwiesen, indem er u.a. gefragt hat: Wie aktuell ist die ‘Kriegsschuldfrage’ noch im Abfassungsjahr 52/51 v.Chr. gewesen? Wieso spricht Caesar ungehemmt von Massakern an der Zivilbevölkerung und ähnlichem?" Die von Rüpke summarisch zusammengestellten Argumentationsmotive Caesars im ‘Bellum Helveticum’ (Caes.BG. 1,1-14): bellicositas-Motiv: Allgemein wird den Helvetiern bellicositas zugeschrieben (1,4; 2,4; 2,5; 3,6; 10,2) coniuratio-Motiv: Ihre Kriegsmotivation wird diskreditiert: Es geht um eine coniuratio, um die Errichtung eines regnum (2,1; 3,1; 3,5-7) (regnum-Motiv); das Argument des Landmangels wird durch den Kontext entwertet, was schließlich bleibt, ist ein Abenteuer (pericula subire: 5,3). iter-Motiv: Die Helvetier wollen per provinciam nostram marschieren (6,2; 7,1.3.4; 8,3; 10,1; 14,3). Dies ist keineswegs der einzige Weg (6,1; 9,1), obwohl die Helvetier das behaupten (7,3). iniuria- (maleficia-) Motiv: Die Helvetier sind den Römern feindlich gesonnen (7,4; 10,2). Es besteht die Gefahr (periculum-Motiv), dass sie iniurias (maleficia) verüben. (7,3.4; 9,4; 14,2.3.6). contumelia-Motiv: Schon einmal haben die Römer, im Jahre 107 v.Chr., schweren Schaden davongetragen (7,4; 12,5; 14,1), sind sub iugum, unter das Joch, geschickt worden (7,4; 12,5). socii-Motiv: Gefährdet sind aber auch die socii: Das ganze Kapitel 11 ist diesem Thema gewidmet (daneben auch 14,3.6); hier fällt eine wichtige Entscheidung (non exspectandum). poena- (ultio-) Motiv: Der erste Sieg über die Helvetier wird mit einem semantischen Feld beschrieben, das die Begriffe poena (12,6; 14,4) und ulcisci (12,7; 14,5) aufweist. Zu nennen wären auch noch obsides (9,4; 14,6) und satisfactio (14,6). di immortales-Motiv: Schließlich werden die di immortales erwähnt: zwei der ganz wenigen Stellen, an denen in den commentarii über die Taten in Gallien Götter überhaupt erwähnt werden (12,6; 14,5; häufiger in den Exkursen der folgenden Bücher). Zusätzlich: Barbaren-Motiv: Die Helvetier sind Barbaren (1,3-4). Kriege gegen Barbaren (Romanisierung!) waren für die bellum-iustum-Theorie nicht begründungsbedürftig [Si40].